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Musterschülerin Emilia kann es nicht glauben: Ausgerechnet Ethan ist ihr Partner in einem wichtigen Schulprojekt! Der Mädchenschwarm hat nicht nur ein verdammt loses Mundwerk, er ist auch ihr erklärter Erzfeind. Um ihre Chancen auf den Platz an ihrer Traumuniversität Stanford zu retten, wagt sie das vorgeschriebene Experiment. Mit nur 36 Fragen sollen sie sich ineinander verlieben können. Emilia ist sich sicher - eher friert die Hölle zu, als dass sie Ethans schiefem Grinsen und seinen grünen Augen verfällt. Doch mit jeder weiteren Antwort wird ihre Feindschaft auf die Probe gestellt …
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Herzlichen Dank an Arthur Aron für die freundliche Genehmigung, die ›36 Fragen‹ in diesem Buch zu verwenden, abzudrucken und anzuhängen. Copyright © der 36 Fragen: Arthur Aron, Edward Melinat, Elaine N. Aron, Robert Darrin Vallone, Renee J. Bator (1997): The Experimental Generation of Interpersonal Closeness: A Procedure and some Preliminary Findings. In: Personality & Social Psychology Bulletin, 23(4), 01.04.1997, 363-377. Sage Publication
© 2019 Annie Laine
Anna-Lena Krug
Probstheidaer Straße 69/0201
04277 Leipzig
Lektorat: Martina König
Korrektorat: Klaudia Szabo
Cover und Satz: Emily Bähr unter Verwendung von Bildmaterial via Shutterstock und Freepik (@freepik)
Fonts: Piko, Glimmer
Bildmaterial: Mark Pyzalski
Modells: Juliana Fogarassy und Philipp Zydun
Make-up: Sonja Schelchshorn
ISBN: 9783754673836
www.annie-laine.de
Weil ihr an mich glaubt und mich meinen Traum leben lasst. Ich hab euch lieb!
»Du verdammter Mistkerl!«
Die Worte schallen so laut durch die Flure der Highschool, dass vermutlich selbst die Schüler in der Bibliothek am anderen Ende des Gebäudes irritiert von ihrer Lektüre aufsehen und sich fragen, was schon wieder in Emilia Edison gefahren ist. Wer hat sie heute an den Rand der Verzweiflung getrieben und ihren Wutanfall verdient? Welcher arme Irre hat es gewagt, die Dramaqueen der Santa Barbara High zu einem verbalen Duell herauszufordern?
Die Antwort auf diese Frage ist leicht.
Die Nervensäge, die heute den Zorn der Emilia Edison auf sich gezogen hat, hört auf den Namen Ethan Ward und er scheint den Ernst seiner misslichen Lage nicht einmal ansatzweise zu begreifen.
Mit Emilia Edison legt man sich nicht an!
Oh, ich glaube, ich sollte erwähnen, dass ich das bin. Und eigentlich – das meine ich ernst – bin ich ein sehr umgänglicher Mensch. Man sollte mich nur nicht auf dem falschen Fuß erwischen. Oder mir auf die Nerven gehen, wie Ethan es leider zu gerne tut.
»Dämliche Mistziege!«, entgegnet er in der gleichen Lautstärke, wenn nicht sogar noch ein wenig lauter, als würde ihm das etwas bringen oder mich in die Flucht schlagen.
Aber weit gefehlt.
Ich bin wütend. So richtig.
Wäre das hier eine Comic, stünde ich nun kurz davor, mich von der hübschen jungen Frau mit den brustlangen brünetten Wellen und dem niedlichen rosa Sommerdress in ein grünes, muskelbepacktes Monster zu verwandeln.
Aber seien wir mal ehrlich: Grün steht mir nicht. Außerdem brauche ich selbstverständlich keine Superkräfte, um es mit einem Schwachmaten wie Ethan aufzunehmen!
Ethan Ward.
Allein wenn ich seinen Namen höre, bekomme ich Aggressionen. Und ich kann nicht verstehen, was der Rest der weiblichen Schülerschaft an ihm findet. Klar, er mag ganz passabel aussehen mit seinem brünetten Haar, das einige Nuancen dunkler ist als mein eigenes und ihm ein wenig in die Stirn fällt, und den grünen Augen. Stets kleidet er sich lässig und ist natürlich immer die Coolness in Person. Aber egal, wie gut er aussieht oder wie cool er drauf ist, ich kann diesen Kerl einfach nicht ausstehen! Und das beruht auf Gegenseitigkeit.
»Wer hat denn den Aufsatz für mein Sozialwissenschaftsprojekt in Konfetti verwandelt?«, gifte ich zurück und die Menge der schaulustigen Schüler, die sich mittlerweile um uns versammelt hat, zieht scharf und gut hörbar die Luft ein. Sie wissen, was für einen Fehler er begangen hat.
»Das Teil war am Computer geschrieben. Du hättest es einfach neu ausdrucken können, anstatt hier ein Fass aufzumachen. Kein Grund, meinen handgeschriebenen Aufsatz ebenso durch den Reißwolf zu jagen.«
Was sich im ersten Moment irrelevant anhören mag, treibt mich noch mehr auf die Palme. Ich habe mir so viel Mühe mit dem Aufsatz gegeben und nur weil ich ihn am PC geschrieben habe, heißt das nicht, dass mir das etwas bringt. Er ist nach der Pause fällig und ich habe die Datei zu Hause!
Manch einer mag mich als Streberin bezeichnen – und ehrlich: Ja, ich bin eine, aber dafür eine, die ihre Zusage für Stanford fast sicher hat. Und darauf bin ich verdammt stolz. Das lasse ich mir von Ethan nicht kaputtmachen!
Die Menge um uns hält den Atem an, die Atmosphäre ist zum Zerreißen gespannt. Alle warten darauf, was als Nächstes in der heutigen Auseinandersetzung zwischen Emilia und Ethan geschieht.
Ich mache mich zum nächsten verbalen Schlag unter die Gürtellinie bereit, als eine kalte Hand mich an der Schulter berührt und ich zusammenzucke, bevor ich blitzschnell herumfahre.
»Verdammt, Em. Hör auf mit dem Scheiß!«, fährt mich meine beste Freundin Harper an. Obwohl sie mit ihren eins fünfundfünfzig und den langen blonden Wellen wie eine zierliche Elfe aussieht, sollte man sie nicht unterschätzen. Wenn sie den Mund öffnet, ist sie die Autorität in Person, und was sie sagt, gilt.
