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The Guardian. Wächter deines Herzens. Nach einer schmerzlichen Enttäuschung hat Barrett Jones sein Leben in L.A. hinter sich gelassen und wohnt nun in einer einsamen Hütte in den Wäldern Oregons. Ausgerechnet dort auf den berühmten Hollywood-Schauspieler Kieran Knight zu treffen, ist das Letzte, was er erwartet hat. Kurzentschlossen rettet Barrett ihn aus einer gefährlichen Situation und nimmt ihn mit zu sich nach Hause, wo er sich um den verzweifelten jungen Mann kümmert und versucht, ihm zu helfen. Ein ehrenwerter Plan, bis Kieran sich auf eine Weise um ihn kümmert, von der er nicht mal zu träumen gewagt hätte … Doch ihre gemeinsame Zeit ist begrenzt, denn Kieran muss nach L.A. zurückkehren und sich seinen Problemen stellen, zusammen mit Griffin Moore, seinem Bodyguard. Der Mann, der einst eine wichtige Rolle in Barretts Leben spielte und sein Herz noch immer höherschlagen lässt … Drei Männer, drei Herzen und die Frage, wie viele Teile es für ein Ganzes braucht. Dies ist ein in sich abgeschlossener Roman. Das Taschenbuch hat 316 Seiten.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Epilog
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Barrett
Er hatte die Fahrzeiten der Greyhound-Linie nicht wirklich im Kopf, aber immer wieder sah man Reisende aus einem der ankommenden Busse aussteigen, bepackt mit großen Rucksäcken, Zelten und Schlafsäcken, weil sie auf einem der Campingplätze ihr Lager aufschlagen wollten.
Ein paar Tage Natur und Wildnis um sich herum, endlose Wanderwege, die Konfrontation mit dem Wetter, das suchten hungrige Städter. Barrett konnte sie bis zu einem gewissen Punkt verstehen, denn auch er liebte das Leben in der Abgeschiedenheit Oregons.
Es war nur natürlich, dass der junge Mann ihm auffiel, der dort in einem weißen Hemd, das ihm halb aus der Anzughose hing, den McKenzie Highway entlang stapfte. Es war schon außergewöhnlich genug, dass er nicht ein einziges Gepäckstück bei sich trug, doch der glitzernde Gegenstand, den er in der Hand hielt, fiel noch viel mehr auf. Der Mann war höchstens Mitte zwanzig, die gelockten, hellbraunen Haare wirkten ein bisschen ramponiert und sein Gesicht war unrasiert. Er sah aus, als käme er von einer Partynacht in den Hollywood Hills, wo er zu viel Drogen konsumiert hatte, von arschigen Freunden in einen Bus gesetzt worden und jetzt hier gelandet war, ohne zu wissen, wo genau er sich befand und wie er wieder von hier wegkam.
Barretts Helferinstinkt rüttelte an ihm, befahl ihm, rechts ranzufahren, sich zu erkundigen, ob der Fremde Hilfe brauchte. Doch auch er war klüger geworden. Er schüttelte den Kopf über sich selbst, trat das Gaspedal durch und betrat nur wenig später kurz vor Ladenschluss den Blue Sky Market, schnappte sich ein Sixpack Bier, ein Steak und Kartoffeln und legte alles auf das Kassenband. Er war müde, seine Arme schmerzten und er wollte nur noch mit einem Bier auf seiner Veranda sitzen, in den Sternenhimmel sehen und Oregons Dunkelheit erlauben, ihre Ruhe über ihn zu legen.
Er entschied sich auch noch für einen Riegel Schokolade, einfach weil ihm heute nach einer kleinen Sünde zumute war.
An der Kasse sitzend sah Amy ihm entgegen. Wie immer war ihre Stirn von Falten durchzogen, als sie die Waren scannte.
»Bald ist Feierabend«, sagte Barrett und zog seine Geldbörse hervor. Er lebte seit zwei Jahren hier und seitdem tauschten sie nicht mehr als Nonsens aus.
Warm heute.
Der Wald ist trocken.
Das Wiesel liegt noch immer am Straßenrand und verwest.
»Nein. Das ist, was ihr denkt. Bumm, Ladentür geschlossen, alle haben Feierabend. Aber in Wahrheit müssen wir noch die frischen Lebensmittel ins Lager schieben, wir reinigen den Boden und die Glasflächen der Kühlregale. Wir legen die alten Backwaren heraus, damit wir morgen Platz für neue haben, zählen das Geld und verstauen es im Tresor. Wir haben um acht Uhr also noch lange keinen Feierabend«, gab Amy schnippisch zurück. Sie war wie immer gut gelaunt. So gut gelaunt wie ein Bär mit verbrannten Tatzen.
»Klingt nach viel Arbeit«, sagte Barrett und versuchte vergeblich, das Zucken seiner Mundwinkel zu unterdrücken.
»Findest du das witzig?« Amys Augen verzogen sich zu schmalen Schlitzen. »Du lachst über mich.«
»Kann ich dir einen Hershey’s spendieren?«
»Mag das Zuckerzeug nicht«, brummte Amy. Sie nahm sein Geld, tippte den Betrag in die Kasse ein und reichte ihm das Wechselgeld.
Er beobachtete die routinierten Bewegungen der Frau und fragte sich zum wiederholten Mal, wie alt sie wohl sein mochte. Falten und Zynismus deuteten auf ein höheres Alter hin, doch ihre Augen und Mundwinkel wirkten jung. So oder so: Er konnte nur verlieren, deshalb würde er den Teufel tun und sie danach fragen.
Der Junge an der Kasse reichte ihm grinsend seine Einkäufe, die er in einer Papiertüte verstaut hatte. »Noch einen schönen Abend.«
»Den wünsche ich euch auch. Na ja … wenn er denn wirklich vorbei ist.«
Amys Schnauben begleitete ihn aus dem Laden. Er stellte die Tüte mit den Einkäufen auf die Beifahrerseite seines Trucks, dann sprang er hinter das Steuer. Feierabend klang wirklich gut, fand er.
