Sternkreuzer Proxima - Sammelband 2 - Dirk van den Boom - E-Book

Sternkreuzer Proxima - Sammelband 2 E-Book

Dirk van den Boom

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Beschreibung

Odyssee durch ein Imperium am Abgrund!

Die Terranische Republik zerbricht. Ehemalige Kolonien erklären ihre Unabhängigkeit und stürzen die Galaxis ins Chaos. In einer katastrophalen Schlacht kann sich der terranische Sternkreuzer Proxima gerade noch aus der Kampfzone retten.

Auf dem Rückzug kämpft die Proxima ums bloße Überleben und wird zum Spielball in einem unübersichtlichen Krieg. Doch Captain Zadiya Ark und ihre Crew ahnen nicht, dass das Schicksal noch weitaus härtere Schläge für sie bereithält ...

Sternkreuzer Proxima: Folge 4-6 der Military-SF-Serie von Dirk van den Boom als epischer Sammelband!

eBooks von beBEYOND - fremde Welten und fantastische Reisen.


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Impressum

beBEYOND Originalausgabe »be« - Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln Covergestaltung: Massimo Peter-Bille unter Verwendung einer Illustration von © Arndt Drechsler eBook-Erstellung: readbox publishing GmbH, Dortmund ISBN: 978-3-7517-0942-2

Dirk Van Den Boom

Sternkreuzer Proxima - Sammelband 2

Inhalt

CoverÜber diese SerieÜber dieses BuchÜber den AutorTitelImpressum1234567891011121314151617

Sternkreuzer Proxima – Die Serie

Die Terranische Republik zerbricht. Ehemalige Kolonien erklären ihre Unabhängigkeit und stürzen die Galaxis ins Chaos. In einer katastrophalen Schlacht kann sich der terranische Sternkreuzer Proxima gerade noch aus der Kampfzone retten. Auf dem Rückzug kämpft die Proxima ums bloße Überleben und wird zum Spielball in einem unübersichtlichen Krieg. Doch Captain Zadiya Ark und ihre Crew ahnen nicht, dass das Schicksal noch weitaus härtere Schläge für sie bereithält …

Über diese Folge

Im Epikur-System trifft die immer noch überfüllte Proxima auf einen anderen Kreuzer der republikanischen Flotte. Die Hadrian erklärt sich bereit, einige der Überlebenden an Bord zu nehmen. Das System selbst scheint eine Insel des Friedens zu sein und bietet der Crew einen dringend benötigten Landurlaub an. Doch irgendetwas stimmt nicht – Zadiya Ark wittert eine Falle …

Über den Autor

Dirk van den Boom (geboren 1966) hat bereits über 100 Romane im Bereich der Science-Fiction und Fantasy veröffentlicht. 2017 erhielt er den Deutschen Science Fiction Preis für seinen Roman »Prinzipat«. Zu seinen wichtigen Werken gehören der »Kaiserkrieger-Zyklus« (Alternative History) und die Reihe »Tentakelkrieg« (Military SF). Dirk van den Boom ist darüber hinaus Berater für Entwicklungszusammenarbeit, Migrationspolitik und Sozialpolitik sowie Professor für Politikwissenschaft. Er lebt mit seiner Familie in Saarbrücken.

DIRK VAN DEN BOOM

FREUND ODER FEIND?

Folge 4

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Anika Klüver

Lektorat/Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Covergestaltung: Massimo Peter-Bille

unter Verwendung von Motiven von © Arndt Drechsler

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-8101-6

be-ebooks.de

lesejury.de

1

Die Proxima fiel aus dem Hyperraum, die Achat folgte ihr, und die Routine spielte sich ab wie immer. Da war die Angst, da war genug Fatalismus, um drei Lagerräume damit zu füllen, und gerade ausreichend Selbstbeherrschung, um genau das nicht zu zeigen. Zadiya Ark erwartete das gleiche Bild, das sie in den letzten Systemen hatte erleben müssen: Zerstörung, Krieg sowie eine Spur der Verwüstung, die die Kolonialen durch den Leib der Republik geschnitten hatten und die nicht zuletzt zu einer Stimmung an Bord führte, die …

Jedenfalls nicht gut war.

Nicht gut, aber auch nicht mehr so katastrophal wie unmittelbar nach der Meuterei. Momentan herrschte zwischen den beiden Fraktionen ein Waffenstillstand. Man ertrug sich gegenseitig und versuchte, irgendwie zusammen zu leben und zu überleben. Mehr konnte Ark unter diesen Umständen nicht erwarten. Erstaunlicherweise hatte sich ausgerechnet Admiral Bonet als eine Schlüsselfigur herausgestellt, wenn es darum ging, dieses Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Als jemand, der außerhalb der Befehlskette der Schiffsführung stand, konnte er offenbar mit allen reden, und das tat er auch. Es diente dem Wohl des Schiffes. Ark musste das einräumen. Den nagenden Zweifel, der sie in Phasen der Erschöpfung immer wieder überkam, schob sie beiseite. Bonet hatte ihr den Hals gerettet. Sie hing an ihrem Hals. Also wollte sie dankbar sein.

Und jetzt: Epikur. Sie näherten sich dem Zentrum der Republik. Hier wurden die Welten älter – älter in dem Sinne, als dass sie früh besiedelt worden waren. Es handelte sich um alte Kolonien, die an den Privilegien und Vorteilen der Republik schon viel länger teilhatten als die jüngeren Randwelten. Daher hatten sie auch viel mehr zu verlieren, wenn die Revolutionäre ihre spezielle Vorstellung von Einheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verwirklichen würden. Wer etwas zu verlieren hatte, war nicht so leicht für das Feuer des Umsturzes oder die Verlockung des Verrats zu begeistern – zumindest war das Arks Hoffnung. Und die starb bekanntlich immer zuletzt.

»Was haben wir?«

Simeon antwortete. Heute war der junge Mann ausgeschlafen. Dadurch wirkte er nur noch halb so nervös wie sonst.

»Das Epikur-System ist ruhig. Keine automatischen Waffen. Keine Wachschiffe am Sprungpunkt. Keine Rufe. Keine Energieausbrüche, die auf einen Kampf hindeuten. Keine Wracks oder Nuklearfeuer.« Simeon sah sichtlich erfreut auf. »Hier ist alles ganz friedlich, Captain.«

Das konnte trügen, das musste auch er wissen, doch Ark brachte es nicht übers Herz, gleich wieder Pessimismus zu verbreiten. Epikur verfügte über eine voll besiedelte Welt, auf der Millionen von Menschen lebten, eine kleine Systemflotte sowie zwei Werften, die eine Verheißung für die beiden fliehenden Schiffe darstellten. Vielleicht war hier in der Nähe des Kerns der Republik alles gut gegangen. Ark wollte annehmen, dass die Umstände hier stabiler waren, weil die Kolonialen mit ihren Aufständen und Intrigen weniger erfolgreich gewesen waren und man die kleinen Angriffsflotten, die überall operierten, zurückgeschlagen hatte. Sie hoffte auf einen Ort, der dem Begriff der Heimat recht nahkam, mit Leuten, die nicht sofort die Waffe auf einen richteten. Das wäre eine wunderbare Abwechslung und eine verdiente Verschnaufpause.

Ark schalt sich eine Närrin.

Jetzt war sie Simeons Lächeln auf den Leim gegangen, obwohl sie es doch eigentlich besser wissen musste. Man durfte erst froh sein, wenn es Gewissheit gab. Diese herzustellen, war jetzt ihre wichtigste Aufgabe.

»Wir bleiben aufmerksam«, befahl sie. »Wenn wir gerufen werden, reagieren wir. Halten Sie alle Kanäle offen, zapfen Sie die Nachrichtensender und das öffentliche Systemnetz an. Ich will wissen, wie die Situation ist, ohne gleich jemanden fragen zu müssen. Sara!«

Die mädchenhafte Stimme der Schiffs-KI meldete sich sofort. »Ich verbinde mich mit dem Netz und erstelle ein rein passives unauffälliges Nutzerprofil.«

»Funktionieren die Komsatelliten? Ich würde wirklich gerne mit der Flottenführung Kontakt aufnehmen?«

»Ich bekomme einen positiven Ping, aber keinen aktiven Zugang. Jemand hat die Codes geändert. Wir können keinen Kanal aktivieren. Uns fehlt die Freigabe.«

Das war eine nachvollziehbare Vorsichtsmaßnahme und gleichzeitig eine gute Nachricht. Die Zerstörungswut der Kolonialen war offenbar nicht bis in dieses System vorgedrungen. Sie hatten das Komnetz der Republik noch nicht durch das eigene ersetzen können. Die Aussicht, wieder Kontakt mit der Hierarchie aufnehmen zu können, belebte Arks Geist. Es wurde Zeit, dass sie Gelegenheit bekam, etwas Verantwortung abzuwälzen. Sich ein wenig Last von den Schultern nehmen zu lassen. Befehle zu erhalten, statt sich stets neue ausdenken und sich beständig dafür rechtfertigen zu müssen.

