Die Erbin der Sieben Weltmeere (Die Weltmeere-Dilogie 2) - Annie Laine - E-Book
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Die Erbin der Sieben Weltmeere (Die Weltmeere-Dilogie 2) E-Book

Annie Laine

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Beschreibung

**Die Rache der Meerhexe** Als Nachfahrin der kleinen Meerjungfrau ist Aria dazu auserwählt, den Thron der sieben Weltmeere zu besteigen. Doch das Erbe, das auf sie wartet, fordert einen hohen Tribut: Um sich ihrem Schicksal zu stellen, muss Aria nicht nur in die sagenumwobene Hauptstadt aller Meeresbewohner gelangen, sondern sich auch der Meerhexe Arcana stellen. Denn diese versucht mit aller Macht, Arias Herrschaftsanspruch an sich zu reißen. Ein gefährliches Spiel beginnt und schon bald weiß Aria nicht mehr, wer Freund und wer Feind ist. Einziger Hoffnungsschimmer ist Nero, der ihr sogar in die Tiefen des Ozeans folgt … »Sehnsucht. Das ist es, was ich gerade fühle. Die Sehnsucht nach dem Meer.« Das neue Romantasy-Highlight von Erfolgsautorin Annie Laine: Werde Teil einer magischen Geschichte, in der Märchen wahr werden! //Dies ist der zweite Band der magisch-romantischen Weltmeere-Dilogie. Alle Romane der Fantasy-Liebesgeschichte bei Impress: -- Der Thron der Sieben Weltmeere (Die Weltmeere-Dilogie 1) -- Der Erbin der Sieben Weltmeere (Die Weltmeere-Dilogie 2)// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Annie Laine

Die Erbin der Sieben Weltmeere (Die Weltmeere-Dilogie 2)

**Die Rache der Meerhexe**Als Nachfahrin der kleinen Meerjungfrau ist Aria dazu auserwählt, den Thron der sieben Weltmeere zu besteigen. Doch das Erbe, das auf sie wartet, fordert einen hohen Tribut: Um sich ihrem Schicksal zu stellen, muss Aria nicht nur in die sagenumwobene Hauptstadt aller Meeresbewohner gelangen, sondern sich auch der Meerhexe Arcana stellen. Denn diese versucht mit aller Macht, Arias Herrschaftsanspruch an sich zu reißen. Ein gefährliches Spiel beginnt und schon bald weiß Aria nicht mehr, wer Freund und wer Feind ist. Einziger Hoffnungsschimmer ist Nero, der Junge, der ihr sogar in die Tiefen des Ozeans folgt …

Wohin soll es gehen?

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Vita

Danksagung

© Studioline Photography

Annie Laine wurde im schönen Osthessen geboren. Nach dem Realschulabschluss führt sie ihr Leben zunächst in ganz verschiedene Richtungen. Sie schließt eine Ausbildung ab und arbeitet ein halbes Jahr auf der Kanareninsel Teneriffa, findet aber nicht ihre Passion darin. Das zieht sie schließlich zurück zu den Büchern. Während sie tagsüber Buchhandel/Verlagswirtschaft studiert, verbringt sie ihre Nächte mit dem Schreiben eigener Texte und betreibt einen Bücherblog.

Für alle, die sich manchmal (oder öfter) so fühlen, als müssten sie den Erwartungen anderer gerecht werden.Ihr seid gut so, wie ihr seid! Ich bin stolz auf euch. <3

Prolog

»Entkommen?« Die Meerhexe Arcana konnte ihre Wut kaum im Zaum halten, während sie wiederholte, was einer ihrer Untergebenen ihr soeben berichtet hatte. Unfassbar! Sie hatte ihre besten Soldaten losgeschickt, um dafür zu sorgen, dass Aria, dieses verdammte Menschenmädchen, das ihr nun ihren Anspruch auf den Thron der sieben Weltmeere streitig machen wollte, keinen Fuß an Land setzte. Aber natürlich hatten sie versagt. Nicht einmal ihre geliebten Leopardenhaie hatten ihren Befehl erfüllen können.

»Wir können es uns nicht erklären, Eure Majestät. Sie hätte nicht wissen …«

»Doch sie wusste ganz genau, wo wir sie erwarten würden«, fuhr Arcana dazwischen, bevor der Soldat seinen Satz beenden konnte. Der Zorn, der in ihr brodelte, war nicht länger in Worte zu fassen. Sie erhob sich von ihrem Thron, der nur eine schlechte Kopie des eigentlichen Sitzes der sieben Weltmeere war, und schwamm mit einigen festen Flossenschlägen auf die Männer zu. Alle vier von ihnen korrigierten auf der Stelle ihre Haltung und standen stramm. Sie mochten starke Kämpfer und gute Soldaten sein, doch am Ende eines jeden Tages war sie, Arcana, viel mächtiger und furchteinflößender, als sie es je sein würden. Der Gedanke erfüllte sie mit einer gewissen Genugtuung, aber er minderte ihre Wut nicht im Geringsten. »Woher wusste sie davon?«

»Das können wir nicht sagen«, antwortete einer der Soldaten. Niemand sonst sprach ein Wort und dieses Schweigen half nicht, um Arcanas Gemütslage zu beruhigen.

Ein Räuspern ertönte und zögerlich hob eine der beiden Wachen, die sie an der doppelflügeligen Tür zu ihrem Thronsaal postiert hatte, eine Hand. Es handelte sich um einen jungen, schmächtigen Meermann, der erst seit wenigen Wochen in ihrem Dienst stand. Arcana funkelte ihn wütend an, doch anstatt seinen Arm sinken zu lassen und sich aus der Situation zu winden, setzte er tatsächlich zum Sprechen an.

»Wir hatten die Information von unserem Spitzel. Ich … ich war hier, als sie sie Euch überbracht hat. Könnte es sein, dass sie Euch … angelogen hat?«, sprach er seine Vermutung aus.

Arcana schnaubte. Sie würde lügen, wenn sie behauptete, sie hätte nicht selbst bereits darüber nachgedacht, aber nein. Dieses naive Ding fürchtete sich zu sehr vor ihrem Zorn, um sich ihr zu widersetzen oder sie gar anzulügen. Der Spitzel trug keine Schuld … oder doch? Hatte Arias Auftauchen ihre Loyalität ins Wanken gebracht? Arcana sollte ein Exempel statuieren, einfach nur, um zu zeigen, dass sie nicht zu unterschätzen war.

Aber hierbei ging es nicht um die kleine Rebellin, die sie eventuell verraten hatte und dafür bezahlen würde. Sondern um die Inkompetenz ihrer eigenen Soldaten, die ihre offensichtliche Schuld auf jemand anderen abwälzen wollten. Arcana konnte Feiglinge, die nicht zu ihrem Versagen standen, überhaupt nicht leiden.

