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Sie sind die besten Feinde der Santa Barbara High: Seit Alex sie vor Jahren in einem Fußballspiel geschlagen hat, verzeiht Alma ihm seine Arroganz nicht. Nicht einmal ihre Familie nimmt ihre Erfolge im Sport ernst, ebenso wenig wie Alex’ Freunde. Doch als Alex sie ein weiteres Mal provoziert, prahlt Alma mit einem besonderen Date für den anstehenden Schulball. Es gibt nur ein Problem: Sie hat keins. Eine weitere Niederlage gegen Alex einzustecken, kommt allerdings nicht infrage. Deshalb beauftragt Alma Schulreporterin Katie, sie auf der Junggesellinnenversteigerung an den perfekten Mann zu bringen. Zu dumm, dass Alex genau dieser Kerl zu sein scheint …
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Annie Laine
Spiel nicht um Liebe
© 2021 Annie Laine
Anna-Lena Krug
Probstheidaer Straße 69/0201
04277 Leipzig
Lektorat: Klaudia Szabo (www.wortverzierer.de)
Korrektorat: Cara Rogaschewski (www.wortverzierer.de)
Cover und Satz: Emily Bähr unter Verwendung von Bildmaterial via Shutterstock und Freepik
ISBN: 9783754674444
www.annie-laine.de
Für Saski,
seit vierzehn Büchern stehst du mir als Freundin und Testleserin zur Seite. Dieses hier ist für dich!
Kapitel 1
»Bitte bitte mit einer Kirsche obendrauf.«
Eigentlich hätte ich die Lunte bereits riechen müssen, als ich Katies Wagen auf dem Schulparkplatz entdeckt habe. Leider habe ich mir jedoch nichts dabei gedacht und bereue es jetzt. Kaum habe ich einen Fuß auf das Gelände der Santa Barbara High gesetzt, heftet sich unsere eifrige und überaus hartnäckige Schulreporterin an meine Fersen und fällt neben mir in einen schnellen Gang.
Seufzend drehe ich meinen Kopf in ihre Richtung und zwinge mich zu einem Lächeln, obwohl ich genau weiß, was sie von mir will. Tja, meine Meinung hat sich nicht geändert, seitdem sie Anfang des Jahres die erste Idee hatte.
»Morgen, Katie«, begrüße ich sie, woraufhin sie ein breites Grinsen aufsetzt. Nicht nur in Sachen Hartnäckigkeit, auch mit ihrer Kleidung macht die Chefredakteurin der Schülerzeitung dem Klischee der angehenden Journalistin alle Ehre. Sie trägt ein sommerliches Outfit bestehend aus einem roséfarbenen Rock und einer kurzärmligen, weißen Bluse und hat ihr dunkelblondes Haar in einen unordentlichen Dutt zusammengefasst, aus dem ein Kugelschreiber herausragt. In den letzten Jahren hat sich diese Frisur zu ihrem Markenzeichen entwickelt. Bis heute kann allerdings niemand sagen, ob die Stifte absichtlich in ihrem Haar gelandet sind oder sich anfänglich jemand einen Scherz mit ihr erlaubt hat.
»Oh, guten Morgen, Alma!«, erwidert sie fröhlich und mit einem so zuckersüßen Unterton, dass ich schon vom Zuhören Karies bekomme. »Ist heute nicht ein wunderschöner Tag?«
Kurz runzele ich irritiert die Stirn. Es ist ungewöhnlich für Katie, nicht sofort zu versuchen, mich für ihre dämliche Aktion zu gewinnen. Vielleicht hat sie aufgegeben, als ich nicht auf ihren ersten Satz reagiert habe. Oder sie lässt mich damit in Ruhe, weil sie weiß, wie viele andere Sachen mir durch den Kopf gehen. Wenn ich nur daran denke, dass wir heute Nachmittag gegen unsere Rivalinnen von der San Marcos High um den Meisterschaftstitel der Channel League antreten, werden meine Hände vor Aufregung feucht. Es steht so viel auf dem Spiel.
»Schätze schon …«, murmle ich schulterzuckend und wische meine Handflächen an meiner kurzen Jeans trocken.
»Ja, das finde ich auch!«, bestätigt Katie und schiebt sich eine lose Strähne hinters Ohr. »Der perfekte Tag, um deinem Jahrgang beim Spendensammeln für den Prom unter die Arme zu greifen!«
Aha. Natürlich. Es wäre auch zu schön, wenn sie mich heute damit in Frieden lassen würde.
Erneut stoße ich ein Seufzen aus. »Bis zu unserem Prom dauert es noch über ein Jahr. Nicht mal der Abschlussjahrgang hatte seinen schon«, argumentiere ich, doch das prallt selbstverständlich an ihr ab.
»Man kann nie früh genug mit der Planung beginnen, also darf ich dich …«
O nein, so nicht.
Ich schüttele den Kopf. »Wie oft habe ich dir gesagt, dass ich es nicht mache?«, frage ich und versuche nicht einmal, meinen genervten Tonfall zu verbergen. Da das Glück heute offensichtlich nicht auf meiner Seite steht, schlägt sie das allerdings nicht in die Flucht. Selbst als ich vom gepflasterten Weg zum Haupteingang abweiche und stattdessen meinen morgendlichen Stammplatz an der Mauer daneben einnehme, bleibt sie neben mir und wirkt nicht einen Deut, als hätte sie meine Antwort verunsichert.
Im Gegenteil. Katie sieht aus, als hätte sie eine andere Erwiderung meinerseits überrascht. »Bisher zweiunddreißig Mal, aber du weißt doch, wie das Sprichwort lautet. Aller guten Dinge sind dreiunddreißig«, erklärt sie und setzt kurz darauf ihren flehendsten Welpenblick auf. Maya wäre spätestens jetzt eingeknickt und hätte Katie jeden Wunsch von den Lippen abgelesen. In solchen Momenten bin ich verdammt froh, nicht so gutherzig zu sein wie meine beste Freundin.
»Drei, Katie«, korrigiere ich sie, während ich meinen Rucksack abnehme und neben mir auf den Boden stelle. »Aller guten Dinge sind drei.«
»Aber du hast beim dritten Mal nicht Ja gesagt«, beharrt das Mädchen und zieht eine Schnute. Dabei sollte ihm inzwischen klar sein, dass diese Masche bei mir nicht funktioniert.
»Und genauso wenig sage ich jetzt Ja.«
Daraufhin lässt sie die Schultern hängen und senkt den Blick. Auf einmal sieht sie aus, als hätte sie am Weihnachtstag kein Geschenk unter ihrem Baum vorgefunden. Oh, sie ist gut. Zum Glück kenne ich sie besser und weiß, in ein paar Minuten wird sie wieder bester Laune sein.
