Tote machen Träume wahr - Vera Nentwich - E-Book

Tote machen Träume wahr E-Book

Vera Nentwich

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  • Herausgeber: Vera Books
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Was tust du, wenn niemand an deine Träume glaubt? Mörder jagen. Jetzt erst recht! Bienes Traum ist es, Detektivin zu sein. Doch niemand nimmt sie ernst. Die Menschen in ihrem Heimatort belächeln sie, ihr Freund Jochen hätte es lieber, sie würde zu ihm ziehen und einem ruhigen Bürojob nachgehen, und ihre Oma ist ständig in Sorge um sie. Und als wäre das nicht schon genug, geht dann auch noch ihr erster Auftrag als Detektivin grandios daneben. Haben alle recht, sollte sie wieder als Steuerfachangestellte arbeiten? Biene bleibt keine Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Denn es gibt einen neuen Mordfall. Der mürrische Rentner Hans Tönnies soll vergiftet worden sein. Biene verschiebt ihre Zukunftsgedanken auf später und begibt sich erneut auf Mörderjagd. Kann sie den Mörder finden und ihre Zweifler zum Verstummen bringen? Und welche Rolle spielt der süße Straßenmusiker Basti dabei? Hält ihre Beziehung zu Jochen das aus? Wer lustige Krimis für Erwachsene mag, wird Biene Hagen lieben. Die ideale Urlaubslektüre muss nicht an der Nordsee oder in Bayern spielen. Grefrath am Niederrhein kann locker mithalten. Greifen Sie gleich zu und erleben sie entspannte Stunden mit dem neuen Abenteuer von Biene Hagen.

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XI
XII
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XIV
XV
XVI
XVII
XVIII
XIX
XX
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Die Autorin
Die neue Ermittlerin

Tote machen Träume wahr

Vera Nentwich

 

I

Einen Ladendieb ertappen ist nicht dasselbe wie Mörderjagen, aber als angehende Detektivin kann man sich die Jobs nicht aussuchen. Ich lauere beim Schokoladenregal und beobachte, wie der Übeltäter hinter den Maggi-Suppen verschwindet. Er tut so, als könne er kein Wässerchen trüben. Aber ich weiß, was er vorhat. Ich verlasse meinen Beobachtungsposten bei den Süßwaren und nehme die Verfolgung auf. Eine Frau, die gerade Kaffeepads in ihren Einkaufswagen legt, mustert mich irritiert. Ich gebe ihr mit einer kurzen Handbewegung und einem verschwörerischen Blick zu verstehen, dass sie meine Mission nicht durch eine unbedachte Äußerung gefährden soll. Ihr Blick wechselt von Irritation zu Missfallen, aber damit kann ich mich nun nicht aufhalten. Ich schleiche um die Konserven herum und entdecke den Dieb noch rechtzeitig, als er gerade eine Flasche Wodka unter seiner Lederjacke verschwinden lässt. Er sieht sich noch einmal um und geht dann in Richtung Kasse. Ich folge ihm mit Abstand. Es würde mich sehr überraschen, wenn er die Flasche auf das Band legen würde.

Es wäre endlich einmal ein Erfolgserlebnis in meiner noch kurzen Karriere als Detektivin. Sabine Hagen, Ermittlungen aller Art, steht auf meiner Visitenkarte, die ich mir sogleich habe drucken lassen, als die Entscheidung feststand, dass ich eine Detektei eröffnen würde. Wobei ich zugeben muss, dass diese Idee nicht alleine von mir stammt. Mein Kompagnon Jago Diaz Fernandez ist der Initiator und Financier unseres Unternehmens. Ansonsten lässt er mir freie Hand. Was bedeutet, er lässt mich die Arbeit machen und fährt nach Düsseldorf, Köln oder sonst wohin und trifft sich mit wichtigen Leuten. »Biene«, hat er gesagt. »Ich muss mich sehen lassen und Kontakte schmieden. Das bringt bestimmt mal gutbetuchte Klienten.« Sein argentinischer Akzent hat dieser Aussage einen exotischen Touch gegeben und ließ jeden Widerspruch meinerseits im Keim ersticken. Es wäre schön, wenn er recht hätte und neue Kunden fände. Denn es läuft nicht gut in unserem jungen Unternehmen. Wir haben unsere Büroräume eingerichtet, das Schild mit der Aufschrift »Hagen & Diaz Fernandez – Ermittlungen aller Art« aufgehängt und warten nun, dass die Klienten hereinkommen. Tun sie aber nicht. Im Gegenteil, wann immer ich irgendwo im Gespräch erwähne, dass wir als Detektive bereitstehen, ernte ich skeptische Blicke. Die Menschen in Grefrath scheinen Jago und mir die Fähigkeiten als Ermittler nicht zuzutrauen. So sinnvoll Jagos Entscheidung daher ist, an anderen Orten nach Klienten zu suchen, ich würde mir doch wünschen, er stände mir hier vor Ort zur Seite.