»Und was genau verschafft dir den Eindruck, ich wäre jemand, den man anlügen könnte?«, erwiderte sie. Ihr Tonfall war ruhig, doch herablassend, und sollte auf keinen Fall auf die leichte Schulter genommen werden.

Sofort zuckte der Meermann, der die Vermutung geäußert hatte, zusammen und wurde dadurch noch viel kleiner als ohnehin schon.

»Denkst du nicht, ich würde jede Lüge auf der Stelle durchschauen?«

»Doch, Eure Majes…«

»Genug!«, unterbrach sie ihn scharf und wandte sich erneut ihren Wachen zu. Auf der Stelle korrigierten diese wieder ihre Haltung, die in den letzten Sekunden an Disziplin verloren hatte.

»Ich habe euch einen Befehl erteilt! Einen einzigen!« Ihr Blick durchbohrte den kräftig gebauten Meermann, der rechts außen positioniert war. »Was genau habe ich von euch noch einmal verlangt?«

Der Angesprochene stammelte etwas Unverständliches, bevor er endlich mit der Antwort herausrückte. »Lasst Aria nicht entkommen.«

»Und was habt ihr getan?«

»Aria entkommen lassen«, gab er kleinlaut zu.

Arcana nickte mit aufeinandergepressten Lippen. »Ganz genau. Zurück an Land ist sie für mich nutzlos.« Und besaß obendrein einen gewaltigen Vorteil, aber das sprach sie nicht laut aus. Sobald Aria herausfand, wo sich der Thron der sieben Weltmeere genau befand, wäre es für sie ein Leichtes, dorthin zu reisen und die Macht, die Arcana allein zustand, an sich zu reißen. Das konnte sie nicht zulassen. Sie hatte zu hart gekämpft, um dorthin zu kommen, wo sie jetzt war. Auf keinen Fall würde sie sich von einem dahergelaufenen Märchenkind, das gerade erst von seinem Schicksal erfahren hatte, aufhalten lassen.

»Es tut uns leid, Eure Majestät«, hörte sie einen ihrer Soldaten wispern. Die hohe, reuevolle Stimme wollte so gar nicht zu seinem muskulösen Körperbau passen, doch Arcana war zu sehr in ihren Gedanken versunken, um sich darum zu kümmern.

»Das macht euer Versagen nicht weniger gravierend«, ließ sie den Meermann wissen und führte nachdenklich einen Zeigefinger an ihr Kinn. »Zum Glück habe ich bereits eine Idee, wie ich euren Fehler ausbügele.«

Die hatte sie tatsächlich.

Vielleicht konnte sie ihrer Nemesis nicht an Land folgen – in Momenten wie diesen verfluchte sie ihre Flosse und wünschte sich ihre Beine zurück –, aber es würde nicht lange dauern, bis Aria unweigerlich zurückkehren musste. So erging es ihnen allen. Ein diabolisches Grinsen stahl sich auf Arcanas Lippen.

»Was habt Ihr vor …?«

»Lasst das meine Sorge sein.« Ihre Miene wurde wieder ernst, als sie ihre Untergebenen mit durchdringendem Blick fixierte. »Haltet euch bereit. Es wird Zeit, die Samthandschuhe auszuziehen.«

Als sie sich von den Männern abwandte und sich in ihren Thron fallen ließ, lächelte sie erneut. Schon bald würde sie die Kopie gegen das Original eintauschen. Sie musste Aria bloß dazu bringen, ihren Herrschaftsanspruch abzutreten; dann gäbe es nichts mehr, was dieses Mädchen tun könnte, um sie davon abzuhalten.

Kapitel 1

Ich fühle mich elend.

Das penetrante Pochen in meinem Kopf, das nur wenige Stunden nach unserer Rückkehr an Land eingesetzt hat, ist gerade jetzt besonders stark. Leider hat es nämlich nicht nur Vorteile, eine halbe Meerjungfrau zu sein, und noch dazu fühlt es sich inzwischen viel schlimmer an als beim ersten Mal, wo es mir schlecht ging. Nicht einmal das Kühlpad, das Nero vor einer Stunde auf meiner Stirn platziert hat, lindert die Schmerzen. Gleichzeitig fühlt mein ganzer Körper sich an wie ausgetrocknet, obwohl meine Haut vollständig von einer dünnen Schweißschicht überzogen ist.

Jede noch so kleine Bewegung tut weh, ich spüre meine Beine kaum und jedes schmerzerfüllte Stöhnen löst ein unangenehmes Kratzen in meiner staubtrockenen Kehle aus.

»Aria?« Neros vertraute Stimme holt mich in die Wirklichkeit zurück. Vorsichtig drehe ich meinen Kopf zu ihm, wobei mir fast das Kühlpad von der Stirn rutscht, und öffne ein Auge. »Wie fühlst du dich?«

»Genauso furchtbar wie vor einer Stunde«, antworte ich leise und verziehe das Gesicht, bevor mich ein Hustenanfall überkommt. Zum Glück reagiert Nero schnell. Ohne darüber nachzudenken, greift er die Wasserflasche vom Wohnzimmertisch, öffnet den Verschluss und geht vor dem Sofa, auf dem ich schon seit einer gefühlten Ewigkeit vor mich hin vegetiere, in die Hocke. Eine Hand führt er an meinen Hinterkopf, mit der anderen hält er mir die Flasche an die Lippen. Gierig leere ich sie in wenigen großen Schlucken, bis selbst der letzte Tropfen meine Kehle hinabgeflossen ist.

»Danke«, wispere ich und lächle ihn schwach an, während er mich mit sorgenvoll gerunzelter Stirn anschaut. »Ist Selma schon zurück?«, will ich wissen.

Neros Mentorin hat uns vor zwei Tagen, als wir pitschnass und – in meinem Fall – nur mit einem Handtuch, das Nero vermutlich einem unaufmerksamen Badegast entwendet hat, bekleidet vor der Tür standen, mit offenen Armen empfangen. Ohne auch nur einen Moment Bedenkzeit hat sie mir Kleidung besorgt, uns etwas zu essen gemacht und dafür gesorgt, dass wir endlich eine Verschnaufpause bekommen.

Mehr als das war es leider nicht, bevor mein Körper angefangen hat zu rebellieren. Zunächst mit Kopfweh, gefolgt von Gliederschmerzen und erhöhter Temperatur. Selma hat die Symptome erst auf eine einfache Erkältung – verschuldet durch den tagelangen Aufenthalt im kalten Ozean – geschoben. Doch inzwischen sind wir uns alle sehr sicher, dass ich die gleichen Entzugserscheinungen wie letzte Woche habe, als ich zu lange nicht im Wasser war.