Er startete den Motor und sofort erfüllten die Gitarrensounds von einer mittelmäßigen Rockband den Innenraum des Wagens. Barrett setzte zurück, dann fuhr er zurück auf den McKenzie Highway. Nach nicht mal einer halben Meile bog er links ab. Blue River war eine Kleinstadt, wie man sie zu tausenden in Amerika fand. Die meisten Bewohner lebten in ihren Häusern in den Wäldern rundherum, so auch Barrett. Er liebte sein abgeschiedenes Holzhaus, die Privatsphäre, die Ruhe. Die letzten Tage war es laut gewesen, denn der Regen hatte unaufhörlich auf sein Dach geprasselt. Der Pegel des McKenzie River war auf Rekordhöhe angestiegen, doch die Feuerwehren der Umgebung freuten sich über diesen unerwarteten Segen. Die Regenfälle würden die jährlich auftretende Waldbrandsaison ein paar Wochen nach hinten verschieben. Jeder Tag, an dem es nicht brannte, war ein guter Tag.
Barrett fuhr über die Stahlbrücke, die ihn auf die andere Seite des McKenzie Rivers bringen würde. Und da war er wieder: Der fremde Mann, der so gar nicht hierher passen wollte. Er lehnte an der Brüstung und starrte in die Tiefe, dann setzte er einen Fuß auf die unterste Metallstrebe des Brückengeländers.
Barrett bremste abrupt und sprang aus seinem Wagen. Instinkt. Der war es, der ihn auf den jungen Mann zueilen ließ, der bereits die nächste Strebe erklommen und ein Bein über die Brüstung geschwungen hatte.
Barrett erkannte erst jetzt, dass er keinen Pokal in der Hand hielt. Es war ein Emmy Award. Die ganze Sache wurde immer abstruser. Der Mann hielt einen Emmy Award in der Hand, während er über das Geländer einer Brücke kletterte.
»Hey!«, rief Barrett.
Der Kopf des Mannes schnellte herum, seine Locken flogen durch die Luft und seine leuchtend blauen Augen weiteten sich bei seinem Anblick.
»Was tun Sie da?«
Er kannte ihn. Er kannte den Mann, diese Augen vergaß man nicht so leicht.
»Gehen Sie weg«, antwortete der junge Mann und richtete seinen Blick wieder auf die Fluten unter ihm. Er hielt sich nur noch mit einer Hand an dem Geländer fest, die andere umklammerte noch immer den Preis, der so lächerlich wichtig und edel aussah.
»Sie werden abstürzen, wenn Sie nicht zurück …«
»Ist mir egal«, erwiderte der Fremde.
Kieran Knight. Das war sein Name.
»Kieran, kommen Sie zurück!«, schrie Barrett. Er hatte doch nur wenige Meter von ihm entfernt gehalten, warum kam ihm dann der verdammte Weg so unendlich lang vor?
Kieran sah ihn wieder an, runzelte die Stirn, dann schüttelte er den Kopf, ging in die Knie, als wollte er sich abstoßen. Barrett beschleunigte die Schritte und machte einen großen Sprung. Sein Brustkorb prallte gegen das Geländer, seine Hand schoss vor und er umfasste Kierans Handgelenk. Das Gewicht seines fallenden Körpers riss an seinem Arm und seiner Schulter.
Kieran schrie auf, er war deutlich über das tosende Wasser hinweg zu hören. Seine Augen waren weit aufgerissen, endlose blaue Seen, in denen sich Angst und Ratlosigkeit spiegelten.
»Halt dich fest!«, schrie Barrett. Er umfasste sein Handgelenk nun auch mit der anderen Hand. Kieran hielt noch immer diesen Award fest. Wie schwer er wohl sein mochte? Barrett kam es wie eine Tonne vor.
»Halt dich an mir fest!«, rief er nochmal. »Mach schon!«
Kieran musterte ihn, und dann ließ er los. Er ließ diesen dämlichen Preis fallen, der klatschte ins Wasser und wurde von den Wellen davongetragen, während Kieran sich mit der nun freien Hand an seinem Arm festklammerte.
»Gut so!«, keuchte Barrett. »Hilf mir. Such einen Halt mit den Beinen.«
»Ich … ich kann nicht!«, gab Kieran zurück. Er war blass, fast schon weiß, seine Augen schreckgeweitet.
Barrett spürte mit Erschrecken, dass Kieran abrutschte. Egal wie fest er zugriff, Kieran rutschte, er würde ihn nicht mehr lange halten können.
»Kieran«, beschwor Barrett ihn. Sie befanden sich in einer aussichtslosen Lage. Wenn ihnen niemand zur Hilfe kam, handelte es sich nur noch um Sekunden, bis Kieran ins Wasser fallen würde.
»Ich versuche es«, keuchte Kieran. Er presste die Zähne aufeinander, sein Gesicht nur noch eine Maske aus Angst und Hilflosigkeit. »Ich rutsche ab!«
Er würde fallen. Barrett wusste es und Kieran auch.
»Wenn du ins Wasser fällst, musst du sofort an die Oberfläche paddeln, okay? Und dann lass dich mit dem Strom treiben und versuch ans Ufer zu gelangen«, stieß Barrett hervor. Kierans Arm rutschte weg, immer schneller und schneller und plötzlich fiel er. Er schrie und Barrett würde seinen Blick, der sich jetzt in seinen bohrte, nie wieder vergessen. Nicht mal einen Herzschlag später kletterte er über die Brüstung und stürzte sich ebenfalls in die Fluten.
