Stadt der Finsternis - Gestohlene Magie - Ilona Andrews - E-Book

Stadt der Finsternis - Gestohlene Magie E-Book

Ilona Andrews

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Beschreibung

Die Wertigerin Dali Harimau ist zwar eine mächtige Heilerin und Magienutzerin, doch sie befindet sich jenseits dessen, was als "normal" bezeichnet wird. Sie verabscheut Gewalt und Blutvergießen, was jedoch für ihre Art gang und gäbe ist. Sie hat es sogar gewagt, Vegetarierin zu werden. Und das letzte, was sie will, ist Ärger ... Jim Shrapshire ist ein waschechter Bad Boy. Der Jaguargestaltwandler hat die Aufgabe, den Katzenclan von Atlanta im Zaum zu halten - und das tut er auch mit schneller und tödlicher Gewalt, wenn nötig. Seine einzige Schwäche ist die zarte Dali, die er immer zu Hilfe ruft, wenn er verletzt ist. Als Dali von einer verzweifelten jungen Frau aufgesucht wird, deren Großmutter spurlos verschwunden ist, bringt sich auch Jim in die Ermittlungen ein. Doch was er und Dali herausfinden, könnte ihr jähes Ende bedeuten - ein Gegner, bewandert in den dunklen Künsten, hat es auf jeden abgesehen, der sich ihm in den Weg stellt ... (ca. 100 Seiten)

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Stadt der Finsternis

Die Autorin

Ilona Andrews bei LYX

Impressum

ILONA ANDREWS

Stadt der Finsternis

Gestohlene Magie

Ins Deutsche übertragen

von Bernhard Kempen

Zu diesem Buch

Die Wertigerin Dali Harimau ist zwar eine mächtige Heilerin und Magienutzerin, doch sie befindet sich jenseits dessen, was als »normal« bezeichnet wird. Sie verabscheut Gewalt und Blutvergießen, was jedoch für ihre Art gang und gäbe ist. Sie hat es sogar gewagt, Vegetarierin zu werden. Und das letzte, was sie will, ist Ärger … Jim Shrapshire ist ein waschechter Bad Boy. Der Jaguargestaltwandler hat die Aufgabe, den Katzenclan von Atlanta im Zaum zu halten – und das tut er auch mit schneller und tödlicher Gewalt, wenn nötig. Seine einzige Schwäche ist die zarte Dali, die er immer zu Hilfe ruft, wenn er verletzt ist. Als Dali von einer verzweifelten jungen Frau aufgesucht wird, deren Großmutter spurlos verschwunden ist, bringt sich auch Jim in die Ermittlungen ein. Doch was er und Dali herausfinden, könnte ihr jähes Ende bedeuten – ein Gegner, bewandert in den dunklen Künsten, hat es auf jeden abgesehen, der sich ihm in den Weg stellt …

Ich betrachtete mich im Spiegel. Ich trug einen winzigen schwarzen Slip und tomatenrote Strapse aus Satin mit Einsätzen aus schwarzer Spitze. Das Preisschild hatte die Farbe als scharlachrot bezeichnet, aber in Wahrheit war sie tomatenrot. Die Strapse hielten schwarze Netzstrümpfe. Der dazugehörige BH tat sein Bestes, meine kleinen Titten hoch zu pushen. Er hatte nicht viel, mit dem er arbeiten konnte. Ich war nicht nur sehr dünn. Als mein Körper erschaffen wurde, musste jemand die Bedienungsanleitung falsch gelesen haben. Ich hatte winzige Titten, schmale Hüften und Beine, so dünn wie Essstäbchen mit knorrigen Knien.

Ich sah lächerlich aus.

Die Beschreibung des BHs hatte »verführerische Kurven« versprochen und mich dazu ermutigt, »mit deinem atemberaubenden Dekolleté zu flirten«. Ich lehnte mich auf den Toilettentisch und blies die Luft aus. Das Ganze sah unmöglich aus.

