Spuren im Sand - André Baganz - E-Book

Spuren im Sand E-Book

André Baganz

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Beschreibung

Ein lang gehegter Traum wird Wirklichkeit: Der Autor beschließt, nach Namibia zu reisen – das Land, das er nur aus Erzählungen kennt, das aber durch seine afrikanischen Wurzeln eine besondere Faszination auf ihn ausübt. Gemeinsam mit seiner anfangs skeptischen Frau begibt er sich auf einen selbst organisierten Roadtrip, der sie weit abseits der üblichen Touristenpfade führt. In einem Allradwagen mit Dachzelt erkunden sie die atemberaubenden Kontraste des Landes: von den roten Dünen des Sossusvlei über die raue Skelettküste bis zur tierreichen Etosha-Pfanne. Doch dies ist mehr als nur ein Reisebericht. Es ist eine tief persönliche Spurensuche, eine Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, der Kolonialgeschichte und der komplexen Realität Namibias. Prägend werden die authentischen Begegnungen mit den Menschen – allen voran mit dem Jungen Moses, dessen Schicksal die Reise nachhaltig beeinflusst und eine unerwartete Wendung gibt. Mitreißend und schonungslos ehrlich erzählt dieses Buch von unvergesslichen Abenteuern, emotionalen Grenzerfahrungen und der tiefen Liebe zu einem Land, das für den Autor und seine Frau zu einer potenziellen neuen Heimat wird.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Spuren im Sand
Exploring Namibia
André Baganz
Copyright © 2025 André Baganz
Alle Rechte vorbehalten.Cover Design und Grafiken erstellt mit: Canva
Impressum
André Baganz c/o autorenglück.de
Franz-Mehring-Str. 15
01237 Dresden
Prolog
Ich weiß noch genau, wann ich den Entschluss fasste, nach Namibia zu fliegen: Es war am 15.12.2023 in Galway in einem Restaurant namens Kai. Dort feierten meine Frau Marguerite (Mags) und ich mit einigen Freunden und Verwandten Mags’ Geburtstag, ihren Ruhestand sowie unseren Hochzeitstag. Mags’ Nichte, Hollie, hatte kurz zuvor geheiratet und erzählte von ihrer Hochzeitsreise nach Tansania. Als ich das hörte, kam plötzlich mein Traum, den ich schon seit Langem hatte, zurück. Komischerweise hatte ich dessen Realisierung in den vergangenen Jahrzehnten total verdrängt. Zwischendurch flammte er immer mal wieder auf, zum Beispiel, als ich während meiner Zeit als Taxifahrer in Köln einen Namibier im Wagen hatte. Der junge Mann schwärmte von seiner Heimat und sagte, es sei genau das richtige Land für einen wie mich. Mit dieser Aussage spielte er darauf an, dass bei mir für jeden sichtbar ein Elternteil aus Afrika kommt. Er sagte, dass die Deutschen in Namibia anders seien als die Deutschen in Deutschland, sprich viel offener, toleranter und freundlicher. Aus diesem Grund könnte er auch nicht auf Dauer in Deutschland leben, obwohl es natürlich ein schönes Land sei.
Ich habe keine Probleme mit meinem Selbstbewusstsein, aber die 63 Jahre, die ich bisher in meinem Geburtsland gelebt habe, lehrten mich, dass ich dort nie etwas anderes als ein Außenseiter sein werde. Jahrzehntelang war es für mich schwierig, meine deutsche Mentalität mit meinem afrikanischen Aussehen in Einklang zu bringen. Die Leute, die es betrifft, und auch nur diese, wissen, wovon ich rede … Jedenfalls kam der Wunsch während unserer Feier im Kai mit voller Kraft zurück. Als ich ihn artikulierte, war Hollie sofort Feuer und Flamme und bot sich an, den Trip zu organisieren, da das ein Hobby von ihr war. Mags reagierte derweil skeptisch, und das ist noch gelinde ausgedrückt. Gleichwohl hatte sich die Idee bei mir festgesetzt, und im Folgenden stritten Mags und ich sogar darüber. Schließlich gab sie nach, und wir einigten uns darauf, dass sie es mir zuliebe tun würde. Da war das Angebot von Hollie, aber ich kam nicht darauf zurück, denn ich kann meinen Urlaub nur genießen, wenn ich ihn auch selbst vorbereitet habe, zumal meine Priorität immer die Menschen und nicht die touristischen Attraktionen sind.
Nach dem Jahreswechsel machte ich mich an die Planung. Nach sorgfältiger Recherche entschlossen wir uns für einen dreiwöchigen Aufenthalt im Mai. In diesem Monat fangen die Temperaturen in dem Land an, erträglich zu werden, und der Flug ist relativ preiswert, weil noch keine Hochsaison ist. 
