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Ein Sommer. Zwei Freunde. Absolut unerwartete Gefühle. Zusammen mit seinem besten Freund Jake will Ethan einen letzten Sommer in Crystal Lake verbringen, bevor sie die Profiliga des amerikanischen Footballs erobern. Er freut sich auf Partys, Milchshakes und riskante Klippensprünge. Dass er plötzlich mit vollkommen verwirrenden Gefühlen seinem Freund gegenüber zu kämpfen hat, damit hätte er als letztes gerechnet. Ein überraschendes Geständnis, geheime Küsse und ganz viele Schmetterlinge im Bauch sorgen dafür, dass Jake und Ethan den Sommer ihres Lebens verbringen. Doch schon bald sind sie gezwungen, sich der Realität zu stellen, denn das Schicksal hat andere Pläne und zwingt sie dazu, erwachsen zu werden. Ethan muss hilflos dabei zusehen, wie Jake ihm mehr und mehr entgleitet, während er die vielleicht wichtigste Entscheidung seines Lebens treffen muss. Beide Männer stehen schließlich vor der Frage: Wie viele Chancen hat eine Liebe? Dieser Sammelband enthält die Geschichten Touchdown - Hold me und Touchdown - Love me. Inhaltlich gibt es keine Änderungen.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
* * *
1. Auflage
Copyright © 2023 T.C. Daniels
Covergestaltung: Catrin Sommer Rauschgold.com
Korrektorat: Sarah DiFabio
T.C. Daniels
c/o WirFinden.Es
Naß und Hellie GbR
Kirchgasse 19
65817 Eppstein
Alle Rechte vorbehalten.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors. Personen und Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen sowie Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum der rechtmäßigen Besitzer.
Kontakt: [email protected]
www.tcdaniels.com
Impressum
Touchdown - Hold me
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Epilog
Touchdown - Love me
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Epilog
Nachwort
Jake
Semesterferien. Dieses Wort zerging ihm regelrecht auf der Zunge. Jake lümmelte sich noch etwas tiefer in den Beifahrersitz. Er stellte ein Bein auf dem Armaturenbrett ab und sah zu Ethan hinüber, der konzentriert auf die Straße starrte. Jake entdeckte ein fast unsichtbares Zucken im Mundwinkel seines besten Freundes. Er grinste. Eth hasste es, wenn nackte Füße mit Teilen seines Autos in Verbindung kamen. Er war da ein bisschen komisch.
»Füße runter«, knurrte er auch schon.
Jake lachte und lehnte sich noch weiter zurück. »Sei nicht so grummelig«, murmelte er und sah aus dem Fenster hinaus. Nicht mehr lange und sie waren zu Hause. Das kleine Nest, aus dem sie beide stammten, Crystal Lake, war nur noch gut eine Stunde entfernt. Jake war sich nicht sicher, ob er sich auf seine Familie und seine Freunde freuen, oder ob er sich nur schon bei dem Gedanken an das kleine verschlafene Städtchen langweilen sollte.
»Ich werde erstmal zwei Tage durchschlafen«, murmelte Ethan und fummelte gleichzeitig am Senderregler des Radios herum. Er verstellte den Sender und irgendwann erklang nur noch ein kratziges Rauschen. Jake seufzte, lehnte sich vor und suchte einen neuen Sender heraus, während Ethan mit den Fingerspitzen auf das Lenkrad trommelte.
Hinter ihnen lag ein mörderisches drittes College-Jahr in Boston. Zusammen mit den Boston Sharks hatten sie mit viel Arbeit und Training die Meisterschaft der ACC, der Atlantic Coast Conference des Collegefootballs, gewonnen und fühlten sich seither wie Superhelden. Alles ging ein bisschen leichter von der Hand, denn sie waren schließlich unbesiegbar. Der Traum von der Profiliga, der NFL, war mit diesem Sieg in greifbare Nähe gerückt, auch wenn sie noch ein Jahr im College vor sich hatten.
»Du wirst keine zwei Stunden zur Ruhe kommen, dann wirst du auf der ersten Party stehen«, prophezeite Jake grinsend. Er freute sich auf das Wiedersehen mit seinen Freunden, die sich im ganzen Land zerstreut hatten. Er selbst hatte einen langen Sommer vor sich, nur ein zweiwöchiges Football-Camp, das vom College veranstaltet wurde, wartete gegen Ende des Sommers auf ihn. Aber das war noch Wochen entfernt. Bis dahin würde er mit Eth abhängen, seinem Vater in der Schreinerei helfen und zusehen, dass er in Form blieb.
»Ich brauche erstmal einen Milchshake vom Mariotts«, sagte Ethan. Jake seufzte leise. Soviel zum Thema gesunde Ernährung.
»Klingt gut«, sagte er dann aber. Er konnte den Milchshakes genauso wenig widerstehen, wie Ethans ewigem Betteln nach etwas Süßem. Er konnte froh sein, dass er so einen guten Stoffwechsel hatte, denn sonst wäre er nicht der Quarterback des Teams, sondern eher einer der Tackles, die naturgemäß einiges mehr auf den Rippen hatten.
Das Ortsschild von Crystal Lake tauchte vor ihnen auf. Es hatte einen neuen Anstrich bekommen. Die Buchstaben glänzten blau und das Holz war frisch lackiert worden. Gute, solide Arbeit. Wahrscheinlich die seines Vaters.
Jake konnte den Stolz auf seinen Dad nicht verhehlen. Er hatte ihn und seine Schwester Poppy die meiste Zeit ihres Lebens alleine großgezogen, war immer für sie dagewesen, hatte ihnen zugehört und sie unterstützt. Sein Dad hatte dafür gesorgt, dass Jake jetzt seinen Traum leben durfte. Er hatte jeden Cent zur Seite gelegt, den er hatte entbehren können und ihn in seinem Traum unterstützt, Football zu spielen. Zu jedem Training hatte er ihn gefahren, und jedes verdammte Spiel besucht.
»Und da wären wir«, rief Ethan aus. Seine Augen glänzten, als er zum Mariotts hinübersah. Das Diner war einer dieser Läden, die die Jahrzehnte überdauert hatten. Die die immer gleiche Einrichtung und die immer gleiche Karte besaßen. Sie strahlten Beständigkeit und Sicherheit aus.
