Starbuck: Der Rebell - Bernard Cornwell - E-Book + Hörbuch

Starbuck: Der Rebell Hörbuch

Bernard Cornwell

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Beschreibung

Dein Krieg ist nicht gerecht. Doch er macht dich zum Helden. Nathaniel Starbuck ist Sohn eines überaus frommen Pastors aus Boston. Der Vater hasst die Südstaaten, und er hasst die Sünde. Aber Nate liebt die Frauen, und nach einem Skandal weiß er keinen Ausweg, als zu seinem Studienfreund Adam nach Virginia zu fliehen. Krieg liegt in der Luft, und beinahe lynchen die braven Bürger von Richmond den jungen Mann aus dem Norden als Spion. Gerettet wird Nate von Adams Vater: Washington Faulconer ist ein reicher Mann: Er hat Land und Geld genug, um ein eigenes Regiment aufzustellen. Und Nate wird aus Bewunderung erst Offizier, dann Kriegsheld, am Ende aber zum erbitterten Feind seines Gönners … Der Auftakt zu Bernard Cornwells grandiosem Epos aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg. «Ein Bestseller, der ins Ziel trifft.» (Financial Times) «Noch besser als seine bisherigen Bücher.» (Daily Mail) «Was Cornwell wirklich liebt, sind Schlachten … Der Leser wird belohnt mit einem Buch, aus dem Pulverdampf erster Güte steigt.» (Daily Telegraph) «Wunderbar. Starbuck ist ein toller Held und die Schlachtenszenen sind mit Meisterschaft präsentiert. Sie tun richtig weh.» (Kirkus Reviews) «Erstklassige Lektüre von einem Meister des dramatischen historischen Romans. Nate Starbuck ist auf dem Marsch und auf dem Weg zum Ruhm.» (Irish Press)

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Zeit:17 Std. 53 min

Sprecher:Johannes Quester

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Bernard Cornwell

Starbuck. Der Rebell

Roman

Aus dem Englischen von Karolina Fell

Über dieses Buch

Dein Krieg ist nicht gerecht. Doch er macht dich zum Helden.

 

Nathaniel Starbuck ist Sohn eines überaus frommen Pastors aus Boston. Der Vater hasst die Südstaaten, und er hasst die Sünde. Aber Nate liebt die Frauen, und nach einem Skandal weiß er keinen Ausweg, als zu seinem Studienfreund Adam nach Virginia zu fliehen. Krieg liegt in der Luft, und beinahe lynchen die braven Bürger von Richmond den jungen Mann aus dem Norden als Spion. Gerettet wird Nate von Adams Vater: Washington Faulconer ist ein reicher Mann: Er hat Land und Geld genug, um ein eigenes Regiment aufzustellen. Und Nate wird aus Bewunderung erst Offizier, dann Kriegsheld, am Ende aber zum erbitterten Feind seines Gönners …

 

Der Auftakt zu Bernard Cornwells grandiosem Epos aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg.

 

«Ein Bestseller, der ins Ziel trifft.» (Financial Times)

 

«Noch besser als seine bisherigen Bücher.» (Daily Mail)

 

«Was Cornwell wirklich liebt, sind Schlachten … Der Leser wird belohnt mit einem Buch, aus dem Pulverdampf erster Güte steigt.» (Daily Telegraph)

 

«Wunderbar. Starbuck ist ein toller Held und die Schlachtenszenen sind mit Meisterschaft präsentiert. Sie tun richtig weh.» (Kirkus Reviews)

 

«Erstklassige Lektüre von einem Meister des dramatischen historischen Romans. Nate Starbuck ist auf dem Marsch und auf dem Weg zum Ruhm.» (Irish Press)

Vita

Bernard Cornwell, geboren 1944, machte nach dem Studium Karriere bei der BBC, doch nach Übersiedlung in die USA entschloss er sich, einem langgehegten Wunsch nachzugeben, dem Schreiben. Im englischen Sprachraum gilt er als unangefochtener König des historischen Abenteuerromans. Seine Werke wurden in über 20 Sprachen übersetzt – Gesamtauflage: weit über 20 Millionen.

 

Weitere Veröffentlichungen

 

Die Uhtred-Serie:

Band 1: Das letzte Königreich

Band 2: Der weiße Reiter

Band 3: Die Herren des Nordens

Band 4: Schwertgesang

Band 5: Das brennende Land

Band 6: Der sterbende König

Band 7: Der Heidenfürst

 

Die Artus-Chroniken:

Band 1: Der Winterkönig

Band 2: Der Schattenfürst

Band 3: Arthurs letzter Schwur

 

Die Bücher vom Heilgen Gral:

Band 1: Der Bogenschütze

Band 2: Der Wanderer

Band 3: Der Erzfeind

 

Die Starbuck-Chroniken:

Band 1: Der Rebell

Band 2: Der Verräter

Band 3: Der Gegner

 

Sowie

Das Zeichen des Sieges

Stonehenge

Das Fort

1356

Waterloo

 

Gemeinsam mit seiner Frau Judy hat Bernard Cornwell unter dem Pseudonym «Susannah Kells» zwei weitere historische Romane verfasst:

Das Hexen-Amulett

Die dunklen Engel

 

Weitere Informationen zum Autor

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Inhaltsübersicht

WidmungErster TeilEinsZweiDreiVierZweiter TeilFünfSechsSiebenAchtDritter TeilNeunZehnElfZwölfDreizehnVierzehnNachwort des AutorsKarte: Schlachtfeld bei Manassas, 21. Juli 1861Leseprobe «Starbuck. Der Verräter»

Der Rebell ist für Alex und Kathy de Jonge, die mich mit dem «Old Dominion» bekannt gemacht haben.

Erster Teil

Eins

Der junge Mann saß oben am Shockoe Slip in der Falle, wo in der Cary Street eine Menschenmenge zusammengelaufen war. Der junge Mann hatte gerochen, dass Ärger in der Luft lag, und einen Ausweichversuch in ein Gässchen hinter Kerr’s Tobacco Warehouse gemacht, dort aber hatte ihn ein Kettenhund bedroht, sodass er wieder auf den steilen, kopfsteingepflasterten Shockoe Slip zurückgedrängt wurde, wo ihn die Menge einkreiste.

«Haben wir’s eilig, Mister?», schrie jemand herausfordernd.

Der junge Mann nickte, sagte aber nichts. Er war groß und schlank, hatte langes schwarzes Haar und ein glattrasiertes, ebenmäßiges Gesicht mit entschlossenen Zügen, auch wenn sein gutes Aussehen derzeit von Schlafmangel beeinträchtigt war. Seine Haut war bleich und betonte seine Augen, deren Farbe dem nebelverhangenen Meer um Nantucket glich, wo seine Vorfahren gelebt hatten. In der einen Hand hielt er das Ende einer Hanfkordel, die um einen Bücherstapel geschlungen war, während er in der anderen eine Reisetasche mit angebrochenem Griff trug. Seine Kleidung war von guter Qualität, aber ausgefranst und schmutzig, wie die eines Mannes, der so ziemlich vom Glück verlassen war. Er gab keine Furcht vor der Menschenmenge zu erkennen, sondern schien sich ihrer Feindseligkeit zu ergeben, als wäre sie ein weiteres Kreuz, das er eben tragen musste.

«Schon das Neueste gehört, Mister?» Der Wortführer war ein Kahlkopf mit schmutziger Schürze, die nach Gerberei stank.

Wieder nickte der junge Mann. Er musste nicht fragen, um welche Neuigkeit es ging, denn es gab nur ein einziges Ereignis, das auf Richmonds Straßen einen solchen Aufruhr hatte hervorrufen können. Fort Sumter war gefallen, und die mit einem Bürgerkrieg verbundenen Nachrichten, Hoffnungen und Ängste verbreiteten sich in den amerikanischen Staaten wie ein Lauffeuer.

«Von wo sind Sie?», fragte der Kahlkopf und packte den jungen Mann am Ärmel, als wollte er eine Antwort notfalls erzwingen.

«Hände weg!» Der hochgewachsene junge Mann wurde wütend.

«Das war nur eine höfliche Frage», sagte der Kahlkopf, ließ aber dennoch den Ärmel des jungen Mannes los.

Der junge Mann wollte sich abwenden, doch die Menge drängte sich zu dicht um ihn, und er wurde zurück über die Straße Richtung Columbian Hotel geschoben. Dort war ein älterer Herr in respektabler, jedoch derangierter Kleidung an die schmiedeeisernen Gitterstreben eines Hotelfensters im Erdgeschoss gefesselt worden. Der junge Mann war noch kein Gefangener der Menge, allerdings war er auch nicht frei, solange er nicht irgendwie ihre Neugierde befriedigt hatte.

«Haben Sie Papiere?», schrie ihm ein anderer Mann ins Ohr.

«Die Sprache verloren, mein Sohn?» Der Atem der Fragesteller stank nach Whiskey und Tabak. Der junge Mann unternahm eine weitere Anstrengung, um seine Verfolger wegzudrücken, doch es waren zu viele, und er konnte sie nicht daran hindern, ihn an eine Pferdestange auf dem Fußweg vor dem Hotel zu drängen. Es war ein lauer Frühlingsvormittag. Keine Wolke stand am Himmel, doch all der dunkle Rauch von den Tredegar Iron Works und den Gallegoe Mills und der Asa Snyder Stove Factory und den Tabakfabriken und Talbott’s Foundry und den städtischen Gaswerken hatte einen stinkenden Vorhang vor die Sonne gezogen. Ein schwarzer Fuhrwerkskutscher, der mit einem leeren Wagen von den Kaianlagen der Samson and Pae’s Foundry heraufkam, beobachtete von seinem Kutschbock herab mit ausdrucksloser Miene, was da vor sich ging. Die Menschenmenge hatte es dem Kutscher unmöglich gemacht, seine Pferde auf dem Shockoe Slip umdrehen zu lassen, aber der Mann war zu klug, um sich zu beschweren.