»Ernsthaft, Katie. Warum willst du mich ausgerechnet für die Aktion? Ich meine, ich bin nun wirklich nicht der Typ für Dates und Tanzabende.« Und erst recht nicht für ihre dämliche Junggesellinnenversteigerung. Letzteres behalte ich natürlich für mich, denn wenn Katie nicht gerade probiert, mich für etwas einzuspannen – was sie leider recht häufig versucht, seit Maya durch ihren Job nicht mehr so viel Zeit hat –, sind wir tatsächlich Freundinnen. Allerdings die Art Freundinnen, die nicht jeden Scheiß füreinander machen. Die einzige Person, bei deren Bitte ich eventuell darüber nachdenken würde, wäre Maya und selbst sie hat mir keine Zusage entlocken können.
Dafür ist sie jetzt meine Rettung.
Während Katie auf mich einredet, ich könnte es zumindest versuchen, erblicke ich den brünetten Haarschopf meiner besten Freundin. Sie verabschiedet sich rasch von ihrem Freund, dreht sich um und wirft mir über die Distanz hinweg ein Lächeln zu. Wenige Sekunden später stößt sie zu uns und bringt meine persönliche Nervensäge endlich zum Schweigen.
»Morgen, A. Morgen, Katie«, begrüßt sie uns und geht dazu über, uns zu umarmen. »Worüber sprecht ihr?«
»Morgen, M«, erwidere ich lächelnd und löse mich von ihr. »Dreimal darfst du raten.«
Mehr Informationen benötigt Maya nicht. Sie nickt verstehend und sieht mich mit einem Blick an, der so viel sagt wie: Was glaubst du, wie lang sie noch durchhält?
Als Antwort zucke ich mit den Schultern.
»Nimm es mir nicht übel. Es ist eine gute Sache und du hättest sicher viel Spaß auf dem Tanzabend.«
»Den habe ich bestimmt auch ohne Date«, versichere ich Katie und erinnere mich daran, dass wir gestern ein sehr ähnliches Gespräch geführt haben. Genauso wie am Tag davor. »Meintest du nicht gestern, dass du heute früh noch etwas aus der IT besorgen musst?«
»Oh? Ja, richtig! Verdammt, ich muss los!« Binnen einer Sekunde ist sie weg.
Das hätte ich definitiv eher tun sollen. Kopfschüttelnd seufze ich und wende mich meiner besten Freundin zu, die ihre Umhängetasche in der Zwischenzeit zu meiner gestellt hat.
»Du hast keine Ahnung, wie froh ich bin, wenn die Anmeldefrist für ihre Versteigerungsaktion vorbei ist«, lasse ich sie wissen und entlocke ihr damit ein Kichern.
»Ich kann es mir vorstellen. Katie ist echt hartnäckig. Das traut man ihr erst gar nicht zu.«
»Dich hat sie noch nie dreiunddreißig Mal hintereinander gefragt, ob du ihr bei irgendetwas hilfst«, erinnere ich Maya.
»Bei mir muss sie das auch nicht. Meistens sage ich direkt Ja«, erwidert sie schmunzelnd und ich frage mich, ob das etwas ist, worauf man stolz sein sollte. Maya ist mit Sicherheit die beste Freundin, die man sich wünschen kann, allerdings ist sie auch so ein verdammter Gutmensch, dass man sie um alles bitten könnte und sie es ohne zu murren tun würde. Das unterscheidet uns voneinander.
Hätte sie keinen Freund, wäre sie sicher Feuer und Flamme für Katies Versteigerungsaktion. Immerhin hat sie vor ein paar Monaten auch innerhalb weniger Wochen Surfen gelernt und direkt am größten Wettkampf des Bundesstaates teilgenommen. Und das nur, weil besagte Schulreporterin sie darum gebeten hat, um einen Artikel darüber zu schreiben. Selbst ich, die sportliche Herausforderungen über alles liebt, hätte das nicht durchgezogen. Genauso wenig, wie ich mich von irgendwelchen Jungs aus meinem Jahrgang als Date für unseren jährlichen Girl‘s-Choice-Tanz ersteigern lasse. Nicht einmal, um auf diesem Weg Geld für unseren Abschlussball nächstes Jahr zu sammeln.
»Du solltest dringend lernen, Nein zu sagen«, rate ich ihr, woraufhin sie erneut kichert.
»Vielleicht, aber ich mag mich, wie ich bin«, antwortet sie. »Wie findest du eigentlich mein Outfit?«
Ihre Frage erwischt mich unvorbereitet. Maya ist für gewöhnlich nicht der Typ, der Bestätigung für seine Kleidung sucht, doch als ich meinen Blick über sie schweifen lasse, ziehe ich meine Mundwinkel automatisch zu einem Grinsen hoch.
Meine beste Freundin trägt olivgrüne Shorts und ein T-Shirt in derselben Farbe mit unserem Schullogo, das golden hervorsticht. Außerdem hat sie die vorderen Strähnen ihres brünetten Haares am Hinterkopf mit einer großen goldenen Schleife zusammengebunden, wie es sonst nur unsere Cheerleader tun, wenn ein Wettkampf bevorsteht oder sie ein Sportteam bei einem Spiel anfeuern.
»Oh, Maya … das ist …« Weil mir keine Erwiderung einfällt, schüttele ich den Kopf und kann mir ein Lachen nicht verkneifen. Dabei strecke ich meine Arme aus und falle ihr um den Hals.
»Du meintest vor zwei Wochen, dass bei eurem großen Meisterschaftsspiel keine Cheerleader anwesend sein werden, also dachte ich, ändere ich das«, erklärt sie mir und löst sich aus meiner Umarmung. »Heute bin ich deine persönliche Cheerleaderin. Ich verspreche nicht, dass ich besonders gut sein werde, aber ich werde definitiv für Stimmung sorgen.«
Mir fehlen immer noch die Worte, doch meine beste Freundin weiß, wie unendlich dankbar ich ihr bin. Schließlich bringe ich nur ein überwältigtes »Danke, Maya« hervor, das sie mit einer wegwerfenden Handbewegung quittiert.
»Für dich mache ich mich gern vor der ganzen Schule zum Affen. Du musst mir im Gegenzug nur versprechen, dass ihr den Titel holt, okay?«
Ich schnaube. »Willst du mich beleidigen? Die San Marcos High hat keine Chance gegen uns.« Seit Jahren kämpfe ich mit meiner Mannschaft darum, in unserer Schulliga nach ganz oben zu klettern. In den letzten Jahren scheiterte es stets im Halbfinale, doch heute treten wir im Finale gegen unseren ärgsten Rivalen an und werden ein für alle Mal beweisen, dass wir das beste Fußballteam der Channel League sind.