Jake betrat hinter Ethan das Diner. Es roch nach Frittierfett und Kaffee. Ein paar Tische waren besetzt und auch am Tresen saßen ein paar Gäste. Der Fernseher lief und übertrug Criminal Intent, während Jake ein monotones Surren vernahm, das wahrscheinlich von der Klimaanlage kam. Der Sommer fing erst an. Sie würde früher oder später den Geist aufgeben und die Leute würden sich im Mariotts den Arsch abschwitzen. Aber sie würden weiterhin hierherkommen, sich ihren Kaffee und Waffeln holen.
Und Milchshakes.
»Hey Jungs. Dachte schon, dass ihr bald eintrefft. Ihr seid die letzten«, sagte Lionel, der Besitzer des Mariotts. Er hielt eine Kaffeekanne in der Hand und sah sie beide mit schräggelegtem Kopf an. »Ihr werdet immer breiter«, sagte er dann und grinste. »Das Gleiche wie immer?«
Ethan nickte und wackelte mit den Augenbrauen, während ein breites Grinsen seinen Mund umspielte. Er war sowas von bereit für seinen Milchshake.
»Vanille für Jake, Erdbeere für Ethan. Was sagen eure Trainer dazu, dass ihr sofort im ersten Diner absteigt und euch Milchshakes reinpfeift?«, fragte Lionel nach. Er zwinkerte ihnen zu. Er war etwa fünfzehn Jahre älter als sie und eigentlich ein cooler Typ. In Crystal Lake gab es nicht besonders viele Typen wie ihn und es hatte eine Weile gedauert, bis die Leute sich an den Afroamerikaner mit den hellblauen Augen gewöhnt hatten, aber inzwischen gehörte er zu ihnen. Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern ging davon und Ethan sank in das abgenutzte dunkelrote Polster der Sitzbank. »Warum denken eigentlich immer alle, Footballspieler essen nur gesundes Zeug?«, brummte er.
Jake grinste. »Weil es so sein sollte?«
»Crystal Lake ohne Milchshake ist kaum zu ertragen«, sagte Ethan achselzuckend. Er trommelte mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte herum und sah sich um. »Komisch, wieder hier zu sein, oder? Jedes Jahr ist mir der Ort ein wenig fremder.«
Ethan und er hatten oft die gleichen Gedankengänge, das war ein gutes Gefühl, aber was Crystal Lake betraf, empfand Jake anders.
»So schlimm ist es doch gar nicht«, erwiderte Jake. Er spielte mit den Untersetzern herum, bis Lionel ihre Milchshakes brachte und die Gläser darauf abstellte.
»Hey, Lionel, wo sind die anderen hin?«, fragte Ethan.
»Wahrscheinlich rauf zu den Klippen.« Lionel machte ein nachdenkliches Gesicht. »Irgendwann tut sich einer von ihnen weh«, murmelte er. »Ihr solltet da nicht runter springen«, warnte er und sah zwischen ihnen hin und her.
Jake tat ihm den Gefallen und nickte zustimmend, woraufhin Ethan ihm gegen das Schienbein trat, was höllisch schmerzte.
»Du hast recht, Lionel«, sagte Jake trotzdem und wartete, bis Lionel weg war, dann fuhr er Ethan an: »Spinnst du?«,
»Hör auf, dich bei ihm einzuschleimen!«, fauchte Ethan zurück.
»Es wird ein verdammt langer Sommer und früher oder später werde ich pleite sein, dann bin ich auf seine Mitleids-Milchshakes angewiesen«, verteidigte sich Jake. Er lachte und Ethan lachte auch. Ethan musste sich keine Sorgen um Geld machen, während Jake jeden Dollar zweimal umdrehte.
So lange er denken konnte, war Ethan ein Teil seines Lebens. In der Vorschule, in der Schule, im Sport. Sie hatten ihre Freizeit miteinander verbracht und die Liebe zum Football entdeckt, jetzt studierten sie zusammen, spielten im gleichen College-Football-Team und teilten sich sogar ein Zimmer im Wohnheim. Es war fast schon zu perfekt. Sollten sie wirklich den Weg in die Profiliga gehen können – wonach es im Moment aussah -, würden sich spätestens dann ihre Wege trennen. Jake konnte sich ein Leben ohne Ethan kaum vorstellen. Er war zu einer Konstante in seinem Leben geworden, die er nicht mehr missen wollte. Sie verstanden sich blind, hatten jede Menge Spaß miteinander und konnten sich zu einhundert Prozent aufeinander verlassen. Es gab keine Geheimnisse zwischen ihnen.
Fast keine.
Jake
Natürlich wollte Ethan zu den Klippen hochfahren. Also fuhren sie. Vielleicht würden sie sich den Hals brechen, ganz sicher aber würden sie zuerst eine Menge Spaß dort oben haben.
Als sich Ethans Mercedes die Serpentinen den Berg hinaufgewunden hatte und in Sicht kam, johlten ihre Freunde auf. Sie hatten es sich mit ihren Handtüchern auf der Felsformation bequem gemacht. Hin und wieder sprangen sie die knapp zehn Meter hinunter in den Crystal Lake. Keine große Sache. Lionel musste sich wirklich keine Sorgen machen.
Jake ging hinter Ethan auf die Gruppe Jugendlicher zu, die sie nacheinander begrüßten. Sie klatschten sich ab, umarmten sich und wussten alle, dass ein perfekter Sommer vor ihnen lag. Ihnen gehörte die Welt.
»Alter, immer noch nicht in der NFL?«, fragte Cody und spielte auf den Sieg in der ACC an. »Traurig. Wirklich traurig.«
»Bald«, erwiderte Ethan mit einem Augenzwinkern. Er liebte es, vor den anderen mit seinen sportlichen Leistungen zu prahlen, weil er wusste, dass er gut war.
