Tote Tanten plaudern nicht - Vera Nentwich - E-Book
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Tote Tanten plaudern nicht E-Book

Vera Nentwich

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  • Herausgeber: Vera Books
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Was tust du, wenn aus einem Gefallen ein Mord wird? Mörder jagen! Die neue Assistentin Cassandra bringt Glanz in die aufstrebende Detektei von Sabine „Biene“ Hagen und Jago Diaz Fernandez. Cassandra bittet um einen Gefallen, denn ihre Tante fühlt sich von Schlägern bedroht. Dann ist die Tante tot. Der zwielichtige Onkel gerät ins Visier. Zugleich verlangt ein Vermisstenfall Bienes Aufmerksamkeit und sie entdeckt, dass ihr Freund sie belügt. Sie muss ihre Beziehung hinterfragen und den verwirrenden Spuren in den Fällen nachgehen. Der Weg führt sie sowohl zu einer ominösen Privatbank nach Düsseldorf, als auch zu einer berüchtigten Bauunternehmerin. Und überall öffnet die Nennung von Jagos Namen auf magische Weise Türen. Zwischen zwei Fällen und der Angst um ihre Beziehung muss Biene mutig ihren Weg gehen, Gefahren trotzen und einen Mörder stellen. Wer lustige Krimis für Erwachsene mag, wird Biene Hagen lieben. Die ideale Urlaubslektüre muss nicht an der Nordsee oder in Bayern spielen. Grefrath am Niederrhein kann locker mithalten. Greifen Sie gleich zu und erleben sie entspannte Stunden mit dem neuen Abenteuer von Biene Hagen.

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I
II
III
IV
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VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
XVII
Die Zwei von der Talkstelle
Danke
Die Autorin
Tote Models nerven nur

Tote Tanten plaudern nicht

Vera Nentwich
 

I

Sie ist zu perfekt für uns. In einer kleinen Detektei in einer ebenso kleinen Gemeinde am Niederrhein, wie wir es sind, erwartet niemand ein solch vollkommenes Geschöpf. Trotzdem ist sie unsere neue Assistentin und ich kann nicht aufhören, sie heimlich zu beobachten. Ist sie das Zeichen dafür, dass wir es geschafft haben?

Wir, das sind Jago Diaz Fernandez, mein Kompagnon, und ich, Sabine Hagen. Ich werde aber von allen zumeist Biene genannt. Geschrieben wie das kleine, honigsammelnde Tierchen, weil das besser zu mir passen soll, wie meine Freunde behaupten. Neu im Team ist Cassandra Neumann als die besagte Assistentin. Jago hat sie eingestellt. „Wir können Unterstützung gebrauchen“, hat er gesagt. Aber ich bin sicher, ihr Aussehen war maßgeblicher für ihre Einstellung. Sie ist eine Werkstudentin, aber Assistentin klingt besser und passt mehr zu ihr, das muss ich zugeben. Unauffällig beobachte ich, wie sie dort am Schreibtisch im Eingangsbereich sitzt und aus unseren Notizen die Berichte für die Klienten erstellt. Bisher dachte ich immer, wenn ich Bilder von jungen Frauen wie ihr sah, dass diese auf jeden Fall gephotoshoppt sein müssten, aber dann sehe ich so einen Menschen in natura, und alles ist so, wie man es besser nicht faken könnte. Das makellose Gesicht, die großen, braunen Augen und der perfekte Mund, der bei jedem Lächeln so blendend weiße Zähne aufblitzen lässt, dass man jeden Moment einen funkelnden Stern erwartet, wie er in Comics gerne gezeichnet wird. Wenn sie sich erhebt, schwingen ihre brünetten, langen Haare hin und her, und man sehnt die Zeitlupe herbei, um diese Bewegung zu unterstreichen.

Ich hasse sie.

„Frau Hagen, haben Sie kurz Zeit?“

Ich benötige einen Augenblick, bevor ich realisiere, dass sie mit mir spricht. „Ah, ja, selbstverständlich.“ Ich gebe ihr ein Handzeichen, in mein Büro zu kommen. „Was macht das Studium?“ Sie studiert „International Business“ in Maastricht und spricht fließend Englisch und Französisch. Dazu noch leidlich Niederländisch, wie sie selbst tiefstapelt. Ich spreche nur leidlich Jriiersch Platt, den Dialekt in Grefrath, und ein Deutsch, das ich für Hochdeutsch halte. Aber wenn mich andere sprechen hören, verorten sie mich sofort an den Niederrhein.

„Ich bin gut im Plan“, unterbricht Cassandra meine Gedanken. Sie hat selbstverständlich einen Plan, der über die Erreichung des Masterabschlusses direkt zu einer Führungsposition in einem Top-Konzern führt. Warum sie als Zwischenstation dabei ausgerechnet eine Stelle als Werkstudentin in unserer Detektei nimmt, ist mir ein absolutes Rätsel. Aber ich gebe zu, ihr Glanz färbt etwas auf uns ab. Die Klienten begegnen mir völlig anders, wenn sie zuerst von Cassandra in Empfang genommen werden.

