Thelema Abbey - Marc Debus - E-Book

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Marc Debus

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Marc Debus

Thelema Abbey

 

 

 

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- gekürzte Vorschau -

Inhaltsverzeichnis

Titel

Thelema Abbey

Prolog: Worms, Oktober 1434 - ­Reisemitbringsel

Hastings, Dezember 1947 - Das Ende der Reise

Marburg, Mai 2013 – Reise nach Sizilien

Catania, Mai 2013 - Besuch bei einem Freund

Cefalù, Sommer 1955 - Die Amerikaner

Catania, Mai 2013 - Artefaktbegutachtung

Cefalù, Sommer 1955 - Souvenirs

Cefalù, April 1923 - Der Aufbruch

Catania, Mai 2013 - Der Nachlass

Termini Imerese, Mai 2013 - Routinearbeit

Catania, Mai 2013 – Ein okkultes Vermächtnis

Palermo, Mai 2013 - Diebesbeute

Nepal, September 1905 – Das Unglück

Sizilien, Mai 2013 - Das Landhaus

Palermo, Mai 2013 - Okkulte Kostbarkeiten

Termini Imerese, Mai 2013 – Das Zusammentreffen

Tunis / Tunesien, Juli 1921 – Im Exil

Sizilien, Mai 2013 - Verletzt

Termini Imerese, Mai 2013 – Die Ermittlungen

Termini Imerese - Cefalù, Mai 2013, Thelema Abbey

Catania, Mai 2013 - Der Einbruch

Cefalù, Mai 2013 - Das Mittagessen

Catania, Mai 2013 – Die Spurensicherung

Guernsey, Juni 1934 - Das Ende

Termini Imerese, Mai 2013 - Der Rückruf

Boleskine-House, Schottland 1899-1919 - Das Ritual

Catania, Mai 2013 - Verschwundene Kostbarkeiten

Palermo, Mai 2013 - Die Ware

Catania, Mai 2013 - Im Polizeipräsidium

Mascalucia, Mai 2013 - Überlegungen

Cefalù, April 1923 - Das Reisegepäck

Mascalucia - Cefalù, Mai 2013 – Spurensuche

Palermo, Mai 2013 - Verkaufsstrategien

Guernsey, Juni 1934 - Besondere Werke

Catania, Mai 2013 - Neue Erkenntnisse

Cefalù, Mai 2013 - Eine weitere Entdeckung

Catania, Mai 2013 - Der Informant

Cefalù, Mai 2013 - Die Verabredung

Dublin, Mai 2013 - Ein Angebot

Cefalù, Mai 2013 - Neue Entwicklungen

Palermo, Mai 2013 - Vorbereitungen

Dublin, Mai 2013 - Rituelle Vorbereitung

Sizilien, Mai 2013 - Ein spannender Auftrag

Palermo, Mai 2013 - Die Festnahme

Paris, April 1925 - Die Einladung

Sizilien, Mai 2013 - Ein alter Bekannter

Palermo, Mai 2013 - In Haft

Catania, Mai 2013 - Vorbereitungen

Palermo, Mai 2013 - Ein unerwartetes Ereignis

Inverness, Loch Ness, Juni 1991 - Das Landhaus

Catania, Mai 2013 - Recherchen und Polizeiarbeit

Palermo, Mai 2013 - Das Ende eines Lebensabschnittes

Guernsey, August 1964 - Schulaufgaben

Palermo, Juni 2013 - Einsatzplanung

England, Sommer 1940 - Neue magische Wege

Palermo, 2. Juni 2013 - Planänderung

Guernsey, August 1964 - Nacherzählungen

Palermo, 2. Juni 2013 - Die Versteigerung

Guernsey, August 1964 - Ein seltsames Werk

Palermo, 2. Juni 2013 - Unerwartete Besucher

Palermo, 2. Juni 2013 - Geschäftsabbruch

Torquay, Sommer 1966 - Der Kontakt

Palermo, 2. Juni 2013 - Blinder Passagier

Torquay, Sommer 1966 - Der Verkauf

Hastings, Sommer 1945 - Rückzug

Sizilien, 2. Juni 2013 - Das Ende des Falls?

Torquay, Oktober 1980 - Familienleben

Termini Imerese, 2. Juni 2013 - Unerwarteter Besuch?

London, 1998 - Der Mann den wir hängen wollen

Termini Imerese, Juni 2013 - Fluchtplanung?

Schweiz, August 1974 - Ein Rückblick

Sizilien, Juni 2013 - Reisefinanzierung

Termini Imerese, Juni 2013 - Ringfahndung

Sizilien, Juni 2013 – Dramatische Entwicklungen

Sizilien, Juni 2013 - Die heiße Spur

Sizilien, Juni 2013 - Konfrontation

Messina, Juni 2013 - Im Krankenhaus

Torre Faro, Juni 2013 - Überfahrt

Catania, Ende August 2013 - Der Verkauf

Guernsey, April 2014 - Die letzte Spur

Dublin, Mai 2014 - Die Sammlung

Nachwort

Danksagung

Impressum tolino

Thelema Abbey

Gerhard Maibachs Abenteuer

Marc Debus

Schreibstark Verlag

ISBN: 9783946922186

Prolog: Worms, Oktober 1434 - ­Reisemitbringsel

Abraham hielt die wertvollen Aufzeichnungen in Händen, die er von seinem langjährigen Aufenthalt in Ägypten mit nach Europa gebracht hatte. Seine Reise war beschwerlich gewesen und er hatte gar manche Gefahr dabei überstehen müssen. Alleine die Überfahrt des Mittelmeers hätte ihn während eines Sturms fast zweimal das Leben gekostet. Aber alles war gut gegangen. Er hatte die Erkenntnisse seiner Studien und Erfahrungen in Form von Aufzeichnungen mit zurück in die Heimat gebracht. Er gedachte diese nun zu sortieren und zusammenzufassen, damit er sie später seinem Sohn Lamech würde vererben können.

Er war mit der Intention nach Ägypten gereist, tiefergreifende spirituelle Erfahrungen zu machen und sich in den magischen Künsten fortzubilden. Gleichzeitig hatte er seit längerem den Drang verspürt, fremde Länder kennenzulernen und die Welt zu erkunden. Er hatte die letzten vierzig Jahre seines Lebens in Worms und der näheren Umgebung verbracht. Schließlich hatte er es nicht mehr ausgehalten und hatte seine Reise angetreten. Er hatte Kairo mit den lebhaften Märkten und Basaren kennengelernt und war danach den Nil aufwärts gezogen. Die mächtigen Bauten aus der Pharaonenzeit hatten ihn dabei tief beeindruckt. Riesige Figuren, Pyramiden und die mächtigen Tempelanlagen, mit den unzähligen, nicht mehr lesbaren Zeichen an den Wänden, hatten ihn immer mehr in den Bann gezogen. Er liebte dieses Land. Die heiße Luft, die Wüste, die kühlen Oasen und die lauen Nächte an den Ufern des Nils hatten aus Ägypten eine neue Heimat werden lassen. Bei einem seiner Ausflüge in die Wüste, den er unternommen hatte, weil man ihm erzählte, dass dort eine alte Stadt aus der Pharaonenzeit zu besichtigen sei, war er dann auf eine Person getroffen, die sein gesamtes weiteres Leben nachhaltig beeinflusste. Der Mann hatte in der Wüste auf einem Hügel nahe der Stadt Araki vor einer schäbigen Hütte gesessen. Eigentlich hatte er ihn nur nach Trinkwasser fragen wollen. Der Mann hatte ihm zu seinem Erstaunen in hebräischer Sprache geantwortet, was Abraham im ersten Moment völlig verwundert hatte. Der Mann hatte danach gesagt, er habe an seinem Akzent gehört, dass er Jude sei. Schnell fand Abraham heraus, dass er einen gelehrten Mann getroffen hatte, der sich in den kabbalistischen und religiösen Schriften bestens auskannte und nicht nur das. Er hatte die Schriften gelesen und neu interpretiert und danach daraus die mächtigste Magie entwickelt, die Abraham jemals gesehen hatte. So blieb er bei ihm um zu lernen.

