Theo Boone und der große Betrug - John Grisham - E-Book

Theo Boone und der große Betrug E-Book

John Grisham

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Beschreibung

Theo Boone ist als jüngster Anwalt aller Zeiten bereit, alles für die Gerechtigkeit zu riskieren. Diesmal steht er vor einer ganz neuen Herausforderung: Er muss sich auf die Aufnahmeprüfung für die Highschool vorbereiten. Eine Riesensache, die ihm schlaflose Nächte bereitet. Denn die standardisierten Tests sind unberechenbar. Und als ob das noch nicht genug wäre, erzählt ihm seine beste Freundin April von einem ungeheuerlichen Skandal – ein groß angelegter Betrugsfall, in den offenbar auch Theos Lehrer verwickelt sind. Da ist Theo Boones Spürsinn gefragt, denn natürlich will er der Wahrheit auf die Spur kommen ...

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Seitenzahl: 211

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Das Buch

So leicht lässt sich Theo Boone eigentlich nicht aus der Ruhe bringen: Schließlich ist er der Sohn zweier Anwälte und hat in seiner Heimatstadt Strattenburg sogar schon einmal in einem Mordfall ermittelt. Doch die Aufnahmeprüfungen für die Highschool bereiten Theo echtes Bauchgrummen, vor den manchmal ziemlich gemeinen Testfragen hat er richtig Angst. Theo ist nicht der Einzige, der nicht mehr ruhig schlafen kann. Auch seine beste Freundin April ist auf ein gutes Prüfungsergebnis angewiesen, schließlich will sie die begehrten Kunstkurse an der Highschool belegen.

Da stößt April auf ein schockierendes Geheimnis. Eines, das nicht nur die Aufnahmeprüfungen in Frage stellt, sondern auch die Ehrlichkeit von Theos Lehrern. Theo Boone ist gefragt, schon um der Gerechtigkeit willen muss er der Sache auf den Grund gehen.

Der Autor

John Grisham wurde am 8. Februar 1955 in Jonesboro, Arkansas, geboren, studierte in Mississippi und ließ sich 1981 als Anwalt nieder. Ein Aufsehen erregender Fall brachte ihn zum Schreiben. In Früh- und Nachtschichten wurde daraus sein erster Thriller, Die Jury, der in einem kleinen, unabhängigen Verlag erschien – der Beginn einer beispiellosen Erfolgsgeschichte. Inzwischen hat er 29 Romane, ein Sachbuch, einen Erzählband und sechs Jugendbücher veröffentlicht, die in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurden. Er lebt in Virginia.

John Grisham

Theo Boone

THEO BOONE UND DER GROSSE BETRUG

Roman

Aus dem Amerikanischen von Imke Walsh-Araya

Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel Theodore Boone: The Scandalbei Dutton Children’s Books / Penguin, New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Copyright © 2016 by Belfry Holdings, Inc.

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik-Design, München,

unter Verwendung eines Motivs

von © Getty Images/Sam Adams

Redaktion: Charlotte Lungstrass-Kapfer

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-19653-0V001

www.heyne-fliegt.de

Eins

Theodore Boone wachte schlecht gelaunt auf. Tatsächlich war er schon mit schlechter Laune ins Bett gegangen, und die hatte sich über Nacht nicht gebessert. Während die ersten Strahlen der Morgensonne sein Zimmer erhellten, starrte er an die Decke und überlegte, wie er sich vor der ganzen Woche drücken konnte. Normalerweise mochte er die Schule – seine Freunde, die Lehrer, die meisten Fächer, den Debattierclub –, aber manchmal wollte er einfach nur im Bett bleiben. Heute war so ein Tag, vor ihm lag nämlich die schlimmste Woche des Jahres. Ab morgen, Dienstag, würden er und die anderen Achtklässler bis zum Freitag an ihre Schulbänke gefesselt eine ekelhafte Prüfung nach der anderen absolvieren.