„Kennen Sie eine Dagmar Vanderboldt?“, fragt mich unsere Assistentin.

„Vanderboldt? Ist das nicht diese Immobiliensammlerin in Grefrath? Ich glaube, meine Oma hat mir mal von ihr erzählt. Was ist denn mit ihr?“

„Die hat bestimmt Dreck am Stecken.“ Der Ärger verleiht ihrem Gesicht eine unerwartete Härte.

„Wie kommen Sie darauf?“

„Ich habe Ihnen doch von meiner Tante Margot erzählt.“

Ich nicke. Der in Grefrath ansässigen Tante verdanken wir den Umstand, dass Cassandra bei uns arbeitet. Margot Günther, wie die Tante heißt, kennt – kaum überraschend – meine Oma, und so war es logisch, dass sie von unserer Suche nach einer Aushilfe erfuhr.

„Diese Frau Vanderboldt will meine Tante unbedingt dazu überreden, ihr Haus zu verkaufen.“

„Aber Ihre Tante möchte nicht“, schließe ich messerscharf.

„Genau. Klar, sie ist nicht mehr ganz so fit wie früher, aber sie kriegt noch alles gut hin. Ich helfe ihr ja auch. Aber diese Frau Vanderboldt versucht ihr ständig einzureden, dass es besser sei, sie würde das Haus verkaufen und sich mit dem Geld eine Wohnung in einer schönen Seniorenresidenz mieten.“ Cassandra macht einen entschlossenen Schritt auf mich zu. „Aber in Grefrath gibt es da gar keine freien Plätze mehr, und meine Tante hat immer hier gelebt. Hier hat sie ihre Freunde und ihr Umfeld. Sie will hier nicht weg.“

Ich mustere unsere Angestellte. Ist das der Preis für das unternehmerische Wachstum? Muss ich mich um die Wehwehchen der gesamten Verwandtschaft meiner neuen Mitarbeiterin kümmern? „Dann kann sie das doch dieser Frau Vanderboldt sagen.“

„Das hat sie, aber die lässt nicht locker, und ich glaube, sie hat jetzt Schläger beauftragt, um meine Tante unter Druck zu setzen.“

„Das klingt aber jetzt sehr abenteuerlich. So etwas gibt es in Filmen vielleicht, aber nicht in Grefrath. Ist Ihrer Tante denn was passiert?“

„Nein, noch nicht. Aber als ich gestern aus ihrem Haus kam, fiel mir ein Auto auf, das auf der Straße gegenüber stand. Da saßen zwei Männer drin.“

„Ja, und?“

„Ja, nichts. Sie sind plötzlich losgefahren. Wahrscheinlich haben sie mich gesehen.“

„Oder sie mussten einfach los. Haben Sie sich das Kennzeichen gemerkt?“

Sie schüttelt den Kopf. „Nein, daran habe ich in dem Moment nicht gedacht.“

„Als Mitarbeiterin einer Detektei müssen Sie an so etwas als Allererstes denken.“

Sie nickt betroffen. „Aber es war doch dennoch verdächtig, oder etwa nicht?“

„Kann sein, aber muss nicht. Es kann tausend Gründe geben, warum der Wagen dort stand.“

„Ach ja, und welche?“

Wenn sie mit gerade mal einundzwanzig so respekteinflößend ist, möchte ich mir nicht vorstellen, wie sie erst sein wird, wenn sie ihr Ziel erreicht hat und im Vorstand eines Weltkonzerns sitzt.

„Weiß ich jetzt nicht“, stammele ich. „Aber es heißt dennoch erstmal nichts. Was genau erwarten Sie denn von mir?“

„Können Sie nicht ermitteln und dieser Frau Vanderboldt auf den Zahn fühlen?“

„Wie genau stellen Sie sich das vor?“

„Na, wie Sie es bei Ehebrechern auch machen. Observieren, filmen, Material sammeln.“

„Liebe Cassandra, ich würde Ihnen ja gerne helfen, aber Sie wissen doch, wie viel wir hier zu tun haben. Wir haben gar keine freien Ressourcen dafür.“

„Ich bezahle Sie.“

„Das ändert nichts daran, dass wir die Ressourcen nicht haben. Aber passen Sie mal auf, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich höre mich um, was ich so erfahre, und wenn ich auf Hinweise zu Straftaten stoße, reden wir weiter. Okay?“

Sie nickt. „In Ordnung. Sie werden sicher etwas finden.“

„Wohnen Sie jetzt eigentlich bei Ihrer Tante?“

„So halb, irgendwie.“

Ich sehe sie fragend an.

„Momentan fahre ich nur am Wochenende nach Hause, solange die Semesterferien andauern. Unter der Woche übernachte ich bei ihr.“

„Und wie wollen Sie es machen, wenn das Semester wieder beginnt?“

Sie zuckt mit den Schultern. „Das werde ich dann wissen, wenn es soweit ist.“ Sie grinst, und ich muss plötzlich darüber nachdenken, wann mir die Leichtigkeit der Jugend abhandengekommen ist.

Cassandra mustert mich. „Ich hoffe, meiner Tante passiert nichts“, murmelt sie.