Ich feuerte mein Spiegelbild an: »Du bist eine Wertigerin. Selbstsicher. Aggressiv. Brülle!«

Es war immer noch lächerlich.

Es hätte schlimmer sein können, sagte ich mir. Ich hätte mir den Kettenhemd-Bikini kaufen können. Im Dessous-Laden gab es auch so einen.

Die Verkäuferin hatte mir ein leichtes, durchsichtiges Nichts in Pink mit Schleifen empfohlen. Das überhaupt nicht infrage kam. Ich war ohnehin schon klein und mager. Das durchsichtige Nichts hätte mich verschlungen. Hinzu kam, dass es ein Babydoll war. Süß und niedlich auszusehen war das Allerletzte, was ich wollte, denn heute Abend war ich mit Jim Shrapshire verabredet.

Jim Shrapshire führte den Katzenclan, einen der sieben Clans im Gestaltwandlerrudel von Atlanta. Der Werjaguar diente dem Rudel normalerweise als Sicherheitschef. Jim war nicht nur ein knallharter Typ. Er war ein knallharter Typ, der ein Buch darüber geschrieben hatte, wie knallharte Typen noch krasser werden konnten. Deshalb hatte ihm Curran die Verantwortung für tausendfünfhundert Gestaltwandler übertragen, als er auf eine Mittelmeermission gegangen war. Während Currans einmonatiger Abwesenheit hatte Jim das Rudel mit eiserner Hand zusammengehalten. Er war der cleverste Mann, dem ich je begegnet war. Er war furchterregend, witzig, hatte an Stellen Muskeln, wo ich keine vermutet hätte, und aus einem unerklärlichen Grund mochte er mich.

Zumindest dachte ich, er würde mich mögen. Es war kompliziert. Da er der Alpha des Katzenclans war, unterstand ich seinem Befehl, aber er war sehr darauf bedacht, das nicht auszunutzen. Wir versuchten zusammen zu sein, aber Jim war sehr beschäftigt, und auch ich war sehr beschäftigt, sodass wir uns höchstens alle zwei bis drei Wochen sahen. Wenn wir endlich zusammenfanden, redeten wir über alles Mögliche und knutschten. Ich sollte das Tempo vorgeben. Ich sollte bestimmen, wie weit wir gingen, und die ersten paar Male gingen wir nicht sehr weit.

Jim zu küssen war meine Vorstellung vom Nirwana, obwohl ein kleiner Teil von mir nicht wahrhaben wollte, dass er wahrhaftig für mich da war. Jim brauchte jemanden, der ihm ebenbürtig war: eine Frau, die kräftig, aggressiv und sexy war. Er bekam mich, Dali, eine dünne Vegetarierin, die eine Brille so dick wie die Böden von Cola-Flaschen tragen musste, die sich erbrach, wenn sie Blut roch, und die bei einem Kampf so nützlich wie das fünfte Rad am Wagen war. Hinzu kam, dass selbst meine Mutter, die mich über alles auf der Welt liebte, mich nicht als hübsch beschreiben würde. Sie erzählte allen, ich wäre klug, mutig und gebildet. Leider half mir das alles im Moment gar nichts, denn heute Abend wollte ich sexy sein. Ich wollte Jim verführen.

Ich hatte alles genau geplant. Ich hatte einen Wein gekauft. Ein großes Essen gekocht. Ich hatte ihm sogar ein Steak zubereitet. Ich hatte es als Letztes in einer separaten Pfanne gebraten, damit kein Fleischsaft an meine Gnocchi kam. Der Geruch ließ mich zwar einige Male würgen, und ich musste es mit zwei Gabeln wenden, weil ich es nicht anfassen wollte, aber ich war mir sicher, dass es gut zubereitet war. Ich hatte diese Dessous ausgesucht, weil das Model, das sie in der Reklame trug, die Verkörperung dessen war, wie ich gern wäre: Diese Frau war groß, hatte einen Doppel-D-Busen, einen prallen Hintern, eine schmale Taille und ein Gesicht, nach dem sich jeder Mann umdrehen würde. Die Dessous sahen toll an ihr aus.

