Solange das Leben leuchtet - Simon Fitzmaurice - E-Book

Solange das Leben leuchtet E-Book

Simon Fitzmaurice

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Beschreibung

Zunächst dachte Simon Fitzmaurice nur, sein Schuh drückt. Doch in den folgenden Tagen wanderte das taube Gefühl sein Bein hinauf. Dann die Diagnose: Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS, eine Nervenkrankheit, die durch Lähmungen und Muskelschwund innerhalb weniger Jahre zum Tod führt. Simon verzweifelt - und schöpft doch wieder Mut, denn seine Familie steht uneingeschränkt hinter ihm. So lässt er sich fallen in die Liebe zu den Seinen und dem Leben und erfährt mit großer Klarheit die Kostbarkeit eines jeden Augenblicks.

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Seitenzahl: 142

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Inhalt

CoverÜber den AutorTitelImpressumWidmungDie MutigenDen Atem anhaltenDie Brücke in der Baggot StreetEmpire State BuildingIch sage seinen NamenNorth CottageSundanceSchmerzLaufenEr sagt es mirDie Hoffnungsvollen und die VerzweifeltenArdenSonnenschein in unserem LebenPizzaZeit zu gehenAngstMein LandEin LebenWeihnachtenDieser TagWas ist der Mensch?Der BaumVier Stückchen PapierWeiße FahrräderWinter in BerlinSchauspielDas größte, dickste, schwerste WörterbuchDirekt aus dem KühlschrankGeckoIch bin immer noch ein MenschSolange das Leben leuchtetDie Dunkelheit

Über den Autor

Simon Fitzmaurice ist ein mehrfach ausgezeichneter Autor und Regisseur. Seine Filme wurden auf Festivals auf der ganzen Welt gezeigt, und er gewann Preise im In- und Ausland. Er schreibt regelmäßig für The Irish Times. Zurzeit arbeitet Simon Fitzmaurice trotz aller Widerstände an seinem ersten abendfüllenden Spielfilm. Er lebt mit seiner Frau Ruth und den fünf Kindern in Greystones, südlich von Dublin.

Simon Fitzmaurice

Solange das Leben leuchtet

Mein Körper wird immer schwächer,aber die Liebe zu meiner Familiebleibt stark

Aus dem Englischen von Isabell Lorenz

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2014 by Simon Fitzmaurice

Titel der irischen Originalausgabe: »It’s Not Yet Dark«

Originalverlag: Hachette Books Ireland

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Michael Neuhaus, Arnsberg

Titelillustration: © shutterstock/Suzanne Tucker

Umschlaggestaltung: Jana Rumold, LICHTFELD DESIGN

Datenkonvertierung E-Book:

hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-1391-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Für Ruth,Jack, Raife, Arden, Sadie und Hunter

Die Mutigen

Ich bin ein Fremdling. Eine andere Rasse. Ich lebe unter euch, aber ich bin anders. So anders, dass es nur Schmerzen bereitet, wenn ich so tue, als sei ich wie ihr. Und doch bin ich wie ihr im selben Maß, wie ich anders bin. Ich bin ein Fremdling.

Ich sehe euer Wesen, wenn ich fernsehe, Musik höre oder lese. Ich war einmal wie ihr. Aber oft fühle ich mich fern von euch.

Mein Wesen hat Gesichter, Namen. Totems. Die Worte, die wir sprechen. Jeder unserer Atemzüge ist Wesen.

Alle bemerken es, aber keiner sieht es.

Auf den Straßen, in den Menschenmengen, keiner sieht es.

Ich war einmal unsichtbar. Ich lebte unter euch, unsichtbar in meiner Verkleidung. Jetzt bin ich der Inbegriff des Andersseins. Ich kann mich nicht verstecken. Ich lebe mit einem Kraftfeld, vor dem ihr den Blick abwendet. Nur die Kinder sehen mich. Ihr zieht sie an euch, wenn ich in eure Nähe komme, aber sie wenden den Blick nicht ab. Ihr geht auf die andere Straßenseite, aber eure Kinder schauen nicht weg. Sie sind noch auf der Suche nach dem, was das Menschsein ausmacht.

Ich erschrecke euch. Ich bin ein Totem der Furcht. Der Krankheit, des Wahnsinns, des Todes. Ich bin ein Prüfstein, dem man aus dem Weg gehen muss.

