Tod an der Förde - Hannes Nygaard - E-Book + Hörbuch

Tod an der Förde E-Book und Hörbuch

Hannes Nygaard

4,5

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Beschreibung

Ein argentinischer Marineoffizier wird in Kiel ermordet, doch bevor die Kieler Kripo mit den Ermittlungen beginnen kann, wird ihr der Fall wieder entzogen. Ein unerschrockener Staatsanwalt und Kriminalrat Lüders vom polizeilichen Staatsschutz wollen sich jedoch nicht beugen - und die Hölle bricht über die Beamten und ihre Familien herein. Dennoch durchdringt Lüders Stück für Stück die verwobenen Machenschaften von Politik, Wirtschaftslobby und internationalem Waffenhandel, die niemand im beschaulichen Kiel vermutet hätte. Ein spannender Thriller, der aufzeigt, dass man selbst seinen Freunden nie trauen sollte.

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Seitenzahl: 339

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Zeit:4 Std. 43 min

Sprecher:Charles Brauer

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Rainer Dissars-Nygaard, Jahrgang 1949, studierte Betriebswirtschaft und war als Unternehmensberater tätig. Er lebt als freier Autor auf der Insel Nordstrand. Im Emons Verlag erschienen unter dem Pseudonym Hannes Nygaard die Hinterm Deich Krimis »Tod in der Marsch«, »Vom Himmel hoch«, »Mordlicht«, »Tod an der Förde«, »Todeshaus am Deich«, »Küstenfilz«, »Todesküste«, »Tod am Kanal«, »Der Inselkönig«, »Der Tote vom Kliff«, »Sturmtief« sowie die Niedersachsen Krimis »Mord an der Leine« und »Niedersachsen Mafia«. In der Emons-TATORT-Reihe erschienen »Erntedank« und »Borowski und die einsamen Herzen«.

www.hannes-nygaard.de

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

© 2006 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagzeichnung: Heribert Stragholz Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch, Berlin eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-045-2 Hinterm Deich Krimi 4 Originalausgabe

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Dieser Roman wurde vermittelt durch die Agentur EDITIO DIALOG,

Für meine Familie

EINS

Es war ein angenehmes Gefühl, das sich über den ganzen Körper ausbreitete. Ein wohliges Prickeln lag auf der Haut und zog sich über den Nacken zum Kopf. Seine Nase nahm den feinen Duft des Parfums von der jungen Frau an seiner Seite auf. Er spürte ihre Wärme.

Ein Strahlen lag in ihrem Blick. Dann streckte sie ihren Kopf empor und spitzte den Mund. Er hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen.

Endlich war es so weit. Annika hatte mit einem sanften Lächeln seinem vorsichtigen Drängen nachgegeben. Sein Herz schlug schneller, das Blut pulsierte durch den Körper.

Die Dämmerung war bereits hereingebrochen, und in der ruhigen Seitenstraße, die von der Kiellinie, der Promenade am Ufer der Förde, zum Parkplatz seines Autos führte, waren keine Passanten mehr unterwegs.

Lediglich ein gut gekleideter Mann mittleren Alters schien ihren Weg kreuzen zu wollen. Der Fremde war nur noch wenige Schritte entfernt. Offenbar angetrunken torkelte er ihnen entgegen. Er hatte Probleme, sich auf den Beinen zu halten und stierte die jungen Leute aus weit geöffneten, glasigen Augen an.

Jan nahm Annika fester in den Arm und drängte sie an die Seite, aber der Fremde machte einen Schlenker direkt auf die beiden zu. Er breitete die Arme aus. Es schien, als wolle er sie aufhalten.

»He, was soll der Scheiß?«, rief Jan, doch der Mann reagierte nicht darauf. Kurz bevor er Jan und seine Freundin erreicht hatte, stolperte er, fiel nach vorn und riss dabei die Arme hoch. Das junge Mädchen versuchte noch, sich mit einem Rückwärtsschritt der Berührung zu entziehen, wurde aber von Jans Arm, der sie immer noch fest um die Taille fasste, daran gehindert. Die Hände des Fremden glitten von Annikas Bauch über ihren Unterleib an der Jeans hinab und fielen dann kraftlos auf das Pflaster. Der Mannes lag jetzt ausgestreckt vor den beiden.

