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Ihre Freunde stehen für Maya an erster Stelle. Kein Wunder, dass sie sofort einspringt, als Schulreporterin Katie sie für ein Experiment um Hilfe bittet. Maya soll innerhalb eines Monats surfen lernen und an einer Meisterschaft teilnehmen. Dabei unterrichtet sie ausgerechnet der charmante und liebenswerte Matt. In jeder gemeinsamen Minute schwebt sie auf Wolke sieben. Maya ist sich sicher: Matt und sie sind das perfekte Paar. Wären da nicht die Missverständnisse, die ihre Beziehung erschweren ...
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Veröffentlichungsjahr: 2022
© 2020 Annie Laine
Anna-Lena Krug
Probstheidaer Straße 69/0201
04277 Leipzig
Lektorat: Klaudia Szabo (www.wortverzierer.de)
Korrektorat: Cara Rogaschewski (www.wortverzierer.de)
Cover: Emily Bähr unter Verwendung von Bildmaterial via Shutterstock und Freepik
ISBN: 9783754674420
www.annie-laine.de
Für alle, die lieben, träumen und das Leben genießen!
»Sag Cheese!«
Meine beste Freundin Alma streckt mir die Zunge raus und zeigt mit zwei Fingern das Peace-Zeichen. Ich betätige den Auslöser und ein weiteres Foto wird wenig später durch den Schlitz an der vorderen Seite der Kamera geschoben. Während ich es nehme und vorsichtig mit den Fingerkuppen festhalte, lasse ich mich neben sie auf mein Badetuch fallen, lege meine Kamera weg und hebe das Gesicht gen Himmel.
Es ist ein wundervoller Tag in Santa Barbara. Obwohl es Januar ist und damit theoretisch Winter, spüre ich nichts von der vermeintlichen kalten Jahreszeit. Im Gegenteil. Es ist weder zu warm noch zu kalt, sondern perfekt, um mit Freunden Zeit am Strand zu verbringen und fantastische Fotos zu schießen. Inzwischen habe ich fast zwei Filme verbraucht und die Bilder in einer kleinen Sammelmappe verstaut, wo sie sicher sind, bis ich sie in meinem Zimmer in Szene setze.
Warme Sonnenstrahlen küssen meine Haut, die sich vehement dagegen wehrt, eine dunklere Nuance anzunehmen, und kitzeln mich unter der Nase, sodass sich ein Niesen aus meiner Kehle löst. Ehe ich mich versehe, setzt Alma sich auf und lugt über meine Schulter auf das neuste Foto.
»Ich glaube, das ist das Beste!«, verkündet sie, ohne einen genaueren Blick auf das fertige Bild geworfen zu haben, und grinst mich keck an. Bereits den halben Tag muss sie als mein Model herhalten, weil keiner aus unserem Jahrgang Lust hat, ständig vor meiner Linse zu posieren. Als meine beste Freundin hat sie zum einen keine Wahl und zum anderen ist sie wie geboren für den Job. Ihren südamerikanischen Wurzeln hat sie ihren gebräunten Teint und die langen dunkelbraunen Wellen zu verdanken, die selbst in einem unordentlichen Dutt aussehen, als würde sie auf die nächste Gala gehen. Dazu könnte sie mit ihrer durchs Fußballspiel sportlichen Figur jedem Bademodenmodel Konkurrenz machen. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, nicht zumindest ein klitzekleines bisschen neidisch auf sie zu sein.
»Meinst du? Die anderen waren auch super!«
»Mein Bauchgefühl sagt mir, dass das Letzte das Beste ist. Vertrau darauf, M. Du bist eine großartige Fotografin und irgendwann wird jeder Designer darum betteln, dass du seine Mode in Szene setzt. Du wirst an jedem Laufsteg der Welt zu Gast sein und jeder mit einem Namen in der Branche wird dich kennen und buchen!«
Darauf kann ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Dabei würde ich eher in Richtung Event-Shoots gehen. Hochzeitsfotografie und ähnliches.«
»Wirklich? Aber du könntest berühmt werden. Vielleicht gibt es irgendwann eine neue Staffel ANTM. Du könntest dabei sein und Wannabe-Models fertigmachen. Wäre das nicht cool?«, schwärmt sie. Ich erinnere mich daran, wie wir als Kinder in unserem Wohnzimmer jede Folge America‘s Next Topmodel geschaut, Eiscreme aus Eimern gelöffelt und uns über die Teilnehmerinnen amüsiert oder aufgeregt haben. Das war unsere Beste-Freundinnen-Zeit, da wir seit der Grundschule weder auf dieselbe Schule gingen, noch viel Freizeit hatten, um sie miteinander zu verbringen.
»Ich glaube, das wäre mehr etwas für dich, A. Ich bevorzuge es, tolle Fotos von hübschen, glücklichen Menschen zu machen, dabei Torte zu mampfen und für den ganzen Spaß bezahlt zu werden. Ein Traum!«
Ich seufze, weil dieser Traum in weiter Zukunft liegt, und lehne mich auf meinem Handtuch zurück. Alma nutzt meinen Moment der Unachtsamkeit und nimmt mir den Abzug aus der Hand. Ich fürchte für einen Sekundenbruchteil, dass sie das Bild hin und her wedelt, obwohl der Mythos, dass Polaroids sich so schneller entwickeln, nicht nur unwahr ist, sondern auch die Entwicklung negativ beeinflusst. Zum Glück habe ich ihr das mittlerweile gut genug eingebläut, dass sie diesen Fehler nicht begeht.
»Ha!«, ruft sie dennoch. »Es ist wirklich das Beste!«
Und damit hält sie es mir vor die Nase. Tatsächlich habe ich meine beste Freundin sehr schön in Szene gesetzt. Leicht von der Seite, mit dem Gesicht zur Kamera. Sie streckt zwar die Zunge raus, aber genau das verleiht dem Bild einen besonderen Charme. Noch dazu funkeln ihre braunen Augen und die Sonne fällt in genau dem richtigen Winkel auf sie, um ihre gebräunte Haut fast golden wirken zu lassen.
»Du kannst es behalten, wenn du willst«, schlage ich vor. Normalerweise hänge ich alle Bilder an Wäscheleinen an die Wände meines Zimmers, aber dieses Foto passt eindeutig besser in die Sammlung meiner besten Freundin, die darauf eine fantastische Figur macht.
»Ich hätte es auch nicht mehr herausgerückt«, gibt sie grinsend zu und verstaut das Polaroid sicher in ihrem Geldbeutel.
»Das dachte ich mir«, murmle ich, schnaube belustigt und lasse meinen Blick über den Strandabschnitt gleiten, den unser Jahrgang fast vollständig für sich vereinnahmt hat. Um uns herum tummeln sich unsere Mitschüler, doch die meisten kenne ich nur vom Sehen her und weil ich ihre Namen im Unterricht gehört habe.
Ein paar Mädels, mit denen ich wenig zu tun habe, sonnen sich auf dem Bauch liegend mit geöffneten Bikini-Oberteilen, während einige Jungs auf dem nahegelegenen Feld Beach-Volleyball spielen und eine weitere Truppe sich im Wasser vergnügt. Seit knapp vier Monaten besuche ich die Santa Barbara High, doch viele Freunde hat diese Zeit nicht gebracht. Obwohl ich mich auf die neue Schule und auf die Leute, die ich kennenlernen wollte, gefreut habe, habe ich von Anfang an viel Zeit mit meiner besten Freundin verbracht. Als hätten sich unsere Wege nicht in Grundschulzeiten getrennt. Wir wurden wieder zu einem Herz und einer Seele und in unser Zweiergespann wollten sich nur wenige einmischen. Das war für mich in Ordnung, auch wenn ich damit verpasst habe, auf der Beliebtheitsskala nach oben zu klettern.