Doch das tun nicht alle. Die Mutigen kommen näher. Frauen. Kinder. Selten einmal ein Mann. Und ich werde wachgerüttelt.

Die Mutigen sind die, die ich als Freunde ansehe.

Den Atem anhalten

Ich bin mit dem Auto in England unterwegs. Auf einer schmalen Landstraße, die zu einer hohen Eiche hinaufführt. Es könnte auch Irland sein. Der Anruf kommt, kurz bevor ich den Baum erreiche. Es ist meine Produzentin, und sie jubelt. Gerade hat sie einen Anruf vom Sundance Film Festival erhalten. Man würde gern unseren Film dort zeigen. Ich spüre, wie sich etwas in mir verschiebt. Sie redet schnell, dann legt sie auf. Ich fahre an dem Baum vorbei. Sie ruft noch einmal an. Sagt, da sei noch ein Anruf gewesen und man sei wirklich ganz begeistert von unserem Film. Wir sind überglücklich, Worte sprudeln aus uns heraus, an die ich mich nicht mehr erinnere. Dann verabschieden wir uns. Ich fahre eine Landstraße hinunter, und ich bin ein anderer geworden.

Ich war schon auf vielen Festivals. Weshalb gerade dieses mir so viel bedeutet, weiß ich nicht. Vielleicht, weil ich mit den Filmen meines Vaters aufgewachsen bin, in einer Zeit, als Robert Redford eine Legende war. Der Unbeugsame war einer unserer Lieblingsfilme. Ich weiß es nicht. Aber ich habe mich oft gefragt, ob womöglich genau in diesem Moment die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) bei mir ausbrach. Dass ich seit Jahren den Atem angehalten hatte. Und mich plötzlich entspannte. Und dass genau in dem Moment etwas aushakte. Etwas hakte aus.

Im Monat darauf kippt mein Fuß weg.

Ich gehe durch Dublin. Vom Stadtteil Rialto zum Park Stephen’s Green. Die Nacht hatte ich im Haus eines Freundes verbracht. Hatte auf dem Fußboden geschlafen. Jetzt höre ich ein klatschendes Geräusch. Mein Fuß auf dem Bürgersteig.

Merkwürdig. Als sei mein Fuß eingeschlafen und schlaff geworden. Es vergeht. Sofort stelle ich eine Verbindung zu den Schuhen her, die ich trage, braunrote, flippige Dinger, in denen ich keinerlei Halt habe. Ich überlege, ob ich mir den Fuß womöglich vergangenes Jahr beim Bergsteigen verletzt habe. Deshalb biege ich von der Grafton Street ab und gehe in ein Geschäft für Sportbekleidung und Trekkingausrüstung, hinauf in die Schuhabteilung. Ich probiere ein Paar Laufschuhe an, bin fest entschlossen, meinem Fuß Halt zu geben.

Ich frage den Verkäufer um Rat. Dies ist ein Laden mit Bergsteigerausrüstung, also wird der Mann mich bestimmt verstehen. Ich erkläre, wie ich vergangenes Jahr im Himalaya klettern war, aber leider mit diesen furchtbaren Schuhen ohne festen Halt, und wie jetzt mein Fuß in den Schuhen auf einmal ganz schlaff wurde. Und ich frage, ob er so etwas schon einmal gesehen hat. Er schaut mich an. Meine Unwissenheit trifft auf seine Besorgnis. Nein, so etwas habe ich noch nie gesehen, sagt er. Der Blick aus seinen Augen wird zu einem Stechen in meinem Magen.

Meine erste Diagnose kommt von einem Schuhverkäufer.

Die Brücke in der Baggot Street

Ich sitze auf einem unbequemen Stuhl in der schäbigen Souterrainwohnung eines Freundes vom College, als eine junge Frau den Raum betritt. Sie ist groß, schlank und schlicht und ergreifend das wunderschönste Mädchen, das ich je gesehen habe. Mit diesem Freund geht sie in den hinteren Teil des Zimmers. Mein erster Gedanke ist: Wo zum Teufel hat er die nur aufgetrieben? Sie stammt aus Ardee, Grafschaft Louth. Sie spielt in einer anderen Liga als ich. Sie heißt Ruth.

Mein ganzes bisheriges Leben war nichts als die Suche nach Ruth.