Ich grummle eine Antwort, weil ich diesen miesen Idioten Ethan Ward am liebsten mit meinen Worten in Grund und Boden stampfen würde, damit er nie wieder auf die Idee kommt, sich mir auch nur auf zwanzig Schritte zu nähern.
Leider muss ich zugeben, dass sie recht hat. Ich sollte mich lieber darauf konzentrieren, wie ich in den nächsten elfeinhalb Minuten meinen Aufsatz ausgedruckt bekomme, damit ich ihn pünktlich abgeben kann.
Harper rauscht an mir vorbei und platziert sich strategisch klug zwischen mir und Ethan, bevor sie sich an unsere Mitschüler wendet. »Es gibt hier nichts zu sehen«, verkündet sie, aber das interessiert niemanden.
Oh Mann, sind die heute wieder schaulustig. Man könnte meinen, es gibt hier an der Schule nichts Interessanteres zu sehen als zwei Schüler, die sich auf dem Flur gegenseitig beschimpfen.
Meine beste Freundin seufzt – ein sicheres Indiz dafür, dass sie die Geduld verliert. Und bevor ich irgendetwas sagen kann, um sie zu beruhigen, ist es so weit.
»Sagt mal, seid ihr alle dort festgewachsen, wo ihr steht?«, fährt sie unsere Mitschüler an und stöhnt genervt. »Na los! Verzieht euch!«
Schneller als ich gucken kann, löst sich die Menschenansammlung auf und ich bin wieder einmal beeindruckt davon, was für ein lautes Organ sich in einem so winzigen Körper befinden kann.
Harper nickt zufrieden, wirft ihre lange Mähne theatralisch über die Schulter und sieht mich an. »Na, wie habe ich das gemacht?«, will sie wissen.
Ich würde gerne sagen, dass sie großartig ist, aber leider hat sie nicht alle vertrieben. Ethan, dessen Gesichtsausdruck immer noch darauf schließen lässt, dass er verdammt sauer ist, lässt sich von meiner besten Freundin keinen noch so kleinen Deut beeindrucken.
»Großartig. In zehn Minuten ist die Abgabe und ich bin total am Arsch. Dank dir. Glaub mir, das wirst du büßen«, meckert er mich weiter an.
»Hey, ich bin genauso ›am Arsch‹, wie du es so schön ausgedrückt hast«, fahre ich ihn an. »Und das ist deine Schuld. Ich würde sagen, damit sind wir quitt!«
Na gut, eigentlich nicht. Unsere Lehrerin in Sozialwissenschaften mag mich nämlich. Ich bin ihre Klassenbeste und sie weiß, dass ich wochenlang für den Aufsatz recherchiert habe. Sicher gibt sie mir Zeit bis morgen, um ihn abzugeben. Ja, ganz sicher! Sie würde mich niemals durchfallen lassen! Wie das bei Ethan aussieht, weiß ich nicht, aber es ist mir auch egal. Ich kann diesen Armleuchter, der sich für den Obercoolsten hält, sowieso nicht ausstehen!
***
Langsam füllt sich der Klassenraum. Harper und ich sitzen schon auf unseren Plätzen und warten auf Ms Holston. Im Gegensatz zu mir hat Harper ihren Aufsatz vor sich liegen, den ich ihr heute Morgen ausgedruckt habe.
Wer hätte ahnen können, dass ich meinen nicht abgeben kann, weil dieser Idiot Ethan meinte, ihn filmreif in Konfetti verwandeln und in die Luft werfen zu müssen, sodass die kleinen Fitzel wie zu groß geratene Schneeflocken auf uns herabregnen?
Richtig!
Niemand.
Ethan selbst ist noch nicht da. Er wartet immer bis zur letzten Minute, um einen – in seinen Augen – coolen Auftritt hinzulegen, damit sich auch ja alle Blicke auf ihn richten. Zumindest macht er das in allen Kursen, die wir gemeinsam belegen. Das sind einige, aber zum Glück nicht alle. Diesen Schwachmaten in der Klasse zu haben, ist leider kein Kinderspiel.
Wenn ich nur daran denke, was ihm für die heutige Stunde alles einfallen wird, um Ms Holston davon abzuhalten, vernünftigen Unterricht zu machen, würde ich ihm am liebsten den Hals umdrehen!
Ganz langsam.
Damit es schön wehtut und er dieses Gefühl niemals vergisst.
Vielleicht würde ihm das die Lektion erteilen, die er offenbar nicht lernen möchte, egal, wie oft er nachsitzen muss. Und er muss oft nachsitzen. Irgendwie muss er ja die Zeit wieder reinholen, die er morgens oder nach den Pausen zu spät zum Unterricht erscheint.
Und er hat es verdient!
Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft meine Unterlagen in der Mensa in einem See aus Cola – Ethans Cola – ertrunken oder meine Klamotten nach dem Sport spurlos verschwunden sind.
Und dass er meinen sorgsam ausgearbeiteten, gut recherchierten und wirklich sehr schön formulierten Aufsatz zerrissen und meine ganze Arbeit zunichtegemacht hat, war nur die Spitze des Eisberges. Ich weiß nicht einmal, wieso. Heute habe ich keinen Streit vom Zaun gebrochen. Wir sind uns aus dem Weg gegangen, bis er in der Pause auf mich zugekommen ist, mir das Teil aus der Hand gerissen und zu Konfetti verarbeitet hat. Dabei ist der Kerl schon siebzehn und keine fünf mehr.
Als Ms Holston, eine Frau um die dreißig mit kurzen dunkelblonden Haaren, pünktlich auf die Minute den Klassenraum betritt, ist Ethan immer noch nicht da. Das fällt ihr natürlich auf der Stelle auf, aber sie fragt nicht einmal, wo er steckt. Zu oft ist Ethan bereits zu spät gekommen. Daher konzentriert sie sich auf die anwesenden Schüler und begrüßt uns mit einem fröhlichen »Guten Tag, Klasse«, bevor sie zur Tagesordnung übergeht.
»In den letzten vier Wochen hatten Sie Zeit, sich über ein bestimmtes Thema zu informieren, zu recherchieren und dieses in Form eines Aufsatzes zu bringen. Heute ist Abgabe und dieser Aufsatz macht sechzig Prozent Ihrer Gesamtnote aus. Ich hoffe, dessen sind Sie sich bewusst.«
In anderen Worten: Dieser Aufsatz ist verdammt wichtig, denn wer ihn nicht abgibt oder keine halbwegs annehmbare Note darauf bekommt, fällt durch den Kurs.