Jake beobachtete Donna, eines der hübschesten Mädchen von Crystal Lake, das sich von ihrem Handtuch erhob und sich jetzt in Ethans Arme schmiegte, als würde sie dorthin gehören. Jedes Jahr wieder versuchte sie ihr Glück bei ihm, und jedes Jahr wurde sie seine Ferienfreundin. Und am Ende eines jeden Jahres stieg er in seinen Mercedes, fuhr davon und brach ihr damit das Herz. Doch bis zum Sommer hatte sie es vergessen und versuchte ihr Glück erneut. Sie verstand einfach nicht, dass sie nie seine richtige Freundin werden würde. Nie.
Jake wandte sich ab, und ging zu Brian, der auf seinem Handtuch liegen geblieben war. Der sah zu ihm hoch und grinste. »Hi.«
Jake ließ sich neben ihn auf dem aufgewärmten Felsen nieder. »Hi.«
»Und wieder sind wir hier, obwohl uns die Welt offen steht«, brummte Brian. Jake grinste und sah auf den See hinaus. In der Ferne sah er ein Motorboot über das Wasser flitzen. Im Hafen schaukelten die Segelboote sachte hin und her. Jake liebte diesen Ort, die Welt bedeutete ihm gar nichts.
»Wir könnten es schlimmer treffen«, sagte Jake achselzuckend.
»Kannst du leicht sagen. Du wirst ja bald schon deinen ersten Profivertrag unterschreiben.«
Brian spielte ebenfalls Football, aber bei ihm hatte es nicht für ein Sportstipendium gereicht. Weil er im letzten Jahr an einer hartnäckigen Achillessehnenentzündung gelitten hatte, galt er als Redshirt. Da er im vergangenen Jahr an keinem Spiel teilgenommen hatte, und nur sporadisch mit der Mannschaft trainieren konnte, würde er im Anschluss an das vierte Collegejahr noch ein fünftes anhängen und auf einen Vertrag von einem Profiteam hoffen.
»Du hast noch zwei Jahre vor dir«, erinnerte Jake Brian. Er beobachtete, wie Donna Ethans Kopf zu sich herunter zog und ihn leidenschaftlich küsste. Er wollte das wirklich nicht sehen.
»Scheiß auf den Draft.« Brian spielte auf das komplizierte Auswahlverfahren an, in dem die Profivereine Spieler aus dem College akquirierten. Nur in Ausnahmefällen wurden talentierte Spieler schon während des Collegejahres verpflichtet. Jake war froh, wenn er noch etwas Zeit hatte. Er genoss die Zeit am College viel zu sehr und wollte nicht, dass sie bald endete.
»Scheiße, nehmt euch ein Zimmer!«, rief Brian lautstark zu Ethan und Donna hinüber. Die beiden übertrieben es wirklich etwas. Unter dem Gelächter der anderen lösten sie sich voneinander und grinsten. Ein paar der anderen Jungs forderten Jake und Ethan auf, ihren ersten Sprung des Sommers zu machen.
Jake sah zu Ethan hinüber und sein Magen verknotete sich unwillkürlich. Das passierte manchmal, wenn Ethan ihn so ansah, als würde es nur sie beide geben. Er winkte ihn zu sich her.
Jake erhob sich. »Wir sehen uns«, sagte er zu Brian. Im Laufen zog er sich Hose und T-Shirt aus, bis er nur noch in Boxershorts vor Ethan stand, der sich auch schon ausgezogen hatte. Unter dem Gelächter und Gejohle der anderen traten sie an den Rand der Klippen.
Sie sahen sich kurz an, grinsten und sprangen dann ab. Der Sommer hatte begonnen!
Ethan
Ethan knallte seine Reisetasche in die Ecke und kickte sich die Schuhe von den Füßen. Sein gellender Schrei beim Sprung von der Klippe, klang ihm noch immer in den Ohren. Nur Jakes Schrei war lauter gewesen, dachte er grinsend.
Die Sonne hatte die eisige Umklammerung des Wassers noch nicht vollständig vertrieben. Aber trotzdem war es der beste Nachmittag seines Lebens gewesen. Zusammen mit Jake und den anderen war das leicht. Später würden sie sich am Hafen unten treffen und Ethan freute sich schon darauf, mit seinen Freunden abzuhängen. Er verdiente diese kleine Pause, nachdem er das gesamte Jahr über am College alles gegeben hatte.
»Du kommst spät«, hörte er die sonore Stimme seines Vaters aus dem Nebenzimmer noch ehe er im Türrahmen auftauchte. Sein Gesicht war so ernst, als hätte Ethan gerade ein Verbrechen begangen.
»Ja. Wir haben unterwegs noch Brian und die anderen getroffen«, erzählte Ethan. Er wusste, dass es seinen Vater nicht interessierte. Trotzdem erzählte er es ihm.
»Wir?«
»Jake und ich?« Innerlich verdrehte Ethan die Augen. Das leidige Thema. Seine Eltern mochten Jake nicht und waren nicht mit der engen Freundschaft zwischen ihnen einverstanden. Gut, sie waren auch nicht einverstanden, dass Ethan Football spielte, oder dass er allgemein Spaß im Leben hatte. Sie waren nicht damit einverstanden, dass er mehr Zeit auf dem Feld verbrachte, als damit, Jura zu studieren und Anwalt zu werden wie sein Vater. Manchmal fragte sich Ethan, was sie überhaupt an ihm mochten. Vielleicht hatte er hier auch nur eine Aufenthaltsgenehmigung, weil sie zufällig den gleichen Pool an Genen in sich trugen und die vage Hoffnung darauf bestand, dass er doch noch irgendwann vernünftig wurde. Oder sich verletzte. Was auch immer zuerst passieren würde.
Die Miene seines Vaters hatte sich bei der Nennung von Jakes Namen verfinstert. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah noch grimmiger drein als ohnehin schon. »Und welche Pläne hast du für die Ferien?«
Das war eine Fangfrage und Ethan wusste es. »Das zweiwöchige Camp in den Green Mountains. Und du erinnerst dich an das Senior Camp in Wildlake Falls, von dem ich dir erzählt habe?«
»Ich erinnere mich sehr gut an die exorbitant hohe Rechnung, die ich bezahlt habe«, sagte sein Vater mit strenger Stimme. »Und ich erinnere mich an dein Versprechen, mir dafür in der Kanzlei zu helfen.«
Ethan schluckte. Er hatte es versprochen und er würde sein Versprechen halten. Das hieß aber noch lange nicht, dass er sich auf die langweiligen Stunden in der Kanzlei seines Vaters freute.