«Von wo kommst du, Junge?» Der kahlköpfige Gerber streckte seinen Kopf vor, sodass er beinahe das Gesicht des jungen Mannes berührte. «Und wie heißt du?»

«Das geht Sie nichts an», kam es unwillig zurück.

«Dann finden wir es selbst heraus!» Der Kahlkopf packte das Bündel mit den Büchern und versuchte, es dem jungen Mann wegzunehmen. Einen Moment lang zogen sie beide, dann zerriss die ausgefranste Kordel, mit der die Bücher zusammengebunden waren, und die Bände fielen aufs Kopfsteinpflaster. Der Kahlkopf lachte, und der junge Mann verpasste ihm einen Schlag. Es war ein ziemlich kräftiger Hieb, der den Kahlkopf aus dem Gleichgewicht brachte, sodass er zurücktaumelte und beinahe hinfiel.

Irgendwer jubelte vor lauter Begeisterung über das Temperament des jungen Mannes. Die Menge war nun auf beinahe zweihundert Menschen angeschwollen, und weitere fünfzig konnten sich nicht recht entscheiden, ob sie sich im Hintergrund halten oder die aufgebrachten Männer anfeuern sollten. Die Leute waren eher aufgeputscht als bösartig, wie Kinder, die unerwartet eine Freistunde von der Schule bekommen hatten. Die meisten trugen Arbeitskleidung, woraus man schließen konnte, dass sie die Neuigkeit vom Fall Fort Sumters als Entschuldigung benutzt hatten, um von ihren Werktischen und Drehbänken und Pressen wegzukommen. Sie wollten Aufregung, und reisende Nordstaatler, die in den Straßen der Stadt aufgegriffen wurden, waren das Aufregendste, was dieser Tag zu bieten hatte.

Der kahle Mann rieb sich übers Gesicht. Er war vor seinen Freunden bloßgestellt worden und wollte Rache. «Ich hab dir eine Frage gestellt.»

«Und ich habe gesagt, das geht Sie nichts an.» Der junge Mann wollte seine Bücher aufheben, zwei oder drei davon waren bereits in der Menge verschwunden. Der ältere Herr, den sie an die Fenstergitter des Hotels gefesselt hatten, beobachtete das Geschehen schweigend.

«Also, woher kommst du, Junge?», fragte ein großgewachsener Mann in versöhnlichem Tonfall, als wollte er dem Bedrängten die Gelegenheit zu einem würdevollen Rückzug verschaffen.

«Faulconer Court House.» Der junge Mann hatte den begütigenden Tonfall wahrgenommen und ging darauf ein. Er nahm an, dass schon andere Fremde von diesem Mob behelligt, befragt und wieder laufengelassen worden waren und dass ihm, wenn er Ruhe bewahrte, all das erspart bleiben würde, was auch immer den an die Gitter gefesselten Herrn erwartete.

«Faulconer Court House?», fragte der große Mann nach.

«Ja.»

«Und dein Name?»

«Baskerville.» Das hatte er gerade auf dem hölzernen Querbrett über einem Laden auf der anderen Straßenseite gelesen. «Bacon and Baskerville» stand dort, und der junge Mann griff den Namen erleichtert auf. «Nathaniel Baskerville.» Er schmückte die Lüge mit seinem wahren Vornamen.

«Du klingst nicht wie ein Virginier, Baskerville», sagte der große Mann.

«Ich bin nur Adoptivbürger.» Das Vokabular des jungen Mannes verriet ebenso wie die Bücher, die er dabeigehabt hatte, dass er gebildet war.

«Und was hast du in Faulconer County zu tun?», fragte ein anderer Mann.

«Ich arbeite für Washington Faulconer.» Erneut schlug der junge Mann einen herausfordernden Ton an, weil er hoffte, dieser Name würde ihn wie ein Talisman schützen.

«Lass ihn lieber gehen, Don!», rief ein Mann.

«Lasst ihn in Ruhe!», schaltete sich eine Frau ein. Ihr war es gleich, dass der Junge behauptete, unter dem Schutz von einem der wohlhabendsten Grundbesitzer Virginias zu stehen; vielmehr berührte sie sein unglücklicher Blick und auch die unverkennbare Tatsache, dass der Gefangene außerordentlich gut aussah. Nathaniel war den Frauen schon immer aufgefallen, auch wenn er selbst zu unerfahren war, um ihr Interesse zu bemerken.

«Du bist doch ein Yankee, Junge, oder etwa nicht?», fragte der große Mann drohend.

«Nicht mehr.»

«Wie lange hast du denn in Faulconer County gelebt?» Das war wieder der Gerber.

«Lange genug.» Die Lüge überzeugte schon jetzt nicht mehr. Nathaniel hatte Faulconer County noch nie gesehen, auch wenn er den reichsten Bewohner des Countys, Washington Faulconer, kennengelernt hatte, denn dessen Sohn war sein bester Freund.

«Und welche Stadt liegt auf halbem Weg zwischen hier und Faulconer County?», wollte der Gerber wissen, der noch immer auf Rache aus war.

«Antworten!», zischte der große Mann.

Mit seinem Schweigen verriet Nathaniel seine Unkenntnis.

«Er ist ein Spion!», rief eine Frau mit schriller Stimme.

«Bastard!» Der Gerber machte einen Schritt auf Nathaniel zu, um ihn zu treten, doch der junge Mann sah den Tritt kommen, sprang zur Seite, holte mit der Faust nach dem Kahlkopf aus, erwischte ihn am Ohr, und dann rammte er ihm die andere Faust in die Rippen. Er hätte ebenso gut auf eine tote Schlachtsau einprügeln können, so gering war die Wirkung. Dann zerrten ein Dutzend Hände an Nathaniel, und Schläge hagelten auf ihn herab; eine Faust landete auf seinem Auge und eine andere ließ ihm das Blut aus der Nase spritzen und ihn rücklings an die Mauer des Hotels stolpern. Seine Reisetasche wurde ihm gestohlen, seine Bücher waren endgültig verloren, und jetzt riss ihm ein Mann die Jacke auf und zog die Brieftasche heraus. Nathaniel wollte den Diebstahl verhindern, aber er wurde überwältigt. Seine Nase blutete, und sein Auge schwoll zu. Der schwarze Fuhrmann sah zu, ohne eine Miene zu verziehen, und zeigte nicht einmal eine Regung, als ein Dutzend Männer seinen Wagen beschlagnahmten und darauf bestanden, dass er vom Kutschbock sprang. Die Männer kletterten auf den offenen Wagen und riefen, sie würden zur Franklin Street fahren, wo ein Trupp Arbeiter die Straße instand setzte. Die Menge teilte sich, um den Wagen wenden zu lassen, während sich der Kutscher unauffällig aus der Menge schob und dann wegrannte.

Nathaniel war gegen die Fenstergitter gedrückt worden. Seine Hände wurden unsanft zwischen den spitzenbewehrten Gitterstäben durchgezogen und mit einem Strick an den Eisenkäfig gefesselt. Er sah, wie eines seiner Bücher mit einem Fußtritt in die Gosse befördert wurde. Der Buchrücken war gebrochen, und die Seiten flatterten lose umher. Die Menge plünderte seine Reisetasche, doch darin war nichts von besonderem Wert, abgesehen von einem Rasiermesser und einem weiteren Buch.

«Woher kommen Sie?» Der Mann, den sie gemeinsam mit Nathaniel festhielten, musste eine sehr würdevolle Erscheinung gewesen sein, bevor die brüllende Menge ihn zu dem Gitter geschleppt hatte. Er war korpulent, wurde langsam kahl und trug eine kostspielige Jacke aus feinem schwarzem Wollstoff.

«Ich komme aus Boston.» Nathaniel versuchte eine betrunkene Frau zu ignorieren, die höhnisch vor ihm herumstolzierte und dabei ihre Flasche schwenkte. «Und Sie, Sir?»

«Philadelphia. Ich wollte nur ein paar Stunden in der Stadt bleiben. Ich habe meine Taschen bei der Gepäckaufbewahrung am Bahnhof gelassen und dachte, ich sehe mich ein bisschen um. Ich interessiere mich für Kathedralbau, verstehen Sie, und ich wollte die Episkopalkirche St. Paul’s besichtigen.» Der Mann schüttelte niedergeschlagen den Kopf, dann runzelte er beim neuerlichen Blick auf Nathaniel die Stirn. «Ist Ihre Nase gebrochen?»

«Ich glaube nicht.» Das Blut aus der Nase hinterließ einen salzigen Geschmack auf Nathaniels Lippen.

«Sie haben da ein ziemlich hübsches Veilchen, mein Junge. Aber es hat mir gefallen, dass Sie sich gewehrt haben. Darf ich Sie nach Ihrem Beruf fragen?»

«Ich bin Student, Sir. Am Yale College. Beziehungsweise ich war es.»

«Mein Name ist Doctor Morley Burroughs. Ich bin Zahnarzt.»

«Starbuck. Nathaniel Starbuck.» Nathaniel Starbuck sah keine Notwendigkeit, seinem Mitgefangenen seinen Namen zu verschweigen.

«Starbuck!» Der Zahnarzt wiederholte den Namen auf eine Art, die klarmachte, dass er ihn kannte. «Sind Sie mit ihm verwandt?»

«Ja.»

«Dann bete ich, dass sie es nicht herausbekommen», sagte der Zahnarzt grimmig.

«Was werden sie mit uns machen?» Starbuck glaubte nicht, dass sie in echter Gefahr waren. Er befand sich schließlich bei hellem Tageslicht mitten im Zentrum einer amerikanischen Stadt! Es waren Constables in der Nähe, Friedensrichter, Kirchen, Schulen! Das hier war Amerika, nicht Mexiko oder Cathay.

Der Zahnarzt zerrte an seinen Fesseln, ließ nach, zog erneut. «Da sie von einem Straßenbautrupp gesprochen haben, stehen mir wohl Teer und Federn bevor, aber wenn sie herausfinden, dass Sie ein Starbuck sind?» Der Zahnarzt klang beinahe hoffnungsvoll, als ob sich die Feindseligkeit der Menge dann allein auf Starbuck richten könnte und er selbst ungeschoren davonkäme.