An die Möglichkeit, dass die Schmerzen zurückkehren würden, sobald ich an Land zurückkehre, habe ich leider nicht gedacht und am liebsten würde ich mein Vergangenheits-Ich dafür schlagen. Wenn es jemals einen guten Moment gegeben hat, um meine bisherigen Lebensentscheidungen zu bereuen, ist er genau jetzt.

Außerdem haben mir die letzten beiden Tage genug Zeit zum Nachdenken geboten. Die Entschlossenheit und der törichte Optimismus, den ich auf meine blöden Märchengene schiebe, sind daraufhin sehr schnell viel schwächer geworden. Wie konnte ich nur glauben, dass ich einfach so in der Unterwasserwelt aufschlagen und ohne Probleme die Meerhexe stürzen könnte, die dort allen das Leben zur Hölle macht? Zumal diese Jahre zuvor nicht nur die rechtmäßige Königsfamilie gestürzt und zum Teil getötet, sondern auch meine eigene Mutter auf dem Gewissen hat. Rückblickend betrachtet war das ziemlich dumm, doch meine Märchengene haben trotzdem dafür gesorgt, dass ich mein Schicksal nicht nur akzeptiere, sondern es mit Freuden annehme. Inzwischen frage ich mich, wie ich mich je – mehr oder weniger – freiwillig auf die ganze Sache einlassen konnte. Hätte ich damals gewusst, was mich erwartet, hätte ich alles anders gemacht. Gebracht hätte es wohl nichts, aber ich könnte mich jetzt zumindest damit trösten, mich nicht bereitwillig und mit dem Kopf voraus ins Abenteuer geworfen zu haben.

»Vor zehn Minuten. Sie wollte nur schnell duschen, dann gibt es Essen«, lässt Nero mich wissen und schenkt mir ein zuversichtliches Lächeln. Im selben Atemzug nimmt er meine Hand, die über der Wolldecke, in die ich mich gekuschelt habe, liegt und drückt sie kurz. »Vielleicht kam ihr während ihrer Schicht eine Idee, wie wir dafür sorgen, dass es dir besser geht. So kann es auf jeden Fall nicht weitergehen.«

Selmas Berufung besteht zwar darin, Märchenkindern auf der ganzen Welt dabei zu helfen, ihren Platz zu finden – eine Aufgabe, die ihr als Nachfahrin von Cinderellas guter Fee wirklich auf den Leib geschneidert ist –, aber sie benötigt dennoch Geld, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Deshalb arbeitet sie als Pflegerin in einem Seniorenheim nicht weit von hier, wo sie heute die Frühschicht einer kranken Kollegin übernommen hat.

»Da hast du recht.«

Immerhin ist schon viel zu viel Zeit vergangen, seitdem wir den Ozean und die Meermenschen, die auf uns – auf mich! – zählen, verlassen haben. So habe ich mir das nicht vorgestellt. In meinem Kopf hätten wir schon lange den nächsten Flug nach Kopenhagen genommen, den verdammten Thron gefunden und Arcana ein für alle Mal entmachtet, aber das wäre offenbar zu einfach gewesen. Denn die Seehexe ist uns zuvorgekommen und hat es trotz unserer Flucht an Land geschafft, uns festzunageln. Dafür hat sie nicht mehr tun müssen, als einen Sturm heraufzubeschwören, der den gesamten Flugverkehr an der Westküste lahmlegt.

Würde ich mich nur nicht so furchtbar fühlen und hätte ich nur die nötige Übung mit den Wasserkräften, die ich zusammen mit der Fähigkeit, mich in eine Meerjungfrau zu verwandeln, erhalten habe! Ich würde auf der Stelle aufstehen, zum Strand marschieren und diese Tyrannin zum Kampf auffordern. Leider weiß ich, dass ich gegen sie den Kürzeren ziehen würde, aber das lässt meinen Zorn auf sie nicht weniger werden.

Es hat nicht einmal geholfen, sie über diese seltsame telepathische Verbindung, die ich aus unbekannten Gründen zu ihr habe, anzuschreien, bis mir die Beleidigungen ausgegangen sind. Dass sie mich danach ausgelacht hat, hat mich eher noch wütender gemacht.

Und seither herrscht Funkstille.

Nicht nur von ihrer Seite aus. Auch die Hilferufe der drei Meeresprinzessinnen, die Arcana gefangen genommen hat, sind seit unserer Rückkehr verstummt. In meinem Kopf herrscht gähnende Leere. Ein ungewohntes und vor allem beunruhigendes Gefühl.

Das Letzte, was ich von ihnen gehört habe, war ihre verzweifelte Bitte, sie nicht zu verlassen. Ich habe ihnen geantwortet, dass ich zurückkommen würde, doch wer weiß, ob sie dieses Versprechen erhalten haben oder meine Gedanken nie zu ihnen durchgedrungen sind?

Als würde er wissen, was gerade in mir vorgeht, drückt Nero meine Hand noch einmal. »Keine Sorge. Wir lassen uns von ihr nicht unterkriegen. Wir sind stärker, als sie uns zugesteht.«

»Im Moment kann ich kaum allein vom Sofa aufstehen, ohne direkt umzufallen wie ein nasser Sack«, erinnere ich ihn, worauf ihm ein leises Schnauben entweicht.

»So wollte ich das nicht sagen, aber auch das schaffen wir. Als ich vorhin aus dem Fenster geschaut habe, sah es aus, als würde der Sturm etwas nachlassen. Wir könnten heute Abend, wenn wirklich niemand mehr draußen unterwegs ist, zum Strand gehen.«

Natürlich weiß ich, dass er mich mit der Aussicht, eine erholende Runde zu schwimmen, aufheitern will. Blöderweise bin ich jedoch weder blöd noch taub. In jedem wachen Moment höre ich das stete Prasseln der Regentropfen gegen die Fensterscheibe. Von den Sturmböen ganz zu schweigen.

Trotzdem ist der Gedanke mehr als nur verführerisch. »Ob Selma uns das erlaubt?«

»Ob Selma euch was erlaubt?« Genau in dem Moment betritt Neros Mentorin das Wohnzimmer und schaltet auf dem Weg zu uns die Deckenlampe an. Die plötzliche Helligkeit sorgt dafür, dass ich instinktiv das Gesicht verziehe und die Augen zusammenkneife.