»Das ist die richtige Einstellung«, lobt sie mich grinsend und greift nach dem Tragegurt ihrer Schultasche. Während sie diese schultert, fällt mein Blick auf einige olivgrüne und goldene Bänder, die seitlich hervorschauen.
»Hast du Pom Poms da drin?«
»Natürlich. Wenn ich schon einen auf Cheerleader mache, dann richtig«, bestätigt sie schmunzelnd und reicht mir meinen Rucksack. Ich werfe mir einen Trageriemen locker über die Schulter und deute mit einer Kopfbewegung auf den Eingang. Gemeinsam betreten wir das Gebäude.
Da der Unterricht erst in einer guten Viertelstunde beginnt, sind die Gänge vergleichsweise leer, was sehr angenehm ist. Nicht zuletzt, weil so früh am Morgen die Klimaanlage für eine angenehme Temperatur auf dem Schulflur sorgt. In wenigen Stunden wird sich das Gebäude dennoch anfühlen wie eine einzige Sauna, weil sich der Hausmeister beharrlich weigert, sie auf eine höhere Stufe zu stellen. Sehr zum Leidwesen der Schüler und der meisten Lehrer.
Wir passieren die längliche Pinnwand zu unserer Linken, an der Plakate für bevorstehende Events, Werbeflyer für verschiedene Clubs und AGs sowie wichtige Informationen angebracht sind. Sogar einen Monat vor den Sommerferien ist fast jeder Zentimeter ausgefüllt, so viel findet in den nächsten Wochen noch statt. Mein Blick fällt natürlich zuerst auf die Sektion mit den sportlichen Veranstaltungen.
Selbst eine Woche nach dem Finalspiel der Jungenfußballmannschaft gegen die Dos Pueblos High hängt ihr Plakat noch groß in der Mitte, während alle anderen Termine auf kleineren Flugzetteln daneben befestigt sind, als wären sie lange nicht so wichtig. Die Einladung an alle Schüler, mein Team bei unserem Spiel anzufeuern, sehe ich überhaupt nicht. Wo sie eigentlich hängen sollte, klafft eine Lücke.
»Schon wieder?«, höre ich Maya neben mir murmeln und nicke langsam. Gleichzeitig balle ich die Hände zu Fäusten. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich angehalten habe, um die leere Stelle anzustarren, an der die braune Korkfläche zu sehen ist. Keine Ahnung, wer sich seit Tagen einen Spaß mit uns erlaubt und immer wieder den Flyer herunterreißt, doch wenn ich die Person in die Finger kriege …
»Kein Grund zur Sorge«, fährt meine beste Freundin fort und zieht einen neuen Zettel aus ihrer Umhängetasche. Seitdem das zum ersten Mal passiert ist, hat sie immer welche dabei und ist damit besser vorbereitet als ich. Den hängt sie über die Lücke. »Siehst du? So gut wie neu.«
Sie lächelt mich an, doch ich erwidere es nicht. Hierbei geht es ums Prinzip. Es macht mich schlicht und ergreifend wütend, dass andere meinen, so mit uns umgehen zu dürfen. Sollen wir uns etwa schuldig fühlen, weil wir uns in den letzten Monaten besser geschlagen haben als ihre Teams? Wir haben einfach härter dafür gearbeitet als sie und so wird es uns gedankt.
»Hey, schau mal!«, ruft Maya auf einmal und deutet auf das riesige Plakat der schulischen Theatergruppe, deren Sommermusical nächste Woche Premiere feiert. Allein das hochwertige Werbematerial lässt darauf schließen, dass ihre Inszenierung von Pippin, dem Broadway-Hit, wieder einmal alle Schulrekorde sprengen wird. »Siehst du es dir an?«
Mir ist klar, dass Maya mich mit dem Themenwechsel nur auf andere Gedanken bringen will, trotzdem gehe ich auf ihre Frage ein und nicke.
»Mein Ticket liegt schon zu Hause«, bestätige ich und lächle automatisch. Gleichzeitig bedeute ich ihr mit einer Kopfbewegung, dass wir weitergehen sollten. Der Gang um uns herum füllt sich langsam und ich muss vor dem Unterricht noch zu meinem Spind. Maya vermutlich auch.
»Leider muss ich während der Premiere arbeiten, aber ich lasse mir das Stück auf keinen Fall entgehen. Immerhin habe ich Diego wegen der Proben seit Monaten nicht zu Gesicht bekommen. Ich dachte schon, er würde mir absichtlich aus dem Weg gehen«, erwidert sie grinsend und ich kann nicht anders, als es ihr gleichzutun.
»Nicht nur du. Aber so ist das, wenn man die Hauptrolle spielt. Mein Bruder hat fast seine ganze Freizeit der letzten Monate im Schultheater verbracht. Und er ist wirklich fantastisch«, erzähle ich ihr und tatsächlich fühle ich mich schon viel besser. Maya hat einfach ein Händchen dafür, jemanden aufzumuntern.
»Dann darf ich mich auf die Aufführung freuen?«
»Auf jeden Fall«, bestätige ich. Kurz darauf erreichen wir den Punkt, an dem sich unsere Wege trennen, denn leider befinden sich unsere Schließfächer nicht im selben Flur. Maya umarmt mich zum Abschied und ermahnt mich, heute keinen Streit mit irgendjemandem vom Zaun zu brechen. Offensichtlich hat sie Angst, mir könnte aufgrund des bevorstehenden Finalspiels eine Sicherung durchbrennen. Dabei wissen wir beide, es gibt nur eine einzige Person, bei der ich wirklich Gefahr laufe, auszuticken.
»Solange Alex mich in Ruhe lässt, besteht kein Grund zur Sorge«, verspreche ich ihr.
»Ich nehme dich beim Wort«, erwidert sie streng. »Nicht dass ich dich wieder aus dem Streitschlichterbüro abholen muss.« Mit diesen Worten dreht sie sich um und verschwindet nach links. Einen Moment sehe ich ihr sprachlos nach, dann finde ich meine Stimme wieder.
»Das war ein einziges Mal!«, rufe ich ihr hinterher, doch das hört sie gar nicht mehr. Kopfschüttelnd drehe ich mich um und biege in den rechten Gang. Dort grüße ich einige Klassenkameraden und erblicke schließlich meinen Spind. Es handelt sich um einen der letzten an dieser Wand und für gewöhnlich begegne ich meinen Schließfachnachbarn kaum, doch zu meinem Leidwesen bin ich heute nicht allein.