Ich begutachtete noch einmal mein Spiegelbild. Ich wollte ihn umhauen und nicht, dass er sich schlapplachte. Hätte ich mir nicht bereits die Wimpern getuscht, hätte ich vor Verzweiflung geweint.

Vielleicht war sowieso alles egal. Es war zwanzig nach acht. Jim verspätete sich. Vielleicht wurde er aufgehalten. Vielleicht hatte er es sich mit der Verabredung aber auch anders überlegt.

Es klingelte an der Tür.

Ah! Ich wirbelte im Bad herum, schnappte mir den blauen Seidenkimono, schlüpfte hinein und rannte die Treppe hinunter.

Die Türklingel ertönte ein zweites Mal. Ich lugte durchs Guckloch. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Jim!

Ich zog schwungvoll die Tür auf. Er stand groß und dunkel vor meiner Haustür und sah so heiß aus, dass ich auf der Stelle weiche Knie bekam. Ich war schon seit Jahren in ihn verknallt gewesen, und jedes Mal, wenn ich ihn sah, fand ich ihn atemberaubend. Sein Duft überflutete mich mit dem Sandelholz, dem leichten Moschus und der cremigen Vanille seines Deos. Der Hauch von Zitrus und Grüner Minze seines Shampoos. Und der Duft seiner Haut, eine komplexe Mischung aus herbem Schweiß und männlich rauem Eigengeruch, was sich vielschichtig vermischte und für mich zu Jim verband. All meine klugen Worte verflüchtigten sich, und ich stand wie ein Trottel da.

»Hoy!« Na toll! Heu war für Pferde.

»Hallo.« Er schob sich ins Haus. Er trug eine dunkle Jeans, ein schwarzes T-Shirt und eine Lederjacke. Jim war fast immer schwarz gekleidet. Sein Teint war von einem dunklen, reichen Braun, das schwarze Haar war kurz geschnitten und gab sein maskulines Gesicht frei.

Er beugte sich vor. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. Er erwiderte den Kuss nicht. Irgendwas war nicht in Ordnung.

»Ich habe eine Flasche Cabernet Franc«, sagte ich. Jim kochte wie ein Chef und mochte Wein. Der Mann im Weinladen hatte mir gesagt, dass es ein preisgekrönter Wein war. »Vom Weingut Tiger Mountain.«

Er nickte. Er schenkte mir nicht mal ein Schmunzeln.

Wollte er vielleicht mit mir Schluss machen?

»Ich hole ihn.« Meine Stimme klang piepsig. »Setz dich schon mal hin.«

Ich ging in die Küche, nahm die zwei Weingläser und füllte sie mit dem tiefroten Wein. Er konnte unmöglich mit mir Schluss machen.

Ich schnappte mir die Gläser und kehrte ins Wohnzimmer zurück.

Jim war auf meinem Sofa eingeschlafen.

Oh, nein! Als ich ihn das letzte Mal schlafend in meinem Haus angetroffen hatte, hatte sich ein Spinnenwesen von seiner Seele ernährt. Nicht schon wieder!

Ich stellte die Gläser auf dem Beistelltisch ab, fasste ihn an die Schultern und schüttelte ihn. »Jim! Jim, sprich mit mir!«

Er blinzelte und öffnete die schönen dunklen Augen. Aber sie waren glasig, als wäre er nicht ganz da.

»Geht’s dir gut? Was ist los?«

Er sah mich an. »Man hat mich herausgefordert.«

Im Rudel entschieden persönliche Herausforderungen über die Führung. Es waren Kämpfe auf Leben und Tod. Es gab keine Gnade. »Von wem?«

»Roger Mountain«, sagte er.

