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Der zwölfte Fall der Kultkommissarin Bella Block jetzt neu im eBook! Rache, Mord und ein tödliches Geheimnis … Als die Hamburger Privatdetektivin Bella Block vor ihrem lichterloh brennenden Haus an der Elbe steht, ist ihr klar, dass sich ihr Leben verändern muss. Auch wenn es ihrem moralischen Kompass widerspricht, lehnt sie deshalb die Bitte einer jungen Klientin um Personenschutz ab. Wenig später trifft sie jedoch die erschütternde Nachricht: Die Frau wurde ermordet aufgefunden. Als Bella voller Schuldgefühle in das Leben des Mordopfers eintaucht, stößt sie auf mehr Verbrechen und ein gefährliches Netzwerk von Frauen, die einen verzweifelten Rachefeldzug führen. Bella beschließt, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, um noch mehr Morde zu verhindern – ohne zu ahnen, dass sie dabei nicht nur ihre eigene Moral, sondern auch ihr Leben aufs Spiel setzt … »Mörderisch gut sind die Krimis der Doris Gercke« Hamburger Abendblatt Der zwölfte Fall der legendären Kommissarin Bella Block, der unabhängig gelesen werden kann – ein bitterböser Kriminalroman für die Fans von Simone Buchholz. In Band 13 muss Bella Block unschuldige Kinder gegen die dunklen Pläne von Politikern und kriminellen Netzwerken verteidigen …
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Seitenzahl: 344
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Als die Hamburger Privatdetektivin Bella Block vor ihrem lichterloh brennenden Haus an der Elbe steht, ist ihr klar, dass sich ihr Leben verändern muss. Auch wenn es ihrem moralischen Kompass widerspricht, lehnt sie deshalb die Bitte einer jungen Klientin um Personenschutz ab. Wenig später trifft sie jedoch die erschütternde Nachricht: Die Frau wurde ermordet aufgefunden. Als Bella voller Schuldgefühle in das Leben des Mordopfers eintaucht, stößt sie auf mehr Verbrechen und ein gefährliches Netzwerk von Frauen, die einen verzweifelten Rachefeldzug führen. Bella beschließt, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, um noch mehr Morde zu verhindern – ohne zu ahnen, dass sie dabei nicht nur ihre eigene Moral, sondern auch ihr Leben aufs Spiel setzt …
eBook-Neuausgabe November 2025
Dieses Buch erschien bereits 2002 unter dem Titel »Bella Ciao« bei Ullstein.
Copyright © der Originalausgabe 2002 by Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, München / Ullstein Verlag
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/SevenThreeSky, Vorda Berge
eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (mm)
ISBN 978-3-69076-209-0
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Doris Gercke
Ein Fall für Bella Block 12
Unser Blut wird vergossen werden, und man wird uns nicht mitteilen, wofür.
(CHRISTA WOLF)
Dass sie sich getroffen hatten, war ein Zufall gewesen; kein Zufall war, dass sie zusammenblieben, nachdem sie sich kennen gelernt hatten.
Zwei, nein eigentlich drei, kamen aus Deutschland. Elfriede und Hannah waren Deutsche, die dritte hieß Ruth und war eigentlich Polin, sie war aber schon ein paar Jahre in Deutschland. Die vierte war Natalja, Italienerin, und in Italien hatten sie sich auch zum ersten Mal getroffen. Von Italien sahen sie nichts. Das Land als touristische Attraktion interessierte sie nicht. Sie lebten nicht bewusst in Ländern und Grenzen. Im Grunde war alles, was sie bis dahin getan hatten, in ihren Augen eine ununterbrochene Kette von Zufällen. Deshalb wäre es eigentlich normal gewesen, ihr Zusammentreffen genauso als Zufall anzusehen, wieder auseinander zu gehen und nicht mehr darüber nachzudenken; bereit, einem neuen Zufall in die Arme zu laufen. Manchmal, später, als das geplante Leben die Zufälle abgelöst hatte, sprachen sie untereinander darüber, weshalb es diesmal anders gekommen war. Es war ihnen dann klar, weshalb sie zusammengeblieben waren. Was aber hatte sie dazu veranlasst, die Geduld aufzubringen, die zum Kennenlernen nötig ist?
Irgendwann einigten sie sich darauf, dass Elfriede, die sie dann schon Elfi nannten, der Anlass gewesen sein müsste. Elfriede war klein und zart und blond und so entschlossen, an ihre Grenzen zu gehen, dass sie bei anderen zuerst Erstaunen und dann, wenn sie fähig waren, das Wunder zu begreifen, das sich vor ihren Augen abspielte, Bewunderung auslöste. Sie hatten, zuerst noch jede für sich allein, ohne sich zu kennen, an den friedlichen Protesten gegen die Politik der westlichen Welt in Genua teilgenommen. Dass eine andere Welt möglich wäre, davon waren sie noch immer überzeugt. Auch die prügelnden Polizisten hatten sie von ihrer Überzeugung nicht abbringen können.
Elfriede war als Letzte auf den offenen Lastwagen geworfen worden, den drei anderen, die zufällig die Vorletzten gewesen waren, buchstäblich vor die Füße. Sie blutete aus einer Platzwunde am Kopf. Der dicke, weiße Schal, den sie um den Hals gewickelt trug, sah aus wie ein hässlicher, durchweichter Verband. Die Klappe, die die Ladefläche abschloss, wurde hochgehoben und von außen festgemacht. Die kleine Blonde zog sich von innen mit beiden Händen an der Klappe hoch. Alle, die ihr zusahen, erwarteten, dass man auf ihre Hände schlagen würde. Der Wagen fuhr langsam an. Niemand schien Lust zu haben, hinterherzugehen und auf Hände zu schlagen. Und sie sahen Elfriede zu, die ihren Kopf bis über die Klappe gebracht hatte, und mit klarer, heller Stimme laut und deutlich ihr Schweine, ihr Schweine, ihr Schweine, sagte; so lange, bis sich ihre Hände von der Klappe lösten und sie den drei anderen, die zufällig in ihrem Rücken saßen, bewusstlos vor die Füße fiel.
In der Nacht war Sturm aufgekommen und gegen Morgen auch Regen. Bella war ein paar Mal wach geworden, hatte dem Toben des Windes zugehört, dann auch dem Regen und war am Morgen trotzdem ausgeschlafen und in bester Laune aufgewacht. Der Weg am Strand entlang würde anstrengend werden. Sie freute sich auf die Anstrengung. Sie beschloss, ungewaschen zu laufen und sich später mit einem ausgiebigen Bad und einem großen Frühstück zu belohnen.