»Bin ich so leicht zu durchschauen?«
»Ein wenig«, necke ich sie und richte mich auf, um meine Wasserflasche aus unserer Kühlbox zu nehmen.
»Du kennst mich einfach zu gut, beste Freundin. Daran liegt das.« Alma schmunzelt und streckt mir die Hand entgegen. Ohne ein Wort verstehe ich und reiche ihr eine Dose Limo aus der Box. Sie öffnet sie routiniert und trinkt einen großen Schluck. Dabei schaut sie sich ebenfalls um. »Unglaublich, wie viele mittlerweile da sind«, bemerkt sie. Vor ein paar Tagen haben einige unserer Mitschüler beschlossen, dass wir uns hier am Strand treffen könnten, doch ich habe nicht erwartet, dass so viele der Einladung folgen würden. Eigentlich weiß ich nicht einmal, wie viele Schüler unser Jahrgang umfasst. Ich gewöhne mich noch daran, dass die Santa Barbara High viel größer ist als meine alte Schule, und bin vermutlich die Einzige, die über den Andrang verwundert ist.
Ich brumme zustimmend und nicke, als jemand eine große, quietschbunte Strandtasche neben mir in den Sand plumpsen lässt. Es folgen ein Handtuch, das dicht an meinem ausgebreitet wird, und schließlich Katie, die sich darauf fallen lässt. Sie hebt einen Arm zum Gruß und grinst uns breit an.
»Hi, Leute«, trällert sie und schiebt mit ihrer freien Hand ihre Sonnenbrille hoch, bis sie stylisch in ihrem dunkelblonden Haar sitzt. Dieses trägt sie in einem hohen Pferdeschwanz zusammengefasst und lässt es in wirren Wellen über ihren Rücken fließen. Wenn ich es mir recht überlege, habe ich das Mädchen noch nie mit offenen Haaren gesehen. Selbst in der Schule bevorzugt es Pferdeschwänze oder Duttfrisuren, in denen immer mindestens ein Kugelschreiber steckt.
Dazu umspielt ein niedliches Sommerkleid in einem pastelligen Pink ihren schlanken Körper bis zu den Knien und betont ihre helle Haut.
»Hey, Katie«, begrüße ich sie und erwidere ihr Grinsen. Auf der Santa Barbara High ist sie meine erste Freundin – von Alma, die ich viel länger kenne, mal abgesehen. Auch wenn ich ihretwegen schon in die eine oder andere Situation geraten bin, auf die ich getrost hätte verzichten können, freue ich mich, sie zu sehen.
»Hey.« Alma nickt ihr zu und stellt ihre Getränkedose in den Sand, bevor sie das Mädchen ernst mustert. »Hast du nicht gestern getönt, dass du so viel zu erledigen hast? Was machst du hier?«
Stimmt. Ich erinnere mich daran, wie Katie nach Schulschluss mit uns zu den Fahrradständern gelaufen ist und dabei aufgelistet hat, was sie neben den Schulaufgaben an Recherche und Textarbeit für ihren Posten als Chefredakteurin der Santa-Barbara-High-Schülerzeitung vor sich hat. Wenn ich mich recht entsinne, sagte sie sogar, wir sollten sie vom Strand scheuchen, falls sie trotz unerledigter Aufgaben auftaucht.
»Ich habe eine Nachtschicht eingelegt und alles abgearbeitet«, erklärt Katie schmunzelnd und lehnt sich auf ihrem Handtuch zurück. »Außerdem zählt das hier ab heute offiziell als Recherche.«
Alma und ich tauschen einen belustigten Blick, ehe ich unsere Freundin antippe. »Was meinst du damit?« Ich habe zwar schon einige seltsame Dinge für ihre Artikel-Recherchen getan, aber dabei durfte ich bisher nicht faul am Strand liegen. Unfair!
Katie kichert daraufhin und richtet sich wieder auf. Im Schneidersitz dreht sie sich zu uns und angelt dabei geschickt eine Wasserflasche aus ihrer Strandtasche. »Als meine Mom gestern aus der Redaktion nach Hause gekommen ist, hat sie mir erzählt, dass ihre Zeitung eine Art Wettbewerb veranstaltet«, berichtet sie und ihre Augen funkeln bei jedem Wort ein wenig mehr. Selbst ein Blinder würde sehen, dass sie Feuer und Flamme dafür ist.
»Okay, eigentlich ist es eher eine Bewerbungsphase. Der Santa Barbara Independent schreibt ein Sommerpraktikum aus. Das wäre fantastisch für meinen Lebenslauf und meine Collegebewerbung.«
»Das klingt echt cool«, bestärke ich sie. »Die wären dumm, dich nicht zu nehmen. Es gibt niemanden, der so sehr für den Job brennt wie du.«
»Aw, danke, Maya, aber um auch nur eine Chance zu haben, muss ich einen Artikel über ein bevorstehendes Sportevent in der Stadt schreiben. Die besten Bewerberartikel werden in der entsprechenden Ausgabe veröffentlicht, was auch eine großartige Referenz wäre, und der Gewinner erhält obendrauf den Praktikumsplatz.«
»Das schaffst du mit links«, versichere ich ihr und Alma nickt.
»Worüber schreibst du? Unsere Highschool-Fußball-Meisterschaften stehen ja bevor, wenn du noch Input brauchst«, schlägt sie vor und schiebt sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht, die durch eine frische Meeresbrise direkt wieder über ihren Augen landet.
»Danke für das Angebot, aber ich habe mich bereits entschieden. Ich schreibe einen Erfahrungsbericht. Mom hat mir gesteckt, dass die Redakteure, die die Artikel mit der Personalabteilung prüfen, es mögen, wenn man sich selbst einbringt. Der Independent ist zum Glück keine strenge Tageszeitung, sondern eher ein Lifestyle-Blatt. Man hat viel mehr Freiheiten und ich liebe es schon jetzt. Passt auf!«
Bevor sie weitererzählt, springt sie auf und deutet mit ausladenden Armbewegungen auf ein knallrotes Surfbrett mit stilisierten weißen Blüten, das hinter uns im Sand steckt. »Das ist meins. Letzten Sommer war ich in einem Surfcamp am Leadbetter Beach. Ich bin zwar lange nicht die beste Surferin der Stadt, aber Matt übt ab nächster Woche mit mir, damit ich am größten Surfevent der Gegend teilnehmen kann: Dem California Surf Cup. Und dann schreibe ich darüber.«
»Das ist … mutig«, lautet mein Kommentar dazu. Wenn das Camp im letzten Sommer stattgefunden hat, surft sie seit nicht mal einem halben Jahr. Sich an einen der größten Wettkämpfe des Bundesstaats zu wagen, ist wirklich eine Hausnummer.
»Und ein wenig verrückt«, pflichtet Alma mir bei und grinst. »Ich find‘s super. Wir kommen, um dich anzufeuern.«
»Das habe ich gehofft. Außerdem brauche ich Maya, um die Fotos für meinen Artikel zu machen«, eröffnet sie mir.
»Mich?« Klar, ich habe schon das ein oder andere Mal Fotos für den Schulblog oder die Schülerzeitung geschossen, aber das ist etwas vollkommen anderes, als in einer echten Zeitung veröffentlicht zu werden. Der Gedanke allein verursacht Schmetterlinge in meinem Bauch.