Als ich sie wenige Sekunden später wieder öffne, steht Selma mit verschränkten Armen vor uns. Mit ihren eins siebzig ist sie nur ein kleines bisschen größer als ich und besitzt eine zierliche Gestalt, aber das hält sie nicht davon ab, ganz schön einschüchternd zu wirken. Und das obwohl sie obendrein nicht einmal ihre Arbeitskleidung trägt, sondern ein bequemes Set bestehend aus pastellrosa Shorts und einem kurzärmligen weißen Shirt. Außerdem fließen ihre blonden Haare in sanften, wenn auch feuchten Wellen ihren Rücken hinab. Ihre autoritäre Haltung wird allerdings von dem belustigten Schmunzeln auf ihren Lippen ausgeglichen. Sie ist nicht wirklich sauer, sondern zieht uns nur auf.

»Ach, nichts, Sel. Nur so eine Idee …«

»… die mit dem Strand zu tun hat, nehme ich an«, schließt sie ganz richtig und lässt die Arme fallen. Erwischt.

»Wir wären nicht lang weg und es würde Aria guttun.«

»Und wenn ihr Pech habt, werdet ihr direkt an der Küste gefangen genommen. Seit zwei Tagen ist kaum jemand draußen unterwegs. Der Strand ist menschenleer. Glaubt ihr nicht, Arcana hätte die Zeit genutzt, um Fallen aufzustellen?«

Zugegeben, ich habe daran gedacht. Es ist der einzige Grund, aus dem ich bisher nicht die Wohnung verlassen habe. Arcana ist clever. Sie wird wissen, was ihr Tun an Land ausgelöst und wie es uns geschadet hat. Wüsste sie es nicht, hätte sie den Sturm bereits beendet, so wie sie es letzte Woche vor Neros und meinem Aufbruch getan hat. Damals hat es nur einen Nachmittag gestürmt.

»Okay, okay«, gibt Nero nach, klingt jedoch nicht sonderlich reuevoll. »War eine blöde Idee, aber wir können nicht noch länger tatenlos rumsitzen. Jeden Tag außerhalb des Ozeans geht es Ari schlechter und ich werde langsam auch immer unruhiger. Wir müssen etwas tun!«

»Das weiß ich«, erwidert Selma und lässt die Schultern hängen. Auf einmal wirkt sie nicht mehr autoritär, sondern vielmehr müde. Nicht verwunderlich, da sie mit Sicherheit eine anstrengende Schicht hinter sich hat. »Aber ich will nicht, dass ihr übereilt handelt und in euer Verderben lauft … oder schwimmt.« Ein Seufzen entweicht ihr, während sie den Blick senkt. Dann führt sie eine Hand zu ihrer Schläfe und massiert diese. Nach ein paar Sekunden hebt sie den Kopf erneut und sieht uns an. »Wie wäre es, wenn wir erst einmal essen? Worauf habt ihr Lust?«

***

»Ist das wirklich eine gute Idee?«, frage ich skeptisch, während ich in ein Paar Flip-Flops steige, die eigentlich Nero gehören.

Es geht mir immer noch nicht gut, aber nach einem ausgiebigen Bad fühle ich mich zumindest insoweit besser, dass ich den kurzen Fußmarsch zum Strand bewältigen sollte, ohne auf dem Weg zu kollabieren.

»Du hast Selma gehört. Wenn es nach ihr geht, sitzen wir an Land fest …«

»… bis der Sturm nachgelassen hat«, beende ich seinen Satz und seufze. Leider stürmt es immer noch genauso heftig wie vor zwei Tagen. Keine Besserung in Sicht. Eine klare Sache für Selma, die uns ausdrücklich keine Erlaubnis für diese Aktion gegeben hat. Glücklicherweise ist sie vor einer halben Stunde ins Bett gegangen, um etwas Schlaf nachzuholen, und nicht einmal eine Nachfahrin von Cinderellas guter Fee, die über magische Kräfte verfügt, kann uns aufhalten, während sie schläft.

»Ganz genau. Also haben wir zwei Möglichkeiten: Entweder halten wir uns an ihre Regeln und bleiben brav hier oder wir unternehmen etwas. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber sitze ich noch eine Sekunde länger in dieser Wohnung fest, drehe ich durch.«

Da hat er nicht unrecht. Das Nichtstun ist furchtbar. Fast so schlimm wie diese schrecklichen Entzugserscheinungen. Es wird Zeit, zurück ins Meer zu kommen. Das wäre zumindest ein Schritt in die richtige Richtung, selbst wenn es nur ein paar kurze Stunden sind, um meinen Akku aufzuladen und mich von den vergangenen Tagen zu erholen. Ohne die Kopfschmerzen, um die ich mir danach zumindest für ein paar Stunden keine Gedanken machen muss, sollte ich wieder in der Lage sein, klar zu denken, und vielleicht kommt mir dann endlich die zündende Idee.

Ich setze eine entschlossene Miene auf und straffe die Schultern. »Gehen wir«, verkünde ich, laufe an Nero, der sich gerade die Sneaker zubindet, vorbei und öffne die Wohnungstür. Nicht mal fünf Sekunden später verlassen wir gemeinsam die Wohnung.

Ein Teil von mir erwartet, dass im Treppenhaus direkt eine wütende Selma, die mit unserer Flucht gerechnet hat, auf uns wartet, aber der Flur ist leer. Ein Glück. Auf eine Standpauke von ihr habe ich gerade herzlich wenig Lust.

Wir schleichen die Stufen hinab – kein leichtes Unterfangen in Flip-Flops – und ich atme erleichtert aus, als wir das Erdgeschoss erreichen. Nero öffnet die Haustür und zum ersten Mal seit Tagen trete ich ins Freie.

Sofort benetzen angenehm warme Regentropfen meine unbedeckten Arme und eine Sturmböe weht mir durch die blonden Wellen, die ich mir vorher in weiser Voraussicht zusammengebunden habe.

Der Himmel ist zwar immer noch von dunklen Wolken bedeckt, die kaum Sonnenstrahlen durchlassen, der Regen wird uns innerhalb von wenigen Minuten bis auf die Knochen durchnässen und der Wind, der an uns zerrt, ist alles andere als angenehm – trotzdem kann ich nicht anders, als zu grinsen und tief Luft zu holen. Die Wohnung liegt so nah am Strand, dass ich die salzige Meeresbrise fast schon auf der Zunge schmecke.

»Besser?«, fragt Nero und fährt sich mit einer Hand durch sein schwarzes Haar, das bereits feucht glänzt.