Ausgerechnet an meinem Spind lehnt die einzige Person, auf die ich nicht nur heute, sondern jeden Tag getrost verzichten könnte.
Alexander Wright.
Manche mögen behaupten, er ist mit seinem kurzen brünetten Haar, den schokobraunen Augen und dem vom Sport gestählten Körperbau ganz attraktiv und … okay, vielleicht haben sie recht. Sollte mich jedoch jemand darauf ansprechen, würde ich es vom Fleck weg abstreiten. Sein Ego ist ohnehin viel zu groß.
Als er mich bemerkt, wirft er mir über die Distanz ein Lächeln zu, das ich mit einem wütenden Funkeln quittiere, und stößt sich von meinem Schließfach ab. Dabei vergräbt er die Hände lässig in den Taschen seiner knielangen Jeansshorts. Etwa einen Meter vor ihm bleibe ich stehen und verschränke die Arme.
»Was willst du?«, komme ich direkt auf den Punkt. Er verzieht keine Miene, dabei ist meine Abneigung ihm gegenüber nicht nur aus jedem Wort herauszuhören, sondern ebenfalls in meiner Haltung ersichtlich.
»Dir auch einen guten Morgen, Alma. Warum so schlechte Laune?«, begrüßt er mich und übergeht meine Frage einfach. Mal wieder typisch. Wie immer legt er es drauf an, mich aus der Fassung zu bringen. Und wieso? So wie ich ihn kenne, hat er seine Freude daran, mich dermaßen aufzuregen, damit ich heute Nachmittag alles versaue und wir den Sieg einbüßen. Schließlich können wir Mädchen auf gar keinen Fall genauso gut sein wie er und sein Team.
Als Mannschaftskapitän der Jungs hält er sich immer noch für einen besseren Fußballer, dabei ist unser erstes – und einziges – Match bereits Ewigkeiten her. Drei Jahre, sieben Monate und eine Woche, um genau zu sein. Damals mag er tatsächlich besser gewesen sein, doch seitdem ist viel passiert. Meine Abneigung ihm gegenüber hat in der Zeit allerdings nicht nachgelassen, sondern wurde eher noch stärker, und heute werde ich ihm beweisen, dass ich eine ernstzunehmende Gegnerin bin.
»Ich habe keine schlechte Laune. Ich freue mich nur nicht, dich zu sehen«, entgegne ich ruhig. Er wird mich auf keinen Fall auf die Palme bringen. Da stehe ich drüber. Außerdem habe ich keine Lust, mir Ärger einzuhandeln und womöglich vom Spiel ausgeschlossen zu werden. In meiner Position als Teamkapitänin wäre das eine unverzeihliche Blamage und bestimmt genau das, worauf Alex abzielt. »Was mich erneut zu meiner Frage bringt: Was willst du?«
So, das sollte deutlich genug gewesen sein.
Mein Gegenüber zuckt die Schultern. »Was sollte ich wollen, Alma? Ich bin nur hier, um dir viel Glück für das Spiel zu wünschen, weil du mir seit Tagen aus dem Weg gehst.«
Ist das sein verdammter Ernst?
Vermutlich hat sein bester Freund Matt, der mit meiner besten Freundin zusammen ist, ihn dazu gezwungen. Es würde mich nicht wundern, wenn Maya ebenfalls ihre Finger im Spiel hätte.
»Dein Glück brauche ich nicht«, erwidere ich und schürze die Lippen. Wir haben zu hart trainiert, um uns nur darauf zu verlassen.
»Das glaub ich dir aufs Wort. Ihr habt eine echt großartige Saison hingelegt, aber ich finde, es gehört sich so. An dieser Stelle ignoriere ich mal, dass du mir kein Glück für unser Finale letzte Woche gewünscht hast.«
Als ob er das nötig gehabt hätte. Sein Team hat nicht nur mit deutlichem Vorsprung gewonnen, zwei der drei Tore für unsere Schule hat Alex selbst geschossen. Wenn es wenigstens knapp gewesen wäre, doch mit so einem Sieg liegt die Messlatte heute noch höher.
Ich verdrehe die Augen. »Bist du fertig?«
Leider bewegt er sich nicht von der Stelle. Zwar lehnt er nicht mehr an meinem Spind, steht jedoch immer noch direkt davor und nichts liegt mir ferner, als mich an ihm vorbeizudrücken, um an meine Sachen zu kommen.
»Ehrlich gesagt … nein.«
Wieso habe ich es befürchtet? »Hast du mich noch nicht genug genervt?«
Alex hebt seine Mundwinkel zu einem belustigten Schmunzeln. »Noch nicht mal annähernd.« Mit diesen vier kleinen Wörtern zerschlägt er meine Hoffnung, in Ruhe meine Bücher für die ersten Stunden zusammenzusuchen. Er wird mich erst in Frieden lassen, wenn die Klingel ihn daran erinnert, dass der Unterricht gleich beginnt. Mir entweicht ein Stöhnen und ich versuche nicht, es zu überspielen. Alex soll ruhig mitkriegen, wie wenig ich von seiner Anwesenheit halte.
»Du musst nicht aus jedem Ton aus meinem Mund eine Beleidigung oder Herausforderung heraushören. Manchmal meine ich Dinge tatsächlich ernst«, lässt er mich wissen, woraufhin ich unbeeindruckt eine Braue hebe. Solange er nur endlich verschwindet. »Okay, schon verstanden. Es hat keinen Sinn. Wir sehen uns später beim Spiel. Ich drücke euch die Daumen.«
Kurz darauf setzt er sich in Bewegung, doch ich kann mich nicht darüber freuen. Er hat doch nicht etwa vor, zum Spiel zu kommen. Oder? Will er mich komplett fertigmachen?
Alex ist nicht dumm. Er weiß, ich könnte mich nicht richtig auf das Match konzentrieren, weil ich die ganze Zeit daran denken würde, dass er mir zusieht und stumm über mein Spiel urteilt. Vielleicht liegt genau darin sein Plan.
Oh, ich bin so was von geliefert.
Kapitel 2
»Bist du nicht. Sei nicht so hart zu dir, Alma«, versucht Jenny mich zu trösten, als wir nach dem Unterricht gemeinsam die Umkleide unseres neuen Schulstadions betreten. Sie pustet sich eine schwarze Ponyfranse aus dem Gesicht, stellt ihre Tasche auf der Holzbank ab, die sich an den Wänden entlangzieht, und öffnet ihren Spind, der sich direkt neben der Tür befindet.