Den ganzen Januar, Februar und März saß ich jeden Abend vor meinem iPad und plante die Route. Nachdem ich zunächst mit einer Rundfahrt durch das ganze Land liebäugelte, sah ich nach reiflicher Überlegung davon ab, da Namibia mit über 824.000 km² größer ist als Deutschland und Frankreich zusammen. Wir hätten nach Mammutetappen überall nur einmal übernachten können und wären fast die ganze Zeit über im Auto gewesen. So was ist kein Urlaub. Deshalb entschloss ich mich für eine Tour durch die nördliche Hälfte des Landes. Das waren 3000 km, gestaffelt in zehn moderate Etappen. Ich schaute mir über 70 YouTube-Videos über Namibia an und konnte es kaum abwarten. Da ich Mags kenne, wusste ich, dass der Trip ihr am Ende gefallen würde. Sie hatte lediglich Angst vor dem Unbekannten, denn sie war im Gegensatz zu mir noch nie in einem afrikanischen Land gewesen. 
Was sollte man über Namibia wissen? Beim Schreiben dieses Buches stellte ich der Künstlichen Intelligenz diese Frage. Und sie antwortete wie folgt: „Namibia, ein faszinierendes Land im südlichen Afrika, begeistert Besucher mit seiner atemberaubenden Landschaftsvielfalt, reichen Tierwelt und einer reichen Kultur. Dieses Land, das seinen Namen von der Wüste Namib hat, die sich auf einer Länge von rund 1.200 Kilometern erstreckt, bietet eine einzigartige Kombination aus Wüsten, Savannen, Bergmassiven und einer faszinierenden Küste am Atlantik. Namibia ist Heimat einiger der spektakulärsten Naturwunder Afrikas, darunter der Etosha-Nationalpark, einer der größten und artenreichsten Wildparks des Kontinents. Hier können Besucher majestätische Elefanten, Löwen, Giraffen, Nashörner und eine Vielzahl anderer Tiere in ihrer natürlichen Umgebung beobachten. Die Kultur Namibias ist ebenso vielfältig wie die Landschaft. Die Menschen in Namibia stammen aus verschiedenen ethnischen Gruppen, darunter die Himba, Herero, San und Nama. Ihre traditionelle Lebensweise, Kunst, Musik und Tänze tragen zur kulturellen Vielfalt des Landes bei. Namibia ist auch für seine einzigartigen Highlights bekannt, wie die roten Sanddünen von Sossusvlei, den Fish River Canyon – der zweitgrößte Canyon der Welt –, die historische Küstenstadt Swakopmund und die einzigartige Felsenmalerei der San im Brandberg-Gebirge. Die freundlichen Menschen, die Weite der Landschaft und die unvergesslichen Sonnenuntergänge machen Namibia zu einem unvergleichlichen Reiseziel, das Besucher mit seiner Schönheit und Vielfalt verzaubert. Tauchen Sie ein in die Welt Namibias und erleben Sie ein Abenteuer, das Sie für immer in Erinnerung behalten werden.“
Obwohl KI einen breiten Überblick bietet, ist es wichtig, diesen mit einigen entscheidenden Fakten zu ergänzen. Zum Beispiel hat die KI es versäumt, die Ovambos zu erwähnen, den größten Stamm in Namibia, der etwa 50 % der Bevölkerung ausmacht. Dies ist ein bedeutendes Detail, das nicht übersehen werden sollte. Namibia, mit einer aktuellen Bevölkerung von etwa 3.000.000, ist nach der Mongolei das zweitdünnste besiedelte unabhängige Land der Welt. Darüber hinaus sieht sich das Land mit schwerwiegender sozialer Ungleichheit und weitverbreiteter Armut konfrontiert, Realitäten, derer sich Besucher bewusst sein sollten. Ebenfalls wichtig: Man sollte sein Eigentum niemals aus den Augen lassen, sonst ist es nämlich weg. Ich bin weit davon entfernt, Namibia schlecht zu machen; im Gegenteil, ich liebe dieses faszinierende Land. Aber das sind Fakten, die man wissen muss, bevor man dorthin fliegt. 