»Viel besser«, bestätige ich zufrieden und stelle fest, dass es der Wahrheit entspricht. Nicht nur meine Laune hat sich endlich aus dem Keller bequemt, auch meine Kopfschmerzen flauen langsam ab und meine Glieder tun nicht mehr weh. Und das alles nur, weil ich die Wohnung verlassen habe. »Verlieren wir keine Zeit. Ich will eine Runde schwimmen.«

Übermütig greife ich nach seinem Handgelenk und setze mich in Bewegung. Dabei rutsche ich fast aus den nassen Sohlen meiner Flip-Flops und wäre wohl gefallen, hätte Nero mich nicht festgehalten.

»Nicht so hastig«, warnt er mich und kassiert ein Schnauben von mir.

Kurzerhand ziehe ich die Sandalen aus und nehme sie in die freie Hand. Nero könnte sie zwar in den wasserdichten Rucksack packen, in dem er einige Handtücher verstaut hat, doch sie sind schmutzig und ich will den Straßendreck nachher nicht unbedingt beim Abtrocknen auf meinem Körper verteilen.

»Sorry. Ich kann es nur kaum erwarten.«

»Das verstehe ich. Trotzdem sollten wir aufpassen. Selma hat nicht unrecht, wenn sie sagt, dass Arcana auf uns lauern könnte.«

»Das weiß ich, aber …« Mein Blick fällt auf den Ozean, den ich von der Straße, die wir entlanglaufen, bereits sehen kann. Ich bin viel zu lange nicht mehr im Wasser gewesen und alles an mir sehnt sich danach, wieder dieses unfassbare Gefühl von Schwerelosigkeit zu spüren. Risiken hin oder her, ich muss zurück.

Nero hält meinen Arm fest, als ich erneut schneller werde. Warum muss er nur so vernünftig sein?

»Okay, okay. Schon verstanden. Wie wäre es damit? Wir checken den Strand und wenn die Luft rein ist, bleibe ich im flachen Gewässer. Ich will einfach nur wieder schwimmen … nein, ich muss wieder schwimmen. Es ist wie ein Zwang. Ich kann nicht anders«, versuche ich zu erklären.

Obwohl Nero keine magischen Kräfte hat und sich auch nicht verwandeln kann, weiß er ziemlich genau, wie es sich anfühlt, wenn etwas einen in eine bestimmte Richtung lenkt. Man kann dieses Gefühl nicht beschreiben oder gar danach greifen, man weiß nur, dass es da und dagegen anzukämpfen absolut sinnlos ist. Alle Märchenkinder haben diese Gene, die genau das mit ihnen machen. Sie bringen einen dazu, den gesunden Menschenverstand über Bord zu werfen und stattdessen Teil des ganz eigenen Märchens zu werden, egal, wie groß die Gefahr ist, in die man sich dabei begibt. Ehe man sich’s versieht, stürzt man sich mit Freude ins Abenteuer und kann nichts dagegen tun.

Nero überlegt einen Moment. Ein Ausdruck von Skepsis huscht über seine Züge. War er eben noch vollkommen entschlossen, das durchzuziehen, wirkt er nun unsicher, aber wenn er glaubt, dass ich einfach wieder umkehre, hat er sich geschnitten. »In Ordnung. Ich will nur nicht, dass du unvorsichtig wirst. Das hier ist nur, um deine Akkus aufzuladen, bevor der Sturm irgendwann endlich nachlässt und wir fliegen können. Und dann ist der Spuk hoffentlich bald vorbei.«

Endlich erreichen wir den Strand und als meine nackten Füße den feuchten Sand berühren, muss ich mich dazu zwingen, nicht direkt auf das Wasser zuzurennen.

»Das wird er. Versprochen. Wir kriegen das hin«, versichere ich ihm und teilweise auch mir selbst. »Wir bekommen unser Happy End. Und wenn es das Letzte ist, was wir tun.«

»Na, hoffentlich ist es eben nicht das Letzte, was wir tun«, wirft mein Kumpel – Freund? Begleiter? Partner? Wir haben noch nicht wirklich über ein Label für unsere Beziehung gesprochen – ein.

Ich befreie meinen Arm aus seinem Griff und boxe ihm spielerisch gegen den Oberarm. »Du weißt, wie ich das meine. Und jetzt komm. Ich sehe hier keine Menschen und möchte schwimmen.«

Kapitel 2

Mein Sommerkleid klebt nass und schwer an meinem Körper, als ich versuche es mir auszuziehen. Das ganze Unterfangen benötigt etwas Fingerspitzengefühl, aber schließlich landet der durchnässte Stoff in einem kleinen Haufen neben mir auf dem Steg. Meine Unterwäsche folgt nur wenig später und wüsste ich nicht mit Sicherheit, dass Nero, der sich höflich weggedreht hat, und ich die einzigen Menschen an diesem Strand sind, würde ich mich furchtbar unwohl fühlen.

Stattdessen ist es fast schon befreiend, den Regen auf meiner nackten Haut zu spüren, während ich die Planken des alten Stegs entlanglaufe. Hier habe ich meine ersten Schwimmversuche mit Flosse unternommen und es hat sich einfach richtig angefühlt, hierher zurückzukehren.

Euphorie durchströmt mich, als ich mich ans Ende des Stegs setze und die Beine baumeln lasse. Sanfte Wellen umspülen meine Füße, bevor ich mich abstoße und in die Fluten eintauche.

Das Wasser ist kalt, was mich kurz erzittern lässt. Zum Glück benötigt mein Körper nur ein paar Sekunden, um sich daran anzupassen. Direkt spüre ich das mittlerweile bekannte Kribbeln, das sich von meinen Zehenspitzen über meine Beine bis hin zu meiner Hüfte ausbreitet. Am liebsten würde ich vor Freude anfangen zu heulen.

Bis zu diesem Moment war mir nicht bewusst, wie sehr ich meine Flosse vermisst habe. Jetzt, da ich sie endlich zurückbekomme, kann ich es kaum erwarten, durchs Wasser zu pflügen und das kühle Nass zu genießen.

Dabei sollte ich nicht daran denken. Zumindest nicht nur. Da ist immer noch eine leise Stimme in meinem Hinterkopf – mein Gewissen, niemand, der eine telepathische Verbindung zu mir hat – die mich daran erinnert, nach einer Falle Ausschau zu halten. Nur kann ich mich in genau diesem Augenblick ausschließlich auf meine entstehende Flosse konzentrieren.

Meine ersten Verwandlungen waren schmerzhaft, aber inzwischen tut es fast überhaupt nicht mehr weh. Im Gegenteil. Es fühlt sich verdammt gut an. Ehrfürchtig beobachte ich, wie meine Beine verschmelzen, aus meinen Füßen eine Flosse wird und magentafarbene, schimmernde Flossen sich über die untere Hälfte meines Körpers ziehen. Wenig später bedecken diese auch stellenweise meinen Bauch und meine Brüste, sodass ich mir direkt weniger nackt vorkomme.