Immerhin konnte ich Herrn Lenzen, den Besitzer des Supermarktes, davon überzeugen, mich nach Ladendieben Ausschau halten zu lassen. Auch er wollte zuerst nicht und stimmte erst zu, als ich ihm vorschlug, ich würde auf mein Honorar verzichten und stattdessen eine Erfolgsprämie erwarten, wenn ich einen Dieb überführt hätte. Da hat Herr Lenzen noch gegrinst, aber heute werde ich den Dieb fassen und die Erfolgsprämie in Empfang nehmen.

Die Zielperson ist nun an der Kasse. Den Wodka hat er erwartungsgemäß nicht auf das Band gelegt, sondern er versucht sich an den Anstehenden vorbei zu schlängeln. Ich tue es ihm gleich und zwänge mich an der Schlange der anderen Kasse vorbei, nicke der dortigen Kassiererin zu und stehe nun bereit, den Dieb dingfest zu machen. Die Mitarbeiterin an der gegenüberliegenden Kasse schiebt einen Artikel nach dem anderen über den Scanner, begleitet von dem typischen Piepen. Als der Jugendliche mit dem versteckten Wodka auf ihrer Höhe angelangt ist, lächelt er sie dreist an und geht weiter. Sie hat ihn kaum wahrgenommen. Leute, ihr müsst aufmerksamer sein, wenn ihr Diebe erwischen wollt! Dieser Dieb kommt nun auf mich zu: Die Beule unter seiner Lederjacke ist deutlich zu sehen.

»Halt«, befehle ich, als er kurz vor mir angekommen ist. Die umstehenden Kunden blicken erschrocken von ihren Einkäufen hoch und auch der Dieb sieht mich verwundert an. »Haben Sie nicht etwas vergessen?«, hake ich leise nach. Schließlich möchte ich den Dieb nicht vor allen Leuten bloßstellen. Ich mache aber einen Schritt auf ihn zu und setze einen drohenden Blick auf, um ihm den Ernst der Situation zu verdeutlichen. Doch statt sich mir reuig zu stellen, sprintet er los und versucht, an mir vorbei und aus dem Geschäft zu kommen. Er macht einen Haken nach rechts und erwischt mich auf dem falschen Fuß. Beim Versuch, doch auf die andere Seite zu kommen, verliere ich das Gleichgewicht und falle. Nicht, ohne nach dem Flüchtigen zu greifen. Ihn kriege ich nicht zu packen, dafür aber den Einkaufswagen der Kundin, die gerade das Geschäft verlassen möchte. Sie kreischt erschrocken auf. Ich beeile mich, wieder auf die Beine zu kommen und ihr noch einen entschuldigenden Blick zu senden. Aber damit kann ich mich nun nicht aufhalten. Ich muss einen Dieb fassen. Mittlerweile wieder im sicheren Stand angelangt, hetze ich dem Dieb hinterher. Zwei Frauen, die am Ausgang stehen und ein Pläuschchen halten, schrecken auf, als ich zwischen ihnen hindurch stürme. Ich sehe, wie der Dieb um die Ecke verschwindet, als schwarzes Metall dort erscheint, wo ich gerade meinen Fuß hinsetzen möchte. Während ich nach alternativen Landeflächen für den nächsten Schritt suche, entwickelt sich das metallene Objekt zu einem Rollator, an dem ein alter Mann hängt. Mein laut geschrienes »Weg da!« scheint ihn nicht zu erreichen, denn er zeigt keinerlei Reaktion. Dafür rückt der Moment der Landung immer näher und die Ausweichmöglichkeiten gehen gegen Null. Von rechts ragt der Gemüsestand mit frischem Eisbergsalat im Angebot in meinen Weg und von links schließt der Rollator die Lücke. Mist. Mein Fuß berührt das Metallgestänge und rutscht erwartungsgemäß ab, ohne irgendwie festen Boden zu erwischen. Der restliche Körper hat noch genügend Bewegungsenergie, um sich weiter vorwärts zu bewegen. Ich sehe den Eisbergsalat unter mir, wie ich ihn überfliege und das erschrockene Gesicht des Mannes, als ich mich im Flug nach links wende. Dann muss ich mich auf den Aufprall konzentrieren. Abrollen soll man, habe ich gelesen. Wie geht das denn? Ich habe noch nie abgerollt. Erwartungsgemäß wird es auch kein Rollen, sondern es gleicht eher einem Bauchplatscher aus dem Schwimmbad. Nur, dass hier kein Wasser den Aufprall abfängt. Hier ist es harter Boden. Da kann auch die Kiste Eisbergsalat, die ich im Flug mitgerissen habe, nichts mehr abfedern. Es tut höllisch weh und ich bin mir nicht sicher, ob ich noch lange bei Bewusstsein bleiben kann.