Namibia war von 1884 bis 1915 eine deutsche Kolonie und trug den Namen „Deutsch-Südwestafrika“. Während dieser Zeit entwickelten die deutschen Kolonialherren eine strenge Kolonialherrschaft über das Land, was zu Konflikten mit den einheimischen Namibiern führte und in den Herero- und Nama-Aufständen von 1904 bis 1908 gipfelte. Hier eine kurze Erläuterung: Die Deutschen kamen mit Brunnenbauern, Brückenbauern und vielen anderen Spezialisten im damaligen Südwestafrika an. Sie kauften dann mehr und mehr Land von den Einheimischen, die dachten, sie hätten einen guten Deal gemacht. Denn was sollten sie mit einem trockenen Stück Erde, wo nur etwas wuchs, wenn es mal regnete, was nicht oft vorkam? Das, was sie von den Deutschen dafür bekamen, erachteten sie als viel wertvoller. Die Deutschen machten das Land jedoch urbar, sprich Brunnenbauer und Bewässerungsexperten, und plötzlich hatten sie Ländereien, die sich zur landwirtschaftlichen Nutzung eigneten. Gleichzeitig stellten nun die Einheimischen, die mit ihnen abgeschlossenen Verträge infrage. Nachdem 120 deutsche Siedler von Hereros ermordet worden waren, schlug die deutsche Schutztruppe erbarmungslos zurück … Das ist natürlich sehr vereinfacht, trifft jedoch den Kern. Fakt ist, dass die Deutschen die Einheimischen bis aufs Blut ausbeuteten und lediglich als billige Arbeitskräfte benutzten. Und aus heutiger Sicht kann man sich natürlich die Frage stellen: Was hatten die Deutschen dort überhaupt zu suchen? Man darf aber nicht vergessen, dass Kolonialisierung nach damaligem Standard „normal“ und sogar eine gute Tat war. Und auch nicht, dass die Deutschen praktisch die Einzigen sind, die ihre koloniale Schuld eingestehen und Reparation geleistet haben. Dass das Geld nicht bei den Hereros ankommt, ist eine innernamibische Angelegenheit. Jedenfalls nach dem Ersten Weltkrieg verlor Deutschland infolge des Versailler Vertrags seine Kolonien, darunter auch Deutsch-Südwestafrika. Namibia wurde daraufhin unter südafrikanische Mandatsherrschaft gestellt, bis es schließlich 1990 seine Unabhängigkeit erlangte. Die beiden Länder sind nach wie vor sehr eng verbunden, was schon die Tatsache beweist, dass der südafrikanische Rand in Namibia überall als vollwertiges Zahlungsmittel akzeptiert wird.
Unsere geplante Route
Joe’s Beerhouse
Wir fuhren schon um 12 Uhr von zu Hause los, obwohl der Flug erst am Abend ging. Bei mir war die Vorfreude einfach zu groß. Mags war immer noch reserviert und machte sozusagen gute Miene zum bösen Spiel. Sie tat es für mich ... Den Nachmittag verbrachten wir am Frankfurter Flughafen. Ein netter Mitarbeiter dort – irgendwie hatte ich den Eindruck, dass das Personal am Frankfurter Flughafen viel freundlicher und zuvorkommender ist als das in Köln/Bonn und Düsseldorf, von wo aus wir normalerweise fliegen – gab uns den Tipp, zum Terminal 2 zu gehen, weil es dort die meisten Geschäfte und Restaurants gäbe. Den Ratschlag befolgten wir. Im Terminal 2 vertrieben wir uns dann die Zeit mit Windowshopping und Restaurantbesuchen. Der riesige Frankfurter Flughafen ist übrigens bestens dazu geeignet, sich fit zu halten, denn wenn man zu Fuß von einem zum anderen Terminal geht, legt man locker eine Strecke von anderthalb Kilometern zurück. Man kann allerdings auch den SkyTrain nehmen.
Wir flogen mit Discover Airlines, einer Lufthansa-Tochter. Der Flug sollte um 21 Uhr abheben, allerdings verzögerte sich der Start um 20 Minuten. Wir konnten unser Flugzeug durch die große Glasscheibe vom Wartebereich aus sehen. Es stand ab 20 Uhr bereit, wurde jedoch nicht beladen. Über den Grund kann ich lediglich spekulieren; ich schätze aber, es lag daran, dass einige Passagiere Artikel in ihren aufgegebenen Gepäckstücken hatten, die entweder verboten waren oder einer Klärung bedurften. Zu dieser Annahme komme ich, weil vor dem Boarding mehrere Lautsprecherdurchsagen kamen, die bestimmte Passagiere unseres Fluges aufforderten, »sich bitte zum Ausgang zu begeben«.
Als es dann endlich losging, informierte uns der Kapitän, dass die Flugzeit ca. zehneinhalb Stunden dauern würde. Was nicht nur ich ausgesprochen nett fand, war, dass er kurz nach Abpfiff des Champions-League-Halbfinales zwischen Paris Saint-Germain und Dortmund folgende Durchsage machte: »Für alle an Bord, die sich für Fußball interessieren und es mit dem deutschen Fußball halten, habe ich eine gute Nachricht: Soeben ist das Champions-League-Halbfinalrückspiel zu Ende gegangen, und ich kann Ihnen mitteilen, dass Dortmund genau wie im Hinspiel eins zu null gewonnen hat. Damit stehen sie im Finale.« In dem Flieger, der nach meiner Schätzung zu 80 % mit deutschen Touristen besetzt war, brach allgemeiner Jubel aus.