»Ich weiß«, sagte er, während er nicht daran denken wollte, was für coole Dinge er verpassen würde. Dinge, die er mit Jake und den anderen unternehmen könnte. Es war ein Sommer von vielen und es lagen noch einige Wochen vor ihnen. Sie würden jede Menge Spaß miteinander haben, auch wenn er in der Kanzlei mithelfen musste.
»Gut. Vergiss es nicht«, sagte sein Vater. Dann wandte er sich ab und ging zurück in sein Büro.
* * *
Jake
»Dad?«, rief Jake in das still daliegende Haus hinein. Er warf seine Reisetasche in die Ecke, durchquerte das kleine, aber gemütliche Haus, in dem er aufgewachsen war, und verließ es wieder durch die Hintertür. Er ging über den Rasen, der mal wieder ein Date mit dem Rasenmäher haben sollte und betrat gleich darauf die große Scheune seines Vaters. Vertraute Schleifgeräusche drangen ihm ans Ohr, ehe er den Rücken seines Vaters sah, der über irgendein Holzstück gebeugt war.
Er trug eine Schutzmaske, weil der Holzstaub wie ein kleiner Tornado durch die Luft wirbelte und sich in jeder Ritze und auf jeder Oberfläche festsetzte. Jake blieb mit etwas Abstand stehen und wartete ab, bis sein Vater die Schleifmaschine abstellte, dann räusperte er sich. »Hi, Dad«, sagte er.
Sein Vater fuhr herum. Er zog sich die Maske vom Gesicht und sah Jake an. Dann lachte er, kam zu ihm und umarmte ihn. Er gab ihm einen kräftigen Schlag auf den Rücken und verteilte gleichzeitig eine großzügige Spur von Holzstaub auf seiner Kleidung. Jake war es egal, denn er kannte es nicht anders. Er atmete den vertrauten Geruch tief ein. Zuhause.
Seit er seinen Vater zuletzt gesehen hatte, waren seine Haare ein bisschen grauer geworden, sein Gesicht schmaler und seine Hautfarbe blasser, aber das konnte auch am Staub und am fahlen Licht hier drin liegen.
»Gut dich zu sehen, Junge«, sagte Charlie Emerson, der beste Vater, den ein Kind sich wünschen konnte. Der Verlust seiner Mutter war schlimm gewesen. Er war dreizehn gewesen, die Pubertät hatte gerade begonnen und sein Leben Kopf gestanden, als es plötzlich nur noch sie drei gegeben hatte. Poppy, Dad und Jake.
Poppy war damals gerade dabei gewesen, sich für verschiedene Colleges zu bewerben, sodass Jake irgendwann allein mit seinem Dad gewesen war. Aber gemeinsam hatten sie es geschafft, die Trauer zu bewältigen. Sie hatten Zeit miteinander verbracht, geangelt, geschreinert und waren zelten gegangen. Mit der Zeit wurde es leichter und ihr neues Leben war zur Normalität geworden.
»Ich muss dir was zeigen«, sagte Charlie und grinste breit. »Komm mit«, bat er Jake und verließ die Scheune. Sie gingen um das langgezogene Gebäude herum. Jake wusste, was er dort erblicken würde. Eine Art Ninja-Warrior-Schauplatz, den sein Vater vor ein paar Jahren für Ethan und ihn gebaut hatte, damit sie trainieren konnten. Jake betrachtete den Platz, der vor ihm lag und machte dann große Augen. Offenbar war sein Vater in den vergangenen Monaten fleißig gewesen. Er hatte die Hindernisse ausgetauscht oder erneuert und es waren einige neue Stationen hinzugekommen. Er entdeckte neue Battle Ropes, spezielle, sehr schwere Seile, mit denen er besonders gern trainierte. Möglich, dass er das mal während eines Telefonats erwähnt hatte.
»Dort in dem Schuppen sind alle Utensilien, die ihr so benötigt. Du weißt schon. Medizinbälle, Footbälle, Hürden, Bänder, so Sachen halt.« Charly zuckte mit der Schulter und sah mit zufriedenem Gesichtsausdruck über den Platz. Jake schüttelte nur den Kopf. Vor lauter Rührung brachte er kein Wort heraus. Er ging zu seinem Dad und nahm ihn fest in die Arme.
»Danke«, sagte er nur, weil es kein anderes Wort gab, das ausreichend gewesen wäre.
»Ach was, hab nur ein bisschen gebastelt«, wiegelte Charlie ab. Aber Jake wusste, dass das weit mehr als nur ein bisschen Gebastel gewesen war. Sein Dad hatte sich richtig Mühe gegeben, damit sie einen guten Trainingsplatz für die kommenden Wochen hatten.
»Große Klasse, Dad«, sagte Jake und umarmte seinen Vater erneut.
Jake
Crystal Lake war nicht gerade groß. Jake wohnte etwas weiter außerhalb als Ethan, weshalb er zu Fuß in die Stadt ging und ihn zu Hause abholte. Wie immer fühlte er sich etwas unwohl, wenn er in die Nähe von Ethans Elternhaus kam. Er wusste, dass sie ihn nicht mochten, warum hatte er bis heute nicht herausgefunden. Sie waren auch nicht gerade große Fans von seinem Vater, obwohl er schon mehrere Holzmöbel von ihnen restauriert hatte. Vielleicht hatten sie einfach eine Abneigung gegen die Emerson-Männer. Jake versuchte dem nicht zu viel Wichtigkeit beizumessen, doch es störte ihn trotzdem irgendwie.
Er wartete draußen auf der Veranda und Ethan kam gleich darauf heraus. Er wirkte locker und gut gelaunt, aber Jake kannte ihn lange genug, um die Anspannung in seinen Schultern zu bemerken. Er stieß ihn leicht von der Seite her an. »Was ist los?«
»Nichts«, brummte Ethan nur. »Ich muss diesen Sommer in der Kanzlei helfen«, sagte er dann aber doch.