„Nein, sicher nicht“, versuche ich sie zu beruhigen, als sie Anstalten macht, aus meinem Büro zu gehen. „Ach ja, wären Sie so nett und machten mir eine Latte macchiato?“

Sie nickt. „Ja, gerne.“

Eine der Annehmlichkeiten des wachsenden Geschäfts ist, dass ich Jago endlich breitschlagen konnte, uns so einen tollen chromglänzenden Kaffeevollautomaten zuzulegen, der auf Knopfdruck die köstlichste Latte macchiato ausspuckt. Cassandra kommt zurück, stellt mir mein Lieblingsgetränk auf den Schreibtisch. „Die neuen Klienten sind da. Soll ich sie hereinholen?“

Ich greife das Glas und nippe daran. Ich wische mir den Milchschaum von der Lippe, dann nicke ich kurz. Wenige Sekunden später ist die Assistentin zurück mit einem älteren Paar im Schlepptau.

„Frau Hagen, das sind Herr und Frau Jacobsen.“

Ich erhebe mich, gehe auf sie zu und begrüße sie mit Handschlag.

Cassandra lächelt ihnen zu. „Frau Hagen kann bestimmt helfen.“ Dann nickt sie mir zu.

„Nehmen Sie doch bitte Platz.“ Ich zeige auf die Stühle am Besprechungstisch. Während sie sich setzen, hole mir den Notizblock vom Schreibtisch, mein Latteglas und einen Stift. Cassandra fragt nach den Getränkewünschen und macht sich auf den Weg, diese zu erfüllen.

„Was kann ich für Sie tun?“, eröffne ich das Gespräch geschäftsmäßig, als ich mich dem Paar gegenüber hinsetze.

Frau Jacobsen fingert an ihrer Handtasche, während ihr Mann erst sie und dann mich ansieht. „Wissen Sie, es ist uns etwas unangenehm, Sie um Hilfe zu bitten.“

Ich will etwas erwidern, als seine Frau ihm etwas zuraunt. „Frag sie, was das kosten wird.“

Ich setze mein bestes Verkäuferinnenlächeln auf und beantworte ihre Frage, ohne eine Reaktion ihres Mannes abzuwarten. „Liebe Frau Jacobsen, unser Stundensatz beträgt siebzig Euro zuzüglich Spesen und Mehrwertsteuer. Wie viel Aufwand letztlich anfällt, hängt natürlich vom jeweiligen Auftrag ab. Wir können aber gerne ein Budget vereinbaren, das wir dann ohne vorherige Absprache nicht überschreiten.“

„Was sind denn die Spesen?“, will diese Buchhalterseele von Frau genauer wissen.

„Nun, dies sind Fahrtkosten, wenn unsere Recherchen uns an andere Orte führen, und vielleicht noch Verpflegungskosten, wenn die Recherchen längere Abwesenheiten fordern.“

„Hmm“, lässt die Krämerseele verlauten und gibt ihrem Mann mit einem Blick zu verstehen, dass die Vorgehensweise von ihr genehmigt ist und er mich weiter einführen darf, was er sofort in die Tat umsetzt.

„Nun, äh, ja also, es geht um unsere Tochter.“ Er stockt, als Cassandra mit den Getränken hereinkommt und diese vor ihnen auf den Tisch stellt. „Benötigen Sie noch etwas?“

„Nein, danke, Cassandra. Das wäre alles.“ Sie verlässt das Büro, und als sie die Tür hinter sich geschlossen hat, fährt Herr Jacobsen fort.

„Unsere Tochter Jessica ist verschwunden.“

„Oh, wie alt ist Ihre Tochter?“

„Fünfundzwanzig.“

„Lebt sie noch bei Ihnen?“

Der Mann schüttelt den Kopf. „Nein, sie wohnt in Krefeld. Aber dort ist sie seit einigen Tagen nicht mehr gesehen worden.“

„Waren Sie dort?“

„Ja, gestern war ich dort. Aber sie war nicht da.“

„Wie viele Tage ist sie denn nicht mehr gesehen worden?“

„Am Mittwoch war sie noch bei uns, und danach haben wir nichts mehr von ihr gehört“, mischt sich Frau Jacobsen ein.

„Haben Sie es denn schon bei der Polizei versucht?“

Der Mann sieht seine Frau an und dann zu mir. „Ja, das haben wir, aber die sagen, es ist eine erwachsene Frau, und die muss uns nicht Bescheid sagen, wenn sie mal verreist.“

„Haben die denn nicht nachgeforscht?“

„Doch, sie haben herumgefragt, und in ihrer Bank hat man gesagt, dass sich Jessica eine Auszeit nehmen wollte. Aber das hätte sie uns doch gesagt!“

Seine Frau nickt heftig, um diese Aussage zu unterstreichen. Ich trinke einen Schluck von meiner Latte macchiato und rücke die Brille zurecht.