Als sie die Haustür hinter sich zuschlug, empfing sie eiskalter Regen. Langsam und gleichmäßig lief sie hinunter an die Elbe. Je näher sie dem Flussufer kam, desto stärker wurde der Sturm, der nun nicht mehr von Bäumen und Büschen aufgehalten wurde. Am Ufer wandte sie sich nach Westen und verstärkte ein wenig ihr Tempo. Der Wind kam ihr entgegen, der übliche Westwind, ohne den die Stadt im Grunde nicht denkbar war, nur stärker als sonst, wütender. Sie lief eine halbe Stunde, eine wunderbare gedankenlose halbe Stunde lang, nur konzentriert darauf, sich dem Sturm entgegenzustemmen und den Regen auf dem Gesicht zu spüren. Dann machte sie kehrt und ließ sich vom Sturm zurückjagen. Erst jetzt hatte sie Lust, sich auf das einzulassen, was sie sah. Was sie sah, war ein grauer Himmel, graues Wasser, ein grauer Horizont, vor dem sich grau und drohend, die Helgen der Werft abzeichneten. Einen Augenblick lang bestaunte sie das Bild, das sich ihr bot, weil Himmel, Wasser und Hafen aussahen, als seien sie mit der gleichen grauen Farbe überzogen worden. Die Farbe – es war ein besonderes Grau, das sich ihren Augen darbot, und sie brauchte ein wenig Zeit, um das passende Wort dafür zu finden. Dann fiel es ihr ein: fregattengrau.
Meinetwegen auch U-Boot-grau, dachte sie, und trieb vor dem Wind dahin, froh darüber, den anstrengenden Lauf so gut bewältigt zu haben, ein passendes Wort für das Grau gefunden zu haben und in der angenehmen Erwartung auf das heiße Wasser.
Sie nahm die Zeitung auf, die hinter der Tür lag, setzte die Kaffeemaschine in Gang und zog die nassen Sachen aus. Nackt lief sie die Treppe hinauf, verschwand im Bad, öffnete den Hahn und setzte sich auf den Boden der Badewanne. Ein paar Mal, während sie das warme Wasser genoss, klingelte das Telefon. Sie kümmerte sich nicht darum. Nicht ans Telefon zu gehen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben oder beunruhigt zu sein, schien ihr der Inbegriff von freiem Leben.
Du frühstückst, während andere Menschen zu Mittag essen. Du liest, während andere Menschen fernsehen – du vögelst, während andere Frauen in die Kirche laufen und den lieben Gott um ein friedvolles Ende bitten, dachte sie, und musste lachen. Sie war immer noch bester Laune. Am Abend würde sie ihren alten Freund Kranz treffen.
Kranz: ehemalige rechte Hand des ehemaligen Innensenators. Der neue Innensenator brauchte keine rechte Hand mehr; er war selbst rechts. Kranz, der seit Jahren darüber nachgedacht hatte, seinen Job aufzugeben, sich aber nie hatte entschließen können, war froh, auf diese Weise vorzeitig und mit einem durchaus ansehnlichen Übergangsgeld aus dem Dienst ausscheiden zu können. Er hatte Bella zu einer Weltreise eingeladen. Sie war nicht darauf eingegangen. Kranz hatte vor, auf einem Luxusdampfer zu reisen, und sie konnte sich weder vorstellen, mit ihm so lange zusammen zu sein, noch mit den Leuten, die solche Schiffe bevölkerten. So war es dabei geblieben, dass er sie zu einem Abschiedsessen eingeladen hatte.
Zum Essen und allem, was dazu gehört, hatte Kranz gesagt, und Bella hatte fröhlich zugestimmt. Nach dem Frühstück würde sie eine gründliche Inspektion ihres Kleiderschrankes vornehmen. Kranz sollte würdig verabschiedet werden.
Von den Kleidern erwies sich einzig ein einfaches rotes als tragbar. Alle anderen waren entweder zu eng oder zu lang oder zu kurz. Das rote war vielleicht ein bisschen sehr tief ausgeschnitten. Aber weshalb sollte sie es nicht anziehen? Man könnte eventuell mit Ohrringen oder mit hochhackigen Schuhen oder mit irgendeinem anderen Firlefanz ein wenig vom Ausschnitt ablenken. Aber dann merkte sie, dass sie das gar nicht wollte, und amüsierte sich darüber, dass sie nahe daran gewesen war, kleinkarierten Bedenken nachzugeben. Sie legte das Kleid mitsamt allem Zubehör zurecht und ging die Treppe hinunter, um in Ruhe die Zeitung zu lesen.
Bella hatte den 11. September auf ihre Weise interpretiert. Ihr war nach kurzem Überlegen klar geworden, dass es sich um einen großen Sieg des Herakles und eine furchtbare Niederlage der Frauen und der Vernunft gehandelt hatte. Sie las seit diesem Tag die Zeitungen unter dem Aspekt, Beweise für ihre These zu finden. Sie fand sie an beinahe jedem Tag und sie wurde auch an diesem Tag nicht enttäuscht. Auf einem Foto waren Kanzler und Außenminister als Stammtischbrüder abgebildet, sich auf die Schenkel klopfend, die Gesichter zu grinsenden Grimassen verzogen, hämisch, hässlich und in vollem Bewusstsein ihres Sieges über die Frau, die an einem Pult neben ihnen stand und versuchte, eine Rede zu halten. Bella fand, dass dem Fotografen ein Jahrhundertfoto gelungen war. Gewaltsam und primitiv und schamlos führte sich Herakles auf, verlogen, machtgeil und gewissenlos.
Und du bleibst ruhig, legst tief ausgeschnittene Kleider zurecht und freust dich deines Lebens? Schämst du dich nicht, Bella Block?
Ne, dachte sie fröhlich, und genau in diesem Augenblick hörte sie die Klingel an der Haustür. Sie legte die Zeitung beiseite und ging, um zu öffnen.
Vor der Tür stand eine junge Frau. Am Straßenrand hielt ein Luxusauto, mit dem die Frau offenbar gekommen war. Der Chauffeur, ein Mensch mit einer Schirmmütze, stand mit dem Rücken ihr zugewendet an der Fahrertür. Die Frau trug eine teure Handtasche wie einen Schild vor sich her.
Bella Block?
