Love in Every Detail - Annie Laine - E-Book

Love in Every Detail E-Book

Annie Laine

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Beschreibung

Zwar ist Ella in der Schule für ihr aufbrausendes Temperament bekannt, aber diesmal könnte ihre Strafe nicht schlimmer aussehen: Ausgerechnet sie soll bei der Planung des Winterballs helfen. Als wäre eine weitere Gruppenarbeit nicht schlimm genug, besteht das Komitee bisher aus einer einzigen Person. Der liebenswürdigen, hilfsbereiten, perfekten Holly, die stets ein zu süßes Lächeln auf den Lippen trägt und Ella mit ihrer guten Laune zur Weißglut treibt. Doch zwischen langen Tabellen, pinken Planungsordnern und jeder Menge gemeinsamer Zeit fängt selbst Ellas Herz an, zu schmelzen. Und als sie hinter Hollys perfekte Fassade zu blicken beginnt, kann sie ihr Herzklopfen nicht länger leugnen …

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Für mich
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Epilog
Danksagung
Über die Autorin

Annie Laine Love in every Detail

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

 

 

Impressum:

 

© 2024 Annie Laine

Anna-Lena Krug

Probstheidaer Straße 69/0201

04277 Leipzig

Lektorat: Cara Rogaschewski (www.wortverzierer.de)

Korrektorat: Klaudia Szabo (www.wortverzierer.de)

Cover: Emily Bähr (www.emilybaehr.de)

 

Dieses Werk ist auch als Taschenbuch erschienen.

 

Für mich

Weil ich endlich die Geschichten erzählen kann, nach denen mein Herz sich schon so lange sehnt.

Kapitel 1

»Ich weiß, wie das gerade aussieht, aber ich schwöre, ich habe eine gute Erklärung dafür!«

Ms. Park sieht von dem Papierkram auf ihrem Schreibtisch auf, als ich das Sekretariat betrete und sie mit diesen sorgsam ausgewählten Worten begrüße. Sie erzielen jedoch nicht den gewünschten Effekt, denn die ältere Dame stößt bei meinem Anblick bloß ein frustriertes Seufzen aus und schüttelt den Kopf.

»Was auch immer dieses Mal Ihre Ausrede ist, Ms. Martin, ich will sie nicht hören«, erwidert sie barsch, als wüsste sie bereits, was jetzt kommt. Sehr wahrscheinlich tut sie das auch. Immerhin hatten wir exakt diese Unterhaltung schon vier weitere Male in den letzten zwei Monaten, was selbst für mich ein neuer Rekord ist.

»Sind Sie sich da sicher? Es ist eine spannende Geschichte voller Action, Drama und einer missverstandenen Heldin …«

»Lassen Sie mich raten: Sie sind die missverstandene Heldin, die selbstverständlich keine solche Behandlung verdient?«, geht sie darauf ein.

Ich grinse zufrieden. »Ganz genau.«

Damit entlocke ich ihr nur ein weiteres Seufzen. »Geben Sie mir den Schein Ihrer Lehrkraft«, bittet sie mich als Nächstes und streckt auffordernd eine Hand in meine Richtung.

Pflichtbewusst reiche ich ihr den Zettel, den mein Geschichtslehrer eilig in seiner krakeligen Handschrift ausgefüllt hat, bevor er mich hierhergeschickt hat.

Ms. Park überfliegt ihn mit geübtem Blick. Obwohl es mir ein absolutes Rätsel ist, wie sie dem Gekritzel überhaupt etwas entnehmen kann, betrachtet sie mich danach voller Tadel.

»Unruhestiftung, Unterrichtsstörung und … Beleidigung eines Mitschülers. Ms. Martin, das ist das fünfte Mal seit Schuljahresbeginn!«, empört sie sich, als wäre mir das nicht selbst bewusst.

Aber das ist nur eine Seite der Geschichte. Was nicht auf dem Wisch steht, interessiert natürlich niemanden. Hauptsache, eine Schuldige kann identifiziert und bestraft werden. Und leider darf ich mal wieder als Sündenbock herhalten.

»Das weiß ich selbst«, murre ich. »Ich war dabei.«

»Jetzt werden Sie mal nicht frech«, weist sie mich daraufhin zurecht und legt den Zettel vor sich ab, bevor sie sich wieder ihrem Computer zuwendet. »Sie kennen das Prozedere ja bereits. Nehmen Sie Platz, und ich gebe Mr. Benson Bescheid, dass Sie hier sind, sobald sein laufendes Gespräch beendet ist.«

Sie macht sich nicht einmal mehr die Mühe, auf die drei alten Holzstühle zu deuten, die an der Wand direkt gegenüber vom Büro des Schulleiters stehen. Ich setze mich auf den rechts außen, weil er der einzige ist, der nicht unter meinem Gewicht knarzt, als würde er jeden Moment in seine Einzelteile zerfallen, und warte.

Die paar Minuten, nachdem man sich bei Ms. Park gemeldet hat, bis das Gespräch beginnt, sind immer die schlimmsten. Nicht nur, dass sie sich ziehen wie Kaugummi, das stete Ticken der Uhr über der Tür vermischt mit dem Klackern der Tastatur, an der die Sekretärin arbeitet, löst in mir immer eine nervöse Unruhe aus.

Ich sollte mir Gedanken darüber machen, was ich dem Direktor erzähle, um zumindest etwas glimpflicher davonzukommen. Doch selbst wenn es mir möglich wäre, mich zu konzentrieren, hätte es keinen Sinn. Schon in der Vergangenheit konnte ich mich nicht aus der Situation herausreden. Warum sollte das jetzt anders sein? Also bereite ich mich mental auf eine weitere Woche Nachsitzen vor. Wenigstens kann ich dort in Ruhe meine Hausaufgaben erledigen.

Und hey, vielleicht hat die arme Seele, die im Moment eine Standpauke kassiert, ja etwas Schlimmeres verbrochen als ich.

Um mich abzulenken, lasse ich den Blick schweifen und suche etwas, worauf ich meine Aufmerksamkeit richten kann, bis ich unweigerlich ins Direktorat gerufen werde.

Seitdem ich vor zwei Wochen das letzte Mal hier war, hat sich das Sekretariat kaum verändert. Die riesige Monstera-Pflanze ist von ihrem Stammplatz neben der Tür zum Fenster umgezogen, und ein neues Foto des Footballteams ziert die Wand neben der Tür des Direktorats. Vermutlich ist es nach dem gewonnenen Spiel letzte Woche entstanden. Es passt perfekt zu den anderen gerahmten Bildern verschiedener Schulteams nach siegreichen Wettkämpfen.

Endlich wird die Klinke von innen heruntergedrückt, und ich sehe zu, wie die Tür zunächst nur einen Spalt geöffnet wird. Nicht genug, um die Personen im Büro zu erkennen, aber es reicht, um das Ende des Gesprächs zu belauschen.

»Das hört sich alles sehr vielversprechend an. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei, und halten Sie mich auf jeden Fall auf dem Laufenden.« Ich horche auf. Der Direktor klingt, als hätte er gute Laune, ein positives Zeichen.

»Aber selbstverständlich«, verspricht die andere Person mit einer glockenhellen Stimme, die mir nur allzu bekannt vorkommt. Ausgerechnet sie. Warum bin ich eigentlich davon ausgegangen, dass sich heute noch jemand außer mir Ärger eingehandelt hat? Gut, das könnte immer noch sein, doch das Mädchen, zu dem diese Stimme gehört, ist das krasse Gegenteil einer Unruhestifterin. »Nächste Woche zur gleichen Zeit?«, fragt sie.

»Wie immer, Ms. Evans«, bestätigt Mr. Benson. »Sollte bis dahin irgendetwas Dringendes sein …«

»… melde ich mich, ich weiß. Bis nächste Woche«, verabschiedet sie sich und schiebt die Tür gänzlich auf.

Zuerst sehe ich ihre langen blonden Wellen, die sich wie flüssiges Gold über ihren mir zugewandten Rücken ergießen. An einigen Stellen blitzen Stücke ihres pinken Strickpullis zwischen den Strähnen hindurch. Dazu trägt sie eine helle, enge Jeans, die ihre schlanken Beine an genau den richtigen Stellen betont.