»Was ist hier los?« Herr Lenzen bahnt sich seinen Weg durch die Schaulustigen und sieht mich ungehalten an. Ich muss meinen Kopf schütteln, um wieder etwas Blut ins Gehirn zu bekommen. Dann bewege ich vorsichtig meine Extremitäten. Zuerst den rechten Arm und dann den linken. Der erwartete Schmerz bleibt aus. Allerdings halte ich ein Metall in der linken Hand. Ich drehe meinen Kopf und entdecke, dass ich auch den Rollator des alten Mannes gegriffen habe. Ich lasse ihn los und beginne, mich abzustützen. Langsam biegt sich mein Rücken und ich kann mich Stück für Stück erheben. Herr Lenzen macht keinerlei Anstalten, mir zu helfen. Er beginnt, die Köpfe Eisbergsalat einzusammeln. Als ich schließlich wieder stehe und meine Brille richte, dreht er sich zu mir. Er hält zahlreiche Salatköpfe vor der Brust. »Sehen Sie mal, was Sie angerichtet haben«, schimpft er los. »Der Junge hat einen Wodka geklaut«, versuche ich, ihn aufzuklären, und zeige in die Richtung, in die der Dieb verschwunden ist. »Und deshalb verwüsten Sie mein Geschäft und gefährden meine Kunden?« Anscheinend hat er meine Erklärung nicht verstanden. Ich will etwas erwidern, aber er gibt mir mit der Hand das Signal, den Mund zu halten. »Entschuldigen Sie, Herr Tönnies. Es tut mir sehr leid«, wendet er sich an den alten Mann. Dann fasst er meine Hand, die den Rollator festhält und fordert mich auf, diesen sofort freizugeben. Ich kann ihm nur Folge leisten. »Geht es Ihnen gut, Herr Tönnies?«, fragt er den alten Herrn, der ihn aber nicht zu verstehen scheint. »Hä«, erwidert er nur. »Ist alles gut?«, wiederholt der Chef nun lauter. Er wartet aber keine Antwort ab, sondern fährt in gleicher Lautstärke fort. »Wenn noch etwas ist, wird Frau Hagen den Schaden natürlich ersetzen.« Ich sehe ihn verdutzt an. »Was?« Herr Lenzen wirft mir einen Blick zu, der mich verstummen lässt. »Geben Sie ihm Ihre Karte«, raunt er mir zu. Ich wühle in meiner Hosentasche und reiche dem alten Herrn ein etwas zerknautschtes Exemplar. Sein Blick verrät, dass er auch nicht so recht versteht, was hier passiert, aber er nimmt die Karte und legt sie ins Fach seines Rollators. Herr Lenzen lächelt und wendet sich an die umstehenden Kunden. »Bitte gehen Sie weiter. Es ist alles in Ordnung.« Die meisten Kunden folgen seiner Aufforderung und auch Herr Tönnies macht Anstalten, seinen Rollator in den Markt zu schieben. »Kommen Sie sofort in mein Büro«, raunt mir Herr Lenzen zu und sendet den verbliebenen Beobachtern ein verbissenes Lächeln. »Danke, dass Sie uns beehren.« Dann packt er mich an der Schulter und gibt mir klar zu verstehen, dass ich mich bewegen soll.