»Jan!« Annika entfuhr ein Entsetzensschrei. Sie klammerte sich an ihn. Ein furchtbares Zittern fuhr durch den schlanken Mädchenkörper. Auch Jan sah das Blut, das unter dem Körper des Unbekannten herauslief. Jans Blick fiel auf Annika. Mit seinen Händen hatte der Mann an der Kleidung des Mädchens eine blutige Spur hinterlassen.

»Mein Gott«, stammelte Jan. Vorsichtig löste sich der Junge aus der Umarmung seiner Freundin und zog sie ein kleines Stück fort. »Wir müssen den Rettungsdienst rufen«, jappte er und suchte in der Tasche seiner khakifarbenen Capri-Hose nach dem Handy, während Annika immer noch gebannt auf den Unbekannten starrte.

»Hallo. Ja! Hier liegt einer. In der Reventlouallee. Hausnummer?« Jan sah sich suchend um und gab dann dem Beamten in der Leitstelle der Kieler Feuerwehr die genaue Adresse durch. »Was mit ihm ist? Der blutet wie ein Schwein.«

Dann schwieg er einen Moment.

»Wo denken Sie hin. Das ist kein Märchen. Uns ist wirklich einer vor die Füße gestolpert!« Annika hatte sich an seinem Arm festgekrallt, sodass er nur mit Mühe das Mobiltelefon am Ohr halten konnte. »Natürlich warten wir hier. Nun machen Sie endlich, statt mich hier mit unnötigen Fragen zu überfallen«, gab er zornig zurück. Er umarmte Annika, nahm mit der anderen Hand ihren Kopf. Dann fuhr er sanft mit seiner Hand über die Haare der schluchzenden jungen Frau.

»Das ist ja ‘nen Ding«, murmelte er.

*

Kurze Zeit später wimmelte es in der Straße von Einsatzfahrzeugen. Blaulichter rotierten und ließen ihre blauen Strahlenfinger über die Fassaden der Häuser gleiten. Neben mehreren Streifenwagen und zwei Rettungswagen der Kieler Feuerwehr trafen jetzt auch zwei VW-Variant ein, denen drei Männer und eine Frau entstiegen.

»’n Abend«, grüßte einer der uniformierten Beamten und gab den vieren den Weg zu der Stelle frei, an der sich ein Notarzt und zwei Rettungsassistenten um den Mann auf dem Gehweg kümmerten.

Der bullige Arzt sah kurz auf die Neuankömmlinge, wandte sich dann aber ohne ein Wort zu sagen wieder dem Opfer zu.

»Kripo Kiel«, stellte sich der hoch gewachsene Mann mit dem gepflegten Bart bei den Männern des Rettungsdienstes vor. »Können Sie schon etwas sagen?«

Ein böser Blick des Arztes streifte ihn. »Ich bin mit anderen Dingen beschäftigt«, belehrte ihn der Mediziner.

Hauptkommissar Thomas Vollmers wandte sich ab. Der Mann in der roten Weste hatte natürlich Recht. Vollmers sah, dass sich seine drei Kollegen professionell um die Absicherung des Tatortes kümmerten. Sie waren ein eingespieltes Team, das sich in zahlreichen Einsätzen bewährt hatte und in dem jeder ohne Anweisungen des Leiters der Mordkommission wusste, was zu tun war.

Es wurden knappe Kommandos ausgetauscht, und die Kollegen der Schutzpolizei halfen mit, die Schaulustigen zurückzudrängen.

Der Notarzt kam mit einem Ächzen in die Höhe, fasste sich dabei ins Kreuz und sah sich suchend um. Sein Blick blieb an Vollmers hängen.

»Sind Sie der Einsatzleiter?«

»Ja. Hauptkommissar Vollmers von der Mordkommission.«

Der Arzt streckte ihm versöhnlich die Hand entgegen. »Sorry, dass ich vorhin ein wenig grob war. Jürgen Bischoff«, stellte er sich vor. Dann nickte er in Richtung des Mannes auf dem Gehweg. »Da ist nichts mehr zu machen. Tot. Das Messer hat mit hoher Wahrscheinlichkeit die Bauchschlagader verletzt. Da gibt es keine Rettung. Null Chance.«

»Welches Messer?«, fragte Vollmers.