Die Flasche der betrunkenen Frau zerschellte auf dem Gehweg. Zwei andere Frauen teilten Starbucks schmutzige Hemden unter sich auf, während ein kleiner bebrillter Mann die Papiere in Starbucks Brieftasche durchblätterte. Geld war nicht viel darin gewesen, nur vier Dollar, aber deren Verlust fürchtete Starbuck nicht. Was er fürchtete, war die Entdeckung seines Namens, der auf einem Dutzend Briefe geschrieben stand. Nun hatte der kleine Mann einen der Briefe in der Hand, faltete ihn auseinander, las ihn, drehte ihn um und las ihn noch einmal. Es stand nichts Privates darin, der Brief enthielt kaum mehr als die Bestätigung einer Zugabfahrt der Penn Central Railroad, aber Starbucks Name stand in Druckbuchstaben auf dem Umschlag, und der kleine Mann hatte ihn gesehen. Er ließ seinen Blick zu Starbuck wandern, dann wieder auf den Brief und zurück zu Starbuck. «Heißen Sie Starbuck?», fragte er mit lauter Stimme.

Starbuck schwieg.

Die Menge witterte neue Aufregung und wandte sich wieder zu den Gefangenen um. Ein bärtiger Mann, rotgesichtig, dick und sogar noch größer als Starbuck, setzte die Befragung fort. «Ist Ihr Name Starbuck?»

Starbuck ließ seinen Blick umherwandern, aber es war keine Hilfe in Sicht. Die Constables ließen den Mob gewähren, und auch wenn einige respektabel wirkende Anwohner von den Fenstern im ersten Stock auf der anderen Seite der Cary Street heruntersahen, tat keiner etwas, um diese Hetze zu beenden. Ein paar Frauen sahen Starbuck mitleidig an, doch sie konnten nichts tun. Am Rand der Menge drückte sich ein Geistlicher mit Gehrock und Beffchen herum, allerdings war die Stimmung zu sehr von Whiskey und politischen Leidenschaften aufgeheizt, als dass ein Gottesmann irgendetwas hätte ausrichten können, und so begnügte sich der Geistliche damit, leise Protestrufe auszustoßen, die wirkungslos im Gelärme der Menge untergingen.

«Du bist etwas gefragt worden, Junge!» Der rotgesichtige Mann hatte Starbucks Binder gepackt und verdrehte ihn so, dass sich die Doppelschlinge grauenvoll eng um seinen Hals zusammenzog. «Heißt du Starbuck?» Er schrie die Frage heraus, und Starbucks Gesicht wurde von Speicheltröpfchen getroffen, die mit Alkohol und Tabak gewürzt waren.

«Ja.» Leugnen hatte keinen Zweck. Der Brief war an ihn adressiert, und ein Dutzend anderer Papiere in seinem Gepäck trugen ebenfalls den verhängnisvollen Namen, der zudem in seine Hemdkragen eingestickt war.

«Und bist du mit ihm verwandt?» Das Gesicht des Mannes war von geplatzten Äderchen durchzogen. Er hatte wässrige Augen und keine Vorderzähne mehr. Ein Faden Tabaksaft rann ihm übers Kinn und in den braunen Bart. Er zerrte noch heftiger an Starbucks Halsbinder. «Gibt es da irgendeine Verbindung, Yankee?»

Auch das war nicht zu leugnen. Unter den Briefen war einer von Starbucks Vater, und dieser Brief würde bald gefunden werden, also wartete Starbuck nicht weiter, sondern nickte. «Ich bin sein Sohn.»

Der Mann ließ Starbucks Binder los und kreischte wie die Karikatur eines angreifenden Indianers: «Es ist Starbucks Sohn!» Er schrie seinen Triumph in die Menge. «Wir haben Starbucks Sohn erwischt!»

«Oh, Herr im Himmel», murmelte der Zahnarzt, «jetzt sitzen Sie wirklich in der Klemme.»

Und Starbuck saß in der Klemme, denn es gab wenige Namen, mit denen man einen Südstaatler-Mob noch mehr in Rage versetzen konnte. Abraham Lincolns Name hätte das Potenzial dazu gehabt, und John Brewers und Harriet Beecher Stowes Namen hätten die Menge ebenfalls hochpeitschen können, aber in Abwesenheit dieser Koryphäen war der Name Reverend Elial Joseph Starbucks das Nächstbeste, um die Wut der Südstaatler zum Überkochen zu bringen.

Denn Reverend Elial Starbuck war ein berühmter Gegner der in den Südstaaten verfolgten Ziele. Er hatte sein Leben der Ausrottung der Sklaverei geweiht, und er fiel in seinen Predigten ebenso wie in seinen Leitartikeln schonungslos über die Sklavenhaltergesellschaft der Südstaaten her, höhnte über ihre Anmaßung, geißelte ihre Moral und lehnte die Argumente ihrer Verteidiger ab. Reverend Elials Wortgewalt für die Sache der Sklavenbefreiung hatte ihn berühmt gemacht, nicht nur in Amerika, sondern überall, wo Christenmenschen Zeitung lasen und zu ihrem Gott beteten, und jetzt, am Tag, an dem die Nachricht von der Einnahme Fort Sumters den Süden in einen solchen Höhenflug versetzt hatte, war einem Mob in Richmond, Virginia, einer von Reverend Elial Starbucks Söhnen in die Hände gefallen.

In Wahrheit hasste Nathaniel Starbuck seinen Vater. Er wollte niemals mehr etwas mit ihm zu tun haben, doch das konnte die Menge nicht wissen, noch hätte es jemand geglaubt, wenn Starbuck es gesagt hätte. Die Stimmung in der Menge war bösartig geworden, und Rufer forderten, es Reverend Elial Starbuck heimzuzahlen. Die Leute schrien und brüllten nach Rache. Und die Menge schwoll weiter an, weil sich die Nachricht vom Fall Fort Sumters in der Stadt verbreitete und immer mehr Leute kamen, um sich dem Tumult anzuschließen, mit dem die Freiheit und der Sieg des Südens gefeiert wurden.

«Knüpft ihn auf!», rief ein Mann.

«Er ist ein Spion!»

«Niggerfreund!» Ein Pferdeapfel flog auf die Gefangenen zu, verfehlte Starbuck und traf den Zahnarzt an der Schulter.

«Warum bloß sind Sie nicht in Boston geblieben?», jammerte der Zahnarzt.

Die Menge drängte auf die Gefangenen zu, dann hielt sie unschlüssig inne, wusste nicht recht, was sie mit ihnen tun sollte. Einige Rädelsführer waren aus der Anonymität der Masse herausgetreten, und diese Rädelsführer riefen nun, die Leute sollten sich gedulden. Mit dem beschlagnahmten Wagen werde Teer von der Straßenbaustelle geholt, erfuhren sie, und in der Zwischenzeit war auch schon ein Sack Federn von einer Matratzenfabrik in der nahegelegenen Virginia Street herangeschafft worden. «Wir werden euch Gentlemen eine Lektion erteilen!», frohlockte der bärtige Mann hämisch in Richtung der beiden Gefangenen. «Ihr Yankees denkt, ihr wärt was Bessres als wir Südstaatler, stimmt’s?» Er nahm eine Handvoll Federn und warf sie dem Zahnarzt ins Gesicht. «Immer von oben herab, was?»

«Ich bin nur ein kleiner Zahnarzt, Sir, der in Petersburg seinem Beruf nachgegangen ist.» Burroughs bemühte sich um eine würdevolle Verteidigung.

«Er ist Zahnarzt!», rief der große Mann entzückt.

«Dann zieht ihm die Zähne!»

Neuer Jubel kündigte die Rückkehr des beschlagnahmten Wagens an, auf dessen Ladefläche nun ein großes Fass mit dampfendem schwarzem Teer stand. Polternd kam der Wagen kurz vor den beiden Gefangenen zum Halt, und der Teergestank überdeckte sogar den Tabakgeruch, der in der gesamten Stadt hing.

«Starbucks Balg zuerst!», rief jemand, aber anscheinend sollten die Zeremonien in der Reihenfolge der Gefangennahme abgehalten werden, oder vielleicht wollten die Anführer das Beste bis zum Schluss aufsparen, denn Morley Burroughs, Zahnarzt aus Philadelphia, war der Erste, den man von den Gitterstäben losschnitt, um ihn zu dem Wagen zu schleppen. Er kämpfte, aber er war kein Gegner für die kräftigen Männer, und sie zogen ihn auf die Ladefläche, die nun als Bühne dienen würde.

«Du kommst als Nächster dran, Yankee.» Der kleine bebrillte Mann, der als Erster entdeckt hatte, wer Starbuck war, hatte sich neben den Bostoner gestellt. «Und? Was führt dich zu uns?»

Der Mann hatte beinahe freundlich geklungen, und weil Starbuck glaubte, in ihm einen Verbündeten gefunden zu haben, sagte er ihm die Wahrheit. «Ich habe eine Lady hierherbegleitet.»

«Eine Lady! Was du nicht sagst. Was für eine Art Lady war das denn?», fragte der kleine Mann. Eine Hure, dachte Starbuck verbittert, eine Betrügerin, eine Lügnerin und ein Miststück, aber bei Gott, wie sehr er sie geliebt hatte, wie er sie verehrt hatte, und wie er sich von ihr um den kleinen Finger hatte wickeln und sein Leben ruinieren lassen, sodass er sich nun ausgeraubt, elend und heimatlos in Richmond wiederfand. «Ich habe dich etwas gefragt», beharrte der Mann.

«Eine Lady aus Louisiana», antwortete Starbuck verhalten, «die auf ihrer Reise vom Norden hierher Begleitung wünschte.»

«Dann bete, dass sie sehr schnell auftaucht und dich rettet!» Der Mann mit der Brille lachte. «Und zwar bevor dich Sam Pearce in die Finger bekommt.»