Ich halte still, bis das Kribbeln langsam wieder abebbt, dann teste ich meine Flosse aus. Ich bezweifle zwar, dass ich in den zwei Tagen an Land vergessen habe, wie sie funktioniert, aber Vorsicht ist besser als Nachsicht. Zu meiner Freude ist es die natürlichste Sache auf der ganzen Welt, sich vor und zurück, nach links, rechts, oben oder unten zu bewegen. Als hätte ich nie etwas anderes getan.

Bevor ich losschwimme, drehe ich mich kurz nach allen Seiten um und halte einen Augenblick inne, um in mich hineinzuhorchen. Nichts. Es ist vollkommen still, was mich erleichtert. Wir hätten Arcana vielleicht nicht so viel zutrauen sollen.

Fast schon erwarte ich, ihre Erwiderung in meinem Kopf zu hören, doch es herrscht weiterhin Funkstille. Zuerst hat mich das gewundert. Arcana ist die Art Person, die nur zu gerne stichelt und nach meiner Flucht hätte ich das perfekte Ziel abgegeben. Noch dazu hätte sie mich so dazu anstacheln können, zurückzukommen und erneut in ihre Falle zu tappen. Aber es kommt einfach nichts von ihr.

Inzwischen glaube ich eher, dass ihr Stolz angeknackst ist, nachdem sie die ach so kostbare Erbin des Throns hat entkommen lassen. Ohne mich wird sie niemals die Herrscherin über die sieben Weltmeere und mein Verlust hat sie in ihren Plänen sicher um einiges zurückgeworfen.

Obwohl mich niemand sieht, schmunzele ich selbstzufrieden. Mir geht es großartig, ich kann eine Runde schwimmen, um meine Batterien aufzuladen, und wenn das so weitergeht, sollten wir bald einen vernünftigen Plan für unser weiteres Vorgehen haben. Es geht bergauf.

Für einige Minuten ziehe ich meine Runden im flachen Gewässer, genieße das Gefühl der kühlen Feuchtigkeit auf meiner Haut und wie meine Haare, aus denen ich zuvor das Haargummi gelöst habe, um mich herumschweben. Ich habe mich lange nicht so frei gefühlt.

Als ich schließlich auftauche, werfe ich meinen Kopf in den Nacken, wobei mein Haar in patschnassen Strähnen ebenfalls in die Luft geschleudert wird und mir letztendlich gegen den Rücken klatscht. Breit grinsend sehe ich zu Nero, der seinen Rucksack abgestellt und sich einfach in den nassen Sand gesetzt hat. Eins muss man uns lassen. Nach unserer Zeit im Ozean ist Wasser nun wirklich das Letzte, was uns stört.

»Das war die beste Idee, die du jemals hattest«, rufe ich ihm über die Distanz zu, während ich mich von den Wellen, die mich hin und her schaukeln, treiben lasse.

Seine Erwiderung ist ein warmes, herzliches Lachen. »Schön, dass es dir besser geht.«

»Besser ist gar kein Ausdruck.

Es geht mir absolut fantastisch!

Das heißt, wenn man ignoriert, dass wir uns mitten in einem Sturm befinden, in dem man Gewässer wie das Meer eigentlich meiden sollte. Oder die Tatsache, dass irgendwo nicht weit von hier eine böse Seehexe plant, eine Macht an sich zu reißen, mit der sie noch mehr dazu in der Lage ist, allen Meeresbewohnern das Leben zur Hölle zu machen.

Blöderweise kann ich genau diese Gedanken nicht lang vertreiben und meine euphorische Stimmung verblasst. Ich lasse die Schultern sinken und seufze.

»Ja, ich fühle mich gut, aber wie es unseren Freunden wohl gerade ergeht?«, höre ich mich murmeln. Meine Worte sind zu leise, als dass sie durch das Wellenrauschen bis zu Nero durchdringen könnten. Ein fragender Ausdruck huscht kurz darauf über sein Gesicht.

Ich schwimme näher zum Strand und halte erst an, als meine Flosse gegen den Sandboden streift. »Ich frage mich nur, wie es unseren Freunden geht«, wiederhole ich.

Zwei Tage.

Zwei so kurze und gleichzeitig unfassbare lange Tage sind vergangen und wir sind kein Stück weiter.

Währenddessen sind unsere neuen Freunde und Verbündeten Arcana fast schutzlos ausgeliefert. Ich denke an Niara, die erste andere Meerjungfrau, die ich nicht weit von hier bei einem meiner Schwimmversuche getroffen habe und die uns bis zu unserer Rückkehr eine verdammt große Hilfe war. Auch wenn wir manchmal nicht einer Meinung waren.

Ich denke an Elara und Rosa, die ich nicht ganz so gut kenne wie Niara, die aber dennoch gute Freundinnen wurden. Und ich denke an Toja, der kurz vor unserer Rückkehr an Land beschlossen hat, nicht mehr zu den anderen zurückzukehren, sondern sich allein durchs offene Meer bis zur alten Hauptstadt durchzuschlagen. Wenn wir recht haben und sie sich tatsächlich in der Küstengegend nahe Kopenhagen befindet, wird er eine ganze Weile unterwegs sein. Wo er wohl gerade ist? Ob er sich einsam fühlt? Ich kann mir nicht vorstellen eine solche Reise allein auf mich zu nehmen.

»Mach dir keine Sorgen um sie, Ari«, versucht Nero mich zu beruhigen, aber auch er klingt nicht vollkommen sicher. Ich höre einen leisen Anflug des Zweifelns in seinem Tonfall. »Solange sie sich bedeckt halten, sind sie nicht in Gefahr. Arcana konzentriert sich eindeutig auf uns oder was meinst du, wie viel Magie es sie kostet, um den Sturm aufrechtzuerhalten?«

Bestimmt eine ganze Menge. Dass ihre Kräfte stärker sind als meine, ist nun wirklich kein Geheimnis. Allerdings ist sie älter als ich und hat mehr Erfahrung mit ihnen, also werde ich vielleicht irgendwann ebenfalls dazu in der Lage sein. Trotzdem kann ich mir nicht vorstellen, dass es für sie leicht ist. Zumindest nicht so lange.