Ansonsten haben Mags und ich den Flug in nicht allzu guter Erinnerung. Dies haben wir uns jedoch selbst zuzuschreiben, denn an der Airline gab es nichts auszusetzen; das Essen war gut und das Entertainmentprogramm an Bord ließ ebenfalls nicht zu wünschen übrig. Was wir bei der Buchung nicht bedacht hatten, war, wie unbequem die Sitze in einem Airbus A330 in den mittleren Viererreihen sind. Dort saßen wir nämlich. Ich bin mit eins zweiundachtzig kein Riese, hatte aber überhaupt keine Beinfreiheit. Meine Knie drückten die ganze Zeit über gegen den Sitz meines Vordermanns. Mags, die ziemlich klein ist, hatte zwar die Beinfreiheit, für sie war es aber auch sehr unbequem, weil die Sitze ziemlich schmal waren. Mit dieser Erfahrung beschlossen wir, in der Hinsicht nicht mehr sparsam zu sein. Auf dem Rückflug muss es nicht gleich Business Class sein, aber es gibt ja so etwas wie Economy +. Ein Sitz in den platzmäßig großzügigeren Fensterreihen mit einem Aufschlag von 137 € pro Person macht den langen Flug dann doch viel angenehmer.
Wahrscheinlich hatten wir Rückenwind, denn kurz vor der Ankunft teilte uns der Käpt’n mit, dass wir 30 Minuten gutgemacht hatten und trotz des verspäteten Starts pünktlich in Windhuk landen würden.
Ich war das letzte Mal im Jahre 1998 in ein afrikanisches Land geflogen. Und direkt nach der Landung stellte ich fest, dass sich auf dem schwarzen Kontinent nicht viel verändert hat. In den Neunzigern flog ich mehrmals nach Guinea und Liberia. Diese Länder befinden sich zwar in Westafrika, ich glaube dennoch, dass sich die Eindrücke, die ich dort gewann, verallgemeinern lassen. Alles war genau so, wie ich es in Erinnerung hatte: ein leeres Flugfeld und der lange Weg vom Flugzeug zum Terminal, vorbei an einem Spalier von Sicherheitsleuten. Wobei, in dieser Hinsicht gab es einen Unterschied: Die Sicherheitsleute waren diesmal alle weiblich und zum Teil extrem freundlich. Dann die lange Wartezeit an der Passkontrolle und schließlich das Verhandeln mit den Taxifahrern, das ich mir hätte sparen können, wenn ich mir den Vertrag mit der Autovermietung sorgfältig durchgelesen hätte. Denn darin stand, dass der Flughafentransfer zum Hotel im Preis inbegriffen ist ... Jedenfalls stimmten die Videos, die sich auch mit Preisen beschäftigten, darin überein, dass eine Taxifahrt vom Windhuker Flughafen ins Zentrum 45 Minuten dauert und 400 Namibia-Dollar, umgerechnet 20 €, kostet. Andere Berichte im Internet bestätigten dies. Als wir angesprochen wurden, ob wir ein Taxi bräuchten, sagte ich »ja«, fragte aber vorsichtshalber nach dem Preis. Mir wurde gesagt, dass ich für eine Fahrt ins Zentrum 600 N$ zahlen müsste, was umgerechnet 30 € sind. Ich verstehe natürlich, dass die Einheimischen auch etwas davon haben, sprich Geld verdienen sollen, wenn ich als Tourist in ihr Land komme. Allerdings muss ich, wie jeder, auch mein Geld verdienen. Ich würde nie einen Aufstand wegen 2 oder 3 Euro machen, aber 10, das macht die Differenz nämlich aus, sind eindeutig zu viel. Das habe ich dem Herrn auch klargemacht. Darauf bekam ich die Antwort, dass die 400 N$ für eine Person sind. Für zwei wären es 800. Ich bekäme aber freundlicherweise einen Discount von 200. Da ich, wie bereits erwähnt, Afrikaerfahrung habe, bin ich mit der afrikanischen Mentalität vertraut. Ich sagte dem Mann höflich, dass mir das zu viel sei und ging weiter. Auf dem Parkplatz vor dem Flughafengebäude sprach uns der Nächste an. »Ja, wir brauchen ein Taxi. Wie viel?« – »600 N$«. Als ich den Kopf schüttelte, ging er auf 500 runter. Nun war der Preis umgerechnet 25 €. Darauf ließ ich mich ein. Selbstverständlich bekam Moses, unser Fahrer, auch ein vernünftiges Trinkgeld. Mein Punkt hier ist folgender: In Afrika darf man niemals den ersten genannten Preis akzeptieren. Ich würde sagen, die Menschen dort erwarten regelrecht, dass du mit ihnen handelst. Dieses Feilschen ist zwar vielen Deutschen zuwider, aber es ist nun mal Sitte in diesen Ländern. So, when in Rome, do as the Romans do!