Der Arzt zeigte auf die andere Straßenseite. »Da drüben haben die Streifenbeamten ein langes Messer gefunden. Ich vermute, damit wurde er erstochen.«

»War der Mann schon tot, als Sie eintrafen?«

»Ich habe keine Lebenszeichen mehr feststellen können. Der Exitus muss aber kurz zuvor eingetreten sein.«

»Also hat er nichts mehr sagen können?«

Der Arzt hob bedauernd die Schultern und sah einen Moment versonnen seinen Rettungsassistenten zu, die ihre Notfallausrüstung zusammenpackten. »Nein! In meiner Gegenwart hat er keinen Laut von sich gegeben.«

Inzwischen war die Spurensicherung eingetroffen und begann mit der Untersuchung des Tatorts.

»Was glauben Sie, Doktor? Wie weit kommt man mit einer solchen Wunde?«

Der Arzt schob das Kinn vor. »Schwer zu sagen. Das hängt von der Art der inneren Verletzungen ab, die ich nur schwer einschätzen kann. Ich vermute aber, dass er im nahen Umkreis des Fundorts erstochen wurde. Weit ist er nicht gelaufen.«

Vollmers sah sich um. Hier, zwischen Regierungsviertel, Förde und Düsternbrooker Gehölz, befand sich eine der bevorzugten Wohngegenden der Stadt. Die Reventlouallee führte von der Hauptstraße, die parallel zum Wasser lief, fort und stieg leicht bergan. Auf der rechten Straßenseite lagen einige etwas nach hinten versetzte großbürgerliche Häuser, während die andere Seite von einem bunten Mix von Mehrfamilien- und Reihenhäusern gesäumt wurde. Es würde eine der ersten Routineaufgaben sein, die Anwohner zu befragen, nach Auffälligkeiten zu forschen und zu eruieren, ob neugierige Nachbarn etwas über missliebige Mitbewohner verlauten ließen.

Dann sah er den Kollegen der Spurensicherung zu, die mit ihren durchsichtigen Plastikoveralls ein wenig den Rentnern vergangener Tage ähnelten, die sich mit ihrem Klepperüberzug auf dem Fahrrad gegen den Regen schützten.

Vollmers überquerte die Straße. Dort hielt ein Streifenbeamter am möglichen Tatwerkzeug Wache. Es war eine ungewöhnliche Waffe, größer als herkömmliche Messer, offenkundig mit beidseitiger Schneide und einem verzierten Griff, vermutlich aus Silber. Die Spurensicherung würde sich der Waffe annehmen.

Vollmers kehrte zum Opfer zurück.

Soweit er erkennen konnte, war das Messer auf der rechten Seite unterhalb der Leber eingedrungen und musste vom Stichkanal her seitlich in die Mitte des Bauchraumes vorgestoßen sein. Auffallend war auch, dass die Schneide anscheinend waagerecht geführt wurde und nicht senkrecht, wie es bei Messerattacken sonst fast immer der Fall ist. Dadurch, dass die Waffe quer geführt worden war, hatte sie im Inneren des Opfers einen wesentlich größeren Schaden angerichtet und beim Durchtrennen der Aorta eine absolut tödliche Wirkung gehabt.

Als wenn der Arzt seine Gedanken gelesen hätte, erklärte er: »Das blasse Gesicht und die extrem harte Bauchdecke lassen auf eine Schocksymptomatik durch Volumenmangel schließen.«

»Das heißt im Klartext?«

»Dem armen Kerl ist das Blut in den Bauchraum gelaufen. Da ist die ärztliche Kunst machtlos. Es sei denn, dieses Missgeschick passiert Ihnen auf dem Operationstisch eines erfahrenen Bauchchirurgen. Dann haben Sie vielleicht noch eine Chance.« Der Arzt zuckte noch einmal mit den Schultern. Mit einem »Tschüss denn« verabschiedete er sich.

Vollmers wandte sich zu Oberkommissar Frank Horstmann um, der von hinten an ihn herangetreten war.

»Habt ihr etwas?«

Sein langjähriger Kollege schüttelte den Kopf. Horstmann ging auf Mitte vierzig zu. Das rotblonde Haar und die leichten Sommersprossen verliehen ihm das Aussehen eines nicht älter werdenden Lausbuben.