„Sie arbeitet in einer Bank?“

„Ja, bei der Tello Privatbank in Düsseldorf.“

Herr Jacobsen sieht seine Frau fragend an. „Sie ist da angestellt und macht, was man in einer Bank eben so macht. Sie hat uns nicht viel darüber erzählt. Ist alles vertraulich, hat sie gesagt.“

Ich notiere mir den Namen der Bank und mache ein großes Fragezeichen dahinter. „Wann haben Sie Ihre Tochter denn zuletzt gesehen?“

„Wie gesagt, Mittwoch ist sie überraschend vorbeigekommen.“ Er sucht den Blick seiner Frau, und die nickt wieder zustimmend. „Aber sie war schon irgendwie komisch“, hängt er an, mehr an seine Frau gerichtet als an mich.

„Wieso?“, hake ich nach. „Wie war sie denn?“

„Sie war so nervös“, schaltet sich Frau Jacobsen ein.

„Ja, war schon merkwürdig“, pflichtet ihr Mann ihr bei. „Sie hatte auch kaum Zeit und musste nach einer Stunde schon wieder weg.“

„Aber dann habe ich sie später erst losfahren sehen, als ich den Müll herausbrachte“, ergänzt Frau Jacobsen.

Ich mache mir Notizen. „Hm, das klingt sehr danach, dass sie unter Stress stand. Hat sie noch Freundinnen oder Freunde in Grefrath, die sie besucht haben könnte?“

Beide schütteln die Köpfe. „Nein, die Schulfreundinnen von früher sind alle weggezogen. Und die neueren Freundinnen kommen eher aus Düsseldorf und Umgebung.“

„Haben Sie eine Idee, wo sie sonst nach dem Besuch bei Ihnen gewesen sein könnte?“

„Nein, das fragen wir uns auch schon die ganze Zeit“, erwidert Frau Jacobsen und presst ihre Hände krampfhaft zusammen.

„Okay. Ach ja, ich nehme an, Sie haben versucht, sie anzurufen?“

„Ja, natürlich“, antwortet Herr Jacobsen, und sein Gesicht zeigt an, dass sich seine Geduld dem Ende zuneigt. „Ihr Handy ist nicht eingeschaltet.“

„Na ja, wenn man sich eine Auszeit nimmt, macht es Sinn, dieses nervige Ding auszuschalten.“

Frau Jacobsen hält es nicht auf ihrem Stuhl, und sie springt auf. „Unsere Tochter würde nie verreisen, ohne es uns zu sagen!“

Erschrocken über diesen Gefühlsausbruch sehe ich sie an. „Ja, natürlich. Das glaube ich Ihnen. Bitte nehmen Sie wieder Platz.“

Frau Jacobsen seufzt.

„Entschuldigen Sie bitte, aber ich muss diese Fragen stellen. Ich muss alle Faktoren abklären. Sie möchten doch nicht, dass ich etwas übersehe, oder?“

Frau Jacobsen nickt und setzt sich wieder. Ihr Mann greift nach ihrer Hand. „Ja, das verstehen wir. Suchen Sie unsere Tochter?“

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Wir ermitteln etwas und sehen, was wir in Erfahrung bringen. Dann besprechen wir, was wir herausgefunden haben, und überlegen gemeinsam, wie wir weiter vorgehen sollten. Dies hält auch die Kosten in Grenzen. Ist dies in Ihrem Sinne?“

Beide nicken.

„Prima, unsere Assistentin nimmt nun alle Informationen zu Ihrer Tochter auf, und wir melden uns umgehend bei Ihnen, wenn wir Neuigkeiten haben.“

Ich gehe zur Bürotür und rufe Cassandra. „Nehmen Sie bitte die Daten vom Ehepaar Jacobsen und ihrer Tochter auf, ja?“

„Natürlich“, bestätigt sie und eilt zu mir ins Büro. „Kommen Sie kurz mit?“, fordert sie das Ehepaar auf. Als der Tross weg ist, schließe ich die Tür wieder, trinke den letzten Schluck Kaffee und kratze mit dem Löffel den restlichen Milchschaum heraus.

 

Ein Blick auf die Uhr zeigt den nahenden Mittag an. Ich mustere den Aktenstapel und überlege, ob ich mir eine Mittagspause bei Oma leisten kann oder nicht. Sie erwartet mich, das hat sie heute Morgen hinter mir her gerufen, als ich das Haus verließ.

Seit meine Eltern vor mehr als zwanzig Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen sind, wohne ich bei Oma. Ich habe einen eigenen Wohnbereich im ersten Stock und könnte mich dort völlig autark selbst versorgen, aber meistens bin ich in Omas Küche, in der sie sich stets darum kümmert, ihre Liebsten mit Essen vollzustopfen. Was diese nur zu gerne annehmen. Neben mir gehört derzeit Karl dazu. Er ist nach meinem Großvater der erste Mann, der länger Teil des Lebens meiner Großmutter ist. Sie waren sogar schon zusammen auf einer Kreuzfahrt, was für Oma einem Eheversprechen bedenklich nahekommt. Ich werfe einen Blick auf den Aktenstapel und beschließe, ihn links liegen zu lassen, um mir das Mittagessen bei Oma zu gönnen.

Als ich aus meinem Büro trete, bekomme ich mit, wie Cassandra das Ehepaar Jacobsen verabschiedet.