Er starb. Einen Augenblick lang dachte er wirklich, das wäre es jetzt mit ihm gewesen, denn er konnte nichts mehr sehen und bekam keine Luft mehr. Das Wasser war so kalt, es presste seinen Brustkorb unbarmherzig zusammen. Er konnte sich nicht bewegen, sondern trieb einfach nur in den Fluten, die ihn unbarmherzig mit sich rissen.
Kieran!
Ihm würde es genau gleich gehen! Und der war bei weitem nicht so muskulös und kräftig wie er selbst. Mit reiner Willenskraft kämpfte Barrett sich durch die Wasseroberfläche und holte tief Luft, während er sich hektisch umsah. Er hatte keine Zeit mehr für seine körperlichen Befindlichkeiten, stattdessen suchte er die tosenden Massen nach Kieran ab. Hatte er es geschafft? War er aufgetaucht?
Es war schwierig, einen menschlichen Körper zwischen all dem Geröll, den Strudeln und Bewegungen auszumachen. Barrett trieb voran und versuchte sich dabei in Richtung Ufer treiben zu lassen, wie er es Kieran vorhin gesagt hatte.
Da! Auf einmal durchbrach ein Kopf die Wasseroberfläche. Er paddelte wie von Sinnen gegen den Strom an. Diesen Kampf würde er verlieren.
Barrett schwamm schnell voran und erreichte ihn nach kurzer Zeit. Er umfasste Kierans schmalen, starren Körper und hielt ihn fest an seinen gepresst. »Du verschwendest deine Kraft«, versuchte er über den Lärm des Wassers hinweg zu rufen. Er konnte sich nicht erinnern, dass ihm jemals in seinem Leben so kalt gewesen war. Nicht mal seine Lippen wollten sich richtig bewegen, seine Stimme gehorchte ihm nicht.
»Ich … es ist … ich …«
»Nicht quatschen. Da vorne.« Barrett zeigte auf eine Stelle, an der sich Steine am Ufer angesammelt hatten. Große, aber auch viele kleinere. Wenn sie es dorthin schafften, konnten sie vielleicht aussteigen.
Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, er hielt Kieran fest und paddelte langsam, bis er wirklich Boden unter seinen Füßen spürte. Mit letzter Kraft wuchtete er Kieran herum, sodass dieser auf den Steinen zum Liegen kam. Barrett brauchte einen Moment länger; er konnte sich im letzten Augenblick an einem scharfkantigen Stein festhalten, ehe er weitergespült worden wäre.
Kieran überraschte ihn, indem er sich aufrappelte und nun nach seinem Handgelenk griff und daran zog. Barrett krabbelte langsam ans Ufer. Sein Körper war ein einziger Krampf, alles tat ihm weh, er war bis auf die Knochen durchgefroren.
»Geht’s dir gut?«
»Das …wollte ich nicht …«, stotterte Kieran abgehackt. Er zitterte und bebte, seine Lippen blau, seine Locken triefend nass, der Blick erschrocken.
»Ich weiß«, sagte Barrett nur. »Komm, wir müssen ins Warme.« Er erhob sich schwerfällig und hielt Kieran seine Hand hin, der sie kurz ratlos anstarrte, und dann danach griff.
Barrett
Er wusste nicht, was er erwartet hatte, aber vermutlich nicht das Fehlen jeglichen Widerstands, als er den Mann in die Höhe zog und ihm befahl, ihm zu folgen. Sie beide rutschten über Geröll und nasse Steine am Ufer. Weiter oben wurde es nicht besser, der Waldboden war weich und der Wind hatte viele Äste zu Boden geworfen, über die sie in der heraufziehenden Dämmerung und mit bebenden Herzen stolperten.
Sein Handy war durch den Sprung ins Wasser unbrauchbar geworden. Der schwarze Bildschirm hatte ihn kurz fluchen lassen, dann hatte er sich nicht weiter damit aufgehalten und war losgelaufen, Kieran hinter sich herziehend. Solange sie noch gehen konnten, mussten sie das tun, bevor sie müde wurden. Noch floss Adrenalin durch ihre Adern, sie konnten sich noch gegen die Unterkühlung wehren und alle Emotionen unterdrücken. Sie mussten einfach nur zu seinem Wagen gelangen.
Als die Brücke irgendwann als dunkle Silhouette vor ihnen auftauchte, seufzte Barrett erleichtert auf. Sein Auto stand dort oben. Darin befand sich Essen. In seinem Auto gab es eine fantastische Heizung.
»Okay, dort hoch«, sagte Barrett und zog Kieran hinter sich her. Seine Hände waren jetzt leer, der Emmy irgendwo auf dem Grund des McKenzie Rivers.
Der junge Mann kraxelte langsamer als er und rutschte immer wieder ab, weshalb Barrett ihn keinen Moment losließ, bis sie die Brücke erreicht hatten. Sie kletterten dieses Mal in die sichere Richtung über das Geländer und gingen die Straße entlang.
»Mein Handy ist im Arsch, aber wir können kurz zu der Tankstelle dort vorne fahren und von dort aus einen Krankenwagen für dich rufen.«
Kierans Kopf flog herum und das erste Mal, seit sie einander begegnet waren, sah er ihn absolut klar und direkt an. »Nein«, sagte er nur. Seine Stimme war entschlossen und fest.
»Nein?«, fragte Barrett, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte.
»Nein. Ich … ich komme jetzt wieder zurecht.«
Barrett runzelte die Stirn. »Und wie?«
»Ich suche mir ein Hotel und …«
»Es gibt nur eine Lodge, etwa zwei Meilen von hier.«
»Okay.«
Barrett seufzte. »Das ist nicht okay. Wir – wir beide – müssen uns sofort aufwärmen, wenn wir keine Lungenentzündung bekommen wollen.«
»Ich weiß«, erwiderte Kieran. Er wandte den Kopf und sah in den Fluss hinunter, der sie glücklicherweise ohne größere Schäden wieder ausgespuckt hatte.