Der alte Mann hieß Abra-Melin. Er unterrichtete Abraham, verlangte aber von ihm, seinen alten Dogmen abzuschwören, um seine Lehre in der gesamten Reinheit und Weisheit verinnerlichen zu können. Abraham unterwarf sich gänzlich dem Willen seines neuen Meisters und machte schnell Fortschritte beim Erlernen seiner Kunst. Seine kabbalistische Magie war gänzlich von dem einen wahren Gott geprägt, an den er glaubte. Nach einer langen Zeit forderte Abra-Melin zehn Goldflorin von ihm, um sie den Armen der Stadt Araki zu geben. Abraham verließ ihn, um die Summe zu holen und zu ihm zu bringen. Als er auf den Hügel zurückkehrte, hatte Abra-Melin ihm zwei gerollte Manuskripte überreicht. Das eine Manuskript trug den Titel ‚Gottgeweihte Wissenschaft‘, das andere hieß ‚Wahre Magie‘. Abra-Melin trug ihm auf diese Rollen zu hüten wie seinen Augapfel und deren Inhalt nur an Menschen weiterzugeben, die ihm wirklich nahe standen und persönlich vertraut waren. Danach teilte er ihm mit, dass er ihn alles gelehrt hatte, was er wusste und trug ihm auf, dieses Wissen zu bewahren und mit Sorgfalt zu behandeln. Mit dem Versprechen dies zu befolgen hatte er Abra-Melin dann am nächsten Tag verlassen. In seinem Reisegepäck brachte er schließlich die gut verpackten Manuskripte seines Meisters mit nach Worms. Hinzu kamen seine eigenen Aufzeichnungen, die er in seiner Lehrzeit im Haus seines geistigen Führers gemacht hatte. Das Ziel, das Abraham bei seiner Reise im Auge gehabt hatte war mehr als erfüllt worden. Er hatte auf einem unscheinbaren Hügel in der Wüste einen wahren Meister gefunden, seinen Meister.

Jetzt stand er hier in seinem Haus in Worms mit den Unterlagen, die größtenteils auf Hebräisch verfasst waren, um sie in deutscher Sprache zusammenzufassen. Er hatte nach seiner Rückkehr eine Familie gegründet und bereitete nun vor sein Wissen später als Erbe an Lamech, seinen einzigen Sohn, übergeben zu können. Das magische Ritual, dass er selbst in Ägypten unter Anleitung seines Meisters durchgeführt hatte und Grundbestandteil der Lehre war, bedurfte genauer Befolgung der Anweisungen, weil mächtige Dämonen auf dem Weg der Durchführung bezwungen werden mussten.

Die Heraufbeschwörung von Lucifer, Satan, Leviathan und Belial und deren gleichzeitige Bezwingung waren notwendig, um letztendlich dem eigenen Schutzgeist zu begegnen. Man konnte danach durch seine Hilfe zu hoher Weisheit gelangen, aber durch dieses Ritual auch für die Ewigkeit Schaden nehmen, wenn man sich nicht an die Regeln hielt. Man durfte bei der Durchführung einfach keine Fehler machen, sonst war man unwiderruflich verloren. Er wusste, dass er jetzt Wissen um das vermutlich mächtigste magische Ritual der Welt aufzeichnen würde, und dadurch Menschen in der Lage sein würden zu höchster Erkenntnis zu gelangen, das Manuskript sie aber auch für den Rest ihres Lebens in den Abgrund zu stürzen vermochte. Er setzte sich hin und begann seine Arbeit, denn es gab viel zu tun.

Dass seine Aufzeichnungen, als das ‚Manuskript des Abraham von Worms‘, noch viele Jahrhunderte unzählige Menschen beschäftigen würde, konnte er zu dieser Zeit natürlich nicht ahnen.

Hastings, Dezember 1947 - Das Ende der Reise

Der alte Mann lag in seinem Bett und atmete schwer. Er hatte die Augen geschlossen und schien in Gedanken versunken zu sein. In den letzten Monaten war er aufgrund seines Gesundheitszustandes immer weiter abgemagert. Seine Gesichtszüge waren allerdings noch immer energisch, wie sie es Zeit seiner Jugend gewesen waren. Die letzten Tage wechselten sich Schlafphasen und Erinnerungen ständig ab. Es war in der letzten Zeit sehr ruhig um ihn herum geworden. Sogar die großen Tageszeitungen und die Klatschpresse hatten weitgehend das Interesse an ihm verloren. Seine letzten beiden Jahre hatte er hier in Netherwood House verbracht und sogar die Besuche von Freunden und Personen, die sich für ihn interessierten, waren immer weniger geworden.

Er hatte sich während seines Aufenthaltes in Netherwood House einen regelmäßigen Tagesablauf angewöhnt. Frühstück gab es jeden Morgen um zehn. Danach folgten Spaziergänge im Garten, seine Meditation und gelegentlich genoss er eine Pfeife im Gewächshaus des Anwesens. Den Rest des Tages verbrachte er meist auf seinem Zimmer, dass die Zimmernummer 13 hatte. Dorthin zurückgezogen nahm er dann im Laufe des Tages seine übrigen Mahlzeiten ein. Er schrieb in den Nachmittags- und Nachtstunden unzählige Briefe und beantwortete Anfragen zu seinen Werken. Gleichzeitig arbeitete er an weiteren, neuen Abhandlungen. Trotz der Tatsache, dass er mittlerweile über siebzig Jahre alt war, frönte er nicht nur gelegentlich einem seiner größten Laster, dem Heroin. Für ihn war die Droge nie etwas Schlechtes gewesen, sondern sie hatte ihm Zeit seines Lebens geholfen, seine Ideen und Gedanken zu ordnen und ihm als Inspiration gedient. So dämmerte er häufig berauscht Stunden alleine in seinem Zimmer dahin.

Manchmal hatte er den ortsansässigen Schachclub besucht, in dem es niemals jemandem gelungen war, ihn in dem königlichen Spiel zu schlagen. Er hatte seine Überlegenheit dabei immer sehr ausgekostet und genossen. Gelegentlich war er auch mit dem Lebensmittelhändler Mr. Watson ausgefahren, mit dem er seit geraumer Zeit befreundet war und der ihn manchmal in Netherwood House besucht hatte. Ansonsten hatten ihn nur Freunde und einige wenige Journalisten und Autoren besucht, die Artikel oder Bücher schrieben, die sich um seine Lehren oder sein Leben drehten. Solche Treffen hatte der alte Mann geliebt. Er hatte dabei seinen schweren, wohlduftenden Tabak in seiner großen Pfeife geraucht und der Glanz der alten Tage kam für ein paar Stunden zu ihm zurück. Seine finanziellen Rücklagen waren nicht besonders erwähnenswert und so hatte sich sein Leben weitgehend auf das Haus und die nahe Umgebung beschränkt.

Am Ende des Jahres 1947 war es dann gesundheitlich bergab gegangen. Er hatte sich immer häufiger krank und schwach gefühlt. Sein Arzt Dr. Charnock-Smith hatte ihm in der letzten Woche zudem eine schwere Bronchitis bescheinigt und das Herz machte ihm seit Längerem zu schaffen. Nun lag er seit mehreren Tagen im Bett und hatte nur noch selten mit jemandem geredet, außer wenn jemand kam um seinen Durst oder Hunger zu stillen, war er weitgehend sich selbst überlassen.

Dieser kranke alte Mann war immer witzig und humorvoll gewesen, was alle seine Mitbewohner und seine Vermieterin Mrs Symonds nur bestätigen konnten. Diese Eigenschaft schätzten alle seine Mitbewohner sehr an ihm. Er hatte sogar lustige Hausregeln für Netherwood House erfunden, die in Gedichtform im Speisezimmer hingen. Diese lauteten wie folgt:

Die Hausregeln

Die Gäste mögen bitte die Geister nicht verärgern.

Allen, die die Nacht überlebt haben, wird das Frühstück um neun Uhr morgens serviert.

Der Städtische Friedhof von Hastings kann von hier aus bequem zu Fuß in fünf Minuten erreicht werden (im Falle der Mitführung einer Leiche in zehn Minuten).

Flugweg für Geister eine Minute.

Wir bitten alle Gäste höflichst, vom Abnehmen der Leichen in den Bäumen abzusehen.

Im Büro finden sie eine kleine Garderobe.

Es handelt sich um die Gewänder derer, die des irdischen Tands nicht mehr bedürfen.