»Du hast sicher recht«, murmle ich und stoße ein mehr oder weniger beruhigtes Seufzen aus. »Das heißt, wenn Arcanas Spitzel im Untergrund nicht alle verraten hat.«

»Das glaube ich nicht«, versichert er mir. »Sie hat viel mehr davon, unerkannt einen Kontakt im Untergrund zu haben. Beruhige dich, Aria.«

Es hilft nicht sonderlich, aber ich nicke dennoch. »Ich werde trotzdem noch mal abtauchen und die Gegend abschwimmen. Nur um sicherzugehen, dass wirklich niemand in der Nähe ist und auf uns wartet.«

Dieses Mal ist es Nero, der aufseufzt und den Kopf schüttelt. »So viel zu ›Du bleibst im flachen Gewässer‹«, lässt er mich wissen, dicht gefolgt von einem resignierten »Kann ich dich aufhalten?«

»Nope«, erwidere ich sofort.

»Das habe ich mir fast gedacht.«

»Ich verspreche, ich bin vorsichtig. Außerdem fühle ich mich wieder wirklich gut. Sollte wirklich jemand auf mich warten, bin ich vorbereitet.« Demonstrativ ziehe ich einen Wasserstrahl aus dem unruhigen Meer um mich herum und lasse ihn mit der Kraft meiner Gedanken zu Eis erstarren. Zufrieden fange ich den Eiszapfen mit einer Hand auf und halte ihn Nero vor die Nase. Noch ein bisschen mehr Übung und mir sollte das so leichtfallen wie das Atmen. Hm, ob ich auch Meermenschen, die mir Böses wollen, einfach vereisen könnte? Das würde einige Dinge viel einfacher machen.

»Okay«, lenkt Nero schließlich ein. »Ich vertraue dir, aber solltest du in einer Viertelstunde nicht zurück sein, rufe ich Selma an.«

»Das wird nicht nötig sein«, verspreche ich ihm, wobei ich nicht einmal genau weiß, wie Selma mir im schlimmsten Fall helfen könnte. »Vertrau mir einfach.« Ich werfe Nero ein beruhigendes Lächeln zu und als die nächste Welle kommt, drehe ich meinen Oberkörper und werfe mich mit dem Kopf voraus hinein.

***

Der Meeresboden in unmittelbarer Nähe zur Küste von San Diego ist definitiv kein Motiv für Postkarten oder Landschaftsbilder. Die moosbewachsene, felsige Umgebung ist zum größten Teil grau und grün und einfach nur dunkel. Glücklicherweise habe ich mich daran gewöhnt und finde sie inzwischen fast genauso schön wie ein buntes Korallenriff. Nicht, dass ich je eins mit meinen eigenen Augen gesehen hätte. Ich kenne nur die typischen Bilder von farbenfrohen Unterwasserlandschaften voller Pflanzen, Korallen, Anemonen und unzähliger Fische und anderer Meeresbewohner.

Hier unten findet man andere Lebewesen dagegen nur selten, was vermutlich an dem regen Tourismus und den unzähligen Badegästen liegt, die sich für gewöhnlich im Sommer von früh bis spät an den Stränden tummeln.

Auf einmal regt sich etwas in meinen Augenwinkeln und ohne zu zögern, fahre ich herum. Mir schlägt das Herz bis zum Hals. Ich kann nichts erkennen, doch das hat nichts zu heißen. Sie könnten mich bereits umstellt haben und ich hätte nichts davon bemerkt. Prüfend scanne ich die Umgebung und halte plötzlich einen weiteren Eiszapfen, wie ich ihn vorhin im Gespräch mit Nero erschaffen habe, in der Hand. Nicht mal eine Sekunde später feuere ich ihn in die Ecke, in der ich die Bewegung wahrgenommen habe.

Nichts passiert.

Keine Feinde, keine Untergebenen Arcanas lösen sich aus den Schatten und attackieren mich. Stattdessen ist meine hektische Atmung das einzige Geräusch. Ich bin allein.

Nach einigen Momenten entspanne ich mich und riskiere, mich ein bisschen zu nähern. Nur um daraufhin festzustellen, dass die Bewegung nicht von einer Gefahr ausgelöst worden ist, sondern bloß von den sich im Wasser windenden Blättern einer Alge, die einen ovalen Stein entlangwächst.

Verdammt, die nicht zu unterschätzende Gefahr, jeden Augenblick in eine Falle zu schwimmen, lässt mich ganz schön schreckhaft werden. Vielleicht sollte ich doch umkehren. Je näher ich der Unterwasserstadt komme, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sich doch noch eine Bedrohung vor mir auftut. Und ich möchte ungern Arcana darauf aufmerksam machen, dass ich mich gerade im Meer befinde. Wenn sie es nicht durch unsere seltsame telepathische Verbindung ohnehin schon weiß.

Das wäre schlecht.

Okay, definitiv Zeit, um zum Ufer zurückzuschwimmen, beschließe ich und lege eine schnelle Drehung hin, bei der mir mein Haar ins Gesicht weht. Ich verziehe die Lippen und schiebe es beiseite, bevor ich mich wieder in Bewegung setze.

Zumindest weiß ich jetzt mit Sicherheit, dass sie uns nicht in unmittelbarer Nähe zur Küste eine Falle gestellt hat. Aber ein Teil von mir schmerzt trotzdem bei dem Gedanken, meine Freunde und Verbündeten zurückzulassen. Erneut!

Es geht ihnen gut.

Es geht ihnen gut.

Es geht ihnen verdammt noch mal gut.

Ich erinnere mich an Neros Worte und rede mir ein, dass er recht hat, schaffe es jedoch nicht, mich vollends davon zu überzeugen. Da ist immer noch ein leises Stimmchen in meinem Kopf, das mir zuflüstert, dass ich es nicht mit Sicherheit wissen werde. Zumindest nicht, bis ich persönlich nach ihnen gesehen habe. Nur kann ich allein und unvorbereitet auf keinen Fall das Risiko eingehen, bis in die Stadt zu schwimmen und unerkannt durch einen der unterirdischen Tunnel in die gewaltige Höhle zu gelangen, die das Hauptquartier der Rebellen darstellt.

Nein, das geht einfach nicht.

Also schwimme ich weiter, so weh es mir im Herzen tut.

Kapitel 3

Nach wenigen Minuten erreiche ich das flache Gewässer kurz vor dem Strand und breche mit dem Kopf voran durch die Wasseroberfläche. Für einen Moment ist ein penetrantes Rauschen in meinen Ohren das einzige Geräusch, das zu mir durchdringt. Doch nur einen Sekundenbruchteil später spüre ich den heftigen Regen erneut auf meiner nun eiskalten Haut. Gleichzeitig peitscht eine Sturmböe gegen meinen Hinterkopf, gefolgt von dem feuchten Klatschen, als mir meine langen, blonden Haare ins Gesicht fallen und die Sicht versperren.

Instinktiv kneife ich die Augen zusammen und verziehe die Lippen. Damit hätte ich rechnen müssen. Während ich mich mit langsamen Flossenschlägen in Richtung Strand bewege, schiebe ich mir die nassen Strähnen aus dem Gesicht und blinzele die Feuchtigkeit, die sich in meinen Wimpern verfangen hat, weg.