»Ich … danke für deine Hilfe. Ich komme jetzt allein klar.« Kieran wollte sich abwenden, was einfach nur verrückt war. Barrett hielt ihn an seinem Handgelenk zurück. »Moment. Du kannst nicht einfach so weggehen.«
»Warum nicht?«
»Weil du unterkühlt bist.«
Mit der eintretenden Dunkelheit verwandelte sich das Wasser unter ihnen in eine schwarze, glänzende Masse und klang noch gefährlicher und gieriger. Barrett wurde bewusst, wie viel Glück sie gehabt hatten, den Fluten unverletzt entkommen zu sein.
»Kann ich dann … mit dir mitkommen?«
Barrett runzelte die Stirn. Ob er einen fremden Mann, der vollkommen mutterseelenallein durch die Gegend irrte, mit nach Hause nehmen wollte?
Nein, zur Hölle!
»Ich glaube, das, was du jetzt wirklich brauchst, ist medizinische Hilfe. Du musst untersucht werden, ob du dich verletzt hast und …«
»Ich habe mich nicht verletzt. Ich … ich kann nur nicht. Ich kann nicht zu denen gehen. Zu niemandem«, fügte der Mann hinzu, seine Stimme brach zu einem heiseren Flüstern.
»Aber …«
»Bitte. Nur eine Nacht. Ich … ich werde nichts tun. Aber bitte schick mich nicht weg.« Die Stimme des jungen Mannes war kaum noch hörbar. Das Tosen des Flusses war unbeschreiblich laut und trotzdem nahm Barrett die Verzweiflung in seinem Tonfall wahr.
Du bist immer voll dabei. Mit ganzem Herzen. Und genau das bringt dich in Schwierigkeiten.
Barrett hörte Griffins Stimme. Er hörte sie sehr deutlich. Aber er konnte nicht aus seiner Haut, deshalb nickte er. »Also gut. Aber morgen werde ich dich ins Krankenhaus bringen. Weiß deine Familie, wo du bist?«
»Nicht so richtig.«
Barrett seufzte und fuhr sich durch seine klammen Haare. »Wir sollten sie informieren.«
»Morgen.«
Morgen. Natürlich. Es klang wie eine Ausrede. Himmel nochmal, Kieran Knight war gerade in eine reißende Strömung gefallen. Der Liebling der Amerikaner, der heimliche Star einer der erfolgreichsten Serien des Landes.
Barrett machte sich seufzend auf den Weg zu seinem Wagen. Als sie die Stelle passierten, an der Kieran vorhin über das Geländer geklettert war, hielt er kurz inne und wartete, bis der Mann zu ihm aufgeschlossen hatte, doch er hätte sich keine Sorgen machen müssen. Kieran folgte ihm langsam und … leise …. Es war merkwürdig, er konnte es nicht anders beschreiben. Es war, als wäre Kieran ein Geist, seine Aura kaum wahrnehmbar.
»Okay, setz dich hier rein«, sagte Barrett. Er öffnete die Beifahrertür, schob die Einkaufstüte auf die Rückbank und trat dann zur Seite. Kieran kletterte in seinen Truck, setzte sich und starrte durch die Windschutzscheibe.
»Du bleibst sitzen, oder?«
Barrett betrachtete Kieran, der jetzt den Kopf wandte und ihn ansah, abwartend, dann nickte er wortlos.
Barrett entschied sich dafür, ihm zu glauben, schloss die Beifahrertür und eilte um den Wagen herum, in der heimlichen Erwartung, Kieran würde im nächsten Moment aus dem Auto springen und verschwinden.
Doch nichts davon geschah. Kieran saß noch immer auf seinem Platz, als Barrett auf seiner Seite einstieg und sich anschnallte. Er hatte die Hand schon an den Schlüssel gelegt, um den Wagen zu starten, als er innehielt und Kieran musterte. Er zitterte, ohne irgendetwas dagegen tun zu können.
»Kannst du dich anschnallen?«, fragte Barrett.
Kieran reagierte nicht, er schien sich in sich selbst zurückgezogen zu haben und keine Reize oder Ansprache von außen mehr wahrzunehmen. Barrett lehnte sich seufzend über die Mittelkonsole und näherte sich Kierans Körper. Von ihm ging eine Kälte und Schwere aus, mit der er nicht gerechnet hatte. Sie umfing ihn mit Leichtigkeit, aber anstatt sich davon abgestoßen zu fühlen, zog sie ihn an. Wie war das möglich?
Barrett griff nach dem Gurt und zog ihn über Kierans Körper, dann ließ er ihn in der Vorrichtung einrasten.
Ohne ein weiteres Wort legte Barrett den Gang ein und fuhr los. Sie durchquerten Blue River, das still und verlassen dalag, nur die Bar und das einzige Restaurant der Stadt waren noch beleuchtet und von Leben erfüllt.
Barrett nahm die schmale Straße zu seiner Rechten und folgte den Kurven, bis er endlich sein Zuhause erreichte.
Das Holzhaus war nichts Besonderes, doch für ihn war es sein Schloss. Er liebte die Abgeschiedenheit und den Frieden, die es umgaben. Seit er hier lebte, fühlte er sich zum ersten Mal in seinem Leben wirklich angekommen.
»Wir sind da«, sagte Barrett und sah zu Kieran hinüber, der sein Haus musterte. Wahrscheinlich fand er es winzig, was es irgendwie auch war, mit dem einzigen Schlafzimmer im oberen Stockwerk, dem einfach ausgestatteten Badezimmer und dem großen Wohn- und Küchenbereich, in dem er sich die meiste Zeit aufhielt, wenn er denn zu Hause war.
Er liebte seine großzügige Veranda mit dem unverbauten Blick über das gesamte Tal, und er mochte auch den kleinen Garten neben dem Haus, wo er trainieren konnte. Nur im Winter nutzte er die Stangen und Gewichte nicht.