Wie jeden Tag, wenn ich sie in den wenigen Kursen, die wir teilen, sehe oder wir uns auf dem Flur über den Weg laufen, sieht Holly nicht weniger als perfekt aus. Wunderschön und märchenhaft wie eine Disney-Prinzessin. Womöglich helfen ihr morgens sogar Vögel und Eichhörnchen beim Ankleiden.

Gott, ich kann sie nicht leiden.

Als sie ihren Kopf Richtung Sekretariat dreht, fällt ihr Blick direkt auf mich. Sofort wird das Lächeln auf ihren Lippen zu einem überraschten O. Jedoch nur für ein paar Sekunden, ehe es sich seinen Platz in ihrem Gesicht zurückerobert.

»Oh, hi, Ella«, begrüßt sie mich überschwänglich, als wären wir seit Ewigkeiten Freundinnen. Was wir nicht sind. Nicht einmal annähernd.

Vielleicht hätten wir irgendwo in einem Paralleluniversum welche sein können. Aber in diesem hier hat sie diese Chance vertan, als sie begonnen hat, mich immer und überall in den verdammten Schatten zu stellen.

Ich habe in der Grundschule den Buchstabierwettbewerb gewonnen. Schön, aber Hollys Team ist zum Finale der Matheolympiade nach Lansing gefahren … und am nächsten Tag mit einer goldenen Trophäe zurückgekommen.

In der Mittelstufe wurde meine Ausarbeitung über erneuerbare Energien im Rahmen unserer Klimaprojektwoche ausgestellt. Doch an Hollys Präsentation über Möglichkeiten, den CO2-Fußabdruck unserer Schule zu senken, kam ich trotzdem nicht ran.

Selbst in so alltäglichen Dingen wie dem Sportunterricht hatte ich nie eine Chance gegen sie. Während sie problemlos eine Runde nach der anderen in unserer Turnhalle joggt, könnte ich mich nach noch nicht mal einer erschöpft wieder auf die Bank fallen lassen. Kein Wunder, dass sie immer Team-Kapitänin ist – und ich stets als Letzte gewählt werde.

Vor ein paar Jahren dachte ich, ich wäre ihr endlich in etwas voraus, als ich angefangen habe, mit Make-up herumzuprobieren, und schließlich richtig gut wurde. Nur damit alle Holly für ihre natürliche Schönheit feiern, weil sie ›Schminke nicht nötig hat‹. Ich habe damals beschlossen, diesen nicht sonderlich subtilen Seitenhieb einfach zu ignorieren.

Vielleicht war die ganze Sache zwischen uns irgendwann mal eine mehr oder weniger freundliche Rivalität, doch mittlerweile sehe ich dieses Mädchen an, und die Gefühle jeder einzelnen Niederlage gegen sie kämpfen sich wieder ans Tageslicht. Man sollte meinen, meine Abneigung gegen sie wäre spätestens dann abgestumpft, als sie auch noch zur Schulsprecherin gewählt wurde, aber das ist absolut nicht der Fall.

Und das Schlimmste daran ist: Sie merkt es nicht einmal. Nein, trotz allem begegnet sie mir stets mit einem Lächeln und freundlichen Worten auf den Lippen, als ahne sie überhaupt nichts davon, wie wahnsinnig sie mich macht.

»Hallo, Holly«, presse ich hervor und versuche, meinen Tonfall neutral zu halten. Warum musste ausgerechnet sie mich hier sehen? Reicht es nicht, dass die anderen aus meinem Geschichtskurs sich in der Mittagspause die Münder über mich zerreißen werden?

Holly drückt ihren pastellpinken Ordner an die Brust und kommt ein paar Schritte auf mich zu. Hinter ihr schiebt sich Ms. Park vorbei ins Direktorat. Vermutlich, um Mr. Benson meinetwegen Bescheid zu geben.

»Und? Was führt dich hierher?«, will sie wissen, als wäre das nicht offensichtlich.

Ich hebe eine Braue. »Was wohl?«

Ihr Lächeln verblasst erneut. »Schon wieder?«, fragt sie dann, ohne dabei tadelnd oder gar vorwurfsvoll zu klingen. Stattdessen wird ihre Miene weich. »Tut mir leid.« Sie sieht aus, als wollte sie mehr sagen, doch bevor sie es aussprechen kann, ertönt die Klingel und läutet die Mittagspause ein. »Verdammt, ich muss los«, ruft Holly erschrocken aus. »War schön, mit dir gesprochen zu haben. Und nimm’s nicht so schwer. Es wird bestimmt alles gut.«

Mit diesen Worten eilt sie davon, und ich bin wieder allein. Allerdings bleibt die Ruhe mir nicht lang vergönnt, denn kurz darauf kommt Ms. Park zurück und setzt sich wortlos an ihren Schreibtisch, um die Arbeit wieder aufzunehmen.

Weitere zwei Minuten später öffnet sich erneut die Tür, und Mr. Benson tritt in den Raum. Er ist ein sportlicher Mann mittleren Alters. Aschblondes, kurzes Haar, kantiges Gesicht und breite Schultern, die in seinem Jackett besonders zur Geltung kommen. Rein objektiv betrachtet würde man ihn bestimmt als attraktiv bezeichnen, sofern man auf ältere Männer steht. Was auf mich weder in Bezug auf das Alter noch auf das Geschlecht zutrifft.

Ich bemühe mich, eine neutrale Miene aufrechtzuerhalten, während ihm die Enttäuschung förmlich ins Gesicht geschrieben steht.

»Komm rein, Ella.« Mit einer Kopfbewegung deutet er ins Innere seines Büros, den Ort, den ich dieses Jahr schon viel zu häufig besucht habe.

Leise seufzend folge ich seiner Aufforderung und erhebe mich von meinem Stuhl, der nun doch knarzt, als mein Gewicht verschwindet. Dann überbrücke ich die Distanz in wenigen großen Schritten, um das Unvermeidliche nicht länger aufzuschieben, und drücke mich an ihm vorbei in den Raum.

Er schließt die Tür hinter uns, und sowohl das Ticken der Uhr als auch die Geräusche von Ms. Parks Tastatur verblassen. Es ist vollkommen still. Wie die Ruhe vor dem Sturm. Auf einmal wünsche ich mir beides zurück.

Ohne darauf zu warten, dass Mr. Benson mir einen Platz anbietet, lasse ich mich auf einen der deutlich bequemeren Polsterstühle vor dem massiven Schreibtisch fallen und stelle meine Schultasche auf dem anderen ab.

Der Schulleiter setzt sich derweil mir gegenüber und faltet die Hände vor sich auf der Tischplatte. Mir entgeht nicht, dass rechts von ihm auf einem Stapel Papierkram meine Schülerakte liegt, die durch diverse Verweise und Strafarbeiten leider nicht mehr so flach und handlich ist, wie sie sein könnte.

»Möchtest du mir deine Version der Geschichte erzählen, bevor wir darüber sprechen, wie es jetzt weitergeht?« Mr. Benson sieht mich auffordernd an.

»Wozu?«, erwidere ich. »Es ist doch das Gleiche wie immer. Jemand – Jeff, im heutigen Fall – bringt mich auf die Palme, ich verteidige mich und lande hier«, murre ich, und Wut brodelt in mir, als ich wieder an diesen Schwachmaten denke.

»Laut Mr. Morales hast du Jeff als ›inkompetenten Vollidioten‹ bezeichnet, ihm vorgeworfen, er sei ›dümmer als ein Stück Toastbrot‹ und ›du würdest lieber mit einem Schimpansen zusammenarbeiten‹.«

Oh. Ja, stimmt. Das habe ich.

Ich frage mich nur, woher er das weiß. Offenbar hat mein Geschichtslehrer bei der Beschreibung des Vorfalls kein Detail ausgelassen, und alle außer mir waren in der Lage, seine furchtbare Handschrift zu entziffern.