»Nein, Thomas«, erwiderte Horstmann. »Ich habe mit den jungen Leuten gesprochen, denen der Tote vor die Füße gefallen ist. Die haben nichts bemerkt. Sie haben den Mann erst wahrgenommen, als er von der anderen Straßenseite herübertorkelte und direkt vor ihnen zusammengebrochen ist. Sonst haben sie niemanden gesehen, nicht einmal einen Schatten.«

»Mist«, fluchte Vollmers. »Keine Idee, ob er eventuell aus einem der Häuser gekommen ist?«

»Nichts. Aber Ingo und Babs sind schon unterwegs und klappern die Nachbarschaft ab.«

Horstmann meinte die anderen Mitarbeiter der Mordkommission, Oberkommissar Küster und Kommissarin Scholtz.

Vollmers wusste, dass er sich auf seine Kollegen verlassen konnte. Der erste Angriff nach einer Tat, wie die ersten Aktivitäten im Polizeijargon hießen, war von entscheidender Bedeutung. Spuren, die dabei übersehen wurden, waren später kaum noch zu rekonstruieren.

Die beiden wurden durch einen Mann abgelenkt, der erst nach einer Diskussion mit den Beamten der Schutzpolizei die Absperrung überwinden konnte und auf sie zukam.

Unter seinem offenen Blouson trug er ein weißes Poloshirt. Die dunkelblaue Jeans und die Laufschuhe unterstrichen den Eindruck, dass der hoch gewachsene Mann mit dem schütteren dunklen Haar aus dem Feierabend abberufen worden war. Der dichte Schnauzbart im schmalen Gesicht, der an ein Walross erinnerte, verlieh ihm auf den ersten Blick einen traurigen Eindruck.

»’n Abend, Herr Kremer«, begrüßte Thomas Vollmers den trotz seiner schwindenden Haarpracht jugendlich wirkenden Staatsanwalt.

Vollmers schilderte in kurzen Zügen, was sie bisher in Erfahrung gebracht hatten.

»Wissen Sie schon, wer der Tote ist?«, fragte der Staatsanwalt.

Hauptkommissar Vollmers verneinte. »Nein. Das können wir noch nicht sagen.« Er betrachtete den Toten. Der war mit einer dunklen Stoffhose bekleidet. Die Füße steckten in schwarzen Halbschuhen. Über dem karierten Hemd trug er einen leichten gelben Pullover, dessen Kragen vom vollen, fast blauschwarzen Haar bedeckt wurde. Das lag sicher auch am leicht nach hinten geneigten Kopf.

Einer der Kriminaltechniker schwenkte ein Papier. »Das ist ein argentinischer Reisepass. Der Mann heißt José Felipe Hernandez und ist achtundvierzig Jahre alt.«

»Wie kommt ein argentinischer Staatsbürger nach Kiel?«, fragte Vollmers.

»Und warum lässt er sich hier ermorden?«, ergänzte Staatsanwalt Kremer.

Die drei schwiegen einen Moment und blickten auf den Toten zu ihren Füßen. Dann gingen sie gemeinsam zum Fundort der Waffe.

»Das Messer sieht ungewöhnlich aus. Diese Form und vor allem die Größe sind in unseren Breitengraden selten. Man müsste prüfen, ob es sich um eine Waffe handelt, die auch aus Argentinien stammt«, sagte Vollmers.

Sein Kollege Horstmann stimmte ihm zu. »Du meinst, es könnte eine Auseinandersetzung unter Südamerikanern gewesen sein? Aus einem uns unerklärlichen Grund hat es einen Streit mit tödlichem Ausgang gegeben. Die Menschen dort haben ein anderes Temperament als wir kühlen Holsteiner.«

»Bei Ihrer These ist Vorsicht geboten«, bremste ihn der Staatsanwalt. »Argentinien gilt als das europäischste Land in Südamerika. Im Unterschied zu anderen Staaten der Region wurde es überwiegend von Einwanderern aus der alten Welt bevölkert. Darum finden Sie dort auch kaum Indianer oder Schwarze. Aber natürlich könnte es ein Ansatzpunkt für unsere Ermittlungen sein.«

Sie beobachteten stumm die akribische Arbeit der Spurensicherung, bis die beiden anderen Beamten der Mordkommission auftauchten.

»Es ist wie immer«, stöhnte Oberkommissar Ingo Küster. »Ein halbes Dutzend Leute ist sich sicher, dass nur einer ihrer Nachbarn als Mörder in Frage kommt. Gründe dafür gibt es massenhaft. Die hören die falsche Musik, sind zu laut – oder umgekehrt: Man nimmt sie kaum wahr. Da verkehren ständig andere Frauen – oder Männer. Das ganze Spektrum. Aber etwas Konkretes war nicht dabei.«

»Seid ihr auf Ausländer gestoßen?«, wollte Vollmers wissen.