Besser, ich mache direkt reinen Tisch und kläre den Sachverhalt, weshalb ich keinen Aufsatz abgeben kann, bevor Ethan kommt. Also hebe ich meine Hand und bereite mich mental auf die Beichte vor, durch die ich nun durch muss. Noch nie habe ich etwas nicht termingerecht abgeben. Was für eine Blamage!
»Ja, Ms Edison? Haben Sie ergänzende Worte? Sie haben Ihren Aufsatz seit einer Woche fertig, wie ich hörte.«
»Ja. Ja, das hatte ich«, bestätige ich, obwohl es nicht ganz stimmt. Ich habe in den letzten Tagen noch einiges geändert und dem Text den letzten Feinschliff verpasst. »Leider habe ich meinen Stick zu Hause liegen gelassen und aufgrund … unvorhergesehener Ereignisse liegen die Schnipsel meines Aufsatzes jetzt in der Schulcafeteria verteilt. Leider kann ich ihn deshalb heute nicht abgeben.«
Ich setze eine mitleiderregende Miene auf, damit sie mir verzeiht und mich später abgeben lässt. Außerdem möchte ich mir auf die Schulter klopfen, weil ich es geschafft habe, Ethan nicht mit einem Wort zu erwähnen. Dass er dahintersteckt, wird Ms Holston noch früh genug erfahren.
Meine Lehrerin runzelt die Stirn, bevor sie zu einem hoffentlich positiven Ergebnis kommt. »Nun, ich muss sagen, das ist äußerst bedauerlich«, beginnt sie und ich klammere mich an diesen schwachen Hoffnungsschimmer, bevor sie fortfährt und ebendiese Hoffnung wieder zerschlägt. »Allerdings hatte ich Ihnen einen Abgabetermin genannt und Sie hätten ihren bereits beendeten Aufsatz schon zu einem früheren Zeitpunkt abgeben können«, erklärt sie mir und wendet den Blick ab, als hätte sie damit das Thema beendet. Dass ihre Klassenbeste durchfällt – ohne ihr eigenes Verschulden –, scheint ihr nichts auszumachen.
Ich kann es nicht glauben! Ich kann doch nicht einfach so durchfallen. In einem der Fächer, in denen ich besonders gut bin. Dieser verdammte Aufsatz hätte mein Freifahrtschein durch den Kurs sein sollen, aber das hat sich damit wohl.
Ein Teil von mir will aufgeben – schließlich würde ich niemals meiner Lehrerin widersprechen –, aber ein anderer Teil ist stärker. Der, der sich nicht einfach so mit einer schlechten Note abfinden würde. In dieser Hinsicht bin ich wohl wirklich eine mustergültige Bilderbuch-Streberin.
»Aber …«, erhebe ich Einspruch, doch werde jäh unterbrochen, als die Tür mit einem Knall gegen die Wand donnert. Schreck fährt mir durch Mark und Bein und blitzschnell drehe ich meinen Kopf in Richtung der Geräuschquelle.
Im nächsten Moment steigt eine unfassbare Wut in mir auf, denn da steht er, der Albtraum meiner schlaflosen Nächte und mein erklärter Todfeind.
Ethan.
Cool, wie er nun einmal ist, schlendert er durch die Tür, nachdem er für den größten Auftritt in der Geschichte der Verspätungen an der Santa Barbara High gesorgt hat, sieht Ms Holston direkt an und öffnet den Mund, um etwas zu sagen, doch eine ernst gemeinte Entschuldigung hört sich anders an.
»Sorry, dass ich zu spät bin.«
Die Lehrerin seufzt und schüttelt den Kopf, aber inzwischen weiß auch sie nicht mehr, was sie noch dazu sagen soll. Sie hat ihn bereits so oft zur Rechenschaft gezogen, dass es an Bedeutung verloren hat.
»Haben Sie wenigstens Ihren Aufsatz dabei, Mr Ward?«, fragt sie.
»Hätte ich eigentlich gehabt«, antwortet dieser und wirft mir einen leicht säuerlichen Blick zu, als würde er mir gerne ein paar wüste Beschimpfungen an den Kopf werfen. »Allerdings hat Ihre Musterschülerin es für unabdingbar gehalten, ihn zu zerreißen.«
»Nachdem er meinen zerrissen hat!«
Die Worte haben meinen Mund schneller verlassen, als ich es realisieren kann, und blöderweise sind sie auch noch richtig laut und ich werde im nächsten Moment von Ms Holston gerügt, ich solle ruhig bleiben.
»Aber es ist wahr!«, mischt sich Harper ein und erhebt die Stimme. »Ich war dabei, Ms Holston.«
Darauf scheint unsere Lehrerin zu hören. Sie dreht sich zu Harper und nachdem niemand im Raum Gegenteiliges hervorbringt, seufzt sie. »Also gut. Was ist in der Mittagspause passiert?«, will sie wissen.
Bis auf Harper halten sich unsere Mitschüler bedeckt. Dabei habe ich die Hälfte von ihnen in der Cafeteria gesehen, als das Unglück seinen Lauf genommen hat. So gut wie jeder der Anwesenden hat den Vorfall mitbekommen.
Zumindest hält meine beste Freundin zu mir. Sonst wäre ich vollkommen verloren.
»Ethan und Emilia haben sich heute tatsächlich nicht gestritten, was echt etwas Besonderes ist. Jedenfalls kam Ethan auf einmal an unseren Tisch und in einem Moment der Unachtsamkeit hat er Emilias Aufsatz geschnappt und zerrissen. Daraufhin ist sie wütend geworden und hat im Gegenzug seinen zerrissen. Jetzt sind wir hier und die beiden haben natürlich keine Aufsätze, weshalb sie gar nicht gut aufeinander zu sprechen sind. Ende der Geschichte«, schließt sie ihre Erzählung ab, was Ms Holston ein weiteres Seufzen entlockt.
»Verstehe. Das ändert leider nichts an der Abgabefrist. Und die ist jetzt. Alle, deren Aufsätze noch intakt sind, holen diese bitte hervor.«
Nach der Stunde werde ich Ethan den Hals umdrehen. Ganz langsam. Wie ich es mir in meinen Träumen gerne vorstelle. Aber ich bin mir sicher, es wird so viel befriedigender sein, wenn ich es endlich wirklich tue.
Wenn ich schon durchfalle, ist das das Mindeste!