Nun stand eine junge Pflegerin neben dem Bett und sah den alten Mann an. Plötzlich öffnete dieser seine Augen und sagte: „Manchmal hasse ich mich selbst!“ Sie näherte sich ihm um zu hören, ob er eventuell noch mehr sagen wollte. Sie ging mit ihrem Kopf nahe an sein Gesicht heran und stellte fest, dass er nicht mehr zu atmen schien. Sie griff nach seinem Arm und versuchte den Puls zu nehmen, konnte aber hierbei kein Schlagen mehr feststellen. Sie blickte in sein fahles Gesicht und legte den Arm behutsam auf seinem Bauch ab. Ihr Patient hatte diese Welt endgültig verlassen.

Später wurden verschiedene Geschichten über seinen Tod in der Presse ausgebreitet, die sich nun sehr plötzlich wieder für ihn zu interessieren schien. Eine der Geschichten besagte, seine letzten Worte seien „Ich bin verblüfft“ gewesen; andere erzählten, er sei zusammengebrochen in seinem Zimmer gefunden worden. Somit war die Welt wieder einmal mit kontroversen Informationen zu seiner Person versorgt worden, die wie immer zum Spekulieren Anlass geben würden. Ihn hätte dieser Umstand sicherlich ungemein gefreut. Sein Begräbnis fand, einige Tage später, in einem kleinen Kreis von Freunden im Krematorium von Brighton statt. Die Hymne an Pan, eines seiner Gedichte, wurde von seinem Freund Louis Wilkinson verlesen und auch aus seinem ‚Buch des Gesetzes‘ wurden Passagen zitiert. Die Zeitungen berichteten weltweit darüber, dass er sein irdisches Dasein beendet hatte. Kurz nach seinem Tod hatte er es noch einmal geschafft, die Aufmerksamkeit der Welt auf sich zu ziehen. Eine große englische Zeitung titelte sogar: „Der böseste Mann der Welt ist tot.“ Der vermutlich größte Magier des zwanzigsten Jahrhunderts hatte sein irdisches Wirken beendet.

Marburg, Mai 2013 – Reise nach Sizilien

Gerhard saß mit einer frisch aufgebrühten, heißen Tasse Kaffee und einem Stück Torte, das er in der kleinen Konditorei neben seinem Antiquitätengeschäft gekauft hatte, an seinem kleinen Frühstückstisch im hinteren Teil des Ladens. Neben dem Tisch standen ein gepackter Reisekoffer und das dazugehörige Handgepäck mit seinem Laptop und der Kamera. Wenn er sein Frühstück beendet haben würde, würde er sich mit seinem alten Mercedes auf den Weg nach Frankfurt zum Flughafen machen. Von dort ging um 13.30 Uhr die Linienmaschine nach Catania, auf Sizilien, für den ein Flugticket auf der Tischplatte lag.

Ein alter Freund und Berufskollege, der lange in der Nähe von Marburg gelebt hatte und mittlerweile als Antiquitätenhändler in Sizilien tätig war, hatte ihn vor zwei Tagen angerufen. Er hatte ihn bezüglich einiger Stücke, die man ihm zum Verkauf überlassen hatte, um seine Meinung gebeten. Da Gerhard Enzio schon so lange kannte und dieser ihm angeboten hatte das Flugticket zu übernehmen und ihn in einem Gästezimmer seines Hauses unterzubringen, hatte Gerhard nichts gegen einen Flug nach Sizilien einzuwenden gehabt. Enzio hatte ihn schon mehrmals eingeladen ihn in Italien zu besuchen, aber irgendwie hatte es nie funktioniert. Jetzt hatte sich eine Gelegenheit ergeben Berufliches und Privates miteinander zu verbinden. Gerhard hatte sich entschlossen im Anschluss noch einige Tage auf Sizilien zu bleiben, da er Urlaub dringend nötig hatte. Außerdem war es die richtige Jahreszeit dafür, Sommersonne und Meer. Gerhard freute sich auf seinen Trip.

Er räumte den kleinen Tisch ab und spülte die Tasse und den Teller im Bad seines Geschäftes gründlich ab, bevor er seine Jacke anzog und nach draußen ging. Er hatte an der Tür ein Schild angebracht, dass der Laden in den nächsten zwei Wochen geschlossen bleiben würde. Er verschloss die Tür und ging durch die Oberstadt zum Aufzug, der aus dem historischen Stadtteil in die Unterstadt führte. Hier lenkte er seine Schritte zu dem großen Parkhaus, wo sein alter Mercedes geparkt war, den er so sehr liebte. Dieser Wagen war immer sein Traum gewesen und er würde sich vermutlich nie mehr von ihm trennen.

Gerhard verstaute seine Koffer im geräumigen Gepäckteil des Wagens und fuhr langsam aus dem Parkhaus hinaus. Er verließ den Innenstadtbereich und schwenkte schon kurz darauf auf die Stadtautobahn Richtung Gießen ein, wo er den Mercedes endlich laufen lassen konnte. Jetzt drehte er das Radio des Fahrzeuges, in das er das Led Zeppelin Album ‚Presence‘ eingelegt hatte, etwas lauter und verlor sich während seiner Fahrt in Gedanken.

Er dachte über sein letztes Abenteuer in Frankreich nach, das ihn in Gisors, mit einigen Freunden zusammen, auf die Spur von verschollenen Kunstschätzen aus dem zweiten Weltkrieg gebracht hatte. Es hatten sich dadurch unendlich viele wertvolle Stücke wiedergefunden, die lange Zeit als unwiederbringlich verloren galten. Die Presse war voll mit Artikeln über ihre Entdeckungen gewesen und es war weltweit darüber berichtet worden, dass viele alte Meisterwerke nun bald wieder in ihrer ganzen Pracht in den Museen Europas zu sehen sein würden. Wie es dazu im Einzelnen gekommen war, war dabei in keinem der Berichte erwähnt worden. Er dachte an Jasmin und Jacques, die dieses Erlebnis mit ihm teilten und zu denen er seitdem regelmäßig Kontakt pflegte. Aus den Bekanntschaften dieser Zeit waren gute Freunde geworden und das fand Gerhard sehr schön. Er freute sich immer sehr, wenn Jasmin am Telefon war oder der starke französische Akzent von Jacques aus der Hörmuschel ertönte.

Diese Reise würde nicht sehr abenteuerlich werden, aber er hoffte zumindest auf einen erholsamen Urlaub, nach seiner Arbeit in Catania. Er hatte sich vorgenommen einen Mietwagen zu nehmen und dann verschiedene historische Orte in Sizilien anzufahren und zu besichtigen. Er dachte schon jetzt mit Freuden an die riesigen, griechischen Tempelanlagen von Agrigento, an das historische Siracusa, Taormina mit seinem Amphitheater und die Altstadt von Cefalù. Außerdem freute er sich schon jetzt darauf an einem Strand zu liegen, sich die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen und dabei ein kühles Bier und das Wasser des Mittelmeeres zu genießen.

Eine dreiviertel Stunde später lenkte er sein Auto auf einen Park-und-Ride-Parkplatz in der Nähe des Flughafens und stellte es dort ab. Danach nahm er eine der Bahnen, die im Zehnminutentakt zum Flughafen fuhren. Er kam kurz vor halb elf im Flughafengebäude an und hatte genügend Zeit zum Einchecken seines Koffers. Danach passierte er die langwierigen Sicherheitskontrollen, bevor er in den Abflugbereich gelangte. In den großen Duty-Free-Shops des Flughafens suchte er sich eine gute Flasche Whisky, leckeren, sherrylastigen Glendronach, heraus und kaufte sie mit seiner Kreditkarte. Somit war ein gutes Getränk für die späten Abendstunden gesichert.

Zwei Stunden später lehnte Gerhard sich, mit den Stöpseln seines MP3-Players im Ohr, im Sitz des Flugzeuges zurück und versuchte ein wenig von Sonne und Meer zu träumen.

Catania, Mai 2013 - Besuch bei einem Freund

Nachdem Gerhard seinen Koffer vom Gepäckband aufgelesen hatte, verließ er den Sicherheitsbereich des Flughafens durch die Zollschleuse. Schon beim ersten Blick durch die Tür konnte er seinen alten Freund Enzio ausmachen. Enzio Milanore war ein gutes Stück kleiner als Gerhard und hatte tiefschwarzes Haar, das im Nacken etwas länger war. Er trug den für Italiener oft typischen Oberlippenbart und hatte stahlblaue, wache Augen. Die Freude Gerhard wieder zu sehen war Enzio im Gesicht abzulesen und die beiden Männer umarmten sich zur Begrüßung.