Judge spürte, dass etwas nicht stimmte, und hatte sich irgendwann von seinem Platz neben dem Bett auf die Bettdecke verfrachtet. Mrs. Boone hielt nichts davon, dass der Hund bei Theo im Bett schlief, aber sie las unten in aller Ruhe die Morgenzeitung und bekam bestimmt nichts mit. Oder vielleicht doch? Manchmal entdeckte sie ein Hundehaar an der Bettwäsche und fragte Theo, ob Judge bei ihm im Bett schlief. Meistens sagte Theo Ja, ließ diesem Geständnis aber gleich die Frage »Was soll ich machen?« folgen. Er konnte den Hund schlecht im Auge behalten, wenn er, Theo, fest schlief. Und ganz ehrlich, eigentlich wollte Theo den Hund gar nicht bei sich im Bett haben. Judge hatte die nervige Angewohnheit, sich mitten im Bett auszustrecken, sodass Theo bloß die Bettkante blieb, wo er oft nur knapp einer schmerzhaften Landung auf dem Boden entging. Nein, Theo war es lieber, wenn Judge in seinem kleinen Hundebett auf dem Boden schlief.

Tatsächlich tat Judge aber, was er wollte, und zwar nicht nur in Theos Zimmer, sondern in jedem Raum im Haus.

An Tagen wie heute beneidete Theo seinen Hund. Was für ein Leben: keine Schule, keine Hausaufgaben, keine Prüfungen, kein Druck. Er aß, wann ihm danach war, döste den Großteil des Tages in der Kanzlei und wirkte meist völlig unbekümmert. Die Boones sorgten für ihn, und er tat, was er wollte.

Widerwillig krabbelte Theo aus dem Bett, tätschelte seinem Hund den Kopf, wünschte ihm – allerdings nicht mit dem üblichen Elan – einen guten Morgen und schleppte sich ins Bad. In der vergangenen Woche hatte der Kieferorthopäde seine Zahnspange nachgestellt, und Theo tat immer noch der Kiefer weh. Er grinste sich selbst im Spiegel an, musterte das verhasste Metall in seinem Mund und versuchte, sich damit aufzumuntern, dass die Spange vielleicht noch rechtzeitig vor der neunten Klasse herauskommen würde.

Er stellte sich unter die Dusche und dachte über die neunte Klasse nach. Highschool. Er war einfach noch nicht bereit dafür. Er war dreizehn und fühlte sich an der Strattenburg Middleschool sehr wohl, wo er seine Lehrer mochte, zumindest die meisten, den Debattierclub leitete, es fast schon bis zum Eagle Scout gebracht hatte und überhaupt eine Führungspersönlichkeit war. Auf jeden Fall war er der einzige Nachwuchsanwalt unter den Schülern und seines Wissens der Einzige in seinem Alter, der davon träumte, entweder ein großer Prozessanwalt oder ein brillanter junger Richter zu werden. Er konnte sich nicht entscheiden. In der neunten Klasse würde er wieder einer der »Kleinen« sein und ganz unten anfangen müssen. Vor den Kleinen hatte keiner Respekt. Die Middleschool war in Ordnung, weil Theo seinen Platz gefunden hatte, einen Platz, den es in wenigen Monaten nicht mehr geben würde. Highschool bedeutete Football, Basketball, Cheerleader, Autofahren, Mädchen, Bands, Theater, große Klassen, Klamotten, Rasieren – eben Erwachsenwerden. So weit war er einfach noch nicht. Die meisten seiner Freunde wollten so schnell wie möglich erwachsen werden, aber Theo war da anders.

Er stieg aus der Dusche und trocknete sich ab. Judge beobachtete ihn, wobei er bestimmt nur an sein Frühstück dachte. Der Hund hatte es gut.