„Ist Herr Fernandez schon aufgetaucht?“

Die Assistentin schüttelt den Kopf. „Nein. Soll ich ihn rufen?“

Jago wohnt direkt über der Detektei. Er hat das Haus einfach gekauft. Er verfügt über größere Geldmengen, deren Ursprung für mich im Verborgenen liegt. Ich frage nicht nach.

„Nein, lassen Sie nur. Wenn er erscheint, sagen Sie ihm, dass ich zum Mittagessen gegangen bin.“

„Ja, gerne. Ach, Frau Hagen?“

Ich drehe mich nochmal zu ihr. „Ja?“

„Ich bin auch gleich weg. Die Informationen zu den Jacobsens schreibe ich noch in KUSY.“

Ich zucke kurz mit dem Gedanken, Sie zu bitten, es mir lieber auszudrucken, aber dann halte ich mich zurück. Wir sind ein modernes Unternehmen, und dank Cassandras Fähigkeiten und der Unterstützung von Andrea, der IT-Fachfrau, verfügen wir über ein System mit all unseren Kunden- und Fallinformationen, das wir KUSY getauft haben. „Ja, danke“, füge ich mich dem technologischen Fortschritt und mache mich auf den Weg zu Oma.

Während ich mein Fahrrad besteige, denke ich darüber nach, dass mein übliches Outfit bestehend aus Jeans, T-Shirt oder Pullover, je nach Jahreszeit, und Jacke einfach am praktischsten ist. Jago meint ja, ich solle mich in Kundengesprächen häufiger mal im Kostümchen zeigen. Das käme seriöser rüber. Aber so bin ich eben nicht.

Mein Blick fällt auf die Bäckerei am anderen Ende des Deversdonk, dem Platz im Herzen von Grefrath, an dem das Büro liegt. Seit wir die Kaffeemaschine haben, war ich nicht mehr dort. Im Vorbeifahren versuche ich zu sehen, ob Michaela an der Theke steht, aber ich kann es nicht erkennen. Ich muss mich unbedingt mal wieder bei ihr melden.

Als ich die Hohe Straße in Richtung Dunkerhofstraße überquere, höre ich die N.C.I.S.-Titelmelodie aus meiner Tasche. „Nein, ich habe nun Mittagspause“, sage ich mir selbst und beschließe, nicht extra anzuhalten, um den Anruf entgegenzunehmen. Wenn es wichtig ist, wird man es wohl wieder probieren. Schwungvoll biege ich auf die Umstraße ein und hätte fast ein entgegenkommendes Auto übersehen. Ich winke der ängstlich dreinblickenden Fahrerin entschuldigend zu und trete heftiger in die Pedalen. Auf dem Feldchen angekommen, bremse ich stark ab, und das blockierte Hinterrad schleift über den Straßenbelag. Sekundenbruchteile später ist das Rad abgestellt, und ich stehe vor der Eingangstür mit dem Schlüssel in der Hand. Der frische Fahrtwind hat mir gutgetan, umso mehr freue ich mich auf ein gemütliches Mittagessen mit Oma.

„Ich bin da“, rufe ich schon, als ich den Hausflur betrete. Die Küchentür ist nur halb geöffnet, und ich kann Karls Stimme vernehmen. Er klingt aufgeregt.

„… ist idiotisch!“, kann ich gerade noch verstehen.

„Was ist idiotisch?“, frage ich daher nach, als ich die Küche betrete. Karl und Oma sehen mich überrascht an. „Störe ich?“

„Nein, nein“, versucht Oma zu beschwichtigen. „Wir haben nur diskutiert.“

Karls Blick verrät, dass er es anders sieht, aber er verkneift sich eine Erwiderung. Stattdessen macht er den Versuch eines Lächelns in meine Richtung.

„Hallo Biene. Du hast dich ja lange nicht mehr blicken lassen.“

Ich ziehe meinen Stuhl an den Küchentisch und nehme Platz. „Ach, die Arbeit. Da bleibt kaum noch Zeit.“

Er grinst. „Wer hätte gedacht, dass du nochmal richtig zum Arbeiten kommst.“

„Na ja, ich will mich nicht beklagen. Ich wollte ja, dass die Detektei läuft, und wenn es jetzt soweit ist, ist das auch gut so.“

Ich fingere mein Handy aus der Tasche und schaue nach, wer mich vorhin angerufen hat. Betty steht auf dem Display. Verdammt, meine Freundin habe ich schon ewig nicht mehr gesprochen. Nachdenklich lege ich das Handy auf den Tisch, während Oma mit der Pfanne in der Hand vor mir erscheint. „Etwas Unangenehmes?“

„Nein, nein. Betty hat nur versucht, mich anzurufen und ich habe ein schlechtes Gewissen, dass ich nichts von mir habe hören lassen.“

„Freunde sind wichtig, Kengk“, ermahnt mich Oma. „Wie viele Frikadellen möchtest du?“ Sie wartet keine Antwort ab und legt mir zwei der köstlichen Fleischklopse auf den Teller. „Wirsing kommt gleich“, hängt sie an und beantwortet damit meine Frage, ohne dass ich sie gestellt hätte.