»Zu meiner Verteidigung: Der Schimpanse wäre sicher in der Lage gewesen, dem Arbeitsauftrag zu folgen. Jeff hat nicht mal den Text für die Ausgangssituation unseres Projekts gelesen.« Dabei habe ich doch gar nicht viel verlangt. Alle Mitglieder der Gruppe sollten die Vorgaben lesen und sich Gedanken darüber machen, welchen Teil sie am interessantesten finden, damit wir während der heutigen Stunde die Aufgaben verteilen können. Aber das funktioniert nur, wenn alle zumindest das Minimum erledigen.

Was hasse ich Gruppenarbeiten. Immer gibt es eine oder mehrere Personen, die sich zurücklehnen und den Rest alles erledigen lassen. Für gewöhnlich beschränkt sich dieser Rest der Gruppe auf meine Wenigkeit. Natürlich tue ich alles, was von uns erwartet wird, aber glücklich macht es mich nicht, zuzusehen, wie die anderen Mitglieder für meine Arbeit gelobt werden, obwohl sie selbst keinen Deut dazu beigetragen haben. Es wäre deutlich entspannter für alle Beteiligten, wenn es diesen Mist nicht gäbe. Oder er optional wäre.

»Es mag sein, dass Jeff deine Erwartungen enttäuscht hat. Das heißt allerdings noch lange nicht, dass deine Reaktion auch gerechtfertigt ist. Noch dazu hast du damit die Konzentration der restlichen Klasse gestört. Du weißt, dass die Aktion Konsequenzen nach sich ziehen muss«, erklärt Mr. Benson und besitzt dabei die Dreistigkeit, tatsächlich entschuldigend zu klingen. Als wären ihm die Hände gebunden, dabei ist er der Schulleiter. Er könnte mich genauso gut mit einer Predigt und ohne eine Strafe zurück in den Unterricht schicken, doch das hat er bisher nie getan.

Also gut, bringen wir es hinter uns.

»Wie lange muss ich nachsitzen?«, will ich wissen. »Eine Woche? Zwei? Länger?« Mehr als zwei Wochen wurden mir für Vergehen derselben Größe noch nie aufgebrummt, doch als er nicht direkt antwortet und das Gespräch für beendet erklärt, beginne ich, mir Sorgen zu machen.

»Du musstest die letzten vier Male nachsitzen, nicht wahr?«

Als ob er das nicht wüsste.

»Richtig.«

»Und trotzdem wirst du immer wieder auffällig und in mein Büro geschickt.«

Mir gefällt die Richtung nicht, die diese Unterhaltung nimmt. Ich runzle die Stirn und lehne mich mit verschränkten Armen auf meinem Stuhl zurück. »Worauf wollen Sie hinaus?«

»Offensichtlich hilft Nachsitzen nicht dabei, dein Verhalten zu verbessern, also ist es nicht die richtige Konsequenz für dich.«

»Also lassen Sie mich so gehen?«, frage ich und hebe skeptisch eine Braue. So recht kann ich das nicht glauben. Es wäre zu einfach. Wo ist der Haken?

Als wollte er meine Befürchtung direkt bestätigen, lacht Mr. Benson auf. »Das würde ich gern, Ella, aber Konsequenzen gehören dazu, wenn man Fehler macht. Dazu kommt, dass es dein fünftes Vergehen dieses Jahr ist. Die Schulordnung sieht eigentlich eine dreitägige Suspendierung vor.«

Moment. Was?

So viel zu Hollys optimistischem ›Es wird alles gut‹.

»Sie wollen mich suspendieren?« Bei dem Ausruf erreicht meine Stimme ungeahnte Höhen. So einen Schandfleck kann ich nicht auch noch in der Schulakte gebrauchen!

»Das sollte ich, aber tatsächlich glaube ich nicht, dass du dadurch deine Lektion lernen würdest.«

»Lektion?« In Sekundenbruchteilen weicht meine Panik über den potenziellen Unterrichtsausschluss Empörung. Ich schürze die Lippen. »Ich habe nichts zu lernen. Sie wissen so gut wie ich, dass mein Notendurchschnitt einer der besten dieser Schule ist.«

»Das stimmt. Du bist ein Ausnahmetalent, wenn es um Klausuren, Aufsätze und Einzelprojekte geht«, pflichtet er mir bei und nickt sogar anerkennend. Wieso fühle ich mich trotzdem, als würde er mich tadeln, anstatt mich zu loben? »Und wenn es eine Sache gibt, die ich über dich weiß, dann ist es, dass du keine Unruhestifterin bist. Du bist einfach nicht in der Lage, in einer Gruppe zu arbeiten.«

»Da sind wir uns zur Abwechslung einig. Vor allem, wenn die Lehrkräfte mich mit Idio…« Ich stoppe mich, als ich merke, wie er seine Braue hochzieht. »… ich meine, Schüler*innen wie Jeff zusammenstecken. Wenn ich allein arbeiten dürfte, hätten wir kein Problem.«

Wäre das hier ein Wettbewerb, hätte ich jetzt gewonnen, denn anstatt einer Erwiderung erhalte ich nur einen ratlosen Blick und ein Seufzen. Mr. Benson hebt seine Arme, die er die ganze Zeit ruhig auf dem Schreibtisch abgelegt hatte, und fährt sich mit einer Hand durch das aschblonde Haar.

»Ich denke, wir können diese Diskussion noch Stunden weiterführen, ohne auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Sie haben doch bestimmt schon eine Strafe im Kopf, also bringen wir es hinter uns«, schlage ich letztendlich vor. »Dann haben Sie Ihre Ruhe, und ich kann etwas essen.«

Zu meiner Überraschung – und Erleichterung – zucken Mr. Bensons Mundwinkel belustigt. Ich hatte bereits damit gerechnet, den Rest meiner Mittagspause hier zu verbringen und den zweiten Unterrichtsblock hungrig zu bestreiten, doch offenbar bleibt mir dieses Schicksal erspart.

»Da magst du recht haben, Ella. Also gut, machen wir es kurz. Damit du dein zukünftiges Verhalten verbessern kannst, musst du unbedingt lernen, als Teil einer Gruppe zu agieren. Glücklicherweise sucht das Planungskomitee für den diesjährigen Winterball noch personelle Unterstützung, und ich bin überzeugt, dass du die Richtige für den Job bist.«

Das ist so weit außerhalb meiner Erwartungen, dass ich ihn für einen Moment bloß perplex anstarren kann. Ich warte darauf, dass er lacht und mir sagt, dass es nur ein Scherz war. Lieber würde ich einen ganzen Monat – oder meinetwegen zwei – nachsitzen, als einen verdammten Ball zu organisieren. Doch das passiert nicht.

Nach ein paar Sekunden wird mir klar: Er meint das ernst.

»Die Alpena High hat keinen Winterball«, bringe ich hervor und bemühe mich, so neutral wie möglich zu klingen. Ich besuche die Schule inzwischen das dritte Jahr. Gäbe es eine solche Veranstaltung, wüsste ich davon. Was für einen Mist hat er sich da bitte ausgedacht?

»Jetzt schon«, erwidert er, immer noch amüsiert. »Ich lasse das Ballkomitee wissen, dass du dabei bist. Sie setzen sich dann mit dir in Verbindung.«

»Was für eine Strafe ist das bitte?«

»Eine effektive, wenn ich sehe, wie du darauf reagierst.«

Oh, er ist bestimmt so stolz auf sich, dass ihm das eingefallen ist.

Ich will gerade etwas entgegnen, als das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelt. Er wirft einen kurzen Blick darauf, ehe seine volle Aufmerksamkeit wieder auf mir liegt. »Wir können heute Abend zu Hause weiter darüber sprechen, wenn es dich glücklich macht, aber das ist deine Mutter, und ich denke, wir sind uns einig, sie nicht warten zu lassen. Also genieß den Rest deiner Pause.« Mit diesen Worten bin ich entlassen, denn er nimmt den Hörer ab und begrüßt meine Mutter mit einem liebevollen: »Hallo, Schatz, wie ist dein Tag bisher?«

Und weil ich mir nicht mehr von ihrem Geturtel anhören möchte, schnappe ich meinen Rucksack und ergreife die Flucht.