»Natürlich du. Du bist die beste Fotografin der Schule. Wenn ich es schaffe, wirst du als Bildurheberin im Artikel genannt, das wäre für dich auch eine tolle Referenz. Du willst doch noch Fotografie studieren, oder?«
So ist die Sache besiegelt. »Okay, ich mach es. Wenn du sonst noch Hilfe brauchst, melde dich bei mir, okay?«
»Darauf komme ich gern zurück. Du bist echt die Beste, Maya, und hast auf jeden Fall was bei mir gut. Was auch immer es ist, ich mache es«, verspricht sie mir übereifrig, sinkt auf die Knie und fällt mir um den Hals. Ich erwidere ihre Umarmung etwas überrumpelt und versichere ihr, dass es für mich kein Problem ist. Wozu sind Freunde sonst da, wenn nicht, um einen zu unterstützen? Ich weiß genau, dass ich jederzeit auf sie zählen kann, und sie bietet mir eine Plattform, um Referenzen fürs College zu sammeln. Es ist nur fair, ihr meine Hilfe anzubieten.
»Aber jetzt wollen wir sehen, was du draufhast. Zeig‘s uns, Katie.«
Almas Bitte sorgt dafür, dass das Mädchen sich von mir löst, aufsteht und sich in einer fließenden Bewegung das Sommerkleid über den Kopf zieht. Zum Vorschein kommt ein pinker Badeanzug mit weißen Punkten, der perfekt zu Katies zuckersüßer Ausstrahlung passt.
Sie zieht ihr Board aus dem Sand, klemmt es sich unter den Arm und joggt in Richtung Wasser, wobei sie uns und ein paar Mitschülern über die Schulter ein strahlendes Lächeln zuwirft. Etwa zwei Minuten später paddelt sie über die ersten kleinen Wellen und reiht sich neben den anderen Surfer hinter der Bucht ein. Dann heißt es warten.
Ihre Vorgänger legen mit schnellen Wendungen, halsbrecherischen Manövern und sogar einem Salto gut vor, doch wie ich aus der Entfernung erkenne, lässt Katie sich nicht aus der Ruhe bringen. Als sie an der Reihe ist, paddelt sie mit wenigen, geübten Zügen auf die Welle zu, ehe sie sich umdreht und sich von ihr mitreißen lässt. In einem einzigen Sprung landet sie in einer stehenden, jedoch etwas gebückten Position auf dem Brett und vollführt einige Wendungen, die bei ihr leicht aussehen, aber sicherlich sehr kompliziert sind. Dann lässt sie sich von der Welle wieder zum Ufer tragen.
Sehr eindrucksvoll.
»Wow, sie ist gut«, bemerkt meine beste Freundin. »Wenn sie noch mit Mr. Profisurfer höchstpersönlich trainiert, kann ich mir vorstellen, dass sie eine tolle Figur bei dem Wettbewerb macht.«
»Mr. Profisurfer?«
Auf der Stelle winkt sie ab. »Matt Wilson. Musst du nicht kennen.«
Aber jetzt bin ich neugierig. »Du kannst nicht damit anfangen und das Thema einfach fallen lassen. Erzähl mir mehr«, verlange ich und sehe sie so lang an, bis sie seufzend nachgibt.
»Okay, okay. Matt wurde praktisch mit dem Surfbrett geboren und es gibt in der Gegend niemanden, der besser ist als er. Allerdings ist er ein ziemlicher Idiot.«
»Warum?«
»Weil er mit Alex und dessen Team befreundet ist.«
»Ach ja, Alex. Der König der Idioten. Hast du eigentlich vor, mir je zu erzählen, warum du ihn nicht ausstehen kannst?« Selbst vor meinem Schulwechsel hat sie sich regelmäßig über Alex, den Captain der Jungenfußballmannschaft der Santa Barbara High, beschwert. Dabei haben sie kaum etwas miteinander zu tun. Bis heute warte ich geduldig auf eine Erklärung, denn ihre Rivalität kommt sicher nicht von irgendwo.
»Wir waren zusammen auf der Junior High und er hat mich immer damit aufgezogen, dass Mädchen nie und nimmer so gut Fußball spielen wie Jungs. Seitdem wir auf der Highschool sind, leugne ich seine Existenz. Und die seiner Freunde. Du solltest dasselbe tun«, rät sie mir und ich verspreche es. Mit solchen Typen will ich nichts am Hut haben. Ich kann getrost darauf verzichten, wieder von solchen Vollpfosten auf mein Äußeres reduziert zu werden. Als ob ich etwas für die Brandnarben könnte, die sich über meinen Körper ziehen und auch heute noch dafür sorgen, dass ich komisch angeschaut werde. Um den Gedanken zu vertreiben, schüttele ich den Kopf.
»Ich glaube, ich hole mir ein Eis an der Strandbar. Soll ich dir eins mitbringen?«, frage ich meine beste Freundin und stehe auf. Dabei greife ich nach meiner hellblauen Tunika und ziehe sie mir über den Kopf. Durch den Gummibund an der Taille betont sie meine Figur, während der dünne Stoff gleichzeitig sehr weit geschnitten ist und meine Beine umspielt.
»Ne, danke. Aber eine Cola wäre super.«
»Alles klar. Kommt sofort«, verkünde ich und richte die Tunika, bis sie perfekt sitzt. »Wie sehe ich aus?«
»Wunderschön. So wie immer«, versichert sie mir grinsend. »Und jetzt ab mit dir. Ich halte hier die Stellung.«
Kichernd schnappe ich mir meinen Geldbeutel und steuere die Holzhütte am Beginn des Strandabschnitts an. Auf einer kleinen Steinterrasse tummeln sich Urlauber und Einheimische in einer langen Schlange um die Hütte herum und ich warte etwa eine Viertelstunde, bis ich drankomme. Aber das ist es so was von wert.
Neben Almas Getränk bestelle ich für mich ein Slusheis mit Melonengeschmack. Normalerweise bevorzuge ich süße, schokoladige Kalorienbomben, doch heute ist mir mehr nach etwas Fruchtigen zumute. Außerdem gibt es hier das beste Slushy der Stadt, weshalb ich diesen Strandabschnitt jedem anderen vorziehe.
Mit der Flasche in der einen und meinem Eisbecher in der anderen Hand trete ich den Rückweg an und manövriere mich durch die Menschenmenge. Es wird gedrängelt und geschubst, als wäre die Sonneneinstrahlung ein paar Zentimeter näher zum Verkaufsfenster wesentlich niedriger. Irgendjemand schlägt mir seinen Ellenbogen in die Seite und ich presse meine Lippen aufeinander, um mir einen bissigen Kommentar zu verkneifen.
Als ich endlich aus der Ballungszone herauskomme, atme ich erleichtert durch. Doch zu früh gefreut. Keine zwei Schritte später stößt jemand von hinten gegen mich und ich verliere das Gleichgewicht. Ein erstickter Schrei bleibt mir in der Kehle stecken, als ich mit den Armen rudernd zu Boden gehe.
»Verdammt«, murmle ich, als ich mich mit den Armen gegen den warmen Sand stemme und wieder auf die Beine kämpfe. Wenige Schritte von mir entfernt liegt mein Slusheis. Der Becher ist umgekippt und der fruchtige Inhalt hat sich fast vollständig auf dem Boden verteilt. Zumindest geht es Almas Cola gut. Die Flasche hat dem Sturz standgehalten.
»Entschuldige. Das war keine Absicht«, höre ich, bevor mir jemand seine Hand entgegenstreckt. Sie gehört einem Jungen in dunkelblauen Badeshorts und einem schwarzen Neopren-Oberteil. Sein blondes Haar wirkt etwas zu hell für seine eher dunkle Erscheinung, doch mit der Sonne, die ihn von hinten anstrahlt, passt es.