Jahre nach dieser ersten Begegnung gehe ich mit meinen Eltern über die O’Connell Street. Wir kamen aus dem Savoy-Kino, und an einer Bushaltestelle vor dem Kaufhaus Clery’s gehe ich an Ruth vorbei. Ich bitte meine Eltern zu warten und laufe ihr hinterher. Wir reden, ohne etwas zu sagen. Die Begegnung findet in unseren Blicken statt. Etwas ist da. Ich bitte sie um ihre Telefonnummer, und sie macht die Handtasche auf. Sie hat kurzes Haar, und in dem schlichten marineblauen Wintermantel sieht sie hinreißend aus. Ich bin dreist. Ich sehe ihren Gehaltszettel und strecke die Hand danach aus, tue so, als wollte ich ihn mir angucken. Ruth gibt mir ihre Telefonnummer, wir verabschieden uns, und ich gehe zurück zu meinen Eltern. Es ist Donnerstag.

Ich rufe nicht an. Es ist einfach zu wichtig.

Am Montag darauf gehe ich von der Haltestelle Lansdowne zur Arbeit. Nach einem Arbeitsaufenthalt in der Ukraine bekam ich einen Job, den sonst keiner wollte. In einem Steuerberatungsbüro mit einem Steuerberater. Das ist das ganze Personal. Er und ich. Ich hatte die Aufgabe, in einem kleinen Büroraum zu sitzen und Anrufe entgegenzunehmen. Es kamen nie welche. Nie. Den ganzen Tag habe ich gelesen. Es war sehr ruhig dort. Bei der Arbeitsvermittlung hieß es, länger als eine Woche hätte es vor mir noch keiner dort ausgehalten. Ich schaffte ein Buch in drei Tagen. Fürs Lesen bezahlt. Seit mehreren Monaten war ich inzwischen da.

Ich stehe bei der Brücke in der Baggot Street und warte mit den vielen anderen Pendlern. Es ist noch nicht einmal Frühstückskaffeezeit, und ich schlafe noch halb. Die junge Frau vor mir hat Kopfhörer auf. Ihr Mantel ist marineblau. Ich begreife und strecke langsam die Hand aus, um sie an der Schulter zu berühren. Ruth dreht sich um. Auch sie schläft noch halb, und es dauert eine Weile, bis sie mich erkennt. Sie wird rot. Ich werde rot. Mit stockenden Bewegungen nimmt sie die Kopfhörer ab, und die Pendler überqueren die Brücke ohne uns.

Ein paar Minuten unterhalten wir uns, bis mir klar wird, dass sie ganz in meiner Nähe arbeitet, und das schon seit Monaten. Dass wir beide denselben Weg zur Arbeit haben, zur selben Zeit kommen, und das schon seit Monaten. Aber dass wir uns erst vier Tage zuvor rein zufällig getroffen haben, das erste Mal seit Jahren. Wie wundersam, wie unheimlich.

Verlegen über alles vernünftige Maß hinaus laufen wir auseinander.

Zum Mittagessen treffen wir uns im Searson’s, einem Pub auf der Baggot Street. Zwei tiefe Teller vollgehäuft mit Pasta stehen zwischen uns. Aber mein Magen ist zugeschnürt. Ruth geht es genauso. Wir können nichts essen. Das ist peinlich. Das ist Liebe.

Am Wochenende gehen wir mit Freunden ins Kino. Ich sitze neben Ruth. Die Luft ist magnetisch aufgeladen von meinem Wunsch, sie zu berühren.

Unser erster Kuss passiert eine Woche später, in einer Kellerbar in der Nähe der Wicklow Street, im Schatten einer Tür.

Empire State Building

Das ist es nun. Mein Leben hat sich verändert, für immer.

Meine Familie ist daran gewöhnt, dass ich ständig über Liebe und den neuen Menschen in meinem Leben rede. Diesmal erzähle ich ihnen nichts. Ich lasse sie Ruth einfach kennenlernen. Sie sind deswegen alle ziemlich nervös. Ruth kommt, und ich sehe sie reden, sich bewegen, rot werden und mitten unter meinen Verwandten sitzen. So stolz bin ich in meinem ganzen Leben noch nicht gewesen.