Der Gedanke mochte peinlich und vielleicht auch entwürdigend sein. Aber die Sehnsucht danach war real, und die Lageberichte, die sie brav jeden Tag anfertigte, warteten auf Übermittlung, auf eine Reaktion, Anerkennung oder Kritik – es war egal, Ark war bereit, alles anzunehmen, was sie bekam. Hauptsache, es kam etwas.

Und so wartete sie auf die unvermeidliche Katastrophe.

Sie trat nicht ein. Simeons Meldungen blieben positiv. Er frohlockte beinahe, was auf der Brücke dieses Raumkreuzers ein ungewöhnliches Ereignis war. Die beiden Schiffe hatten derweil wieder die volle Beschleunigung erreicht und hielten auf die Hauptwelt zu, deren Emissionen keinen Hinweis darauf gaben, dass hier etwas nicht in Ordnung war.

»Ich habe gute Nachrichten«, meldete Sara schließlich. Ark schüttelte verwundert den Kopf. Wenn das so weiterging, war sie bald selbst davon überzeugt, dass ihre Hoffnungen endlich einmal erfüllt wurden.

»Raus damit!«

»Offenbar hat es keinen Angriff der Kolonialen gegeben, zumindest nicht im Sinne eines militärischen Übernahmeversuchs. Das Epikur-System gehört noch zur Republik, und hier hat niemand um die Herrschaft im Orbit gekämpft. Der planetare Administrator verhält sich loyal. Wenn ich die Nachrichten richtig ausgewertet habe, gab es vereinzelte Protestaktionen von Anhängern der kolonialen Partei, die aber hier weder zu einer Revolution noch zu ernsthaften Unruhen geführt haben. Es herrscht Frieden.«

Ark nickte langsam und genoss das beruhigende Gefühl, dass hier tatsächlich alles in Ordnung war. Endlich war das Glück mal auf ihrer Seite und verschaffte ihnen die Verschnaufpause, die sie so dringend benötigten. Sie holte tief Luft. Frohlocken wollte sie nicht. Aber zufrieden durfte sie sein.

»Richtstrahl zur Hauptwelt. Volle Identifikation. Wir sollten uns bemerkbar machen, damit sie uns nicht für Eindringlinge halten. Sobald sich jemand meldet, möchte ich es wissen. Was ist mit dem Schiffsverkehr?«

»Der findet nur sehr vereinzelt statt«, meldete Espinoza. »Ein paar Systemfrachter und Minenabbauautomaten. Ich identifiziere auch zwei Polizeiboote, weitab von unserem Kurs. Ein größeres Kampfschiff – die Hadrian, ein Schwerer Kreuzer der Trident-Klasse – hält ebenfalls auf die Hauptwelt zu. Es scheint aus Sprungpunkt Beta gekommen zu sein, also aus Richtung Sektor III.«

Ark runzelte die Stirn.

»Stand das Schiff auf der Flottenliste der Schiffe, die mit uns in unsere gescheiterte Entscheidungsschlacht geflogen sind?«

»Negativ. Die Hadrian befand sich zum Zeitpunkt der Mobilisierung mit Beschädigungen aus einer früheren Auseinandersetzung im Dock. Sie hat nicht mit uns gekämpft.«

Sie hat uns nicht verraten, das war die Aussage dahinter. Ein Schwerer Kreuzer, ein modernes Schiff, das den Ausgang der Schlacht auch nicht mehr hätte beeinflussen können, nun aber ebenfalls im Raum der Republik operierte. Hoffentlich war die Besatzung loyal. Hoffentlich war es tatsächlich eine Verstärkung.

»Wie ist der Status der Hadrian?«

»Normale Geschwindigkeit, Schutzschirme deaktiviert, keine aktiven Waffensysteme. Harmlos.«

Ark lächelte beruhigt. Wenn Kraus sie einholte, würde er sehr vorsichtig sein müssen. Er würde nicht auftauchen, nicht so bald. Wenn er wusste, dass die Kolonialen hier nicht regierten, konnte er es nicht wagen. Es wäre wunderbar, diese ständige Bedrohung vom Hals zu haben.

»Captain!«, sagte Simeon nun mit nur mühsam unterdrückter Erregung. »Ich empfange einen Ruf von Epikur. Systemleitstelle.«

Ark nickte ihm zu. Auf dem großen Schirm vor ihr erschien das Gesicht einer Frau. Sie trug die Uniform der Republik und lächelte professionell.

»Systemleitstelle Epikur ruft die Proxima. Sagt Ihr Transponder die Wahrheit?«

»Captain Ark von der Proxima und Captain Yin von der Achat«, bestätigte die Kommandantin. »Wir sind sehr froh, dass wir die Wahrheit sagen können. Wir sind Überlebende des letzten gescheiterten Aufeinandertreffens mit den Kolonialen.«

Der Gesichtsausdruck der Frau verdüsterte sich etwas, als sie fortfuhr.

»Ich bin Administratorin Einhardt. Sie sind die ersten Flüchtlinge aus dieser Schlacht, die es bis hierher geschafft haben«, informierte die Frau sie. »Wo sind die anderen?«

Das war eine gute Frage, fand Ark. Wie schade, dass sie so gar keine Ahnung hatte, wie die Antwort darauf lautete.

Also zögerte sie. »Ich bin mir nicht sicher, wie viele es geschafft haben. Die Ereignisse haben sich überstürzt. Ich befürchte, dass nur versprengte Einheiten auf dem Rückweg sind. Administratorin, unsere Schiffe könnten etwas Zeit im Dock gebrauchen und unsere Mannschaften ein wenig Landgang – tatsächlich sind wir überfüllt, da wir eine Menge Schiffbrüchige aufgenommen haben. Wie ist die Situation im System? Besteht die Möglichkeit, uns zu helfen?«

Einhardt nickte. Jetzt lächelte sie wieder.

»Ich kontaktiere sofort die Regierungsbehörden. Unsere Werften wurden durch halb erfolgreiche Sabotageakte der Kolonialen beschädigt, aber wir können gewiss notwendige Ersatzteile liefern. Was den Landurlaub angeht … Ich kontaktiere die Regierung.« Einhardt schaute etwas verlegen drein. »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, Captain. Sie sind uns herzlich willkommen. Aber die politische Lage ist angespannt. Wir sind der Republik gegenüber loyal, aber ein paar Hundert Crewmitglieder, die hier unten bei uns von der größten militärischen Katastrophe in der Geschichte erzählen … Tja, wir mussten leider feststellen, dass nicht alle so loyal sind, wie wir es uns wünschen. Wir können hier niemanden gebrauchen, der … wie soll ich es sagen …?«

»Unruhe auslöst? Den Sympathisanten der Kolonialen in die Hände spielt? Gerüchte verbreitet?«, half ihr Ark mit bitterem Unterton auf die Sprünge. Sie konnte es der Frau nicht übel nehmen. Es war wohl besser, ihr nichts von der Meuterei zu erzählen, jedenfalls nicht gleich.

»Ich befürchte, so in etwa habe ich es gemeint. Wir finden eine Lösung. Aber sie muss wohlüberlegt sein, Captain. Wir bereiten etwas vor, mit ausgewähltem Personal, in einer abgelegenen und … kontrollierten Umgebung. Bitte halten Sie weiter Kurs auf Epikur. Ich sende Ihnen einen Leitstrahl. Sobald ich etwas von der Regierung höre, melde ich mich wieder bei Ihnen.« Einhardt machte eine Pause. »Es tut mir leid, Captain. Die Umstände …«

»Ich kenne die Umstände«, sagte Ark. »Und obwohl es mir nicht gefällt, verstehe ich Ihren Standpunkt. Wir halten den Kurs.«

Sie brach das Gespräch vielleicht eine Spur abrupter ab, als es höflich war, doch die Enttäuschung, die in ihr aufstieg, schnürte ihr für einen Moment die Kehle zu. Aber was hatte sie erwartet? Beide Schiffe waren für die Systemregierung unbeschriebene Blätter, und wenn das, was Einhardt sagte, stimmte, hatte man hier bereits seine Erfahrungen mit den Kolonialen gemacht. Vorsicht war gewiss geboten. Doch in den Mannschaften war die Vorfreude auf ein Verlassen der engen Raumkreuzer bereits fast greifbar. Wie machte sie den Männern und Frauen klar, dass es möglicherweise nicht zu dem Landgang kommen würde, den sie sich alle schon ausmalten? Mit Glück würde man sie kontrolliert und in Gruppen auf eine Orbitalstation lassen, wo es etwas mehr Platz und die eine oder andere Vergnügungseinrichtung geben mochte. Doch das wäre bloß ein schaler Ersatz, der die Unzufriedenheit an Bord nur noch steigern würde. Und Ark konnte sich keine weitere Missstimmung leisten.

Sie starrte auf den Kartentank. Die Reise nach Epikur würde noch einige Stunden in Anspruch nehmen, Stunden, in denen sich Zadiya Ark die Worte überlegen konnte, mit denen sie die Besatzung mit der Realität konfrontieren würde. Sie hoffte auf ein Einsehen der Regierung. Eine einsame Insel würde ja bereits genügen. Etwas, mit dem sie der Mannschaft etwas Gutes tun konnte.