Kommissarin Scholtz übernahm es zu antworten. »Ja, sicher. Türken, Polen, ein Schwede, ein Ami – soll ich die geografische Aufzählung fortsetzen?«

»Waren da Südamerikaner drunter?«

Küster und Scholtz sahen sich an. Dann schüttelte der Oberkommissar den Kopf.

»Nee! Die haben wir nicht angetroffen.«

»Schade«, mischte sich der Staatsanwalt ein.

»Das wäre auch zu einfach gewesen«, meinte Vollmers.

»Das einzig Bemerkenswerte, was eine weitere Untersuchung lohnen würde, ist ein privates Bordell. Dort drüben.« Küster streckte den Arm aus und wies mit dem Zeigefinger auf ein schräg gegenüberliegendes Haus, vor dessen Hecke das Tatwerkzeug gefunden worden war.

»Dann sehen wir uns das doch einmal genauer an«, beschloss Vollmers und ließ sich von einem der Kriminaltechniker ein Foto geben, das mit einer Sofortbildkamera geschossen worden war. Staatsanwalt Kremer und Oberkommissar Horstmann folgten ihm wortlos.

Das graue Haus mochte zu Beginn des vorigen Jahrhunderts gebaut worden sein. Es machte einen gepflegten Eindruck. Die hohen Fenster mit den von Säulen getragenen Stürzen sowie die umlaufenden Reliefs verliehen dem Bauwerk den Charakter, der modernen Profanbauten häufig fehlt. Neben dem Gebäude führte eine Treppe zu einem überdachten Windfang, dem Eingang zum Haus.

Ein tiefer melodischer Gong ertönte. Nach einer Weile wurde die Tür geöffnet, und eine stark geschminkte Blondine mit einem üppigen, aber makellosen Dekolletee erschien in der Türöffnung. Sie war sicher nicht mehr ganz jung, aber immer noch von einer unbestimmten Attraktivität. Sie musterte die drei Männer.

»Polizei?« Es klang eher wie eine Feststellung als eine Frage.

»Richtig«, antwortete Vollmers und wollte nach seinem Ausweis greifen.

»Lasst stecken, Jungs«, erwiderte die Blonde und zog ihre linke Augenbraue gekonnt in die Höhe. »Ihr tragt euren Ausweis doch im Gesicht. Ist das euer Lehrling?«

Sie sah Kremer an.

»Das ist der Staatsanwalt«, erklärte Vollmers.

»Oje. Die geballte Macht.« Die Blonde war nicht aus der Ruhe zu bringen. Sie machte den Eingang frei. »Kommt doch rein. Bei uns bleibt niemand draußen.« Es war ihr anzumerken, dass diese doppeldeutige Formulierung nicht unbeabsichtigt über ihre Lippen kam.

Das Foyer war mit roter Seidentapete ausgekleidet. Die manikürte Hand der Blondine wies auf eine Gruppe schwerer Sessel.

»Setzt euch so lange. Ich hol mal den Chef. Wollt ihr was trinken?« Sie machte einen Schritt auf die Bar zu.

»Nein, danke«, wehrte Vollmers ab.

»Hätte euch nichts extra gekostet.« Die Blonde zwinkerte mit einem Auge und verschwand in einem Gang. Im Hintergrund war ein leises Tuscheln zu hören.

Kurz darauf erschien ein schlanker Mann, dessen Schritte der dicke Teppich verschluckte. Sein Haar lag in Wellen um die Ohren und bündelte sich zu einem dichten Wust über dem Hemdkragen. Am freien Ohrläppchen glitzerte ein großer Brillant. Kräftige Augenbrauen markierten die braunen Augen in dem dunklen Gesicht. Der Dreitagebart verlieh dem Mann etwas Verwegenes. Die Knopfleiste seines blütenweißen Hemdes war bis kurz über den Bauchnabel geöffnet und gab den Blick auf ein großes rundes Amulett frei, das vor der behaarten Brust hing. Zwischen der hellen Seidenhose und dem Hemd bildete ein geflochtener Ledergürtel mit einer übergroßen silbernen Schnalle einen auffälligen Kontrast.

Natürlich fehlte am Unterarm der linken Hand nicht die schwere goldene Uhr. Vollmers musste schmunzeln. Der Mann war der Inbegriff eines Zuhälters. Und wenn er jetzt noch … Tatsächlich! Der Bursche machte den Mund auf und sprach unverkennbar mit österreichischem Dialekt.