Doch Ms Holston ist noch nicht fertig und bevor ich meinen Plan weiter ausführen kann, wendet sie sich an mich. Oder eher: an uns. Schon als das erste Wort ihre Lippen verlässt, weiß ich mit Sicherheit, dass ich nicht mögen werde, was sie zu sagen hat, aber es kommt noch schlimmer.
»Ms Edison, Mr Ward, da Sie beide offenbar eine Leistung erbracht haben, wäre es unverantwortlich, Sie ohne eine zweite Chance durchfallen zu lassen. Darüber hinaus zählen Sie, Ms Edison, zu meinen zuverlässigsten Schülern. Daher werden Sie zusammen an einem neuen Thema arbeiten und der Klasse Ihre Ergebnisse am Montag in vier Wochen präsentieren. Dazu bekomme ich eine ausführliche Ausarbeitung am gleichen Termin. Das Thema erhalten Sie nach der Stunde. Nun wird es Zeit für vernünftigen Unterricht.«
»Alles halb so wild.«
So versucht meine beste Freundin mich aufzuheitern, als ich nach der Stunde zu ihr auf den Gang komme. In der Hand halte ich meine neue Aufgabenstellung, die mich davor bewahren soll, durchzufallen. Bisher habe ich mich nicht getraut, nachzuschauen, auf was ich mich eingelassen habe. Als ob ich eine Wahl gehabt hätte.
»Halb so wild?« Ich sehe Harper ungläubig an und versuche, meine Stimme davon abzuhalten, ungeahnte Höhen zu erreichen. »Halb so wild? Ich muss mit Ethan zusammenarbeiten! Mit Ethan! Der quasi allergisch gegen Schule und alles ist, was damit zu tun hat!«, fasse ich zusammen und rede mich dabei so sehr in Rage, dass ich fast hyperventiliere. Allein der Gedanke, mit diesem Vollidioten auch nur ein Wort zu wechseln, bereitet mir Bauchschmerzen.
Die nächsten dreieinhalb Wochen werden die Hölle.
»Kannst du den Aufsatz nicht einfach allein schreiben? Das machst du doch mit links. Ms Holston wird das merken und dann bekommst du die ganze Anerkennung«, schlägt sie vor und vergisst dabei eine wichtige Tatsache.
»Ich glaube eher, sie würde das merken und dann Punkte abziehen, weil es eine Gruppenarbeit sein soll. Du kennst sie doch. Und selbst wenn sie es durchgehen lässt, bekommen wir eine gemeinsame Note, die dann in unseren Zeugnissen steht. Wenn ich alles allein mache, verhelfe ich ihm vermutlich zur besten Note seiner schulischen Laufbahn. Wenn nicht, fallen wir durch. Das ist doch zum Verrücktwerden!«, jammere ich und lasse mich von meiner besten Freundin in den Arm nehmen. Sie reicht mir zwar nur bis zum Kinn, aber ihre Umarmungen sind das Tröstlichste, was ich heute erlebt habe.
»Vielleicht ist es ja ein Thema, mit dem ihr beide super klarkommt. Und in dreieinhalb Wochen bekommt ihr beide die Bestnote. Mit einem Sternchen.«
Ich lache. Laut. »Ethan und Bestnote? Ich weiß nicht mal, ob man diese beiden Wörter zusammen in einem Satz verwenden darf.«
»Sind wir heute wieder gut drauf.«
Die Stimme hinter mir lässt mich aufschrecken und herumfahren. Keiner sonst macht mich allein mit seiner bloßen Anwesenheit so unfassbar wütend.
Ethan lehnt lässig an der Wand neben der Tür und hat ein schiefes Grinsen auf den Lippen.
»Was willst du?«, murre ich.
»Na ja, wir sind jetzt Partner, also müssen wir zwangsläufig miteinander reden«, beginnt er.
Für mich ist das kein ausreichendes Argument.
»Komm auf den Punkt«, verlange ich und verschränke genervt die Arme vor der Brust, um meine Worte zu untermauern.
»Ach, komm schon. Hätte schlimmer laufen können. Und wenn ich ehrlich bin, mit meinem Aufsatz hätte ich es vermutlich eh nicht geschafft, durchzukommen, also yay, zweite Chance.«
Wie locker er das alles nimmt … Ich möchte kotzen. Am besten auf seine nigelnagelneuen Sportschuhe, mit denen er heute vor der Schule angegeben hat.
»Schön, dass es dir so geht, Ethan!«, fahre ich ihn an. »Aber andere haben sich echt Mühe gegeben und wollten eine gute Note.«
»Schade, dass das Leben kein Wunschkonzert ist«, erwidert er und stößt sich von der Wand ab, bevor er einen Schritt auf mich zugeht. »Wow. Man kann förmlich den Dampf sehen, der aus deinen Ohren kommt. Wirklich beeindruckend.«
Kann ich ihn bitte töten und das Projekt allein machen?
Danke.
»Aber mach dir mal keine Sorgen. Im Grunde müssen wir uns doch nur ein paar Fragen ausdenken und die dann präsentieren. Glaub mir, das bekomme sogar ich hin.«
Er zuckt mit den Schultern und nachdem ich für einen kurzen Augenblick verwirrt bin, wird mir klar, dass er auf unser Thema anspielt. Das Thema, auf das ich noch keinen Blick geworfen habe.
Schnell hebe ich den Zettel hoch, den ich immer noch in der Hand halte, und lese ihn, doch mit jedem weiteren Wort wird mir schlechter und schlechter. Na super! Heute hat sich echt die ganze Welt gegen mich verschworen.
»Wir sollen uns keine Fragen ausdenken«, zerstöre ich seine Illusion. »Wir sollen uns mit den sechsunddreißig Fragen beschäftigen, die der Psychologe Arthur Aron entwickelt hat. Wunderbar, wirklich!«
Danach ist Ethan still. Erst nach ein paar Sekunden wird mir klar, dass er keine Ahnung hat, wovon ich spreche. Yay. Das kann lustig werden.
»Du meinst, wie die Fragen, die sich Penny und Sheldon in The Big Bang Theory gestellt haben?«, überlegt Harper und tippt sich nachdenklich mit zwei Fingern ans Kinn.
Als ich nicke, scheint auch Ethan zu verstehen, worum es geht. War ja klar, dass er sich mit Sitcoms auskennt, aber von Wissenschaft keine Ahnung hat.
»Was ist an diesen Fragen so besonders?«, will er wissen und runzelt die Stirn. Offenbar merkt er langsam, dass das doch mehr Aufwand mit sich bringt, als er vermutet hat.