Ark empfand bei diesem Gedanken neue Entschlossenheit. Sie würde sich nicht einfach so abspeisen lassen.

2

»Schau mal, schau mal, schau mal!« Margie war aufgeregt wie ein kleines Kind. Mit leuchtenden Augen, in denen sich ihre Vorfreude spiegelte, wandte sie sich an Marcus Hamilton. Es war ein schönes Bild, das Marcus durchaus genoss. Er genoss es natürlich immer, die Frau seines Herzens zu betrachten, und nutzte jede Gelegenheit, dies auch zu tun. Diesmal war es aber besonders, das musste er zugeben. Margie erhellte den engen Bereitschaftsraum mit ihrer Freude, und das war ansteckend. Der Grund für ihren emotionalen Aufruhr waren Bilder von der Hauptwelt des Epikur-Systems, Epikur III, die sie aus dem Datenarchiv des Schiffes geholt hatte. Sie zeigte Marcus die Darstellungen auf ihrem Pad, und ja, der Anblick war durchaus wundervoll. Die Bilder zeigten Strände, blaugrünen Himmel und blaugrüne Wellen, Strandkörbe, Strandbars und Strandbuggys – alles Gute, was sich mit dem Wort »Strand« verbinden ließ. Epikur III war eine schöne Welt, die Terra ähnelte und ein Klima aufwies, das so laut nach Landurlaub schrie, dass jeder, dem Marcus begegnete, das Wort in grellen Buchstaben auf die Stirn tätowiert zu tragen schien. Es war eine Aussicht, die jede Spaltung, jede Zwietracht überwand. Und die Voraussetzungen waren nahezu ideal: Sie alle hatten Sold von mindestens zwei Monaten, der unangetastet auf dem Schiffskonto lag. Sie alle waren in mehrfacher Hinsicht urlaubsreif, und diese wie andere Darstellungen, die nun unter der Mannschaft die Runde machten, weckten die höchsten Hoffnungen.

»Margie, noch ist nicht raus, ob wir Landgang bekommen«, versuchte Marcus sie zu beschwichtigen und merkte sofort, dass dies die falschen Worte zur falschen Zeit gewesen waren. Ja, sein Einwand war nicht unberechtigt, wenn man rational an die Sache heranging. Aber die allgemeine Begeisterung für das Wort »Strand« als Metapher für alles, was damit zusammenhing, war so groß, dass er durch jedes sorgfältige Abwägen wie ein entsetzlicher Miesepeter und Spielverderber erscheinen musste.

»Du bist widerlich«, lautete dann auch Margies spontane Erwiderung, die von einem entsprechenden Gesichtsausdruck begleitet wurde. Marcus nahm es persönlich. Die Meinung dieser Frau bedeutete ihm viel, genau wie sie ihm generell viel bedeutete, daher waren seine Scham und Reue ernst und nicht gespielt. Er schalt sich einen Narren, was öfter passierte, wenn er mit Margie sprach, und ein Problem war, an dem er arbeiten musste. Einer der Gründe, warum er Margie so mochte, war aber auch, dass sie ihm gegenüber nie nachtragend war.

»Schau mal!«, wiederholte sie also die Aufforderung und hielt ihm ein ganz anderes Bild hin: Es zeigte sie selbst in angenehmeren Zeiten und natürlich an einem Strand. In einem Bikini. Oder einer zerschnittenen Krawatte, so genau war der Unterschied nicht auszumachen. Er sah sich die Aufnahme sehr interessiert an und war von der Bildkomposition, der professionell gewählten Perspektive und Farbtreue sehr beeindruckt.

»Ich sehe in Badehose nicht so gut aus«, räumte er ein. Sein leichter Bauchansatz war durch den Konsum der Rationen nicht wesentlich geschrumpft. »Daher gibt es keine Fotos von mir. Zumindest nicht solche.«

»Dann machen wir welche. Zusammen. Urlaubsfotos. Richtige Urlaubsfotos. Mit Cocktails in der Hand, aus denen Papierschirmchen ragen.«

»Papierschirmchen sind natürlich das Minimum«, bestätigte Marcus, der sich vorzugsweise an Bier hielt, jetzt aber verstanden hatte, wann er Einwände anbringen konnte und wann eher nicht.

»Wir werden bestimmt eine Menge Material aufnehmen müssen. Und dann sind da noch die Reparaturen. Wir könnten auch überschüssiges Personal loswerden. Eine Woche lang werden wir sicher hierbleiben. Vielleicht sogar zwei. Was denkst du?«

Marcus nickte.

»Eine Woche wäre gut.«

Margie spann den Gedanken sofort weiter.

»Dann sind wir an Bord nutzlos. Die hiesigen Techniker übernehmen das doch bestimmt. Eine Woche Landurlaub, eine tolle Vorstellung. Wir lassen es so richtig krachen, mein Süßer. Feiern bis zum Umfallen. Das ist die beste Therapie für uns alle!«

Margie sah sich um Zustimmung heischend um. Die beiden Kameraden auf ihrer Station kamen aus dem begeisterten Kopfnicken kaum heraus. Sie teilten Margies Situationsanalyse aus vollem Herzen. Marcus hatte kein Problem mit diesem Plan. Er würde mitmachen wollen. Aber diese kleine Stimme in seinem Kopf meckerte beständig, und es würde einer Menge Cocktails mit Papierschirmchen bedürfen, um sie zum Schweigen zu bringen.

Sollte sich die Chance ergeben, würde er sein Möglichstes tun, um dieses Ergebnis zu erzielen.

»Du siehst nicht so begeistert aus«, bemerkte Margie, die ihn mittlerweile viel zu gut kannte. »Willst du lieber Museen besuchen und dir Vorträge anhören?«

»Gegen ein schönes Museum ist nichts einzuwenden. Bildung hat bekanntlich noch niemandem geschadet.«

Margie verzog das Gesicht. »Du willst mit aller Macht auf die Offizierakademie, richtig?«

»Ich will überhaupt nicht auf die Akademie!«

»Marcus will auf die Akademie?«, fragte einer der Kameraden, ein dürrer Typ namens Wilson, der, so vermutete Marcus, ein Auge auf Margie geworfen hatte und ständig versuchte, sie zu beeindrucken. Margie war nicht leicht zu beeindrucken, außer offenbar von Drinks mit Papierschirmchen.

»Das will ich nicht!«, beharrte Marcus. Das Thema war durch Margies Erwähnungen zu einem ihm sehr unangenehmen Selbstläufer geworden, den er nicht mehr recht einzufangen wusste.

»Er würde sich als Offizier richtig gut machen«, fiel ihm Margie in den Rücken. »Er ist ein guter Freund von Ark und mag Museen. Er kann einem sogar die Vorfreude auf den Strand verderben. Ich würde sagen, dass man ihn direkt zum Admiral befördern könnte.«

»Ich bin kein guter Freund von …«

»Er hat dieses gewisse Etwas«, meinte die Vierte im Bunde, eine Technikerin namens Shroud, die erst vor Kurzem zu ihrem Team gestoßen war. Sie war eine Schiffbrüchige, und Marcus war ihr bisher mit einer gewissen Distanz begegnet, obwohl es dafür absolut keinen Anlass gab. Sie war witzig, auch wenn Marcus in diesem Moment für ihren Humor wenig übrig hatte.

»Das ist doch Quatsch«, wehrte er sich schwach. »Ich will auf keine Akademie. Ich mag Museen, ja. Aber ich mag auch den Strand. Verdammt, ich werde jede Ausrede nutzen, um mal für eine gewisse Zeit aus dieser Blechbüchse rauszukommen.« Den letzten Satz hatte er mit enormem Nachdruck geäußert, und die anderen stimmten ihm sofort zu.

Margie tätschelte seine Hand.

»Ein Museum gönne ich dir. Vielleicht gibt es ja eins mit erotischer Kunst.«

Shroud und Wilson lachten. Marcus bewahrte sich den Rest Würde, den er zusammenkratzen konnte. Er schüttelte den Kopf und ließ das Gelächter an sich abperlen. Und dann erlöste ihn seine »gute Freundin«.

»Achtung, hier spricht der Captain!« Die öffentliche Durchsage zog die Aufmerksamkeit der Techniker auf sich. »Wir haben Anflugerlaubnis für Epikur erhalten, und es sieht so aus, als würden dort Freunde regieren. Dies ist die Republik!«

Sie alle grinsten. Es war eine simple und doch so beruhigende Aussage.

»Wir treffen in einigen Stunden im Orbit ein. Wir bekommen wahrscheinlich Ersatzteile, aber beide Raumdocks sind beschädigt und werden möglicherweise nicht für uns bereit sein. Alle Teams sollen sich bereithalten. Aktualisieren Sie die Mängellisten und geben Sie sie an Ihre Sektionsleiter weiter. Wir wollen zusehen, dass wie die Lagerräume wieder voll bekommen, und ich erwarte dabei größte Genauigkeit.«

Die Meldung endete.