Er kommt mir vage bekannt vor. Vermutlich geht er auch auf die Santa Barbara High, doch selbst wenn wir uns auf dem Flur begegnet sind, ist die Schule zu groß, um ihn zuzuordnen.
Überrumpelt lasse ich mir auf die Beine helfen und klopfe den Sand von meiner Tunika, während ich »Schon in Ordnung« murmle und mich daran mache, den Pappbecher samt Löffel und die Flasche aufzuheben. Tja, so viel dazu. Was noch von meinem Taschengeld übrig ist, reicht definitiv nicht, um mir noch ein Slushy zu holen. Dafür haben die Polaroid-Filme, die ich diesen Monat gekauft habe, ganz schön zu Buche geschlagen. Ein Glück beginne ich nächste Woche meinen Nebenjob, damit mein Dauerpleite-Zustand bald der Vergangenheit angehört.
»Nein, ist es nicht«, widerspricht der Kerl und greift nach meinem Becher, bevor ich ihn erreiche. Diesen entsorgt er direkt im Mülleimer neben der Terrasse. »Lass mich dir zumindest ein neues Eis kaufen.«
Er setzt sich direkt in Bewegung, um sich am Ende der Schlange anzustellen, während ich zwei Sekunden brauche, um zu realisieren, was gerade passiert. Mit Almas Cola in der Hand jogge ich ihm hinterher. Auch wenn ich kein Geld habe, um mir noch eins zu holen, will ich ungern, dass mir ein Fremder ein Eis spendiert. Das fühlt sich nicht richtig an.
»Hey, warte. Du kannst doch nicht …«
»Doch, ich kann«, widerspricht er, dieses Mal höre ich das Amüsement sogar aus seinem Tonfall heraus.
»Du musst nicht …«
»Ich will aber«, unterbricht er mich und hebt seine Mundwinkel zu einem Grinsen. Ein belustigtes Schnauben löst sich aus seiner Kehle. »Hey, es geht nur um ein Eis und nicht um eine Niere. Nimm es einfach an, okay? Als kleine Entschuldigung fürs Anrempeln. Ich bin übrigens Matt.«
»Maya.« Wir kennen uns keine drei Minuten und er hat mich schon zwei Mal vollkommen überrumpelt. Ich weiß nicht, wie ich das finden soll, doch mein Name entweicht mir, bevor ich etwas dagegen unternehmen kann. Ob er der Matt ist? Sein Name ist nicht selten, deshalb kann ich es nicht mit Bestimmtheit sagen.
»Nun, dann freut es mich, deine Bekanntschaft zu machen, Maya. Was für eine Sorte hättest du gern?«
»Melone.«
»Gute Wahl«, sagt er mit einem Nicken. Meine Mundwinkel zucken gegen meinen Willen, bevor sich ein Lächeln auf meinen Lippen ausbreitet.
»Was hättest du denn gesagt, wenn ich mich für … sagen wir … Kirsch-Mango entschieden hätte?«
Augenblicklich verzieht er das Gesicht. »Dann hätte ich wohl geglaubt, dass du unter Geschmacksverirrung leidest, und dir trotzdem ein Meloneneis geholt, weil es einfach das beste Slusheis in ganz …«
»… Santa Barbara ist«, beende ich seinen Satz und im selben Moment vollführt mein Herz einen kleinen Sprung in meiner Brust. »Ja, genau! Du bist der Erste, den ich kennenlerne, der das auch so sieht. Meine beste Freundin behauptet immer, am East Beach ist das Slushy besser.«
Damit entlocke ich ihm ein Auflachen. »Dann ist deine beste Freundin offenbar die mit der Geschmacksverirrung. Obwohl es am East Beach ein ziemlich gutes Eiscafé gibt. Sie haben dort einen Eisbecher, der einem einen so gewaltigen Zuckerschock beschert, das man für den Rest des Tages Eis nicht mal mehr ansehen kann. Das sagen zumindest alle, die ich kenne. Ich könnte mich da reinlegen, aber ich glaube, da stelle ich eine Ausnahme dar.«
Ich glaube, ich habe soeben meinen Seelenverwandten gefunden. »Mein Rekord liegt bei drei Triple-Chocolate-Eisbechern mit Sahne und extra Marshmallows hintereinander.« Zugegeben, danach habe selbst ich keine Lust mehr auf einen weiteren gehabt. Aber das Wettessen und einen Fünfzig-Dollar-Gutschein habe ich trotzdem gewonnen.
»Drei davon? Bist du wahnsinnig?«
»Sind wir nicht alle ein bisschen wahnsinnig?«, lautet meine Gegenfrage, während ich mit den Schultern zucke. Matt schüttelt lachend den Kopf und tut so, als würde er eine Träne aus seinen Augenwinkeln wischen.
»Unglaublich, wirklich.«
»Das bin ich.« Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal mit einem fast Fremden so viel Spaß gehabt habe. Okay, in meinen Gedanken hörte sich das ziemlich falsch an und entlockt mir ein Kichern. Mit Matt zu reden, ist amüsant. Auch wenn es nur um Eiscreme geht – meiner Meinung nach neben Fotografie das beste Thema überhaupt –, habe ich das Gefühl, dass wir voll und ganz auf einer Wellenlänge sind. Das gefällt mir.
Kurz darauf ist Matt an der Reihe und bestellt mein Meloneneis, das ich dankend annehme. So schön die Unterhaltung mit ihm auch war, sie neigt sich langsam dem Ende zu. Schade eigentlich. Ich hätte noch stundenlang mit ihm reden können.
»Wo musst du hin?«, fragt er, als wir uns vom Verkaufsfenster entfernt und durch die Menschmassen gekämpft haben – dieses Mal, ohne dass mein Eis im Sand gelandet ist.
»Nach da hinten«, erkläre ich und deute auf die Handtuchansammlung, wo sich meine Schulkameraden niedergelassen haben.
»Dann kann ich dich ein wenig begleiten. Meine Freunde haben auch dort ihr Lager aufgeschlagen«, erzählt er und deutet auf drei Jungs, die unter einem Sonnenschirm auf ihren Handtüchern liegen und dösen.
»Also, Matt, was machst du, wenn du fremden Mädchen nicht gerade ein Eis ausgibst?«, will ich wissen und schiebe mir den ersten Löffel der fruchtigen Erfrischung zwischen die Lippen.
Ihm entweicht ein leises Lachen. »So fremd sind wir uns gar nicht mehr, aber wenn du es genau wissen willst: Ich surfe. Mein Board siehst du sogar von hier.«
Tatsächlich. Das schwarze Surfbrett mit dem weißen Tribalmuster, das neben dem Lagerplatz seiner Freunde im Sand steckt, ist kaum zu verfehlen. Ein außerordentlich schönes Board, wie ich finde. Schlicht, aber es passt zu ihm.
Zwar bestärkt sein Hobby meinen Verdacht, dass es sich bei ihm um den Matt handeln könnte, aber das ist mir egal. Selbst wenn er es ist, ändert es nichts daran, dass wir uns gut verstehen.
»So cool. Ich wollte ja immer surfen lernen, aber es hat sich nie ergeben«, erzähle ich ihm. Bisher kam immer etwas dazwischen, wenn ich beschlossen habe, mich zu einem Kurs anzumelden. Dabei gibt es die hier wie Sand am Meer.
»Vielleicht kann ich dir bei Gelegenheit ein paar Stunden geben«, schlägt er unvermittelt vor und überrascht mich ein weiteres Mal.
»Wirklich? Bist du denn gut?«
Wieder lacht er. »Kann man so sagen.«
»Dann bin ich gespannt darauf, dich in Action zu sehen«, lasse ich ihn wissen und grinse ihn an, was er erwidert.