Barrett stieg aus, schnappte die Einkaufstüte vom Rücksitz und drehte sich um. Kieran saß – natürlich – noch immer auf dem Beifahrersitz. Er hatte sich keinen Millimeter gerührt, seit er eingestiegen war, geschweige denn ein Wort gesagt.
Seufzend ging Barrett um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür. Er lehnte sich wieder über Kieran, nahm seinen Duft wahr, der nichts mit irgendeinem Parfüm oder einem teuren Eau de Cologne zu tun hatte, sondern nur mit ihm. Sogar jetzt, unter all der Verzweiflung und Kälte roch er gut. Nach Leben und Freude, wie er sie ausstrahlte, wann immer eine Kamera ihn einfing.
Barrett löste den Sicherheitsgurt, dann umfasste er Kierans Oberarm, der zwar schlank, aber trotzdem muskulös war. Gemeinsam gingen sie zum Haus und Barrett öffnete die Tür.
»Warum hast du nicht abgeschlossen?«
»Weil hier niemand einbricht, außer vielleicht Waschbären, nachdem sie meinen Müll durchwühlt haben«, erwiderte Barrett lachend. Er stellte die Papiertüte zur Seite und drehte sich zu Kieran um. Der stand zitternd im Hauseingang, und schien nicht vorzuhaben, die Schwelle demnächst zu übertreten.
»Wie heißt du?«, fragte er plötzlich. Sein Blick glitt suchend über Barretts Gesicht.
»Barrett. Barrett Jones.«
Als ein Geräusch aus dem Inneren ertönte, wich Kieran angstvoll und mit weit aufgerissenen Augen einen Schritt zurück. Barrett hob beschwichtigend eine Hand. »Das ist nur Anouk.«
»Wer …« Kieran verstummte, weil er ganz offensichtlich die hässlichste Katze aller Zeiten erblickt hatte. Sie war mindestens eintausend Jahre alt, ihr Fell struppig und glanzlos und ihr Körper so dünn, als ließe Barrett sie wochenlang hungern. Er wunderte sich jeden Tag über die Katze, weil sie einfach nicht sterben wollte. Also kaufte er ihr das kalorienreichste Futter, das er bekommen konnte, außerdem bekam sie allerlei Naschereien aus seiner Küche. Sollte sie ihre letzten Monate noch genießen. Manchmal sah er sie tagelang nicht, dann lag sie wieder wochenlang wie festgewachsen auf seinem Sofa und erhob sich nur, um zu fressen, oder für einen kurzen Spaziergang nach draußen.
Barrett fand die fusseligen Haarfetzen, die aus ihren Ohren ragten, ja am gruseligsten. Aber auch die großen gelben Augen konnten einem ganz schön Angst machen.
»Sie ist alt und hässlich und ganz sicher nicht meine erste Wahl als Mitbewohnerin, aber sie ließ sich nicht vertreiben. Also … das ist Anouk.«
Kieran musterte die Katze, während er auf der Veranda stand und immer kleiner zu werden schien.
»Kieran, kannst du reinkommen? Ich muss Anouk füttern und du solltest duschen, damit du …«
Kieran überschritt die Türschwelle langsam und vorsichtig, Anouk nicht aus den Augen lassend. Barrett schloss die Tür hinter ihm und ging zusammen mit den Einkäufen und Anouk, die ihm mit einem tadelnden Miauen folgte, in die Küche. Als kleine Entschuldigung für seine Verspätung streichelte und fütterte er sie, ehe er das Steak und das Bier seufzend in den Kühlschrank stellte. Es sah nicht so aus, als würde er heute einen friedlichen Feierabend bekommen. Der hatte sich mit dem Sprung in den Fluss eindeutig verabschiedet. Also holte er eine Dose Rindfleischeintopf aus dem Schrank, öffnete sie und füllte den Inhalt in einen Topf. Er stellte eine niedrige Temperatur am Herd ein, dann kehrte er zu Kieran zurück, der noch immer zitternd und verloren mitten im Eingangsbereich stand.
»Dort vorne links ist das Badezimmer. Du solltest duschen gehen, bevor du noch krank wirst.«
»Und du?«
Barrett blinzelte. »Ich dusche, sobald du fertig bist.«
»Ich … kannst du … ist das Bad sicher?«
Barrett runzelte die Stirn. Es fiel ihm nicht leicht, die Person, die er schon das eine oder andere Mal im Fernsehen gesehen hatte, mit dem Mann in Einklang zu bringen, der jetzt klein und ängstlich vor ihm stand. In seiner Rolle als Matt Hill spielte er einen Teenager, der in einer unwirtlichen, dystopischen Welt nach seiner Familie suchte und dabei gegen degenerierte Zombies kämpfen musste. Hier in seiner Hütte war er nur ein junger, zitternder Mann, dem die Angst in die Augen geschrieben stand.
»Wir sind allein hier. Das Bad ist sicher.«
»Kannst du es kontrollieren?«
Barrett unterdrückte ein Seufzen, stattdessen nickte er und ging in sein winziges Badezimmer, in dem es nur eine Toilette, ein Waschbecken und einen Spiegelschrank gab. Die kleine Badewanne nutzte er als Dusche. Natürlich lauerte hier drin keine Gefahr. »Du kannst kommen, es ist alles sicher«, rief Barrett durch die offene Tür.
Kieran erschien zögernd im Türrahmen. Seine Augen glitten unstet über die Oberflächen des Bades. Er biss sich auf die Unterlippe und schob sich eine halbtrockene Haarsträhne aus der Stirn, während er seine nächsten Worte abzuwägen schien.