»Sie hat nichts zum Thema Landurlaub gesagt«, murmelte Shroud mit Enttäuschung in der Stimme. Auch Margie und Wilson machten lange Gesichter. Marcus sagte nichts. Er hörte wieder die Stimme in seinem Kopf meckern. »Ich habe es dir doch gesagt«, war ihre sinngemäße Aussage, und Marcus wollte ihr nicht mehr zuhören.

3

»Sie haben sich den Magen verdorben«, sagte Sandra von Kampen und blickte in die Kraterlandschaft, die Varas Gesicht war. Dann schaute sie auf das Computerpad mit den Testergebnissen, eine schöne Geste, die nur unterstrich, was sie auch ohne den Einsatz medizinischer Technologie erkannt hätte. Vara schnaubte. Seine Haut war heute etwas blasser als sonst, und das hatte den eben genannten Grund. Er saß etwas geknickt auf der Behandlungsliege und schaute sie mit einem Gesichtsausdruck an, den sie bei diesem Mann noch nie zuvor gesehen hatte. Er war nicht weinerlich. Vara war nie weinerlich. Aber in seinem Blick lag eine offensichtliche Bitte um ein wenig Mitleid, und das war tatsächlich ungewöhnlich. Magenschmerzen waren unangenehm, und wenn sich die einmal eingenommenen Speisen in Richtungen bewegten, die im Grunde nicht vorgesehen waren, war es umso schlimmer. Von Kampen war nicht frei von Mitleid. Aber Vara stand auf der Liste der Patienten, bei denen sie sich eher wie eine Biomechanikerin fühlte, ganz oben.

»Ich habe nichts anderes gegessen als sonst«, knurrte Vara unwillig. Er war auch kein einfacher Patient, nicht weil er besonders intensiv litt, sondern weil ihn jede Beeinträchtigung seiner Funktionsfähigkeit von seinen Dienstpflichten fernhielt, was ihm ganz und gar nicht gefiel. Und das zeigte er. In seiner Haltung lag diese stille Anklage, als wäre das alles ihre Schuld. Wenn Vara eines nicht ertrug, dann war es erzwungene Untätigkeit, zumal es doch immer so viel zu erledigen gab.

»Es liegt nicht am Essen, jedenfalls nicht ursächlich«, belehrte sie ihn. »Ihre Beschwerden rühren daher, dass Sie bei den jüngsten Vorfällen eine elektrische Ladung abbekommen haben, als die Meuterer Sie überwältigten. Ist das nicht zutreffend?«

»Ich habe mich gut davon erholt.«

Das klang fast trotzig. Sie nickte. Ein Lächeln sparte sie sich. Das wäre bloß Zeitverschwendung gewesen.

»Das haben Sie. Sie verfügen über eine gute Konstitution. Nur Ihr Magen ist da etwas anderer Ansicht. Er ist Ihre Schwachstelle, wenn ich das so sagen darf.«

Vara knurrte wieder, diesmal etwas Unverständliches. Von Kampen vermutete, dass allein der Hinweis auf eine »Schwachstelle« für diesen Mustersoldaten bereits so etwas wie eine Beleidigung darstellte. Wenn es einen Mann an Bord gab, dem man dringend den Stock aus dem Hintern operieren sollte, dann war es Vara. Leider überstieg dieser chirurgische Eingriff die Fähigkeiten der Bordärztin bei Weitem.

Außerdem stellte sich die Frage, was von diesem Mustersoldaten eigentlich übrig blieb, wenn man ihm den Stock wegnahm. Wahrscheinlich nicht allzu viel.

»Geben Sie mir eine Tablette«, verlangte der Mann.

»Die bekommen Sie. Darüber hinaus darf ich Sie bitten, scharf gewürzte Nahrung zu vermeiden, keinen Alkohol zu trinken und auch sonst nichts zu sich zu nehmen, was Ihre Verdauung allzu sehr belastet. Eine Suppe wäre eine gute Idee, dazu etwas Brot, aber nicht zu viele Kohlenhydrate auf einmal.«

»Sie reden von einer Diät?«, fragte Vara unwillig.

Von Kampen hielt ihm einen Blister mit vier Tabletten hin. Als er danach greifen wollte, zog sie ihn zurück und fuhr warnend fort: »Ich benutze das Wort Diät im Sinne einer Ernährungsanweisung. Sie sollen nicht abnehmen, Sie sollen Ihren Magen ein paar Tage lang nicht belasten. Vermeiden Sie Stress.«

Vara schüttelte den Kopf. »Das ist der dümmste Ratschlag, den ich je von einem Arzt bekommen habe.«

Von Kampen nahm ihm diesen Kommentar nicht übel. Ihre Worte klangen selbst in ihren Ohren eher schal. Sie schienen hier bei Epikur zumindest bis jetzt nicht auf Feinde getroffen zu sein, aber es konnte noch alles Mögliche passieren. Andererseits …

»Wenn wir Landgang bekommen, sollten Sie dieses Angebot annehmen. Spannen Sie mal aus.« Sie berührte mit einem Finger leicht die Nackenmuskeln des Patienten. »Steinhart. Und das meine ich nicht bewundernd. Sie sind völlig verspannt. Haben Sie Nackenschmerzen?«

»Gelegentlich«, murmelte Vara. »Sie sind nicht so schlimm.«

»Sie könnten aber schlimmer werden.«

»Das gilt für alles.«

»Wenn Sie Ihr körperliches Training absolvieren, legen Sie sich danach dann unter den Massageroboter?«

»Dafür habe ich keine Zeit.«

»Das ist aber notwendig.«

Vara erhob sich, streifte sich sein Hemd über und knöpfte es zu. »Viele Dinge sind notwendig, Doktor von Kampen. Wie sieht es mit der Tablette aus?«

Die Ärztin seufzte. So kam sie bei diesem Mann offenbar nicht weiter. Sie reichte ihm die Tabletten und zog sie diesmal nicht wieder zurück. Es war ein Placebo, was sie ihm natürlich nicht sagte, und es würde nur »helfen«, wenn er auf seine Ernährung achtete, wie sie es ihm geraten hatte. Und wenn er intensiv daran glaubte. Aber woran glaubte ein Mann wie Vara, von steter und eiserner Pflichterfüllung einmal abgesehen?

Er nahm den Blister mit dem Medikament erleichtert in Empfang und nickte ihr zu. Noch wandte er sich jedoch nicht ab. Er wog die Tabletten in einer Hand, als würde er bereits vermuten, dass ihn die Ärztin hereinlegen wollte. Er sah sehr nachdenklich aus, fast zögerlich. Dann räusperte er sich mit einem Grummeln, das tief aus seinem Brustkorb zu kommen schien. Von Kampen runzelte die Stirn.

»Haben Sie noch etwas auf dem Herzen?«

»Nun.« Er hielt inne, als müsste er erst die richtigen Worte finden, um ihr sein Anliegen mitteilen zu können. »Nun. Doktor. Sie … erwähnten den möglichen Landgang.«

»Wollen Sie mir durch die Blume zu verstehen geben, dass er möglicherweise nicht stattfindet?« Von Kampen hatte diese leise Befürchtung schon die ganze Zeit gehegt. Das Schweigen der Schiffsführung zu diesem Thema legte eine solche Vermutung nahe.

»Ich kann dazu nichts sagen, aber die Sache ist noch nicht gänzlich vom Tisch, das weiß ich.«

»Gut. Also?«

»Nun.« Vara zögerte und räusperte sich. Jetzt machte sich von Kampen ernsthafte Sorgen. War dem Mann noch etwas zugestoßen? Wollte er eine Untersuchung in einer Klinik auf Epikur vorschlagen? Das war eine naheliegende Idee, denn sie konnte längst nicht alles behandeln, vor allem da sie keine Spezialistin war.

»Der Landgang …«, begann Vara umständlich. »Wenn es also einen geben sollte, wollen Sie diesen wahrnehmen?«

»Muss ich meinen Dienstplan mit Ihnen absprechen, weil Sie gegebenenfalls in meiner Abwesenheit jemanden blutig schlagen wollen?« Von Kampen bereute ihre etwas gehässige Antwort sofort, denn sie schien Vara unerwartet getroffen zu haben. Das war nicht witzig gewesen. Aber was wollte der Mann von ihr?

»Nun.«

»Was kann ich für Sie in Bezug auf einen Landgang tun?«, fragte sie direkt und mit einer betonten Ungeduld in der Stimme. Sie hatte noch andere Patienten.

»Nun … Sie könnten mich begleiten«, brachte Vara schließlich hervor. Von Kampen starrte ihn an.

»Wohin? Wozu?«

»Nur … so. Zum … Spaß.«

Für einen Moment wurde es auf der Krankenstation sehr still. Sie schaute ihn an. Er schaute zurück. Als sie keine Antwort hervorbrachte, ging Vara mit regungsloser Miene davon. Von Kampen sah ihm nach.