Ja?
Wenn es so etwas gab wie Abneigung von der ersten Sekunde an, dann erlebte Bella sie gerade. Sie war in Versuchung, sich abzu wenden und die Tür hinter sich zuzumachen. Ein letzter Rest Neugier hielt sie davon ab. Was war das für eine Person, die solche Gefühle auslöste? Was wollte sie von ihr?
Ich muss Sie sprechen.
Bella musterte die junge Frau, sah hinüber zu dem Auto am Straßenrand und wandte sich wieder der Frau zu. Der Wind hatte zugenommen. Er versuchte, unter ihren Bademantel zu fahren.
Bitte, sagte Bella, und trat zur Seite.
Ohne zu zögern ging die Person an Bella vorbei, betrat das Arbeitszimmer und blieb in der Mitte stehen. Betont langsam schloss Bella die Haustür und ging der Frau nach. Sie setzte sich hinter den Schreibtisch und besah die Besucherin aufmerksam. Sie war jung, höchstens fünfundzwanzig, groß, sehr schlank, hatte ein schmales Gesicht, weiße Haut, große blaue Augen und schwarze Haare. Die Augenbrauen bildeten breite, dunkle Striche über den Augen. Die Figur und das Gesicht hätten, als sie sechzehn oder siebzehn gewesen war, einem Model gehören können. Diese Arbeitsmöglichkeit war jetzt vorbei. Was mochte sie also tun? Die dunkle Kleidung, Kostüm, Schuhe, Tasche, zeigte das unter jungen Leuten zur Zeit übliche teure Understatement. Jede Farbe ist recht, wenn sie nur schwarz oder dunkelgrau ist. Die Sachen waren allerdings teurer, als für normale Angestellte erschwinglich. Und das Auto vor der Tür?
Bella spürte, dass sie ungeduldig wurde. Die Frau hatte offenbar genug gesehen. Sie wandte sich Bella zu.
Und das haben Sie alles gelesen?
Bella antwortete nicht. Sie wartete.
Na, ist ja auch egal. Wär nichts für mich.
Pippi Langstrumpf ist ja auch nicht dabei, sagte Bella.
Die Frau überhörte die Bemerkung, zog einen Stuhl heran und nahm vor dem Schreibtisch Platz. Sie schlug die Beine übereinander und Bella bewunderte die Hundertachtzig-Mark-Strumpfhose in Schwarz. Die Frau sah an Bella vorbei auf die Bücherwand in ihrem Rücken. Anscheinend hatte sie etwas entdeckt, das ihr Missfallen auslöste.
Semprun. Hätte ich mir denken können, sagte sie voller Verachtung.
Bella verlor die Geduld.
Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann, dann haben Sie jetzt noch einen Augenblick Zeit, um mir zu sagen, was das sein könnte. Wenn nicht, ist es wohl das Beste, Sie gehen.
Die Frau wandte ihren Blick von der Bücherwand ab und sah Bella ins Gesicht.
Personenschutz, sagte sie.
Wie bitte?
Ich brauche Personenschutz.
Ach ja? Ist Ihnen einer Ihrer Liebhaber zu nah auf den Pelz gerückt? Ist Ihr Chef zudringlich geworden? Sie sind hier an der falschen Adresse, Mädchen.
Ich werde bedroht. Ich glaube, es geht um Mord.
Bella schwieg einen Augenblick und überlegte, ob sie weiter zuhören sollte.
Wer hat Sie zu mir geschickt?
Die Frau schwieg, aber so, dass Bella den Eindruck hatte, sie überlegte, ob sie den Namen preisgeben sollte.
Ein Herr Kranz, sagte sie schließlich. Sie sagte es hastig und so, dass Bella ihr nicht glaubte. Trotzdem wollte sie nun hören, worum es ging. Aus reiner Neugier.
Ach so, sagte sie, wenn Kranz Sie geschickt hat, ist das natürlich etwas anderes. Vielleicht erzählen Sie ein wenig genauer.
Da gibt’s nichts Genaues. Ich werde eben verfolgt. Und die wollen mich umbringen.
Die?, fragte Bella.
Zwei, manchmal drei. Die lösen sich ab. Immer ist mir einer auf den Hacken.
Haben Sie eine Idee, was diese Männer von Ihnen wollen? Kennen Sie sie?
Sind Sie verrückt?! Die soll ich kennen! Keine Ahnung! Ich will bloß, dass Sie dabei sind, wenn -
Wenn man Sie umbringen will? Hören Sie: Ich glaube, wir vergeuden unsere Zeit. Wenn Sie Schutz brauchen, dann gehen Sie zur Polizei. Oder in einen dieser Selbstverteidigungskurse, die überall angeboten werden. Bei mir sind Sie jedenfalls an der falschen Adresse. Und wenn ich Ihnen noch einen Rat geben darf, für den Fall, dass Sie zur Polizei gehen, denken Sie sich eine bessere Geschichte aus. So ganz dumm sind die Jungs da auch nicht.
Sie lehnen also ab?
Sieht ganz so aus, sagte Bella, und machte Anstalten aufzustehen. Erstaunt sah sie, dass sich Erleichterung im Gesicht der Besucherin zeigte. Sie blieb sitzen. Ihr fiel etwas ein.
Auch wenn wir nicht miteinander zu tun haben werden, sagte sie, wär’s doch ganz gut, wenn ich wüsste, mit wem ich gesprochen habe.
Sie lehnt ab, sagte die Frau.
Sie sprach mit sich selbst. Es klang wie ein kleiner Triumph.
Wie ich heiße, wie? Na ja, soll mir egal sein. Hanne Mertens. So. Da staunste, was?
Ich wüsste nicht weshalb, sagte Bella, und stand nun doch auf. Das scheint mir ein Name zu sein wie jeder andere. Vielleicht ein bisschen viel »a« und »e«, wo doch »i« oder »ä« viel besser zu Ihnen gepasst hätte.
Ohne eine Antwort abzuwarten ging sie in den Hausflur und öffnete die Tür. Die Geste war eindeutig. Die junge Frau kam über den Flur hinter Bella her. Ihre Absätze klapperten über die Fliesen. Sie ging an Bella vorbei, ohne sie zu beachten. Ihre Abneigung war trotzdem deutlich spürbar. Bella sah ihr nach. Sie ging auf das Auto zu, an dessen Steuer nun der Mensch mit Schirmmütze saß. Er sprang heraus und öffnete der Frau die Wagentür hinter seinem Sitz. Der Schirmmützige war ziemlich klein. Der Wagen fuhr davon, ohne dass einer der Insassen zu Bella herübergesehen hätte. Bella ging nachdenklich ins Haus zurück.