„Schön, dass du endlich kommen konntest Gerhard. Ich freue mich sehr, dass du hier bist, aber nun lass uns erst einmal zu meinem Haus fahren, damit wir es uns gemütlich machen können“, sagte sein alter Freund. Sie verließen das Flughafengebäude und begaben sich in das riesige Parkhaus. Enzio zahlte sein Parkticket an einem der Automaten, bevor sie zu seinem Wagen gingen. Sie luden Gerhards Gepäck in seinen geräumigen Fiat Multipla. Kein besonders schönes Fahrzeug, aber sehr zweckmäßig. Auf der Seite des Fahrzeugs war Werbung für Enzios Antiquitätengeschäft angebracht und das Fahrzeug hatte einige Beulen und Schrammen, was in Sizilien absolut nichts Besonderes war. Auf der Insel wurden Autos eher als Gebrauchsgegenstände gesehen. In Deutschland, wo Fahrzeuge gehegt und gepflegt wurden, hat man dabei deutlich einen anderen Bezug zu seinem Auto.

Sie verließen das Flughafengelände und Enzio lenkte den Wagen direkt auf die Autobahn, die um Catania herum führt. Sie fuhren einige Kilometer auf der A18 und er erklärte Gerhard, dass sein Haus nicht direkt in der Stadt gelegen war, sondern sich in einem kleinen Vorort namens Mascalucia, befand. Danach erläuterte er Gerhard ausgiebig die Vorzüge der dortigen Wohnlage, die es ihm in seiner Freizeit ermöglichte Abstand von seiner Arbeit und der Hektik der Großstadt zu nehmen. Das kleine Städtchen lag am auslaufenden Südhang des Ätna und war verkehrstechnisch gut an Catania angebunden. Als sie den Ort erreichten, konnte man sehen, dass in den Randbezirken einige sehr noble Häuser standen. Gerhard vermutete, dass gutbetuchte Geschäftsleute aus Catania die gute Lage nahe der großen Stadt und die Ruhe genauso zu schätzen wussten wie sein Freund Enzio.

Gerhard war nicht sehr verwundert, als sie in die Einfahrt eines eben solchen noblen Anwesens hineinfuhren und Enzio das Fahrzeug vor den Eingang lenkte. Das Haus war nicht gerade klein und die Außenanlage des Hauses machte einen sehr gepflegten Eindruck. Gerhard war schon fast versucht, den Ausdruck `Villa´ für das Anwesen zu gebrauchen. Rechts vor dem Haus stand ein neuerer Alfa Romeo Brera, der in seiner sportlichen Aufmachung im krassen Gegensatz zu dem Multipla stand, mit dem sie hier angekommen waren. Gerhard schloss aus alledem, dass Enzios Geschäfte gut zu gehen schienen, was ihn für seinen Freund sehr freute.

Sie betraten das Haus durch eine mächtige, mit Glaseinsätzen versehene, Eingangstür. Enzio zeigte Gerhard direkt das Gästezimmer im ersten Stock, das er beziehen sollte. Das Zimmer verfügte über einen kleinen Balkon, der zum hinteren Teil des Hauses hin gelegen war. Gerhard öffnete die beiden Glastüren um hinauszutreten. Hinter dem Haus setzte sich der wunderschöne Garten weiter fort und direkt am Haus lag ein ovaler kleiner Pool, in dem das Wasser einladend glänzte. Er grenzte direkt an die aus Natursteinen bestehende Terrasse an, auf der mehrere Liegestühle standen. Bei diesem Anblick war sich Gerhard sicher, dass er hier in seiner Freizeit einen tollen Aufenthalt genießen würde. Dass sein Besuch in Sizilien wesentlich länger und nicht so ruhig werden würde, wie er es in diesem Augenblick noch erwartete, konnte er zweifellos noch nicht ahnen.

Bereits zehn Minuten später saßen die beiden Männer mit einer guten Flasche sizilianischem Rotwein auf der Terrasse in der Sonne. Gerhard hatte seine Badehose angezogen und bereits zur Erfrischung den ersten Sprung in den einladenden Pool hinter sich gebracht. Das Wasser perlte noch auf seiner Haut und die Sonne fing an ihn zu trocknen, während der erste gute Schluck Wein seine Kehle hinunterrann.

Gerhard stellte das Rotweinglas wieder auf dem Gartentisch ab. „Enzio, nach diesem Einstand interessiert mich eine Frage wirklich brennend. Warum genau hast du mich hergebeten?“, fragte er nun bei seinem Freund nach. Enzio lehnte sich vor und antwortete: „Ich brauche deinen Rat bei einigen Stücken, die ich zum Verkauf von einem jungen Paar namens Varni erhalten habe. Das hatte ich dir so ja bereits am Telefon gesagt. Ich habe allerdings keine Ahnung, wie ich deren Wert beziffern soll und an wen ich mich wegen des Verkaufs wenden könnte. Ich dachte aufgrund deiner Erfahrungen, auch mit außergewöhnlicheren Dingen aus dem letzten Jahrhundert, seist du der richtige Ratgeber für mich in beiden Dingen. Ich zeige dir die Stücke morgen in meinem Laden und du sagst mir, was du von ihnen hältst. Du weißt, dass ich mich eher mit Skulpturen und Artefakten aus der römischen und griechischen Periode auskenne und von solchen Dingen eher wenig Ahnung habe.“ „Ich verstehe“, antwortete Gerhard ihm, „ich bin sehr gespannt was du mir zu zeigen hast.“

Danach unterhielten sie sich über ihre früheren gemeinsamen Erlebnisse. Enzio hatte lange in Deutschland gelebt, bevor er sich entschieden hatte, nach Sizilien zurückzukehren. Seine Lebensumstände sprachen dafür, dass er damit die richtige Entscheidung getroffen hatte. Enzio berichtete Gerhard, dass seine Lebensgefährtin Gina am morgigen Tag von einem Besuch bei einer ihrer Freundinnen ins Haus zurückkehren würde. Er erzählte, wie er sie kennen gelernt hatte und sie letztendlich zusammengekommen waren. Gerhard war aufgrund von Enzios schwärmerischen Erzählungen sehr auf seine Freundin gespannt. Sein italienischer Freund hatte früher schon einen guten Geschmack in Bezug auf Frauen bewiesen. Die beiden Männer genossen ihre alte Freundschaft, den fruchtigen Rotwein, das warme Wetter und den kühlen Pool sehr. Sie hatten gemeinsam Spaß bis in den Abendstunden die sizilianische Sonne untergegangen war und sie schließlich deutlich angetrunken in ihre Betten sanken.

Cefalù, Sommer 1955 - Die Amerikaner

Guiseppe Pucci stand vor dem kleinen Haus oberhalb von Cefalù und beobachtete die beiden Männer, die ihn als Helfer angeheuert hatten, bei ihrer Arbeit. Der eine filmte und fotografierte unablässig die unzähligen Zeichnungen und die geometrischen Formen, die sich überall in und an dem kleinen Haus befanden, während der andere alles was er entdeckte akribisch in ein kleines Buch schrieb. Ihre Begeisterung für alles was mit dem Gebäude und seinen ehemaligen Bewohnern zu tun hatte, war jedenfalls unglaublich.

Die meisten der Türen und Fensterläden des alten Bauernhauses waren mit seltsamen Zeichnungen versehen und in vielen Bereichen erstrahlten auch Böden und Wände in bunten Farben. Diese Farbenpracht kam vor allem dann zur Geltung, wenn die meist auf den Innenseiten bemalten Läden nach außen aufgeklappt wurden und man zudem durch die Fenster das Innere des Hauses sehen konnte. Der Mann, der fotografiert hatte dies eben getan um diesen Eindruck festzuhalten. Die Zeichnungen gaben dem Haus so ein ganz eigenes Flair, fast schon wirkte es märchenhaft, aber in jedem Fall ungewöhnlich. Das Gebäude passte überhaupt nicht zu den übrigen Häusern, die sich in dieser Gegend befanden. Kein Haus war so bunt bemalt oder in irgendeiner Form verziert. Sie waren eher schlicht und weiß.