 

Kapitel 2

Spencer wartet auf dem Gang vor dem Sekretariat auf mich, als ich rauskomme. Er lehnt an der gegenüberliegenden Wand und ist in ein Buch vertieft, dessen Titel ich nicht erkennen kann, während mehrere Grüppchen auf dem Weg zur Cafeteria an ihm vorbeiziehen. Dabei bemerkt er mich nicht einmal, was mir trotz der Frustration über den Ausgang des Gesprächs ein Schmunzeln entlockt.

Ich nähere mich meinem besten Freund, der den Blick nicht von seiner Lektüre abwendet, und wuschele ihm durch die kurzen Locken, die aktuell in einem leuchtenden Türkis erstrahlen. Sofort zuckt er zusammen und lässt beinahe das Hardcover fallen. Im letzten Moment kriegt er es wieder zu fassen und drückt es sich an die Brust. Gleichzeitig fährt er zu mir herum. Seine blauen Augen sind geweitet.

»Verdammt, Ella! Erschreck mich doch nicht so!«, mault er, während er eine Hand nutzt, um seine Frisur zu richten. Wir wissen beide, dass er nicht sauer ist. Es ist bei Weitem nicht das erste Mal, dass wir uns in dieser Situation wiederfinden, und inzwischen ist er es gewohnt, von mir aus dem Lesefluss gerissen zu werden.

»Entschuldige«, sage ich und deute auf seine Lektüre. »Gutes Buch?«

Auf der Stelle ist der Schock vergessen.

»Sehr gut! Ich bin jetzt bei der Hälfte und der Prinz und sein Leibwächter hatten gerade einen sehr intimen Moment, wenn du verstehst, was ich meine«, beginnt er zu erzählen, erspart mir jedoch weitere Details. Die Art, wie er mit den Augenbrauen wackelt, verrät mir alles, was ich wissen muss.

»In dem Fall tut es mir noch mehr leid, dass ich dich unterbrochen habe«, erwidere ich und hake mich in einer fließenden Armbewegung bei ihm unter, bevor wir gemeinsam loslaufen. »Mittagessen?«

»Das sollte es auch«, stimmt er mir zu und lässt sich widerstandslos von mir in Richtung Cafeteria führen. »Und ja, bitte. Ich hoffe, wir kriegen noch was von dem Schokopudding.«

»Vermutlich nicht«, nehme ich ihm diese Hoffnung auf der Stelle.

Den heißbegehrten Nachtisch gibt es nur dienstags und aus mir unbekannten Gründen bestellt die Schule immer zu wenig, sodass der Rest sich mit dem nicht halb so leckeren Pflaumenmus zufriedengeben muss. Man muss schon besonders schnell sein, um einen Becher zu ergattern. Ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man den Anfang der Mittagspause im Büro des Direktors verbringt. Das scheint auch Spencer jetzt klar zu werden, denn er verzieht das Gesicht.

»Ach, verdammt. Warum durfte ich dich eigentlich wieder beim Direktorat aufsammeln? Was ich übrigens nicht einmal gewusst hätte, wenn ich nicht auf dem Weg zu deinem Klassenraum Kenzie getroffen und sie es mir gesagt hätte.«

Mir entweicht auf der Stelle ein Stöhnen. »Jeff.«

»Was hat der Idiot getan?«

»Nichts.«

»Nichts?«

»Genau, das war das Problem«, erkläre ich. »Wir arbeiten in Geschichte zusammen an einem Projekt über den amerikanischen Bürgerkrieg, und er hat sich überhaupt nicht damit beschäftigt, sondern ist einfach davon ausgegangen, dass ich all die Arbeit erledige. Und die anderen beiden waren auch nicht besser.«

Allein, die Geschehnisse zu rekapitulieren, macht mich so wütend, dass ich die Schwingtür zur Cafeteria mit einem gezielten Stoß öffne. Wir beide schlüpfen hindurch und reihen uns in die Schlange der Essensausgabe ein.

»Sieht ihm ähnlich«, bestätigt Spencer und nimmt sich ein Tablett und ein weiteres, das er an mich weiterreicht. »Aber was hat das damit zu tun, dass am Ende du im Direktorat gelandet bist und nicht er?«

Dieses Mal verziehe ich das Gesicht. »Eventuell bin ich etwas lauter geworden und habe Dinge gesagt, die als Beleidigung aufgefasst werden könnten.«

»Ella, wie lange kennen wir uns?«

»Okay, ja, genau das ist passiert, und Mr. Morales hat mich mit einer sehr detaillierten Beschreibung der Ereignisse zu Mr. Benson geschickt.« Ich schnaube. »Heute Abend werde ich mir einiges deshalb anhören dürfen, glaub mir.«

Spencer wirft mir einen mitleidigen Blick zu, antwortet mir jedoch nicht direkt, weil er in diesem Moment an der Reihe ist. Er hält einen kurzen Plausch mit Dan, der seit zwei Jahren in der Schulcafeteria arbeitet und über unzählige Ecken mit Spencer verwandt ist, und erhält sein Mittagessen. Sogar mit einem Becher Schokopudding, den Dan extra für ihn zur Seite gestellt hat. Es hat definitiv Vorteile, sich mit den Mitarbeitenden anzufreunden. Sollte ich vielleicht auch mal versuchen.

Von Dan höre ich kurz darauf nur ein: »Hallo, Nudeln oder Reis?« Ich entscheide mich für Letzteres und kriege dazu eine rätselhafte Soße und einen Becher Pflaumenmus als alternativen Nachtisch.

Trotzdem bedanke ich mich und folge Spencer an den ersten freien Tisch, den wir finden. Dort setzt mein bester Freund unser Gespräch fort, als wären wir nie unterbrochen worden.

»Das ist echt Mist. Vor allem kannst du nicht mal versuchen, es vor deiner Mom schönzureden, wenn du nach dem Nachsitzen nach Hause kommst.«

»Oh, ich muss nicht nachsitzen«, korrigiere ich ihn, als würde es das besser machen.

Sofort horcht er auf. »Nicht? Ist doch super.«

»Wart’s ab, ich bin noch nicht fertig.«

Ich erkläre ihm, was stattdessen meine Strafe ist, und verziehe mit jedem Wort mehr das Gesicht. Mir ist klar, dass ich einen Weg finden muss, aus der ganzen Sache rauszukommen, aber ich weiß beim besten Willen nicht, wie. Bis vorhin wusste ich nicht einmal, dass es an dieser Schule einen Winterball gibt.

»Haben wir nicht vor zwei Wochen erst Homecoming gefeiert?«, lautet Spencers Erwiderung darauf. Mit gerunzelter Stirn schiebt er sich eine Gabel Nudeln mit der gleichen, nicht weiter benannten Soße in den Mund. »Nicht dass ich mich über einen weiteren Ball beschweren würde, aber … Wieso?«

»Um mich zu ärgern?«, schlage ich vor und tue es ihm gleich. Die Soße schmeckt überraschend gut. Zumindest etwas. »Mr. Benson meint, ich muss lernen, im Team zu arbeiten. Aber warum muss ich dafür einen Tanzabend organisieren? Ich mag Schulbälle nicht mal.«

»Aber kannst du nicht mit Benson darüber reden? Es muss doch irgendwelche Vorteile haben, dass er dein Stief…«

Sofort gehen in meinem Kopf alle Alarmglocken los. Bevor er den Satz beenden kann, beuge ich mich halb über den Tisch und lasse ihn mit einem hastigen »Psst« verstummen. »Das muss niemand wissen, okay?«, fahre ich flüsternd fort. Es reicht mir schon, dass ich nicht das höchste Ansehen innerhalb des Jahrgangs besitze. Es geht niemanden etwas an, dass meine Mom den Direktor datet.

Das scheint auch Spencer klar zu werden, denn er weitet die Augen und senkt beschämt den Blick. »Sorry.«

»Schon okay«, erwidere ich und lasse mich auf meinen Platz zurücksinken. »Und er ist nicht mein Stiefvater. Er und Mom sind nicht verheiratet«, erinnere ich ihn, immer noch im Flüsterton.

»Noch nicht.«

»Spencer!«

»Was denn? Ich war bei dir zu Hause. Sie sind schon jetzt wie ein altes Ehepaar. Also, wenn du mich fragst, ist es nur noch eine Frage der Zeit.«

Verdammt, das weiß ich.