»Aber…«, versuche ich zu protestieren, während mich der Chef durch die Gänge schiebt, doch er gibt mir das sehr deutliche Signal, den Mund zu halten. Sobald er die Bürotür hinter uns geschlossen hat, setzt er zu einer Standpauke an. »Frau Hagen, Sie können doch nicht einen solchen Aufruhr veranstalten. Sie bringen mein ganzes Geschäft in Verruf.« »Ich wollte natürlich keinen Menschenauflauf erzeugen, aber der Bursche hat den Wodka gestohlen, da musste ich doch versuchen, ihn aufzuhalten.« »Aber diskret, Frau Hagen. Diskret!« »Was kann ich denn dafür, dass der Kerl so schnell rennen konnte?« »Da muss man Fingerspitzengefühl haben.« »Sie meinen, schnelle Diebe muss ich laufen lassen?« »Nein, das ist keine Frage der Schnelligkeit. Die Relationen müssen stimmen.« »Ab wann soll ich einen Dieb denn laufen lassen?« »Frau Hagen, ich sehe schon, Sie wollen mich nicht verstehen. So wird das nichts. Ich denke, es ist besser, wenn wir unser Arrangement vergessen.« »Sie schmeißen mich raus?« »Ja, das tue ich. Es war eine blöde Idee, mich auf Ihren Vorschlag einzulassen. Bitte gehen Sie jetzt.« Er steht auf und zeigt in Richtung der Tür. Mir fehlen die Worte. Das heißt, mir fallen schon einige Worte ein, aber die sage ich besser nicht. Obwohl es mich sehr viel Überwindung kostet, sie nicht herauszuschreien. Ihm direkt an den Kopf. Dass sie ihn wie Ohrfeigen rechts und links erwischen mögen. Stattdessen drehe ich mich langsam und wortlos um, greife meine Jacke und Tasche, die ich hier deponiert hatte, gehe zur Tür, öffne sie und sende ihm noch einen Blick, in den ich alle meine Wut lege. Ich hoffe, er möge vernichtend ankommen. Das kann ich aber nicht mehr überprüfen, da ich die Tür hinter mir geschlossen habe und durch die Regale in Richtung Ausgang marschiere.

Als ich auf dem Parkplatz neben den ineinandergeschobenen Einkaufswagen stehe, hat sich die Wut bereits in Verletzung gewandelt und ich muss gegen das Verlangen ankämpfen, in Tränen auszubrechen. Mein erster Auftrag ist grandios gescheitert. Vielleicht haben alle recht und es war wirklich keine gute Idee, Detektivin sein zu wollen.

Ich sauge tief Luft ein und strecke mich trotzig der Welt entgegen. So schnell aufgeben ist nicht meine Art. Biene Hagen kämpft weiter und wird es den Grefrathern schon zeigen.

»Kengk, was hast du denn mit dem Hannes gemacht?« Oma sieht mich mit einer Mischung aus Besorgnis und Unmut an, als ich die Küche betrete. Es ist fast Mittag und ich kann jetzt Omas Seelennahrung gut gebrauchen. »Was meinst du?« »Der Hans Tönnies. Die Mia hat mich gerade angerufen und erzählt, dass du den Hannes umgerannt hast.« »Das war doch gerade erst«, stelle ich erstaunt fest. Die Geschwindigkeit, mit der Ereignisse durch Grefrath getragen werden, überrascht mich. »Die Mia war beim Einkaufen und hat alles gesehen.« Höre ich da einen Vorwurf in Omas Stimme? »Ich wollte einen Wodkadieb fassen«, versuche ich, mich zu rechtfertigen. Aber irgendwie wirkt diese Aussage lächerlich. »Kengk, ich finde das nicht gut, was du machst. Leute im Supermarkt verfolgen und alte Menschen umrennen, das ist doch nichts. Der Steuerberater in Oedt ...« »Ach, Oma. In einer Steuerberatungskanzlei arbeiten ist einfach nichts für mich. Das mache ich nicht mehr.« »Kengk, das mit der Detektei ist aber ein Hirngespinst. Die Leute reden über dich.« Oma sieht bedrückt aus. Es ist ihr deutlich anzusehen, dass sie sich Sorgen um mich macht. Ich gehe zu ihr und umarme sie. »Bitte mach dir nicht solche Gedanken. Ich schaffe das schon.«

Meine Oma ist immer für mich da, seit meine Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen sind. Sie hat mich damals bei sich aufgenommen und mittlerweile wohne ich mit ihr in einem Haus. Sie bewohnt das Erdgeschoss und ich habe im ersten Stock mein Domizil. Allerdings halte ich mich hauptsächlich in Omas Küche auf.

»Kengk, ich mache mir aber Sorgen. Nicht nur, dass die Leute reden. Es ist auch gefährlich, was du tust. Was wäre denn passiert, wenn du den Dieb gekriegt hättest? Meinst du nicht, er hätte sich gewehrt?« »Ich passe schon auf«, versuche ich sie zu beruhigen. Bei ihrem Gesichtsausdruck bin ich aber nicht sicher, ob es mir gelungen ist. Oma löst sich aus meiner Umarmung. »Ich muss jetzt die Frikadellen braten«, stellt sie fest. »Ich liebe Frikadellen.« »Ich weiß, Kengk.« Sie lächelt mich an und stellt die Pfanne auf den Herd. Ich setze mich auf meinem Stammplatz an den Tisch und beginne, durch die Tageszeitung zu blättern. Die Schlagzeilen nehme ich aber gar nicht richtig wahr. Stattdessen kreisen meine Gedanken um das, was ich wirklich tun möchte.