»Grüß Gott, die Herren. Sie sind von der Gendarmerie?«, säuselte die erstaunlich hohe Stimme.

»Wir sind von der Polizei«, antwortete Vollmers.

»Was kann ich für die Herren tun?«

»Sie sind der Betreiber dieses Etablissements?«

Der Mann musterte die drei Ermittler intensiv.

»Ja«, hüstelte er dann gekünstelt. »Obwohl ich die praktische Leitung abgegeben habe. Meine Geschäftsführerin haben Sie ja schon kennengelernt.«

»Wie heißen Sie?«

Der Mann maß Vollmers vom Scheitel bis zur Sohle.

»Hinterbichler«, sagte er dann.

Horstmann hielt die Hand an den Mund und unterdrückte ein Glucksen. »Österreicher?«

»Haben Sie etwas gegen uns?«, erwiderte der Bordellbetreiber. »Es gibt die Gewerbefreiheit im vereinten Europa.«

»Vorname? Papiere?« Vollmers ging nicht weiter auf die kleinen Spitzen ein.

»Harry Hinterbichler.« Dann nannte er eine Adresse und sein Geburtsdatum.

»Sie sind also achtundzwanzig«, stellte Vollmers fest. »Kann ich mal Ihre Papiere sehen?«

Der Zuhälter fuhr sich theatralisch mit der Hand über die Augen.

»Ach, du Schreck. Die habe ich in meiner Wohnung gelassen. Vorsichtshalber. Ich gehe häufig ohne Papiere aus. Man weiß ja nie … die Zeiten sind sooo unsicher.«

Horstmann zog sich in eine Ecke des Foyers zurück und griff zu seinem Handy, um die Personalangaben prüfen zu lassen. Er zog das Bild des Ermordeten hervor. Die Aufnahme mit der Sofortkamera war nur mäßig, aber man konnte das Gesicht deutlich erkennen.

»Sagt Ihnen dieser Mann etwas?«

Hinterbichler besah sich das Bild. »Nein. Wer soll das sein?«

Vollmers ließ die Frage unbeantwortet. »Kann es sein, dass der Mann Kunde in Ihrem Etablissement war und Sie es nicht mitbekommen haben?«

»Jeder Gast wird durch meine Geschäftsführerin persönlich empfangen. Die Gesellschaftsdamen, die die Herren durch den Abend begleiten, werden erst danach mit den Gästen bekanntgemacht. Es sei Ihnen versichert, dass ich den Mann erkannt hätte, wäre er Kunde bei uns.«

»Wie wollen Sie das beurteilen, wenn Sie die Kunden nicht selbst empfangen?«

Erneut fuhr er sich mit der Hand über die Augen. »Hach. Das gehört einfach zum Business.«

»Haben Sie in der letzten halben Stunde etwas von den Ereignissen auf der Straße mitbekommen?«

»Wovon sprechen Sie? Nein! Was ist denn passiert?«

»Hat jemand in dieser Zeit Ihre Räumlichkeiten verlassen oder betreten?«

Hinterbichler klapperte empört mit den Liddeckeln. »Wo denken Sie hin? Die Geschäfte laufen ja sooo schlecht. Die Konkurrenz ist übermächtig. Nein! Unser Gesellschaftsinstitut ist in dieser Zeit nicht frequentiert worden.«

Das war nicht viel, was sie in Erfahrung gebracht hatten. Vollmers überlegte kurz, ob eine Razzia im Bordell Erfolg versprechend wäre. Aber es gab keinen Anhaltspunkt dafür, dass es in Verbindung mit dem Mord stand.

Mit einem knappen Gruß verließen die drei das Haus und kehrten zum Fundort der Leiche zurück.

»Wir haben außer persönlichen Gegenständen nichts weiter bei ihm gefunden«, sagte Oberkommissar Küster.

»Wissen wir, wo er hier in Kiel wohnte? Hotel? Anschrift?«

»Nein«, erwiderte Küster. »Aber das Schlüsselbund, das er bei sich trug, sieht aus, als würde es zu einer Wohnung gehören. Außerdem hatte er einen Autoschlüssel bei sich. BMW. Kollegin Scholtz sucht gerade die Straßen ab und versucht, das passende Fahrzeug dazu zu finden. Seine Brieftasche hat nichts hergegeben. Familienbilder. Offensichtlich war Hernandez verheiratet und hatte Kinder. Merkwürdig, dass sich auch ein Bild darunter befand, dass ihn und zwei andere Männer in Uniform zeigte.«

»Was für eine Uniform?«, hakte Vollmers nach. Bevor Küster antworten konnte, hatte Horstmann ihm das Bild aus der Hand genommen.