»Siehst du. Es ist sicher«, sagte Barrett erneut. Er schob den Duschvorhang zur Seite, um Kieran zu beruhigen. »Du kannst jetzt duschen.«
Kieran kam ganz langsam ins Bad, das im Grunde zu klein für zwei erwachsene Männer war, zumindest, wenn man noch etwas Abstand zueinander wahren wollte. Barrett räusperte sich und trat um ihn herum, sodass Kieran jetzt in der Mitte des Raumes stand, der plötzlich viel größer wirkte. Oder Kieran war geschrumpft.
»Ich hole dir ein Handtuch und …«
»Ich nehme das.« Kieran deutete auf Barretts Handtuch, das bereits an einem Haken an der Wand hing.
»Aber das ist …« Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn, dann zuckte er mit der Schulter. »Wie du willst.« Ihm war zu kalt, er wollte nicht noch ewig diskutieren.
Barrett wollte sich abwenden, doch Kierans Stimme hielt ihn zurück. »Geh nicht.«
Er fuhr herum und starrte den Mann an, der noch immer in der Mitte des Raums stand und verlorener denn je wirkte. »Kannst du … kannst du bleiben, bis ich fertig bin?«
»Ich habe eine Suppe auf dem Herd, damit wir …«
»Bitte?«
Barrett seufzte, dann nickte er. Es würde dauern, bis die Suppe warm war, also konnte er genauso gut hier warten. Es war ja nicht so, als wäre der heutige Abend nicht schon seltsam genug gewesen.
Kieran brauchte einen Arzt, oder besser einen Psychiater. Und viele gute Medikamente.
Barrett setzte sich auf den geschlossenen Toilettendeckel und machte eine Handbewegung. »Los geht’s.«
Es vergingen einige Augenblicke, ehe Kieran sich in Bewegung setzte. Er fasste an den Kragen seines dreckigen, halb durchsichtigen Hemdes und versuchte, den obersten Knopf zu öffnen. Barrett hatte keine Ahnung, wie lange es dauerte, aber jede Sekunde war qualvoll. Kierans Finger zitterten unkontrolliert und seine Haut hatte einen ungesunden Blauton angenommen.
Irgendwann hielt Barrett es nicht mehr aus, er erhob sich und trat zu Kieran, der mit großen Augen die Hände sinken ließ und ihn anstarrte.
»Lass mich das machen«, sagte Barrett und öffnete mit Leichtigkeit einen Knopf nach dem anderen. Auch ihm war kalt, doch er war viel robuster als Kieran gebaut und damit auch widerstandsfähiger.
Zuletzt öffnete er die Manschettenknöpfe an seinem Handgelenk, dann zog er ihm das Hemd über die Schultern. »Schaffst du den Rest allein?«, fragte Barrett und deutete auf seinen Hosenknopf.
Kieran schüttelte den Kopf und Barrett holte tief Luft, ehe er Gürtel, Hose und Reißverschluss aufmachte. Kieran bewegte sich keinen Millimeter, doch er schien etwas ruhiger zu werden. Es war zwar schon eine Weile her, dass Barrett einen anderen Mann entkleidet hatte, doch die Situation hier hätte nicht merkwürdiger sein können. Zwischen ihnen herrschte weder sexuelle Spannung noch gab es Erwartungen. Sie waren einfach nur zwei Männer, von denen einer Angst hatte. Na gut, eigentlich hatten sie beide Angst, aber das würde Barrett niemals zugeben.
Er fragte nicht weiter, sondern zog ihm auch noch sein Unterhemd und dann seine Unterhose aus, während er seinen Blick diskret abwandte. Absolut gar keine sexuelle Spannung.
Barrett griff um Kieran herum, machte die Duschbrause an und trat dann zurück. »Bitte sehr. Tritt ein. Ich kümmere mich so lange um …«
»Kannst du mitkommen?«
Barrett blinzelte mit jeder Bitte, die Kieran hervorbrachte, ein bisschen mehr. Er sollte mit ihm duschen? Das war doch wohl etwas zu viel des Guten. »Also ich … dusche einfach nachher. Allein.«
»Ich will dich nicht anfassen, oder so. Ich … ich kann nur nicht allein …«
»Kieran, die Dusche ist sicher und das Haus ist es auch. Solange ich hier bin, kann dir nichts geschehen«, sagte Barrett eindringlich. Wovor hatte er so eine Angst?
Kierans Unterlippe zitterte noch etwas stärker, während Tränen in seine Augen traten. Barrett seufzte, dann zog er sich sein T-Shirt über den Kopf, schlüpfte aus dem Rest seiner Kleidung und schob Kieran vor sich her in die Duschkabine.
»Und wehe, du fängst an zu fummeln«, brummte er. Er zog den Duschvorhang hinter ihnen zu und ihm wurde erst jetzt klar, wie eng die Badewanne wirklich war. Zumindest für zwei erwachsene Männer. Da spielte es auch keine Rolle, dass Kieran schmaler gebaut war als er, die Dusche war winzig.
Der warme Wasserdampf und Tropfen heißen Wassers trafen auf Barretts Haut und er seufzte auf. Er umfasste Kierans Schultern, drehte sie beide herum, sodass er unter dem Wasserstrahl stand. So blieben sie eine Weile stehen, bis Kieran sich zur Seite bewegte.
»Jetzt du«, sagte er. Er schien sich beruhigt zu haben, und auch wenn seine Hände noch immer bebten, als er Shampoo auf seine Handfläche gab, so waren zumindest seine Lippen nicht mehr so blau.
Kieran wusch sich die Haare, während Barrett die Augen schloss und das heiße Wasser auf seiner Haut genoss. Er zuckte zusammen, als Kierans Finger plötzlich über seinen Kopf strichen. Der junge Mann stand hinter ihm, weshalb Barrett ihn nicht ansehen konnte. Als er sich umdrehen wollte, legte Kieran ihm die Hände auf die Schultern und hinderte ihn daran. Dann fuhr er fort damit, seine Kopfhaut zu massieren.