Jake wusste von der Vereinbarung zwischen Ethan und seinem Vater. Das Trainingscamp in Wildlake Falls war richtig teuer gewesen, weshalb Jake seinen Vater nicht mal danach gefragt hatte. Er wusste auch so, dass er es sich nicht leisten konnte, ihn dort hinzuschicken. Und da es nicht im Stipendium vom College inkludiert war, würde Ethan allein in das Camp fahren. Sie hatten ja das zweiwöchige Camp in den Green Mountains vor sich, das war zumindest ein kleiner Trostpreis.
»Du wusstest das schon vorher«, erinnerte Jake Ethan.
»Und es hat mich auch da schon angekotzt.«
»Du kannst vielleicht was fürs Studium lernen«, versuchte Jake Ethan zu trösten. Ethan schnaubte nur, sagte aber nichts. Sie beide wussten, dass Ethan der schlechteste Jura-Student aller Zeiten war, einfach, weil es ihn nicht die Bohne interessierte. Er war zum Footballspielen in Boston am College, für nichts anderes. Jura war nur eines von vielen Zugeständnissen, die er an seine Eltern machte. Er wollte das Richtige tun und gleichzeitig glücklich werden. Ein Spagat, der nur selten gelang.
Sie hatten den letzten Hügel erklommen und die ersten Masten der Boote im Hafen tauchten vor ihnen auf. Jake sah ein paar Möwen durch die Luft fliegen. Gleich darauf hörten sie das Horn der einzigen Fähre, die zwischen Crystal Lake und Foxbury hin und her fuhr. Sie legte gerade ab und würde in einer Stunde zurückkehren.
»Mein Dad hat unseren Parcours hergerichtet und teilweise erneuert«, erzählte Jake. Er konnte den Stolz in seiner Stimme nicht unterdrücken. Im Gegensatz zu Ethan kam er wunderbar mit seinem Vater zurecht.
»Im Ernst?« Ethans Augen leuchteten auf. »Lass uns morgen gleich trainieren.«
»Abgemacht.« Jake lächelte zufrieden, denn er hatte sein Ziel erreicht und Ethans Stimmung verbessert. Sein Schritt war jetzt beschwingter und sie passierten den Jachthafen, ehe sie schließlich das sandige Ufer des Crystal Lakes erreichten. Sie liefen noch ein ganzes Stück, ehe sie ihre Freunde entdeckten, die im Sand ein Feuer errichtet hatten.
Jake nahm eine Flasche Bier entgegen, für die er eigentlich noch zwei Wochen zu jung war und setzte sich zu Brian ans Feuer. Donna war sofort an Ethans Seite gestürzt, worüber Jake nur den Kopf schütteln konnte. Merkte sie denn nicht, dass Ethan eigentlich gar kein Interesse an ihr hatte?
Jake nippte an seinem Bier und starrte in die Flammen. Die Dämmerung brach herein und das Wasser glitzerte im letzten Tageslicht. Ein perfekter Tag in Crystal Lake ging in einen perfekten Abend über.
In den vergangenen Monaten hatte Jake erst bemerkt, wie sehr er seinen Heimatort vermisste. Wie viel er ihm bedeutete. Seine Familie, seine Freunde. Natürlich hatte er immer von einer Karriere im Profifootball geträumt, aber das hieß auch gleichzeitig, dass er alles, was ihm wichtig war, für eine lange Zeit hinter sich lassen musste. Und ehrlich gesagt war er sich nicht sicher, ob er dazu in der Lage war.
Er hatte noch nie mit Ethan darüber gesprochen. Der war nach wie vor Feuer und Flamme für die NFL. Er wollte weg von Crystal Lake, weg von den Erwartungen seiner Eltern, weg von der Kleinstadt. Jake nicht unbedingt. Nicht mehr. Er vermisste immer öfter seinen Vater. Er mochte zwar sein Studium – Physik und Chemie –, aber noch mehr mochte er es, mit seinem Vater Holzmöbel zu schreinern. Er mochte es, Möbel zu designen und zu sehen, wie eine Skizze zum Leben erweckt wurde.
Vielleicht würde er in diesen Ferien endlich mit Ethan über seine Gedanken sprechen, auch wenn er nicht erwartete, dass der sie verstehen würde. Dafür waren sie zu unterschiedlich aufgewachsen.
Alles was mit Familie und diesem Ort zu tun hatte, bedeutete für Ethan Zwang und Eingrenzung. Jake fühlte sich stattdessen geborgen, denn er gehörte hierher.
Jake warf wieder einen verstohlenen Blick zu Ethan hinüber, beobachtete, wie Donna ihm ihre Zunge in den Hals steckte. Sehr tief. Sehr aufreizend. Er wollte das nicht sehen.
Die Jungs um sie herum begannen zu johlen, ein paar warfen ihre Kronkorken auf Ethan. Der löste sich von Donna und grinste breit. Kurz begegneten sich ihre Blicke und Jake schluckte.
Es war nicht Ethans Schuld. Er konnte nichts für Jakes Gefühle. Nicht mal Jake konnte etwas dafür und er hatte lange genug versucht, sich dagegen zu wehren. Er hatte versucht, es als Schwärmerei abzutun, hatte versucht, sich abzulenken, andere Jungs kennenzulernen, die ebenfalls homosexuell waren. Denn er war nicht dumm. Sich in einen heterosexuellen Jungen zu verlieben, der zufällig auch noch sein bester Freund war, war eine schreckliche Idee. Doch gegen seine Gefühle konnte er sich nicht wehren.
»Kann ich noch ein Bier haben?«
Ethan
»Du bist noch nicht einundzwanzig und dürfest nicht mal so betrunken sein!«, murmelte Ethan und wankte zusammen mit Jake die Straße zu seinem Haus hinauf. Er war es nicht gewohnt, dass sein Freund sich so volllaufen ließ. Normalerweise war er derjenige, der die Kontrolle verlor. Normalerweise war er es, der nach Hause getragen werden musste, und am nächsten Tag mit einem Kater erwachte.
Morgen würde es ausnahmsweise Jake sein.