Roger Mountain war ein brutaler, rücksichtsloser Panter. Jim war am Leben, also musste er Roger getötet haben, aber ich hatte Roger schon einmal kämpfen sehen. Er riss seine Gegner in Stücke.

»Wie schlimm?«, fragte ich.

»Nicht so schlimm.«

»Jim?«

Er zog sein T-Shirt an der Seite hoch. Der ganze Oberkörper war dunkel verfärbt. Ich brauchte eine Sekunde, um zu erkennen, dass es ein einziger großer Bluterguss war. Ach, du dummer Idiot! »Hast du das einem Heilmagier gezeigt?« Das Rudel hatte ein eigenes Krankenhaus, und unsere Heilmagier gehörten zu den besten.

»Klar.«

»Was haben sie gesagt?«

»Sie sagten, es wäre gut.«

»Ich schlage dich gleich mit der Weinflasche«, knurrte ich. »Was haben sie wirklich gesagt?«

»Ich habe mit Nasrin gesprochen. Sie hat mir vierundzwanzig Stunden Bettruhe empfohlen.«

Natürlich hatte sie Bettruhe verordnet. Der Kampf musste Jim völlig ausgelaugt haben, und gerade jetzt erforderte es sehr viel Energie, die Gestalt zu wandeln. Die Magie durchflutete unsere Welt in Wogen. Während einer Magiephase wirkten Zauber, und Verwandlungen liefen einfacher ab, aber wenn ein normaler Gestaltwandler innerhalb von vierundzwanzig Stunden zweimal die Gestalt änderte, zwang das Gestaltwandler-Virus Lyc-V den Körper zu einer vierundzwanzigstündigen Ruhepause. Bei mir galt diese Regel nicht. Obwohl ich das Virus in mir hatte, war meine Magie mystischen Ursprungs, die von Jim allerdings nicht. Und jetzt, in der Technikphase, nach einem Kampf und nach zwei Gestaltwandlungen gehörte Jim ins Bett und nicht hierher.

»Statt dich auszuruhen, hast du dich also aus der Kriegergestalt zurückverwandelt und bist hierhergefahren?« Er konnte doch nicht so fahrlässig gewesen sein. Er hätte am Steuer einschlafen können.

Jim gähnte. »Ich wollte es nicht verpassen.« Er lächelte mich an. »Du siehst wirklich hübsch aus.«

Ach, du dummer Idiot!

»Ich setze mich nur kurz hier hin«, sagte er und schloss die Augen.

Jim war einen Meter achtzig groß, und mein Sofa war winzig. Wenn er hier einschlief, wäre er morgen nicht in der Lage, aufrecht zu gehen. »Nasrin hat Bettruhe verordnet, nicht Sofaruhe.« Ich klemmte meine Schulter unter seine Achselhöhle. »Komm schon. Wir gehen nach oben ins Schlafzimmer.«

Seine Augen leuchteten kurz auf. »Gut, wenn du darauf bestehst …«

»Ich bestehe darauf.« Ich zog ihn hoch. Ich war zwar eine vegetarische Wertigerin, aber dennoch eine Gestaltwandlerin. Ich hätte ihn die Treppe hinauftragen können, aber das würde er wohl kaum zulassen. »Komm schon.«

Wir gingen die Treppe hinauf, und ich legte ihn auf dem Bett ab. Ich liebte große weiche Betten, und meins war ein Doppelbett mit einer so dicken Matratzenauflage, dass ich springen musste, um hinaufzukommen. Jim landete darauf und versank darin. Ich griff nach seinen Stiefeln, aber er setzte sich auf. »Ich mach das schon.«

Seine Stiefel plumpsten auf den Boden. Dann legte er sich zurück und schloss die Augen. Ich trat in den Wandschrank und zog meine Dessous aus. Ich wollte nicht, dass er mich darin sah. Er könnte sonst denken, ich hätte für den Abend etwas Bestimmtes vorgehabt und wäre nun traurig, weil es nicht klappte. Der Plan war mir egal. Ich wollte nur, dass es ihm gut ging. Ich zog gewöhnliche Baumwollhöschen und ein weißes Unterhemd an, kam heraus und schlüpfte neben ihm ins Bett.