Sam Pearce war offenkundig der rotgesichtige Mann mit dem Bart, der nun zum Zeremonienmeister aufgestiegen war und überwachte, wie dem Zahnarzt Jacke, Weste, Hose, Schuhe, Hemd und Unterhemd ausgezogen wurden, sodass Morley Burroughs gedemütigt im hellen Sonnenlicht stand, nur bekleidet mit Socken und einer langen Unterhose, die ihm mit Rücksicht auf den Anstand der Damen in der Menge gelassen worden war. Sam Pearce tauchte eine langstielige Kelle in das Fass, und als er sie wieder hob, triefte heißer, zäher Teer davon herunter. Begeisterte Rufe stiegen von der Menge auf. «Zeig’s ihm, Sam!»

«Zeig’s ihm ordentlich!»

«Erteil dem Yankee eine Lektion, Sam!»

Pearce tauchte die Kelle wieder in das Fass und rührte damit den Teer einmal langsam um, bevor er sie bis zum Rand mit der qualmenden schwarzen, zähflüssigen Masse gefüllt hob. Der Zahnarzt versuchte sich loszureißen, aber zwei Männer zerrten ihn neben das Fass und drückten ihn über die dampfende Öffnung, sodass sein plumper weißer, nackter Rücken dem grinsenden Pearce ausgesetzt war, der die Kelle mit dem glitzernden, heißen Teer über sein Opfer wandern ließ.

Ruhe senkte sich über die gespannte Menge. Der Teer kroch zäh über den Rand der Kelle, und dann floss ihr gesamter Inhalt über den schon leicht kahlen Hinterkopf des Zahnarztes. Der Mann schrie und zuckte weg, als ihn der heiße, dickflüssige Teer verbrühte, aber er wurde zurückgerissen, und die Menge, deren Anspannung sich durch seinen Schrei gelöst hatte, begann zu johlen.

Starbuck sah zu, roch den atemberaubend widerlichen Gestank des zähen Teers, der an den Ohren des Zahnarztes entlang bis auf seine molligen weißen Schultern sickerte. Dampf stieg in die warme Frühlingsluft auf. Der Zahnarzt weinte, ob wegen der Schande oder der Schmerzen, war unmöglich zu sagen, aber das kümmerte die Menge auch nicht. Die Leute wussten nur, dass ein Nordstaatler litt, und das gefiel ihnen.

Pearce schöpfte eine weitere große Kelle Teer aus dem Fass. Die Menge forderte brüllend, dass sie über dem Opfer ausgegossen werden sollte. Die Knie des Zahnarztes gaben nach, und Starbuck erschauerte.

«Du bist als Nächster dran, Junge.» Der Gerber war zu Starbuck gekommen. «Du bist der Nächste.» Unvermittelt holte er mit der Faust aus und rammte sie Starbuck in den Bauch, sodass mit einem Keuchlaut die Luft aus seinen Lungen entwich und er in seinen Fesseln nach vorn kippte. Der Gerber lachte. «Du wirst leiden, Yankee, du wirst richtig leiden.»

Der Zahnarzt schrie erneut. Ein zweiter Mann war auf den Wagen gesprungen, um Pearce beim Auftragen des Teers zu helfen. Der neue Mann benutzte eine Schaufel mit kurzem Griff, um einen schimmernden Kloß Teer aus dem Fass zu schöpfen. «Lass noch was für Starbuck übrig!», rief der Gerber.

«In dem Fass hier ist noch mehr als genug, Freunde!» Der neue Folterer schmierte die Schaufel voll Teer über den Rücken seines Opfers. Der Zahnarzt zuckte und brüllte, dann wurde er von den Knien hochgezogen und bekam noch mehr Teer über die Brust gegossen, sodass die zähe Flüssigkeit über seinen Bauch auf seine saubere weiße Unterhose tropfte. Rinnsale der widerwärtigen Masse liefen an den Seiten seines Kopfes herab, über sein Gesicht und über seinen Rücken und seine Oberschenkel. Sein aufgerissener Mund war verzerrt, als ob er weinte, doch er gab nun keinen Laut mehr von sich. Sein Anblick forderte zu noch mehr Lästereien heraus. Eine Frau krümmte sich vor Lachen.

«Wo sind die Federn?», rief eine andere Frau.

«Mach ein Hühnchen aus ihm, Sam!»

Noch mehr Teer wurde aus dem Fass geschöpft, bis der gesamte Oberkörper des Zahnarztes mit der schimmernden schwarzen Substanz bedeckt war. Seine Geiselnehmer hatten ihn losgelassen, aber nun war er zu geschwächt für einen Fluchtversuch. Davon abgesehen stand er mit seinen bestrumpften Füßen in Teerpfützen, und alles, was er tun konnte, war, den ekelhaften Dreck davon abzuhalten, in seine Augen und den Mund zu fließen, während seine Folterer ihr Werk beendeten. Eine Frau füllte ihre Schürze mit Federn, stieg auf die Ladefläche des Wagens und ließ die Federn dann unter dem begeisterten Gebrüll der Menge auf den gedemütigten Zahnarzt niedersegeln. Da stand er nun, schwarz geteert, gefedert, dampfend, den Mund weit aufgerissen, ein Bild des Jammers, und um ihn herum johlte der Mob und schrie und brüllte. Ein paar Schwarze auf der anderen Straßenseite schüttelten sich vor Lachen, und sogar der Geistliche, der so kümmerlichen Protest eingelegt hatte, konnte bei dem absurden Spektakel kaum ein Lächeln unterdrücken. Sam Pearce, der Haupträdelsführer, streute eine letzte Handvoll Federn über den Zahnarzt, die auf dem gerinnenden, abkühlenden Teer kleben blieben, dann trat er einen Schritt zurück und präsentierte mit einer weit ausholenden Geste stolz sein Werk. Erneuter Jubel aus der Menge.

«Mach, dass er gackert, Sam! Er soll wie eine Henne gackern!»

Der Zahnarzt wurde so lange mit der Schaufel angestoßen, bis er die jämmerliche Imitation eines gackernden Huhns vollführte.

«Lauter! Lauter!»

Wieder wurde Doctor Burroughs gestoßen, und dieses Mal gelang es ihm, das klägliche Geräusch so laut herauszubringen, dass die Menge zufrieden war. Gelächter hallte von den Hauswänden wider und war bis zum Fluss hinunter zu hören, wo an den Kaianlagen dicht an dicht die Schleppkähne auf dem Wasser schaukelten.

«Jetzt der Spion, Sam!»

«Zeig’s ihm richtig!»

«Wir wollen Starbucks Bastard sehen!»

Männer packten Starbuck, lösten seine Fesseln und schleppten ihn eilig zu dem Wagen. Der Gerber half ihnen. Immer noch schlug und trat er den hilflosen Starbuck, spuckte ihn hasserfüllt an, verhöhnte ihn und genoss schon im Voraus die Erniedrigung von Elial Starbucks Balg. Pearce hatte dem Zahnarzt seinen Hut wieder auf den grotesk entstellten, geteerten und gefederten Kopf gedrückt. Der Zahnarzt zitterte und schluchzte leise vor sich hin.

Starbuck wurde heftig gegen das Wagenrad geschleudert. Von oben griffen Hände nach ihm, packten ihn am Kragen und zogen. Männer schoben von unten, seine Knie schlugen an die Seitenwand des Wagens, dann lag er auf der Ladefläche, die Hand in einer warmen Teerpfütze. Sam Pearce zerrte Starbuck auf die Füße und wandte der Menge sein rot geädertes Gesicht zu. «Hier ist er! Starbucks Bastard!»

«Mach ihn fertig, Sam!»

«Tauch ihn ins Fass, Sam!»

Pearce drückte Starbucks Kopf über das Fass, sodass sein Gesicht nur ein paar Zoll von der stinkenden Flüssigkeit entfernt war. Das Teerfass stand zwar nicht mehr auf dem Kohlefeuer, aber es war so groß und so voll, dass es noch fast die gesamte Hitze gespeichert hatte. Starbuck versuchte zurückzuweichen, als träge eine Luftblase an die Oberfläche des Teers stieg und direkt unter seiner blutenden Nase zerplatzte. Der Teer fiel dickflüssig zurück, dann zog Pearce Starbuck mit einem Ruck wieder hoch. «Jetzt ziehen wir dich aus, Yankee.»

Hände packten Starbucks Jacke, rissen zuerst die Ärmel ab und dann den Rest ohne weitere Umstände von seinem Rücken. «Zieh ihn nackt aus, Sam!», schrie eine Frau erregt.

«Sorg dafür, dass sein Pa einen Grund zum Predigen hat!» Ein jüngerer Mann sprang immer wieder neben dem Wagen hoch. Ein kleines Mädchen stand neben ihm, die Hand vor den Mund geschlagen, und starrte mit weit aufgerissenen Augen auf das Geschehen. Der Zahnarzt, den nun niemand mehr beachtete, hatte sich auf den Kutschbock des Wagens gesetzt und versuchte ebenso mitleiderregend wie erfolglos, den heißen Teer von seiner Haut zu kratzen.

Sam Pearce rührte erneut in dem Fass. Der Gerber spuckte Starbuck immer wieder an, während ein grauhaariger Mann an Starbucks Hose herumfummelte, um die Knöpfe aufzumachen. «Piss mich bloß nicht an, Junge, oder du hast nichts mehr, mit dem du pissen kannst.» Er zog Starbuck die Hose bis zu den Knien herunter und löste damit schrille Begeisterungsrufe in der Menge aus.

Und dann krachte ein Schuss.

Der Schuss hallte über die Kreuzung und ließ einen Vogelschwarm auf den Dächern der Lagerhäuser aufflattern, die den Shockoe Slip eingrenzten. Die Leute in der Menge drehten sich um. Pearce trat vor, um Starbuck das Hemd vom Leib zu reißen, aber da krachte ein zweiter, ohrenbetäubender Schuss und echote von den Hauswänden. Totenstille legte sich über die Menschenmenge. «Rühr den Jungen noch einmal an», ertönte eine selbstbewusste, träge Stimme, «und du bist ein toter Mann.»