Den Gedanken, als Detektivin Verbrechen aufzuklären, finde ich prima. Schließlich habe ich schon zwei Mordfälle gelöst. Da ist es doch nur konsequent, dies gleich als Beruf zu machen. Allerdings waren die letzten Monate trostlos. Kein Mensch gibt mir einen Auftrag und die heutige Szenerie im Supermarkt wird meiner Reputation auch nicht zuträglich sein. Da hat Oma recht mit ihrer Besorgnis. Die Leute zerreißen sich das Maul über mich. Bestimmt hat auch schon Jochen von meinem heutigen Auftritt erfahren und wird mir heute Nachmittag ins Gewissen reden, wenn er von seiner Schicht kommt. Jochen ist Polizist und wir sind jetzt seit einigen Monaten zusammen. Wieder zusammen, muss ich sagen. Schließlich kennen Jochen und ich uns schon seit der Grundschule. Er war immer für mich da und wir haben es in der Vergangenheit wieder und wieder mal mit einer Beziehung versucht. Aber es ist nie lange gutgegangen. Jochen ist zwar ein lieber Kerl, aber so verdammt korrekt und manchmal auch spießig. So lange wie jetzt habe ich es noch nie in einer Beziehung ausgehalten. Ich versuche, ihn so zu nehmen, wie er ist, und er hält sich damit zurück, über meine Berufspläne zu meckern. Ob er das nachher durchhalten wird?

Oma beginnt, Teller auf den Tisch zu stellen. Ich mache Anstalten aufzustehen und ihr zu helfen, aber sie winkt ab. »Lass mal, Kengk.« Ich setze mich wieder. Oma kommt mit einem Topf und hält ihn mir hin, damit ich mir etwas auf den Teller schöpfen kann. Es gibt Wirsing und Frikadellen und ich greife beim Wirsing mächtig zu. Dann bringt Oma die Pfanne mit den Frikadellen und zwei davon landen auf meinem Teller. Oma legt sich ebenfalls zwei der Fleischklopse auf ihren Teller, stellt die Pfanne zurück auf den Herd und setzt sich mir gegenüber. Sie seufzt. »Ach, Oma, nun mach dir doch nicht so viele Sorgen um mich«, versuche ich, sie zu beruhigen. Oma sieht von ihrem Teller auf. »Nein, Kengk, es geht nicht um dich.« »Oh, was ist denn dann? Du siehst bedrückt aus.« »Ach, nichts, Kengk.« Sie schiebt lustlos ein Stück Frikadelle auf ihrem Teller hin und her. »Wirklich nicht?« »Es ist die Leni«, platzt es aus ihr heraus. »Leni? Das ist doch deine Freundin in der Radfahrgruppe.« »Ja, das ist sie.« »Was ist denn mit ihr? Ist sie krank, oder so?« »Nein, nein, nicht mehr als sonst. Ein bisschen schusselig war sie ja schon immer.« »Was dann?« »Ich weiß es nicht, Kengk. Sie ist komisch in letzter Zeit. Jetzt habe ich erfahren, dass sie hinter meinem Rücken schlecht über mich redet.« »Oh, das tut mir leid.« Oma legt das Besteck auf den Teller. »Stell dir mal vor, Kengk. Sie erzählt überall rum, ich würde es mit jedem treiben.« Ich will etwas erwidern, aber Oma kommt gerade erst in Schwung. »Dabei ist sie nur neidisch. Sie hatte nämlich auch ein Auge auf Karl geworfen. So viele knackige Männer gibt es in unserem Alter schließlich nicht mehr. Und Karl ist noch knackig, nicht wahr, Kengk?«

Karl ist Omas Lover, würde man wohl sagen. Ich habe mich langsam daran gewöhnt, dass meine Oma ein reges Liebesleben hat, aber bei Männern, die mehr als doppelt so alt sind wie ich, fällt es mir schwer, das Wort knackig zu benutzen. Allerdings muss ich zugeben, dass Karl für sein Alter noch recht rüstig daherkommt. Insbesondere wenn ich die Geräusche mit ins Kalkül ziehe, die ich manchmal unfreiwillig aus Omas Schlafzimmer zu hören bekomme. Also nicke ich nur und Oma fährt fort. »Ich habe der Leni gesagt, dass das nichts Ernstes ist mit Karl. Ist nur eine Bettgeschichte, mehr nicht. Sie braucht überhaupt nicht neidisch zu sein.« »Vielleicht möchte sie ja auch eine Bettgeschichte?« Wenn ich eines in den Gesprächen mit Oma gelernt habe, dann dass die Hormone auch im Alter noch nicht untätig sind. Teilweise scheinen sie sogar wieder auf Teenagerlevel zu kommen. Oma schüttelt den Kopf. »Die Leni hat’s doch mit der Hüfte. Da geht nicht mehr viel.« »Erst recht ein Grund, neidisch zu sein«, stelle ich fest. »Meinst du, Kengk?« Sie nimmt die Gabel und steckt sich ein Stück Frikadelle in den Mund. »Du könntest recht haben. Ich muss sie gleich anrufen und ihr sagen, dass es mir leidtut, dass es bei ihr nicht mehr geht.« »Tu das«, bekräftige ich, schaufele Wirsing auf die Gabel und bete innerlich, dass das Gespräch über Omas Liebesleben damit beendet ist.