Ruth. Mein ganzer Körper steht in Flammen. Ich war früher schon verliebt, aber so noch nicht. Es gibt keinen einzelnen Grund dafür, auch keine ganze Liste von Gründen. Es ist alles zusammen. Ich bin an einem Ort, an dem ich vorher nie war. Dies geht weit hinaus über alles Glück, das ich je empfunden habe. Es liegt nicht an dem, was wir tun oder was wir sagen. Es ist die Tatsache, dass wir zusammen sind. Worte fallen nicht. Wir sind Lebewesen, Menschen ohne Worte. Drei Tage verbringe ich in ihrem Zimmer. Nur zum Essen gehen wir hinaus. Sitzen im Fond von Taxis, fahren wortlos durch Dublin, um zu essen. Wir knüpfen ein Band fürs Leben. Es ist offensichtlich. Wir verzehren einander.

Nie habe ich mich in Gegenwart eines anderen lebendiger gefühlt, und nie bin ich mit jemandem zusammen gewesen, der lebendiger war. Das ist alles.

Ich habe jeden Penny gespart, genug für eine Anzahlung auf ein winziges Reihenmittelhaus, ein Eisenbahnerhäuschen mit drei Zimmern, im alten Dubliner Stadtteil Inchicore. Ich kaufe es, vermiete zwei Zimmer an Freunde, damit ich es mir leisten kann, die Hypothek abzuzahlen, und ziehe ein.

Ein paar Monate später zieht Ruth zu mir. Vor Kurzem hat sie bei Today FM angefangen, einem lokalen Radiosender, und ist ganz begeistert von ihrem Job. Die Arbeit beim Radio ist ihre ganz große Leidenschaft.

Ich belege einen Kurs für Webdesign, und das aus einem einzigen Grund: Sie haben ein digitales Videomodul. Ich führe Regie bei drei Kurzfilmen. Kein Budget, alles digital. Weil ich mit Ruth zusammen bin, glaube ich, ich kann alles schaffen. Um meinen Traum zu verwirklichen, entschließe ich mich, noch ein weiteres Jahr zu studieren. Am Dublin Institute of Technology schreibe ich mich ein für einen Masterstudiengang in Filmtheorie und -produktion. In einer Pizzeria an den Ufern des Flusses Liffey finde ich einen Job als Kellner.

Ruth und ich sind unzertrennlich. Sie ist anders als alle, die ich kenne. In meinem kleinen weißen Auto – ihr Vater nennt es das Molekül – fahren wir durch die Gegend. Ich lerne Ruths Familie kennen. Sie hat vier Brüder und eine Schwester. Vier. Ich bin ganz krank vor Nervosität. Ruth lacht, als ich den Wagen an einer Kreuzung in der Nähe ihres Elternhauses parke und mir andere Schuhe anziehe. Glänzend schwarze Schuhe, die ich sonst nie trage. Ihre Familie ist genau wie meine. Sie stehen sich nahe. Sind verrückt. Reden ausgelassen bei Tisch. Viel Liebe und Humor, gutes Essen, guter Wein. Genau meine Art Leute.

Ruth und ich besuchen Restaurants überall in Dublin. Schnell haben wir unsere Lieblingslokale. Wir lieben gutes Essen zu zweit. Ich weiß nicht, worüber wir reden. Aber das ist auch nicht wichtig. Wir lachen über dieselben Dinge. Wir verschlingen Geschichten, in Form von Büchern und Filmen. Das sind unsere Gesprächsthemen, denke ich. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, Ruth anzuschauen. Deshalb kann ich mich nicht erinnern.

Wir fühlen uns glücklich und lebendig im Licht unseres Schlafzimmerfensters.

Die Filmschule hat Filmkameras. Schneidetische. Scheinwerfer. Tonausrüstung. Und engagierte Lehrer, die sich für Film begeistern. Ich bin im Paradies.

Ich schreibe einen fünfminütigen Film und führe Regie. Drehe auf echtem Filmmaterial, nicht digital, habe einen bestens organisierten technischen Stab. Ich stehe im Studio, gehe zwischen den Kabeln und dem herrlichen Chaos vieler Leute herum, die alle mit einer einzigen kreativen Arbeit beschäftigt sind, und es fühlt sich genau richtig für mich an. Genau das will ich beruflich machen. Ich bin total besessen.

Ruth wird bei der Arbeit befördert. Sie produziert jetzt die Nachmittagsshow.