Für die ersten zwei Übernachtungen hatten wir ein Zimmer im Windhuk Gardens Boutique-Hotel gebucht. Laut deren Website konnte man das Zentrum von dort aus fußläufig erreichen, was unser Hauptkriterium bei der Auswahl gewesen war. Nach unserer Ankunft im Hotel waren wir natürlich todmüde, da wir im Flugzeug kein Auge zugemacht hatten. 9:30 Uhr war für einen Check-in allerdings zu früh. Für einen Aufschlag von umgerechnet 25 € wurde uns aber ein Early Check-in angeboten, den wir dankend annahmen. Und jetzt möchte ich eine weitere afrikanische Eigenart erwähnen: Frühstück gab’s bis 9:30 Uhr. Obwohl es nach Erledigung aller Formalitäten bereits 9:45 war, bekamen wir trotzdem noch ein Frühstück, das im Preis für den Early Check-in inbegriffen war. Ich will damit sagen, dass man es in Afrika, egal wo, mit der Zeit nicht so genau nimmt. In diesem Fall definitiv zu unserem Vorteil.
Als ich mich bei den beiden Damen an der Rezeption erkundigte, ob wir zu Fuß ins Stadtzentrum gehen könnten, rieten sie uns entschieden davon ab. Wir sollten doch lieber ein Taxi für den einen Kilometer nehmen. Das überraschte mich, da sowohl im Internet als auch in den vielen Dokus, die ich mir angeschaut hatte, immer wieder betont worden war, welch sicheres Reiseland Namibia doch sei. Deshalb schenkte ich den Frauen auch keinen Glauben. Als ich mir bei einem männlichen Angestellten eine zweite Meinung einholte, sagte der, dass dieser Teil von Windhuk sehr wohl sicher sei. Ich nahm mir vor, es herauszufinden, nachdem wir uns für ein paar Stunden aufs Ohr gelegt hatten.
Ich kann sagen, dass es in der Tat gefährlich war, die Strecke von unserem Hotel zu einem Einkaufszentrum namens Wernhill Mall zu Fuß zurückzulegen. Aber nicht etwa, weil wir irgendwelchen Kriminellen begegneten, sondern weil es in Windhuk ein ziemliches Abenteuer ist, die breiten Straßen zu überqueren. Es gibt zwar einige Fußgängerampeln, diese springen jedoch nicht auf Grün und wenn doch, werden sie von den Autofahrern praktisch ignoriert. Dadurch, dass wir zu Fuß unterwegs waren, kamen wir mehrmals mit Einheimischen in Kontakt, die alle durchweg freundlich und hilfsbereit waren.
Für den Abend hatten wir geplant, denselben in Joe’s Beerhouse zu verbringen, denn in den vielen Dokus, die ich mir auf YouTube angesehen hatte, wurde diese Location immer wieder angepriesen. Und ich muss sagen, wir wurden nicht enttäuscht. Als wir am Nachmittag an der Rezeption fragten, ob sie uns ein Taxi für Joe’s rufen könnten, sagte man uns, der Laden hätte seinen eigenen Shuttle-Service. Der wurde für 18:30 Uhr bestellt und war auch prompt da. Ich erwähnte zuvor, dass man es in Afrika mit der Zeit nicht so genau nimmt. Diese Aussage muss ich teilweise revidieren, denn wenn’s ums Geldverdienen geht, trifft dies nicht zu. Im Gegenteil, dann sind die Leute zuverlässig und sogar überpünktlich. Der Fahrpreis pro Strecke betrug 50 N$, also 2,50 €. Als Ruben, der Fahrer, uns absetzte, gab er uns seine Karte: Wir sollten anrufen, wenn wir zurückwollten, und er würde uns abholen. Joe’s Beerhouse ist schwer zu beschreiben. Ich würde es als einen großen, teilweise überdachten, extrem verwinkelten, mit allerlei Zeugs – Trikots von berühmten (deutschen) Fußballern, ausgestopften Köpfen von erlegtem Wild, Oryxhörnern, Elefantenstoßzähnen, Töpfen, Pfannen und vielem mehr – dekorierten Biergarten bezeichnen. Es gibt zwei Bars, eine große und eine kleine, an denen man sitzen kann, wobei die Barhocker witzigerweise Toilettensitze sind. Ansonsten gibt es viele Tische, an denen man essen kann. Während im Hintergrund leise Musik säuselt, kann man auf zwei Flachbildschirmen Sportereignisse verfolgen. In unserem Fall war es das zweite Champions-League-Halbfinale zwischen Real und Bayern. Die Sympathien der Gäste waren schätzungsweise 80-20 verteilt zugunsten von Bayern, die am Ende leider das Nachsehen hatten. Mags und ich hatten im Verlauf des Abends tolle Gespräche mit Einheimischen, Schwarzen wie Weißen, aus denen wir viel lernten. Unter anderem sprachen wir mit Pedri, der in Hamburg geboren wurde, mit seinen Eltern aber schon im frühen Kindesalter nach Namibia ausgewandert war. Pedri erwähnte, was er für ein Taxi bezahlt, wenn er von seiner Wohnung unweit von Joe’s ins Stadtzentrum fährt: 20 N$! Mags und ich waren sprachlos. »Wie kommt es, dass wir hundert bezahlen?