Es ist Samstagmorgen. Der gestrige Abend mit Jochen war nicht sehr erfreulich. In Sachen meiner Berufspläne konnten wir uns natürlich nicht einigen. Er ist heute früh los zum Dienst. Ich sitze im Nachthemd wieder an Omas Küchentisch, schlürfe an meinem Kaffee und warte darauf, dass ich wach werde.

»Der Hannes ist tot!« Oma kommt in die Küche, nachdem sie telefoniert hat. »Wer ist tot?« Mein Koffeinlevel genügt noch nicht, um den Geist wieder in Schwung zu bringen. »Der Hannes. Hans Tönnies, den du im Supermarkt umgerannt hast.« Ich setze den Kaffeepott ab. »Das kann nicht sein. Er war doch noch quicklebendig.« Na gut, so ganz behände war er nicht mehr. Er war eben alt, aber er lebte. »Das ist der Hammer. Woher weißt du das denn schon wieder?« Oma setzt zu einer Antwort an, aber ich unterbreche sie. »Sag nichts. Die Mia hat dich angerufen.« Oma nickt. Ihre Freundin Mia ist immer bestens informiert. »Und woher weiß die Mia das?«, hake ich nach. »Die wohnt doch im gleichen Haus. Der Postbote hat einen Brief an Hannes versehentlich bei der Mia in den Briefkasten gesteckt und da hat sie bei ihm geklingelt. Als er nicht aufgemacht hat, hat sie ihren Notschlüssel benutzt. Da lag er dann im Fernsehsessel. Sie hat noch den Rettungswagen gerufen, aber im Krankenhaus ist er dann gestorben. Wie schrecklich. Wenn ihn doch nur eher jemand gefunden hätte?« »Das ist traurig.« »Ich hoffe, dass ich mal nicht irgendwo hilflos sterbe und mich niemand findet.« Alleine der Gedanke, meine Oma könnte sterben, erschreckt mich. »Oma, du stirbst nicht«, stelle ich trotzig fest und weiß doch, dass das natürlich nicht stimmt. »Ach, Kengk«, antwortet Oma. »Stell dir vor, der Postbote hätte den Brief nicht falsch eingeworfen. Es wäre tagelang nicht aufgefallen, dass der Hannes tot ist.« Das ist wirklich traurig, aber ich kann nichts erwidern. Mit dem Thema Tod kann ich nur schwer umgehen und ich bin sehr dankbar, dass die Geräusche aus Omas Schlafzimmer noch von sehr viel Leben zeugen. Oma beginnt, die Frühstücksutensilien auf den Tisch zu stellen, und ich lenke mich mit der Tageszeitung ab.

II

Vor mir steht ein Karton mit Flyern, auf denen die Vorzüge der Detektei Hagen & Diaz Fernández in blumigen Worten geschildert werden. Ich habe sie drucken lassen und gehofft, etwas von Jago zu hören, um unsere Werbestrategie zu besprechen. Keine Ahnung, wo er sich herumtreibt. Nun sitze ich am Beginn der Arbeitswoche in meinem Büro und starre diesen Karton an, denn es gibt keine Arbeit. Es hat mich mehr der Trotz hierhergeführt, mir das Scheitern meines Detektivbüros nicht eingestehen zu wollen, als die Notwendigkeit. Jago könnte wenigstens mal kurz Hallo sagen und ein Signal geben, ob es mit der Akquise vorangeht. Einen Klienten könnten wir wirklich gut gebrauchen. Jago ist zwar gut betucht und kann unsere Detektei locker finanzieren, aber wenn ich nur am Schreibtisch hätte rumsitzen wollen, hätte ich auch Steuerfachangestellte bleiben können. Ich muss die Werbemaschine anwerfen, damit endlich etwas geschieht. Ich überlege, kurz nach gegenüber in die Bäckerei zu gehen und mir eine Latte macchiato zu holen. Ich muss Jago unbedingt davon überzeugen, dass wir so einen coolen Kaffeeautomaten im Büro brauchen. Aber solange es noch nicht so weit ist, muss ich gelegentlich rüber in die Bäckerei gehen. Es hat zumindest den schönen Nebeneffekt, dass die Chance auf ein nettes Pläuschchen mit Micha besteht. Bei der Gelegenheit kann ich dann gleich ein paar Flyer auslegen.