Der Geschmack der Frikadellen und des von mir so innig geliebten Wirsinggemüses löst ein wohliges Gefühl in mir aus. Bei jedem Bissen lasse ich die Gedanken schweifen. Mir könnte es besser nicht gehen. Das Geschäft läuft, und zum ersten Mal überhaupt in meinem Leben habe ich den Eindruck, etwas erreicht zu haben. Finanziell ergeben sich neue Spielräume, und ich denke sogar darüber nach, mir endlich mal ein Auto zuzulegen. Meistens nutze ich Opas alten Mercedes, der schon fast dreißig Jahre auf dem Buckel, aber mich nie im Stich gelassen hat. Vielleicht ist ein solches Fahrzeug nicht mehr angemessen für eine erfolgreiche Unternehmerin. Jagos Aston Martin dient da schon eher als Aushängeschild, aber seit er wieder in Grefrath ist, darf ich diesen Traumwagen nicht mehr fahren, so sehr ich auch bettele.

Ansonsten werde ich von meiner Oma umsorgt, und wenn ich meine Freunde nicht gerade so vernachlässige, wie ich es in letzter Zeit getan habe, dann kann ich auf sie zählen. Lediglich die Beziehung mit Jochen macht mir ein paar Sorgen. Jochen ist mein Freund. Fühlt sich immer noch komisch an, wenn ich das sage. Dabei sind wir jetzt schon ein Jahr zusammen. Das ist ungewöhnlich. Wir hatten es immer wieder mit etwas Festerem versucht, aber nach kurzer Zeit war es dann wieder vorbei. Wir kennen uns schon seit der Grundschule, und seitdem war und ist Jochen immer für mich da. Er hat mich verteidigt, wenn es nötig war, und einiges durch mich erlitten. Dennoch ist er immer noch an meiner Seite. Er ist eine treue und ehrliche Seele. Insofern passt es auch, dass er Polizist ist. Doch in letzter Zeit scheint er sich immer mehr zurückzuziehen. Man hat ja schon mal davon gehört, dass Männer mit erfolgreichen Frauen nicht klarkommen. Aber Jochen ist nicht so einer. Oder doch?

„Noch Wirsing?“ Oma steht mit dem Topf neben mir und sieht mich fragend an.

„Nein, danke. Genug ist genug.“

„Es gibt aber noch Pudding.“

„Oh Mann, das hättest du mir eher sagen sollen. Jetzt bin ich pupesatt.“

Oma stellt den Topf zurück auf den Herd und beginnt, die Utensilien für den Nachtisch auf den Tisch zu stellen. „Ach was, Kengk. Pudding geht immer.“

Die Schüssel mit dem verführerischen Schokoladenpudding mit der obligatorischen Vanillesauce und der frisch geschlagenen Sahne steht vor mir, und mein Widerstand ist dahin. Ich schaufele mir von allem gehörig in mein Dessertschüsselchen.

Nachdem dies vollkommen geleert ist, muss ich dem Drang widerstehen, mir den obersten Jeansknopf zu öffnen.

„Sagt mal“, frage ich in die Runde. „Kennt ihr eine Frau Vanderboldt?“

Oma nickt. „Du meinst diese Immobilienzicke?“

„Oh, das klingt ja nicht sehr positiv.“

„Die muss wirklich schrecklich sein“, bestätigt Oma meine Vermutung. „Du kennst die doch, Karl, oder?“

Karl nickt. „Kennen ist zu viel gesagt. Der gehört das Mehrfamilienhaus gleich bei mir auf der Straße, und was ich da von den Mietern höre, ist erschreckend. Die ist so ein richtiger Miethai, oder wie man das nennt. Was hast du denn mit der am Hut?“

„Ach, nix, eigentlich. Cassandra, unsere Assistentin, hat erzählt, dass ihre Tante so Ärger mit der hat.“

„Die Margot?“, schaltet sich Oma ein. „Stimmt, hat sie mir letztens auf dem Markt erzählt. Die Vanderboldt will unbedingt ihr Haus kaufen und terrorisiert sie deswegen.“

„Echt? Was macht sie denn?“, werde ich aufmerksam, während ich unauffällig versuche, den Hosenbund zu weiten.

„Genau weiß ich das nicht.“ Oma nimmt sich den letzten Rest Pudding aus der Schüssel und schleckt ihn direkt vom Löffel. „Aber pass bloß auf. Mit der Vanderboldt ist nicht zu spaßen.“

 

II

Als ich die Bürotür wieder öffne, höre ich Klappern. Wollte Cassandra nicht weg sein, wenn ich komme?

„Hallo?“, rufe ich.

„Olá“, schallt es zurück, und Jagos strahlendes Gesicht lugt um die Ecke. „Da bist du ja.“ Ich muss immer innerlich grinsen, wenn ich ihn mit seinem spanischen oder eigentlich argentinischen Akzent das s aussprechen höre. Jago kommt nun ganz hervor und steht dort mit der Espressotasse in der Hand vor mir. Er trägt, wie immer, einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd, dessen obere Knöpfe eine Idee zu weit geöffnet sind, dadurch aber einen durchaus erfreulichen Blick auf eine leicht behaarte Männerbrust und das obligatorische Goldkettchen zulassen. Letzteres ist in seinem Fall aber angenehm dezent.