Hatte er sie eben tatsächlich …?

Nein. Nein.

4

»Captain, ich bin Administrator McKenzie vom Planetaren Verwaltungsrat. Gouverneurin Pluton lässt sich entschuldigen. Sie ist derzeit indisponiert, und man hat mich daher beauftragt, mit Ihnen zu reden. Ich darf Sie jetzt erst einmal im Namen der Systemregierung herzlich willkommen heißen. Es ist so schön, freundliche und wohlgesonnene Gesichter zu sehen.« McKenzie war ein Apparatschik der modernen Sorte, ein Beamter, der direkt aus dem Elternhaus in die behütenden Arme des Staatsdienstes gewechselt hatte und in diesem besonderen Kontinuum zu Amt und Würden gekommen war. Er hatte dort seine eigene Expertise entwickelt, die es ihm erlaubte, ein guter Bürokrat zu sein. Waren diese Leute intelligent, konnte man mit ihnen reden. Waren sie nur ein Produkt ihrer Umgebung, wurde es schwer. Ark sah ihn sich genau an. Er wirkte sehr gepflegt, trug ein leichtes Make-up, das seine männliche Kieferpartie betonte, und einen Dreitagebart, der wie aufgemalt aussah. Vielleicht war er es, Ark war sich nicht sicher. Seine Stimme hatte den einlullenden Singsang des gelernten Redners. Er war ganze eindeutig ein Mann, den man vorschickte, wenn man Fragen ausweichen wollte – oder anderen Menschen. Ark war nicht so dumm, dass sie das nicht merkte. Sie sprach nicht mit McKenzie, weil die Gouverneurin zu beschäftigt war, sondern weil sie aus anderen Gründen nicht – oder noch nicht – mit der Kommandantin reden wollte. Oder weil jemand schlechte Nachrichten zu überbringen hatte.

»Ich danke Ihnen«, gab sie knapp zurück. »Wir haben eine Liste mit notwendigen Gütern übermittelt. Ich habe außerdem versucht, eine Verbindung zum hiesigen Flottenstützpunkt zu erhalten. Das war nicht möglich. Was ist da los?«

McKenzies Gesicht verwandelte sich in eine Maske des Bedauerns. »Captain, ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. Nachdem wir einen kleinen, aber durchaus gezielten Aufstand der Kolonialen niedergeschlagen haben, wurde ein guter Teil des Militärs abgezogen, darunter auch fast die gesamte Systemflotte. Die Schiffe sind auf dem Weg zum Hauptquartier, um sich dort neu zu formieren. Es scheint sehr dringend zu sein und geschah trotz unserer Proteste.«

»Es gibt Befehle vom Hauptquartier?«

»Sammeln und neu formieren, ja. Seitdem ist der ranghöchste Flottenoffizier hier ein Lieutenant. Die Gouverneurin hat daher die militärische Befehlsgewalt übertragen bekommen. Formeller Befehlshaber ist Generalinspekteur Harding von der Systempolizei. Ich kann Sie mit ihm verbinden, aber er ist kein Raumfahrer. Er ist …«

»… Polizist«, vervollständigte Ark den Satz. »Was ist mit unseren Ersatzteilen?«

»Sie werden geliefert. Die Raumwerften …«

»… sind nicht operabel, darüber wurde ich informiert. Ich möchte Zugriff auf das Satellitennetz haben und Kontakt mit dem Hauptquartier aufnehmen.«

McKenzie zögerte einen Moment, nickte dann aber. »Ich denke, dass das ein verständlicher Wunsch ist. Ich werde es arrangieren. Wir mussten die Codes ändern. Darüber hinaus kann es sein, dass wir mithören, falls das Flottenhauptquartier es erlauben sollte.«

»Sie sind sehr misstrauisch.«

»Ich ziehe das Wort ›vorsichtig‹ vor, Captain.«

Ark nickte.

»Was ist mit Landgang? Wir haben auch Verletzte an Bord, die wir nicht richtig oder abschließend behandeln könnten. Sie bedürfen entsprechender Spezialisten. Unsere Schiffe sind überfüllt mit Flüchtlingen.«

McKenzie nickte erneut verständnisvoll. »Sobald Sie im Orbit sind, schicken wir Ihnen zwei Fähren des medizinischen Dienstes. Sorgen Sie dafür, dass die Verletzten an Bord gebracht werden, dann übernehmen wir die Behandlung.«

Ark verspürte Erleichterung. Der Mann war doch kein inkompetenter Schnösel und verfügte offenbar über eine gewisse Autorität. Die Schwerverletzten, denen Ark nicht richtig helfen konnte, von Bord zu bekommen, würde eine große Erleichterung sein.

»Was ist denn nun mit dem Landurlaub, Administrator?«

McKenzie zögerte.

»Was den Landgang betrifft, gibt es gewisse politische Erwägungen …«

Ark hob eine Hand, da sie bereits ahnte, dass er der konkreten Beantwortung der Frage erneut ausweichen würde. Sie gab sich große Mühe, nicht zu ungeduldig zu wirken, aber es fiel ihr nicht leicht.

»Meine Leute brauchen etwas Entspannung. Gerne auch unter kontrollierten Bedingungen. Weisen Sie uns einen Ort zu, an dem die Crew mal die Seele baumeln lassen kann. Wir benötigen keine weitere Reisefreiheit, wenn Ihnen das zu unsicher ist – ich kann das mit der Notwendigkeit zur Bereitschaft begründen, das wird jeder verstehen. Ich spreche mit dem Generalinspekteur und vereinbare ein Sicherheitskonzept mit ihm. Aber lassen Sie die Leute nicht hier oben versauern, Administrator. Ich bitte Sie ausdrücklich darum!«

Arks eindringlicher Appell verfehlte seine Wirkung nicht. Der Mann nickte, und obwohl es ihm eindeutig schwerfiel, schien er zu verstehen, dass ihr diese Sache sehr am Herzen lag. Sie beobachtete, wie er für einen Moment den Ton abstellte und mit jemandem auf einer anderen Leitung sprach. Offenbar handelte es sich dabei um eine Person mit mehr Autorität, vielleicht sogar um die Gouverneurin selbst. Es dauerte nicht allzu lange.

»Ich habe gerade mit meiner Chefin gesprochen«, bestätigte er ihre Vermutung. »Gouverneurin Pluton ist einverstanden. Wir haben einige abgelegene touristische Resorts und bereiten diese für Ihre Leute vor. Ich muss Sie bitten, noch ein wenig Geduld mit uns zu haben, aber es wird Landgang geben.« Er lächelte. »Wir tun, was wir unter diesen Bedingungen tun können, Captain. Bitte verstehen Sie unsere Situation.«

Ark holte tief Luft. Sie musste jetzt Anerkennung zeigen.

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie ganz verstehe, aber ich muss Ihre Erläuterungen wohl akzeptieren. Ich bin für jede freundliche Geste gegenüber meiner Mannschaft dankbar.«

Der Mann lächelte sein geübtes, angenehmes Lächeln. Das Make-up kam dabei besonders gut zur Geltung.

»Gerne, Captain. Ich halte Sie über alles Kommende auf dem Laufenden. Bitte zögern Sie auch nicht, sich mit mir in Verbindung zu setzen, wenn es notwendig sein sollte oder Sie noch Fragen haben.«

McKenzies Bild verblasste. Ark starrte auf den leeren Schirm und fragte sich, warum trotz all der Zusagen und der offensichtlichen Kooperationsbereitschaft ein Gefühl der Leere bei ihr zurückblieb. Vielleicht hatte sie mehr erwartet. Vielleicht vor allem etwas Mitgefühl, etwas mehr Enthusiasmus, oder … etwas anderes. Sie konnte es gar nicht genau benennen.

Sie schaute auf den Kartentank. Die Hadrian war nun nicht mehr so weit entfernt, dass sich eine Konversation allzu sehr in die Länge ziehen würde. Vielleicht fand sie dort das, wonach sie bei McKenzie vergeblich gesucht hatte.

»Sara, bitte ruf die Hadrian.«

Die KI stellte die Verbindung her. Es dauerte aber eine Weile, bis das Gesicht eines Mannes auf dem Schirm erschien. Er trug die gleiche Uniform wie Ark, und auch der müde Gesichtsausdruck mit den tiefen Sorgenfalten ähnelte ihrem. Ark empfand eine spontane Wesensverwandtschaft mit ihm. Sein Lächeln war aufrichtig.

»Captain Ark. Ich war gerade dabei, Sie zu rufen.«

»Sie haben meinen Namen im Flottenregister nachgeschlagen, Captain Sykow.«

Sykow lachte leise auf.

»Und Sie den meinen. Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Und ich freue mich, dass ich bei der großen Schlacht nicht dabei war. Ich sage es gleich, weil die Sprache ja sowieso darauf kommen wird. Als klar wurde, dass die Hadrian das großartige Kräftemessen verpassen würde, war ich anfangs äußerst frustriert. Jetzt bin ich erleichtert.«

Sykow sprach ernsthaft und bat nicht um Entschuldigung. Ark empfand das als wohltuend.