»Da stimme ich Jenny zu. Wir haben alle so viel trainiert und sind in Topform. Ob jetzt ein Junge mehr oder weniger auf der Tribüne sitzt, macht keinen Unterschied«, bestätigt Amber und knufft mich freundschaftlich in die Schulter, bevor auch sie ihr Schließfach ansteuert.
»Wir reden hier nicht von irgendeinem Jungen«, beharre ich, doch keine meiner Mannschaftskameradinnen versteht den Ernst der Lage. Cynthia und Sarah kichern sogar, während sie an mir vorbeiziehen.
»Schon klar. Wir reden von Alex, deinem ewigen Rivalen. Aber nur weil er zuschaut, wirst du nicht alles verlernen, was du draufhast«, erinnert mich Jenny. »Mach dir keine Sorgen.«
»Genau. Zieh dich lieber um, damit wir mit dem Aufwärmen anfangen können«, kommt es von Ella, die als Letzte hinter mir in den Raum schlüpft und sich die Ballerinas von den Füßen kickt.
»Ist ja gut«, murmle ich, durchquere die Umkleide und stelle meinen Rucksack ab. Dann öffne ich ebenfalls meinen Spind, in dem ich für gewöhnlich zwei Garnituren Trainingstrikots samt Hosen, Stollenschuhen, Stutzen und Schienbeinschonern aufbewahre. Nicht zu vergessen, eine Jogginghose und ein simples, weißes T-Shirt für den Notfall. Heute spielen wir in unserer überwiegend olivgrünen Turnier-Ausstattung, die bei Heimspielen zum Einsatz kommt. Dementsprechend hole ich das richtige Trikot raus und lege es auf die Holzbank. Danach lasse ich mich daneben auf die Sitzfläche fallen und löse die Schleifen meiner Schnürsenkel.
»Wir meinen das gar nicht böse, aber es ist echt kein Geheimnis, dass Alex dein wunder Punkt ist«, fährt Amber auf einmal fort. Sie hat bereits ihr weißes Tanktop ausgezogen und ihren Push-up-BH gegen einen Sport-BH ausgetauscht.
Mit entweicht ein Schnauben. »Alex ist nichts für mich. Er geht mir nur auf die Nerven und …«
»… er hat dich vor ein paar Jahren geschlagen und du bist immer noch wütend auf ihn. Ist uns bewusst.« Sarah kichert erneut, während sie ihre langen hellbraunen Haare zu einem Pferdeschwanz bindet.
»Bin ich nicht«, widerspreche ich, stehe auf und ziehe mir in einer fließenden Bewegung mein dunkelgraues T-Shirt über den Kopf. Da ich heute Morgen im Sport-BH aus dem Haus gegangen bin, schlüpfe ich direkt in mein Trikot.
»Und deshalb erleidest du fast einen Nervenzusammenbruch, nur weil er sich das Spiel anschaut? Alma, so wie wir die Jungs kennen, wird die ganze Mannschaft auf der Tribüne sitzen«, argumentiert Cynthia und hat damit ohne Zweifel einen Punkt.
»Bei Diego stört dich das auch nicht, oder?«, ergänzt Amber. Die beiden tauschen einen Blick und geben einander ein High Five, während ich eilig den Kopf schüttele. In Nullkommanichts fliegen die losen Strähnen in mein Gesicht und ich sehe aus, als hätte ich in eine Steckdose gefasst. Na super!
»Das ist was anderes. Diego hat das Jungenteam letztes Jahr verlassen. Außerdem ist er mein Bruder und kommt zu allen Spielen. Die Jungs sind mir egal. Alex ist mir egal.« Mit Schwung reiße ich das Gummi aus meinem verknoteten Haar und ignoriere das Ziepen. Da ich – wie so oft – nichts dabeihabe, um meine Mähne zu bändigen, fahre ich mit den Fingern durch die Strähnen und bin im Begriff, sie neu zusammenzubinden, als Ella mir ihre Haarbürste reicht.
»Sicher doch.« Sie wirft mir ein Grinsen zu und ich beschließe, das Thema ruhen zu lassen, bevor ich noch das letzte bisschen Glaubwürdigkeit einbüße. Außerdem sollte ich mir keine Gedanken über unausstehliche Fußballer mit viel zu großem Ego machen, sondern mich mental auf das Spiel vorbereiten. Alex hat echt fantastische Arbeit geleistet, mich durcheinanderzubringen. Bestimmt war das die ganze Zeit seine Absicht, doch wenn er denkt, uns heute verlieren zu sehen, hat er sich geschnitten.
In Windeseile ziehe ich mich fertig um, mache mir einen neuen Pferdeschwanz und lege meine gelbe Kapitänsbinde an. Ab jetzt hat Alex in meinem Kopf nichts mehr verloren. Eventuell kommt er gar nicht, so wie er auch nicht bei unseren letzten Heimspielen anwesend war, und hat das heute Morgen nur gesagt, um mich vom Wesentlichen abzulenken.
Ich atme tief durch und greife nach meiner vollen Wasserflasche. »Okay, treten wir ein paar Rittern in den Hintern!«, beschließe ich und ernte von allen Seiten Zustimmung. Unsere letzte Begegnung mit den San Marcos Knights mag in einem Unentschieden geendet haben – und das nur, weil uns in der Nachspielzeit kurz vor Abpfiff noch ein Treffer gelungen ist –, doch heute werden wir den Titel holen. Es gibt keine andere Option.
Als wir wenig später geschlossen aus der Umkleide treten, nimmt uns Coach Heller in Empfang. Unsere Trainerin ist eine schlanke Frau, die ich auf Anfang bis Mitte fünfzig schätze, und hat ihre dunkelblonden Haare am Hinterkopf zu einem Zopf zusammengefasst. Heute trägt sie eine grüne Kappe, um sich vor der Sonne zu schützen, die schon den ganzen Tag unablässig auf uns herabscheint. Dazu hat sie sich in ihren besten Schuljogginganzug bestehend aus einer dunklen Hose und einem T-Shirt in der Farbe unserer Trikots geworfen und trägt darüber hinaus die dazu passende Jacke. Es ist mir ein absolutes Rätsel, wie sie bei den Temperaturen langärmlige Kleidung tragen kann, ohne einen Hitzschlag zu kriegen.
»Bereit?«, fragt sie und klingt, als würde sie im nächsten Moment vorschlagen wollen, uns Kekse zu backen, damit wir während des Spiels was zu mampfen haben. Coach Blackwell, der Trainer der Jungs, hätte uns allein für unser Trödeln in der Umkleide angeschrien und beim nächsten Training einige Strafrunden ums Stadion laufen lassen.