«, fragte Mags. – Pedri schmunzelte. »Ihr seid Touristen. Euch würden die lokalen Taxis niemals für diesen Preis befördern. T.I.A.« T.I.A. steht für »this is Africa«. Okay, ich kann’s nachvollziehen und habe es schon zuvor gesagt: wenn wir als »reiche Europäer« das Land besuchen, sollen die Einheimischen wenigstens etwas davon haben ... Was das Personal in Joe’s angeht, gibt es nur eine Bezeichnung: extrem freundlich und zuvorkommend. Unsere Bardame, Thelma, war immer zur Stelle, sobald das Glas leer war. Ruben holte uns gegen 23:30 Uhr ab und fuhr uns zurück ins Hotel. Dabei erzählte er uns einiges über Windhuk. Unter anderem warnte er uns davor, in ein normales lokales Taxi zu steigen, weil das für Touristen angeblich zu gefährlich sei. Er sagte auch, dass man Windhuk innerhalb von zweieinhalb Stunden vollkommen mit dem Auto erkunden könne. Das brachte mich auf die Idee, ihn für ebendiese Zeit für eine Stadtrundfahrt zu buchen. Aber das wahrscheinlich erst an unserem letzten Tag.
Am nächsten Morgen erhielt ich eine E-Mail von unserer Autovermietung mit dem Angebot, uns vom Flughafen abzuholen. Melanie, die Sachbearbeiterin, dachte, der Tag, an dem wir das Auto abholen würden, sei auch der Tag unserer Ankunft. Ich rief sie direkt an und machte einen Termin für 11 Uhr mit ihr aus. Ich wollte mir das Auto anschauen und noch ein paar zusätzliche Informationen einholen. Wir ließen uns von Moses, der mir seine Nummer gegeben hatte, dorthin fahren, und das Meeting endete damit, dass wir noch zusätzlich eine Windschutzscheiben- und eine Reifenversicherung abschlossen. Außerdem erledigten wir den ganzen Papierkram, damit am folgenden Tag alles schneller gehen würde. Anschließend fuhr Moses uns zum größten Einkaufszentrum der Stadt, der Grove Mall. Diese Mall war genauso beeindruckend wie das Einkaufszentrum, das sich in der Nähe unseres Hotels befand und zu dem wir am Vortag gelaufen sind. Eins war jedoch auffällig: In Wernhill waren zu 95 Prozent Schwarze, während in der Grove Mall der Anteil von weißen Shoppern bei bestimmt 50 Prozent lag. Beide Malls waren übrigens proppevoll. Wir hatten uns dort hinbringen lassen, weil wir uns eine SIM-Karte vom namibischen Anbieter MTC holen wollten. Das klappte auch. Ich bezahlte umgerechnet 15 € für 25 Gigabyte Datenvolumen. Die Karte war für einen Zeitraum von vier Wochen gültig. Ich hatte mir dafür extra ein ausgedientes iPhone mitgebracht. Bei der Fahrt durch die Stadt fiel uns immer wieder auf, wie viel Wert in Namibia auf Security gelegt wird. Nahezu jedes Grundstück war von Zäunen oder Mauern, mit Signaldrähten versehen, umgeben. Außerdem war es schwerlich zu übersehen, dass es hier Jobs gibt, die eigentlich gar nicht existieren (sollten). Beim Verlassen des Parkdecks in besagter Grove Mall zum Beispiel stand ein Mann an der Schranke, der den Fahrern die Parktickets aus der Hand nahm und sie für sie in den Schlitz schob. Man kann es auch so sehen: Der Service in Namibia ist einfach unglaublich. Zumindest als Tourist darf man dort nichts selbst machen. Wahrscheinlich ist die Anzahl der Angestellten auch deshalb so hoch. Ich bin weit davon entfernt, zu kritisieren – absolut nicht. Ich wollte es nur erwähnt haben, weil es so sehr ins Auge fällt.