Barretts Augen schlossen sich und er gestattete sich einen Moment purer Freude, weil jemand anderes ihm die Haare wusch. Dann verschwanden Kierans Hände und Barrett wandte sich zu ihm um. Seine Wangen waren rot und sein Lächeln scheu. Barrett erwiderte es, ohne darüber nachzudenken, dann trat er zur Seite, um Kieran wieder unter den Wasserstrahl zu lassen. Der spülte Shampoo und Seife von seinem Körper, ehe Barrett es ihm gleich tat.
Nachdem sie fertig waren, reichte Barrett Kieran das Handtuch, während er selbst aus einem Wandschrank vor dem Badezimmer eines für sich holte. Als er sich umdrehte, war er erstaunt, dass Kieran ihm in den Gang hinaus gefolgt war. Er stand da, eingehüllt in sein Handtuch, der Blick jetzt wachsam, aber auch vertrauensvoll. Er zuckte zusammen, als Anouk neben ihnen miaute.
»Warte nur, bis sie dich morgen genau so weckt«, sagte Barrett schmunzelnd. Er ging zu einem weiteren Wandschrank und war dieses Mal nicht erstaunt, dass Kieran ihm folgte. Er hatte das erwartet. Offenbar hatte der junge Mann Angst und fühlte sich im Moment nur in seiner Gegenwart sicher. Was auch immer er an sich hatte, er war es gewohnt, dass Menschen seinen Schutz suchten.
Er trat an eine Kommode und zog die Schublade heraus. »Pullover oder T-Shirt?«
»Pullover«, sagte Kieran, wie aus der Pistole geschossen. Barrett übergab ihm einen schwarzen Hoodie mit Kapuze, eine Jogginghose, Boxershorts und Wollsocken.
Für sich selbst nahm er das Gleiche und sie zogen sich nebeneinanderstehend und schweigend an. Sein Pullover war Kieran viel zu groß und auch die Hose saß nur, weil er sie vorne fest zusammenband.
»Die Suppe ist jetzt sicher heiß«, sagte Barrett und ging den Gang hinunter in die Küche. Wie ein Schatten folgte Kieran ihm. Er stand nur einen Meter von Barrett entfernt, während der Suppe in die Teller gab und sie auf den Tisch stellte.
»Willst du ein Bier?«
Kieran schüttelte den Kopf.
Barrett füllte für sie beide jeweils ein Glas Wasser, stellte sie auf den Tisch und sah Kieran an. »Setz dich und iss.«
Kieran ließ sich auf einem der Stühle nieder, wartete, bis Barrett ihm gegenüber saß, dann griff er nach seinem Löffel und begann zu essen. Sie schwiegen beide, was Barrett egal war. Er war es gewohnt, beim Essen allein zu sein und nicht zu sprechen, weshalb er sich nicht unwohl fühlte. Die Wärme, die durch die Suppe in seinen Körper sickerte, war dafür unglaublich angenehm, und am Ende ihrer Mahlzeit fühlte er sich satt und wiederhergestellt.
Kieran legte den Löffel zur Seite, dann starrte er in den Teller. Vergangen war wohl sein einziger selbstbewusster Moment, vorhin in der Dusche, als er Barrett die Haare gewaschen hatte.
»Wir müssen uns unterhalten, das ist dir klar, oder?«, fragte Barrett irgendwann.
Kierans Blick flog in sein Gesicht, er sah verschreckt aus wie ein ängstliches Häschen. Dann nickte er.
»Ich muss sicher sein, dass du … nichts anstellst.« Barrett räusperte sich. Er kannte Kieran nicht einmal und hatte deshalb auch absolut keine Ahnung, wie er mit ihm reden sollte.
»Du meinst wegen der Brücke?«
Genau die.
Barrett nickte. »Du wärst gestorben, wenn …«
»Ich wollte nicht springen«, sagte Kieran schnell. »Ich … na ja, ich habe vielleicht kurz darüber nachgedacht, aber eigentlich wollte ich nicht wirklich …« Kieran blies die Backen auf und atmete langsam aus. »Du musst mir nicht glauben, aber es ist die Wahrheit. Es war irgendwie … ein komischer Moment. Da war die Brücke und alles war zu viel und dann …«
»Du wolltest, dass ich dich festhalte.«
»Ja.«
»Und wenn ich nicht dort gewesen wäre?«
»Dann hätte ich einfach ein wenig auf dem Geländer gesessen, nach unten gesehen und mich klein gefühlt.«
Barrett starrte Kieran an, während seine Worte in seinen Verstand sickerten. Sollte ein so junger Mensch wie er wirklich solche Gedanken haben, und diese auch noch mit einer Kühnheit aussprechen, die gar nicht zu dieser Situation passen wollte?
Barrett seufzte. »Oben steht mein Bett, du kannst dort schlafen«, sagte er und deutete auf eine schmale Holzleiter, die in den oberen Stock führte. Er erhob sich, räumte das Geschirr ab und machte sich daran, es abzuwaschen. Kieran trat neben ihn und trocknete ab. Die Stille, die zwischen ihnen herrschte, war behaglich und angenehm.
Obwohl sie sich erst seit gefühlten achtzehn Sekunden kannten, fühlte es sich viel zu gut an.
»Wo schläfst du?«
»Auf dem Sofa.«
Kieran schüttelte den Kopf. »Dann schlafe ich auch auf dem Sofa.«
Barrett schnaubte. »Es ist viel zu klein. Schon für einen Mann wie mich. Zwei Männer haben darauf keinen Platz.«
»Dann komm mit mir ins Bett.«
»Wenn das ein unmoralisches Angebot werden …«
»Nein!«, sagte Kieran schnell und schüttelte entschlossen den Kopf, ein hilfloses Lachen kam ihm über die Lippen. »Es ist nur …«
Barrett seufzte. »Du fühlst dich erst sicher, wenn ich auch dort oben schlafe?«
Kieran nickte.