»Sieht aus wie Karneval«, kommentierte er. »Vermutlich sind das aber argentinische Marineuniformen. Zumindest ist im Hintergrund ein Hafen mit Kriegsschiffen zu erkennen.«

»Das könnte ein Anhaltspunkt sein«, fuhr Küster fort. »Wir haben noch einen Besucherausweis für die Werft bei ihm gefunden.«

»HDW?«, fragte Vollmers erstaunt.

Küster nickte. »Richtig. Howaldtwerke – Deutsche Werft. Mit Lichtbild und Chip.«

»Donnerwetter. Ein Marineoffizier mit offenkundigen Beziehungen zur Werft. Da sollten wir die Kollegen von der Abteilung 300 informieren. Ich möchte die zwar nicht so gern mit im Boot haben, aber besser ist besser.«

»Was verbirgt sich hinter dieser Bezeichnung?«, wollte Babs Scholtz wissen.

»Das ist der polizeiliche Staatsschutz beim Landeskriminalamt, die Zentralstelle für alle Straftaten von Extremisten. Die stellen den Personenschutz. Außerdem ist es die Ermittlungsstelle für Spionage, Straftaten mit nachrichtendienstlichem Hintergrund und Brand- und Sprengstoffanschläge. Die Jungs haben einen guten Ruf, seit sie damals die Brandanschläge in Mölln und auf die Lübecker Synagoge geklärt haben. Gab’s sonst noch was?«

Küster schüttelte den Kopf. »Nö. Ein Raubmord scheint es nicht gewesen zu sein. Die Uhr war noch da. Und auch das Portemonnaie mit Scheckkarte und Bargeld.«

»Wie viel?«

»Dreihundert und ein paar Zerquetschte.«

»Welche Währung?«

»Nur Euro.«

»Merkwürdig. Dann sieht es so aus, als hätte sich Hernandez hier längerfristig aufgehalten, wenn er keine andere Währung dabeihatte, nicht einmal Pesos.«

ZWEI

Der Ostwind blies in die Förde hinein und brachte kühlere Temperaturen, als es der erste Blick auf den morgendlichen Augusthimmel verhieß.

Hauptkommissar Vollmers hatte sein Team, das K1 der Bezirkskriminalinspektion Mitte mit Dienstsitz in der Landeshauptstadt, morgens zur Abstimmung der weiteren Vorgehensweise in die Dienststelle beordert.

Vollmers hatte es dem Staatsanwalt überlassen, Kontakt zum Landeskriminalamt aufzunehmen. Dort sollte über ein Mitwirken des polizeilichen Staatsschutzes entschieden werden, da es sich beim Opfer um einen Militär handelte, der möglicherweise in offizieller Mission in der Bundesrepublik weilte. Begeistert war der Hauptkommissar nicht von der Vorstellung, dass eventuell ein weiterer Beamter zu seinem Team dazustoßen könnte. Die Mannschaft arbeitete in dieser Besetzung bereits eine ganze Weile zusammen.

Mittlerweile lagen die ersten Ergebnisse der Kriminaltechnik vor.

»Bei der Tatwaffe handelt es sich um ein etwa unterarmlanges, zweischneidiges Messer. Die Spurensicherung hat jede Menge Fingerabdrücke feststellen können. Nicht einer wird in unserer daktyloskopischen Datei geführt. Es sieht aber so aus, als würden die zahlreichen Prints von Leuten stammen, die nichts mit dem Mord zu tun haben, sondern einfach dieses merkwürdige Messer in den Händen gehalten haben, um es zu betrachten. Das könnte unsere erste Spur sein. Wenn das Messer an einem Ort mit Publikumsverkehr ausgestellt oder zumindest einem größeren Personenkreis zugänglich war, erinnert sich vielleicht jemand an diese ungewöhnliche Waffe. Wir sollten deshalb eine Beschreibung sowie ein Bild über die Pressestelle weiterleiten. Vielleicht haben wir Glück, und es meldet sich jemand. Kannst du…«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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