Die Magie überrollte uns in einer unsichtbaren Woge. Alle elektrischen Lichter gingen aus, und die Feenlampe im Bad leuchtete in einem sanften Blau. Meine Magie floss durch mich hindurch. Ausgezeichnet. Während einer Magiewoge würde er schneller heilen.

»Tut mir leid, dass ich die Verabredung vermasselt habe«, murmelte Jim.

Ich schmiegte mich an ihn, legte vorsichtig meine Hand auf seine Brust, um nicht zu fest zu drücken. »Hast du nicht. Es ist doch auch so schön.«

*

Klopf, klopf, klopf.

Ich öffnete die Augen. Ich lag in meinem Bett. Ich atmete tief ein und roch Jim. Sein Duft war überall um mich herum, das saubere Zitrusaroma, nach dem ich wahnsinnig verrückt war. Sein Arm lag über meiner Taille, sein Körper heiß neben meinem.

Jim war in meinem Bett, und er hielt mich fest. Ich lächelte.

Klopf, klopf, klopf.

Jemand klopfte an meine Haustür. Von mir aus. Wer auch immer das war, konnte klopfen, so lange er wollte. Ich würde weiter hier in meinem weichen Bett von Jim umschlungen liegen. Hm-hm …

»Dali! Mach die Tür auf.«

Mama.

Ich schoss senkrecht vom Bett in die Höhe. Jim sprang auf und landete auf den Füßen, mit erhobenen Armen und angespanntem Körper, zum Kämpfen bereit. »Was ist los?«

»Meine Mutter ist hier!« Ich sprang auf den Boden, zog Shorts unter meinem Bett hervor und versuchte sie auf einem Bein hüpfend anzuziehen.

Er atmete aus. »Ich dachte, es wäre ein Notfall.«

»Das ist ein Notfall!«, zischte ich in theatralischem Flüstern. »Bleib hier! Mach keine Geräusche.«

»Dali …«, begann er.

Ich nahm ein Kissen und warf es auf ihn. »Pssst!«

Er blinzelte. Ich griff nach meinem Kimono, warf ihn mir über, schloss die Tür zum Schlafzimmer, rannte die Treppe hinunter, hielt mich am Geländer fest, um nicht zu stolpern. Meine Mutter durfte auf keinen Fall erfahren, dass Jim in meinem Schlafzimmer war. Der Schock und die Fragen wären endlos, und dann würde sie wissen wollen, ob unser Heiratstermin bereits feststand und wann mit Enkelkindern zu rechnen war. Dabei wusste ich nicht einmal, ob Jim es ernst meinte.

Ich übersprang die letzten sieben Stufen, band meinen Kimono zu und griff nach der Tür.

Die Weingläser. Mist! Ich raste in die Küche, nahm die beiden Weingläser, goss den Wein ins Waschbecken und verstaute sie im nächsten Schrank, leerte die vegetarische Currysuppe ins Spülbecken, schüttete die Gnocchi mit Butternusskürbis in den Abfalleimer, warf das für Jim gebratene Steak hinterher und drückte alles tief in den Schlund des Mülleimers, falls meine Mutter etwas wegwerfen sollte. Ich wusch mir die Hände, rannte zur Tür und öffnete sie.

Meine Mutter hob die Hände. In der einen hielt sie ihre Tasche und in der anderen eine Schachtel voller Donuts. Sie war die exakte Kopie von mir, nur dreißig Jahre älter. Wir waren beide klein und zierlich, und beim Reden fuchtelten wir zu sehr mit den Händen herum. Neben ihr stand eine Frau in meinem Alter. Sie war dunkelhaarig, hatte große Augen und ein hübsches herzförmiges Gesicht. Iluh Indrayani. Sie war wie ich in den USA geboren, aber beide Elternteile stammten von der Insel Bali in Indonesien. Ihre Mutter kannte meine Mutter, und wir waren uns ein paarmal begegnet, aber wir hatten uns nie wirklich unterhalten.