»Mir würde es ebenso gehen.«

»Sie haben überlebt.«

»Gerade noch so. Wir werden verfolgt. Man hat uns seitdem keine Minute Ruhe gegönnt.«

Sykow zog die Augenbrauen hoch. »Koloniale? Nein, die werden hier nicht auftauchen, zumindest vorerst nicht. Die wissen, dass Epikur noch nicht gefallen ist. Möglicherweise erwarten sie hier starke Verbände. Die kommen mit einer richtigen Flotte, wenn sie kommen. Und jetzt … nun, jetzt sind Sie nicht mehr alleine, Captain.«

Ark lächelte. Das war der netteste und aufmunterndste Satz, den sie in den letzten Monaten gehört hatte, und er erfüllte sie mit dem, was sie bisher vermisst hatte: dem Gefühl, dass jemand echte Solidarität mit ihrem Schicksal hatte, und der Aussicht darauf, dass man ihnen fortan zur Seite stehen würde.

»Darf ich ein Treffen mit mir und Captain Yin von der Achat vorschlagen?«, fragte sie und räusperte sich, da ihre Stimme plötzlich belegt klang. »Vielleicht im Orbit um Epikur, wenn Ihnen das passt?«

»Absolut«, sagte Sykow sofort. »Captain, wollen Sie zurück zum Flottenhauptquartier?«

»Wie ich höre, gibt es mittlerweile sogar einen Sammelbefehl.«

»Waren Sie vom Funkverkehr abgeschnitten? Ah, ich vergaß. Die Kolonialen müssen die Satelliten zerstört haben. Ja, dieser Befehl existiert. Ich übermittle ihn sofort, dann haben Sie ihn auch. Ich werde ihm natürlich folgen. Mich wurmt, dass wir dadurch Epikur schutzlos zurücklassen, aber Befehle bleiben Befehle. Wenn Sie nichts dagegen einzuwenden haben, begleite ich Sie auf dem weiteren Flug ins Zentrum.«

»Es wäre mir eine Ehre. Vielleicht hat sich damit das Problem mit unseren Verfolgern dann auch endgültig gelöst.«

»Davon gehe ich aus«, sagte Sykow mit großer Zuversicht, und in seinem Gesicht blitzte ein breites Lächeln auf, mit dem er eine zerklüftete Reihe von Zähnen offenbarte. Manche Menschen hätte dieser Anblick sicher abgeschreckt, doch Ark störte er nicht im Geringsten. Sykow schien sehr authentisch zu sein. Sie hatte keinerlei Bedenken, mit ihm weiterzureisen.

Ganz im Gegenteil.

»Was haben Sie über die Situation im Zentrum gehört?«, fragte Ark.

»Wir sollen uns sammeln und neu formieren, wie wir nun beide wissen. Ansonsten habe ich nur Gerüchte über eine Regierungskrise gehört. Wenn es noch eine Steigerung von Ausnahmezustand gäbe, würde man ihn jetzt ausrufen. Mir macht die Situation hier auf Epikur aber tatsächlich viel größere Sorgen.«

»Inwiefern?« Jede Entspannung und Erleichterung hatte Ark sogleich wieder verlassen. Würde Sykow nun ihre eigenen unausgesprochenen Zweifel bestätigen?

»Ich kann es nicht benennen. Da wäre zum einen die seltsame Tatsache, dass hier kaum noch Flottenpersonal Dienst tut, obwohl Epikur jetzt quasi die Frontlinie ist. Dann lässt sich die Gouverneurin permanent entschuldigen. Ich halte mich nicht für besonders wichtig, ich bin nur ein Captain. Aber selbst jetzt, da Sie eingetroffen sind, bin ich aufgrund der Schiffsklasse, die ich kommandiere, formal gesehen der höchstrangige Flottenoffizier im System, falls man uns nicht belogen hat. Das sollte doch wenigstens etwas Gewicht haben, oder?«

Sykow ließ die Frage im Raum hängen. Sein Gesichtsausdruck wies darauf hin, dass er keine Antwort erwartete.

»Ich bin ratlos«, erwiderte Ark wahrheitsgemäß. »Ich habe Zusagen für Ersatzteile und einen begrenzten Landurlaub bekommen.«

»Ich auch – allerdings kommt mein Schiff frisch aus der Wartung und ich habe nur eine Dreiviertelcrew an Bord. Können Sie mir eventuell Leute abgeben?«

Ark nickte und versuchte, ihre Begeisterung im Zaum zu halten.

»Ich habe Schiffbrüchige, von denen viele aber nur Däumchen drehen. Ich muss Sie allerdings warnen. Manche sind durch die Katastrophe der Schlacht und die Flucht zermürbt. Ich hatte mit einer Meuterei zu tun. Die meisten der Akteure waren jene, die wir aus dem Weltall gefischt haben. Ich kann für ihre Verlässlichkeit nicht die Hand ins Feuer legen.«

»Ich werde es mir überlegen. Eines geht aber immer: Lassen Sie sie auf Epikur von Bord. Es ist ein sicherer Hafen. Dort können sie bleiben, bis wir uns von ihrer Loyalität überzeugt haben.«

Ark nickte. Den Gedanken hatte sie auch schon gehabt. Sie wollte nicht nur die Verletzten, sondern auch die Schiffbrüchigen hierlassen. Aber würde sich die Systemregierung damit einverstanden erklären? Sykow schien ihre Zweifel zu erraten. Er lächelte wieder, diesmal verständnisvoll.

»Ich begleite Sie in den Orbit, und dann sprechen wir in Ruhe«, schlug er vor. »Und danach schauen wir, ob ich Ihnen Personal abnehmen kann oder ob sich die Gouverneurin doch noch meldet, wenn wir alle zusammen auf einem Gespräch beharren.«

»So machen wir es.«

»Wir bleiben in Kontakt, Captain.«

Der Schirm erlosch. Ark erhob sich von ihrem Sessel und warf einen Blick auf den Kartentank. Sie waren auf Kurs. Landurlaub war eine echte Option. Von Captain Kraus war weit und breit nichts zu sehen. Die Aussichten waren objektiv gut.

Aber Sykow hatte, ob nun beabsichtigt oder nicht, die Zweifel, die sie bereits vorher empfunden hatte, verstärkt. Etwas stimmte nicht. Ark verfluchte ihre Intuition. Sie hatte ihr schon vor der Schlacht nicht trauen können. Die Siegesgewissheit, die ihnen die Flottenpropaganda eingebläut hatte, hatte sie erstickt. Und jetzt plagte sie ein beinahe paranoider Verfolgungswahn, der ihr gleichfalls den Blick trübte.

»Captain.«

Simeons Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

»Was gibt es?«

»Warum haben Sie niemandem von dem Impuls erzählt?«

Ark lehnte sich auf ihrem Sessel zurück und legte die Fingerspitzen beider Hände aneinander. Es war eine Verlegenheitsgeste, weil sie jetzt erst merkte, dass sie dies unterlassen hatte. Hatte sie sich nicht lächerlich machen wollen? Sie wusste ja selbst nicht recht, was sie von dieser Sache halten sollte. Und noch hatten sie so gut wie keine Fakten über das Phänomen, die sie präsentieren konnten.

»Ich schlage vor, dass wir das erst einmal für uns behalten. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was jetzt wichtig ist.« Sie zögerte und fragte dann: »Glauben Sie, dass es ein Fehler war?«

»Ich weiß nicht, ob ich für diese Einschätzung genug Informationen habe.«

»Sehen Sie«, sagte Ark. »Genau das denke ich auch.«

5

»Sie gehören zur ersten Gruppe«, sagte Thomson und schaute Marcus an. Im Gesicht des Chefingenieurs war weder Neid noch irgendeine andere negative Regung zu erkennen. Er würde bleiben, aber er gönnte den anderen ihren Landurlaub, und das sagte eine Menge über den Charakter dieses Mannes aus. »Sie haben es sich verdient.«

»Sir, wenn ich darum …«

»Ja, ja, Ihre Freundin auch. Für wie bescheuert halten Sie mich?«

Marcus Hamilton hielt den Chefingenieur für absolut nicht bescheuert, und diese Entscheidung hatte unter Beweis gestellt, dass seine Einschätzung richtig war. Er verbarg sein erfreutes Lächeln ebenso wenig wie all die anderen, die für das erste Shuttle zur Planetenoberfläche ausgesucht worden waren. Port Malinar hieß der Ort, der auf einer malerischen Halbinsel lag und den die Regierung für die Landgänge ausgewählt hatte. Er versprach all das, was sich Margie und alle anderen während des Anflugs ausgemalt hatten.