Ich stehe von meinem Bürostuhl auf und greife nach meiner Jacke, als sich die Tür zur Kanzlei öffnet. Sollte tatsächlich ein Klient hereinkommen? Als ich um die Ecke gucke, stelle ich enttäuscht fest, dass dies nicht der Fall ist. Statt eines Klienten blicke ich in das mürrische Gesicht von Kommissar Terhoven. »Herr Kommissar, das ist ja eine Überraschung. Was führt Sie denn zu mir?« »Guten Tag, Frau Hagen.« Er sieht sich um und zieht eine Augenbraue hoch. »Nicht schlecht. Scheint ja gut zu laufen, Ihre Detektei.« »Geht ganz gut«, lüge ich. »Was führt Sie denn zu mir? Soll ich Ihnen bei Ihren Ermittlungen helfen?« Er sieht mich an und sein Ausdruck wird noch mürrischer. »Eher friert die Hölle zu.« Ich überprüfe, ob ein Lächeln in seinem Gesicht zu erkennen ist, aber da ist nichts. »Lustig, wie immer«, versuche ich den Stich, den er mir versetzt hat, zu übertünchen. »Lassen Sie uns in mein Büro gehen.« Ich weise ihm den Weg und fordere ihn mit einem Nicken auf, Platz zu nehmen. Er folgt der Aufforderung und ich setze mich wieder an meinen Schreibtisch. »Was kann ich denn sonst für Sie tun?« »Kennen Sie einen Herrn Hans Tönnies?« »Herr Tönnies? Der Alte vom Supermarkt?« »Was meinen Sie?« »Wir sind uns kurz beruflich begegnet, kann man so sagen. Ist er nicht am Samstag gestorben?« »Das ist korrekt.« »Aber was haben Sie damit zu tun? War es etwa kein natürlicher Tod?« »Wir müssen noch die endgültigen Obduktionsergebnisse abwarten, aber es gibt Zeichen, die auf ein Fremdverschulden hinweisen.« »Oh.« »Wir haben Ihre Visitenkarte beim Toten gefunden.« »Ach das. Ich habe sie ihm am Freitag gegeben.« »Sie sollen ihn bedroht haben.« »Bedroht? Wer sagt denn sowas?« »Es gibt mehrere Zeugenaussagen, dass Sie ihn bedroht hätten.« »Nein, das stimmt ganz und gar nicht. Wir sind am Supermarkt kollidiert, als ich einen Dieb stellen wollte. Ich habe ihm meine Visitenkarte in die Hand gedrückt und das war’s . Herr Lenzen ist mein Zeuge.« »Wir werden das überprüfen.« »Tun Sie das.« »Gut, dann ist alles gesagt.« Der Kommissar erhebt sich aus seinem Stuhl. »Dann werde ich mal wieder.« »Das war schon alles?« »Ja, wir sind ganz am Anfang unserer Ermittlungen. Es kann natürlich schon sein, dass ich Sie noch einmal sprechen muss.« »Immer gerne.« Ich sende ihm ein Lächeln, aber er zeigt keine sichtbare Regung. Stattdessen steht er auf. Ich tue es ihm nach und folge ihm zur Tür. Er dreht sich zu mir um. »Ach, Frau Hagen. Falls Sie gerade darüber nachdenken, sich irgendwie in diesen Fall reinzuhängen, lassen Sie es. Haben wir uns verstanden?« »Äh…« »Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.« Er öffnet schwungvoll die Tür. Ich kann nur kurz nicken und ihm hinterhersehen, wie er über den Deversdonk zu seinem Auto geht. Langsam schließe ich die Tür und schlendere in mein Büro. Ich soll mich raushalten? Was fällt dem ein? Ein Mord in meinem Heimatdorf und ich soll nicht nachforschen? Da hat er sich aber mächtig geschnitten. Jetzt erst recht.

