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Dieses Buch steht für Selbstheilung und als Mutmacher. Ich habe schon immer das tiefe Bedürfnis verspürt, einen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben leisten zu wollen. Ich begann, dieses Buch zu schreiben, um mir meiner selbst bewusst zu werden. Ich wollte den Schrank in meinem Kopf öffnen und die dunklen Ecken beleuchten. Dadurch möchte ich lernen, mich selbst zu lieben und gut zu behandeln. Deshalb bin ich mental in meine Vergangenheit gereist, habe die Landkarte in meinem Unterbewusstsein erkundet und meine Glaubenssätze hinterfragt. Ich habe mich meinen Ängsten gestellt. Die Kraft, die ich aus dieser Unternehmung ziehe, ist stark, aber es hat auch einiges an Energie gekostet. Ich bin dankbar, dass ich den Mut aufbringen konnte und die Stärke hatte, diesen Schritt zu gehen. Ich hoffe, mein Buch spendet Kraft, Mut, Trost, Vertrauen und Zuversicht. Meine Geschichte öffentlich zugänglich zu machen, ist ein Geschenk von mir an dich – ein Geschenk für Offenheit, Selbstliebe, Heilung und Akzeptanz. "Don't Wanna Be Nice!" ist ein Song, den ich mit meiner Band ERECTION geschrieben habe. Ein Zeichen dafür, dass wir Tabuthemen offen ansprechen können – ebenso wie in diesem Buch. Perfektionismus ist out! Individualismus und Selbstbewusstsein sollen unser Leben mit Farben und Liebe füllen.
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Seitenzahl: 138
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Julia Melzer
Stress mit Soßen
Danke an Schtiefn & seine Familie, meine Freunde, meine Band! Danke für eure bedingungslose Liebe. Danke, dass ihr mich so respektiert wie ich bin. Ich bin sehr dankbar, dass ich euch in meinem Leben habe. Schön, dass es euch gibt.
Vorwort
Warum ich mich dafür entschieden habe, ein Buch zu schreiben:
Für meine Selbstheilung und als Mutmacher. Ich habe schon immer das tiefe Bedürfnis verspürt, einen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben leisten zu wollen.Ich begann, dieses Buch zu schreiben, um mir meiner selbst bewusst zu werden. Ich wollte den Schrank in meinem Kopf öffnen und die dunklen Ecken beleuchten. Dadurch möchte ich lernen, mich selbst zu lieben und gut zu behandeln. Deshalb bin ich mental in meine Vergangenheit gereist, habe die Landkarte in meinem Unterbewusstsein erkundet und meine Glaubenssätze hinterfragt. Ich habe mich meinen Ängsten gestellt.
Die Kraft, die ich aus dieser Unternehmung ziehe, ist stark, aber es hat auch einiges an Energie gekostet. Ich bin dankbar, dass ich den Mut aufbringen konnte und die Stärke hatte, diesen Schritt zu gehen.
Ich hoffe, mein Buch spendet Kraft, Mut, Trost, Vertrauen und Zuversicht.Meine Geschichte öffentlich zugänglich zu machen, ist ein Geschenk von mir an dich – ein Geschenk für Offenheit, Selbstliebe, Heilung und Akzeptanz.
„Don’t Wanna Be Nice!“ ist ein Song, den ich mit meiner Band ERECTION geschrieben habe. Ein Zeichen dafür, dass wir Tabuthemen offen ansprechen können – ebenso wie in diesem Buch.
Perfektionismus ist out!Individualismus und Selbstbewusstsein sollen unser Leben mit Farben und Liebe füllen.
Danke, dass du mein Buch gekauft hast. Ich hoffe, du kannst dich in dem ein oder anderen Kapitel wiederfinden und gemeinsam mit mir wachsen.Schön, dass es dich gibt!
Much love and rock onJulia
Als Randnotiz möchte ich noch erwähnen, dass viele Namen aus Gründen der Privatsphäre von mir verändert wurden.
Dieses Buch widme ich allen verloren Seelen und Menschen die es bis hierher geschafft haben. Scheiß Karten am Anfang des Lebens sucht man sich nicht aus, wie wir mit diesen Karten spielen entscheiden wir zum Glück selbst!