Ich schreibe eine einfache Liebesgeschichte über ein Mädchen, das in einer Imbissbude arbeitet, und einen Typen, der bei der Bank auf der anderen Straßenseite als Sicherheitsmann beschäftigt ist. Sie beobachten einander aus der Ferne, wissen nicht, dass der andere das auch tut. Es ist mein Abschlussfilm, ein ganzes Jahr lang arbeite ich Tag und Nacht daran. Ich mache mein Diplom mit Auszeichnung und habe einen fertigen Film, Full Circle, in der Tasche.

Die Schule ist aus, die Studenten gehen ihrer Wege. Ich verschicke meinen Film an die verschiedensten Festivals, drei Einsendungen die Woche. Über meinen Schwager Chris bekomme ich eine Stelle bei einem Büro für Vermögensverwaltung. Ich pflege Daten ein, stupide Arbeit, aber besser bezahlt als ein Kellnerjob. Drei Tage die Woche bin ich da, und eine Frau findet Vergnügen daran, mir die undankbarsten Aufgaben zuzuteilen.

Mein Film wird für das Filmfestival in Cork angenommen. An einem Donnerstag wird er gezeigt, und alle an dem Projekt Beteiligten sind arbeitsbedingt verhindert, also bitte ich meine Mutter mitzukommen. Mit dem Zug fahren wir zwei hin. Das Zusammensein mit meiner Mum ist unkompliziert. Es ist mein erstes Filmfestival. Gemeinsam sitzen wir im Dunkeln unter den anderen Zuschauern und sehen meinen Film an. Es hat etwas Magisches.

Danach fahren wir mit dem Zug nach Dublin zurück.

Der Anruf kommt am Sonntagmorgen. Ruth und ich schlafen noch, das Telefon weckt mich. Jemand teilt mir mit, dass mein Film den Preis des Festivals von Cork gewonnen hat. Sie wollen mich auf den Arm nehmen, sage ich. Gelächter am anderen Ende der Leitung. Nein, sagt die Stimme.

Ruth und ich rennen den Bahnsteig lang, erreichen den Zug im letzten Moment. Ein paar Stunden später stehe ich hinter der Bühne beim Festival und will nach vorn gehen. Ein Typ flüstert mir ins Ohr. Sehen Sie die Preise?, fragt er. Ich sehe sie auf einem Tisch auf der Bühne. Ich nicke. Das da ist Ihrer, sagt er, der große ganz hinten.

Ich sehe ihn. Mein Name wird aufgerufen.

Ich bekomme einen Job in Chicago, soll Regie führen bei einem Projekt für ein riesiges pharmazeutisches Unternehmen, irgendein seltsamer firmeninterner Hokuspokus. Das kann mir egal sein. Ich überwache Kamera, technischen Stab und Schauspieler und atme den Duft der weiten Welt in Chicago. Jeden Tag stehe ich vor dem Morgengrauen auf und jogge durch die Straßen der Stadt.

Wieder zurück bei meinem Bürojob weise ich einen der Direktoren vorsichtig darauf hin, dass die Firmenwebseite gehörig aufpoliert werden müsste, und zeige ihm meine Entwürfe. Machen Sie das, sagt er. Noch ehe das Jahr um ist, arbeite ich ganztags, bin verantwortlich für die gesamte Werbung des Unternehmens, auf Papier, im Radio, online und im Fernsehen. Auf dem wöchentlichen Meeting berichte ich über den neuesten Stand der Werbemaßnahmen. Auch die Frau, die so viel Spaß daran hatte, mir die undankbarsten Aufgaben zuzuweisen, ist da. Unsere Blicke kreuzen sich. Wir haben jetzt nicht mehr viel miteinander zu tun.

Ich fahre nach Ardee, in die Grafschaft Louth. Ich will Ruths Eltern um Erlaubnis bitten, ihr einen Heiratsantrag machen zu dürfen. Darauf lege ich großen Wert. Ich bitte die beiden nicht um Ruths Hand. Ich bitte um ihre Erlaubnis, Ruth fragen zu dürfen. Es ist meine moderne Auslegung der alten Tradition. So bin ich erzogen worden. Eltern zu respektieren.

Ich verlasse die Autobahn, fahre die Landstraße hinunter und komme zu der Kreuzung. Ich halte an. Links führt die Straße zu Ruths Eltern. Rechts ist die Straße, die ich noch nie gefahren bin.