Der Besuch musste einen Sinn gehabt haben. Niemand macht sich die Mühe, sich zu verkleiden und ein teures Auto mit Chauffeur zu mieten, ohne dass er damit ein Ziel verfolgen würde. Aber die Frau war eindeutig erleichtert gewesen, als ihr Auftrag abgelehnt worden war. Hatten die prüfenden Blicke auf die Bücherregale etwas zu bedeuten? Und diese sonderbare Bemerkung über Jorge Semprun – Bella trat an das Regal und betrachtete die Buchrücken, die das Interesse der Frau geweckt hatten.
Semprun gehörte in die Abteilung spanische Literatur und sie hatte sein Werk eigentlich nur der Vollständigkeit halber angeschafft. Sie schätzte ihn nicht besonders. Sie hielt ihn für zu eitel, um ein wirklich großer Schriftsteller zu sein. Als Zeitzeuge aber war er interessant und mit Bedauern sah sie nun, dass sie es noch immer nicht geschafft hatte, alle Titel zu lesen, die sich im Laufe der Zeit angesammelt hatten. Vielleicht hätte sie dann eher verstanden, warum ihre merkwürdige Besucherin den Namen Semprun voller Verachtung in den Mund genommen hatte.
Weshalb machst du dir eigentlich Gedanken über die freche Person?, dachte sie ungehalten. Frech, das war das richtige Wort. Frech, schlecht erzogen, Lügen von sich gebend. Die ganze Erscheinung war eine Lüge gewesen. Teure Aufmachung, billiges Benehmen. Und darüber denkst du nach?
Es fiel Bella leicht, den Besuch zu vergessen. Sie wußte schon lange, dass Detektive auch so etwas wie Lumpensammler waren. Der Beruf lockte die merkwürdigsten Menschen an. Und bei Detektivinnen kamen noch die neugierigen Kerle dazu, die von hartem Sex träumten und sich nicht in die entsprechenden Etablissements trauten. Es hatten schon Männer versucht, mit Bella Kontakt aufzunehmen, deren einziges Interesse darin bestand, von ihr verfolgt, bei einem Diebstahl erwischt und bestraft zu werden. Sie hätte viel Geld mit einigen dieser Kunden verdienen können. Das Messingschild Bella Block – Internationale Ermittlungen hatte sie schon lange von ihrer Haustür abgenommen. Sie bekam ihre Kunden auch ohne Firmenschild und es waren noch immer eher zu viele als zu wenige. Dass Kranz ihr diese schräge Dame ins Haus geschickt haben sollte, schien ihr kaum glaubhaft. Sie würde ihn fragen.
Die Bar lag in der Spitze eines Turms, schräg gegenüber vom Eingang zum alten Elbtunnel und bot einen fantastischen Ausblick über den nächtlich beleuchteten Hafen. Bella war absichtlich zu früh gekommen. Sie hatte vor, eine Weile allein dort oben zu sitzen und den Blick zu genießen. Außer ihr und dem Barkeeper war nur noch ein junger Mann hier, der sie hin und wieder mit bewundernden Blicken streifte. Bella fand, dass er einen guten Geschmack hatte. Sie beachtete ihn nicht. Der Keeper brachte ihr einen Wodka-Gimlet, schweigend, wofür sie ihm dankbar war.
Ihre Stimmung war nicht mehr so gut wie am Vormittag. Schuld daran war der Blick in die Zeitungen der letzten Tage gewesen, die liegen geblieben waren und die sie durchgesehen hatte, bevor sie sich umzog.
Schon einen Tag nach dem 11. September, als ihr klar wurde, dass dieses Datum dazu herhalten würde, wie eine Beschwörungsformel die Kriege der kommenden Jahre zu begründen, hatte sie eine Weile innegehalten und versucht, eine Haltung zu dem zu gewinnen, was folgen würde: Siegeszug der Gewalt, Niederlage der Vernunft, Niederlage aller Emanzipationsbestrebungen. Und sie hatte beschlossen, ihr Leben nicht davon beeinflussen zu lassen. Man konnte auch weghören, wenn ein aufgeblasener Ochsenfrosch, mitverantwortlich für den Krieg gegen Jugoslawien, im Parlament über die Befreiung der Frauen in Afghanistan sprach und damit Krieg meinte. Aber hin und wieder war eben doch nicht zu übersehen, dass das Land sich nun nicht mehr in einem, sondern in mehreren Kriegen befand und dass die Bevölkerung auf unterschwellige und subtile Weise daran gewöhnt wurde, diese Kriege nicht nur hinzunehmen, sondern auch zu begrüßen und zu finanzieren. Sie sah aus dem Fenster. Vor ihr lag das Gelände der Werft. Die fröhlichen, bunten Malereien auf der Außenwand von Dock 10 waren angestrahlt und deutlich zu erkennen. Über die Wände des Docks ragten die Aufbauten eines größeren Schiffes empor. Da lag ein Luxusliner oder ein Fährschiff der besseren Sorte, das überholt wurde. Bella war im Begriff, ein paar nostalgische Gedanken an die Stadt und ihre Werften zu verschwenden, als in ihrem Rücken die Tür aufging. Kranz kam ans Fenster, stellte sich hinter sie und legte seine Hand in ihren Nacken.
Eine schöne Kulisse, sagte er leise, und so verlogen.
Bella wandte sich vom Fenster weg und sah ihn an. Weder die Hand in ihrem Nacken noch die Bemerkung hätten bis gestern zu ihrem Freund Kranz gepasst.
Was ist los mit Ihnen?, sagte sie.
Ich bin ein freier Mann, antwortete Kranz. Was wollen Sie? Ich kann denken, was ich will, sagen, was ich will, und hingehen, wohin ich will. Mein einziger Kummer ist, dass ich nicht mitnehmen kann, wen ich will. Gimlet?
Bella nickte und Kranz machte dem Barkeeper ein Zeichen.
Erinnern Sie sich, dass ich Sie einmal einen Opportunisten genannt habe?, fragte sie.