Während sich Theo die Zähne oder vielmehr die Spange putzte, musste er sich eingestehen, dass sich sein Leben veränderte. Die Highschool tauchte langsam am Horizont auf. Ein unübersehbares und höchst unangenehmes Alarmsignal waren die zentral abgestimmten Prüfungen, eine furchtbare Idee, die sich irgendwelche Experten weit weg hatten einfallen lassen. Diese Leute hatten beschlossen, dass alle Achtklässler im Bundesstaat unbedingt gleichzeitig dieselben Prüfungen schreiben mussten, damit die Leiter der Strattenburg Middleschool und aller anderen Schulen wussten, wo sie standen. Das war der eine Grund für die Prüfungen. Zumindest in Strattenburg gab es noch einen weiteren, da so die Achtklässler für die Highschool in drei Gruppen eingeteilt wurden: Die klügsten Köpfe landeten direkt im besonders anspruchsvollen Honors-Programm. Schwächere Schüler mussten in Klassen, die es deutlich langsamer angingen. Und die Durchschnittsjugendlichen wurden ganz normal behandelt und durften einfach so die Highschool besuchen.

Und schließlich sollte durch die Prüfungen auch die Leistung der Lehrer bewertet werden. Wenn die Klasse eines Lehrers besonders gut abschnitt, erhielt er einen Bonus. Und wenn die Klasse schlecht abschnitt, drohten dem Lehrer alle möglichen unangenehmen Konsequenzen. Bis hin zur Kündigung.

Selbstverständlich war der gesamte Prozess der Prüfung, Benotung, Einteilung und Lehrerbewertung mittlerweile höchst umstritten. Die Schüler hassten ihn. Die meisten Lehrer mochten ihn nicht. Fast alle Eltern wollten ihre Kinder in eine Honors-Klasse schicken, und fast alle wurden enttäuscht. Diejenigen, deren Kinder in den »langsamen Klassen« gelandet waren, waren enttäuscht und geradezu beschämt.

Das Thema war heiß umstritten. Mrs. Boone war strikt gegen die Prüfungen, daher war Mr. Boone natürlich dafür. Die Familie redete seit Wochen darüber – beim Abendessen und im Auto, ja sogar beim Fernsehen. Seit einem Monat bereiteten die Lehrer ihre Schüler auf die Prüfungen vor. »Prüfungsvorbereitung« war das Wort der Stunde und bedeutete, dass es keinerlei kreativen Unterricht mehr gab und die Stunden nicht den geringsten Spaß machten.

Theo hatte die Prüfungen schon jetzt gründlich satt, dabei hatten sie noch nicht einmal angefangen.

Er zog sich an, schnappte sich seinen Rucksack und ging nach unten, dicht gefolgt von Judge. Er begrüßte seine Mutter, die es sich wie immer im Bademantel auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte, ihren Kaffee schlürfte und die Zeitung las. Mr. Boone ging immer schon früh aus dem Haus und traf sich mit seinen Freunden im immer gleichen Diner in der Innenstadt, um sich bei einem Kaffee über die neuesten Gerüchte auszutauschen.

Theo machte zwei Teller mit Cheerios fertig und stellte einen davon für Judge auf den Boden. Sie aßen fast immer schweigend, aber manchmal gesellte sich Mrs. Boone zu einem Schwätzchen zu ihnen. Normalerweise, wenn sie den Verdacht hegte, dass etwas nicht stimmte. Heute kam sie in die Küche, goss sich Kaffee nach und setzte sich ihrem Sohn gegenüber.

»Was ist für heute geplant?«, fragte sie.

»Noch mehr Stoff wiederholen, noch mehr Prüfungsaufgaben üben.«

»Bist du nervös?«

»Eigentlich nicht. Ich habe nur jetzt schon die Nase voll. Ich bin in diesen Prüfungen nicht gut, deswegen mag ich sie nicht.«

Das stimmte. Theo hatte fast nur Einsen, vielleicht mal eine Zwei in Naturwissenschaften, aber bei diesen zentral vorgegebenen Prüfungen hatte er noch nie gut abgeschnitten.

»Was, wenn ich es nicht ins Honors-Programm schaffe?«

»Teddy, du wirst dich in der Highschool, am College und im Jurastudium, falls du dich dafür entscheidest, hervorragend schlagen. Mach dir wegen der neunten Klasse keinen Kopf.«

»Danke, Mom.«

Die Worte seiner Mutter taten gut, auch wenn sie ihn »Teddy« genannt hatte, ein Spitzname, den glücklicherweise nur sie verwendete und auch nur, wenn sie allein waren.