»Wenn du nicht vorhast, abzuhauen, kannst du zusehen. Ich wollte gleich ins Wasser.«
Diese Einladung nehme ich dankend an. »Dann halte ich die Augen offen«, verspreche ich, denn nun hat mich die Neugier gepackt. Zum Glück haben wir von unseren Handtüchern aus einen perfekten Blick auf den Ozean.
»Ich hoffe, dir gefällt, was du siehst.«
»Ach, um das zu entscheiden, muss ich dich nicht erst auf deinem Surfbrett sehen«, erwidere ich neckisch, woraufhin er eine Braue hochzieht. Mir wird erst Sekunden später bewusst, welche Worte meinen Mund verlassen haben, und augenblicklich spüre ich, wie die Hitze sich in meinen Wangen ausbreitet.
»Das hast du jetzt gesagt.«
Jup, habe ich, und ich kann es nicht zurücknehmen. »Vielleicht war ich zu lang in der Sonne. Dann kommen immer seltsame Sachen über meine Lippen«, versuche ich es trotzdem und bringe ihm damit zum Lachen.
»Man sieht sich, Maya«, sagt er schließlich. Was? Er will schon gehen? Aber … nein!
Bevor er sich zu weit von mir entfernt, pfeife ich ihn mit einem »Warte!« zurück. Tatsächlich hält er an und dreht sich noch mal nach mir um. »Du gehst nicht zufällig auf die Santa Barbara High?«
Überrascht runzelt er die Stirn. »Doch, wieso?«
»Ach, nur so«, erwidere ich schmunzelnd. Mir liegt ein »Dann sehen wir uns vielleicht in der Schule« auf der Zunge, aber ich spreche es nicht aus. Wir kennen uns im Grunde kaum und ich will nicht zu aufdringlich wirken. Aber da ich es jetzt weiß, kann ich im Flur nach ihm Ausschau halten und eventuell laufen wir uns rein zufällig über den Weg. Ja, das würde mir gefallen. »Auf Wiedersehen, Matt, und danke für das Eis.«
»Gern geschehen, Maya.«
Dann trennen sich unsere Wege und ich muss mich bei jedem Schritt bemühen, nicht vor Freude einen kleinen Hopser einzubauen. Nicht nur, dass mein Eisbecher das nicht überleben würde, ich würde vermutlich auch viele seltsame Blicke kassieren.
Alma erwartet mich bereits auf ihrem Handtuch und fängt die Flasche, die ich ihr über geringe Distanz hin zuwerfe, mit Leichtigkeit. Dabei runzelt sie die Stirn und neigt ihren Kopf, als würde sie hinter mich schauen wollen.
»Hast du dich mit Matt unterhalten?«
Oh, dann ist er wohl doch der Matt. Der Idiot, von dem ich versprochen habe, mich fernzuhalten. Ups. Alma wird nicht erfreut sein, wenn sie von unserem Gespräch erfährt. Deshalb zucke ich mit den Schultern und lasse mich neben sie auf mein Handtuch fallen.
»Er hat mich angerempelt und musste mir daraufhin ein neues Eis kaufen. Deshalb hat es auch so lang gedauert. Entschuldige«, lautet meine kurze Erklärung. Dass wir uns nett unterhalten haben und ich ihn gar nicht für einen so großen Idioten halte, wie sie angekündigt hat, muss sie nicht wissen. Zumindest für erste. Lange werde ich es ohnehin nicht vor ihr geheim halten können.
»Blödmann«, murrt sie und wirft ein unmissverständliches Funkeln in seine Richtung. Vielleicht meint sie aber auch den brünetten Kerl, den Matt gerade grüßt. Das ist wohl Alex.
»Ist in der Zeit was Spannendes passiert?«, ändere ich das Thema und löffle mein Slushy, während ich meine beste Freundin neugierig anschaue.
»Nicht viel. Meghan hat einen Korb von dem süßen Bademeister bekommen, dem sie die ganze Zeit schöne Augen macht.« Unauffällig deutet sie auf den jungen Mann, der in einer roten Badeshorts und einem weißen Shirt auf einem Hochsitz sitzt und den Strand im Auge behält. Alma hat recht. Mit dem verstrubbelten, feuchten Haar und dem leichten Bartansatz ist er wirklich süß, aber trotzdem ein paar Jahre älter als wir. Ich vermute, dass er an der UC Santa Barbara studiert und sich mit dem Job was dazu verdient.
»Oh, arme Meghan«, kommentiere ich und verkneife mir ein Kichern. Ich habe zwar grundsätzlich nichts gegen sie, aber sie und ihre Cheerleader-Truppe haben sich schon einige Male mit meiner besten Freundin angelegt und deshalb sind sie auch für mich ein rotes Tuch.
»Du hättest dabei sein müssen. Es war zum Schießen. Mehr ist aber leider nicht passiert.«
Schade, dass ich das verpasst habe, aber dafür habe ich mich trotzdem amüsiert. Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich verstohlene Blicke zu Matt und seinen Freunden werfe. So kriege ich im Zeitraffer mit, wie er sein Brett aus dem Sand zieht und das Meer ansteuert. Seine Bewegungen wirken geübter und stärker als Katies und trotzdem auf eine faszinierende Weise grazil.
Schon während er die kleineren Wellen überpaddelt und unter etwas größeren problemlos durchtaucht, wird mir klar, dass ich ein Foto davon brauche. Nein, nicht davon. Von ihm. Ich muss die Erinnerung an die letzten Minuten festhalten, und wenn ich dazu ein Bild von einem süßen Kerl, der obendrauf gut surft, kriege, noch besser.
Ohne zu zögern, greife ich nach meiner Kamera und lege mir das breite Umhängeband um den Hals. Sie hat inzwischen ein paar Jahre auf dem Buckel und sieht dementsprechend aus. Im Vergleich zu den heutigen Modellen ist sie unhandlich, das Gehäuse langweilig grau-schwarz und es wird zusehends schwieriger, Filme in den alten Formaten zu beschaffen. Trotzdem hänge ich an ihr, denn sie hat mich durch schwere Zeiten begleitet und meine Liebe zur Fotografie entfacht, als mir nichts anderes ein Lächeln entlocken konnte. Ich würde sie um nichts in der Welt eintauschen.
Nachdem ich Alma mein Eis in die Hand gedrückt habe, springe ich auf und stapfe barfuß durch den Sand, vorbei an ein paar Klassenkameradinnen, die sich sonnen, bis ich den perfekten Platz für das perfekte Foto erreicht habe. Gerade rechtzeitig, als Matt an der Reihe ist. Ohne Furcht paddelt er eine Welle an, die sich anbahnt und dabei immer mehr Höhe aufbaut. Binnen weniger Sekunden, in denen ich unwillkürlich den Atem anhalte, dreht er sich um, gleitet auf sie und springt mit einem Satz in eine stehende Position. Jetzt verstehe ich, was Alma vorhin sagte. Die fließenden Bewegungen seiner Glieder, diese absolute Selbstsicherheit und Kontrolle über das Brett … Er surft wirklich fantastisch.
Ich verstärke den Griff um meine Kamera, hebe sie vor mein Gesicht und drücke den Auslöser. Nicht eine Sekunde zögere ich, um den Moment einzufangen, bevor er vorüber ist. Als ich das Bild aus dem Schlitz nehme und den Arm sinken lasse, verhaken sich unsere Blicke über die Distanz hinweg und auf einmal fühlt es sich an, als wäre das Grinsen auf seinen Lippen nur für mich bestimmt.