Und ob ich mich erinnere. Wir saßen im »Atlantik« und ich durfte, nachdem Sie mich beschimpft hatten, Ihre Rechnung bezahlen. Sie hatten einen unglaublichen Abgang. Ich hätte Ihnen stundenlang nachsehen können. Im Übrigen hatten Sie natürlich Recht, jedenfalls ein bisschen. Aber nun bin ich frei. Und ich sage es Ihnen gleich: Ich habe immer noch die feste Absicht, Sie davon zu überzeugen, dass Sie mitkommen müssen.
Ach ja, sagte Bella. Und ich dachte, wir hätten uns getroffen, um einen schönen Abend miteinander zu verbringen.
Der Barkeeper stellte zwei Gimlets auf den Tisch und sie tranken sich zu.
Sie haben nie verstanden, weshalb ich dort gearbeitet habe, sagte Kranz. Als rechte Hand des Innensenators. Aber, was glauben Sie, wäre geschehen, wenn ich diesen Job nicht gemacht hätte?
Vermutlich wäre irgendein anderer Ihre Karriereleiter hochgeklettert.
Ja, vermutlich. Jemand, der den Job wirklich ernst genommen hätte. Dann wäre niemand da gewesen, der Ihnen im entscheidenden Augenblick einen Tipp gegeben hätte. Niemand hätte seine Hand schützend über Ihren Freund Brunner gehalten. Niemand ...
Brunner, sagte Bella, was wird aus ihm?
Da ist nichts mehr zu machen, fürchte ich. Sie werden ihn über kurz oder lang aus Krankheitsgründen entlassen.
Er ist krank, sagte Bella, das stimmt.
Er ist nicht so krank, wie es scheint, antwortete Kranz. Er hat zwei- oder dreimal bei Festnahmen Leute entkommen lassen. Junge Leute, etwa im Alter seiner Tochter. Wie heißt sie doch gleich?
Marie, sagte Bella, Brunners Tochter heißt Marie.
Ist ja auch gleich, jedenfalls wird man ihn vor die Tür setzen, das scheint festzustehen.
Wenn Sie, wie Sie mir gerade zu erzählen versuchen, so segensreich gewirkt haben in der Hamburger Innenbehörde, weshalb gehen Sie dann jetzt dort weg? Ich meine, wäre nicht gerade jetzt der Augenblick gekommen, sozusagen als spionierendes U-Boot, die Machenschaften ans Licht zu bringen, die nun dort ausgeheckt werden? Immerhin kommen zwei der neuen Senatoren aus Familien, die schon zu Nazi-Zeiten im Rüstungsgeschäft gewesen sind. Und der neue Innensenator braucht ganz offensichtlich eine aufmerksame Person in seiner Nähe. Jemanden, der im richtigen Augenblick aus dem Nähkästchen plaudern kann, wenn einmal die Haarsträhne zwecks Drogentest nicht mehr ausreicht.
Das, meine liebe, bezaubernde Bella, ist nun eine Frage der Ehre. Einmal abgesehen davon, dass der Neue mich vermutlich nicht um sich geduldet hätte. Wir haben einfach nicht den gleichen Umgang, wissen Sie. So etwas merken solche Kerle sofort. Ich hab schon den letzten sozialdemokratischen Innensenator nur noch schlecht ertragen. Irgendwie sind die Politiker auch nicht mehr das, was sie früher einmal waren. Sie sind so, ich weiß nicht genau, ob Sie verstehen, was ich meine, sie sind so ... ausgestopft. Keine Persönlichkeiten.
Wenn Sie vorhatten, mich zum Mitkommen zu überreden, müssten wir das Thema wechseln, sagte Bella, der der Abend zu schade war, um über Politik zu reden. Kranz sah sie einen Augenblick lang schweigend an. Dann lächelte er.
Ich stell mir gerade vor, sagte er, welches Aufsehen Sie an Bord erregen würden. Die Mitreisenden zwischen siebzig und achtzig und dann Sie: in diesem wunderschönen Kleid, sehr verführerisch, ich an Ihrer Seite, deutlich attraktiver als der Rest der Herren an Bord, wir beide: ein umwerfendes Paar, am Tisch des Kapitäns -
Oh, mein Gott. Hören Sie auf.
Sie lachten beide und einen Augenblick lang wurde Bella wehmütig, weil sie Kranz ein ganzes Jahr lang nicht sehen würde.
Sie könnten mich besuchen, sagte er, als habe er ihre Gedanken erraten. Also, nehmen wir mal an, das Schiff liegt ein paar Tage in Syrakus. Das müsste doch etwas für Sie sein. Sizilien, meine ich. Wir mieten ein Auto, ich zeige Ihnen die Mafia – Palermo, Corleone – na?
Ich denke darüber nach, sagte Bella, falls ich nicht vorher verhungert bin.
Sie fuhren mit dem Fahrstuhl hinunter. Unten stand ein Trupp junger Leute, schwarz gekleidet, die Frauen mit bleich geschminkten Gesichtern. Sie konnten kaum aussteigen.
Langeweile und Gier gleichzeitig, dachte Bella, als sie in die Gesichter sah. Eine erstaunliche Mischung, von der ich noch vor ein paar Jahren nicht geglaubt hätte, dass sie möglich ist.
Sie betraten das zum Turm gehörende Restaurant, von dessen altmodischem Scharm Bella überrascht war.
Was werden Sie tun ohne mich?, fragte Kranz, als sie die Speisekarten beiseite gelegt hatten. Die Frage sollte ironisch klingen, aber sie war auch ein wenig ernst gemeint.
Ich werde von Ihnen träumen, antwortete Bella.
Sie sahen sich einen Augenblick an, dann lächelten beide.
Ich werde eine Chronik für Sie anlegen, setzte sie hinzu. Auf so einem Schiff bekommt man doch nichts mit von der Welt. Und von diesem Land schon gar nicht.
Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist, sagte Kranz. Wollen Sie sich das wirklich zumuten?
Ach, ich dachte nur gerade, dass es doch hübsch wäre, wenn ich Ihnen bei Ihrer Rückkehr ein kleines Album überreichen könnte: eine Sammlung Soldatenfotos und Überschriften, die von unseren Kampf erfolgen in der weiten Welt berichten; das Foto zur Gewalt des Tages, das Wort zur Gewalt des Tages. Vergessen Sie’s, es war ein Scherz.