Sehr gut sogar.

Das heißt trotzdem nicht, dass ich darüber nachdenken will.

Seufzend schüttele ich den Kopf. »Erinnere mich bitte nicht daran.«

»Okay, das ist ein Gespräch für ein andermal. Zurück zum eigentlichen Thema. Es geht also um Gruppenarbeit, richtig?«

»Richtig«, bestätige ich, dankbar für den Themenwechsel.

»Kannst du nicht einfach einem anderen Club oder so beitreten? Der Drama Club braucht doch immer Hilfe beim Gestalten der Requisiten. Sie haben schon die Handwerks-AG und uns von der Kunst-AG gefragt. Vielleicht könntest du das als Alternative vorschlagen?«

»Mit meinen zwei linken Händen soll ich Requisiten bauen?« Das ist sogar noch unwahrscheinlicher, als einen Tanzabend zu planen. Und ich bin sicher, dass Spencer sich dessen bewusst ist.

»Ist doch nur ein Beispiel.« Er winkt ab. »Außerdem brauchen sie auch Leute, die die Hintergründe streichen. Flächen ausmalen kriegst du hin, keine Sorge. Oder du schlägst ein anderes Projekt vor, das seine Ansprüche erfüllt, und hoffst, dass er sich drauf einlässt.«

Kurz denke ich darüber nach und schlecht ist die Idee nicht. Genau genommen ist es die einzige, die ich habe, also ist sie automatisch die beste, nehme ich an.

»Du könntest auch nichts dergleichen tun und dich einfach mit den Konsequenzen abfinden.« Spencer zuckt die Schultern, als wäre ihm egal, wofür ich mich entscheide. Immerhin betrifft ihn die ganze Sache nicht im Geringsten. Er versucht nur, mir zu helfen. »Zwei Monate mit unserer liebreizenden Schulsprecherin zusammenzuarbeiten, hat noch niemandem geschadet.«

Moment!

Was?

»Holly ist im Ballkomitee?«, stoße ich zwischen zusammengebissenen Zähne hervor, während ich versuche, mir die innere Unruhe, die mich überkommt, nicht anmerken zu lassen.

Natürlich ist Holly im Ballkomitee!

Was habe ich auch anderes erwartet?

Zu meiner Überraschung schüttelt Spencer jedoch den Kopf, wobei seine türkisen Locken luftig hin und her schwingen. Trotzdem graut es mir vor seiner Antwort.

»Oh Sweetie«, beginnt er in einem fast schon mitleidigen Tonfall. »Holly ist das Ballkomitee. Sie hat letztes und dieses Jahr den Homecomingball organisiert und ich glaube, sie leitet schon jetzt die Planung für unseren Prom, der übernächstes Jahr stattfindet. Ich habe zwar gerade erst durch dich von dem Winterball erfahren, aber es würde mich sehr wundern, wenn Holly nicht ihre Finger im Spiel hat.«

Ich presse die Lippen aufeinander, um mir einen Fluch zu verkneifen und nicht von der Pausenaufsicht direkt wieder zum Direktor geschickt zu werden.

Wundervoll.

Absolut fantastisch.

Als hätte sie geahnt, dass wir über sie sprechen, taucht kurz darauf Holly in meinem Blickfeld auf. Sie hat kein Tablett mit Essen bei sich und unterhält sich ausgelassen mit einer Gruppe Mädels. Nach einigen Sekunden zieht sie weiter und wiederholt das gleiche Spiel bei mehreren Tischen, ehe sie durch die Eingangstür verschwindet. Offenbar ist sich Ms. Schulsprecherin zu wichtig, um in der Cafeteria zu essen.

»Requisiten?«, fragt Spencer, der genauso wie ich das Mädchen bei seiner Runde beobachtet hat.

»Absolut«, bestätige ich. »Ich rede mit ihm und versuche, das zu klären.« Immerhin hat er mir angeboten, unser Gespräch heute Abend fortzuführen. Es wäre dumm von mir, es nicht mindestens zu probieren.

»Oh, ich will dann alle Infos.«

»Keine Sorge, ich schreibe dir«, verspreche ich, was ihm ein strahlendes Lächeln auf die Lippen treibt. Es wird sogar noch breiter, als ich fortfahre. »Und jetzt erzähl mir von deinem Buch. Du willst es doch unbedingt, nicht wahr?«

»Du kennst mich so gut.« Er seufzt erleichtert. »Also, es geht um Prinz Malin, der sich zusammen mit seiner Leibwache Riu auf eine lange, beschwerliche Reise zu seiner zukünftigen Braut begibt. Dabei trotzen die beiden einigen Gefahren und kommen sich immer näher. Am Anfang dachte ich, es wird ein Slow Burn, aber der erste Kuss kam total unerwartet im dritten Kapitel. Und mittlerweile sind sie schon deutlich weitergegangen, wenn du verstehst.«

Bei seinen letzten Worten wackelt er erneut vielsagend mit den Augenbrauen, und ich kann mir ein Kichern gerade so verkneifen. Mein bester Freund war schon immer ein Fan von Liebesgeschichten, nur waren die bis vor ein paar Monaten deutlich zahmer. Seitdem er von Booktok Empfehlungen für spicy Fantasyromane erhalten hat, gibt es für ihn kaum noch andere Bücher.

Ich verstehe zwar nicht, was so toll an expliziteren Szenen ist, doch wenn er Freude daran hat, werde ich sie ihm nicht kaputtmachen. Vermutlich bin ich einfach zu asexuell, um das zu begreifen. Allosexuelle Menschen – solche, die sexuelle Anziehung empfinden – werden mir immer ein Rätsel bleiben.

»Das freut mich für dich, aber erspare mir bitte die Details.«

»Willst du etwa nicht wissen, was sich im letzten Kapitel in Malins und Rius Zelt zugetragen hat?« In gespielter Enttäuschung setzt er einen Schmollmund auf, der mich dazu bringt, laut aufzulachen.

»Absolut nicht, aber erzähl mir gern alles andere.«

Also tut er genau das. Ich bin dankbar für die Ablenkung vom Rest meiner Probleme und lausche interessiert, während er mir von der Liebesgeschichte der beiden fiktiven Männer erzählt.

 

***

 

Irgendwann im Laufe des zweiten Unterrichtsblocks hat es angefangen, in Strömen zu regnen. Als hätte selbst das Wetter das Memo erhalten, den heutigen Tag so furchtbar wie möglich für mich zu gestalten.

Meine Sneaker samt Socken sind vollkommen durchnässt, als ich nach dem zehnminütigen Fußmarsch das Haus erreiche, in dem ich seit ein paar Monaten lebe. Meine Finger zittern so heftig, dass ich einige Versuche brauche, um mit dem Schlüssel das dazugehörige Loch zu treffen und der Kälte zu entfliehen.

Selbst nach all der Zeit fühlt sich der Eingangsbereich mit all den verschiedenen Schuhen und der geräumigen Garderobe mit einem halben Dutzend Jacken und Mänteln immer noch fremd an. Mom und ich hatten weder diese Unmengen an Kleidung noch den Platz dafür. Unsere alte Wohnung war winzig und lag in einer weniger schönen Gegend der Stadt, doch sie war mehr ein Heim für mich als dieses große Haus. Im Moment fällt es mir schwer, zu glauben, dass sich das irgendwann ändern wird.

Den Gedanken abschüttelnd, ziehe ich meine eigene Jacke aus und hänge sie zum Rest, ehe ich mir die Sneaker von den Füßen kicke und auf ihren Platz an der Seite stelle. Der Socken entledige ich mich ebenso und schlüpfe barfuß in meine kuscheligen Pantoffeln. Dann schwinge ich meinen Rucksack über eine Schulter und betrete den Wohnbereich.

Zunächst ist alles still, doch die Ruhe bleibt nicht lange bestehen. Nur wenige Sekunden nach meiner Ankunft steckt meine Mutter ihren Oberkörper durch die offene Küchentür in den geräumigen Flur. Mir fällt direkt die geblümte Schürze auf, die ich ihr in meiner Grundschulzeit geschenkt habe und die Mom immer dann trägt, wenn sie ihre innere Bäckerin hervorholt. Der Duft nach Zimt, Zucker und Schokolade, der mir in dem Moment in die Nase steigt, tut sein Übriges, um den Verdacht zu bestätigen.