Bei Couch Heller hingegen kann man tatsächlich ab und an mit Keksen oder Kuchen rechnen, statt mit anstrengendem Training, das uns bis an unsere Grenzen treibt und manchmal sogar darüber hinaus. Aber ich sollte mich nicht beschweren. Sie ist nichtsdestotrotz Sportlehrerin, kennt die Regeln und versteht das ein oder andere von Sportverletzungen und wie sie vermieden werden können. Außerdem ist sie die Einzige, die sich bereiterklärt hat, uns zu trainieren, und ohne Trainerin kein Team. So einfach ist das.
»Aber so was von, Coach!«, antwortet Amber voller Enthusiasmus und spricht damit für die ganze Mannschaft.
»Zeigen wir es ihnen!«, kommt von Ella.
»Heute haben sie keine Chance.« Sarah und Eliza geben einander ein High Five und Jennifer verspricht uns hoch und heilig, dass sie keinen Gegentreffer zulassen wird.
»Erst mal …«, werfe ich ein und unterbreche damit ihre Tagträume, in denen wir den Pokal bereits in den Händen halten. »… sollten wir uns aufwärmen.«
Couch Heller nickt mir stolz zu. »Sehr gut, Alma. Du lernst dazu.«
Darauf verkneife ich mir einen Kommentar. Zugegeben, in meinem Freshman-Jahr habe ich von Warm-Up und Dehnübungen nicht viel gehalten. Ich wollte spielen und beweisen, was ich draufhabe. Das Aufwärmprogramm schien mir unnötig und zeitfressend. Eventuell war ich ein klitzekleines bisschen ungeduldig und konnte es gar nicht erwarten, mein Können im Spiel zu zeigen. Inzwischen habe ich dazugelernt und weiß, wie wichtig es ist, sich vorher warmzulaufen und zu dehnen. Das hält meine Trainerin trotzdem nicht davon ab, mich jedes Mal aufs Neue zu loben, wenn ich meinen ebenso ungeduldigen Teamkameradinnen den Wind aus den Segeln nehme.
»Kommt, Mädels«, verkünde ich und gemeinsam gehen wir nach draußen. Während unsere Rivalinnen sich auf einer Hälfte des Feldes bereits warmlaufen, holen wir Hütchen und Bälle aus dem Materialraum und verteilen sie auf der anderen Hälfte. Dann fangen wir an. Erst laufen wir einige Runden in unserer Feldhälfte, dribbeln uns warm und führen einige Passübungen aus, um reinzukommen. Anschließend dehnen wir uns ausgiebig. In der Viertelstunde, die die Prozedur dauert, füllt sich unsere Tribüne in Olivgrün und Gold und die der San-Marcos-Fans in Blau und Rot.
Es ist vergleichsweise still, doch als eine mir wohlbekannte Stimme laut jubelt, zieht sie unausweichlich meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich kann nicht anders, als mich umzudrehen und in der Menge nach ihr zu suchen.
Maya schüttelt allen Ernstes zwei Pom Poms in den Schulfarben und hat Matt, der neben ihr sitzt, einen überdimensionalen Schaumstofffinger aufgezwungen. Zumindest glaube ich nicht, dass ihr Freund den freiwillig angezogen hat. Die beiden sehen aus, als würden sie als Hardcore-Fans ein Spiel ihrer Lieblingsmannschaft in der Major League Soccer besuchen und kein Highschool-Fußballspiel.
Der Gedanke lässt mich grinsen. Fast noch mehr als der Umstand, dass ich Alex, Matts besten Freund, nicht bei ihnen entdecke. Selbst als wir kurz darauf das Material verstauen und uns mental auf den Anpfiff vorbereiten, schaffe ich es nicht, meine Mundwinkel wieder zu einer konzentrierten Miene zu senken.
»Kann es sein, dass deine beste Freundin gleichzeitig dein größter Fan ist?«, fragt Ella mich auf dem Weg zurück aufs Feld.
»Wenn sie es schafft, Diego den Titel abzuschwatzen«, scherze ich. Meinen Bruder habe ich zwar bisher nicht gesehen, doch da mache ich mir keine Gedanken. Immerhin sind es noch ein paar Minuten bis zum Anpfiff. »Maya ist heute unsere Cheerleaderin. Ist doch nett.«
»Ja, das stimmt«, bestätigt sie und schmunzelt. »Ich hoffe nur, sie beschränkt ihre Performance auf die Halbzeit. Sie ist ganz schön laut.«
Dem widerspreche ich nicht und werfe Maya über die Distanz hinweg einen kurzen Blick zu und deute ihr mit einer Handbewegung an, die Lautstärke zu dimmen. Sie versteht und stellt den Jubel ein. Jetzt steht unserem großen Sieg nichts mehr im Weg.
***
»Okay, das lief eher nicht wie geplant«, murmelt Amber und stößt ein frustriertes Seufzen aus. Treffender hätte ich die Situation nicht beschreiben können. Die Spielerinnen der San Marcos High haben uns wie eine Dampfwalze überrollt und ehe ich es realisieren konnte, war bereits das erste Tor gefallen. Danach blieb uns nicht einmal Zeit, uns von dem Gegentreffer zu erholen. Nur wenige Minuten später stand es zwei zu null – und das leider nicht für uns.
Der größte Erfolg, den wir in der ersten Halbzeit verbuchen konnten, war, nicht noch mehr Tore zuzulassen. Unsere Strategie war vollkommen falsch. Wir dachten, wir würden unsere Gegner kennen, doch dieses Mal waren sie uns einen Schritt voraus. Sie hatten das Überraschungsmoment auf ihrer Seite und ich werde mir nie verzeihen, dass ich das nicht einkalkuliert habe. Dabei hätte ich mir denken müssen, dass sie es uns nicht leicht machen!
Ich verstärke den Griff um meine Wasserflasche und hebe den Blick. Die Stimmung in der Umkleide, in die wir uns für die Halbzeitpause zurückgezogen haben, ist mehr als gedrückt. Sie ist absolut im Keller.
»Es tut mir so leid«, höre ich Jenny wispern. Unsere Torhüterin sitzt neben mir und ich fürchte, sie fühlt sich für unseren Rückstand verantwortlich. Tröstend lege ich ihr einen Arm um die Schulter.