Sie schwiegen, während das Essen serviert wurde. Als die Kellner gegangen waren, sagte Kranz: Das ist nun der letzte Versuch, Bella. Sie werden unglücklich sein. Sie werden in die Zeitungen sehen und auf Bilder von Kriegen starren. Sie werden sich vornehmen, nicht darauf zu achten, sich nicht davon bedrängen zu lassen. Es wird Ihnen nicht gelingen. Ich verspreche Ihnen, an Bord dafür zu sorgen, dass Sie keine Zeitung in die Hand bekommen, wenn Sie es nicht ausdrücklich wollen. Ein Jahr aussteigen, Bella, aus allem aussteigen.
Nein, antwortete sie. Sie unterschätzen mich. Das Älterwerden hat viele Vorteile. Unter anderem den, dass es einem leicht fällt, Abstand zu halten. Man durchschaut die Lächerlichkeiten schneller, aus denen sich das zusammensetzt, was vielleicht früher einmal Politik genannt werden konnte. Sie macht eine kleine Pause. Hanne Mertens, sagte sie dann. Sagt Ihnen der Name etwas?
Kranz sah sie erstaunt an. Dann begann er zu lachen.
Das war kein besonders elegantes Ablenkungsmanöver. Ich geb’s auf. Ich hoffe nur, dass Sie nicht von allem Abstand halten, was das Leben schön macht. Sex, zum Beispiel.
Hanne Mertens, sagte Bella.
Wirklich, ich hab keine Ahnung, wer das sein könnte. Ich versichere Ihnen, dass mir der Name noch nie begegnet ist. Wie war das mit dem Sex, sagten Sie?
Drüber reden oder ihn praktizieren?, fragte Bella. Ich hab noch nie viel von unnötigen Redereien gehalten, sagte Kranz. Er sah sie an und stand plötzlich auf.
Wenn Sie mich einen Augenblick entschuldigen wollen.
Bella sah ihm nach. Sie ahnte, was er vorhatte und freute sich darüber. Es dauerte nur wenige Minuten, bis Kranz wieder an den Tisch zurückkam.
Bella, die gerade dem Mann aus der Tower-Bar, der an ihrem Tisch vorüberging, mit den Augen gefolgt war, wandte sich Kranz zu.
Was ich Sie immer schon mal fragen wollte, sagte Kranz, Sie müssen nicht antworten. Ich weiß natürlich, dass ich nie der Einzige war, mit dem Sie, den Sie ... na ja, Sie wissen, was ich meine. Aber was ich gern wissen möchte, ist: Was halten Sie eigentlich in dieser Beziehung von jungen Männern?
Im Bett?
Natürlich, antwortete Kranz und bemühte sich, seiner Stimme einen beiläufigen Klang zu geben.
Keine Ahnung, sagte Bella, und sah dem jungen Mann entgegen, der das Restaurant nun in umgekehrter Richtung durchquerte, so dass sie ihn von vorn sehen konnte. Er war groß, schlank, aber nicht dünn, hatte dunkle Haare und trug ein schlabberiges, dunkelblaues Leinenjackett, das mindestens zehn Jahre alt und nur deshalb noch tragbar war, weil es einmal sehr viel Geld gekostet hatte.
Wirklich, keine Ahnung, wiederholte sie. Man müsste sie einfach mal ausprobieren.
Einen schönen Gang mag er meinetwegen haben, sagte Kranz, als der junge Mann an ihrem Tisch vorüber war. Aber der Kopf wirkt irgendwie hohl, finden Sie nicht?
Sie lachten und schoben die Teller zurück.
Noch fünf Minuten, sagte Kranz. Dann ist alles bereit. Diese Mertens, irgendetwas Besonderes?
Ach, nein, antwortete Bella. Eine kleine Ziege, die sich wichtig machen wollte, mehr nicht.
Sie tranken ihren Wein aus. Der junge Mann ging noch einmal an ihrem Tisch vorbei, aber sie beachteten ihn nicht mehr.
Was für ein wunderbares Leben, dachte Bella, während sie aus dem Fenster auf den nächtlichen, von Tausenden von Lichtern erhellten Hafen sah und dann auf Kranz, der aufgestanden war und nun mit ihren Mänteln auf dem Arm zurückkam. Bella erhob sich und ging neben ihm zum Fahrstuhl.
Ich hab das Schönste genommen, was da war, sagte Kranz. Es liegt ganz oben. Der Blick über den Hafen wird wunderbar sein.
Auf dem Gang begegnete ihnen niemand. Vor der Zimmertür ließ Kranz die Mäntel auf den Boden fallen und sie küssten sich, bevor er die Tür aufschloss. Im Zimmer war die Bettdecke zurückgeschlagen. Zwischen den hohen Fenstern, deren Vorhänge zugezogen waren, prangte eine Schale mit Papageientulpen. Auf einem Servierwagen stand ein mit Eis gefüllter Kübel, in dem eine Flasche Wodka steckte. Die Blumen, der Wodka und noch ein paar andere Dinge, die dazu geeignet waren, die kommenden Stunden angenehm zu gestalten, nahm Bella nur flüchtig wahr.
Nicht, sagte sie, nicht die Vorhänge öffnen. Das machen wir später.
Später, ziemlich viel später, lagen sie, eingewickelt in viel zu große weiße Bademäntel, auf wuchtigen Sesseln, zwischen sich Gläser mit Wodka und vor sich die Aussicht auf den Hafen.
Danke, sagte Bella irgendwann. Falls Sie die Absicht hatten, mich so zu beeindrucken, dass ich Sie eine Weile in Erinnerung behalte, dann war das die richtige Art und Weise.
Ich muss mir doch Mühe geben. Die Konkurrenz ist groß und jung, setzte er nach einer kleinen Pause hinzu.
Sie Armer, sagte Bella, und Kranz war entzückt über den zärtlichen Ton in ihrer Stimme.
Sie schliefen noch einmal miteinander. Dann waren sie erschöpft. Als Bella am späten Vormittag wach wurde, war sie allein. Der Kübel, in dem der Wodka gesteckt hatte, war nicht mehr da. An seiner Stelle lag ein auf Hotelpapier geschriebener Brief.
Läuten Sie nach dem Frühstück. Vergessen Sie mich nicht. Achten Sie auf Ihren Weg. Kranz.
Bella bestellte das Frühstück und verschwand im Bad. Während sie in der Badewanne lag, hörte sie, wie nebenan das Zimmer in Ordnung gebracht und das Frühstück aufgebaut wurde.
Was für ein wunderbares Leben, dachte sie, während sie versuchte, mit den Füßen das untere Ende der Wanne zu berühren, ohne mit dem Kopf unter Wasser zu rutschen. Es ging nicht. Die Wanne war zu groß.