Kapitel
Hello World
Die Mini Rebellin mit der tiefen Stimme
3. „Happy“ Family
4. Sizilien
5. Oma Hach Huch
6. Plattenbau und Veganismus
7. Stress mit Soßen oder das Soßenszenario
8. Allrounder Gaffa-Tape
9. Hippie Hof, ein Paradies mit Kanten
10. Hallelujah, ein neues Zuhause
11. Das Wiedersehen, die Begegnung mit meinem Vater
12. I wanna be sedated
13. Welcome to hell
14. Das erwachen der Eigenmacht
15. Nüchtern oder schüchtern
16. Heim
17. Zurück zum Plattenbau
18. Mama ich darf nicht weinen, der dunkelste Tag in meinem Leben
19. Zwischen Depression und Magersucht
20. Bad Boys, eine Faszination für das Abgründige
21. Obdachlos, der Tiefpunkt
22. Entzug
23. Der rote Koffer
24. Therapie
25. Der Unfall
26. Goa Girl
27. Hilfe ich liebe 2 Personen
28. Ich bin unsterblich
29. Alles wird gut
30. Schicksalsschläge bleiben
31. Arschbluten time for a sober Life
32. Vom Fähnchen im Wind zu ERECTION
33. Missstände von Frauen in der Musikindustrie
34. Schlusswort „Wer hätte das gedacht“
Ist der Ruf erst ruiniert……
1
Hello World
Mein Name ist Julia. Tochter einer Hippie/Punkerin und eines Rockers. Meine Mutter war Djane und Floristin, mein Vater Holzfäller. Verrückte Mischung? Ihr habt ja keine Vorstellung. Ich habe einen älteren Bruder und eine kleine Schwester, die 8 Jahre jünger ist als ich und einen anderen Vater hat. Meine Eltern lebten mit meinem großen Bruder und einem Hund in einer Wohnung in einem Münchener Vorort. Dann kam ich.
Ich wurde am 10.03.1991 in Dachau geboren. Es war ein schneller Start. Ich war schon im Auto auf dem Weg. Die Geburt dauerte keine 30 Minuten. Ein Tritt, ein Flug und eine springende Hebamme, die mich zum Glück, auch wenn das manchmal bezweifelt wird, auffing. Allerdings hatte ich durch meinen ruckartigen Stoß aus dem Geburtskanal und das gleichzeitige Einatmen erst einmal die Lunge voll Wasser. Von dieser überhasteten Ankunft sollte ich noch länger etwas haben. Atemprobleme begleiten mich schon mein ganzes Leben.
Als dieses Problem behoben wurde und ich endlich in die Arme meiner Mutter überreicht wurde, habe ich den kompletten Inhalt meines Darms über ihr entleert. Die Hebamme rief daraufhin erschrocken, dass sei das
Kindspech. Kurz gefasst: der perfekte Start ins Leben.
Ich kann mich noch gut an unsere Wohnung erinnern. Im
Wohnzimmer stand ein grün-schwarzes Sofa mit einem unglaublich hässlichen Muster. Neben dem Sofa stand ein gigantisches Aquarium, das sich über die ganze Wand erstreckte. Darin schwammen viele bunte Fische. Ich glaube, es war ein Salzwasser-Aquarium.
Ich teilte mir ein Kinderzimmer mit meinem Bruder. Das Zimmer war übersät mit Kuscheltieren und Spielzeug. Ein Kuscheltier ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Es war eine lange grüne Schlange mit schwarzen Streifen und einer roten Zunge, die aus ihrem Maul hing. Ich hatte sehr gemischte Gefühle zu diesem Kuscheltier – eine Mischung aus Angst und Begeisterung.
Meine Großeltern kauften meinem Bruder einfach alles! Wir hatten ein tolles Stockbett mit einer super coolen Leiter. Ich habe es geliebt, dort hoch und runter zu klettern. Im Schlafzimmer meiner Eltern war alles aus Rattan. Das war damals ziemlich modern. Genauso wie Tupperware. Wir hatten eine Menge davon in pink, gelb und türkis. Meine Mutter hatte regelmäßig Tupper-Partys mit ihren Freundinnen.
Meine Mutter hatte platinblond gefärbte Haare und machte sich immer eine Dauerwelle. Sie versuchte stets, perfekt auszusehen. Sie war sehr schlank, und ihr Aussehen war ihr wichtig. Ich kann mich erinnern, dass sie immer top gestylt in unserer Küche stand, vor der Holzeckbank, und
uns alle versorgte.