Tja, so viel zum »Nur ein paar Fragen ausdenken«. Und wenn er glauben sollte, dass er hier leicht rauskommt, weil ich alles allein mache, hat er sich geschnitten. Von mir bekommt der Kerl keinen Deut mehr Unterstützung, als er verdient hat. Und wenn es das erste Mal ist, dass er sich wirklich für etwas anstrengen muss, ist mir das auch egal. Ich werde mir nicht als Einzige den Hintern für dieses Projekt aufreißen.
»Lies doch einfach mal die Aufgabenstellung und befrage Google. Nach der letzten Stunde kommst du in die Bibliothek und weißt hoffentlich Bescheid«, erkläre ich ihm und werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. Die nächste Stunde beginnt schon in zwei Minuten und Harper und ich müssen ans andere Ende des Gebäudes. Das wird sportlich.
»Wer sagt, dass ich heute Nachmittag nicht schon was vorhabe?«, setzt Ethan mir entgegen und hebt eine Braue, als würde er mich herausfordern wollen.
Ich schnaube. »Ich sage das. Du wirst da sein oder du kannst dir sicher sein, ich werde dir das Leben zur Hölle machen, verstanden?«, fauche ich und bevor er etwas erwidern und mich damit noch mehr zur Weißglut bringen kann, drehe ich mich um, werfe dabei theatralisch die Haare über die Schulter und gehe los.
Harper tut das Gleiche und fällt neben mir in einen schnellen Schritt, der bei ihr jedoch fast Jogging entspricht. »Also sollst du mit ihm die wissenschaftliche Formel der Liebe analysieren?«, fasst sie zusammen und wenn ich sie ansehen würde, würde ich sicherlich sehen, wie sie mit den Brauen wackelt.
»Du glaubst doch nicht wirklich daran, dass man sich mit Hilfe von sechsunddreißig Fragen verlieben kann, oder?« Zwar habe ich mich vor einigen Jahren mehr oder minder ausführlich mit dem Thema beschäftigt und kenne die Ergebnisse der Studie, die auf Grundlage der Fragen durchgeführt wurde, aber so wirklich glauben will ich es trotzdem nicht.
Man kann sich doch nicht nach ein paar Fragen ineinander verlieben. Das wäre ziemlich verrückt.
»Wieso sollte es nicht funktionieren?«
»Weil man einen Menschen nicht durch so ein paar mickrige Fragen kennen und lieben lernen kann. Vollkommen unmöglich. Ich verstehe auch nicht, wieso Ms Holston das als Thema gewählt hat. Wissenschaft sieht nun wirklich anders aus.«
Ich fühle mich ziemlich verarscht von unserer Lehrerin. Und was genau wir tun sollen, weiß ich auch noch nicht. Die Aufgabenstellung war in dieser Hinsicht sehr vage, als würde sie uns selbst entscheiden lassen, wie wir die Fragen beleuchten wollen. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, wie ich die Präsentation angehen soll, geschweige denn die Ausarbeitung. So etwas ist mir noch nie passiert und ich bezweifle, dass Ethan eine große Hilfe darstellt.
»Es ist Psychologie. Auch Wissenschaft. Nur ein Bereich, mit dem du nicht sonderlich vertraut bist. Aber sieh mal das Positive«, versucht meine beste Freundin mich aufzuheitern.
Mit mäßigem Erfolg.
Ich verziehe das Gesicht, als endlich unser Klassenraum in unser Blickfeld gelangt. Wir haben noch knapp dreißig Sekunden, aber das schaffen wir schon.
»Was ist daran positiv?«, will ich wissen.
»In dreieinhalb Wochen ist es vorbei und wenn alles in die Hose geht, hast du einen Grund, ihn zu steinigen. Dann hätte er es so richtig verdient.«
Tatsächlich ist das der einzige Lichtstreif am Horizont.
***
Natürlich kommt der Arsch zu spät.
Was habe ich anderes erwartet?
Ethan ist noch nie ein Musterbeispiel der Pünktlichkeit gewesen. Im letzten Jahrbuch hat man ihn symbolisch für die meisten Verspätungen ausgezeichnet. Als ob es etwas Gutes wäre, wenn man es einfach nicht schafft, seinen Hintern pünktlich dorthin zu bewegen, wo man zu sein hat. In seinem Fall: in die Schule.
Außerdem kann ich mir nur schwer vorstellen, dass er mehr Zeit als notwendig in der Bibliothek verbringt, von daher war es abzusehen, dass er diese so weit wie möglich nach unten drückt.
Inzwischen koche ich förmlich vor Wut und habe große Lust, ihm die dicken Psychologie-Wälzer, die ich finden konnte, um die Ohren zu hauen, sobald er hier ankommt. Das heißt: Falls er kommt, denn zuverlässig ist der Kerl leider auch noch nie gewesen. Im Grunde ist er nie da, wo er sein soll, aber immer in nächster Nähe, wenn man ihn nicht gebrauchen kann.
Mein Blick fällt wieder auf meinen nicht sonderlich beeindruckenden Stapel. Die Psychologie-Abteilung unserer Bibliothek umfasst gerade einmal fünf Bücher und davon könnten uns vielleicht drei weiterhelfen. Oder auch keins. Im Moment verfluche ich nicht nur Ethan dafür, dass er einfach er selbst ist, sondern auch Ms Holston für das bescheuerte Thema.
Die Uhr an der Wand tickt unermüdlich weiter, macht mich darauf aufmerksam, dass ich bereits seit einer geschlagenen halben Stunde warte. Dreißig Minuten, die ich weiß Gott besser hätte verbringen können. Sollte er jetzt noch auftauchen, sollte er sich darauf gefasst machen, mich so wütend wie noch nie zu erleben.
Ob ich es mit Notwehr gegen seine Dummheit und Idiotie rechtfertigen kann, wenn ich ihn mit dem Ziegelstein-Buch erschlage?
Aber diese Frage muss ich mir nicht stellen, denn nach einer Dreiviertelstunde sitze ich immer noch einsam und verlassen in der Bibliothek. Es ist vollkommen still, weil Freitag ist und alle schon ins Wochenende gestartet sind. Niemand würde freiwillig hierbleiben, um den Nachmittag in der Schule zu verbringen und Psychologie-Bücher zu wälzen.
Schätze, die Arbeit wird wohl doch an mir hängen bleiben, denn wenn ich den Tatsachen ins Auge blicke, muss ich einsehen, dass er nicht mehr kommen wird.
Langsam erhebe ich mich und schiebe den Stuhl zurück. Die Geräusche, die entstehen, als die Stuhlbeine über den Boden kratzen, hallen durch den ganzen Raum.