Sie hatten schon vor längerer Zeit beschlossen, zu vermeiden, miteinander gesehen zu werden. Sie verbrachten die Nächte zusammen, aber am Tage, auf den Straßen, sollte es so aussehen, als hätten sie nichts miteinander zu tun; jedenfalls nichts, das über eine flüchtige Bekanntschaft hinausging. Deshalb war sie schon nach wenigen hundert Metern aus dem Auto ausgestiegen und zu Fuß weitergegangen. Sie war sicher, dass sie nicht verfolgt wurde. In den Monaten, in denen sie an ihrem Plan gearbeitet hatten, war in ihnen, so dachten sie, ein besonderer Instinkt geweckt worden, der sie vor Verfolgern schützte. Sie hatten trainiert, die Bahnen zu wechseln, leere Straßen zu meiden, in Menschenansammlungen nach Gesichtern zu suchen, die zu unbeteiligt waren. Sie setzten sich niemals auf Parkbänke, ohne die im Auge zu behalten, die auf den Nachbarbänken saßen, und vermieden es soweit wie möglich, feste Gewohnheiten anzunehmen. Sie benutzten nur öffentliche Telefonzellen, hatten keine E-Mail-Adressen und wenn sie jemanden, den sie nicht kannten, zweimal hintereinander trafen, begannen sie, diese Person zu beschatten, bis sie herausgefunden hatte, dass sie harmlos war. Sie fühlten sich sicher, aber sie waren klug und wussten, dass Sich-sicher-Fühlen zu einer Falle werden könnte. Und das, gerade das, machte es aus, dass sie sich wirklich sicher fühlten.
Die Landungsbrücken waren menschenleer, als Ruth, von Westen kommend, den Steg der Brücke 10 benutzte, um auf den Ponton zu gehen. Es war dunkler als für die Tageszeit üblich. Eine schwarze, tiefhängende Wolke von ungeheuren Ausmaßen wurde vom Westwind herangetrieben. Sie verdeckte die Sonne, die schon beinahe untergegangen war, aber, wäre sie nicht verdeckt gewesen, noch ausreichend Licht hätte geben können, um den Mord zu beleuchten, der hier geschehen würde. Zwischen Brücke 10 und 9, im Schutz der Wände des Restaurants Pantry standen ein paar Männer, die auf Ruth warteten. Die Männer waren über ein Funktelefon davon unterrichtet worden, dass sie auf dem Weg sei. Sie hatten nur zu warten. Sie traten aus dem Schutz der Wände heraus, als Ruth an ihnen vorüberging. Sie konnte an ihren Gesichtern ablesen, was sie vorhatten. Es waren zu viele, fünf oder sechs, jedenfalls zu viele, um den Kampf aufzunehmen. Das Wasser war ihre einzige Chance. Damit hatten sie gerechnet. Die Stangen, die sie, unauffällig, aber gebrauchsfertig, an den äußeren Rand des Pontons gelegt hatten, waren dazu bestimmt, die Frau unter Wasser zu halten, bis sie tot war.
Natürlich hatte Kranz die Hotelrechnung bezahlt. Bella war’s zufrieden. Eine freundliche junge Frau überreichte ihr einen Packen sorgfältig gebündelter Zeitungen. Sie nahm die Karte heraus, die unter dem Bindfaden steckte, und las: Ihre Idee mit dem Album war doch nicht so schlecht. Auf diese Weise denken Sie wenigstens täglich einmal an mich. Auf Wiedersehen. Ihr Ergebener. PS: Das Foto auf Seite 2 wird Ihnen gefallen.
Bella setzte sich und zog die oben liegende Zeitung aus dem Stapel hervor. Dem Fotografen war etwas Besonderes gelungen. Das Foto war tatsächlich beeindruckend. Es zeigte eine Militärmaschine in der Luft. Möglicherweise war sie gerade gestartet. Sie flog in einem Strahlenbündel von Kerosin- und Kondensstreifen, an deren Ende sich kugelförmige Ausbuchtungen gebildet hatten, den Leuchtkugeln eines Feuerwerks ähnlich. Gewalt und Tod flogen in einem Feuerwerk von Profiterwartungen in den Himmel. Frech und ohne Scham verkündete die Bildunterschrift, dass die Rüstungsoffensive in den Vereinigten Staaten die innovativen Unternehmen der Verteidigungsbranche stärke.
Bella sah das Foto lange und nachdenklich an. Konnte man eine Zeitung noch als verlogen bezeichnen, die so offen Gewalt und Tod verherrlichte? Sie beschloss, wenigstens eine kleine Sammlung von Kriegsfotos und eine kleine Auswahl von Wörtern, die die Sprache den Kriegszeiten anpasste, zusammenzustellen. Bei dieser Arbeit würde sie genug Zeit haben, über den Charakter der Zeitung, die das Foto mit der dazu gehörigen Unterschrift veröffentlich hatte, nachzudenken. Sie schob das Blatt zurück unter die Verschnürung und verließ das Hotel.
Es war inzwischen später Nachmittag geworden, aber der Nebel hatte sich nicht gelichtet. Sie beschloss, zu Fuß nach Hause zu gehen. Auf dem Weg an der Elbe entlang würden an einem normalen Arbeitstag wie heute und um diese Zeit kaum Menschen unterwegs sein. Sie freute sich auf einen ruhigen, einsamen Spaziergang, musste aber nach ein paar hundert Metern wieder umkehren, weil sie die falschen Schuhe trug. Sie wären kaputt gewesen, wenn sie sie zu Hause ausgezogen hätte. Natürlich kam dann kein Taxi vorbei, so dass sie bis zum Hotel zurückgehen musste, um eines zu bestellen. Während sie wartete, ging der junge Mann, der zwischen ihr und Kranz am Abend zuvor eine Rolle gespielt hatte, durch die Hotelhalle. Er trug weder eine Aktentasche noch das Abzeichen einer Firma am Revers. Er machte überhaupt nicht den Eindruck, als sei er geschäftlich unterwegs.
Ein Müßiggänger im Hotel, dachte Bella und wunderte sich. Sie hatte geglaubt, so etwas gäbe es nur in Romanen.
Zu Hause besah sie mitleidig ihre Schuhe, wurde aber durch das Klingeln des Telefons daran gehindert, einen endgültigen Entschluss zu fassen, was mit ihnen zu geschehen hätte. Ihr Freund Brunner war am Apparat.