»Hatte ich dich doch gehört, Spätzchen«, begrüßt sie mich lächelnd und schiebt sich eine Strähne hinters Ohr, die sich aus ihrem lockeren Pferdeschwanz gelöst hat. Mom hat die gleichen brünetten Haare wie ich, doch während ich Grandmas Wellen geerbt habe, hat das Gen sie übersprungen. Stattdessen ist ihr Haar fein und glatt und besitzt das ungeheure Talent, ständig aus dem Zopf herauszurutschen, weshalb sie es für gewöhnlich offen trägt. Außer, wenn sie kocht oder backt. Etwas, wofür sie früher selten Zeit gefunden hat.

Unser Umzug hat somit wenigstens etwas Gutes. Mom konnte ihren verhassten Job als Kassiererin kündigen, weil sie uns beide nicht mehr allein ernähren und ein Dach über dem Kopf finanzieren muss. Stattdessen kann sie sich auf ihre Karriere als freiberufliche Grafikdesignerin konzentrieren. Sie wird sich nie wieder nach einer anstrengenden Schicht im Supermarkt die Nächte mit Aufträgen um die Ohren schlagen müssen.

»Schön, dass du da bist. Ich könnte deine Hilfe in der Küche gebrauchen, falls du nicht allzu viele Hausaufgaben hast.«

Es sind schon einige, aber die Aussicht auf die ein oder andere Kostprobe von Moms nicht zu verachtenden Backkünsten lässt mich diesen Punkt auf meiner To-do-Liste gern mal ein paar Stunden nach hinten verschieben. Und Gott, heute brauche ich das.

»Die mache ich später«, verspreche ich. »Lass mich nur kurz meine Sachen wegräumen, dann stehe ich dir zu Diensten.«

Eilig bringe ich meinen Rucksack ins Schlafzimmer, schmeiße die nassen Socken in den Wäschekorb und werfe auf dem Rückweg in die Küche einen kurzen Blick in Mr. Bensons Arbeitszimmer, das sich direkt neben Moms befindet. Es ist leer, was mich gleichermaßen mit Erleichterung erfüllt wie für einen Knoten in meiner Magengegend sorgt.

Früher oder später werde ich mit ihm sprechen müssen, und die Tatsache, dass wir unter demselben Dach leben, sollte es einfacher machen. Tut es aber nicht. Es macht alles nur komplizierter. Warum musste meine Mutter sich unbedingt in meinen Schuldirektor verlieben?

Um nicht weiter darüber nachzudenken, schiebe ich diese Frage beiseite und gehe zurück in die Küche, wo meine Mutter auf mich wartet. Als ich den Raum betrete, setzt sie ihr extra breites Grinsen auf und reicht mir die geblümte Schürze, die ich schon genauso lang besitze wie sie ihre. Damals war sie mir ein ganzes Stück zu groß, und ich konnte die Bänder einmal um meine Mitte herumschlingen, bevor ich sie vor dem Bauch zu einer Schleife gebunden habe.

Inzwischen passt die Länge perfekt, was man vom Rest nicht behaupten kann, weil ich mit der Pubertät nicht nur in die Höhe, sondern auch in die Breite gewachsen bin. Und so sehr ich meinen Körper mit all seinen Kilos, Rundungen und Makeln liebe, bedarf es jedes Mal einer Menge Fingerspitzengefühl, diesen verdammten Knoten hinter meinem Rücken zu machen. Gut, dass ich inzwischen Übung darin habe.

»Fantastisch.« Zufrieden klatscht meine Mutter in die Hände und deutet danach auf die Schale, in der sich ein bräunlicher Teig befindet. »Das werden Schoko-Zimt-Muffins.«

Die mag ich am liebsten!

Als hätte sie geahnt, dass ich heute eine Aufmunterung brauche.

»Womit habe ich das verdient?«, will ich wissen.

»Der Großteil ist natürlich für Elijah und seine Klasse morgen, aber wir machen einfach ein paar mehr für dich. Als Belohnung für deine Hilfe. Was sagst du?«

Oh.

Okay.

Ich fühle mich seltsam enttäuscht, weil sie nicht etwa für mich in der Küche steht, sondern für den Geburtstag eines Jungen, der erst seit ein paar Monaten ein fester Bestandteil unseres Lebens ist. Andererseits … Was habe ich erwartet? Dass sie mich belohnt, wenn ich in der Schule mal wieder Ärger am Hals habe? Das wäre nun wirklich unrealistisch.

»Klingt gut«, antworte ich deshalb kleinlaut und greife nach den Papierförmchen, die ich in den Mulden der Backform verteile.

»Sehr schön. Und währenddessen kannst du mir erzählen, wie es in der Schule war. Derek meinte, du hast dich freiwillig für das Winterballkomitee gemeldet.«

»Oh, hat er das?« Ich bemühe mich, zu lächeln, doch es fühlt sich gezwungen an und sieht mit Sicherheit genauso aus. Ich hätte mir denken können, dass er Mom schon alles erzählt hat. Allerdings kommt unerwartet, dass er mich in ein positives Licht rückt. Freiwillig gemeldet? Ja, klar …

Sie nickt. »Als wir in eurer Mittagspause kurz telefoniert haben. Es hat mich überrascht«, gesteht sie, während sie den Ofen zum Vorheizen anschaltet. »Bisher hast du mich immer ausgelacht, wenn ich dich gefragt habe, ob du auf den anstehenden Schulball gehst. Und vor Organisationsarbeiten drückst du dich immer. Das kam also ziemlich plötzlich.« Nach ihrer Aufzählung dreht sie sich wieder zu mir um, stemmt eine Hand in die Taille und hebt erwartungsvoll eine Braue. »Was steckt tatsächlich dahinter?«

Mir entweicht ein Seufzen. War klar, dass sie die Lunte direkt gerochen hat und es einfach nur von mir hören will. »Müssen wir darüber reden?«

»Natürlich müssen wir nicht, aber du weißt, dass du mir alles sagen kannst, oder? Und damit meine ich auch alles, Spätzchen.«

Überrascht schaue ich von meiner Aufgabe auf und sie an. Kann es sein, dass sie mir doch noch nicht auf die Schliche gekommen ist? »Worauf willst du hinaus?«

»Ich meine ja nur, falls es da ein hübsches Mädchen in dem Ballkomitee gibt, das du beeindrucken willst, könnte ich das absolut nachvollziehen.«

»Mom!«, empöre ich mich und zerknülle beinahe das Papierförmchen in meiner Hand.

»Ella«, erwidert sie. »Also gibt es da …«

»Es gibt kein Mädchen«, versichere ich ihr und schüttele eilig den Kopf, als mein Smartphone zu vibrieren beginnt. Ich runzle die Stirn und greife in die Hosentasche, um es herauszuholen.

Auf dem Display wird der Eingang einer neuen Nachricht von einer unbekannten Nummer angezeigt, doch bevor ich den Bildschirm entsperren kann, trudelt die nächste ein. Und noch eine. Und eine weitere. Es hört gar nicht mehr auf.

 

Hi Ella!

 

Entschuldige, dass ich dir einfach so schreibe.

 

Ich habe nur gerade erfahren, dass du im Ballkomitee bist.

 

Das wird so toll!

 

Ich freue mich total!!!! :D

 

Hier ist übrigens Holly. ^^

 

»Verdammt, Holly«, murmle ich und schüttele den Kopf, während weitere kurze Benachrichtigungen von ihr auf dem Display aufploppen. Ist ihr nicht klar, dass eine Nachricht aus mehr als ein paar Worten bestehen darf?

»Wer ist denn Holly?« Moms Frage holt mich in die Realität zurück. Ich zucke zusammen und lasse fast mein Smartphone fallen. In etwa so muss sich Spencer gefühlt haben, als ich ihn vorhin aus seinem Lesefluss gerissen habe.