Theo hatte Freunde, deren Eltern wegen der Prüfungen am Rad drehten und schlaflose Nächte hatten. Sie waren fest davon überzeugt, dass ihre Kinder keine Chance im Leben haben würden, wenn sie es nicht ins Honors-Programm schafften.

Das kam Theo albern vor.

»Du weißt wahrscheinlich, dass es landesweit Proteste gegen diese Prüfungen gibt«, sagte seine Mutter. »Sie werden immer unbeliebter, und offenbar wird immer wieder geschummelt.«

»Wie kann man bei einer zentral vorgegebenen einheitlichen Prüfung schummeln?«

»Das weiß ich auch nicht genau, aber ich habe von einigen Fällen gelesen. In einem Bezirk haben die Lehrer die Antworten nachträglich geändert. Kaum zu glauben, was?«

»Warum tut ein Lehrer so was?«

»In dem Fall war die Schule nicht besonders gut und hatte vom Bezirk nur eine vorläufige Zulassung bekommen. Außerdem wollten die Lehrer ihren Bonus. Die Sache ist komplett sinnlos.«

»Ich glaube, ich werde krank. Bin ich blass?«

»Nein, Teddy. Du siehst völlig gesund aus.«

Es war acht Uhr, er musste weg. Er wusch beide Teller aus und stellte sie in die Spüle, wie immer.

Er küsste seine Mutter auf die Wange.

»Ich muss los«, sagte er.

»Hast du Geld fürs Mittagessen?« Das fragte sie fünfmal pro Woche.

»Wie immer.«

»Und die Hausaufgaben sind erledigt?«

»Alles unter Kontrolle, Mom.«

»Wann sehe ich dich?«

»Ich komme nach der Schule in der Kanzlei vorbei.« Theo kam jeden Tag nach der Schule in der Kanzlei vorbei, aber Mrs. Boone fragte trotzdem immer.

»Pass auf dich auf. Und vergiss nicht: Immer lächeln.«

»Ich lächle doch, Mom.«

»Hab dich lieb, Teddy.«

»Ich dich auch.«

Theo ging nach draußen und verabschiedete sich von Judge, der immer mit Mrs. Boone im Auto in die Kanzlei fuhr, wo er den ganzen Tag aß, schlief und sich nicht die geringsten Sorgen machte. Theo sprang auf sein Rad und flitzte davon, wobei er sich wieder einmal wünschte, die nächsten vier Tage ein Hund sein zu können.

Zwei

Um 8.40 Uhr ertönte der Gong, und Mr. Mount rief seinen Trupp zur Ordnung. Am Montag ging es normalerweise recht turbulent zu, weil alle sich unbedingt erzählen mussten, was sie am Wochenende erlebt hatten. Heute war die Stimmung jedoch gedrückt. Allen, die mit der achten Klasse zu tun hatten, von den Schülern über die Lehrer bis hin zur Schulleitung und vielleicht sogar den Sekretärinnen und Hausmeistern, graute vor der bevorstehenden Woche.

Woody hob die Hand. »Ich habe einen Vorschlag, Mr. Mount. Ich will gar nicht ins Honors-Programm, und für die langsamere Gruppe bin ich viel zu gut – warum kann ich mir nicht einfach die Prüfungen ersparen und direkt in eine normale Klasse gehen?«

Mr. Mount lächelte. »Weil die Prüfungen von der Schule vorgeschrieben sind. Unter anderem, um sicherzustellen, dass unsere Schule gute Arbeit leistet.«

»Unsere Schule gehört zu den besten zehn Prozent im Bundesstaat, zumindest wird uns das hier die ganze Zeit erzählt«, konterte Woody. »Natürlich leisten wir gute Arbeit. Wir haben kompetente Lehrer und brillante Schüler, was braucht man mehr?«