«Er ist ein Spion!» Pearce wollte nicht nachgeben.

«Er ist mein Gast.» Der Sprecher saß auf einem großen schwarzen Pferd und trug einen Schlapphut, einen langen grauen Mantel und hohe Stiefel. In der Hand hielt er einen langläufigen Revolver, den er nun in ein Holster an seinem Sattel schob. Es war eine Geste von umwerfender Lässigkeit, denn sie zeigte, dass er von diesem Mob nichts zu fürchten hatte. Das Gesicht des Mannes lag im Schatten der Hutkrempe, aber er war zweifellos erkannt worden, und als er sein Pferd durch die Menge trieb, wurde ihm schweigend Platz gemacht. Ein zweiter Reiter folgte ihm und führte ein drittes, gesatteltes Pferd hinter sich her.

Der erste Reiter zügelte sein Pferd bei dem Wagen. Er schob mit dem Griff seiner Reitgerte seine Hutkrempe etwas höher und sah Starbuck ungläubig an. «Das ist ja Nate Starbuck! Stimmt’s?»

«Ja, Sir.» Starbuck bebte wie Espenlaub.

«Erkennst du mich noch, Nate? Wir haben uns letztes Jahr in New Haven kennengelernt.»

«Natürlich erkenne ich Sie, Sir.» Starbuck zitterte am ganzen Körper, aber mehr vor Erleichterung als vor Angst. Sein Retter war Washington Faulconer, der Vater von Starbucks bestem Freund und der Mann, dessen Namen er zuvor ins Spiel gebracht hatte, um sich vor dem Zorn der Menge zu schützen.

«Du bekommst anscheinend gerade einen ganz falschen Eindruck von der Gastfreundlichkeit Virginias», sagte Washington Faulconer sanft. «Schämt euch!» Diese Worte waren an die Menge gerichtet. «Wir stehen mit den Gästen unserer Stadt nicht im Krieg! Was seid ihr? Die reinsten Wilden!»

«Er ist ein Spion!» Der Gerber versuchte, die Vorherrschaft über die Menge wiederzugewinnen.

Washington Faulconer drehte sich verächtlich zu ihm um. «Und du bist ein dummer Esel! Ihr benehmt euch wie Yankees, allesamt! Die Nordstaatler können sich von mir aus eine Pöbelherrschaft wünschen, aber wir tun das nicht! Wer ist dieser Mann?» Er deutete mit seiner Reitgerte auf den Zahnarzt.

Der Zahnarzt konnte nicht sprechen, also sprach Starbuck, der sich aus dem Griff seiner Gegner losgemacht und seine Hose ordentlich hochgezogen hatte, für seinen Leidensgenossen. «Sein Name ist Burroughs, Sir. Er ist ein Zahnarzt auf der Durchreise.»

Washington Faulconer ließ seinen Blick über die Menge schweifen, bis er zwei Männer sah, die er kannte. «Bringt Mister Burroughs zu mir nach Hause. Wir werden unser Bestes tun, um den Schaden wiedergutzumachen, den ihr ihm zugefügt habt.» Als er die Leute damit beschämt hatte, richtete er seinen Blick wieder auf Starbuck und stellte ihm seinen Begleiter vor, einen dunkelhaarigen Mann, der ein paar Jahre älter war als Starbuck. «Das ist Ethan Ridley.» Ridley führte das dritte Pferd, das er nun neben den Wagen zog. «Steig auf, Nate!», forderte Washington Faulconer Starbuck auf.

«Ja, Sir.» Starbuck bückte sich nach seiner zerrissenen Jacke, erkannte, dass sie nicht mehr zu flicken war, und richtete sich mit leeren Händen wieder auf. Er warf einen Blick auf Pearce, der mit einem winzigen Schulterzucken reagierte, als wollte er «Nichts für ungut» sagen. Aber für Starbuck war keineswegs alles gut, und weil er sein Temperament seit jeher nicht unter Kontrolle hatte, trat er entschlossen vor den großen Mann und holte mit der Faust nach ihm aus. Sam Pearce zuckte zurück, aber nicht schnell genug, und Starbucks Hieb erwischte ihn am Ohr. Pearce taumelte, streckte auf der Suche nach Halt die Hand aus, landete damit aber nur im Teerfass. Er schrie auf, drehte sich, nun vollkommen aus dem Gleichgewicht geraten, ruckartig von dem Fass weg und ruderte hilflos mit den Armen, bevor er mit halsbrecherischer Wucht vom hinteren Ende des Wagens auf die Straße fiel. Starbucks Hand schmerzte heftig von dem wilden und ungelenken Schlag, aber die Leute in der Menge begannen, unberechenbar wie jeder aufgepeitschte Mob, laut zu lachen und ihm zuzujubeln.

«Komm jetzt, Nate!» Washington Faulconer grinste auf Pearce hinunter.

Starbuck bestieg den Pferderücken direkt von der Ladefläche des Wagens aus. Er tastete mit seinen Füßen nach den Steigbügeln, nahm die Zügel und trat dem Pferd mit seinen teerbespritzten Schuhen in die Flanken. Er ahnte, dass seine Bücher und seine Kleidung unwiederbringlich verloren waren, aber das spielte kaum ein Rolle. Die Bücher enthielten Texte zur Bibelexegese, die er zu seinem Studium am theologischen Seminar der Universität Yale gebraucht hatte, und er hätte für sie kaum mehr als einen Dollar fünfzig herausschlagen können. Und die Kleidung war sogar noch weniger wert. Also gab er seine Besitztümer verloren und folgte stattdessen seinen Rettern aus der Menge und die Pearl Street hinauf. Starbuck zitterte immer noch und wagte kaum zu glauben, dass er der öffentlichen Folterung entkommen war. «Woher wussten Sie, dass ich dort war, Sir?», fragte er Washington Faulconer.

«Ich wusste nicht, dass du es bist, Nate. Ich hatte nur gehört, dass ein junger Kerl, der behauptet, mich zu kennen, für das Verbrechen, ein Yankee zu sein, aufgehängt werden sollte, also dachte ich, das sollten wir uns besser mal ansehen. Es war ein Fuhrmann, der mir das gesagt hat, ein Negerbursche. Er hat dich meinen Namen sagen hören und kannte mein Haus, also ist er hin und hat es meinem Verwalter erzählt. Und der hat es natürlich an mich weitergegeben.»

«Ich stehe unendlich in Ihrer Schuld, Sir.»

«Du stehst vor allem bei dem Negerburschen in der Schuld. Oder eigentlich nicht, ich habe ihm nämlich zum Dank einen Silberdollar gegeben.» Washington Faulconer drehte sich nach seinem ramponierten Begleiter um. «Tut die Nase weh?»

«Wie nach einem gewöhnlichen Nasenstüber, mehr nicht.»

«Darf ich fragen, was du hier zu tun hast, Nate? Virginia ist nicht gerade das gesündeste Pflaster, auf dem sich ein Mann aus Massachusetts herumtreiben kann.»

«Ich habe nach Ihnen gesucht, Sir. Ich wollte nach Faulconer Court House laufen.»

«Und zwar die ganzen siebzig Meilen, Nate!» Washington Faulconer lachte. «Hat dir Adam nicht erzählt, dass wir ein Stadthaus haben? Mein Vater war in Virginia Senator, deshalb hatte er in Richmond gern eine Adresse, wo er seinen Hut aufhängen konnte. Aber warum um alles in der Welt hast du mich gesucht? Oder wolltest du zu Adam? Er ist leider im Norden. Er versucht, den Krieg zu verhindern, aber ich glaube, dafür ist es ein wenig zu spät. Lincoln will keinen Frieden, also fürchte ich, dass wir ihm den Gefallen tun und Krieg führen müssen.» Faulconer äußerte diese Mischung aus Fragen und Antworten sehr heiter. Er war in mittleren Jahren, durchschnittlich groß und eine sehr beeindruckende Erscheinung mit aufrechter Haltung und breiten Schultern. Er hatte kurzes blondes Haar, einen dichten, eckig gestutzten Bart, ein Gesicht, aus dem Offenheit und Freundlichkeit sprachen, und blaue Augen mit Fältchen, die ihm einen Ausdruck amüsierten Wohlwollens verliehen. Auf Starbuck wirkte er genau wie sein Sohn Adam, den er in Yale kennengelernt hatte und den Starbuck für den anständigsten Kerl hielt, dem er je begegnet war. «Aber warum bist du eigentlich hier, Nate?» Faulconer kam auf seine Ursprungsfrage zurück.

«Das ist eine lange Geschichte, Sir.» Starbuck ritt selten, und er war nicht gut darin. Bucklig hockte er im Sattel, rutschte von einer Seite auf die andere und bildete damit einen scheußlichen Gegensatz zu seinen beiden eleganten Begleitern, die ihre Pferde mit lässiger Meisterschaft ritten.

«Ich mag lange Geschichten», sagte Washington Faulconer fröhlich, «aber spare dir das Erzählen auf, bis du dich wieder zurechtgemacht hast. Da wären wir.» Er deutete mit seiner Reitgerte auf ein feudales vierstöckiges Haus mit Steinverkleidung, offenkundig die Adresse, wo Faulconers Vater seinen Hut aufgehängt hatte. «Diese Woche ist keine der Ladys da, also können wir uns ganz ungezwungen benehmen. Ethan wird dir etwas zum Anziehen besorgen. Bring ihn in Adams Zimmer, in Ordnung, Ethan?»

Schwarze Bedienstete eilten aus dem Stallhof des Hauses, um die Pferde zu übernehmen, und mit einem Mal, nach wochenlanger Unsicherheit und Gefahr und Demütigung, fühlte sich Starbuck von Geborgenheit und Behagen und Sicherheit umgeben. Er hätte vor Erleichterung weinen können. Amerika stürzte ins Chaos, es gab Ausschreitungen auf den Straßen, doch Starbuck war in Sicherheit.