„Du bist lustig. Ich war heute Morgen schon im Büro. Wo warst du denn?“

„Ich war bei der Anwaltskanzlei in Düsseldorf.“ Düsseldorf, ein Wort mit zwei s, herrlich. Er setzt ein entschuldigendes Gesicht auf. „Wir hatten doch gestern darüber gesprochen.“

„Ach ja. Ich erinnere mich. Und was sagt Herr Dahlen so?“

Herr Dahlen ist Anwalt in der Anwaltssozietät Hussmann und Partner in Düsseldorf. Ein durchaus renommiertes Haus, das durch seine Aufträge an uns hauptsächlich für unseren geschäftlichen Erfolg verantwortlich ist.

„Er hat bedauert, dass du nicht mitgekommen bist. Du weißt, er mag dich.“ Jago grinst.

„Du hast ihm hoffentlich erklärt, dass sich jemand um die Geschäfte vor Ort kümmern muss.“

„Selbstverständlich. Sein Chef, Herr Hussmann, ist im Übrigen sehr zufrieden mit unserer Arbeit.“

„Das klingt gut. Hatten sie neue Aufträge für uns?“

„Si“, bestätigt Jago. „Wie sieht es hier aus?“

Ich gehe an ihm vorbei zur Kaffeemaschine und starte die Zubereitung einer Latte macchiato. „Wir haben neue Klienten, und Cassandra hat uns um einen Gefallen gebeten.“

Wir beobachten beide, wie der Milchschaum im Glas aufsteigt und sich anschließend der Espresso exakt in der Mitte niederlässt. Ich nehme das Glas und gebe Jago das Signal, mir in mein Büro zu folgen.

Er setzt sich an den Besprechungstisch und stellt seine Espressotasse ab. „Was ist das für ein Gefallen?“, hakt er nach.

„Kennst du Dagmar Vanderboldt?“

Jago lebt zwar nicht so lange in Grefrath wie ich, aber dafür verkehrt er von jeher unter den Reichen und Schönen. Er kippt seinen Espresso hinunter und betrachtet bedauernd die leere Tasse. Dann stellt er sie wieder ab und dreht sich mir zu. „Vanderboldt, Vanderboldt. Das sagt mir was.“ Er dreht die Tasse auf ihrer Untertasse hin und her. „Moment, ist das so eine leicht aufgetakelte Mittfünfzigerin?“

„Keine Ahnung“, antworte ich. „Ich habe sie noch nie gesehen. Sie muss aber so eine Art Immobilienhai sein.“

Jago nickt mit dem Kopf. „Ja, jetzt erinnere ich mich. Ich habe sie mal getroffen. Ich glaube bei einer Feier auf dem Golfplatz. Bin mir nicht sicher. Was ist denn mit der?“

„Angeblich bedrängt sie Cassandras Tante, ihr Haus an sie zu verkaufen, und Cassandra hat nun Angst, dass sie auch vor Gewalt nicht zurückschreckt. Der Ruf von Frau Vanderboldt ist jedenfalls nicht der beste. Sogar Oma hat mich vor ihr gewarnt.“

Jago winkt ab. „Du weißt doch, wie schnell in Grefrath die Gerüchte überkochen. Da muss nichts dran sein.“

„Okay, aber tue Cassandra den Gefallen und höre dich mal um, ja?“

Er erhebt sich von seinem Platz, greift nach seiner Espressotasse und nickt mir zu. „Si, Señora. Mach ich.“ Er verlässt mein Büro, und ich blicke ihm nach. Wir sind schon ein komisches Pärchen, aber ein gutes Team.

Ich rufe KUSY in meinem Rechner auf und betrachte die Informationen, die Cassandra vom Ehepaar Jacobsen aufgenommen hat. Ich müsste mal nach Krefeld fahren und mich in der Nähe der Wohnung der Tochter umsehen. „Mist“, entfährt es mir. Mir ist eingefallen, dass ich mit dem Fahrrad hier bin und nun kein Auto zur Verfügung habe. Außer …

Jago blickt von seinem Computer auf, als ich ihn anspreche. „Ach, sag mal. Ich müsste im neuen Fall nach Krefeld. Kann ich dein Auto haben?“ Ich versuche, es so unaufgeregt wie möglich klingen zu lassen. Jago will etwas antworten, aber ich schiebe meine, wie ich finde, sachlichen Argumente nach. „Ich bin blöderweise mit dem Fahrrad da.“

Man kann Jago ansehen, dass es in ihm arbeitet. „Du kannst dir doch den Mercedes holen“, startet er einen Versuch.