Erst ein lautes »Hey, was machst du da?« holt mich zurück in die Realität, bevor sich zwei Sekunden später ein Kerl in mein Sichtfeld schiebt. Er ist mit Sicherheit einen Kopf größer und ein ganzes Stück muskulöser als ich. Sein straßenköterblondes Haar ist etwas dunkler als Matts und im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden. Außer einer dunkelgrünen Badeshorts trägt er nichts, sodass ich direkt auf seinen durchtrainierten Oberkörper schaue. Vorhin habe ich ihn auf dem Beachvolleyballfeld gesehen und wenn ich mich recht entsinne, zählt er zu Matts Freunden. Allerdings wirkt er mit den vor der Brust verschränkten Armen und dem grimmigen Gesichtsausdruck nicht annähernd so sympathisch.
»Äh … ein Foto?« Was ist sein Problem? Sicherheitshalber weiche ich einen Schritt zurück. Ein flaues Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus, kurz darauf reißt mir eine zweite Person die Kamera aus der Hand. »Hey, was soll das?«, beschwere ich mich, und fahre zu einem anderen Kerl herum, der mir ebenfalls bekannt vorkommt.
Brünette Haare und dunkle Augen, eindeutig Alex. Laut Alma der König der Idioten. Ich habe ihn nie so aus der Nähe gesehen, aber ich stimme ihr voll und ganz zu. Mit einer einzigen Armbewegung zieht er mir das Umhängeband über den Kopf und nimmt mir somit meinen wertvollsten Besitz weg.
»Diese Frage könnten wir dir stellen«, erwidert der erste Typ und kommt einen Schritt auf mich zu. Durch seine Größe und den muskulösen Oberkörper ist er ziemlich einschüchternd, sodass ich unwillkürlich einen weiteren Schritt zurücktrete. »Du hast ein Foto von unserem Kumpel gemacht.«
Moment? Das ist das Problem?
»Ja, und es sah für mich nicht unbedingt aus, als hätte er etwas dagegen«, entgegne ich. Matt hat von seinem Wellenritt aus gesehen, dass ich ihn fotografiert habe, aber die Art, wie er mich angesehen und angegrinst hat … auf keinen Fall hatte er ein Problem damit.
Alex schüttelt den Kopf. »Soll das ein Scherz sein? Es ist allseits bekannt, dass Matt Fotos von sich nicht ausstehen kann. Und die Fotografen noch weniger. Wäre er gerade nicht im Wasser, würde er sich dich selbst zur Brust nehmen. So lange übernehmen wir den Job für ihn«, fährt er mich an und kommt mir so nah, dass ich wieder zurückweiche. Trotzdem hat er das Polaroid in meiner Hand bereits gesehen. Er schnappt danach, doch ich reiße meinen Arm zur Seite.
»Was, zum Teufel, glaubst du, was ich damit vorhabe, du Idiot? Es ist nur ein Foto. Jetzt gib mir endlich meine Kamera zurück! Sie ist schon alt und zerbrechlich. Wenn du nicht aufpasst, geht sie noch kaputt.«
Endlich hat diese Diskussion so viel Aufmerksamkeit erregt, dass meine beste Freundin mir zur Hilfe eilt. Ich entdecke sie aus den Augenwinkeln, wie sie ähnlich einer Baywatch-Figur in ihrem roten Bikini den Strand entlang rennt und Alex anvisiert. Im Gegensatz zu mir belässt sie es jedoch nicht bei einem Wortgefecht, sondern ist drauf an dran, sich auf den Kerl zu stürzen, als gäbe es kein Morgen.
»Alma, warte. Meine Kamera!«
Doch als sie ihn erreicht, hat er meinen Fotoapparat bereits an seinen Kumpel übergeben, und blockt ihren Angriff mit beiden Händen ab. Meine beste Freundin rechnet nicht damit und wird ihm nächsten Augenblick gegen mich geschubst. Sie prallt gegen meine Brust und wir gehen gemeinsam zu Boden. Kurz dreht sich die Welt um mich. Während das Gefühl der absoluten Hilflosigkeit verschwindet und wir uns aufrappeln, entfernen sich die beiden Jungs von uns. Mit meiner Kamera.
Das werden sie büßen.
Kaum dass Alma von mir runtergeklettert ist, kämpfe ich mich zurück auf die Beine. Dieser Kampf ist noch nicht gelaufen. Inzwischen ist auch Matt aus dem Wasser gekommen. Er steckt sein Board in den Sand und läuft mit schnellen, schweren Schritten auf seine Freunde zu. Sein Grinsen ist verschwunden und seine Miene viel ernster. Er wirft einen kurzen Blick, den ich unmöglich zu deuten weiß, in meine Richtung und hat nicht mal ein Lächeln für mich übrig.
Etwas in mir zerbricht. Ich weiß nicht, was es ist, doch es schmerzt, weil ich fürchte, mich in ihm getäuscht zu haben. Dabei … dabei haben wir uns doch so gut verstanden. Wenn er nicht gewollt hätte, dass ich ein Foto mache, hätte er mir das sagen können, aber so … hat er mich praktisch dazu ermuntert und eingeladen.
Matt sagt etwas zu seinen Freunden, dass ich aus der Entfernung nicht verstehe. Dann reißt er Alex, der meine Kamera an sich genommen hat, das Band aus der Hand und ich halte in meiner Bewegung inne.
Es fühlt sich an, als würde die Welt sich für einen Sekundenbruchteil langsamer drehen. Auch wenn es unmöglich ist, hallt das Reißen des Trageriemens in meinen Kopf wider und ich verfolge wie in Zeitlupe den Aufprall meiner heißgeliebten Kamera auf dem sandigen Boden. Es ist unmöglich, etwas dagegen zu unternehmen.
Das ist nicht passiert.
Das kann nicht passiert sein.
Nein, nein, nein, nein!
»Okay, ganz ruhig«, wispert meine beste Freundin. »Vielleicht ist nichts passiert.« Aufmunternd legt sie mir eine Hand auf die Schulter, doch es hilft nicht. Mein Blick verharrt auf meiner Polaroidkamera. Das rote Licht, das symbolisiert, dass sie angeschaltet ist, leuchtet nicht mehr und ich male mir das Schlimmste aus. Heiße Tränen brennen in meinen Augen, während ich loslaufe und die Hand meiner besten Freundin abschüttele.
»Maya, ich …«, beginnt Matt, doch ich will nichts davon hören. Kopfschüttelnd sehe ich ihn an und lasse den Tränen freien Lauf.
»Spar‘s dir. Du hast genug angerichtet.« Meine Stimme bricht, als ich die Kamera vom Boden aufklaube. Ein langer, unschöner Riss zieht sich durch das Gehäuse und der Sucher ist ebenfalls hinüber. Sand raschelt in der Mechanik und mir entweicht ein ersticktes Schluchzen.
Und das alles wegen eines Fotos.
Wegen eines verdammten Fotos, das sie meinetwegen hätten zerreißen können, wenn es ihnen so wichtig ist. Aber nein, sie haben direkt Nägel mit Köpfen gemacht und das zerstört, was mir am meisten auf der ganzen Welt bedeutet.
Wut brodelt in mir. Ich spüre, wie sie aufsteigt und jeden Zentimeter meines Seins erfüllt, und kämpfe mich zurück auf die Beine. »Ihr habt meine Kamera zerstört. Meine heißgeliebte Kamera, die fast älter ist als ihr alle zusammen, und die viel mehr von der Welt gesehen hat, als ihr je sehen werdet.