Der ehemalige Besitzer hatte fast alle Wände im Haus bemalt. Vor allem sein ehemaliges Schlafzimmer hatte er komplett mit sehr verstörenden Zeichnungen versehen. Einige davon waren ausgesprochen anzüglich und passten somit noch weniger in diese katholisch geprägte Gegend. Manche der Zeichnungen konnte man kaum noch erkennen, weil die Wände von späteren Bewohnern weiß oder grün gestrichen worden waren. Seine beiden Auftraggeber hatten aber an vielen Stellen Tapeten entfernt und unter Zuhilfenahme von Leinwandfirniss vieles wieder freilegen können. Das Haus war auf seine Weise wirklich einzigartig, hatte aber nach Guiseppes Gefühl auch irgendwie etwas sehr Beängstigendes an sich. Die beiden Amerikaner hatten zumindest an diesem Haus einen Narren gefressen und jedes Detail des Gebäudes war von ihnen aus unzähligen Winkeln und Blickrichtungen mit dem Fotoapparat oder der Filmkamera abgelichtet worden.

Als die beiden Männer vor einer Woche in Cefalù angekommen waren, hatten sie jemanden aus der Stadt gesucht der Englisch sprechen konnte, damit er ihnen bei ihrem Filmprojekt zur Hand gehen konnte. Guiseppe war dieser Umstand nur recht gekommen, da er zurzeit keinen Job hatte. Außerdem hatte er wegen seiner früheren Arbeit in verschiedenen Häfen und aus eigenen Interesse ganz passabel Englisch sprechen gelernt und deshalb fiel die Wahl der Amerikaner auf ihn. Die beiden Männer hatten ihm eine gute Bezahlung versprochen und er hatte direkt zugestimmt. Er sollte vor allem Sorge für das technische Equipment tragen und bei allem zur Hand gehen, was bei den Filmaufnahmen nötig sein sollte. So trug er nun Kameras hin und her, versetzte Stative und hielt Spiegelplatten, um Einzelheiten besser auszuleuchten.

Als er gehört hatte, dass die beiden Männer das alte Haus mit den Zeichnungen am Berghang oberhalb der Stadt untersuchen wollten, war er abermals hellhörig geworden. Er hatte sich als Kind bereits häufig beim Spielen in der Nähe dieses Hauses aufgehalten, als der sonderbare Mann, der die Zeichnungen angefertigt hatte, noch mit einigen anderen Leuten in dem Haus gelebt hatte. Sie waren in seltsam Roben gekleidet und sie hatten oft vor dem Haus gesessen und zusammen in einer monotonen Sprache Texte vor sich hin gemurmelt, die er nicht verstehen konnte. Der Mann hatte ihm sogar einmal freundlich über den Kopf gestrichen, als er ihm auf dem Weg zur Stadt begegnet war. Seine Mutter hatte ihm schließlich verboten sich in der Nähe des Hauses aufzuhalten, aber gerade das hatte er natürlich spannend gefunden. Später hatte er den Mann in den Weinbergen wiedergetroffen, als er auf dem Boden saß und in einer fremden Sprache vor sich hinmurmelte. Guiseppe hatte ihn angesprochen, aber der Mann hatte mit glasigen Augen durch ihn hindurchgesehen. Er hatte ihn eine Weile beobachtet, konnte aber im Gegensatz zu seiner Mutter nichts Beängstigendes an ihm feststellen. Der Mann wirkte in diesem Moment eher hilflos und völlig ungefährlich. Als Junge hatte er die Angst der Erwachsenen absolut nicht verstehen können. Erst als er älter war, hatte er einige Dinge erfahren, die ihm diese Angst erklären konnten.

Während Guiseppe seinen Gedanken nachhing, hatte die beiden Amerikaner über irgendetwas zu diskutieren angefangen. Er stand zu weit entfernt und konnte nicht verstehen was sie sagten. Der Mann, der immer filmte und Kenneth hieß, winkte ihn herbei und erklärte ihm, dass sich ihr Projekt in Cefalù dem Ende nähern würde. Er hatte mit dem anderen Mann, der Alfred hieß, beschlossen, die bemalten Türen und Fensterläden herauszunehmen und in die USA zu verschiffen. Gleichzeitig wollten sie noch verschiedene Wanddekorationen im Haus demontieren und ebenfalls abtransportieren. Guiseppe war erstaunt über diesen Plan, nickte seinen Auftraggebern aber bejahend zu. Die beiden Männer entfernten sich ein Stück von ihm und fingen wieder eine angeregte Unterhaltung an.

Guiseppe betrachtete das Haus, dass er bereits so viele Jahre kannte und war irgendwie traurig, dass die bunten Fensterläden und die Inneneinrichtung nun verschwinden würden. Das Haus würde nicht mehr das Gleiche sein. Guiseppe dachte einen Moment darüber nach, was er in der Stadt zu organisieren hatte, um die Sachen so zu verpacken, dass sie schadenfrei abtransportiert werden konnten. Er näherte sich dem Haus und sah sich die Aufhängungen der Fensterläden und der Türen genauer an und erkannte, dass sie problemlos abnehmbar waren. Im hinteren Teil des Hauses kam er zu einem Fensterladen, dessen Gemälde ihn als Kind schon immer fasziniert hatte. Nun würde es mit den übrigen Läden verschwinden. Ein Gefühl von Verlust machte sich in Guiseppes Magen breit. Er schaute mehrere Minuten auf die Fensterläden mit den beiden Gestalten, die sich an den Händen zu halten schienen. Ein Plan reifte in ihm. Niemand würde bemerken, wenn er diese beiden Läden für sich selbst behalten würde.

Catania, Mai 2013 - Artefaktbegutachtung

Nach einem ausgiebigen, herzhaften Frühstück fuhren Gerhard und Enzio mit dem verbeulten Fiat Multipla in Richtung Catania, damit Gerhard die Gegenstände begutachten konnte, die in Enzios Geschäft standen. Es war ein wunderschöner Maitag und die Sonne prangte an einem wolkenlosen Himmel. Obwohl es erst neun Uhr war, war die Zwanzig-Grad-Marke bereits überschritten. Sie näherten sich schnell dem Stadtzentrum von Catania und der Verkehr wurde lebhafter. Enzios Laden lag in einer kleinen Seitenstraße der Via Cristoforo Colombo in der Nähe des Hafens. Als sie das Geschäft erreicht hatten, steuerte Enzio den Fiat durch ein offenstehendes Rolltor und parkte das Fahrzeug in einem kleinen Innenhof, der zu dem Gebäude gehörte.

Sie gingen durch eine Seitentür in das Geschäftsgebäude hinein. Enzio erklärte Gerhard, dass er im hinteren Teil des Hauses ein Lager hatte, in dem er Skulpturen und größere Gegenstände aufbewahrte und dort auch den Platz hatte, Dinge für den Versand vorzubereiten. Er öffnete eine Tür machte das Licht an. Gerhard konnte einige römische Statuen und Gegenstände sehen, die ihn sofort fesselten. Er sah sich die Stücke sehr genau an und war sich deren Kostbarkeit durchaus bewusst. Er ahnte jetzt, wieso sich Enzio ein solches Haus in Mascalucia leisten konnte. „Schöne Stücke, nicht wahr?“, sagte Enzio und Gerhard konnte das nur mit einem Nicken bestätigen. Die Statue einer Römerin, die er gerade bewunderte, war aus feinstem, weißem Marmor herausgearbeitet worden und war bis in die Fingerspitzen makellos. Wäre sie nicht weiß gewesen, hätte sie fast lebendig wirken können. Er strich mit seinen Fingern über den glatten Stein und zollte dem Steinmetz, der diese Figur vor 2000 Jahren so formvollendet angefertigt hatte, seinen ganzen Respekt.

Danach führte ihn Enzio in den vorderen Teil seines Ladens, wo den Kunden mannigfaltige Gegenstände, auf einer circa einhundert Quadratmeter großen Verkaufsfläche, angeboten wurden. Auch hier fanden sich Gegenstände von unterschiedlichem Wert. Bücher, Waffen, Alltagsgegenstände, Karten und vieles andere konnte käuflich erworben werden. Er hatte ein Abbild seines eigenen Geschäftes in Marburg vor sich, nur war Enzios wesentlich größer und exquisiter bestückt.