»Tut mir leid. Ich habe auch nicht viel für diese Tests übrig, aber ich habe die Regeln nicht gemacht.«

Woody war groß in Fahrt. »Schon, aber sehen Sie sich doch nur mal im Klassenzimmer um. Wir wissen, dass Chase und Joey und Aaron und vielleicht noch Theo gut genug für das Honors-Programm sind. Wir wissen auch, dass die Schwächeren – Justin und Darren und natürlich Edward – in der langsameren Gruppe landen werden. Warum können wir anderen nicht einfach zugeben, dass wir zum Durchschnitt gehören, und die Prüfungen sausen lassen?«

Das trug ihm Buhrufe von allen Seiten ein.

»Sprich für dich selbst, du Blödmann«, zischte Edward.

»Mein IQ ist auf jeden Fall höher als deiner«, rief Darren auf der anderen Seite des Klassenzimmers.

»Du bist in Sport fast durchgefallen«, brüllte Justin von hinten.

»Okay, okay.« Mr. Mount hob beide Hände. »Das reicht für den Augenblick.«

»Ich glaube, ich muss mich übergeben«, sagte Woody. »Mir ist furchtbar schlecht.«

»Lass es sein. In der ersten Stunde wiederholt ihr bei Mrs. Garman Mathe. Dann kommt Sprachkunde und Literatur bei Mrs. Eberlee, danach habt ihr fünfzehn Minuten Pause. Ich weiß, dass ihr aufgeregt seid. Ab mit euch.«

Stöhnend trotteten sie aus dem Klassenzimmer, als ginge es zur Schlachtbank.

Nach drei Stunden Quälerei freuten sich die Schüler besonders auf die halbe Stunde Mittagspause in der Cafeteria. Theo wollte weg von den anderen Jungen und hatte gesehen, dass April Finnemore allein an einem Tisch saß. Also nahm er sein Tablett mit Spaghetti und Salat und ließ sich auf dem Stuhl neben ihr nieder.

»Wie läuft’s bei dir?«, fragte er.

»Hallo, Theo«, sagte sie leise.

Die beiden waren eng befreundet, aber nicht verliebt, obwohl Woody und die anderen Theo oft wegen seiner sonderbaren Freundin aufzogen. April war anders, aber nicht sonderbar. Sie war ernst, oft launisch und wurde von ihren Mitschülerinnen häufig missverstanden. Sie kleidete sich eher wie ein Junge als wie ein Mädchen, trug das Haar sehr kurz und interessierte sich nicht für Mode, Teenagergetratsche, soziale Medien und all das andere Zeug, das ihr trivial erschien. Sie liebte die Kunst und wollte Malerin werden, in Paris oder Santa Fe, irgendwo weit weg von zu Hause, wo sie es nicht mehr aushielt. Ihre Eltern waren durchgeknallt. Ihre älteren Geschwister, ein Bruder und eine Schwester, hatten bereits die Flucht ergriffen. Sie war oft allein und auf sich gestellt.

Theo war so ziemlich der Einzige in der achten Klasse, der versuchte, sie zu verstehen.

»Geht dir das Ganze auch so auf den Keks wie mir?«, fragte er.

»Und ob. Wenn es bloß schon Freitag wäre, dann hätten wir die Prüfungen hinter uns.«

»Bist du aufgeregt?«, fragte er und schaufelte eine Ladung Spaghetti in sich hinein.

»Ja, sehr. Ich muss es ins Honors-Programm schaffen, Theo, weil das Kunstangebot besser ist. Alles andere ist mir egal. Die Kunstkurse sind klein, und das Honors-Programm hat die besten Lehrer.« Sie sprach leise, während sie ein paar Salatblätter auf ihrem Teller hin und her schob. April aß wie ein Vögelchen. Das Brötchen hatte sie noch nicht angerührt, und Theo machte sich Hoffnungen darauf.