Ich glaube, so spät bin selbst ich noch nie an einem Freitag aus der Schule gekommen. Wird also Zeit, aufzugeben.
Schnell packe ich meine Sachen zusammen, räume die Bücher zurück in das Regal und trage das Ziegelstein-Buch zur Ausleihe. Wenn ich etwas Brauchbares finden sollte, dann wohl am ehesten in diesem.
Missmutig nähere ich mich Mrs Granger, der Bibliothekarin, die neben der Eingangstür hinter ihrem Tresen sitzt und in ihrem aktuellen Buch versunken ist. Als sie mich kommen hört, schaut sie auf und zieht ihre Mundwinkel zu einem herzlichen Lächeln in die Höhe, bevor sie von ihrem Stuhl aufsteht und sich über den Tresen zu mir beugt, um mir das Buch abzunehmen.
Mrs Granger ist eine ältere, aber immer noch quietschfidele Frau. So lange ich mich erinnern kann, arbeitet sie als Bibliothekarin in dieser Schule. Sie ist immer hier und als ich noch die angeschlossene Grundschule besucht habe, habe ich eine Zeit lang sogar geglaubt, sie würde hier zwischen den Regalen wohnen, um sich nicht von ihren heißgeliebten Büchern trennen zu müssen. Inzwischen weiß ich, dass sie nur ein paar Straßen weiter wohnt, aber der Gedanke, in einer Bibliothek zu leben, fasziniert mich immer noch.
»Was ist denn los, Emilia?«, fragt sie, nachdem sie das Buch auf den Tresen gelegt und den Scanner ihres Computers zur Hand genommen hat. »Du siehst aus, als hätte man dich versetzt. Welchen armen Jungen willst du denn mit diesem Buch unglücklich machen?«
Ich schnaube halb genervt, weil man mir doch mehr ansieht, als mir lieb ist, dass Ethan nicht gekommen ist, und halb amüsiert, weil Mrs Granger irgendwie immer die richtigen Worte findet, um mich aufzuheitern. »Es geht nur um ein Schulprojekt, Mrs Granger. Nicht um ein Date oder so. Das Buch brauche ich, um zu recherchieren.«
»Aber du wurdest dennoch versetzt, nicht wahr?«
»Nein!«, widerspreche ich und packe nach dem Ausleihvorgang das Buch ein.
»Du hast über eine halbe Stunde an dem Tisch gesessen und Löcher in die Luft gestarrt.«
Die Bibliothekarin sieht mich mit einem wissenden Blick an. Es hat keinen Sinn, es weiter zu leugnen.
»Ja, ich weiß. Das tue ich manchmal ganz gerne«, erwidere ich dennoch.
»An einem Freitag?«
»Ja!«, beharre ich, obwohl wir beide wissen, was eigentlich los ist. Ethan, dieser viel größere Vollidiot, als ich dachte, hat mich tatsächlich sitzen lassen.
Das wird er büßen.
Mrs Granger lacht. »Ich wünsche dir ein schönes Wochenende, Emilia.«
Daraufhin schleicht sich ein schwaches Lächeln auf meine Lippen. »Danke. Wünsche ich Ihnen auch. Wir sehen uns am Montag. Ich werde in den nächsten Wochen sicher viel Zeit hier verbringen.«
Die Gänge der Schule sind so verlassen, wie ich sie noch nie erlebt habe. Jeder meiner Schritte hallt von den Böden, Wänden und Decken wider und das Einzige, was sonst noch zu hören ist, sind meine gemurmelten Flüche und Beschimpfungen, die ich Ethan bei unserem nächsten Aufeinandertreffen an den Kopf werfen werde.
Doch dann höre ich Schritte.
Als würde jemand entgegen der Schulordnung auf dem Gang einen Sprint hinlegen. Auf den rutschigen Linoleumböden würde ich das nicht empfehlen, aber wer meint, er müsste … Es ist ja niemand hier, der sehen und fotografieren könnte, wie er sich auf die Fresse legt.
Die Schritte werden lauter und dann sehe ich ihn.
Ethan.
Wie vom Teufel höchstpersönlich gejagt, sprintet er durch den Flur und kriegt die Kurve … nicht ganz. Es ertönt ein lauter Knall, als er gegen einige Spinde an der Wand läuft. Ein wohlverdientes »Aua!« verlässt seinen Mund. Nachdem er seine Umarmung mit den Schließfächern beendet und sich von der Wand gelöst hat, reibt er sich die Stirn und murmelt einige Flüche. Erst als er seine Wut auf die Spinde, die seit bestimmt zehn Jahren – wenn nicht noch länger – an exakt dieser Stelle stehen, rausgelassen hat, bemerkt er, dass er nicht allein ist, und sieht mich an.
Das ist der Moment, in dem ich so viel Wut und Hass in meinen Blick lege und ihn in Grund und Boden starre, wie er es verdient hat. Ich verschränke die Arme vor der Brust und schürze die Lippen, wie meine Mutter es immer tut, wenn sie wütend ist.
»Ähm … sorry«, kommt schließlich aus seinem Mund. »Ich habe es total vergessen.«
»Habe ich gemerkt«, entgegne ich kühl. »Wieso?«
Ich sollte diesen Moment auf Band festhalten, denn ich glaube, ich habe Ethan noch nie so eingeschüchtert erlebt. Normalerweise gibt er sich cool und gelassen, egal, was er verbrochen hat, doch in jetzt … zeigt er tatsächlich Reue?
Er lässt die Schultern sinken und seufzt. »Tut mir leid, okay?«, räumt er ein und studiert seine neuen Sneakers, anstatt mich anzusehen. »Es ist nur so …«
»Was?«, schneide ich ihm das Wort ab. Ich habe keinen Bock darauf, dass er weiter um den heißen Brei herumredet, wenn er offenbar keine vernünftige Erklärung hat.
»Na ja … Natasha … meine Freundin …«, stammelt er und ich kann nicht anders, als genervt mit den Augen zu rollen.
Natasha …
Ich kenne sie. Sie ist der Typ Cheerleader-Ballkönigin-blöde-Ziege mit wasserstoffblondiertem Haar, der nirgendwo ohne Smartphone für ein Selfie anzutreffen ist.
In anderen Worten: Ich kann sie nicht ausstehen.
»Was ist mit ihr?«
»Sie hat mit mir Schluss gemacht.«
Ich habe nicht einmal mitbekommen, dass die beiden ein Paar waren, und was für ein Zufall, dass sie gerade heute die Nase von ihm voll hatte. Wirklich.