»Es war ein …«
»Verdammt, Matt, ich will nichts davon hören«, unterbreche ich ihn scharf. Alma nimmt neben mir ihre Position ein und starrt Alex und den anderen Typ in Grund und Boden. Ich weiß, wie gerne sie sich einmischen würde, aber das hier ist meine Sache. Sie unterstützt mich trotzdem. Und deshalb liebe ich sie.
»Wie würdest du dich fühlen, wenn ich auf einmal aus dem Blauen heraus dein Surfbrett zerlege, weil es mir den Blick aufs Meer versperrt? Ja, okay, ich habe vielleicht ein Foto von dir gemacht. Ich nahm an, dass es okay wäre, aber weißt du was? Ich habe mich in dir getäuscht und meine Lektion gelernt.« Diesen Fehler werde ich nie wieder begehen. Alma hatte die ganze Zeit recht. Hätte ich doch nur von Anfang an auf sie gehört. In dem Moment, in dem er mir seinen Namen verraten hat, hätte ich die Flucht ergreifen und nicht zurückblicken sollen. Und was mache ich dumme Kuh? Ich rede nicht nur mit ihm, ich habe sogar Spaß dabei und lasse zu, dass mein Herz in seiner Gegenwart schneller schlägt, als es sollte. Warum bin ich so blöd?
»Du verstehst das vollkommen falsch!«, beharrt er auf einmal. Ein frustriertes Stöhnen entweicht ihm, ehe er sich mit einer Hand durchs nasse Haar fährt. Ich glaube ihm nicht.
»Ach, inwiefern denn? Haben deine Freunde mir nicht meine Kamera abgenommen? Habe ich mir das eingebildet?«
»Doch, aber …«
»Hast du sie nicht kaputt gemacht?«
»Doch, aber …«
»Und wo verstehe ich etwas falsch, Matt? Sag es mir! Es ist genau so, wie ich es mit meinen eigenen Augen gesehen habe. Da kannst du mir erzählen, was du willst. Und damit ihr euch gleich nicht auch noch wegen des Fotos auf mich stürzt: Hier.«
Ich schmeiße ihm das Polaroid entgegen, doch es segelt durch die Luft und landet schließlich im Sand. Auch in Ordnung. Mir ist egal, was damit geschieht. Wenn ich ihn nicht länger in meinem Leben haben möchte, brauche ich auch keine Erinnerung an ihn. Besser wäre es, wenn ich die paar Minuten, die mir die Welt bedeutet haben, so schnell wie möglich vergessen könnte.
Ohne ein weiteres Wort drehe ich mich um und setze mich in Bewegung. Ich will nur noch meine Sachen zusammenpacken und zurück nach Hause. Auf dem Sofa Schokoeis direkt aus der Packung löffeln und mit meiner besten Freundin ein paar Schnulzen auf Netflix schauen. Ja, genau das ist es, was ich will. Nicht mehr und nicht weniger.
Alma folgt mir auf dem Fuße, doch wenig später höre ich weitere Schritte im Sand, die schnell näherkommen. Auf einmal legt mir jemand von hinten eine Hand auf die Schulter und zwingt mich, innezuhalten. »Ich respektiere, dass du aufgebracht und verletzt bist und deshalb nicht mit mir reden willst, aber bitte … lass mich zumindest den Schaden ersetzen.«
Das kann er nicht. Egal, wie viel Geld er mir überlassen würde, nichts in der Welt bringt mir meine Kamera und all die Erinnerungen, die an ihr hängen, zurück. Für ihn mag das nur ein altmodischer Fotoapparat gewesen sein, aber mir hat er die Welt bedeutet.
»Ich will dich nie wiedersehen, Matt.«
Schon seltsam, wie das Leben so spielt. Vorhin dachte ich noch, ich hätte meinen Seelenverwandten gefunden, doch jetzt weiß ich, dass ich mich getäuscht habe. Und je schneller ich den Strand verlasse, desto besser.
***
»Hey, ihr seid ja schon wieder da. Wie war‘s am Strand?«, begrüßt uns mein großer Bruder Ethan, als wir unsere Sachen im Flur abgestellt haben und uns mit einem großen Eimer Ben & Jerry‘s im Garten niederlassen. Am liebsten würde ich mich auf dem Sofa oder meinem Bett in eine Decke kuscheln und den Rest des Wochenendes als sich im Selbstmitleid suhlender Burrito verbringen, aber meine beste Freundin hat mich überredet, zumindest das schöne Wetter zu genießen.
Wahrscheinlich wäre sie gern länger am Strand geblieben, ist aber meinetwegen mitgekommen. Es ist nur fair, wenn ich ihr entgegenkomme, nachdem Matt und seine Freunde uns den Tag versaut haben.
»Am Anfang ganz schön«, antwortet Alma an meiner Stelle und lässt sich auf einer der Sonnenliegen nieder, die Mom um das alte Planschbecken aus Ethans und meiner Kindheit aufgebaut hat. Während unsere Mutter sich, wie immer am Wochenende, vor dem Haus um die Büsche und Blumenbeete kümmert, hat mein Bruder es sich auf einer Liege gemütlich gemacht und hält seine Füße ins kühle Wasser. Neben ihm auf einem niedrigen Gartentisch steht ein halb ausgetrunkenes Glas mit Zitronenlimonade und auf seinem Schoß liegt ein aufgeschlagenes Schulbuch.
»Und dann?«
Meine beste Freundin wirft mir einen unmissverständlichen Blick zu, als wollte sie mir die Möglichkeit geben, es ihm selbst zu erzählen, bevor sie etwas sagt. Ich schenke ihr ein dankbares Lächeln, das mir nach den Geschehnissen am Strand alles andere als leichtfällt, und nachdem ich den Eisbecher neben die Limo gestellt habe, setze ich mich zu Ethan auf die Liege.
»Total furchtbar«, murmle ich und lege meine Arme um seinen Oberkörper. Er versteht die stumme Aufforderung und zieht mich an sich. Mit beiden Händen streicht er federleicht über meinen Rücken und lässt zu, dass ich mein Gesicht in seinem T-Shirt vergrabe. Genau das brauche ich jetzt. Ethans Umarmungen machen alles besser.
»Hey, was ist denn passiert?«, fragt er sanft. »Wirklich so schlimm?«
»Meine Kamera ist kaputt«, nuschele ich in den Stoff seines Shirts, aber seine darauffolgende Anspannung verrät mir, dass er mich trotzdem verstanden hat. Ich könnte ihm erzählen, was geschehen ist, aber ich will nicht, dass er sich um mich sorgt oder – schlimmer noch – sich mit Matt anlegt. Er hätte es zwar verdient, aber ich will nicht dafür verantwortlich sein, wenn Ethan sich so kurz vor seinem Abschluss in ernsthafte Schwierigkeiten manövriert. Dazu kenne ich ihn zu gut.
»Soll ich sie reparieren?«, höre ich ihn fragen und obwohl ich noch traurig wegen des Schadens bin, kann ich nicht anders, als meine Lippen zu einem Schmunzeln zu verziehen. Ethan hat keine Ahnung von Kameras, aber immer, wenn meine nicht mehr so funktioniert hat, wie sie sollte, hat er sie wieder zum Laufen bekommen. Zum Teil saß er stundenlang vor der Mechanik, hat sich unzählige Artikel zur Funktionsweise durchgelesen und Youtube-Tutorials geschaut, nur um mir eine Freude zu machen. Heute wird das nichts bringen.
»Das Gehäuse ist beschädigt und der Sucher auch. Die ist nicht mehr zu retten«, wispere ich und schlucke den Kloß, der sich in meinem Hals bildet, herunter.