„Du lässt mich echt nochmal zurückradeln und dann in dem uralten Mercedes herumfahren? Das ist keine gute Außenwirkung für unsere Firma.“

Das war ein geschickter Schachzug von mir, denn das Image ist Jago sehr wichtig. Aber er gibt nicht auf. „Du kannst doch auch morgen …“

„Sorry“, falle ich ihm ins Wort. „Aber das Credo unserer Detektei ist, die Belange unserer Klienten an erste Stelle zu setzen. Und einen Tag später zu beginnen, nur weil du mich nicht mit deinem Auto fahren lassen möchtest, passt absolut nicht dazu.“ Das war der K.O.-Schlag. Ich beobachte, wie Jago den Autoschlüssel aus seiner Schreibtischschublade nimmt und unsicher in seinen Fingern hin und her dreht. Ich mache einen Schritt auf ihn zu und strecke meine Hand aus. Zögerlich gibt er mir die Schlüssel. „Fahr ja vorsichtig!“

Ich schnappe die Schlüssel. „Na klar, du kennst mich doch.“ Schon drehe ich mich um und verlasse das Büro. Sein leises Stöhnen hinter mir versuche ich zu ignorieren und unterdrücke das Verlangen, einen Luftsprung zu machen.

Schnell übertrage ich die wichtigsten Daten aus KUSY auf mein Handy, schnappe mir Jacke und Tasche und stehe schon vor diesem Traumgefährt, das unschuldig und doch als Markenzeichen unserer Firma vor dem Haus darauf wartet, bewegt zu werden. Ein Aston Martin will schließlich genau das. Bewegt werden. Sagt Jago immer. Ich drücke auf den Knopf und öffne die Fahrertür. Dann lasse ich mich auf den Fahrersitz aus edelstem Leder gleiten und betrachte die Armaturen, die zum einen Understatement, aber auch Luxus ausstrahlen. Mittlerweile weiß ich, wie man dieses Edelgefährt startet, und als ich die Maschine spüre, kribbelt es im ganzen Körper. Langsam lass ich den Wagen den Deversdonk entlangrollen und genieße die Blicke, die der Aston Martin immer noch auslöst, obwohl er doch schon länger zum Ortsbild gehört.

Als ich von der Bahnstraße auf die B509n in Richtung Krefeld abbiege, habe ich endlich Jagos Radio von seinem komischen Sender auf WDR2 umgestellt. Mein Handy hat sich automatisch mit der Freisprechanlage verbunden, und ich befehle dem Auto, Betty anzurufen. Was es dann auch tut, während ich an Mülhausen vorbeigleite.

„Schneider“, erklingt es im Wageninneren.

„Hallo Betty, ich bin es, Biene“, erwidere ich.

„Welche Biene?“

„Ha, ha, guter Witz. Ja, ich bin es. Ich weiß, ich hätte mich längst mal melden sollen.“

„Das ist wohl wahr“, schimpft Betty am anderen Ende. „Bist du unterwegs?“

„Ja, muss nach Krefeld.“ Ich mache eine bedeutungsschwere Pause. „Und Jago hat mir sein Auto geliehen.“

„Oh, cool. Fahr ihm bloß keine Beule rein.“

„Natürlich nicht“, protestiere ich. „Wie geht es euch?“

„Soweit ganz gut. Und dir?“

„Auch ganz gut. Viel Arbeit.“

„Dann brummt der Laden? Das freut mich.“ Bei Betty klingt das aufrichtig. Sie war immer meine beste Freundin, und ich verspüre einen Stich, wenn ich daran denke, wie lange wir uns jetzt nicht mehr gesehen haben. „Sag mal, wollen wir uns mal wieder treffen. Auf ein Altbier bei Brigitte, oder so?“

„Das wäre schön.“

„Komm, dann lass es uns angehen. Rufst du die anderen an und schickst mir einen Terminvorschlag?“

„Bin ich deine Sekretärin?“

„Äh, nein. So meinte ich das nicht.“

„Du rufst nach ewiger Zeit kurz aus dem Auto an und gibst mir den Auftrag, einen Termin zu vereinbaren. Deine Chefallüren sind echt ätzend.“

Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu viel Gas gebe und den Vordermann ramme, weil mich Bettys plötzlicher Wutausbruch so überraschend trifft.

„Bist du noch da?“, fragt sie. „Oder ist es dir zu unangenehm?“

„Nein, nein. Äh, ich meine, ja, ich bin noch da, und ja, du hast recht. Es war unbedacht von mir.“ Ich überhole einen LKW. „Tut mir leid. Ich würde euch aber wirklich gerne wieder treffen.“

„Und du meinst, du kriegst das eingerichtet?“, fragt Betty skeptisch nach.

„Ja, ganz bestimmt.“

„Ich verspreche dir, wenn ich jetzt alle zusammentrommele, und du kannst dann wieder nicht, kriegen wir richtig Streit.“

„Ja, ich habe verstanden. Ich verspreche, ich werde da sein. Indianerehrenwort.“

„Na gut. Ich checke das mit den anderen und melde mich.“

„Danke“, murmele ich kleinlaut.

„Schon gut. Pass auf dich auf.“

„Danke, du auch.“ Ich tippe auf den roten Hörer.

 

Vom Krefelder Weg biege ich auf die St.

---ENDE DER LESEPROBE---