»Ist doch nicht deine Schuld«, beschwichtige ich sie. »Niemand muss sich rechtfertigen. Wir gewinnen als Team und wir verlieren als Team.«
»Mir wäre lieber, wir würden nicht verlieren«, erwidert diese und erntet Zustimmung von den anderen Mädchen. Natürlich haben sie recht, aber wenn wir anfangen, uns selbst oder einander die Schuld für unser Versagen in den letzten fünfundvierzig Minuten zu geben, wird die zweite Hälfte des Spiels nicht besser laufen.
Was wir brauchen, ist eine neue Taktik. Immerhin fehlen uns zwei Tore für den Ausgleich und ein weiteres für den Sieg. Drei Treffer in einer Halbzeit wirkt vielleicht unwahrscheinlich, doch es ist nicht unmöglich. In dieser Saison ist uns das einmal gelungen, allerdings lagen wir gegen die Dos Pueblos High nicht so weit zurück.
Mein Blick gleitet zu Coach Heller, die auf der gegenüberliegenden Bank sitzt und auf ihr Handy schaut, obwohl sie mit uns die katastrophale erste Halbzeit besprechen und uns Tipps für die zweite geben sollte. Es ist zwar nichts Neues, doch nach einer bisher fantastischen Saison macht es mich heute einfach wütend, sie so zu sehen. Das ist nicht der richtige Moment, um Rezepte rauszusuchen oder die Bilder von ihrem fünfjährigen Enkel zu betrachten!
Okay, nicht die Fassung verlieren, Alma. Damit hilfst du niemandem.
Um mich zu beruhigen, atme ich ein weiteres Mal tief durch und schürze die Lippen. »Möchten Sie vielleicht auch etwas sagen?«, frage ich unsere Trainerin und bemühe mich, meinen Tonfall so neutral wie möglich zu halten. Eine kleine Wertung ist dennoch deutlich herauszuhören.
Endlich sieht Coach Heller auf und legt das verdammte Smartphone zur Seite. »Macht euch nichts draus«, sagt sie dann, als würde das unseren Frust in Sekundenschnelle in Luft auflösen. »Ihr seid weiter gekommen als im letzten Jahr und könnt stolz auf euch sein.«
Ist das ihr Ernst?
Mir ist zwar schon lange klar, dass wir mit unserer Trainerin nicht das große Los gezogen haben und der einzige Grund, aus dem wir überhaupt so weit gekommen sind, unser eigenes Engagement ist. Aber das? Das bringt das Fass zum Überlaufen.
Als spüre sie die Wut, die in mir hochkocht, legt Jenny einen Arm um meine Schulter, wie ich es bei ihr getan habe, und wirft mir einen besorgten Blick zu. Ich weiß die Geste zu schätzen, doch sie hilft nicht. Kein Stück.
»Wollen Sie das Spiel echt schon abschreiben?«, spricht Cynthia aus, was gerade nicht nur durch meinen Kopf schießt, sondern sicherlich auch durch die Gedanken des restlichen Teams. »Ich meine, wir haben doch noch fünfundvierzig Minuten, um das Ruder herumzureißen, oder?«
Sogar noch ein paar mehr durch die Nachspielzeit, ergänze ich still für mich, als würde das unsere Chancen erhöhen.
»Das stimmt.« Coach Heller nickt langsam und lächelt die Spielerin an, ehe sie in einem vollkommen ruhigen Tonfall fortfährt. »Wenn ich euch allerdings Hoffnungen mache, seid ihr hinterher nur noch enttäuschter.«
»Sie gehen also wirklich davon aus, dass wir verlieren«, schließt Ella daraus und spricht mir förmlich aus der Seele. Der Vorwurf in ihrer Stimme, die zu Fäusten geballten Hände auf ihrem Schoß, alles an ihren Worten und ihrer Haltung spiegelt meine eigenen Empfindungen wider.
»Niederlagen gehören zum Leben dazu. Sie sind nichts Schlimmes«, erwidert sie. »Außerdem wirkt ihr auf mich, als hättet ihr die Hoffnung auf den Sieg bereits aufgegeben.«
»Schon, aber Sie sind unsere Trainerin. Sie sollen uns motivieren und helfen, zu gewinnen. Nicht sagen, dass wir uns gut angestellt haben, und Trostkekse backen.« Sarahs Worte stehen einige Sekunden lang im Raum, bevor ich in der Lage bin, auf sie zu reagieren.
So schwer es mir fällt, ich schlucke den Zorn hinunter und konzentriere mich auf das, was wirklich zählt: Unser Spiel. Eilig befreie ich mich aus Jennys Umarmung und erhebe mich von der Bank. Mit wenigen Schritten erreiche ich die Mitte der Umkleide und baue mich vor der Trainerin auf.
»Sarah hat recht. Wir brauchen keinen Trost, sondern eine neue Taktik«, beginne ich und sehe sie ernst an. Die Frau zuckt nicht einmal mit der Wimper.
»Das ist richtig«, bestätigt sie und nickt langsam. »Was würdest du an meiner Stelle tun?«
Moment? Ich?
Für einen Sekundenbruchteil entgleisen meine Gesichtszüge, jedoch lang genug, damit sie es bemerkt. »Du bist eine gute Strategin. Was auch immer du tun willst, tu es. Ich lasse dir freie Hand. Nur solltest du dich beeilen. Die Pause ist fast vorbei.«
Okay, damit habe ich nicht gerechnet. Im Schnelldurchlauf gehe ich alle wichtigen Begegnungen der ersten Halbzeit noch einmal durch und drehe mich zum Team um. Alle Blicke sind erwartungsvoll auf mich gerichtet, also öffne ich den Mund und die Worte sprudeln nur so aus mir hervor. »Bis heute kannten wir nur das defensive Spiel der San Marcos High und weil wir sehr offensiv ausgerichtet sind, haben wir uns in Sicherheit gewiegt. Das war ein Fehler. Ob er fatal ist, wird sich zeigen. Erst einmal müssen wir unsere Verteidigung stärken, damit sie nicht noch mehr Treffer erzielen.«
Ja, das klingt nach einer vernünftigen Entscheidung, auch wenn es uns Angriffskraft kosten wird.
»Wie willst du das anstellen? Du hast selbst gesagt, wir sind in der Offensive am stärksten«, wirft Amber ein. Genau wie ich spielt sie im Mittelfeld und gehört zu unseren besten Torschützinnen. Wenn wir eine Chance haben wollen, brauchen wir sie. Trotzdem steht nicht zur Debatte, dass wir unsere Startaufstellung über den Haufen werfen und die ein oder andere Auswechslung vornehmen müssen.