 

«Jetzt siehst du wieder mehr wie ein Mensch aus, Nate!», begrüßte Washington Faulconer Starbuck im Herrenzimmer, «und die Kleidung passt einigermaßen. Geht es dir besser?»

«Viel besser. Danke, Sir.»

«War das Bad heiß genug?»

«Perfekt, Sir.»

«Das Auge sieht böse aus. Vielleicht machen wir einen Umschlag, bevor du schlafen gehst. Für deinen Freund aus Philadelphia mussten wir einen Arzt rufen. Sie versuchen, dem armen Burschen im Stallhof den Teer abzuschälen. Mein Problem dagegen ist, ob ich tausend Gewehre für zwölf Kröten das Stück kaufen soll.»

«Warum nicht?» Ethan Ridley, der Starbuck in Adams Zimmer gebracht und dann für ein Bad und Kleidung zum Wechseln gesorgt hatte, saß auf einem Sofa am Fenster von Washington Faulconers Herrenzimmer, spielte mit einem langläufigen Revolver herum und zielte damit ab und zu spaßeshalber auf Passanten unten auf der Straße.

«Weil ich nicht die erstbesten Gewehre nehmen will, Ethan», sagte Washington Faulconer. «In einem Monat oder zwei bekommen wir vielleicht ein besseres Angebot.»

«Es gibt kaum etwas Besseres als das Mississippi-Rifle.» Ridley legte schweigend auf den Kutscher eines scharlachroten Landauers an. «Und der Preis wird nicht mehr sinken, Sir. Bei allem Respekt, er sinkt bestimmt nicht. Das tun Preise nie.»

«Das stimmt vermutlich.» Faulconer hielt inne, zögerte aber noch mit seiner Entscheidung.

In der Ecke des Zimmers tickte laut und vernehmlich eine Uhr. Auf der Straße kreischte eine Radachse. Ridley zündete sich eine lange, dünne Zigarre an und sog gierig den Rauch ein. Neben ihm quoll eine Messingschale vor Asche und Stummeln über. Er zog noch einmal an der Zigarre, sodass ihre Spitze rot aufglühte, dann sah er Starbuck an. «Wird der Norden kämpfen?», fragte er, weil er offenkundig davon ausging, dass ein Yankee wie Starbuck die Antwort darauf parat haben musste.

Doch Starbuck hatte keine Ahnung, was der Norden nach dem Fall Fort Sumters plante. In den letzten Wochen war Nathaniel Starbuck ohnehin viel zu abgelenkt gewesen, um über Politik nachzudenken, und nun wusste er nicht, was er auf diese Frage antworten sollte, die den gesamten Süden in Spannung versetzte.

«In gewisser Hinsicht spielt es keine Rolle, ob sie kämpfen oder nicht», sagte Washington Faulconer, bevor Starbuck auf eine Antwort gekommen war. «Wenn es so aussieht, als wären wir nicht auf den Kampf vorbereitet, Ethan, dann marschiert der Norden ganz bestimmt ein. Aber wenn wir eine klare Position einnehmen, machen sie vielleicht einen Rückzieher.»

«Dann kaufen Sie die Gewehre, Sir», drängte Ridley und unterstrich seine Ermunterung, indem er mit seinem ungeladenen Revolver abdrückte. Ethan Ridley war ein schlanker, großer Mann, und er war elegant gekleidet, mit schwarzen Reitstiefeln, schwarzen Kniehosen und einem schwarzen Gehrock, der Spuren von Zigarrenasche aufwies. Sein langes dunkles Haar hatte er mit Öl dicht am Kopf zurückgestrichen, und sein Bart lief unter seinem Kinn in einer kecken Spitze aus. Ridley war in Adams Schlafzimmer auf und ab gegangen, während Starbuck sich wusch und sein Äußeres wiederherstellte, und hatte dabei erzählt, dass er Washington Faulconers Tochter Anna heiraten wolle und wie die Aussicht auf Krieg ihre Hochzeitspläne verzögere. Aus Ridleys Mund hatte der möglicherweise bevorstehende Krieg eher nach einem lästigen Ärgernis als nach einer Katastrophe geklungen, und sein langsamer, einnehmender Südstaatlerakzent hatte das Selbstvertrauen in seiner Stimme nur noch überzeugender gemacht.

«Da gehen zwölftausend Dollar hin!», sagte Washington Faulconer jetzt, während er beim Reden seine Unterschrift auf etwas setzte, das offenkundig ein Wechsel war. «Kauf die Gewehre für mich, Ethan, gut gemacht.» Starbuck fragte sich, warum Washington Faulconer so viele Gewehre kaufte; ob sich Faulconer diese Waffen leisten konnte, musste er sich allerdings nicht fragen, denn er wusste, dass der Vater seines Freundes Adam nicht nur einer der reichsten Männer von Virginia war, sondern sogar von allen Staaten in dieser labilen Konföderation. Faulconer konnte sich damit brüsten, dass die letzte Landvermessung des Familienbesitzes in Faulconer County von einem jungen Geometer namens George Washington durchgeführt worden war und dass die Sippe seit jenem Tag keinen einzigen Morgen Grundbesitz verloren, sondern im Gegenteil viele Morgen dazugewonnen hatte. Zu diesem neuen Grundbesitz gehörte das Land, auf dem Faulconers Stadthaus in Richmond stand – eines der prächtigsten Anwesen in der Clay Street, das hinter dem Haus noch ein großes Stallungsgebäude mit einem Kutschhaus und Unterkünften für ein Dutzend Stallknechte sowie Platz für dreißig Pferde umfasste. Das Wohngebäude prangte mit einem Ballsaal, einem Musikzimmer und dem, was allgemein als Richmonds herrlichste Treppe galt. Eine großartig geschwungene Stufenfolge wand sich einen vergoldeten Treppenschacht hinauf, an dem die Familienporträts hingen – das älteste davon war im siebzehnten Jahrhundert aus England mitgebracht worden. In die Deckel der ledergebundenen Bücher in Washington Faulconers Herrenzimmer war das Familienwappen in Gold eingeprägt, während die Sekretäre, Stühle und Tische sämtlich aus den besten europäischen Werkstätten stammten, denn für einen so reichen Mann wie Washington Faulconer war das Beste gerade gut genug. Blumen standen auf jedem Tisch, allerdings nicht nur zur Zierde, sondern weil sie mit ihrem Duft den überwältigenden Geruch der Richmonder Tabakfabriken überdecken sollten.

«Also, Nate!», sagte Washington Faulconer herzlich, nachdem er beschlossen hatte, die Zwölf-Dollar-Gewehre zu kaufen. «Du hast uns eine Geschichte versprochen. Dort steht Kaffee, oder möchtest du etwas Stärkeres? Trinkst du Alkohol? Tatsächlich? Aber nicht mit dem Segen deines Vaters, da bin ich sicher. Dein Vater wird ja alkoholische Getränke kaum befürworten können, nicht wahr? Ist Reverend Elial ein ebenso eifriger Prohibitionist wie Abolitionist? Was für ein grausamer Mann er sein muss, wahrhaftig. Setz dich doch.» Washington Faulconer sprühte vor Energie und war es zufrieden, halb mit sich selbst zu reden, während er für Starbuck einen Stuhl von der Wand zog, ihm einen Kaffee einschenkte und sich wieder an seinen Schreibtisch setzte. «Also los! Erzähl es mir! Solltest du nicht im Priesterseminar sein?»

«Ja, Sir, das sollte ich.» Plötzlich überkam Starbuck Schüchternheit, er schämte sich für das, was er erlebt hatte und für seine jämmerliche Situation. «Es ist aber eine sehr lange Geschichte», wandte er in dem Versuch ein, sich die unrühmliche Schilderung zu ersparen.

«Je länger, desto besser. Also los jetzt, erzähl!»

Nun hatte Starbuck keine andere Wahl mehr, als seine elende Geschichte von Besessenheit, Liebe und Verbrechen zum Besten zu geben; die peinliche Erzählung, wie Mademoiselle Dominique Demarest aus New Orleans Nathaniel Starbuck aus Yale davon überzeugt hatte, dass das Leben mehr zu bieten habe als Vorlesungen in Religionskunde, geistliche Lektüre und Predigten.

«Eine verruchte Frau!», sagte Washington Faulconer genüsslich, als Starbuck sie das erste Mal erwähnte. «In jeder Geschichte sollte eine verruchte Frau vorkommen.»

Den ersten Blick auf Mademoiselle Dominique Demarest hatte Starbuck in der Lyceum Hall in New Haven erhascht, wo Major Ferdinand Trabells Wandertheater die einzig werkgetreue und autorisierte Bühnenfassung von Onkel Toms Hütte komplett mit echten Bluthunden präsentierte. Trabells Produktion war das dritte Onkel Tom-Wandertheater gewesen, das in diesem Winter in New Haven Station machte, und jedes hatte behauptet, die einzig werkgetreue und autorisierte Bühnenfassung dieses großen literarischen Werks aufzuführen, aber Major Trabells Vorstellung war die erste, die Starbuck anzusehen wagte. Im Priesterseminar war leidenschaftlich über die Schicklichkeit eines Besuchs von thespischen Darbietungen gestritten worden, selbst wenn es sich um solche handelte, die der moralischen Erbauung und der Abschaffung der Sklaverei gewidmet waren, doch Starbuck hatte die auf dem Theaterzettel erwähnten Bluthunde sehen wollen. In Mrs. Beecher Stowes großartigem Werk waren keine Bluthunde vorgekommen, aber Starbuck vermutete, dass die Tiere der Geschichte mehr Spannung verleihen würden. Und so war er ins Lyceum gegangen und hatte dort starr vor Ehrfurcht zugesehen, wie ein leibhaftiger Engel in der Rolle der flüchtenden Sklavin Eliza leichtfüßig über die vorgegaukelten Eisschollen getänzelt war, verfolgt von einigen lethargischen, sabbernden Hunden, die Bluthunde gewesen sein mochten oder auch nicht.