»‘Tschuldigung«, murmelte Jake. Er rülpste und stützte sich noch schwerer auf Ethans Schulter ab. Ethan ächzte und verdrehte die Augen. »Was ist los mit dir? Sonst trinkst du nie so viel.«
»Hatte Lust …«
»Aha.«
Sie machten weitere drei Schritte, ehe Ethan Jake nicht mehr halten konnte. Die Beine seines Freundes sackten unter ihm weg und er ging zu Boden. Ethan versuchte seinen Fall abzumildern und ließ ihn so sanft wie möglich hinunter gleiten, dann setzte er sich neben ihn. »Bis zu dir sind es nur noch fünf Meter«, seufzte Ethan. Sie saßen auf dem Waldweg, der direkt zu Jakes Haus führte. Und jetzt ließ Jake sich auch noch nach hinten sinken und starrte so erstaunt zum Himmel empor, als hätte er ihn noch nie zuvor gesehen. Großartig. Wirklich großartig.
»Küsst sie gut?«, fragte er jetzt lallend. Er hatte seinen Arm angehoben und zeichnete mit seinem Zeigefinger die einzelnen Sterne nach, die am Himmel blinkten. Ethan brauchte einen Moment, bis er Jakes Frage verstanden hatte. »Donna?«
»Hast du noch mit anderen rumgeknutscht?«
Ethan lachte leise. »Ja. Und nein.«
»Was?«
»Ja, sie küsst gut und nein, ich habe keine Andere geküsst. Wann hätte ich das bitte tun sollen? Du warst immer bei mir.«
»Ah.« Jakes Tonfall klang irgendwie enttäuscht und Ethan hatte keine Ahnung warum. Er legte sich neben Jake auf den Boden und sah in den sternenübersäten Himmel hinauf. In Boston sah man die Sterne selten, in Crystal Lake dafür fast immer. Sie schimmerten um die Wette, uralte Überbleibsel von geheimen Kriegen im Weltall.
»Was ist mit dir? Gibt es ein Mädchen, das dich interessiert, Jake? Du solltest echt mal eine klar machen«, sagte Ethan. Jake war grundsätzlich zurückhaltender als Ethan was Flirts anging. Eigentlich hatte er Jake noch nie mit einem Mädchen rummachen sehen. Es war ihm allerdings noch nie komisch vorgekommen, weil er es nicht anders von seinem besten Freund gewohnt war. Aber jetzt war auch er beinahe volljährig, sie gingen aufs College, waren erfolgreich im Football und hatten eine glänzende Karriere in Aussicht. Sie hatten es verdient, Spaß zu haben. Jake hatte es verdient. Und er war der Quarterback. Es mangelte ihm nicht an Anwärterinnen, doch bisher war er auf keinen Annäherungsversuch eingegangen.
»Keine Lust«, murmelte Jake.
»Du hast Ferien. Du solltest dir ein bisschen Spaß gönnen. Was ist mit Ally? Sie steht auf dich.«
Jake wandte seinen Kopf und sah ihn an. Seine sonst grünen Augen schimmerten nun farblos in der Dunkelheit. »Wer ist Ally?«
Ethan grinste. »Ich zeig sie dir morgen.«
»Musst du nicht.«
»Dann halt Monica. Oder Natalie.«
»Ich bin schwul, Eth«, sagte Jake.
Schweigen erfüllte die Luft zwischen ihnen. Breitete sich aus. Hüllte sie ein. Erstickte jedes Geräusch. Ethan blinzelte. Jake nicht. Ethan schnappte nach Luft. Jake nicht.
Jake sah wieder weg, darüber war Ethan froh.
»Jetzt bist du schockiert.«
»Ich …«
»Schon gut. Kein Problem.«
»Ich wusste nicht …« Was zum Teufel sagte man zu jemandem, der sich gerade geoutet hatte? Und warum zum Teufel hatte er nichts davon gewusst? Er teilte sein Leben mit Jake! Sie waren beste Freunde! Er sollte so etwas doch wissen!
»Kein Ding«, murmelte Jake. »Du musst mir jetzt aufhelfen, sonst schlafe ich ein.«
»Oh.« Ethan sprang auf die Füße und zog Jake in den Stand. Er musterte seinen Freund flüchtig. Alles an ihm war ihm so unglaublich vertraut. Seine braunen Locken, die grünen Augen und das verschmitzte Lächeln, das sein Gesicht immer leuchten ließ. Himmel, er hatte beinahe sein gesamtes Leben mit ihm verbracht, aber so ein wichtiges Detail, wie seine sexuelle Orientierung, nicht von ihm gekannt. Welche Geheimnisse hatte Jake noch vor ihm?
Jake machte zwei wankende Schritte und Ethan eilte schnell an seine Seite. Er drapierte seinen Arm über seine Schulter und dirigierte ihn vorsichtig die Treppen zur Veranda hoch. So leise, wie es eben mit einem Betrunkenen an seiner Seite möglich war, betraten sie Jakes Haus und gingen in den ersten Stock. In seinem Zimmer angekommen, ließ sich Jake ächzend auf sein Bett fallen. Noch bevor er die Schuhe hätte ausziehen können, war er eingeschlafen. Ethan seufzte und übernahm das für seinen Freund, dann nahm er eine Decke vom Sessel, der in der Ecke des Zimmers stand und deckte Jake zu. Nachdenklich sah er auf seinen Freund hinunter. Warum hatte Jake ihm nie von seiner Homosexualität erzählt? Hatte er sich dafür geschämt? Hatte er befürchtet, dass Ethan sich deshalb von ihm abwenden könnte?
Natürlich war es gut, wenn nicht allzu viele Leute davon wussten, denn noch immer war die Homosexualität im Profisport – besonders im Football – verpönt. Es war ein absolutes Tabuthema und konnte einem den Vertrag kosten. Ethan konnte Jake also verstehen. Aber er hätte es ihm sagen können. Sie waren beste Freunde und Ethan würde so etwas niemals weitererzählen. Er wollte nur, dass Jake glücklich war.