Gerhard nahm an einem kleinen Tisch im hinteren Teil des Ladens Platz, an dem Enzio ihm einen Stuhl angeboten hatte. Er bat ihn zu warten und verschwand in einem kleinen Räumchen, was als Büro zu dienen schien. Kurz darauf kam er mit einer Kiste wieder aus dem Büro heraus. Er stellte sie neben Gerhard auf dem Boden ab und fing an zu erzählen: „Vor zwei Wochen kam eine junge Frau, Patricia Varni, zu mir und brachte mir diese Sachen. Es gehören auch noch zwei größere Stücke dazu, die sich im hinteren Teil des Ladens befinden und die ich dir auch noch zeigen werde. Frau Varni hat die Sachen von ihrem Onkel und ihrer Tante geerbt, die in Termini Imerese an der Nordküste ein kleines Haus besessen haben, dass sich nun in ihrem Besitz befindet. Sie und ihr Ehemann haben in dem Haus nach dem Tod der Beiden eine Menge Plunder vorgefunden, aber auch Sachen, die sie als außergewöhnlich befunden haben. Da sie sich sehr unsicher waren, ob sich unter diesen Sachen etwas von Wert befindet, haben sie nach Personen gesucht, die dies eventuell einschätzen könnten. Aus diesem Grund haben die Varnis auch einige dieser Sachen zu mir gebracht. Jedenfalls muss der Onkel ein sehr wunderlicher Mann gewesen sein und viele Leute die ihn kannten haben ihn sogar für verrückt gehalten. Er ist aber bereits 1994 verstorben, seine Frau hat dann bis zu ihrem Tod 2011 alleine in dem Haus gelebt. Ich habe ihr dann angeboten, in Erfahrung zu bringen, ob die Sachen einen Wert haben und habe nach der ersten Sichtung gleich an dich gedacht. Die beiden sagten mir, dass wir gerne auch die anderen Sachen, die sich noch im Haus befinden, in Augenschein nehmen könnten. Das Meiste ist noch so, wie sie es vorgefunden haben, bis auf die Dinge, die sie zum Schätzen und Verkaufen abgegeben haben. Sie haben einige Gegenstände auch an andere Händler gegeben, der Hauptanteil ist allerdings bei mir verblieben. Die beiden leben in der Nähe von Rom und haben mir die Schlüssel des geerbten Anwesens hiergelassen, aber jetzt schau dir erst einmal an, was die Varnis mir hier in den Laden gebracht haben.“

Enzio rückte die Kiste an Gerhard heran. Gerhard konnte im Inneren einige Bücher und Dokumente erkennen und es lagen auch andere, kleinere Gegenstände darin. Als erstes nahm er eine kleine Büchse aus dem Kasten, die sich als Tabakdose entpuppte. Er sah sich das Stück an, das aus echtem Silber zu sein schien. Ausgiebig betrachtete er die Gravur des Deckels. Es waren symmetrische Symbole darauf angeordnet und über dem Ganzen schwebte ein kleines Dreieck mit einem Auge darin. „Freimaurerinsignien würde ich sagen!“ Gerhard drehte die Dose herum und entdeckte einen englischen Schriftzug, „Ende des achtzehnten oder Anfang des neunzehnten Jahrhunderts, schätze ich. Wenn die kleine Beule an der Seite nicht wäre, ein tolles Stück. Es wird aber auch so ein paar Euro bringen.“ Er stellte die Dose neben sich auf den Tisch.

Er nahm das erste Buch aus der Kiste und sah sich den schweren Ledereinband an. Auf dem Einband war kein Titel mehr zu erkennen und so schlug er das Buch auf den vorderen Seiten auf. Er stieß auf den Titel in französischer Sprache, der auf der ersten Seite in einer schönen, verschnörkelten Schrift gedruckt war: ‚Les mystères de la Kabbale ou l'harmonie occulte des deux Testaments.‘ „Ein kabbalistisches Werk“, stellte Gerhard fest, „und älteren Datums noch dazu!“ Er blätterte eine Seite weiter. Er blickte auf den Autorennamen und das Erscheinungsjahr. Nourry, Paris 1920 beeindruckte ihn nicht sonderlich, aber der Name des Autors ließ ihn zwischen den Zähnen hindurch pfeifen. Er lehnte sich zurück und sah Enzio an: „Éliphas Lévi, das ist unglaublich. Das ist eine Erstausgabe von Éliphas Lévi. Das Buch dürfte mehrere tausend Euro wert sein.“ Enzio grinste: „Ich hatte mir gedacht, dass dich das interessieren würde. Solche Dinge waren doch schon immer dein Steckenpferd. Das Buch habe ich auch noch einsortieren können, aber was noch in diesem Sammelsurium ist, kann ich nicht einordnen. Dafür brauche ich dich.“ Gerhards Blick fiel auf die Kiste und er zog das nächste Stück aus der Kiste heraus.

Cefalù, Sommer 1955 - Souvenirs

Guiseppe stand neben dem großen Stapel Kisten, der sich mittlerweile vor dem kleinen Haus oberhalb von Cefalù auftürmte. Er wartete auf einen Lastwagen, den er in der Stadt bestellt hatte um die Gegenstände hinunter zum Hafen bringen zu lassen. Von hier sollten sie direkt nach Catania verschifft werden. Von dort aus würden sie dann mit dem Flugzeug über den Atlantik nach Amerika gebracht werden. Die Amerikaner hatten sich für den Schiffstransport von Cefalù aus entschieden, weil sie so sicher gehen konnten, dass die Gegenstände auf den holprigen Bergstraßen Siziliens keinen ungewollten Schaden nehmen würden. Guiseppe konnte jetzt ein großes Fahrzeug den Berghang hinaufkommen sehen. Es holperte langsam über den Feldweg auf das Haus zu. Er winkte dem Fahrer zu, um ihm zu zeigen wohin er kommen sollte. Dieser winkte Guiseppe zurück, als er ihn entdeckt hatte und zwei Minuten später stoppte der Lastwagen neben seiner Fracht.

Guiseppe begrüßte den Fahrer und den Helfer, der neben ihm in der Fahrgastzelle gesessen hatte. Als sie das Fahrzeug verlassen hatten, fingen sie sofort zu dritt an die Kisten auf der Ladefläche zu verstauen. Die Fensterläden und Türen des Hauses hatte Guiseppe in gut gepolsterten Kisten untergebracht, die er in Cefalù bei einem Schreiner in Auftrag gegeben hatte. Seit dem Auftrag durch Mr Anger, die Gegenstände zu verpacken und für den Transport vorzubereiten, waren fast zwei Wochen vergangen. Auch der andere Mann, Mr Kinsey, hatte ihm häufiger bei der Demontage und den Verpackungsarbeiten zugesehen. Beide legten großen Wert darauf, dass alles sorgfältig verstaut wurde. Andere Gegenstände, die sie in einer Kiste auf dem nicht völlig intakten Dachboden des Häuschens gefunden hatten, waren ebenso sorgfältig eingewickelt worden, wie die Bücher, die auch dort in einem kleinen Schränkchen gelegen hatten.

Die beiden Läden die Guiseppe behalten wollte, hatte er an einem späten Abend, als er alleine gewesen war, einige hundert Meter vom Haus entfernt in einer ungenutzten Scheune untergestellt. Er hatte sie in der mondhellen Nacht hinübergetragen und zusammen mit zwei Büchern und einigen anderen Papieren und Gegenständen dort versteckt. Über die Sachen hatte er sorgfältig eine Plane ausgebreitet und in den Tagen darauf hatte er sich mehrere Male versichert, dass sie dort gut aufgehoben waren. Der Abtransport war ein leichtes gewesen, weil die Amerikaner in einem kleinen Hotel in Cefalù zu nächtigen pflegten. Dadurch hatten sie nicht das Geringste bemerkt, als er die Sachen entfernt hatte, zumal irgendwann nicht mehr klar war was schon verpackt war und was nicht. Er hatte auch bei den anderen Gegenständen, die er beiseitegelegt hatte, darauf geachtet, dass ein Fehlen nicht auffallen würde. Die Bücher und Handschriften hatte er versteckt, bevor überhaupt jemand anderes sie zu Gesicht bekommen hatte. Er war der Erste gewesen, der das kleine Regal auf dem Dachboden entdeckt hatte. Das Fehlen dieser Gegenstände würde also niemandem auffallen. Der Verlust der beiden Fensterläden würde sicher irgendwann später bemerkt werden, aber diese konnten dann auf dem langen Transport überall verschwunden sein. Er hatte zur Sicherheit in eine leere Transportkiste zwei schwere alte Holzplanken gelegt. Man würde beim Auspacken bemerken, dass etwas fehlte, aber das war dann nicht mehr sein Problem.