Die Bordführung vergab Dreitagepässe für Landgänge in drei Schichten, während parallel die Schwerverletzten in medizinische Einrichtungen auf Epikur verlegt wurden. Ein weiterer Flug stand an: Die inhaftierten Meuterer wurden in die Obhut der hiesigen Sicherheitskräfte übergeben. Sie nahmen nur Platz weg und waren zu nichts mehr nutze. Die Kommandantin war gewiss froh, sich dieser Last entledigen zu können, und Marcus fühlte sich ebenfalls wohler, wenn diese Rebellen von Bord waren. In Bezug auf die anderen Schiffbrüchigen war offenbar noch keine Entscheidung getroffen worden. Da es sich um einsatzfähiges Schiffspersonal handelte und es einen Sammelbefehl am Hauptquartier gab, waren die beiden Schiffe weiterhin der schnellste Weg, um diesen Befehl auch umzusetzen. Es lief wohl alles darauf hinaus, dass sie künftig etwas mehr, aber nicht viel mehr Platz an Bord haben würden. Auch darüber freute sich Marcus, denn das bedeutete, dass Margie ebenfalls bleiben würde. Dafür war er auch bereit, dauerhafte Enge zu akzeptieren.

Und dann war da noch dieses neue Schiff, dessen Existenz sich in Windeseile unter der Crew herumgesprochen hatte. Die Hadrian. Würde der Kreuzer sie begleiten – oder gar überschüssiges Personal aufnehmen? Das waren für Marcus wichtige Fragen.

Doch jetzt stand erst einmal der Urlaub an. Marcus packte nur das Nötigste ein. Er wollte sich nicht mit Gepäck belasten. Die meiste Zeit würde er ohnehin in Badehose verbringen. Allein die Vorstellung, drei Tage lang den Overall eines Technikers nicht anziehen zu müssen, erfüllte ihn bereits mit Vorfreude. Er hatte gar nicht gemerkt, wie stark seine Sehnsucht nach einer solchen Möglichkeit geworden war.

Der Flug hinunter nach Port Malinar war ein Katzensprung. Das Shuttle schleuderte sich nur etwa eine Stunde nach der Ankündigung des Urlaubs vom Kreuzer aus den Schwerkraftschacht hinab, und der Pilot wusste, was seine Passagiere von ihm erwarteten. Es gab keine Verzögerung, keine malerischen Umkreisungen. Dies war eine Infanterielandung, schnell, hart, mit Nachdruck und auf den Punkt, wenn auch vielleicht nicht ganz so brutal wie bei einem richtigen Luftlandeangriff. Das Shuttle knallte auf den Beton des kleinen Raumhafens und blieb dort mit glühenden Triebwerken stehen. Die herausströmenden Crewmitglieder ignorierten die irritiert und alarmiert herannahende Feuerwehr, die eine Katastrophe vermutete.

Nun mussten sie nur noch die vorgeschriebenen Gepäckkontrollen und Dekontaminationsprotokolle hinter sich bringen, was zeitraubend und lästig, aber nicht zu vermeiden war.

Marcus war alles egal. Er hatte festen Boden unter den Füßen, eine warme, salzige Brise wehte vom Meer heran, die Sonne schien angenehm auf seine bleiche Haut, und er sah dem Sonnenbrand mit einem gewissen masochistischen Verlangen entgegen, denn dann würde er eine schmerzhafte Erinnerung daran haben, tatsächlich hier gewesen zu sein. Drei Tage waren kurz. Sie würden vorbeigehen wie ein wilder Traum, überladen mit Erwartungen und Dingen, die man unbedingt noch unternehmen und bis zum letzten Moment auskosten sollte.

Er und Margie hatten beschlossen, sich diesem Vergnügungsstress zu entziehen. Es würde niemals der perfekte Urlaub werden. Und er würde vergangene wie zukünftige Entbehrungen nicht ausgleichen. Also warum es überhaupt versuchen?

Sie wollten sich entspannen.

Zwei große Gleiter warteten auf die gut gelaunte Runde, die schließlich die Abfertigung verließ, und brachten sie in ein Hotel, in dem sie freundlich und vor allem effizient eingecheckt wurden. Keine dreißig Minuten später saß Marcus in Badehose am Pool der Hotelanlage, hatte ein Bier in der Hand und wartete auf Margie. Die Besatzungsmitglieder der Proxima und der Achat waren hier die einzigen Gäste. Einige Hotelangestellte huschten sehr beflissen umher und servierten ihnen alkoholische Getränke. Die Stimmung war schnell ausgelassen, aber auch ein wenig überreizt. Ihnen allen war klar, dass die drei Tage wie im Flug vergehen würden und ihr Schicksal danach sehr ungewiss blieb.

Lebe im Jetzt! Das war der weise Ratschlag, der in solchen Situationen gerne geäußert wurde. Die Urlauber klammerten sich mit fiebriger Aufmerksamkeit daran fest.

Marcus und Margie hielten sich abseits. Nach einer Stunde am Pool bemerkte niemand mehr, dass sie sich ganz abgesondert hatten und einen gepflasterten Weg hinunter zum Strand entlanggingen, der weiß und gepflegt vor ihnen lag und zum wohlweislich abgesperrten Hotelgelände gehörte. Eine aus Holz gefertigte Strandbar stand unter schattigen Palmen, und bis hierher waren die trinkfreudigen Kameraden noch nicht vorgedrungen, da das Hotel selbst eine reichhaltigere Auswahl bot.

»Was darf ich Ihnen Gutes tun?« Der Barkeeper entsprach der klassischen Vorstellung: spärlich bekleidet, braun gebrannt, muskulös, mit einem breiten Lächeln und flinken Händen, die in freudiger Erwartung über die Batterie aus Flaschen zu tanzen schienen. Er zeigte sich nur gelinde schockiert, als die Bestellung in alkoholarmen Cocktails mündete. Margie hatte darauf bestanden, dass sie sich erst die Kante geben würden, wenn sie den Strand und die Wellen und einander satthatten und nichts weiter tun wollten. Dieses Stadium lag aber noch in weiter Ferne. Bis dahin blieben ihnen nach Marcus’ Schätzung noch etwa zweieinhalb Tage. Der Rückflug würde keine Freude werden.

»Ihr seid von der Flotte, oder?« Der Mann stellte die kunstfertig gemixten Cocktails vor ihnen ab. Beide waren mit Papierschirmchen verziert. Darauf hatte Margie großen Wert gelegt. Es war, als wäre ein Traum in Erfüllung gegangen. Marcus achtete darauf, dem Gebilde mit Respekt zu begegnen. Das Schirmchen war Margie wichtig.

»Das sind wir.«

»Da draußen ist die Kacke am Dampfen«, stellte der Barkeeper fest. Dann zögerte er, als wollte er die beiden nicht mit derartigen Themen belästigen. Doch Marcus nickte ihm aufmunternd zu. Dies war ein unausweichliches Gespräch, warum sollte es falsch sein, es gleich zu Beginn hinter sich zu bringen? Alle sehnten sich nach Neuigkeiten, egal ob oben im Orbit oder hier unten auf dem Planeten.

»Wir formieren uns neu«, erklärte Margie neutral und nippte an ihrem Getränk, um sogleich anerkennend zu nicken. Der Mann verstand sein Geschäft.

»Die Gouverneurin hat uns einmal vor den Kolonialen bewahrt. Sie ist entschieden vorgegangen. Allerdings hat sie dafür auch übel bezahlt. Pluton ist eine Heldin, auf die lasse ich nichts kommen. Aber ich bezweifle, dass sie es ein zweites Mal schafft.« Der Mann zuckte hilflos mit den Schultern. »Sie haben alle Schiffe abgezogen. Im Grunde genommen sind wir schutzlos. Wenn die Kolonialen das spitzkriegen … dann sind wir alle geliefert.«

»Sobald sich die Flotte neu formiert hat, schlägt die Republik gewiss zurück«, sagte Marcus. Dass er damit eher einer Befürchtung als einer Hoffnung Ausdruck verlieh, behielt er lieber für sich. »Wenn Epikur so lange durchhält, sollte alles glimpflich ablaufen.«

»Hoffentlich.«

»Was ist mit der Gouverneurin passiert?«, fragte Margie. Es war durchgesickert, dass sie bisher noch kein Wort mit Ark gewechselt hatte.

»Sie wurde beim einem niedergeschlagenen Aufstandsversuch verletzt«, informierte sie der Barkeeper. »Zwei ihrer Leibwachen sind tot. Sie liegt im Krankenhaus.« In seiner Stimme lag Stolz. »Sie hat selbst gekämpft, selbst eine Waffe geführt. Sie ist eine ehemalige Offizierin, wisst ihr? Sie ist nicht weggelaufen. Wer weiß, was passiert wäre, wenn sie nicht die Initiative ergriffen hätte.«

Er schüttelte den Kopf, wandte sich ab und kehrte hinter seinen halbrunden Tresen zurück. Marcus sah ihm nach.

»Es muss ihr sehr schlecht gehen, wenn sie nicht einmal vom Krankenbett aus kurz mit Ark reden kann«, murmelte der Techniker in seinen Drink hinein. Margie schnaubte etwas. Sie schaute auf das ruhig daliegende Meer hinaus.

»Kannst du schwimmen?«, fragte sie.