Kurz schaue ich auf die Uhr und schlucke meine Bedenken herunter. Uns bleibt keine Zeit mehr. »Meghan und Liza, ihr geht rein und übernehmt die linke und rechte Verteidigung.« Unsere Mannschaftsküken reißen die Augen auf, als könnten sie nicht glauben, dass ich mich für sie entschieden habe. Dabei sind sie wirklich gut. Deshalb spielen sie auch in unserer Mannschaft und nicht im Junior-Varsity-Team der Schule wie die anderen Sophomores. Der einzige Grund, aus dem sie nicht in der Startaufstellung sind, ist unser Fokus auf die Offensive. Beide sind viel besser in der Abwehr als im Angriff, doch heute könnten sie uns genau deshalb den Hintern retten.
»Wir verlassen uns auf euch«, schiebe ich hinterher.
Sofort nicken beide und versprechen, ihr Bestes zu geben.
»Fantastisch.« Dann wende ich mich an den Rest des Teams. »Dafür gehen Sarah und Cynthia auf die Bank. Ihr hattet ein paar ziemlich unschöne Begegnungen mit dem Rasen und ich glaube, eine Pause täte euch gut«, erkläre ich meine Entscheidung und hoffe, die beiden nehmen sie mir nicht übel. Ich hasse es, ausgewechselt zu werden, und wollte eigentlich nie in die Verlegenheit geraten, meine Freundinnen auf die Bank zu schicken. Zum Glück wirken die zwei nicht wütend.
»Alles klar, Captain«, bestätigt Sarah, während Cynthia fast schon erleichtert aufatmet.
»Gut. Als nächstes …« Mein Blick gleitet zu Jenny und wieder überkommt mich das schlechte Gewissen. Unter normalen Bedingungen würde ich das nicht in Erwägung ziehen und ich glaube, das weiß sie, denn als ich zum Sprechen ansetzen will, kommt sie mir zuvor.
»Leslie geht ins Tor«, verkündet sie und sieht kurz zu ihr. »Und ich …« Sie seufzt. »… auf die Bank.«
Da das genau mein Vorschlag gewesen wäre, nicke ich ihr dankbar zu. Für gewöhnlich ist Jenny eine fantastische Torhüterin, doch mit Druck kann sie nicht gut umgehen. Und gerade den hätte sie in ihrer aktuellen Position. Es ist besser, wenn sie die zweite Halbzeit aussetzt.
Die wenige Zeit, die uns danach bleibt, nutzen wir, um letzte Absprachen zu treffen und uns gegenseitig Mut zu machen. Noch ist nichts entschieden.
Adrenalin rauscht durch meine Adern und mein ganzer Körper vibriert förmlich vor Aufregung, als wir schließlich die Umkleide verlassen. Einerseits spüre ich meinen eigenen Kampfgeist und in jeder Pore die Hoffnung, die Meisterschaft doch noch für uns zu entscheiden, andererseits … Wenn das nicht funktioniert, geht unsere Niederlage auf meine Kappe.
Kapitel 3
Wir betreten das Feld kurz nach unseren Gegnerinnen, die sich bereits auf ihrer Seite aufgestellt haben. Karen, die Kapitänin der San Marcos Knights, flüstert einer ihrer Stürmerinnen gerade etwas zu, woraufhin diese nickt. Dann richtet sie ihren Blick nach vorn und sieht mich an. Ein überhebliches Grinsen schleicht sich auf ihre Lippen. Mir wird in diesem Moment klar, wie sehr sie sich in Sicherheit wiegen, und genau das könnte sie den Sieg kosten.
Ich werfe ihr ein wütendes Funkeln zu, um zu verbergen, dass wir noch nicht alle Hoffnung aufgegeben haben, und drehe meinen Kopf in Richtung Tribüne. Maya schenkt mir ein zuversichtliches Lächeln und schüttelt aufmunternd ihre Pom Poms. Matt hat inzwischen den Schaumstoff-Daumen abgelegt und lächelt ebenfalls. Neben ihnen hat sich mein Bruder niedergelassen, was mir ein breites Grinsen entlockt. Diego zeigt mir zwei Daumen nach oben und ich weiß, egal, was passiert, es gibt Menschen, die stolz auf mich sind.
Mein Blick gleitet über den Rest der Zuschauerreihen und wie die Mädchen bereits vermutet hatten, sieht uns fast die ganze Jungenmannschaft zu. Ich entdecke Ronny und Jim, Matts Freunde, die für gewöhnlich mit uns zu Mittag essen, einige Kerle, deren Namen ich nicht kenne, und selbstverständlich Alex. Mein Rivale hat sich auf seinem Platz zurückgelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Auf seinen Lippen prangt ein herausforderndes Grinsen. Eines, das unmissverständlich fragt: »Und? Glaubst du wirklich, dass ihr noch eine Chance habt?«
Was für ein Idiot!
Aber gut, er ist hergekommen, um uns verlieren zu sehen, und diese Genugtuung lasse ich ihm nicht. Auf gar keinen Fall! Nach einem letzten, hasserfüllten Blick in seine Richtung drehe ich mich um und positioniere mich im zentralen Mittelfeld neben Amber. Rechts von mir steht Natalie und im linken Mittelfeld entdecke ich Heather. Kurz schaue ich über die Schulter, um mich zu versichern, dass kein einziger Ball es durch unsere Defensive schaffen wird. Unsere Innenverteidigerinnen Stephanie und Laura mit Unterstützung durch Meghan und Liza werden alles geben und Leslie im Tor stellt ein weiteres unüberwindbares Hindernis dar.
Als der Anpfiff ertönt, spanne ich mich unwillkürlich an und richte meine volle Aufmerksamkeit auf den Mittelkreis. Ella übernimmt den Anstoß, passt ihn zu Rachel und von dort aus weiter zu Amber, die ihn problemlos annimmt und sich in Bewegung setzt.
Gleichzeitig renne auch ich los und behalte unsere Gegnerinnen im Auge. Sie preschen auf Amber zu, doch bevor sie sie erreiche, passt sie den Ball zu mir und ich wiederum zu Rachel. Wir sind schnell, wir sind wendig und niemand kann uns das Wasser reichen.
Mehr als einmal versucht Karen, mir den Ball in halsbrecherischen Manövern abzunehmen, allerdings lasse ich es nicht zu. Ich denke nicht mehr über meine nächsten Schritte nach, sondern bewege mich wie in einer einstudierten Choreografie, aus der ich am Ende als Siegerin hervortrete. Die Hintergrundgeräusche von den Zuschauerrängen her verlieren an Bedeutung und das Einzige, was noch zählt, ist der Sieg, den wir mit nach Hause nehmen.
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