Mein Vater war ein großer Mann mit schwarzen lockigen Haaren und stechend türkis farbigen Augen. Ich bekam schon immer ein komisches Gefühl, wenn er mich mit seinem stechenden Blick ansah. Er war meistens sehr braun gebrannt von der Arbeit im Freien. Er arbeitete in einer Dienststelle vom Straßenbauamt, nur ein paar hundert Meter von unserer Haustür entfernt, auf der Rückseite des Schlosshofes. Ich habe ihn dort oft zum Mittagessen abgeholt.
Zurück zu meiner Ankunft zuhause nach meiner Geburt. Als ich zuhause angekommen bin, gab es einen schlimmen Vorfall mit meinem Bruder. Bis zu meiner Geburt war er Mamas Liebling (übrigens auch darüber hinaus). Die Aufmerksamkeit, die ihm durch meine Anwesenheit fehlte, hat er wohl nicht gut weggesteckt. Er versuchte, mich heimlich mit einem Kissen zu ersticken. Er ist einfach über das Gitter meines Kinderbettes gestiegen, hat mein Kissen genommen und es auf mein Gesicht gedrückt. Ich hatte ja eh schon Atemprobleme, weshalb meine Eltern lange in Sorge waren. Es stand im Raum, dass es sein kann, dass ich einfach aufhöre zu atmen.
Mein Vater hat zufälligerweise in die Wiege geschaut, als mein Bruder über mir kniete. Pech für meinen Bruder. Mein Vater war ein sehr aufbrausender Mensch. Ich würde ihn als cholerisch beschreiben. Man wusste nie, was in der nächsten Sekunde passieren konnte. Immer in Alarmbereitschaft, immer mit der Angst vor der nächsten
Explosion, weil man irgendetwas Falsches getan oder
gesagt hat.
Es gab einmal eine Situation, in der wir am Tisch beim Essen saßen, mein Bruder erzählte Witze und ich kugelte mich krumm vor Lachen. Die Stimmung war lustig und gut. Aus dem Nichts schlug mein Vater mit beiden Fäusten auf den Tisch, sodass die Teller einen Sprung machten. Ich fiel in Schockstarre, so laut war der Knall. Er brüllte uns an: „Haltet die Fresse! Sonst vergesse ich mich!“ Er hatte einen eiskalten Blick. Wir hatten Angst! Er konnte sehr wütend werden. Mein Bruder bekam oft Prügel von ihm. Er war ein strenger und aggressiver Mensch mit einer sehr kurzen Zündschnur. Komisch, dass genau diese Art von Mensch immer extrem viel Verständnis, Geduld und generell utopisch viel von anderen abverlangt, während selbst die pure Anarchie gelebt wird. Einer seiner Lieblingszitate lautete: „Brot für die Welt, Kuchen für mich.“ Sympathischer Typ halt…
Meine Mutter war chronisch überfordert. Sie litt seit ich denken kann an einer schweren manischen Depression. Sie lag oft tagelang im Bett. Die Fenster waren verdunkelt und sie sprach kein Wort. Mein Vater hasste diese Phasen. Er sagte, sie sei faul. Meine Oma (die Mutter meines Vaters) hatte für diese Momente eine besonders nette Lösung. Sie sagte mir regelmäßig, dass alles nicht so schlimm wäre, wenn ich bloß nie geboren wäre. Ich wurde gütigerweise geduldet, aber nicht respektiert! Immerhin darf man nicht vergessen, ohne mich wäre alles super. Rundum die besten Karten für ein glückliches Leben.
Es nochmal niederzuschreiben und zu lesen macht mich
traurig und fassungslos, wie böse Menschen sein können.
Kein Kind hat es verdient, die Last der Familie auf sich
tragen zu müssen. Meine Eltern hätten damals Verantwortung übernehmen müssen und nicht die Zeit damit verschwenden sollen, die Schuld im Außen zu suchen. Sie haben mich so oft innerlich zerstört. Kein Wunder, dass ich eine Mauer rund um mein Herz gebaut habe, die umwickelt ist mit Stacheldraht und zur absoluten Sicherheit mit einem Graben aus ätzender Säure umrandet ist. Das erklärt irgendwie meine Magenprobleme.