»Du schaffst das schon, April. Du könntest lauter Einsen schreiben, wenn du wolltest.« Das klappte nur deshalb nicht, weil sie von ihren Eltern keine Unterstützung bekam. Sie fehlte von allen Schülern am häufigsten und erschien oft unvorbereitet im Unterricht. In Französisch und Spanisch hatte sie beste Noten, aber alles andere interessierte sie nicht. Außer Kunst.

»Wie läuft es zu Hause?«, fragte er, wobei er sich verstohlen umsah. Das war eine heikle Frage, weil man nie wusste, wie die Antwort ausfallen würde. Die Finnemores lebten in einem gemieteten Haus in einem heruntergekommenen Viertel von Strattenburg, und April vermied es, andere Schüler zu sich einzuladen. Theo verstand das.

»Geht schon. Immer dasselbe. Ich bleibe möglichst in meinem Zimmer, male und lese.«

»Freut mich, dass du zurechtkommst.«

»Danke, Theo. Du schneidest in den Prüfungen sicher gut ab.«

»Ist mir eigentlich nicht wichtig.«

»Doch, das ist es. Du bist ein guter Schüler, und du bist ehrgeizig. Du willst immer zu den Besten gehören, bestimmt auch im Jurastudium später. Erzähl mir nicht, das wäre dir nicht wichtig.«

»Okay, vielleicht ein bisschen. Aber mir kommt es so vor, als wäre es bis zum Studium noch eine Ewigkeit.«

»Ist es auch. Bringen wir erst mal die Highschool hinter uns.«

»Guter Plan.«

Ein Junge namens Pete kam von der anderen Seite der Cafeteria auf sie zu und sah aus, als wollte er etwas sagen. Er war auch in der Achten, aber in einem anderen Zweig, und Theo kannte ihn kaum. Seine Hände waren leer, er hatte weder ein Tablett noch selbst mitgebrachtes Essen dabei. Langsam setzte er sich und blickte nervös von April zu Theo.

»Hallo, Pete«, sagte Theo.

»Kann ich mit dir reden?«, fragte der schüchtern, als hätte sich April plötzlich in Luft aufgelöst.

»Klar. Was gibt’s?«

»Kann ich mit dir unter vier Augen sprechen?«

»Ich bin sowieso schon fertig«, sagte April, nahm ihr Tablett und ging. »Bis später, Theo.«

»Tut mir leid«, sagte Pete, als sie weg war. »Ich wollte euch nicht stören.«

Hast du aber, dachte Theo, doch das behielt er für sich. Der Junge hatte einen blauen Fleck an der Wange und wirkte verstört.

»Können wir nach draußen gehen?«, fragte er.

»Hast du schon gegessen?«, erkundigte sich Theo.

Er nickte zögernd, als wäre er sich nicht sicher. »Ja.«

Theo stopfte sich so viele Spaghetti wie möglich in den Mund und brachte sein Tablett zur Theke. Sie gingen nach draußen auf den Schulhof und drehten am äußeren Rand eine Runde, wobei sie möglichst viel Abstand zu den anderen Schülern hielten. Aus der einen Runde wurden mehrere, bis Theo schließlich das Wort ergriff.

»Was ist mit deinem Gesicht passiert?«

»Du kennst dich doch mit Rechtsanwälten und so aus, stimmt’s?«

»Könnte man sagen. Meine Eltern sind beide Anwälte, da bekomme ich einiges mit. Um was geht es?«

»Mein Vater trinkt viel und nimmt auch Drogen. Letzten Samstag ist er am späten Abend völlig betrunken nach Hause gekommen, und es gab einen riesigen Streit mit meiner Mutter. Er hat auf sie eingedroschen, ihr die Lippe blutig geschlagen. Ich bin der Älteste und habe noch zwei kleine Schwestern, ich wollte meiner Mutter helfen. Da hat er mir auch ein paar verpasst. Meine Schwester Sharon, sie ist zehn, hat die Polizei gerufen. Die hat meinen Vater mitgenommen. Es war furchtbar, einfach nur furchtbar. Jetzt sitzt er im Gefängnis, und meine Mutter und ich und meine Schwestern, wir haben alle furchtbare Angst, weil wir nicht wissen, was passiert, wenn er wieder auf freien Fuß kommt.«