»Verkauf mich nicht für blöd!«, verlange ich und schüttle den Kopf. »Ich habe eine Dreiviertelstunde auf dich gewartet. Und jetzt kommst du mit einer fadenscheinigen Ausrede. Also echt. Verarschen kann ich mich selbst!«
Ich recke mein Kinn noch etwas mehr in die Höhe und stolziere an ihm vorbei, als wäre er mir vollkommen egal. Was er auch ist.
»Das ist die Wahrheit.«
»Ja, klar. Und ich werde Prom Queen.«
Die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, liegt bei ungefähr einem Prozent. Vorausgesetzt, ich würde mir aus Bällen und anderen Tanzveranstaltungen irgendetwas machen.
»Machst du Witze über mein gebrochenes Herz?«
Ich ignoriere Ethan, doch er folgt mir und hört leider auch nicht auf, zu reden.
»Wow. Ich wusste ja, dass du dich lieber mit Wissenschaft auseinandersetzt, aber dass du auch kein Herz hast, das ist mir neu.«
Was für ein Idiot.
»Warum kannst du nicht einfach die Klappe halten?«, fauche ich ihm entgegen, als es mir zu viel wird.
»Weil du mir noch eine Antwort schuldest.«
»Okay. Also, ich glaube kaum, dass dein Herz so sehr gebrochen ist, wie du gerade tust. Genauso wenig, wie ich glaube, dass du was mit Natasha hattest. Zufrieden?«, schnauze ich ihn an, was ihn tatsächlich einen Schritt zurückweichen lässt. Aber dieser Schreck wirkt leider nur für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er sich wieder fasst.
Theatralisch legt Ethan eine Hand auf sein Herz. »Autsch. Das tut echt weh, Emi.«
Ich glaube, ich höre nicht recht. »Emi?«
Bis auf ›Em‹, wie Harper mich gelegentlich nennt, habe ich keine Spitznamen außerhalb der Familie und bisher bin ich damit ziemlich gut gefahren.
»Dein neuer Spitzname. Klingt um einiges netter als Emilia«, erklärt Ethan mir und setzt ein schiefes Grinsen auf, was mich schon wieder wütend macht.
»Ich mag meinen Namen, also nenn mich nicht so. Und überhaupt! Du hast es gebracht, mich ewig warten zu lassen, und jetzt gehst du einfach nicht mehr weg. Reicht doch, dass ich dieses blöde Projekt mit dir machen muss und meine Schultasche wegen des Ziegelsteins von einem Buch Tonnen wiegt. Du kannst mich zumindest jetzt in Ruhe lassen, damit ich dir mit einem Projekt über diese Pseudowissenschaft den faulen Hintern retten kann.«
Nach meinem Redeschwall muss ich erst einmal tief durchatmen und mich beruhigen, sonst hätte es passieren können, dass ich Ethan ganz aus Versehen meine Faust ins Gesicht ramme.
Er schweigt.
Endlich!
Ich drehe mich von ihm weg und hoffe, dass ich dieses Mal allein weiterkomme, aber natürlich ist dem nicht so. Wäre auch zu schön gewesen.
»Du hältst das Ganze also auch für den größten Schwachsinn?«, stellt er überraschend sachlich fest.
Hätte ich ihm gar nicht zugetraut, trotzdem habe ich keine Lust mehr, heute noch ein Wort mit ihm zu reden. Ich beschleunige meine Schritte und gehe stur geradeaus. Als wäre er gar nicht da und würde nicht versuchen, mich einzuholen. Seine Schritte werden schneller, er joggt mir hinterher.
»Hey, Emi. Hör mir doch mal zu!«
»Wieso sollte ich? Du hast mir nie einen Grund dazu gegeben. Nur wegen dir stecke ich in diesem Schlamassel«, fahre ich ihn an, ohne ihn anzusehen. Der Ausgang kommt in Sicht, ich habe es fast geschafft.
»Ja, ich weiß, aber wir stecken da zusammen drin und auch wenn du es nicht glaubst, hätte Natasha mich nicht aufgehalten, wäre ich pünktlich gewesen.«
In seiner Stimme steckt etwas Flehendes. Wow. Er ist wirklich ein guter Schauspieler. Kein Wunder, dass man ihm sein Verhalten so gut wie immer durchgehen lässt.
Fast hätte ich ihm geglaubt.
Aber eben nur fast.
»Du hast recht«, erwidere ich. »Ich glaube dir nicht.«
Danach herrscht für einen kurzen Moment Schweigen und ich nutze es, um so viel Abstand wie möglich zwischen uns zu bringen. Aber kurz bevor ich den Ausgang erreiche, erklingt seine nervtötende Stimme auf ein Neues.
»Ich kann nicht noch einmal in dem Kurs durchfallen, Emi. Vielleicht müssen wir so einen Quatsch machen, aber dann lass ihn uns doch zumindest zusammen machen.«
Obwohl ich mir vorgenommen habe, einfach weiterzugehen und zur Abwechslung ihn stehen zu lassen, halte ich automatisch inne und verfluche mich ihm nächsten Moment dafür, dass ich mich auch noch nach ihm umgedreht habe.
»Du meinst, du willst, dass ich dir eine gute Note beschaffe.«
»Ich meine, dass wir im selben Boot sitzen und nicht durchfallen wollen. Ich habe mir diese Fragen angeschaut und wenn du meine ehrliche Meinung hören willst …«
»Will ich nicht«, unterbreche ich ihn.
»Schön. Ich sage sie dir trotzdem.«
»War ja klar.« Ich rolle mit den Augen.
»Das ist der größte Mist. Niemand kann sich auf Grundlage von sechsunddreißig willkürlichen Fragen verlieben.«
Da sind wir zur Abwechslung einer Meinung. Ich nicke. Er soll fortfahren.
»Und ich weiß nicht, was es da zu analysieren gibt. Ist ja nicht so, dass wir Zugriff auf Testreihen hätten, oder?«
»Nein.« Ich seufze. »Haben wir nicht. Wir könnten den Professor zwar ganz frech anschreiben und fragen, ob er uns hilft, doch die Chancen, dass er Ja sagt, stehen eher schlecht. Aber ich glaube ohnehin nicht, dass das klappt. Es heißt zwar, in einer Versuchsreihe hätten sich zwei Probanden tatsächlich verliebt, aber es kann auch gut möglich sein, dass die Fragen damit nichts zu tun hatten. Wer weiß das schon?«
Dieses Mal nickt Ethan, als würde er mir zustimmen. Das ist noch nie passiert und ein wenig seltsam.