»Niemand«, erwidere ich hastig, übertrage die Nummer in meine Kontakte, damit ich künftig keine unvorhergesehenen Nachrichten von ihr erhalte, und schalte sie auf stumm. Dann stecke ich das Handy wieder weg. »Höchstens eine Nervensäge.«

Mom sagt zwar nichts, doch die Art, wie sie die Brauen hebt, sagt mehr als tausend Worte.

»Glaube mir, zwischen Holly und mir wird absolut niemals nie etwas passieren.«

Sie wirkt immer noch nicht überzeugt. »Wenn du das sagst.«

»Ich meine das ernst.«

»Und ich glaube dir, Spätzchen.« Um das Gesagte zu untermauern, drückt sie mir einen Kuss auf den Haaransatz. Ich traue ihren Worten zwar trotzdem nicht, aber früher oder später wird selbst sie einsehen, dass zwischen mir und Ms. Disney-Prinzessin nichts laufen wird. »Muffins?«

»Ja, bitte.«

Mom und ich grinsen uns an, und alles andere ist vergessen. Ich liebe diese Momente zwischen uns, wenn es keine anderen Sorgen gibt. Nur uns beide und die nächste köstliche Leckerei, die wir zusammen zubereiten und im Nachhinein gemeinsam genießen. Seitdem wir kein Zwei-Frauen-Haushalt mehr sind, sind diese Momente zwar deutlich seltener geworden, doch das macht sie nur kostbarer.

Kapitel 3

Am frühen Abend schieben wir die letzte Ladung Muffins in den Ofen. Und das, kurz bevor das Klicken der Haustür die Ankunft der restlichen Bewohner ankündigt.

»Ah, da sind ja unsere Männer. Genau rechtzeitig«, verkündet Mom zufrieden, was für mich bedeutet, dass unsere Mutter-Tochter-Zeit erst einmal wieder beendet ist.

Obwohl ich damit gerechnet habe, dass uns nicht mehr als ein paar Stunden bleiben, kann ich die Enttäuschung, die sich brennend heiß in meinem Inneren ausbreitet, nicht unterdrücken. Vermutlich werde ich mich nie daran gewöhnen, meine Mutter mit nicht nur einer, sondern gleich zwei Personen teilen zu müssen.

Mir war immer klar, dass Mom sich nach der Trennung von meinem Vater, als ich erst ein paar Wochen alt war, irgendwann wieder verlieben und ein neuer Mensch Teil unserer Familie werden würde. Nur hätte ich nie gedacht, dass dieser Mensch nicht allein ist. Oder dass es sich dabei um den Direktor meiner Schule handelt. Manchmal ist das Leben unfair.

»Nadine? Ella?«, erklingt Mr. Bensons Stimme aus dem Eingangsbereich. Ich bleibe still, doch natürlich fällt Mom mir mit ihrem »In der Küche« in den Rücken. Offenbar sieht man mir meinen Unmut an, denn sie legt eine Hand an meine Schulter und schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln. Ich erwidere es nicht, was ihres wieder verblassen lässt.

Sie öffnet den Mund, um etwas zu sagen, als ein achtjähriger Wirbelwind in den Raum stürmt. Elijah trägt eine Pudelmütze über seinen blonden Haaren und hat auch seine Winterjacke noch nicht ausgezogen. Beides scheint ihn nicht zu stören.

»Es riecht nach Kuchen«, verkündet er mit funkelnden Augen. Dabei hüpft er aufgeregt von einem Bein aufs andere, als hätte er die letzten beiden Stunden nicht beim Judo-Training verbracht. Inzwischen bin ich überzeugt davon, dass dieses Kind unerschöpfliche Energiereserven besitzt. »Gibt es Kuchen?« Bevor eine von uns beiden etwas darauf erwidern kann, entdeckt er die Muffins, die wir zum Abkühlen auf mehreren Tellern drapiert haben und darauf warten, verziert zu werden. »Muffins! Sogar noch besser! Kann ich einen haben?«

Er wartet nicht auf eine Antwort, sondern streckt direkt seine Hand nach den lecker duftenden Köstlichkeiten aus. Damit haben wir beide gerechnet. Mom und ich tauschen einen hastigen Blick, dann schiebe ich mich zwischen den Jungen und das Gebäck, um ihm den Weg zu versperren.

»Finger weg, du kleine Kröte«, ermahne ich ihn ernst, kann jedoch nicht verhindern, dass mein Tonfall zumindest ein bisschen liebevoll klingt. Elijah und ich sind zwar nicht blutsverwandt, aber von allen Veränderungen der letzten Monate kann ich mich am besten mit dem kleinen Bruder anfreunden, den ich jetzt habe. Er ist zwar nervig und anstrengend, wenn er wie ein Flummi durchs ganze Haus springt und dabei jede Menge Chaos veranstaltet, doch verdammt, es ist so schwer, sich nicht direkt in seine neugierigen Augen und die niedliche Zahnlücke zu verlieben.

»Nadine, Ella ist gemein zu mir!« Er zieht einen Schmollmund und zeigt vorwurfsvoll auf mich, während er meine Mutter mit Blicken anfleht, sich auf seine Seite zu stellen.

Mom kichert. »Sie meint das nicht so«, versichert sie ihm und geht in die Knie, damit sie mit ihm auf Augenhöhe ist. »Die Muffins sind für dich und den Rest deiner Klasse, aber erst morgen.«

»Das dauert noch so lange«, beschwert er sich.

Meine Mutter reagiert darauf, indem sie zwei Finger an ihr Kinn legt und so tut, als würde sie überlegen. »Okay, ich habe einen Vorschlag für dich«, beginnt sie und hat damit direkt Elijahs ungeteilte Aufmerksamkeit.

»Was für einen?«

»Du machst jetzt deine Hausaufgaben, dann gibt es Abendessen, und zum Nachtisch kriegt ihr beiden Süßen …« Sie deutet auf den Jungen und mich. »… jeweils einen Muffin.«

»Warum kriegt sie auch einen? Das ist unfair!«

Hach ja, Kinder, was sind sie für ein Segen.

»Weil ich geholfen habe, sie zu backen. Sonst gäbe es jetzt keine.«

Das bringt ihn zum Nachdenken. Nach ein paar Sekunden verändert sich seine Mimik, und er sieht mich widerwillig an. »Ich schätze, ich kann einen Muffin an dich abgeben. Für deine Hilfe.«

Wie überaus freundlich von ihm.

Besser, ich verrate ihm nichts von den anderen, die Mom direkt für mich zur Seite gepackt hat.

»Das will ich dir auch geraten haben«, erwidere ich und kann mir ein Schmunzeln dabei nicht verkneifen.

Mom ebenso wenig. Sie kichert leise und richtet sich wieder auf. »Gut, dass wir das geklärt haben. Jetzt ab unter die Dusche und dann an den Schreibtisch mit dir, Sweetie.«

Erstaunlicherweise lässt er sich das nicht zweimal sagen. Der Junge macht auf den Absatz kehrt und stürmt genauso aus dem Raum, wie er hereingekommen ist.

Im Türrahmen rennt er dabei beinahe seinen Vater über den Haufen. Der weicht leise lachend zur Seite aus und lässt ihn vorbei, bevor er selbst die Küche betritt.

Mr. Benson hat seinen Wintermantel abgelegt und trägt das Jackett von heute Mittag über seinem Hemd und der dunklen Stoffhose. Den Trageriemen seiner ledernen Aktentasche hat er locker über seine Schulter geschlungen, und im Gehen breitet er die Arme in einer einladenden Geste aus.

»Guten Abend, Mädels«, begrüßt er uns, wobei sich kleine Lachfältchen um seine Augen bilden, was mir komisch vorkommt. In meinem Kopf passt es nicht zusammen. Dieser Mann war für mich immer eine Autoritätsperson, jemand, mit dem man in meiner Position so wenig Berührungspunkte wie möglich haben will. Und jetzt soll ich mich damit abfinden, dass er abends heimkommt und mich als eins seiner ›Mädels‹ bezeichnet.

Absolut nicht.