Theo hörte ihm aufmerksam zu, während sie immer weiter ihre Runden drehten. »Ist das früher schon einmal passiert?«

»Ja, aber mich hat er noch nie geschlagen. Vor ein paar Monaten hat meine Mutter gedroht, die Polizei zu rufen, da hat er sich wieder beruhigt. Er hat gesagt, er bringt sie um, wenn sie mit irgendwem darüber redet. Wenn sie jetzt mit der Polizei spricht, wandert er ins Gefängnis und verliert seine Arbeit. Wir haben nicht viel Geld, Theo. Meine Mutter hat zwei Teilzeitstellen, und es ist einfach aussichtslos. Was soll meine Mutter tun? Den Mund halten und warten, bis er sie irgendwann totschlägt, oder der Polizei alles sagen, damit er im Gefängnis landet? Wir wissen nicht, was wir tun sollen, Theo.«

Theo war erst dreizehn. Das waren Fragen, auf die auch Erwachsene keine Antwort gewusst hätten. »Ist er immer noch im Gefängnis?«

»Ja. Er hat gestern vom Gefängnis aus zu Hause angerufen und gesagt, er kommt heute frei. Meine Mutter hat Todesangst. Ich auch.«

»Kennt deine Mutter einen Anwalt?«

Pete schnaubte. Was für eine dumme Frage. »Wir können uns keinen Anwalt leisten, Theo. Deswegen rede ich mit dir.«

»Ich bin kein Anwalt, und ich kann euch rechtlich nicht beraten.«

»Das ist mir klar. Aber was sollen wir tun?«

Theo fühlte sich überfordert, aber er konnte die Sache auch nicht auf sich beruhen lassen. Wenn er nichts unternahm, waren Petes Mutter und vielleicht auch Pete selbst in großer Gefahr.

»Meine Mutter wird wissen, was zu tun ist. Sie ist die beste Scheidungsanwältin von Strattenburg und hat vor gar nichts Angst. Kannst du heute Nachmittag mit deiner Mutter in die Kanzlei kommen?«

»Ich weiß nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob meine Mutter das macht. Wenn mein Vater herausfindet, dass sie beim Anwalt war, dreht er vielleicht wieder durch. Sie sitzt in der Falle, Theo. Meine Mutter sitzt in der Falle und kann weder vor noch zurück.«

Theo blieb stehen und legte Pete die Hand auf die Schulter. »Jetzt hör mir mal zu, Pete. Ich weiß nicht, was ihr tun sollt, und du weißt es auch nicht, aber wir sind erst dreizehn. Meine Mutter schlägt sich ständig mit solchen Sachen herum, und deine Mutter wird von ihr die beste Beratung bekommen, die es gibt. Sie wird genau wissen, was zu tun ist. Vertrau mir, und vertrau ihr. Ich gebe dir die Adresse und spreche dann mit meiner Mutter. Wir treffen uns heute Nachmittag in der Kanzlei, und dann geht es wieder aufwärts. Versprochen.«

Petes Lippen bebten, und seine Augen glänzten feucht.

»Danke, Theo«, brachte er heraus, dann versagte ihm die Stimme.

Eine Stunde später quälte Theo sich durch die Grundlagen der Biologie, als er wieder an Pete denken musste. Der arme Kerl erlebte einen Albtraum. Er hatte Angst, von seinem Vater verprügelt zu werden, und fürchtete um das Leben seiner Mutter. Wie sollte ein Schüler wie Pete vier Tage lang Prüfungen schreiben, sich auf die Tests konzentrieren und auch noch genügend Punkte für die richtige Einstufung in der Highschool erzielen? Dabei konnte das für seine Zukunft entscheidend sein. Sinnvoll war das nicht, fand zumindest Theo.