Am Nachmittag entspannten Mags und ich am Pool und später aßen wir im Hotelrestaurant. Das Essen war ausgezeichnet. Ich hatte ein Cordon bleu mit Seasonal Vegetables und Mags Mixed Seafood mit Reis, und an Getränken: ich einen doppelten Johnny Walker Black Label und Mags zwei Gläser südafrikanischen Rotwein. Das alles für umgerechnet 29 €. Ach so, ich habe das Dessert vergessen! Waffel mit zwei Eisbällchen und Schokoladensoße.
Am Abend ließen wir uns zu Joe’s Beerhouse fahren, wo wir wieder einige interessante Charaktere trafen. Als ich zwei ältere Schwarze, die nur ein paar Meter entfernt von mir saßen, Deutsch miteinander reden hörte, wurde ich hellhörig. Kurz darauf kamen wir ins Gespräch, was in Namibia ziemlich leicht ist, und ich erfuhr, dass die beiden in der DDR in Magdeburg geboren wurden. Ihre Eltern waren Diplomaten von der SWAPO. Die Befreiungsorganisation hatte damals eine diplomatische Vertretung in Ostdeutschland. Nach der Wiedervereinigung mussten sie das Land praktisch über Nacht verlassen, weil die Bundesregierung der SWAPO keinen diplomatischen Status zuerkannte. Dann sprachen wir mit einem Jungen, dessen Eltern aus Deutschland kamen. Er war der einzige Weiße unter dem Personal. Er hatte den linken Arm in einer Schlinge: »Unfall beim Motocross«, sagte er. »In der Disziplin bin ich namibischer Juniorenmeister«. Er zeigte uns stolz ein paar Fotos auf seinem Handy. »Momentan arbeite ich hier in der Bar, um mir was dazuzuverdienen. Später will ich für drei Jahre nach Südafrika, um zu studieren und dann nach Deutschland.« Ich hoffe, dass die Träume und Pläne des sympathischen Jungen in Erfüllung gehen. Es war wieder ein wunderbarer Abend in Joe’s Beerhouse.
Mit dem Brecheisen
Endlich! Am dritten Tag hatte das Vorgeplänkel ein Ende und unsere Rundreise begann. Das allerdings, ich kann es schon vorwegnehmen, mit starken Anlaufschwierigkeiten. Um 10:30 Uhr wurden wir vom Shuttle-Service der Autovermietung vom Hotel abgeholt. Die Einweisung dort nahm etwa eine Stunde in Anspruch. Anschließend wollten wir zu einer Tankstelle und dann zur Grove Mall, etwa 2 Kilometer entfernt, um die Voräte für die nächsten fünf Tage zu kaufen. Ich weiß nicht, warum, aber auf dem Weg zur Tankstelle nahm ich den falschen Abzweig, landete auf einer Art Autobahn und musste kilometerweit fahren, um zu wenden. Das Problem dabei war, dass ich mein Auge nicht von der Tankanzeige nehmen konnte, denn wir hatten den Wagen, einen Toyota Hilux, Zweitürer mit Ladeflächenaufbau und Dachzelt, praktisch leer übernommen. Offiziell war nur genug Diesel im Tank, um zur nächsten Tankstelle zu kommen. Aber wir packten es.
Auf dem Rückweg sahen wir eine Shell-Tankstelle, das Windhuk Fuel Center, und stoppten. Als wir auf das Gelände fuhren, sahen wir eine Meute von gestikulierenden »Tankwärtern« – drei pro Säule. Und von denen gab es zehn. Wir wurden eingewiesen, ich öffnete den Tankdeckel und dann befüllte einer der Jungs unsere beiden 70-Liter-Tanks. Ich unterhielt mich währenddessen mit einem jungen Mann namens Epson. Epson stellte viele Fragen, unter anderem auch die, warum wir keine Euros für ihn mitgebracht hatten. Nach dieser Frage lachte er sofort. »Ich scherze nur.« Mags griff dennoch in ihre Handtasche und gab ihm einen Fünfer, den er sich mit seinen Kollegen teilen sollte. Der junge Mann bedankte sich herzlich. Da unsere »Freundschaft« nun etabliert war, fragte Epson mich, ob ich ihm alles übrig gebliebene Zeug geben könnte, wenn wir nach drei Wochen zurückkämen. Da der Junge mir sympathisch war und ich immer bereit bin, zu helfen, sagte ich Ja. Er gab mir seine Nummer. Ich rief ihn von meinem »namibischen« Handy aus an, um zu bestätigen, dass ich ihn eingespeichert hatte: Es klingelte. Ich fühlte mich gut bei dem Gedanken, bei unserer Rückkehr eine gute Tat vollbringen zu können.