»Ich habe dir schon mal gesagt, dass du hier nichts zu befürchten hast. Niemand wird dir …«
»Kannst du bitte einfach mitkommen?« Kierans Blick würde auch das härteste Herz zum Schmelzen bringen.
»Also gut.«
Nachdem sie sich die Zähne geputzt hatten, kletterten sie nach oben. Die Dachschrägen erstreckten sich zu beiden Seiten des Bettes. Der Raum war leer, bis auf die Schlafstatt, zwei Nachttische und eine kleine, hölzerne Truhe an der Seite.
Kieran ging auf das Bett zu und schlüpfte ohne ein Wort unter die Decke. Dass er auf seiner Seite lag, sagte Barrett ihm nicht. Er richtete das ungewohnte Kissen auf seiner Seite ein wenig her, dann starrte er an die Holzbalken.
»Danke, dass ich hier sein darf«, sagte Kieran irgendwann in die Dunkelheit hinein, als Barrett schon fast eingeschlafen war.
* * *
Kieran
Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, doch dann war er aufgewacht und alles war wieder da. Dieser albtraumhafte Abend, seine unbedachte, kopflose Flucht, der Sturz in den Fluss.
Und Barrett Jones.
Er hatte sich mit ihm in die Fluten gestürzt, was vermutlich weit weniger bedeutungsvoll für ihn als für Kieran war. Na ja, vielleicht war es doch bedeutungsvoll für ihn, immerhin hatte er sich nicht unerheblicher Gefahr ausgesetzt. Er hatte ihn gerettet, ihn mit zu sich nach Hause genommen, dafür gesorgt, dass er sicher war. Wie ein riesengroßer Fels hatte er sich vor ihn gestellt und ihm die Sicherheit gegeben, nach der er schon so lange suchte. Er forderte keine Antworten von ihm, ließ ihn an seinem Tisch essen, in seinem Bett schlafen.
Barrett wusste, wer er war, denn er hatte ihn nicht nach seinem Namen gefragt und ihn trotzdem Kieran genannt. Und jetzt behandelte er ihn einfach nur freundlich und zuvorkommend.
Sie lagen nebeneinander in seinem Bett, Barretts Atem ging langsam und gleichmäßig. Nur schon seine Anwesenheit beruhigte Kieran unheimlich, doch der Traum hatte noch nicht ganz von ihm abgelassen, sein Puls jagte das Blut durch seine Adern und er hatte keine Ahnung, wie er das ändern konnte. Wenn seine Gedanken sich nur um seine Ängste drehten, dann konnte er nicht klar denken, geschweige denn Lösungen finden.
Kieran kletterte aus dem Bett. Er würde nicht nach unten gehen – zu gefährlich. Er würde hier oben bleiben, in Barretts Nähe, was die beste Option zu sein schien. Barrett, dieser große, starke Mann, der so viel mutiger als er selbst zu sein schien.
Kieran setzte sich seitlich neben das kleine, dreieckige Fenster, sodass ihn vermutlich kein Schuss treffen würde, sollte einer auf ihn abgefeuert werden.
Das waren merkwürdige Gedanken, Schüsse und Waffen und blutende Wunden. Er war zwar einer der Hauptdarsteller einer äußerst erfolgreichen Zombie-Serie, das bedeutete aber nicht, dass es ihm nichts ausmachte, wenn er sein Leben bedroht sah, und so war es. Jemand hatte es auf ihn abgesehen, hatte ihn im Visier, verfolgte ihn, doch niemand glaubte ihm.
Absolut niemand glaubte seinen Beteuerungen, dass jemand sich in seinem Haus aufgehalten hatte. Dieser Jemand fasste Dinge an, die ihm gehörten, Kieran war sich sicher, dass dieser Jemand sie auch benutzte, so wie seine Gesichtscreme oder seinen Rasierer.
Es standen plötzlich Lebensmittel in seinem Kühlschrank, die er nicht gekauft hatte, andere verschwanden. Seine Wäsche wurde gewaschen. All diese Dinge passierten, er bildete sie sich nicht ein. Aber es war nichts, worüber sich die anderen Sorgen machten. Nicht Zayn, sein Manager, nicht Griffin, der Chef der Sicherheitsfirma, die er zusätzlich zu seinem Bodyguard vor einigen Wochen aus genau diesem Grund engagiert hatte, nicht seine Freunde oder Schauspielkollegen. Absolut niemand nahm ihn ernst. Sie spielten alles herunter, als ob er nicht ganz richtig ticken würde.
Er stand allein auf weiter Flur und hatte keine Ahnung, wer der Gegner war und welche Gefahr er für ihn darstellte.
Kierans Körper bebte, vor Angst und Kälte, doch er konnte nicht weggehen. Sollte sein Verfolger heute hier auftauchen, würde er Barrett im Bett vorfinden und nicht ihn. Und Barrett könnte sich wehren, sollte überhaupt jemand dumm genug sein und sich mit ihm anlegen.
Dieser Mann war unglaublich muskulös. Überall. Kieran hatte ihn nackt gesehen und natürlich war ihm aufgefallen, in welch einer exzellenten Form Barrett war. Er war trainiert, seine Muskeln klar definiert und … attraktiv.
Hölle, ja, er brauchte sich nichts vorzumachen. Er hatte eine Schwäche für große Männer und ihre Muskeln. Er selbst war zwar nicht untrainiert, aber sein schlanker Körperbau war so ganz anders als Barretts. Nichts an ihm war kantig, hart, rau. Barretts dunkler Bart war dicht und Kieran fragte sich unwillkürlich, wie er sich wohl auf seiner Haut anfühlen würde.
Über seine Gedanken sank Kieran zur Seite, weil die ewige Erschöpfung, hervorgebracht durch viel Arbeit, noch mehr Sorgen und wenig Schlaf ihren Tribut zollte.