Ich verdrehe die Augen und erwidere nichts darauf, doch meine Mutter findet ihn unfassbar charmant. Lachend geht sie auf ihn zu und lässt sich von ihm in eine innige Umarmung ziehen. Fehlt nur, dass er sie im Kreis herumwirbelt, bevor sich ihre Lippen in einem leidenschaftlichen Kuss treffen.

Zum Glück ist alles, was folgt, ein kurzer Schmatzer auf den Mund, dann lösen sie sich wieder voneinander. Trotzdem wende ich den Blick von den Turteltauben ab. Schlimm genug, dass ich in der Theorie weiß, auf welcher Stufe sich ihre Beziehung befindet, ich brauche es nicht direkt vor meiner Nase.

»Hattet ihr beiden Hübschen einen schönen Tag?«

Ich will mich übergeben. Wer wird schon gern vom eigenen Direktor so bezeichnet? Ich gehöre auf jeden Fall nicht dazu. Da ich kein Bedürfnis habe, meinem Mittagessen noch einmal Hallo zu sagen, unterdrücke ich den Impuls und presse die Lippen aufeinander.

»Absolut fantastisch. Ich habe heute Vormittag einige Erledigungen gemacht. Deine Anzüge aus der Reinigung hängen übrigens an unserer Schlafzimmertür. Den Nachmittag über haben Ella und ich für Elijah gebacken. Oh, ich habe ihm gerade einen Muffin zum Nachtisch versprochen, also lass dich nicht von ihm bearbeiten. Einer ist genug.«

Wieder lacht er. »Notiert. Und danke.«

»Jederzeit«, erwidert sie und küsst ihn auf die Wange. »Wie war’s in der Schule?«

»Ach, das Übliche. Einige Gespräche mit Eltern, Budgetplanung fürs kommende Jahr und allgemeiner Papierkram. Nichts Außergewöhnliches«, erzählt er und zuckt die Schultern.

Obwohl ich wusste, dass er mich nicht verpetzen würde – nachdem er Mom schon für mich angelogen hat –, überrascht mich, dass er unsere Unterhaltung nicht mal erwähnt. Keine Ahnung, wie ich das finde.

»Und du, Ella? Wie war dein Tag?«

»Gut«, antworte ich kurz angebunden.

Er versteht, dass ich nicht scharf auf eine Unterhaltung mit ihm bin, und hakt nicht weiter nach. Stattdessen wendet er sich wieder an meine Mutter.

»Ich habe noch ein paar Sachen durchzugehen. Wenn ihr etwas braucht, findet ihr mich im Arbeitszimmer.«

»Alles klar. Wir rufen dich, wenn das Abendessen fertig ist«, antwortet sie und ein zweiter Kuss folgt, bevor er die Küche verlässt und wir wieder allein sind.

Auf der Stelle fühle ich mich deutlich wohler, was meiner Mutter nicht verborgen bleibt. Sie schüttelt seufzend den Kopf, kommentiert es aber nicht. Die Zeiten, in denen sie versucht hat, mich zu überreden, ihm zumindest eine Chance zu geben, sind lange vorbei. Stattdessen schiebt sie ihren Unmut nach einigen Sekunden beiseite, hebt die Mundwinkel und lässt ihren Blick über die Arbeitsfläche schweifen.

»So!«, beginnt sie. »Wir sollten aufräumen, damit ich mit dem Abendessen anfangen kann. Es sei denn, dabei willst du mir auch helfen?«

Mom und ich wissen beide, dass ich in der Küche nur zu was zu gebrauchen bin, wenn es um Nachtisch, Kuchen oder andere Gebäcke geht. Kochen liegt mir im Gegensatz dazu gar nicht.

»Oh, ich schätze, ich habe doch noch eine ganze Menge Hausaufgaben«, rede ich mich raus, was ihr ein Kichern entlockt.

»Dann fangen wir besser mit Aufräumen an. Wir wollen die Aufgaben ja nicht noch länger warten lassen.« Demonstrativ reicht sie mir die leere Teigschüssel für die Spülmaschine neben mir. Ich ergebe mich meinem Schicksal und helfe ihr, die Küche in ihren Ausgangszustand zurückzuversetzen.

 

***

 

Ella?

 

Hallo?

 

Habe ich die richtige Nummer?

 

Ich bin mir eigentlich ziemlich sicher.

 

Also, dass ich die richtige Nummer habe. ^^

 

Vielleicht bist du gerade nicht am Handy.

 

Das ist okay.

 

Schreib mir einfach, wenn es dir passt.

 

Ich bin geduldig.

 

Holly treibt mich in den Wahnsinn. Trotz der Stummschaltung ploppen im Sekundentakt neue Nachrichten von ihr auf meinem Smartphone auf. Was nicht nur meine Nerven gewaltig strapaziert, sondern auch ihrer letzten Aussage widerspricht.

Frustriert lege ich den Kugelschreiber beiseite und drehe das Smartphone um, damit es auf dem Display liegt. Dann stütze ich meine Ellenbogen auf dem Schreibtisch ab und massiere mir die Schläfen, um wenigstens ein paar der Spannungen zu lösen, die sich dort in der letzten halben Stunde gebildet haben.

So komme ich nicht weiter.

Weder bei meinen Hausaufgaben noch in Hinblick auf die nächsten Monate. Ich weiß nur eins: Wenn Holly damit weitermacht, kann ich für nichts mehr garantieren.

Ich muss unbedingt aus diesem Komitee raus.

Wäre Spencer jetzt hier, würde er mir sagen, was zu tun ist. Er ist aber nicht hier, sondern wartet zu Hause auf meinen Lagebericht, wie er mir vorhin schon geschrieben hat. Damit ist klar, was ich zu tun habe.

Entschlossen schiebe ich meinen Drehstuhl zurück und stehe auf. Mit schnellen Schritten verlasse ich mein Schlafzimmer und laufe den Gang entlang. Vor Mr. Bensons Arbeitszimmer bleibe ich stehen, um mich zu sammeln.

Wenn ich aufgebracht und kindisch wirke, schmälert das nur meine Chancen, die ganze Sache zu meinem Vorteil zu verändern. Nein, ich muss vernünftig argumentieren und darf mir nicht anmerken lassen, wie sehr mir das alles gegen den Strich geht.

Als ich sicher bin, dass ich ruhig und gefasst wirke, führe ich meine geballte Hand zu der Tür und klopfe. Nicht einmal zwei Sekunden später ertönt ein »Herein«, also drücke ich die Klinke runter.

»Ich habe mich also freiwillig gemeldet?«

Mr. Benson sieht von seinem Schreibtisch auf, als ich sein Arbeitszimmer mit vor der Brust verschränkten Armen betrete. Auf seine Lippen schleicht sich ein kleines Lächeln.

»Ganz genau. Du bist in der Mittagspause ins Sekretariat gekommen, um dich dafür einzuschreiben«, erklärt er und zwinkert mir zu. Keine Ahnung, wie er sich vorgestellt hat, wie es wirken soll, doch ich verziehe bloß das Gesicht bei der Geste. »Zumindest, wenn es deine Mutter betrifft.«

»Mr. Benson, haben Sie meine Mom etwa angelogen?« Ich kann die Überraschung in meinem Tonfall nicht verstecken. Das ist neu. Bisher war er immer der Erste, der mich bei meiner Mutter verpetzt hat, wenn ich etwas ausgefressen hatte.

»Ella, ich bitte dich. Wir leben unter einem Dach. Privat kannst du mich gern Derek nennen.«

»Nein, danke«, widerspreche ich wie schon all die Male, die er mir das bereits angeboten hat. Es ist schlimm genug, dass Mom und ich in das Haus gezogen sind, in dem er zuvor mit seinem Sohn gewohnt hat, und ich meinen Schuldirektor jetzt öfter sehe als ohnehin schon. Da will ich nicht in die unangenehme Lage geraten, mich zu sehr an seinen Vornamen zu gewöhnen und ihn versehentlich in der Schule so zu nennen. Besser fange ich gar nicht damit an. »Und lenken Sie nicht vom Thema ab.«

Für einen Augenblick huscht ein Ausdruck der Enttäuschung über seine Züge, jedoch fängt er sich wieder.

»Ich habe die Wahrheit vielleicht etwas verzerrt.

---ENDE DER LESEPROBE---