Schwimmen zu können war nicht selbstverständlich. Es gehörte nicht zu den Bedingungen, die man erfüllen musste, um dem Flottendienst beizutreten, dafür sorgte schon der massive Personalmangel, der seit Ausbruch des Krieges herrschte. Man konnte nicht zu wählerisch sein. Wer sich freiwillig meldete und über funktionsfähige Gliedmaßen verfügte, wurde genommen. Den Rest lernte man mit der Zeit.

Marcus konnte schwimmen. Momente später fand er sich mit Margie in der sanften Brandung wieder und spürte den feuchten Sand zwischen den Zehen. Sie sprangen und jauchzten wie kleine Kinder. Ihre Ausgelassenheit schien weitere Urlauber anzuziehen, denn der Strand und das Wasser in Ufernähe füllten sich langsam.

Dann verharrte Margie plötzlich. Sie stand bis zum Hals im Wasser, wischte sich ein paar Spritzer aus den Augen und runzelte die Stirn.

»Schau mal«, sagte sie zu Marcus, der neben ihr auftauchte. »Ist das nicht Vara?«

Marcus folgte mit den Augen ihrem ausgestreckten Arm. Dabei bewunderte er die sanften Formen ihrer Muskeln, auf denen sich bereits die erste Andeutung einer angenehmen Bräunung abzeichnete. Dann aber heftete er seinen Blick auf den Strand. Margie hatte wie immer richtig beobachtet.

»Ja, das ist Vara.«

»Er sieht in Badehose ganz manierlich aus. Aber die Narben. Du meine Güte!«

Marcus ignorierte diesen Kommentar, denn er hatte eine eigene durchaus bemerkenswerte Beobachtung gemacht.

»Das da neben ihm … das ist doch von Kampen!«

Margie holte tief Luft, starrte, nickte und schüttelte den Kopf, sodass ihr Haar Tropfen auf Marcus’ Haut verspritzte.

»Die nehmen zusammen einen Drink!«, erkannte Margie, und der leichte Unterton des Erstaunens war nicht zu überhören. »Ich dachte immer, dass die sich nicht leiden können.«

»Vielleicht zwingt er sie dazu.« Das klang selbst in seinen Ohren ziemlich dämlich, und nicht nur in seinen.

»Wie sollte er das tun? Unsere Bordärztin macht auf mich nicht den Eindruck, als könnte sie irgendwer zu irgendwas zwingen.«

Marcus musste dieser Einschätzung zustimmen. Nicht nur ihre spezielle Dienststellung machte aus von Kampen eine unabhängige Frau. Sie gehörte grundsätzlich zu der Art von Menschen, die sich keinen Schwachsinn erzählen ließen, weder von Patienten noch von Offizieren. Er konnte sie gut leiden. Er mochte Frauen, die wussten, was sie taten. Der Typ Margie.

»Der wird sie doch wohl nicht angraben«, flüsterte diese nun fassungslos.

»Er ist auch nur ein Mann.« Marcus wusste gar nicht, warum er plötzlich das Bedürfnis hatte, Vara zu verteidigen.

»Der ist kein Mann, der ist eine Maschine«, widersprach seine Freundin. »Der hat doch alle Gefühle in Muskelmasse und unbedingte Pflichterfüllung umgewandelt.«

Der Eindruck lag nahe, wenn man ihm begegnete, und sie hatten ja schon das eine oder andere Mal mit ihm zu tun gehabt. Aber Marcus bezweifelte, dass Margie ihm mit dieser Analyse tatsächlich gerecht wurde.

Es gab allerdings auch keinen Anlass, sich deswegen mit ihr zu streiten. Was Offiziere taten, gehörte ins Leben der Offiziere, da hatten Leute wie er nur selten Zutritt. Und auch wenn Margie ständig Andeutungen machte, hatte er kein Interesse daran, jemals daran teilzunehmen.

Er beschloss, die Diskussion an dieser Stelle zu beenden. Das tat er, indem er Margie an den Schultern packte und unter Wasser drückte.

Dies führte zu Vergeltungsmaßnahmen. Die wiederum zu Vergeltungsmaßnahmen führten. Und so vergaßen sie auch Vara schnell wieder.

6

Vara war ein Schlachtfeld.

Es war ihm nicht peinlich, und er machte sich auch nichts daraus. Aber von Kampen wusste um die Möglichkeiten der kosmetischen Chirurgie, und die Tatsache, dass Varas Oberkörper so aussah, als wäre jemand mit einem Rasenmäher darübergefahren, stand in krassem Gegensatz dazu, wie er eigentlich hätte aussehen können. Ein paar glättende Eingriffe hier und da und schon wären die Narben so gut wie verschwunden. Aber bislang hatte sich niemand die Mühe gemacht, ihn zu behandeln. Oder Vara hatte einfach nie danach verlangt. Von Kampen ahnte, dass eher Letzteres der Fall war. Das passte zu diesem Mann wie die Faust aufs Auge.

Sie sprach ihn nicht darauf an. Solche Gespräche mit Soldaten waren keine normalen Unterhaltungen zwischen Arzt und Patient. Sie entwickelten sich immer in eine andere Richtung. Gemeinhin kamen dann längere Darstellungen von Gewalttaten, die zu den Verletzungen geführt hatten. Manchmal mit Ausschmückungen, manchmal ohne, je nach Persönlichkeit. Manche wollten damit ihren Schmerz ausdrücken, andere wollten prahlen und Härte beweisen. Von Kampen wusste nicht, wie sie auf so eine Schilderung reagieren würde, sie wusste nicht einmal, was sie dazu bewogen hatte, Varas Einladung anzunehmen. Da die Beschränkungen des Landgangs ein Kulturprogramm verboten, mussten auch sie den Strandurlaub in Anspruch nehmen, und zumindest für die Ärztin war es bisher eine eher peinliche Angelegenheit. Nein, nicht wirklich peinlich, eher anstrengend.

Jedenfalls bemühte sie sich, Vara nicht allzu sehr merken zu lassen, dass sie die Narben auf seinem Torso spezifischen Verletzungsarten zuordnete und sich bereits alternative Eingriffe überlegte, mit denen man so manche Narbenwulst reduzieren konnte. Sie war sich einigermaßen sicher, dass Vara aus einem idiotischen Gefühl soldatischer Männlichkeit heraus jede Operation dieser Art rundweg ablehnen würde. Außerdem hatte sie keine Zeit für die Schönheit eines Mannes, bei dem jede Mühe verschwendet war. Eine kosmetische Runderneuerung würde sein Aussehen von grauslich zu akzeptabel verändern, mehr war aber ganz sicher nicht drin.

Ansonsten war er aber im Rahmen seiner begrenzten Möglichkeiten tatsächlich ganz nett.

Von Kampen starrte in ihren Drink, der grünlich war und in dem Dinge schwammen. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn essen oder trinken oder kauend schlucken oder besser einfach stehen lassen sollte, denn er roch nicht besonders gut. Vara hatte die gleiche Kreation neben sich auf dem Tisch stehen und leer getrunken. Er sah ihr Glas an. Hatte er ein schlechtes Gewissen? Nein, sie musste sich irren. Jemand wie Vara hatte nur dann ein schlechtes Gewissen, wenn er statt der geplanten zwanzig Gegner nur achtzehn niedergestreckt hatte und die beiden Überlebenden leise um Gnade winselten.

Langsam, dachte sie. Du wirst ungerecht. Lass dich nicht gehen.

»Es schmeckt Ihnen nicht«, stellte er fest. »Ein Bettermann Titan, benannt nach einem sehr seltsamen Barkeeper, den ich sogar mal persönlich kennengelernt habe. Der Drink ist eigenwillig, aber äußerst erfrischend.« Vara räusperte sich. »Sollen wir etwas anderes bestellen?«

Von Kampen wollte vor diesem Mann keine Schwäche zeigen. Sie griff zum Glas, rang sich ein Lächeln ab, goss die Flüssigkeit in sich hinein und riss die Augen auf. Eine Geschmacksexplosion durchflutete ihre Mundhöhle, brannte sich angenehm die Kehle hinab und erfüllte dann mit einer belebenden Frische ihren Magen. Sie starrte auf die Mixtur, die immer noch unangenehm roch, und schüttelte dann den Kopf, als würde sie sich jetzt erst an die Frage ihres Begleiters erinnern.

»Nein«, sagte sie ehrlich überrascht. »Der ist bemerkenswert gut.«

Vara lächelte. Es sah aus, als würde sich in einer Kraterlandschaft eine Schlucht auftun. Anstatt glühender Lava waren aber nur seine Zähne zu erkennen, Er hatte ein bemerkenswert ordentliches, weiß schimmerndes Gebiss. Von Kampen kannte seine Krankenakte. Die meisten Zähne waren Implantate. Wenn man ständig Faustschläge ins Gesicht kassierte, war das wohl die unausweichliche Konsequenz.

»Ein Spezialrezept der Infanterie. Urlaub sollte man wach verbringen, nicht im Koma.«

»Werden sich Ihre Leute an diesen Rat halten?«

»Unwahrscheinlich.«