2
Die Mini-Rebellin mit der tiefen Stimme
Schon von klein auf war ich ein kleines Wunder der Natur – zumindest, was meine Stimme anging. Da lag ich nun im Kinderwagen, kaum auf der Welt und schon das Objekt der Begierde für vorbeikommende Erwachsene. Sie beugten sich über mich wie Paparazzi auf der Suche nach dem besten Schnappschuss, doch statt mit niedlichem Gebrabbel zu antworten, kam aus mir ein unerwartet tiefes „Mama“. Das sorgte nicht nur für große Augen, sondern auch für verwirrte Gesichter. „Hoffentlich wird das noch besser“, murmelten sie und wussten dabei nicht, dass das nur der Anfang war.
Ich war neugierig auf die Welt, aber wollte definitiv nicht, dass die Welt neugierig auf mich war. Die endlosen Kommentare und schmachtenden Blicke der Erwachsenen waren mir ein Graus. Viel lieber suchte ich den Nervenkitzel für mich selbst. Vielleicht kam meine Abneigung gegen übertriebene Aufmerksamkeit daher, dass ich stets das Gefühl hatte, anders zu sein.
Im Kindergarten setzte sich das Spektakel fort. Ein „normales“ Kind würde brav mit den Puppen spielen und
in Harmonie mit den anderen Mädchen im Puppenhaus
sitzen – ich hingegen fand das alles andere als spannend. Es gibt da dieses legendäre Foto von mir, auf dem ich widerwillig im Puppenhaus sitze, umgeben von rosaroten Puppen und Puppenhausmüttern, mit einem Ausdruck puren Entsetzens, der in die Kamera schreit: „Hilfe!“
Meine wahre Leidenschaft war das Klettern auf die höchsten Bäume und das Raufen mit den wildesten Jungs. Mädchen und Puppenhäuser konnten mich nicht begeistern. Ich brauchte Abenteuer, das Adrenalin, das durch meine Adern rauschte, während ich auf den wackeligsten Ästen balancierte. Das war mein Element. Doch wenn die Grenzen meiner Neugier überschritten wurden, ging bei mir die Post ab. Ein Feuerwerk der Emotionen entlud sich, und es war schwer vorherzusehen, ob ich mich in mich selbst zurückziehen oder explodieren würde.
Wenn ich nicht gerade explodierte, verbrachte ich die Zeit damit, Insekten von den Gehwegen zu retten. Ich konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass sie einfach platt getreten werden. Ich hatte so viel Wut auf alle, die einfach ohne Achtsamkeit durch die Welt liefen und diese kleinen Lebewesen nicht wahrnahmen. Vielleicht habe ich mich selbst in diesen kleinen Wesen gesehen. Meine Liebe zu Tieren ist bis heute groß und um ehrlich zu sein, der Liebe zu den Menschen oft überlegen.
3
„Happy“ Family
Die ersten drei Jahre meines Lebens wohnte ich mit meinem Bruder und meinen Eltern in der Wohnung im Hof der Schlossanlage. Ein extremer Kontrast zu meiner Familie, wenn ihr mich fragt. Dort war es schön – zumindest die Umgebung. Wir hatten sogar einen eigenen Schrebergarten mit Gartenhaus. Meine Mutter fühlte sich dort sehr wohl, sie hatte schon immer einen grünen Daumen. Vor einigen Jahren bin ich mal an dem Garten vorbeigegangen. Dort stand noch das blau-grüne Holz-Wipp-Pferd, das sie mir gebaut hatte. Sie war eine echte Handwerkerin, und das habe ich zum Glück von ihr geerbt. Es hat mir oft geholfen! Sie sagte immer: „Mach dich niemals von einem Mann abhängig.“ Das war aber auch die einzige Regel, die sie mir vorgab.
Zurück zum Schlosshof. Es gab dort viele Kinder, vor allem Jungs. Ich musste ständig Mutproben machen oder mich im Sandkasten behaupten. Bis auf das eine Mal, als ich fast im Kanal, der durch den Hof floss, ertrunken wäre, und das andere Mal, als ich einen Mund voll Sand aß, ist aber nichts weiter passiert. Im Gegenteil, ich war eine richtige Draufgängerin. Ich konnte sogar im Stehen pinkeln – alles Dinge, die man lernt, wenn man den ganzen Tag mit Jungs
auf dem Fußballplatz abhängt.