Nicht, dass sich Starbuck noch für den Stammbaum der Hunde interessiert hätte, er interessierte sich einzig und allein für den Engel, der ein schmales Gesicht, traurige Augen, vorspringende Wangenknochen, einen breiten Mund, nachtschwarzes Haar und eine sanfte Stimme besaß. Er hatte sich auf den ersten Blick leidenschaftlich verliebt und, soweit er es beurteilen konnte, für alle Ewigkeit. Am nächsten Abend war er wieder ins Lyceum gegangen und am übernächsten auch und am vierten, als die letzte Vorstellung des gewaltigen Dramas in New Haven gegeben wurde, und am darauffolgenden Tag hatte er Major Trabell angeboten, beim Abschlagen und Verpacken der Bühne zu helfen, und der Major, der erst unlängst von seinem einzigen Sohn verlassen worden war, brauchte einen Ersatz für die Besetzung der Rollen Augustine St. Clairs und Simon Legrees, und weil ihm Starbucks gutes Aussehen und seine eindrucksvolle Erscheinung nicht entgangen waren, bot er ihm vier Dollar die Woche und volle Verpflegung sowie Major Trabells persönliche Unterweisung in den thespischen Künsten. Doch nicht einmal all diese Verlockungen hätten Starbuck dazu bringen können, die Ausbildung am Priesterseminar aufzugeben, hätte nicht Mademoiselle Dominique Demarest in das Flehen ihres Arbeitgebers eingestimmt, und so, aus einer Laune heraus und weil er Dominique anbetete, war Starbuck zum Mitglied einer Wanderbühne geworden.

«Du hast deine Zelte abgebrochen und bist mitgefahren? Einfach so?», fragte Washington Faulconer mit offensichtlicher Belustigung und sogar ein bisschen bewundernd.

«Ja, Sir.» Allerdings hatte Starbuck nicht das ganze Ausmaß seiner beschämenden Selbsterniedrigung vor Dominique gebeichtet. Er hatte zugegeben, dass er Abend für Abend ins Theater gegangen war, aber nicht beschrieben, wie er sich auf den Straßen herumgetrieben hatte, um möglicherweise noch einen Blick auf seinen Engel zu erhaschen, oder wie er Dominiques Namen wieder und wieder in seine Notizbücher geschrieben hatte oder wie er versucht hatte, mit dem Zeichenstift die Zartheit ihrer schmalen, irreführend ätherischen Gesichtszüge einzufangen, und auch nicht, wie er sich danach verzehrt hatte, den Gemütsschaden zu heilen, den Dominique durch ihre haarsträubende Lebensgeschichte erlitten hatte.

Diese Geschichte war in der Zeitung von New Haven veröffentlicht worden, die über die Onkel Tom-Vorstellung berichtete und dabei enthüllte, dass Mademoiselle Demarest, auch wenn sie so weiß schien wie jede respektable Lady, in Wahrheit eine neunzehnjährige Achtelnegerin sei, die ein gewissenloser Gentleman aus New Orleans als Sklavin gehalten habe, dessen Brutalität noch die von Simon Legree übersteige. Das Zartgefühl verbot es der Zeitung, irgendein Detail seines Verhaltens näher zu schildern, es hieß nur, Dominiques Besitzer habe die Unschuld seines liebreizenden Eigentums bedroht und Dominique so zu einer Flucht – die dem dramatischen Entkommen der Eliza aus dem Theaterstück in nichts nachstand – in den Norden getrieben, um ihre Tugend zu bewahren. Starbuck versuchte sich vorzustellen, wie seine anmutige Dominique verzweifelt durchs nächtliche Louisiana gehastet war, verfolgt von Unholden, kläffenden Hunden und einem Sklavenhalter.

«Ich geflüchtet? Von wegen. Ich war nie eine Sklavin, niemals!», erklärte ihm Dominique am nächsten Tag, als sie auf den Wagen Richtung Hartford saßen, wo die Truppe sechs Abende in der Touro Hall spielen würde. «Ich hab kein Niggerblut in mir, keinen Tropfen. Aber dieses Märchen hilft, mehr Karten zu verkaufen, und Karten sind Geld, und deshalb erzählt Trabell den Zeitungen, ich wär ein Achtelnigger.»

«Du meinst, das ist eine Lüge?» Starbuck war entsetzt.

«Klar ist es eine Lüge!» Dominique wurde ungehalten. «Ich hab’s dir doch erklärt, damit verkaufen wir mehr Karten, und Karten sind Geld.» Sie sagte, an dem Märchen stimme nur, dass sie neunzehn Jahre alt und in New Orleans aufgewachsen sei, und zwar in einer weißen Familie mit einer tadellosen französischen Ahnenreihe. Ihr Vater sei gutsituiert, allerdings blieb sie recht vage, als es darum ging, wie genau die Tochter eines wohlhabenden Kaufmanns aus Louisiana dazu gekommen war, die Rolle der Eliza in Major Trabells Onkel Tom-Wandertheater zu spielen. «Und nicht, dass Trabell ein echter Major wäre», vertraute Dominique Starbuck an. «Er behauptet, in Mexiko gekämpft zu haben und dass sein Hinken von einem Bajonettstich stammt, aber ich schätze, es ist wahrscheinlicher, dass ihn eine Hure in Philadelphia angestochen hat.» Sie lachte. Sie war zwei Jahre jünger als Starbuck, wirkte aber unendlich viel älter und wesentlich erfahrener. Außerdem schien sie Starbuck zu mögen, der auf diese Zuneigung mit blinder Verehrung reagierte und dem es nichts ausmachte, dass sie keine entlaufene Sklavin war. «Wie viel zahlt er dir?», fragte Dominique.

«Vier Dollar die Woche.»

Sie lachte spöttisch. «Halsabschneider.»

Während der nächsten beiden Monate erlernte Starbuck freudig das Schauspielerhandwerk, so wie er auch andächtig Miss Demarests Tugend huldigte. Er genoss es, auf der Bühne zu stehen, und die Tatsache, dass er der Sohn des berühmten Abolitionisten Reverend Elial Starbuck war, trug einen Gutteil dazu bei, sowohl Trabells Publikum als auch dessen Kasse anschwellen zu lassen. Außerdem brachte es Nathaniels neuen Beruf seinem Vater zu Ohren, der nach einem fürchterlichen Wutanfall Starbucks älteren Bruder James losschickte, um den Sünder zur Umkehr zu bewegen.

James’ Mission scheiterte kläglich, und zwei Wochen später versprach Dominique, die Starbuck über Händchenhalten hinaus bisher keinerlei Freiheiten gestattet hatte, die Erfüllung all seiner Herzenswünsche, wenn er ihr nur half, die Wocheneinnahmen von Major Trabell zu stehlen. «Er schuldet mir Geld», sagte Dominique und erklärte, dass ihr Vater geschrieben habe, er erwarte sie in Richmond, Virginia, und dass sie bereits wisse, dass ihr Major Trabell keinen Cent von den sechs Monatslöhnen zahlen werde, die er ihr schuldete, und deshalb brauche sie Starbucks Hilfe, um sich das zu verschaffen, was ihr rechtmäßig ja schon längst gehöre. Für die Belohnung, die ihm Dominique anbot, hätte sich Starbuck sogar bereit erklärt, den Mond zu stehlen, aber es genügten auch die achthundertvierundsechzig Dollar, die er in Major Trabells Handkoffer fand. Er stahl sie, während der Major im Zimmer nebenan ein Sitzbad mit einer jungen Dame nahm, die auf eine Bühnenkarriere hoffte und sich deshalb zur fachkundigen Prüfung und Beurteilung durch den Major angeboten hatte.

Starbuck und Dominique flohen in derselben Nacht und kamen zwei Tage später in Richmond an. Dominiques Vater hätte im Spotswood House Hotel in der Main Street warten sollen, doch stattdessen wartete ein hochgewachsener junger Mann, kaum ein Jahr älter als Starbuck selbst, und dieser Mann lachte vor Freude, als Dominique auftauchte. Der junge Mann war Major Trabells Sohn Jefferson, der sich seinem Vater entfremdet hatte, Starbuck gönnerhaft zehn Dollar in die Hand drückte und ihn wegschickte. «Mach, dass du hier verschwindest», hatte er dazugesagt, «bevor du aufgehängt wirst und die Krähen an dir picken. Nordstaatler sind hier zurzeit nicht besonders beliebt.» Jefferson Trabell trug Kniehosen aus Wildleder, Stulpenstiefel, eine Satinweste und eine scharlachrote Jacke. Er hatte dunkle, wissende Augen und schmale Koteletten, die ebenso wie sein langes schwarzes Haar stark geölt waren. Seine Krawatte wurde von einer Perlennadel gehalten, und der Griff seines Revolvers, der aus dem Holster ragte, hatte einen polierten Silbergriff. Es war mehr dieser Revolver als die stutzerhafte Erscheinung des jungen Mannes, der Starbuck davon überzeugte, dass es wenig aussichtsreich wäre, die versprochene Belohnung von Mademoiselle Dominique Demarest einzufordern.

«Du meinst, sie hat dich einfach fallenlassen?», fragte Washington Faulconer ungläubig.

«Ja, Sir.» Bei der beschämenden Erinnerung krümmte sich Starbuck vor Qual.

«Ohne Sie auch nur ein einziges Mal in den Sattel steigen zu lassen?» Ethan Ridley legte den Revolver weg, und obwohl ihm die Frage einen vorwurfsvollen Blick von Washington Faulconer eintrug, war klar, dass auch der Hausherr die Antwort wissen wollte. Starbuck gab keine, aber das war auch überflüssig. Dominique hatte ihn zum Narren gemacht, und seine Dummheit war unübersehbar.

«Armer Nate!», sagte Washington Faulconer belustigt. «Und was hast du jetzt vor? Nach Hause gehen? Dein Vater wird nicht gerade sehr erfreut sein! Und was ist mit Major Trabell? Der würde vermutlich am liebsten deine Eingeweide an sein Scheunentor nageln, was? Das und sein Geld zurückbekommen! Ist er Südstaatler?»