Ich räume gerade meinen Schreibtisch leer. Da fiel mir ein, dass du vielleicht Lust haben könntest, dabei zu sein. Hast du?
Weshalb sollte ich, fragte Bella.
Tja, ich weiß auch nicht so genau. Ich zähle dir einfach mal auf ...
Brunner, sagte Bella, ist noch jemand bei dir im Zimmer?
Hier? Hier ist schon lange niemand mehr. Und soll ich dir mal verraten, warum nicht?
Ich kann’s mir denken.
So? Kannst du? Na gut, ich sag’s dir trotzdem: Es hat denen hier zu sehr nach Alkohol gerochen.
Am anderen Ende blieb es still. Bella wartete, denn Brunner hatte nicht aufgelegt. Schließlich wurde sie ungeduldig.
Brunner? Was ist? Rede oder leg auf, aber lass mich nicht einfach hier herumstehen.
Tut mir leid, antwortete Brunner, ich bin nur mal schnell an die Tür gegangen. Die Luft ist rein. Also, was ist, kommst du oder kommst du nicht?
Lohnt es sich denn?, fragte Bella.
Sie hatte nicht vor, Brunner bei seinem Auszug aus dem Büro zu helfen. Sie versuchte nur, herauszubekommen, ob sie ihn vor einer Dummheit bewahren müsste.
Na klar, lohnt es sich. Mindestens zwanzig unerledigte Fälle. Aber nicht, weil Brunner vielleicht zu betrunken gewesen wäre. Nein, einfach so, auf Anweisung von oben.
Wenn du Anweisung hattest, die Sachen nicht weiter zu verfolgen, kannst du doch keine Akten mehr haben? Die lässt man dann doch verschwinden, nehme ich an.
Ja, lässt man, sagte Brunner. Der eine kopiert und der andere lässt verschwinden. Ich bin schon ein toller Kerl, ein Doppelwhopper bin ich. Kopiert und lässt verschwinden.
Brunner machte eine Pause. Bella hörte deutlich das Geräusch, das entsteht, wenn eine Flüssigkeit in einen Pappbecher läuft.
Hör zu, sagte sie. Was ist noch in deinem Schreibtisch? Los, rede schon. Was, außer diesen Akten, ist noch in deinem Schreibtisch?
Sie hörte Brunner lachen.
Warte, sagte er, warte einen Augenblick.
Sie hörte ihn murmeln, verstand aber nicht, was er sagte.
Dreiundzwanzig Pappbecher, sagte er laut. Eine halbe Flasche Nordhäuser und drei leere Flaschen. Die sind schon im Papierkorb.
Brunners Stimme hatte sich verändert. Bella sah ihn vor sich, wie er neben seinem Schreibtisch stand, sich umblickte, die Wände ansah, aus dem Fenster sah, das Telefon mit einem zornigen Blick streifte. Brunner war gern Polizist gewesen, mit Leidenschaft und auch mit Erfolg, bis ihn der Alkohol ruiniert hatte. Merkwürdigerweise hatte es am Anfang seiner Krankheit eine Zeit gegeben, in der er seinen Beruf plötzlich sehr klar gesehen hatte. In dieser Zeit hatte er aufgehört, sich mit dem Staat zu identifizieren und eine Weile auf seine Art Widerstand geleistet. Er hatte Behördenstrukturen dazu genutzt, Menschen, die er für unschuldig hielt, obwohl sie sich nach allgemeiner Meinung schuldig gemacht hatten, Vorteile zu verschaffen. Er hatte Zeugenaussagen gefälscht, so dass die Staatsanwaltschaft davon absehen musste, Anklage zu erheben, hatte Türen offen stehen lassen, die eigentlich verschlossen zu sein hatten, und war nicht davor zurückgeschreckt, Beweise verschwinden zu lassen, die jemanden seiner Meinung nach unnötig belasteten. Seine Aktivitäten waren eine Zeit lang unentdeckt geblieben, denn Brunner war ein kluger, mit allen Wassern gewaschener Polizist. Aber er hatte seine Krankheit nicht im Griff gehabt. Irgendwann war er unvorsichtig geworden. Nicht, dass er im Suff geredet hätte. Brunner war einer von denen, die ruhiger wurden, je mehr sie tranken. Aber er hatte vergessen, seinen Schreibtisch abzuschließen und ein Foto im Büro liegen gelassen, das einem Vorgesetzten, der dachte, dass dieses Foto vernichtet worden wäre, in die Hände fiel. Da war das Maß voll gewesen. Plötzlich galt Brunner als unheilbar krank, was er vermutlich auch war, aber bis dahin kaum jemanden gestört hatte. Und nun war er dabei, sein Zimmer zu räumen. Das fiel ihm schwer. Deshalb hatte er bei Bella angerufen. Er brauchte ein wenig Trost.
Hör zu, sagte Bella. Liegt da irgendwo bei dir eine Plastiktüte herum?
Na klar doch, antwortete Brunner. Hab ich heute früh mitgebracht. Zwei, zwei hab ich mitgebracht.
Gut. Dann schließ jetzt deine Tür ab, hörst du?
Hab ich schon, sagte Brunner. Hab ich alles schon.
Gut. Dann pack diese verdammten Akten in die Tüten, so schnell du kannst. Ich bleib so lange dran. Nun los, mach schon.
Sie hörte, wie der Hörer auf den Tisch gelegt wurde, dann ein schabendes Geräusch und dann, dass der Hörer auf den Boden gefallen war. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie betrunken Brunner sein musste, wenn es ihm nicht mehr gelang, den Hörer ordentlich auf den Tisch zu legen.
Brunner!, rief sie. Brunner!
Alles in Ordnung, sagte er, das Ding ist nur runtergerutscht. Es muss hier ziemlich glatt sein.
Bist du fertig, fragte Bella.
Fertig schon, aber die Flasche. Sie passt nicht mehr rein. Ich werd sie leer trinken müssen.
Lass das jetzt, sagte Bella. Lass sie stehen.
Ich kann doch nicht.
Schließ die Tür auf, nimm die Tüte und verschwinde. Nimm dir ein Taxi und fahr nach Hause. Ich komme am Abend vorbei und bringe dir eine neue Flasche mit. Ich hab keine Lust, mich mit einem Volltrunkenen abzuquälen, wenn ich mich schon um dich kümmere.
Bella, du bist ein Schatz, sagte Brunner. Ich mach alles, was du sagst. Nur die Flasche ...