Jake
Jake wünschte sich einen Kater, der ihn alles vergessen ließ. Oder zumindest eine Zeitmaschine, die ihn in die Vergangenheit zurückkatapultierte, zum gestrigen Abend, bevor er sich dazu entschlossen hatte, sich zu betrinken, weil er den Anblick von Ethan und Donna einfach nicht mehr ertragen konnte. Es gab nur eine beschränkte Anzahl von Momenten, in denen man dabei zusehen wollte, wie sich zwei Menschen die Zungen gegenseitig in den Hals schoben. Vor allem, wenn man in einen der beiden Menschen verliebt war.
Und er wollte eine Superkraft besitzen und den schwachen Moment vor dem Haus rückgängig machen. Er wollte sich nicht immer wieder fragen, was Ethan jetzt von ihm dachte, ob sie immer noch befreundet waren, ob er etwas ahnte.
Jake seufzte. Er entschied sich, eine dritte Runde des Parcours‘ zu absolvieren. Es war bereits Mittag und die Sonne brannte mörderisch heiß auf ihn herunter, aber das war genau die richtige Art von körperlicher Quälerei, die er jetzt brauchte. Er musste seinen Körper bis zum Äußersten treiben. Er musste sich auspowern, bis er keine Energie mehr übrig hatte, um alles in Frage zu stellen. Ethan wusste nichts von seinen Gefühlen für ihn. Und wenn er nicht nochmal zu viel Alkohol trank und Dinge ausplauderte, die er lieber für sich behalten sollte, dann würde er es auch nie erfahren. Dann wusste Ethan halt, dass Jake homosexuell war. Na und? War doch nix dabei.
Aber insgeheim wusste Jake, dass es eben doch nicht so einfach war. Sie wollten in einer der exklusivsten Profiligen der Welt mitspielen. Homosexualität hatte dort bis heute keinen Platz gefunden.
Aber was noch schlimmer war: Ethan war nicht aufgetaucht. Es war Mittag und er war nicht hier, obwohl er sicher schon seine zehn Meilen gelaufen war, so wie jeden Morgen.
Jake unterdrückte die Besorgnis, die sich in seinem Innern ausbreiten wollte, erklomm die Holzwand an dem Tau, das daran herunterhing und schlängelte sich unter dem Drahthindernis hindurch. Er machte einen Sprint und erreichte die Autoreifen, durch die er mit beiden Beinen abwechselnd hüpfte. Als er beim letzten Reifen angelangt war und ihm der Schweiß in Strömen über die Stirn lief, entdeckte er Ethan, der am Rand des Trainingsfeldes stand und ihm zusah. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und wirkte viel ernster als sonst.
Jake beendete seine Runde, benutzte die Ropes für eine Minute und trug mit Kies gefüllte Eimer über ein paar Hindernisse, ehe er im Ziel und gleichzeitig bei Ethan ankam. Er warf einen Blick auf die Uhr und war ganz zufrieden mit seiner Zeit. Schwer atmend schnappte er sich sein Handtuch und seine Trinkflasche, dann sah er Ethan an.
»Will dein Dad uns umbringen? Er weiß schon, dass wir nur Football spielen und keine Superhelden sind, oder?«
»Du bist manchmal eine ganz schöne Tussi«, murmelte Jake.
Ethan grinste. Er ging ein paar Schritte und betrachtete die Hindernisse des Parcours, ehe er zufrieden nickte. »Damit können wir jede Menge Milchshakes im Marriotts abstauben. Und zwar ohne schlechtes Gewissen.«
Jake lachte und verdrehte die Augen. War ja klar, dass Ethan nur wieder an Kalorien dachte. Er war froh, dass er sich ihm gegenüber nicht merkwürdig verhielt, auch wenn er vielleicht etwas distanziert wirkte. Jake räusperte sich und sah zu Boden, weil er Ethan nicht ansehen konnte. Sein bester Freund würde etwas merken, dessen war er sich sicher.
»Also wegen gestern …«
»Du warst ganz schön blau«, sagte Ethan. Er betrat den Waldpfad, der direkt hinter dem Parcours begann und einen kleinen Hang hinab führte, direkt zum Ufer des Crystal Lake. Im Gegensatz zum Hafen, wo alles ordentlich und gepflegt war, wucherte hier das Schilf und der Boden war von einer schleimigen Schicht bedeckt. Jakes Vater sagte manchmal, dass die Natur sich einen Ort suchte, wo sie ihre Ruhe fand.
Jake folgte Ethan und schließlich verschwanden das Haus und die Scheune, in der die Schreinerei seines Vaters untergebracht war, aus ihrem Blickfeld. Sie waren allein.
»Ich vertrage nicht gerade viel Alkohol«, sagte Jake. Er bückte sich nach einem Steinchen und warf es in den See. Es war zu leicht und flog nicht weit. Ein leises Platschen war zu hören, als es die Wasseroberfläche durchdrang. Jake beobachtete die Kreise, die sich durch die Bewegung bildeten.
»Du hast … weißt du noch, was du gestern gesagt hast?«, fragte Ethan und plötzlich stockte seine Stimme nun doch. Jake sah zu Ethan hinüber. Würde es jemals leichter werden, jemanden zu lieben, der diese Liebe niemals erwidern konnte? Jemals?
»Ich habe dich informiert, dass ich schwul bin«, sagte Jake und bemühte sich um einen lockeren Tonfall.
»Ja. Äh. Ja. Hast du«, stotterte Ethan und wich Jakes Blick aus.
Nichts war mehr normal zwischen ihnen. Gar nichts.
»Das ist keine Krankheit, weißt du?« Jake bemerkte, wie er wütend wurde, obwohl er es nicht wollte, doch es verletzte ihn, dass Ethan sich als eines dieser Arschlöcher entpuppte. Es zerriss ihm das Herz.
Ethan schnaubte. »Ich bin kein Steinzeitmensch.«
»Dann verhalte dich auch nicht so.«
»Entschuldige, dass mich so ein Geständnis kurz mal aus der Fassung bringt! Immerhin kennen wir uns schon eine Ewigkeit und es gab nie ein Anzeichen, dass du so …«
»Das ich so schwul bin?«, fragte Jake und seufzte. »Ich hätte gar nicht damit anfangen sollen. Ich trinke sonst nicht so viel. Wird nicht wieder vorkommen, okay?«
Er wandte sich zum Gehen, wollte sich den Schweiß vom Körper waschen und vielleicht auch das schreckliche Gefühl, das von ihm Besitz ergriffen hatte. Das Gefühl, das ihm sagte, dass etwas nicht stimmte. Dass zwischen ihnen eben doch etwas kaputtgegangen war, und er keine Ahnung hatte, wie er das wieder geradebiegen sollte.