Mein Blick fällt auf Nero, der ungeduldig am Strand auf und ab tigert, und ich lächle.

»Hast du dir etwa Sorgen gemacht?«

Sofort schaut Nero auf und fährt zu mir herum. Sobald er mich im Wasser entdeckt, entspannt sich seine Haltung merklich. Er lässt die Schultern sinken, atmet sichtbar durch und ein Ausdruck der Erleichterung huscht über seine Züge. Dann erwidert er mein Lächeln.

»Überhaupt nicht. Du hattest immerhin noch …« Er sieht auf die Armbanduhr an seinem Handgelenk, während er mir langsam entgegenläuft. »… ganze zwei Minuten, bevor ich Selma angerufen hätte, um dich aufzuspüren.«

Wow, hätte nicht gedacht, dass ich tatsächlich keine Viertelstunde unter Wasser verbracht habe, aber mein Zeitgefühl war schon immer furchtbar. Mehr noch, seitdem wir zurück sind und ich Stunde um Stunde leidend auf dem Sofa verbracht habe.

»Dann ist ja gut«, lasse ich ihn wissen und verschränke meine Arme locker vor der Brust. Gleichzeitig erinnere ich mich daran, dass ich nicht ohne Grund unterwegs war, und mein Lächeln verblasst. Es macht zwar Spaß, Nero ein wenig aufzuziehen, doch es gibt deutlich Wichtigeres, über das wir stattdessen sprechen sollten. »Ich bin nicht sonderlich weit rausgeschwommen, aber die ganze Zeit ist mir keine einzige Wache begegnet.«

Nero nickt. »Das sind gute Neuigkeiten. Ich hätte gedacht, dass sie nur darauf wartet, bis du wieder einen Fuß ins Wasser setzt und dich vom Strand entfernst.«

Obwohl die Situation alles andere als lustig ist, kann ich nicht anders, als nervös zu kichern. »Glaub mir, da bist du nicht allein«, bestätige ich und strecke dabei meinen Arm nach ihm aus. »Hilfst du mir raus?«

Glücklicherweise sind Nero und ich inzwischen ein eingespieltes Team, wenn es darum geht, mich in meiner Meerjungfrauenform aus dem Ozean an den Strand zu hieven. Ohne zu zögern, kickt er sich die Sneaker von den Füßen und watet ins Wasser. Während ich meinen – zugegeben etwas langweiligen – Bericht fortsetze, ergreift er meine Flosse und hebt sie hoch. Ich falle nach vorn, aber weil ich bereits damit gerechnet habe, stütze ich mich mit den Armen ab und zusammen befördern wir mich an den Strand, wo ich mich in den nassen Sand fallen lasse. Geübt rolle ich mich auf den Rücken und setze mich auf. Regentropfen prasseln direkt auf jeden Zentimeter meiner Haut und Schuppen nieder, was sich zwar verdammt angenehm anfühlt, es mir aber um einiges erschweren wird, mich abzutrocknen.

»Das klingt vielleicht blöd … nur hatte ich darauf gehofft, du würdest – wenn du schon rausschwimmst – etwas herausfinden. Niara ist doch sonst immer außerhalb der Stadt unterwegs. Wieso ausgerechnet dieses Mal nicht?«, murmelt Nero und setzt sich neben mich, bevor er seinen Rucksack zu sich heranzieht und öffnet. Hoffentlich hat er einen Schirm eingepackt.

»Ich weiß, was du meinst«, erwidere ich und seufze. »Es wäre wohl zu schön gewesen, um wahr zu sein.«

»Vielleicht muss der Untergrund sich im Moment bedeckt halten und das Risiko, beim Verlassen der Stadt erwischt zu werden, ist zu groß«, überlegt Nero leise.

»Gut möglich. Trotzdem bescheuert.« Mit der flachen Hand schlage ich auf den sandigen Boden neben mir. »Wir sitzen hier – nicht wirklich, aber sprichwörtlich – auf dem Trockenen und je mehr Tage vergehen, desto zorniger wird Arcana und dieser Sturm wütet weiter an der gesamten Küste.«

»Was dafür sorgt, dass wir nicht fliegen können …«

»… und damit sitzen wir in einer Zwickmühle. Wir müssen irgendetwas tun. Irgendetwas. Es muss einen anderen Weg geben, nach Dänemark zu kommen.« Flehentlich sehe ich ihn an, als hätte er in den dreizehn Minuten, die ich unter Wasser war, eine Lösung für das Problem gefunden, das uns seit unserer Rückkehr begleitet.

Nero wendet den Blick von mir ab und seinem Rucksack zu. »Schwimmen können wir auch nicht«, erinnert er mich und zieht tatsächlich einen handlichen kleinen Regenschirm hervor. Er ist gerade groß genug, um meine Flosse vor dem Regen zu schützen. Ich hoffe, das reicht. Nachdem Nero ihn geöffnet hat, nehme ich ihn an mich, damit er das Handtuch rausholen kann.

»Ich weiß«, murre ich. »Zu gefährlich.« Vor allem, da wir jetzt wissen, dass Arcana nichts unversucht lassen wird, mich wieder in ihre Gewalt zu bringen. Sie kann mich vielleicht nicht töten, da der Anspruch auf den Thron dann nicht direkt an sie, sondern an einen Meermenschen übergeht, den der Thron selbst als würdig anerkennt, allerdings heißt das nicht, dass sie mich nicht gewaltsam dazu bringen will, ihr meinen Anspruch zu übertragen. Das kann ich nicht zulassen. Zu viele Meermenschen, einige davon Freunde und Freundinnen, verlassen sich auf mich und meinen Sieg. Ich kann sie nicht enttäuschen.

»Wir finden eine andere Möglichkeit«, verspricht Nero mir zuversichtlich und hält mir in einer versöhnlichen Geste ein Strandtuch entgegen. Ich nehme es an und reiche ihm den Regenschirm. »Zumindest geht es dir wieder besser. Das ist doch schon mal was.«

»Ja«, höre ich mich bestätigen. Vielleicht fühle ich mich rein körperlich besser, das ändert allerdings nichts an dem Druck, der auf mir lastet und mich fast unter sich begräbt. Trotzdem schenke ich ihm ein Lächeln und trockne mich ab. Inzwischen habe ich Routine darin und schaffe es, die wichtigsten Teile meines nackten Körpers zu bedecken, sobald er sich verwandelt. Nero dreht seinen Kopf höflicherweise trotzdem von mir weg, wofür ich ihm sehr dankbar bin.