Drei

Als der Schlussgong ertönte, schnappte sich Theo seinen Rucksack und stürmte aus der Schule. Er sprang auf sein Fahrrad und flitzte davon. Zehn Minuten später hielt er mit quietschenden Reifen vor der Kanzlei Boone & Boone, die ihre Räume in einem zweistöckigen früheren Wohnhaus in der Park Street hatte. Er schob sein Fahrrad in die Einfahrt und stellte es auf der Veranda ab. Dann atmete er tief durch und ging durch die Tür, wo er sofort von Elsa, der uralten Sekretärin und Empfangsdame der Kanzlei, attackiert wurde. Sie sah sich als zweite Mutter von Theo.

»Hallo, Theo!«, rief sie entzückt, als sie ihn entdeckte, und stürzte sich auf ihn. Sie schloss ihn fest in die Arme und hielt ihn dann auf Abstand, um seine Kleidung zu inspizieren.

»Hast du das Hemd nicht letzten Freitag angehabt?«, fragte sie.

»Habe ich nicht.« Er fand es nervig, dass Elsa ihn jeden Tag kontrollierte. Er war dreizehn, und es war ihm egal, was er anhatte. Da konnte es ihr auch egal sein.

»Wie war dein Tag?«, fragte sie und zwickte ihn in die Wange.

»Furchtbar. Einfach nur furchtbar. Und ab morgen wird es noch schlimmer.«

»Ach, Theo. Denk lieber an die armen Kinder überall auf der Welt, die keine schöne Schule und keine qualifizierten Lehrer haben und kein gesundes Mittagessen bekommen. Sei stets dankbar für das, was du …«

»Ich weiß, ich weiß«, sagte Theo und wich einen Schritt zurück. Er hatte diese Belehrungen so satt. »Was gibt’s in der Küche?«

Um drei Uhr nachmittags war er immer am Verhungern, und in der Teeküche der Kanzlei gab es stets eine Kleinigkeit zu essen. Judge erhob sich endlich aus seinem Körbchen unter Elsas Schreibtisch, einem seiner vielen Ruheplätze in der Kanzlei, und begrüßte Theo. Theo tätschelte ihm den Kopf. Was für ein Leben.

»Ich glaube, Dorothy hat Brownies mitgebracht«, sagte Elsa.

»Hoffentlich nicht diese kleinen Dinger mit Erdnussbutter. Die schmecken wie Pappe.« Selbst Judge verschmähte Dorothys Brownies.

»Also wirklich, Theo.« Elsa war mit den Gedanken schon wieder bei der Arbeit. Sie war dünn und hatte nie Appetit, und sie trug gern hautenge Hosen und Pullis, um zu zeigen, wie dünn sie war. Mrs. Boone behauptete, Elsa könne sich das nur leisten, weil sie mindestens siebzig war.

»Ist meine Mutter da?«, fragte er.

»Ja, aber sie hat eine Mandantin da.«

»Ich brauche einen Termin bei ihr.«

»Theo, du brauchst keinen Termin, um deine Mutter zu sprechen.«

»Nicht für mich, Elsa, für einen Freund. Ich lasse mich noch nicht scheiden.«

Elsa warf einen Blick auf einen großen Kalender auf ihrem Schreibtisch. Das war ihr Tagesplaner, ein extrem wichtiges Dokument, weil darin alles verzeichnet war, von Kundenbesprechungen und Gerichtsterminen bis zu Urlauben und Theos Besuchen beim Kieferorthopäden. »Um halb fünf hat sie Zeit.«

»Danke«, sagte Theo. »Falls ein Pete Holland anruft, das ist für mich.«

Theo stürmte die Treppe hinauf in den ersten Stock, wo sein Vater residierte. Wie üblich saß Mr. Boone mit der Pfeife im Mund und gelockerter Krawatte hinter seinem großen, überquellenden Schreibtisch und sah aus, als würde er sich seit Tagen durch Berge von Papier wühlen. Er lächelte.

»Hallo, Theo, war’s schön in der Schule?«

Theo ließ sich auf einen Stuhl fallen, und Judge setzte sich neben ihn. »Einfach furchtbar, Dad, grauenhaft. Ich habe die Schule satt.«