Die Arbeiten gingen ansonsten gut voran. Mr Anger und Mr Kinsey waren mittlerweile zu ihnen gestoßen und beobachteten den Verladevorgang der Kisten mit großem Interesse. Nachdem alles verstaut war, gaben sie Guiseppe den Auftrag auch das Verladen der Kisten auf das Schiff gut zu überwachen und dafür zu sorgen, dass auch hier alles sicher verstaut werden würde. Er sollte sich nach Beenden der Arbeiten im Hotel melden, um Kinsey und Anger abzuholen, damit sie sich die Unterbringung der Ladung auf dem Schiff noch einmal ansehen konnten. Guiseppe nickte ihnen zu um zu zeigen, dass er verstanden hatte. Danach kletterte er auf die Ladefläche des Lastwagens um mit hinunter zum Hafen zu fahren. Er sah die beiden Männer, die neben dem geplünderten Haus standen, langsam aus seinem Sichtfeld entschwinden, während sie holpernd den Weg hinunterfuhren. Heute Abend würde er eine gute Bezahlung von ihnen erhalten. Später würde er dann die Sachen, die jetzt ihm gehörten, mit einem geliehenen Fahrzeug in sein Haus bringen. Er grinste und war stolz auf sich selbst, dass sein Plan so reibungslos geklappt hatte.

Cefalù, April 1923 - Der Aufbruch

Aleister saß vor seinem kleinen Haus oberhalb der Stadt und blickte auf die Küste und den mächtigen Felsen hinunter, der die Stadt beherrschte. Er hielt wieder den Brief der italienischen Behörden in den Händen, der ihm gestern zugestellt worden war. Wirklich verwundert war er über dessen Inhalt nicht gewesen, aber mit einer endgültigen Ausweisung aus Italien hatte er bis zu diesem Zeitpunkt doch nicht gerechnet. Bereits am 1. Mai sollte er das Land verlassen haben. Er dachte darüber nach, dass er nur die wichtigsten Dinge aus dem Haus, das jetzt drei Jahre seine Heimat, seine erste magische Abtei gewesen war, würde mitnehmen können. Vieles würde er an diesem Ort zurücklassen müssen. Er dachte kurz an das letzte Ritual, dass er am Morgen mit seinen Anhängern auf dem Felsen gefeiert hatte. Er würde die Stadt und die Abtei vermissen.

Ein wichtiges Manuskript, das ihm sehr am Herzen lag, würde er ebenfalls im Haus hinterlassen, da er nicht genau einschätzen konnte, wohin sein Weg ihn von hier aus führen würde. Aleister wollte es nicht einfach so mit sich herumtragen, dafür war es ihm zu viel wert. Er hatte es gut versteckt und einen Hinweise in einer Zeichnung hinterlassen, wo es zu finden war. Falls er nicht mehr nach Cefalù zurückkommen durfte, konnte er immer noch jemanden schicken und anweisen, wie das Skript zu finden war. Selbst seiner Frau Alostrael hatte er vom aktuellen Versteck nichts erzählt. Er würde sich natürlich bemühen zurückkehren zu dürfen und diesbezüglich alle Hebel bei den Behörden in Bewegung setzen um das letztendlich zu erreichen. In der Zwischenzeit würden seine Jünger hier verbleiben und auf sein Haus - seine geliebte Abtei - aufpassen. Er hatte die Anweisung gegeben es gut zu verschließen, falls auch sie die Insel verlassen mussten.

Am zweiten April 1920, vor knapp drei Jahren, war er in das kleine Haus eingezogen. Vorher hatte er noch einige nette Tage in Neapel und Palermo zugebracht, wo er sich mit Freunden magischen Ritualen und ausschweifenden Festen hingegeben hatte. Er war bereits damals nicht alleine nach Italien gekommen. Seine rituelle scharlachrote Frau Alostrael, mit bürgerlichem Namen Leah Hirsig, und ihre Schwester im Geist, Cypris hatten ihn begleitet. Auch drei Kinder waren mit ihnen gekommen, Hansi, Howard und Poupèe, die seine eigene Tochter mit Leah war.

Cefalù hatte sie inspiriert und sie hatten anfangs eine gute Zeit miteinander verbracht. Der Ort hatte genau die Aura, die er gesucht hatte. Sie hatten sich ihren magischen Ritualen gewidmet, ausgedehnte Wanderungen in der Umgebung unternommen und im Meer gebadet. Er hatte angefangen die Wände, Türen und Fensterläden des Hauses in bunten Farben mit magischen Hintergründen zu bemalen. Das Haus war mehr und mehr zu ihrem ‚Tempel‘ geworden.

Sie hatten sich immer wieder sexualmagischer Riten bedient, wie er sie bei der O.T.O., einem magischen Orden, in dem er lange Mitglied gewesen war, erlernt hatte. Die Bevölkerung hatte ihr Treiben in dem kleinen Haus mit Argwohn beobachtet und seitdem mieden die Einwohner des Ortes ihn und seine Jünger und gingen ihnen aus dem Weg, wenn sie ihnen begegneten. Nur ein paar Kinder schienen keine Angst vor ihnen zu haben. Ihn persönlich hatte das nie gestört, weil er Ruhe und Einsamkeit immer bevorzugt hatte. Er hatte sich dem Schreiben von Büchern gewidmet und gelegentlich waren Gäste und Adepten in seine neue Abtei gekommen, um Zeit, Gebete und Rituale mit ihnen zu teilen. Sie hatten Gesetze und Regeln für ihre Gemeinschaft aufgestellt und hatten angefangen ihr gesamtes Tun in Tagebüchern festzuhalten.

Schon sehr früh hatte sich der erste Schatten auf die anfangs fröhliche Gemeinschaft gelegt. Am 14.10.1920 verstarb seine Tochter Poupèe nach kurzer heftiger Krankheit im Krankenhaus von Palermo, was ihn in langanhaltende Trauer versetzt hatte. Er hatte unter ihrem Tod so sehr gelitten, dass ihn im Nachhinein selbst unzählige Krankheiten heimsuchten, die mit großer Sicherheit vor allem durch seinen Gemütszustand bedingt gewesen waren.

Die Ausschweifungen in der Abtei hatten seit diesem Zeitpunkt kontinuierlich zugenommen und auch seine Jünger gaben sich immer häufiger magischen Praktiken unter Drogenkonsum hin. Einige seiner Anhänger liefen im Drogenwahn in den Weinbergen herum und den Bewohnern des Dorfes blieben die Vorgänge in seinem Haus nicht verborgen. Es wurde immer mehr über sie geredet und es machte sich eine immer stärker werdende, ablehnende Haltung bei der örtlichen Bevölkerung breit. Die Leute im Ort mieden sie und es wurde schwieriger die Dinge einzukaufen, die sie für das tägliche Leben brauchten.

Letztlich war Mitte Februar Raoul Loveday, ein befreundeter Student aus Oxford in der Abtei ums Leben gekommen, was erstmals die Behörden auf den Plan gerufen hatte. Eigentlich war das unverständlich gewesen, da Loveday nach einer gewöhnlichen Krankheit verstorben war, die er sich durch verdorbenes Wasser zugezogen hatte. Allerdings warf man der Gemeinschaft vor, dass sein Tod mit ihren Ritualen in Zusammenhang stehen würde. Zu diesem Irrglauben hatten vor allem die Aussagen von Lovedays Frau Betty May beigetragen. Sie war mit der Lebensweise in der Abtei nie einverstanden gewesen, war aber ihrem Mann trotzdem hierher gefolgt. Trotz Aleisters intensiven Bemühungen diese Vorwürfe zu entkräften, hatten die Behörden ihm nicht zuhören wollen. Zu oft war er in der Vergangenheit mit seiner kleinen Gemeinschaft bereits unangenehm aufgefallen. Das Ergebnis davon hielt er nun in Form der Ausweisung aus Italien in den Händen.

Er blickte wieder über die Bucht und den mächtigen Felsen von Cefalù. Mit dem Verlassen dieses Ortes würde sich einer seiner Träume in Luft auflösen und er würde wieder einmal von vorne anfangen müssen. Er fragte sich ob das sein ganzes Leben so weitergehen würde. Er stand auf und ging auf das Haus zu. Es war Zeit seine wenigen Sachen zu holen und aufzubrechen.