Leider kann ich mich nicht an viele Dinge dort erinnern, doch dieses eine Erlebnis hat sich wie ein Mal in mein Gehirn gebrannt. Ich sehe noch immer meine Mutter, ängstlich umher schlagend, während mein Vater auf dem Bett über ihr kniete und ihr die Kehle zudrückte. Ich habe geweint und geschrien und wie wild an ihm gezogen. Mein Bruder war auch dabei. Als er endlich von ihr abließ, lag meine Mutter hustend und mit blauem Gesicht auf dem Bett. Wir haben uns schützend um sie gestellt. Ich glaube, mein Vater ist daraufhin abgehauen, zumindest kann ich mich nicht daran erinnern, dass er noch in unserer Nähe war. Er hatte öfter solche Aussetzer.
Zum Glück hat meine Mutter einige Zeit später die Bremse gezogen – bzw. Vollgas gegeben – und ist mit uns abgehauen. Seitdem hatte ich das Gefühl, sie war ständig auf der Flucht. Gab es irgendwo ein Problem, war die Lösung: Umzug! Kein schönes Gefühl, ständig überall die Neue zu sein. Nie feste Freunde zu finden und keine Möglichkeit, sich in Ruhe auf wichtige Dinge zu konzentrieren. Sie hat mir damit oft mein Herz gebrochen. Jeder Abschied war ein Verlust für mich. Mit jedem Umzug hatte auch ich das Gefühl, irgendetwas falsch gemacht zu haben. Meine Mutter hatte ständig irgendwelche Schuldzuweisungen. Sich selbst zu reflektieren war nicht gerade ihre Stärke, zumindest nicht, was unsere Beziehung anging.
Ihre ständigen Fluchtversuche haben mich sehr geprägt.
Einen Teil davon spüre ich auch heute noch. Ich habe lange
Zeit auf gepackten Koffern gewohnt. Ich hatte nie das Gefühl, irgendwo ankommen zu können, geschweige denn feste Freunde zu finden. Dissoziative Zustände schlichen sich immer mehr ein, ich legte mir selbsterfüllende Prophezeiungen zurecht. Ich war im Hamsterrad auf Überlebensmodus. Ich habe übrigens bis heute noch keinen Hauch einer Ahnung, wie sich richtiges Ausruhen anfühlt. Aber ich praktiziere seit ein paar Jahren Yoga und teste mich immer wieder im Meditieren. Ich gebe die Hoffnung nicht auf! Ich bin sogar fest davon überzeugt, dass ich der Entspannung immer näher komme.
Tata! Da habe ich mal wieder den Faden verloren und bin etwas abgedriftet. Das wird hier öfter passieren, ist ein Teil meiner ADHS. Sich lange auf eine Sache zu konzentrieren, ist kaum möglich, außer wenn es um Musik geht. Hyperfokus! Aber zurück zu meiner Familie.
Mein Vater war schon immer ein sehr aggressiver Mann. Er hat meinen Bruder oft grün und blau geprügelt. Im Kindergarten haben sie die Flecken einmal angesprochen, aber wie es so ist, wurde es einfach als ein Unfall abgetan. Ich verstehe nicht, wie blind Erwachsene sich stellen können. Viele wollen die Wahrheit nicht wissen, weil es einfacher ist, die Lügen zu ertragen. Damit habe ich persönlich sehr oft in meinem Leben die Erfahrung gemacht. Dazu später mehr.
Mein Bruder war mein Schutzschild. Wenn mein Vater einmal wieder ausgeflippt ist, bekam er es ab. Das tut mir
bis heute so unendlich leid. Aber was hätte ich tun können?
Es ist immerhin nicht meine Schuld. Ich war zum Glück
schnell. Ich habe mich versteckt oder mich so lange gedreht
und gewendet, dass mein Vater mich nicht erwischt hat.
Ich kann mich an eine Situation erinnern, in der er mich schlagen wollte. Ich habe mich so sehr gedreht, dass er nicht wusste, wo er hinhauen sollte. Dann ließ er von mir ab. Meine Mutter und mein Bruder waren da anders. Sie ließen sich alles gefallen. Sie fielen in Schockstarre. Nicht mit mir!
4
Sizilien