Ich entschließe mich, meinen Gedanken umzusetzen, in die Bäckerei auf eine Latte macchiato zu gehen. Ich packe einen Stapel Flyer und meine Jacke und mache mich auf den Weg. Micha steht hinter der Theke und packt gerade Brötchen für eine Kundin in die Tüte. Sie winkt kurz zur Begrüßung. Als die Kundin gegangen ist, lächelt sie mich an. »Eine Latte, wie immer?« Sie wendet sich zur Kaffeemaschine. »Du bist ein Schatz.« Ich wedele mit meinen Flyern. »Sag mal, kann ich die hier auslegen?« Sie dreht sich zu mir und ich reiche ihr ein Exemplar über die Theke, das sie eingehend prüft. »Du meinst es ja wirklich ernst.« »Na klar, was denkst du denn?« »Das sage ich besser nicht.« Schnell dreht sie sich wieder zur Kaffeemaschine und lässt Milch in ein Glas schäumen. »Was sagst du besser nicht?«, bohre ich hinter ihrem Rücken nach. »Ach, Biene, das weißt du doch.« Nun läuft der Espresso in die Milch und bleibt perfekt in der Mitte zwischen der Milch und dem Schaum liegen. Micha nimmt das Glas, stellt es auf eine Untertasse, legt einen Löffel und einen Keks dazu und hält es mir hin. Ich greife danach. »Was meinst du? Was weiß ich?« Micha schüttelt den Kopf. »Für jemand, die Detektivin sein will, stellst du dich aber erstaunlich dumm an.« Ich halte die Untertasse in der linken Hand und nehme vorsichtig einen Schluck von der Latte. »Du meinst, du hältst meine Detektei für eine Schnapsidee.« »Schlaues Kind.« Micha grinst. »Und warum?« »Willst du das wirklich wissen?« »Würde ich sonst fragen?« »Weil du dafür nicht geeignet bist. Viel zu impulsiv und unbedacht. Detektiv zu sein, bedeutet viel kleine Detailarbeit. Es kommt auf Diskretion an, Verschwiegenheit. Sei mir nicht böse, aber das bist du alles nicht.« »Wie kommst du darauf?« »Ich kenne dich, meine Liebe.« Micha lächelt mich freundlich an. »Dann kennst du wohl noch nicht alle Seiten von mir. Ich kann das.« »Ja, ja, und wenn du einen Ladendieb stellen willst, demolierst du den halben Supermarkt.« »Jetzt übertreibst du aber wirklich. Das war ein Unfall.« »Aber dir passieren immer solche Unfälle. Eine Detektivin muss diskret und unauffällig agieren. Das passt einfach nicht zusammen.« »Wenn du meinst.« Ich bin beleidigt. »Du hast gefragt.« »Ja, ja, ist ja gut. Legst du nun meine Flyer aus oder nicht?« »Okay, weil du es bist.« Ich reiche ihr den Stapel und sie legt ihn auf die Theke. »Zufrieden?« »Ja, danke.« Ich setze mich mit meinem Glas an einen Tisch, während wieder eine Kundin ins Geschäft kommt. Sie nennt ihre Bestellung und betrachtet den Stapel Flyer. Neugierig nimmt sie einen und sieht ihn sich genauer an. Ihr Gesicht verzieht sich zu einem Grinsen. »Manche Menschen kommen auf verrückte Ideen«, wendet sie sich an Micha. Die sieht von dem Brot auf, dass sie gerade in eine Tüte packt. »Was meinen Sie?« Die Kundin wedelt mit dem Flyer, neigt sich etwas über die Theke und spricht leiser. »Ist doch bescheuert. Eine Detektei in Grefrath. Hier passiert doch nichts. Ich habe ja gehört, die Möchtegerndetektivin soll nicht besonders helle sein.« Micha sendet mir einen kurzen Blick, richtet sich dann etwas auf und wendet sich der Kundin zu. »Das macht vier Euro neunundachtzig. Und damit Sie es wissen: Die Detektivin ist eine Freundin von mir und die fähigste Frau, die ich kenne.« Die Kundin schreckt zurück und kramt hastig nach dem Betrag. Dann schnappt sie nach ihrer Tüte und hastet aus der Bäckerei. Ich gehe mit meinem leeren Latteglas zur Theke und stelle es ab. »Danke, dass du mich verteidigt hast.« »Die Frau war unmöglich.« »Stimmt. Aber mein Image scheint nicht so toll zu sein.« »Tut mir wirklich leid.« »Du kannst ja nichts dafür.« Micha sieht mich mitfühlend an. Ich deute ihr einen Kuss an. »Dann werde ich mal wieder ins Büro gehen.« Es mag ja sein, dass mir niemand zutraut, eine gute Detektivin zu sein, aber ich werde es ihnen schon beweisen. Es gibt schließlich wieder einen Mordfall, und ich habe eine Idee, wo ich mehr dazu erfahren kann.

Die Vinkrather Straße liegt an der Rückseite des Supermarkts. Hier wohnt Omas Freundin, die Mia.

---ENDE DER LESEPROBE---