Catania, Mai 2013 - Der Nachlass

Gerhard griff ein weiteres Mal in die kleine Kiste, die vor ihm stand, und nahm daraus ein in schwarzes Leder gebundenes Notizbuch hervor. Im Inneren fanden sich handschriftliche Notizen, die mit Daten versehen waren und eingelegte Blätter mit Zeichnungen und weiteren Notizen. Gerhard fing an die ersten Einträge in englischer Sprache genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Handschrift war recht eigenwillig und fiel auffällig nach rechts, war aber sehr gut zu lesen. Gerhard las einen Eintrag von Mai 1921 und stellte fest, dass der Schreiber ein magisches Ritual zu beschreiben schien, das er mit einigen anderen Personen durchgeführt hatte. Der Rest des Eintrages war eher belanglos. Auf der nächsten Seite war von einem Kletterausflug an einen Felsen die Rede. Gerhard übersprang einige Zeilen und wollte das Büchlein gerade zur Seite legen, als er auf das Wort Cefalù stieß.

Er blätterte ein wenig aufgeregt weiter und fand schließlich den Namen Leah in Verbindung mit dem Ausdruck ‚Scarlet Woman‘ auf einer der Folgeseiten. Jetzt wurde ihm warm. Er zog sein Handy aus der Tasche und bemühte Google als Suchmaschine. Er gab einige Begriffe ein und scrollte dann die Bildergebnisse seines Handys durch. Er fand ein Bild und lud es auf sein Handy herunter um es vergrößern zu können. Es war ein Bild einer Handschrift und er fing an die Buchstaben der Schrift mit dem vorliegenden Büchlein zu vergleichen. Enzio sah seinen Gesichtsausdruck und fragte: „Geht es dir nicht gut, Gerhard?“

Gerhard atmete hörbar durch und legte sein Handy vor sich auf den Tisch. Er antwortete Enzio noch immer nicht, sondern blätterte in dem kleinen Büchlein weiter. Er entdeckte Zeichnungen, die ihn an andere Zeichnungen erinnerten, die er in Büchern gesehen hatte. Weitere Eintragungen und magische Symbole festigten seine Meinung und er war sich hundertprozentig sicher, was er hier vor sich hatte. Er blickte Enzio an: „Ich würde sagen, wenn wir das Buch von Lévi schon in den Bereich wertvoll einordnen, haben wir hier jetzt die Sensation vor uns liegen.“ Enzio sah ihn fragend und auffordernd zugleich an. „Dies ist eine Orginalhandschrift von Frater Perdurabo, oder sagen wir von To Meta Therion, dem großen Biest. Ein Tagebuch von Aleister Crowley mein lieber Enzio, dessen Wert ich nicht wirklich beziffern kann.“

Gerhard musste sich erst sammeln, bevor er wieder in die Kiste griff. Es waren noch zwei handschriftliche Dokumente in der Kiste, die ebenfalls die Handschrift Crowleys trugen. Ein weiteres Buch erschien Gerhard weniger interessant und es hatte keinen wirklichen Bezug zu den anderen Gegenständen der Kiste. Trotz allem war die Ausbeute so, dass Gerhard sie nicht erwartet hätte. Er griff wieder nach dem Tagebuch und blätterte darin herum. Es gab mehrere Tagebücher Crowleys und seiner Anhänger, die sich im Privatbesitz von okkulten Sammlern befanden. Hier hatten sie nun ein weiteres vor sich, das bei diesen Sammlern einen guten Preis erzielen würde. Plötzlich fiel Gerhard etwas ein. „Du sagtest, du hättest noch weitere Gegenstände deiner beiden Kunden im Lager“, Enzio nickte. Er stand auf und machte eine Handbewegung die Gerhard zum Folgen veranlasste.

Sie gingen durch Enzios Laden in den hinteren Teil des Hauses und kamen wieder in dem Raum an, in dem Gerhard eben die römischen Statuen bewundert hatte. Enzio ging mit ihm in eine Ecke des Raumes, wo etwas an der Wand lehnte, dass mit weißen Tüchern abgedeckt war. „Da sind sie“, sagte Enzio und deutete auf die Gegenstände. Gerhard ging zwei Schritte vorwärts und zog die Tücher vorsichtig von den Gegenständen. Er stellte fest, dass es sich um zwei flache Holzgegenstände handeln musste. Er entfernte weitere Tücher und war verwundert, wie gut man die Sachen eingepackt hatte. Als er die letzten Tücher entfernte, erkannte er zwei Gestalten, die auf den Holzhintergrund aufgemalt worden waren. Es handelte sich, den Scharnieren nach zu urteilen, um zwei zusammengehörende Fensterläden. Die beiden in Gewänder gekleideten Figuren auf den Läden waren von ihrem Stil her für Gerhard eindeutig zuordnungsbar. Bei genauerer Betrachtung konnte er in der unteren Ecke die typische Unterschrift entdecken, bei der der Anfangsbuchstabe des Vornamens wie ein großer Phallus dargestellt war. Was er hier sah, konnte er nicht fassen. Er drehte sich um und sagte: „Enzio – das was du hier hast, ist einfach unfassbar!“

Termini Imerese, Mai 2013 - Routinearbeit

Die beiden Männer kletterten auf der Rückseite des kleinen, am Meer gelegenen, Hauses über die Mauer und sprangen hinunter in den ungepflegten Garten. Sie duckten sich in das Gras und sahen sich kurz an. Das Haus war dunkel und es war kein Geräusch zu vernehmen, lediglich eine Katze gab irgendwo in der Nähe ein fürchterliches Klagelied zum Besten. Der Mond beschien die Szenerie, während die Männer gebückt durch den Garten auf die Balkontür zueilten. Dort angekommen setzte der eine seinen Rucksack ab und holte Werkzeug hervor. Er setzte einen Schraubenzieher gekonnt am Schloss im Türrahmen an und hatte mit wenigen Bewegungen die Tür geöffnet, die augenblicklich mit einem leichten Knarzen nach außen aufsprang.

Das Haus war nicht gut gesichert, weil die Eigentümer wohl nie über die Möglichkeit eines Einbruchs nachgedacht hatten. Das war verständlich, da das Haus bis zum Tod der letzten Besitzerin immer durchgängig bewohnt gewesen war. Außerdem handelte es sich bei dem Anwesen nicht um eine der vielen Villen in diesem Ort, sondern um ein gewöhnliches Landhaus. Die beiden Männer huschten ins Innere des Hauses und knipsten ihre Taschenlampen an. Sie hatten einen Auftrag erhalten und wussten genau wonach sie zu suchen hatten. Sie kannten ihren Chef, der sie immer nur für genau solche Zwecke anheuerte mittlerweile gut - und er zahlte diese Dienste immer entsprechend.

Die beiden Männer teilten sich die Räume des Hauses auf. Sie wussten, dass sie keine Bewohner zu befürchten hatten, da das Haus nun leer stand. Außerdem lag es jenseits einer Bahnlinie und man konnte es nur über eine sehr schmale Zufahrtsstraße erreichen, in die sich wohl sonst niemand verirren würde. Das Paar, dem das Haus vererbt worden war, lebte in Rom und versuchte seit einiger Zeit Teile des Interieurs zu veräußern. Durch diesen Umstand war auch ihr Chef auf die Beiden aufmerksam geworden. Sie hatten ihm verschiedene Gegenstände des Hauses zum Verkauf angeboten.

Scheinbar hatten die Besitzer auch bereits einige andere Händler bemüht und Manuelo De Luca war nur einer ihrer Ansprechpartner gewesen. Sie hatten ihm einige interessante Stücke angeboten, die aufgrund ihres Alters einen gewissen Wert dargestellt hatten. Etwas Besonderes waren sie allerdings nicht gewesen. Die Beiden hatten ihm außerdem eine Kiste mit kleineren Bildern und Fotografien dagelassen, die er für sie verkaufen sollte.

Er hatte sie durchgesehen und keine große Hoffnung gehabt, die Gemälde gewinnbringend an den Mann zu bringen. Eine Handzeichnung hatte dann schließlich doch seine Aufmerksamkeit erregt.

- Ende der Buchvorschau -

Impressum

Texte © Copyright by Marc Debus Saalburgstr 30 61267 Neu Anspach [email protected]

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ISBN: 978-3-9469-2218-6