»Also sind wir uns einig, dass das Mist ist und nicht klappen kann?«, fasst er zusammen und ich stimme ihm zu, als mir im gleichen Moment eine Idee kommt.
»Wir hassen einander doch, oder?«, frage ich ihn und bekomme sofort ein »Bis aufs Blut« zurück. »Wie wäre es, wenn wir beweisen, dass es nicht funktioniert, indem wir eine eigene Testreihe durchführen?«
Ich möchte mir auf die Schulter klopfen, denn diese Idee ist genial! Natürlich muss sie daher von mir kommen und bringt mir hoffentlich Extrapunkte ein. Als ob Ethan jemals darauf gekommen wäre!
»Inwiefern?«
»An uns selbst. Wir hassen einander. Daran werden diese Fragen nichts ändern können. Wir werden sie uns gegenseitig stellen. Jeden Tag … sagen wir … zwei Stück. Denn seien wir mal ehrlich: Wir halten keine zwei Stunden zusammen in einem Raum durch. Da würden wir uns irgendwann an die Gurgel gehen …«
»Da hast du wohl recht«, stimmt er mir zu und nickt, um mir zu symbolisieren, dass ich fortfahren kann.
»Okay. Jeden Tag zwei Fragen. Dann brauchen wir achtzehn Tage. Am besten führen wir Protokolle, damit wir die später mit ins Projekt packen können. Und in der Zwischenzeit bereite ich die Versuchsbeschreibung und Vorgehensweise vor.«
Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, woher meine Motivation kommt, aber so bin ich schon immer gewesen. Ich liebe Schulprojekte. Ich liebe es, Problemstellungen zu bekommen und Lösungen zu finden. Und ich liebe es noch viel mehr, gute Noten dafür zu bekommen.
Vielleicht könnte ein Projekt, bei dem man die Forschung eines renommierten Psychologen infrage stellt und auch noch widerlegt, nicht nur ein einfaches Projekt für die Highschool werden, sondern mein Durchbruch in der Wissenschaft! Es wäre so genial!
»Klingt, als wüsstest du genau, was du tust«, bemerkt Ethan leicht überfordert.
»Ich weiß immer, was ich tue. Übers Wochenende bereite ich alles vor. Montagfrüh treffen wir uns am Haupteingang, zehn Minuten vor Unterrichtsbeginn. Ich bringe die Liste mit den Fragen mit. Dann fangen wir an. Sei bitte pünktlich«, rate ich ihm und lasse eine stumme Drohung in meinen Worten mitschwingen, bevor ich mich umdrehe und ihn stehen lasse.
Montag.
Neue Woche, neues Glück.
Sollte man zumindest meinen, doch meine Woche beginnt alles andere als glücklich. Schon bei dem Gedanken daran, auf was ich mich eingelassen habe, kann ich nicht anders, als vor dem Spiegel das Gesicht zu verziehen.
Wieso hatte ich so eine bescheuerte Idee?
Wobei … nein. Die Idee ist super, nur der Partner für diese gewöhnungsbedürftig.
Die Fragen habe ich seit Freitag nur einmal kurz überflogen, der Fairness wegen. Ich glaube kaum, dass Ethan in den letzten beiden Tagen auch nur eine Sekunde an unser Projekt verschwendet hat, während ich mir die Stunden um die Ohren gehauen und alles fertig gemacht habe. Es fehlen bloß die Protokolle und ein kurzer Absatz, in dem ich auf die Ergebnisse Bezug nehme, bevor ich zum Fazit komme.
Versuchsaufbau – check.
Versuchspersonen – check.
Durchführung – wird zum größten Teil aus den Protokollen bestehen, also check.
Ergebnis – Ethan und ich? Das wird niemals passieren, also check!
Alles ist erledigt. Nun ist es nicht mehr viel Arbeit, aber die nächsten zweieinhalb Wochen, in denen wir uns gegenseitig mit den Fragen quälen müssen, werden die Hölle, dessen bin ich mir sicher.
Hoffentlich taucht Ethan zumindest heute pünktlich auf, aber wir treffen uns ja vor der Schule und nicht in der Bibliothek. Da stehen die Chancen schon um einiges besser, dass er erscheint, schließlich muss er durch die Eingangstür in das Gebäude.
Könnte also funktionieren.
Nachdem meine Morgenroutine abgeschlossen ist und ich mir einen Rock und eine hübsche Bluse mit Blumenprint angezogen habe, kämme ich meine Haare und binde sie zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammen. Auf dem Weg ins Erdgeschoss schnappe ich mir meine Schultasche, eine hellbraune Aktentasche aus Leder, die ich von meinen Eltern zum Geburtstag bekommen habe, und begutachte mich noch einmal kurz im Spiegel. Da ich mit meinem Outfit und Make-up zufrieden bin, verlasse ich kurz darauf mein Zimmer.
Im Erdgeschoss herrscht bereits gewaltiger Trubel. Dad ist auf dem Weg zur Universität, wo er als Dozent tätig ist und höchst motivierte Studenten in die Kunst der Architektur einführt, aber der Rest meiner Familie ist um diese Zeit noch zu Hause.
»Mooooom!«, ruft Lilly, meine kleine Schwester, mit ihrer quietschigen Klein-Mädchen-Stimme aus der Küche und ich kann mir ein Kichern nicht verkneifen.
»Was?«, schallt es aus dem Badezimmer, in dem sich unsere Mutter aufhält.
»Lilly will mir meinen Teddy nicht wiedergeben!«
Das ist Lola, Lillys Zwillingsschwester, und aus meinem Kichern wird ein Kopfschütteln.
Die beiden kleinen Monster …
»Das ist aber meiner!«, widerspricht Lilly stur und ich fürchte, die Diskussion wird noch viel größere Ausmaße annehmen, wenn nicht schleunigst jemand etwas tut. Ich schätze, dieser Jemand muss ich sein.
Bevor Mom noch am frühen Morgen einen Panikanfall bekommt, schlage ich den Weg in die Küche ein, öffne die Tür und stemme die Hände in die Hüften. Alle Blicke wandern in meine Richtung. Die Szene, die sich vor meinen Augen abspielt, ist besser als jede noch so bekannte Sitcom.
In unserer eigentlich pikfeinen Küche stehen neben dem Küchentisch zwei kleine Mädchen in ihren rosafarbenen und blauen Pyjamas und mit vom Schlafen verstrubbelten strohblonden Haaren.