»Bleib da!«, rief Ethan ihm nach. Gleich darauf hörte Jake seine Schritte und dann war er neben ihm. »Wir streiten jetzt nicht ernsthaft, oder?«
»Keine Ahnung, Eth! Ich weiß nur, dass ich das Gefühl habe, mit mir stimmt etwas nicht!«
»Ich bin nur überrascht, Jake. Es gab nie ein Anzeichen dafür, dass du nicht auf Mädchen stehst. Ich meine, ich hab dir ständig von meinen Weibergeschichten erzählt.«
Oh ja. Jake erinnerte sich sehr gut daran.
»Hast du … also … bist du mit jemandem zusammen? Auf dem College oder so?«, fragte Ethan und Jake bemerkte, wie sein Freund errötete. Er kickte mit der Schuhspitze seiner Sneakers einen Tannenzapfen ins Gebüsch.
»Nein. Bin ich nicht«, antwortete Jake. »Und du kannst mir auch weiterhin von deinen Weibergeschichten erzählen, wenn du das möchtest. Wir sind immer noch Freunde. Sind wir doch, oder?«, hakte Jake nach und konnte nicht verhindern, dass sein Herzschlag sich verdreifachte, solange er auf Ethans Antwort wartete.
Ethan sah ihn an, dann lächelte er. »Klar sind wir noch Freunde.«
Jake stieß den Atem aus. Er hatte nicht mal gemerkt, dass er ihn angehalten hatte. Ein Leben ohne Ethan darin wäre nicht wirklich lebenswert.
Ethan
»Komm schon, nur noch hoch bis zu den Klippen«, rief Jake ihm über die Schulter zu. Er hielt sein straffes Tempo aufrecht und kam seinem Ziel Schritt für Schritt näher, während Ethan jeden einzelnen Milchshake bereute, den er in der vergangenen Woche im Marriotts getrunken hatte. Jake war immer schon der Diszipliniertere von ihnen beiden gewesen. Jeden Tag trainierte er unermüdlich und zog Ethan mit, während er gleichzeitig auch noch ein Ass in seinen Studienfächern war, und gute Aussichten darauf hatte, sein Studium mit anständigen Noten zu beenden.
Das sah bei Ethan ganz anders aus, der nur gerade so die Pflichtveranstaltungen besuchte und bei der einen oder anderen Prüfung auch schon auf die Gutmütigkeit seiner Dozenten hatte setzen müssen. Bisher funktionierte das, er wusste jedoch nicht, wie lange er noch damit durchkam. Wenn Coach McLachlan auch nur den leisesten Verdacht hätte, dass er sein Studium nicht ernst genug nahm, würde er unweigerlich auf der Ersatzbank landen.
»Beweg deinen Arsch, Leland!«, rief Jake ihm zu. Er hatte sich umgedreht und joggte nun rückwärts den Berg hinauf, während Ethan ihm keuchend folgte.
»Fick dich!«, schnauzte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Heimlich musterte er seinen Freund. Heimlich deshalb, weil es irgendwie komisch geworden war, seinen Freund anzusehen. Seit er wusste, dass Jake auf Männer stand, hatte er die lächerliche Befürchtung, irgendjemand könnte etwas darin hineininterpretieren, wenn er Jake zu genau ansah. Als ob er dann selbst schwul werden würde.
Himmel, seit vielen Jahren schon war es für sie beide ganz normal, sich nackt zu sehen. Sie trainierten, sie duschten danach, sie wechselten ihre Kleidung auf dem Trainingsplatz oder in der Umkleide. Schamhaftigkeit hatte wirklich noch nie zwischen ihnen Platz gehabt und vermutlich ließ es tief blicken, dass Ethan sich jetzt so gehemmt fühlte. Plötzlich sah er Jake mit anderen Augen. Er sah nicht mehr seinen durchtrainierten Kumpel, dem man das tägliche Training ansah, sondern betrachtete jetzt einen Mann, den andere Männer attraktiv fand.
Jake war nicht nur klug, charmant und witzig, seine grünen Augen leuchteten, wenn er lachte und in seinen Wangen bildeten sich Grübchen. Er ließ grundsätzlich anderen den Vortritt und war so ein unkomplizierter Mensch, dass man sich in seiner Gesellschaft einfach immer wohl fühlte. Jake war für jeden Spaß zu haben und trotzdem hatten sie beide schon die tiefsten Gespräche miteinander geführt. In Ethans Wagen auf dem Parkplatz des College‘. In einem der unzähligen Cafés in Boston. Hier oben auf den Klippen.
Schwer atmend erreichte auch Ethan das Plateau, das heute Abend ausnahmsweise verlassen vor ihnen lag. Ihre Freunde waren übers Wochenende nach Florida gereist, um am Summer Break teilzunehmen, einer Veranstaltungswoche, die dem Spring Break glich. Eigentlich wäre Ethan auch gern mitgegangen, aber er hatte Jake nicht alleine zurücklassen wollen.
»Du wolltest also lieber mit mir Trailrunning machen, als heiße Mädchen aufzureißen?«, fragte Jake ihn schmunzelnd. Er hatte sich auf den noch warmen Stein niedergelassen und aus seinem Trinkgurt eine kleine Flasche gezogen, aus der er jetzt gierig trank.
Ethan betrachtete Jakes Kehlkopf, der deutlich sichtbar auf- und abhüpfte. Er schluckte und musste sich zwingen, den Blick abzuwenden.
»Wir müssen im Training bleiben, sonst killt uns McLachlan«, murmelte er und ließ sich neben Jake auf der Steinplatte nieder. Der See lag glitzernd unter ihnen, bald würde er sich schwarz färben und damit bedrohlich und gleichzeitig verlockend wirken. Dann sprangen nur noch die Mutigsten unter ihnen ins Wasser.
Jake und er waren schon tausende Male die Klippen runter gesprungen.