»Verdammt«, murmelt er und drückt mich ein bisschen fester an sich. »Dann … Ich kriege nächste Woche meinen Lohn von den Nachhilfestunden. Ich könnte dir …«
»Denk nicht einmal dran!«, unterbreche ich ihn und löse mich von ihm, um ihm meinen strengsten Tu-es-nicht-Blick zuzuwerfen. Wenn ich schon kein Geld von Matt annehme, der für den Schaden verantwortlich ist, dann erst recht nicht von meinem Bruder. »Das Geld ist für dein Auto.«
»Das Auto kann warten, wenn ich meine Schwester dafür glücklich mache«, versichert er, doch ich schüttele den Kopf.
»Ethan, danke, aber … ich würde mich schlecht fühlen, wenn du deine Ersparnisse opferst, weil irgendein Idiot meinte, das Leben meiner Kamera beenden zu müssen.«
Auf der Stelle verengt er die Augen und zieht die Stirn kraus. »Dann sollte er dir eine Neue kaufen. Wer war es denn? Ich kann mit ihm reden …«
Ja, klar. Reden. Skeptisch hebe ich eine Braue.
»Okay, ich würde Emi vorschicken, weil sie besser argumentiert und auch furchteinflößender ist. Also … wen sollen wir uns zur Brust nehmen?«
»Niemanden, Bruderherz. Es ist meine Sache und ich … will nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er soll mir einfach nicht mehr unterkommen.«
»Aber deine Kamera …«
»… war das wichtigste und wertvollste, was ich besitze, und selbst wenn er mir das allerneuste, kostspieligste Modell besorgen würde, wäre es trotzdem nicht dasselbe«, beharre ich. Ein Teil von mir weiß nicht mal, ob ich einen neuen Fotoapparat will. Ob ich all die schönen Erlebnisse, die ich mit dem alten hatte, auf sie transferieren könnte. Aber ein anderer weiß, dass ich mich ohne eine Polaroid-Kamera dauerhaft unwohl fühlen würde. Unvollständig.
»Es wäre eine Wiedergutmachung«, argumentiert Alma und schenkt mir ein aufbauendes Lächeln, als ich mich zu ihr umdrehe. »Er würde nicht komplett ungeschoren davonkommen. Und glaub mir, wenn ich sage, er hat definitiv genug Geld, um dir das teuerste Modell auf dem Markt zu besorgen.«
Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Ich weiß nur, dass ich von ihm nichts annehmen möchte. Würde ich es tun, wäre es auch von meiner Seite, als würde ich diese Entschuldigung annehmen. Doch das kann ich nicht. Dazu tut das, was er getan hat, zu sehr weh. Wie ein Stich in mein Herz, weil ich ihn mochte und nicht gedacht hätte, dass ich mich so in jemandem täuschen würde. Manchmal hasse ich es, dass ich so gutgläubig bin. Das hat mich nie weit gebracht.
»Ich will kein Geld von ihm. Und auch keine Geschenke, Alma. Das Geld für eine neue Kamera kriege ich schon zusammen.« Ein Monat – vielleicht zwei – und mein Nebenjob wirft genug ab, damit ich mir eine kaufen kann. Dann muss die professionelle Fotografie-Ausrüstung, die ich für mein College-Portfolio brauche, eben ein bisschen länger warten. Eine neue Polaroid-Kamera ist wichtiger. Sie wird meine alte nicht ersetzen, aber vielleicht gewöhne ich mich an sie. Und bis dahin … komme ich auch ohne aus. Ich habe ja immer noch mein Handy und eine kleine Digitalkamera. Das geht schon. Rede ich mir zumindest ein.
»Ich vertrau dir, Maya, aber wenn du deine Meinung änderst, musst du es nur sagen, okay?« Ethan betrachtet mich mit sorgenvoll gerunzelter Stirn, umarmt mich und zieht mich an sich. Ich lasse es geschehen und lege meinen Kopf an seine Schulter.
»Dasselbe gilt für mich. Ich wollte den Idioten unseres Jahrgangs schon lange wieder einheizen. Verdient haben sie es«, ergänzt meine beste Freundin und grinst entschlossen. Dabei funkeln ihre Augen angriffslustiger als die meiner Katze, wenn ich den Laserpointer raushole.
»Das weiß ich. Danke, Ethan. Danke, Alma. Ihr seid die Größten und ich hab euch lieb, aber macht euch keine Sorgen um mich, in Ordnung? Ich komm drüber hinweg.« Um meine Trauer zu verstecken, hebe ich die Mundwinkel zu einem Lächeln und greife nach dem Becher Ben & Jerry‘s auf dem Tisch. »Essen wir jetzt das Eis, bevor es ganz geschmolzen ist?«
Der Verlust meiner Kamera macht mir auch am Montag noch zu schaffen, aber ich will nicht, dass meine Familie sich um mich sorgt. Das mussten sie viel zu oft in meinem sechzehnjährigen Leben. Deshalb schiebe ich die trüben Gedanken beiseite und setze mein fröhlichstes Lächeln auf, bevor ich mein Zimmer verlasse.
In der Küche packe ich beschwingt meine Tasche, frühstücke und mache mir ein Lunchpaket, das mich nicht nur durch die Mittagspause, sondern auch durch den arbeitsreichen Nachmittag bringt. Mein großer Bruder sitzt derweil noch in Shorts, einem einfachen Schlaf-Shirt und verstrubbelten Haaren am Küchentisch und starrt seinen Kaffee an, als würde ihn das allein munter werden lassen.
»Wieso bist du so gut drauf? Es ist Montagmorgen. Ist das nicht gegen das Gesetz?«, grummelt er, während ich mein Glas Orangensaft leere und mir danach einen dünnen Cardigan, den ich aus meinem Zimmer mitgenommen habe, über meine leichte Bluse mit langen Puffärmeln werfe.
»Heute ist ein großer Tag!«, verkünde ich und ergreife die Packung trockenes Katzenfutter. Einmal schütteln reicht und mein Kater Spot steckt seinen Kopf durch die Tür. Ein aufforderndes Maunzen ist zu hören, keine zwei Sekunden später schleicht ein dickes Fellknäuel um meine Beine.
»Ach ja?«
»Ja! Heute ist mein erster Arbeitstag in dem Surfshop am Leadbetter Beach.« Während ich ihn daran erinnere, fülle ich das Trockenfutter in eine und das Nassfutter in eine andere Schale. Beide stelle ich auf den Boden an die Wand, während ich versuche, nicht über die Katze zu stolpern.
»Das war heute?«
Als Antwort deute ich auf den Familienkalender neben dem Kühlschrank, in dem beim heutigen Tag ›Mayas erster Arbeitstag‹ steht. Ethan folgt meinem Blick und betrachtet das Kalenderblatt.
»Stimmt ja«, murmelt er.
»Es kann ja nicht jeder Geld dafür bekommen, Grundschülern bei den Hausaufgaben zu helfen«, necke ich ihn, weil ich weiß, dass ihm sein Nebenjob als Nachhilfelehrer immer noch ein wenig peinlich ist. Als er damit angefangen hat, war sein Ruf als Tunichtgut der Schule, der ohnehin gelitten hat, seitdem er mit Emilia zusammen ist, endgültig ruiniert. Ein paar seiner Teamkollegen haben ihn sogar aufgezogen, aber seine Freundin und ich haben ihn überredet, dranzubleiben.
Mittlerweile hat er den Job echt lieb gewonnen. Sein ewiges Gemecker darüber täuscht mich nicht über das freudige Funkeln hinweg, das er in den Augen hat, wenn er zu einem seiner Schüler aufbricht.
»Was tut man nicht alles für ein Auto?«, murmelt er und schenkt mir ein müdes, aber ehrliches Lächeln. »Viel Spaß. Du wirst sie umhauen!