Es musste etwas Schlimmes passiert sein. Besucher, die nicht zur Familie gehörten, brachte meine Mutter nur zu mir ins Haus, wenn es irgendeinen magischen Notfall gegeben hatte.

»Du hast mich eine halbe Stunde vor der Tür stehen lassen«, grollte meine Mutter.

»Ich habe geschlafen.« Ich hielt die Tür auf. »Kommt herein.«

Sie traten ein, angeführt von meiner Mutter. Iluh warf mir einen entschuldigenden Blick zu. »Es tut mir so leid, dich an einem Samstag zu stören.«

»Kein Problem«, sagte ich zu ihr.

Wir setzten uns in die Küche.

»Möchtet ihr was trinken?«, fragte ich.

Meine Mutter fuchtelte mit den Händen. »Ihr redet miteinander. Ich mache Kaffee.«

Von oben kam ein dumpfes Geräusch. Ich erstarrte.

Meine Mutter blickte zur Decke. »Hast du das gehört?«

»Was?«, fragte ich mit großen Augen. Ich würde Jim umbringen. Wenn er jemanden observierte, konnte er stundenlang völlig reglos dasitzen. Ich hatte es selbst gesehen. Er musste absichtlich etwas fallen gelassen haben.

Bums!

»Das!« Meine Mutter wurde zu einem Raubtier. »Was war das?«

Lüge, lass dir schnell irgendwas einfallen, lüge, lüge … »Ich habe einen Kater.«

»Was für einen Kater?« Meine Mutter kniff die Augen zusammen.

»Einen großen.«

»Ich will ihn sehen«, sagte Mama. »Bring ihn runter.«

»Er streunt gern herum und ist eher wild. Wahrscheinlich versteckt er sich gerade. Deshalb werde ich ihn jetzt wahrscheinlich nicht finden.«

»Wie lange hast du ihn schon?«

»Ein paar Tage.« Je mehr ich log, desto mehr verstrickte ich mich im Lügennetz. Das Gehirn meiner Mutter war wie das eines Supercomputers. Ihr entging nichts.

Mama zeigte mit dem Teelöffel auf mich. »Ist er kastriert?«

Du meine Güte! »Noch nicht.«

»Du musst ihn kastrieren. Sonst wird er das ganze Haus markieren. Der Gestank ist grauenvoll. Und wenn er nicht gerade draußen herumtigert, werden rollige Kätzchen kommen und unter den Fenstern miauen.«

Ich wäre am liebster tot umgefallen. »Er ist ein netter Kater. So ist er nicht.«

»Das ist der Trieb, Dali. Ehe du dich versiehst, hast du hier ein Katzenbordell.«

»Mutter!«

Meine Mutter winkte mit dem Löffel und bereitete dann weiter den Kaffee zu.

Ich wandte mich Iluh zu. Ihr mitfühlender Blick besagte: Kenn ich auch, hab ich als brave Tochter alles schon durchgemacht.

»Was kann ich für dich tun?«, fragte ich.

Iluh faltete die Hände auf dem Schoß. »Meine Großmutter wird vermisst.«

»Eyang Ida?«

Iluh nickte.

Ich erinnerte mich an Ida Indrayani. Sie war eine nette Dame Ende sechzig mit einem freundlichen warmen Lächeln. Sie arbeitete immer noch als Friseurin. Die Familie brauchte das Geld eigentlich nicht, aber Eyang Ida – oder Großmutter Ida, wie sie gewöhnlich genannt wurde –, kam gern unter die Leute.

»Wie lange wird sie schon vermisst?«