«Er kommt aus Pennsylvania, Sir. Aber sein Sohn gibt vor, Südstaatler zu sein.»

«Und wo ist sein Sohn? Immer noch im Spotswood?»

«Nein, Sir.» Starbuck hatte in einer Pension in der Canal Street übernachtet und war am Vormittag, noch immer außer sich vor Entrüstung, ins Spotswood House Hotel gegangen, um Dominique und ihren Liebhaber zur Rede zu stellen. Doch der Portier hatte ihm erklärt, dass Mr. und Mrs. Jefferson Trabell gerade zur Richmond-and-Danville-Bahnstation aufgebrochen waren. Starbuck war ihnen gefolgt, doch die Vögel waren ausgeflogen, saßen in dem Zug, der gerade südwärts aus dem Bahnhof dampfte und beißende Rauchwolken in der Stadt hinterließ, in der sich die Nachricht von der Kapitulation Fort Sumters wie ein Lauffeuer verbreitete.

«Oh, das ist ja mal eine famose Geschichte, Nate! Famos, wahrhaftig!» Washington Faulconer lachte. «Aber mach dir nichts draus. Du bist weder der erste noch der letzte junge Bursche, der sich von einem Unterrock den Kopf verdrehen lässt, und ich zweifle keinen Augenblick daran, dass dieser Major Trabell ein ausgemachter Gauner ist.» Er zündete sich eine Zigarre an und warf das Streichholz in einen Spucknapf. «Also, was fangen wir jetzt mit dir an?» Die Saloppheit, mit der er die Frage gestellt hatte, schien zu bedeuten, dass jeder Wunsch Starbucks mit Leichtigkeit erfüllt werden konnte. «Willst du zurück nach Yale?»

«Nein, Sir», sagte Starbuck kläglich.

«Nein?»

Starbuck breitete die Arme aus. «Ich bin nicht sicher, ob ich zurück ins Priesterseminar sollte, Sir. Ich bin nicht einmal sicher, ob ich dort nicht von Anfang an fehl am Platz war.» Er starrte auf seine verschrammten, aufgeschürften Fingerknöchel hinunter, bevor er weitersprach. «Ich kann kein Pastor mehr werden, Sir, nicht jetzt, wo ich zum Dieb geworden bin.» Und schlimmer als ein Dieb, dachte Starbuck. Er dachte an das vierte Kapitel des ersten Paulusbriefs an Timotheus, in dem Paulus prophezeit hatte, dass in künftigen Zeiten etliche Menschen vom Glauben abfallen und verführerischen Geistern und den Lehren des Teufels anhängen würden, und Starbuck wusste, dass er diese Prophezeiung erfüllt hatte, und diese Erkenntnis tränkte seine Stimme mit schrecklichem Kummer. «Ich bin des Amtes eines Geistlichen einfach nicht würdig, Sir.»

«Würdig?», rief Washington Faulconer aus. «Würdig! Mein Gott, Nate, wenn du all die üblen Gestalten sehen würdest, die auf unsere Kanzeln drängen, würdest du das nicht sagen! Wahrhaftig, wir haben einen Kerl in der Rosskill-Gemeinde, der die meisten Sonntagspredigten sternhagelvoll abhält. Stimmt’s, Ethan?»

«Der arme alte Esel ist letztes Jahr in ein Grab gestolpert», fügte Ridley grinsend hinzu. «Er sollte jemanden beerdigen und hätte sich dabei um ein Haar selbst unter die Erde gebracht.»

«Ich würde mir also an deiner Stelle keine Gedanken darüber machen, ob ich würdig genug dafür bin», sagte Faulconer verächtlich. «Aber ich vermute, in Yale wäre man von deiner Rückkehr nicht allzu begeistert, nachdem du deine Professoren für ein appetitliches Flittchen im Stich gelassen hast, nicht wahr? Noch dazu, wo du ein gesuchter Verbrecher bist. Ein Dieb, nichts Geringeres!» Faulconer fand diese Vorstellung offenkundig außerordentlich unterhaltsam. «Wenn du in den Norden zurückgehst, stecken sie dich ins Kittchen, so ist es doch, oder?»

«Ich fürchte schon, Sir.»

Washington Faulconer kamen fast die Tränen vor Lachen. «Bei Gott, Nate, da steckst du wirklich im Teerfass. Mit beiden Füßen, beiden Händen, vom Hintern bis zum Hals, von anderen Körperteilen ganz zu schweigen! Und was wird dein heiliger Vater tun, wenn du nach Hause gehst? Verpasst er dir eine Tracht Prügel, bevor er dich den Constables übergibt?»

«So wie es aussieht, Sir, ja.»

«Reverend Elial nimmt also gern den Stock zu Hilfe, was?»

«Ja, Sir.»

«Das kann ich nicht zulassen.» Washington Faulconer erhob sich und ging zum Fenster. Unten in seinem kleinen Vorgarten stand eine Magnolie in voller Blüte und erfüllte den Fenstererker mit süßem Duft. «Ich habe nie an Prügel geglaubt. Mein Vater hat mich nicht geschlagen, und ich habe meine Kinder nicht geschlagen. Tatsache ist, Nate, ich habe niemals die Hand gegen meine Kinder oder Dienstboten erhoben, nur gegen meine Feinde.» Er sprach schulmeisterhaft, als wäre er es gewohnt, sich für sein seltsames Verhalten verteidigen zu müssen, und so war es auch, denn Washington Faulconer hatte vor nicht einmal zehn Jahren durch die Freilassung all seiner Sklaven einige Berühmtheit erlangt. Eine Weile hatten die Zeitungen der Nordstaaten Faulconer als Wegbereiter der Südstaaten-Aufklärung gefeiert, ein Ruf, der ihn in seinem heimatlichen Virginia reichlich unbeliebt gemacht hatte. Doch die feindseligen Gefühle waren geschwunden, als Faulconer sich geweigert hatte, andere Südstaatler dazu zu ermuntern, seinem Beispiel zu folgen. Er hatte verkündet, seine Entscheidung sei rein persönlich gewesen. Und nun, wo längst Gras über die Sache gewachsen war, lächelte Faulconer Starbuck an. «Also, was machen wir mit dir, Nate?»

«Sie haben schon genug getan, Sir», sagte Starbuck, obgleich er sich insgeheim wünschte, dass Faulconer noch viel mehr tat. «Und was ich tun muss, ist, mir Arbeit zu suchen. Ich muss Major Trabell das Geld zurückzahlen.»

Faulconer lächelte über Starbucks Ernsthaftigkeit. «Die einzige Arbeit, die es hier in der Gegend gibt, Nate, ist der Dienst als einfacher Soldat, und ich glaube nicht, dass sich das eignet, um möglichst schnell Schulden abzutragen. Nein, ich glaube, du solltest deine Ziele ein wenig höherstecken.» Faulconer hatte sichtliches Vergnügen daran, Starbucks Probleme zu lösen. Er lächelte, dann machte er eine weit ausholende Geste, die den ganzen, üppig eingerichteten Raum umfasste. «Könntest du dir vorstellen hierzubleiben, Nate? Bei mir? Ich brauche jemanden, der zugleich mein Privatsekretär sein als auch ein paar Anschaffungen tätigen kann.»

«Sir!» Ethan Ridley setzte sich mit einem Ruck auf dem Sofa auf, sein wütender Ton machte eindeutig klar, dass er die Stellung, die Starbuck angeboten bekommen hatte, als seine eigene betrachtete.

«Oh, komm schon, Ethan! Du hasst es doch, meinen Papierkram zu erledigen. Du kannst ja nicht mal richtig schreiben!» Sanft wies Faulconer seinen zukünftigen Schwiegersohn zurecht. «Davon abgesehen ist mit dem Kauf der Gewehre deine Hauptaufgabe erledigt. Jedenfalls für den Moment.»

Er dachte ein paar Sekunden nach, dann schnippte er mit den Fingern. «Ich weiß, was wir machen. Ethan, du gehst zurück nach Faulconer County und fängst ernsthaft mit einer Rekrutierungskampagne an. Rühr die Trommel für mich. Wenn wir im County keine Soldaten ausheben, wird es jemand anderes tun, und ich will nicht, dass Männer aus Faulconer County für andere Regimenter in Virginia kämpfen. Und davon abgesehen möchtest du doch bei Anna sein, oder?»

«Natürlich möchte ich das, Sir.» Allerdings wirkte Ridley nicht übermäßig begeistert davon, seine Braut bald wiederzusehen.

Washington Faulconer wandte sich an Starbuck. «Ich stelle ein Regiment auf, Nate, eine Legion. Die Legion Faulconer. Ich hatte gehofft, es wäre nicht nötig, ich hatte gehofft, die Vernunft würde siegen, aber es sieht so aus, als wollte der Norden den Kampf, und bei Gott, wir werden ihnen einen liefern, wenn sie darauf bestehen. Würde es dein Loyalitätsgefühl verletzen, mich zu unterstützen?»

«Nein, Sir.» Diese Antwort klang vollkommen unzureichend, also zeigte Starbuck etwas mehr Enthusiasmus. «Ich wäre stolz, wenn ich Sie unterstützen könnte, Sir.»

«Den Anfang haben wir schon gemacht», sagte Faulconer bescheiden. «Ethan hat einiges an Ausrüstung gekauft, und nun haben wir auch Gewehre, wie du gehört hast, aber der Papierkram ist schon jetzt kaum noch zu bewältigen. Glaubst du, dass du gelegentlich meine Korrespondenz erledigen könntest?»

Ob Starbuck gelegentlich Korrespondenz erledigen konnte? Nathaniel Starbuck hätte augenblicklich und bis zu dem Tag, an dem die Meere austrockneten, Washington Faulconers gesamte Korrespondenz übernommen. Nathaniel Starbuck würde alles tun, was dieser fabelhafte, liebenswürdige, anständige und bis zur Leichtsinnigkeit großzügige Mann von ihm verlangte. «Natürlich kann ich Ihnen dabei helfen, Sir. Es wäre mir eine Ehre.»