Von der Tankstelle ging’s weiter zur Grove Mall, die uns auch von der Autovermietung empfohlen worden war. Als ich an einer Ampel bei Grün anfuhr, um links auf das Gelände der Shopping-Mall abzubiegen, geschah das dritte Missgeschick: Ich bin schon viel in Irland gefahren, wo ebenfalls Linksverkehr herrscht, und verstehe bis heute nicht, wie mir das passieren konnte. Ich muss wohl für einen Moment vergessen haben, dass ich nicht in Deutschland war, und fuhr voll in den Gegenverkehr. Gott sei Dank gelang es mir, mich durch die ankommenden Autos unbeschadet wieder auf die linke Spur zu schlängeln. Mags bekam fast einen Herzinfarkt.
Irgendwie landeten wir nicht in der Grove Mall, sondern in einem Shopping Center namens Hilltop. Aber für uns spielte das unter den Umständen keine Rolle. Auf dem Parkdeck angekommen, tanzte uns ein junger Mann, dessen gelbe Weste ihn als Securitymitarbeiter kennzeichnete, im wahrsten Sinne des Wortes zu unserer Parktasche. Mags und ich stiegen aus und gingen hinüber zum Food Lovers Market. Der junge Mann gab mir ein Daumenhoch, welches ich dahin gehend interpretierte, dass sich unser Wagen in guten Händen befand, wobei ich keinen Gedanken daran verschwendete, dass auch nur irgendetwas passieren könnte, bei dem Trubel, der dort herrschte. Wie man sich irren kann! Als wir nach einer knappen Stunde zurück zu unserem Wagen gingen, sah ich schon von Weitem, dass etwas nicht stimmte. Da war ein Riesenspalt zwischen dem aufklappbaren Rückfenster und der Seitenwand des Ladeflächenaufbaus. Ich schloss die Klappe sofort auf und sah an den Abdrücken, dass jemand versucht hatte, die Heckklappe mit einem Eisen aufzubrechen. Ich überprüfte die anderen Türen sofort und stellte zu meiner Erleichterung fest, dass sie verschlossen und unversehrt waren. Es war also beim Versuch geblieben. Der Ladeflächenaufbau war aber definitiv beschädigt. Eine Seite der Heckklappe ließ sich nicht mehr abschließen. Ich winkte die Männer von der Security, die nur wenige Meter entfernt standen und entspannt miteinander plauschten, heran. Sie schauten sich den Schaden an und versicherten mir, dass das alles kein Problem sei, da überall Kameras installiert seien. Ich verstand die Logik nicht. Später stellte sich heraus, dass derjenige, der für die CCTV verantwortlich ist, ausgerechnet an dem Tag abwesend war.
Ich rief die Autovermietung an, um den Schaden zu melden und zu fragen, wie ich mich verhalten sollte. Mir wurde gesagt, dass ich zurückkommen solle, was ich tat. Dort angekommen, wurde der Aufbau ausgewechselt. Die Jungs brauchten etwa eine Dreiviertelstunde dafür. Und jetzt kommt eine Nebengeschichte, die ich unbedingt erzählen muss: Bei der Buchung hatte ich Melanie um ein sogenanntes Deluxe-Dachzelt, das 20 Zentimeter breiter ist, gebeten. Sie sagte mir, dass sie keins hätten, sie sich aber eins von einer anderen Autovermietung leihen könnten. Als die Jungs den neuen Aufbau montiert hatten und sagten, dass sie fertig seien, schüttelte ich den Kopf. »Ihr müsst noch das Dachzelt von dem alten Aufbau abmachen und auf den neuen montieren.« Daraufhin sagte mir der verantwortliche Monteur, dass alle Zelte die gleiche Abmessung hätten. Ich erzählte ihm von meinem Deal mit Melanie, doch er blieb dabei. »Ich bin für die Dachzelte zuständig und weiß genau, dass wir kein größeres irgendwo aufmontiert haben.« Das bewies er mir ganz einfach mit einem Zollstock: Beide Dachzelte hatten exakt die gleichen Maße. Ich war etwas enttäuscht von Mel, zumal sie mir am Vortag zweimal auf Nachfrage versichert hatte, dass sie das Deluxe-Zelt besorgt hätte. Leider konnte ich sie mit der Angelegenheit nicht konfrontieren, weil sie an diesem Tag nicht im Büro war. Okay, es gibt Schlimmeres, aber im Nachhinein kann ich sagen, dass ein breiteres Zelt in der Tat besser gewesen wäre.
---ENDE DER LESEPROBE---