Tote Trainer pfeifen nicht - Vera Nentwich - E-Book

Tote Trainer pfeifen nicht E-Book

Vera Nentwich

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  • Herausgeber: Vera Books
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Was machst du, wenn dich deine Freundin um Hilfe bittet? Mörder jagen. Grefraths Eishockeystar Tobias „Toby“ Thomsen soll den Trainer erschlagen haben. Seine Freundin bittet Sabine „Biene“ Hagen um Hilfe. So stürzt sich die Detektivin in die Welt des Grefrather Eishockeys und kommt nicht nur dem neuen kanadischen Spieler sehr nahe. Dies und der angekündigte Besuch der zukünftigen Schwiegereltern wirbelt ihr Privatleben zudem kräftig durcheinander. Aber Biene wäre nicht sie, wenn sie sich beirren ließe. So geht sie den wichtigen Fragen nach. Wie konnte sich ein Viertligist so einen Top-Trainer leisten? Was führt der Vereinsvorsitzende im Schilde? Eine turbulente Mörderjagd in der Welt des Pucks und des Bodychecks mit Lokalkolorit. Wer lustige Krimis für Erwachsene mag, wird Biene Hagen lieben. Die ideale Urlaubslektüre muss nicht an der Nordsee oder in Bayern spielen. Grefrath am Niederrhein kann locker mithalten. Greifen Sie gleich zu und erleben sie entspannte Stunden mit dem neuen Abenteuer von Biene Hagen.

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XI
XII
XIII
XIV
XV
XVI
XVII
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Impressum

Tote Trainer pfeifen nicht

Vera Nentwich

 

I

Wieso ist da kein Brusthaar? Jochen kraule ich gern in seinem Brusthaar. Ich taste weiter mit meiner Hand den neben mir liegenden Brustkorb ab.

„Hey, Darling“, sagt eine Stimme, die definitiv nicht Jochens Stimme ist. Der amerikanische Singsang irritiert mich. Ich ziehe meine Hand zurück und wage es nicht, die Augen zu öffnen. Konzentriere dich, Sabine! Was ist hier los?

Krampfhaft versuche ich, die Gedanken in meinem brummenden Schädel zu sortieren. Einfach Schritt für Schritt, Sabine. Du erinnerst dich an gestern. Annette hat angerufen und gefragt, ob ich mit zur Saisoneröffnungsparty der Grefrath Tigers kommen würde. Die Tigers sind unsere Eishockeymannschaft. Schließlich hat die kleine Gemeinde Grefrath mit ihren knapp zwanzigtausend Einwohnern ein großes Eissportzentrum mit Stadion und Eisschnelllaufbahn. Da ist es nur logisch, dass es auch eine Eishockeymannschaft gibt.

Ich war ewig nicht mehr beim Eishockey. Hätte Annette nicht mit Tobias „Toby“ Thomsen angebändelt, hätte ich auch weiter keinen Gedanken daran verschwendet. Ausgerechnet Toby Thomsen, Grefraths Junge, der es in der weiten Eishockeywelt zu etwas gebracht hat. Noch als Jugendlicher ist er zum großen Nachbarn nach Krefeld gewechselt und hat dort einige Jahre in der höchsten deutschen Eishockeyliga gespielt. Nun hat er seine Profikarriere beendet und ist nach Grefrath zurückgekommen. Hier hat er ein Versicherungsbüro eröffnet und spielt nur noch als Hobby bei den Tigers.

Der Nebel in meinem Kopf löst sich allmählich, und es kommen klarere Gedanken hindurch. Wir waren also auf der Saisoneröffnungsparty. Dort wurden die neuen Spieler vorgestellt. Annette und Toby hingen aneinander wie die Kletten, deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als mich unter die Spieler zu mischen. Da war dieser Typ. Ryan Mc-Weiß-ich-nicht-mehr. Ein junger Kanadier, der in Düsseldorf studiert und nun für Grefrath spielen wird. Echt süß. Wir haben geplaudert. Daran erinnere ich mich noch.

„Good morning“, sagt der Mann neben mir, und jetzt weiß ich es.

„Scheiße“, rutscht es mir raus, und ich öffne erschrocken die Augen.

Ich sehe in das erstaunt dreinblickende Gesicht eines blonden Burschen mit einem atemberaubend muskulösen Oberkörper.

„Sorry“, murmele ich und luge unter die Bettdecke. „Scheiße, scheiße“, brumme ich unter der Decke. Ich bin nackt. Komplett. Völlig ohne Klamotten. Ich lasse die Decke sinken und versuche, mich dem Blick dieses Adonis zu stellen.

„Are you okay?“

„Äh, yes“, stammele ich. „Where are my …“

Er lächelt. „Überall“, antwortet er mit einem sehr deutlichen Akzent. Dann lacht er laut auf. „It was fantastic.“

„Schön.“ Ich entdecke meine Brille auf dem Boden neben dem Bett, setze sie auf und suche das Zimmer ab, um irgendwie meine Unterwäsche zu lokalisieren. Dort neben der Tür liegt etwas. Ich ziehe an der Decke, wickele sie mir um den Körper und versuche, aus dem Bett aufzustehen. Der Jüngling löst sich von der Decke und gibt dabei den Rest des Körpers frei, der nicht weniger sportlich aussieht. Ich muss mich konzentrieren. Mit einem Ruck reiße ich das Oberbett an mich und bin schon bei meiner Unterwäsche. So schnell ich kann, schlüpfe ich hinein, während ich das Zimmer nach weiteren Kleidungsstücken durchsuche. Sie liegen auf dem Boden verstreut, und ich sammele sie unter dem Grinsen des Eishockeyspielers ein. So etwas ist mir noch nie passiert, und in mir herrscht heilloses Chaos. Wie konnte es nur dazu kommen?

Als ich endlich wieder vollständig angezogen bin und noch überlege, ob ich eine Handtasche dabei hatte oder nicht, ertönt die Titelmelodie meiner Lieblingsfernsehserie NCIS und zeigt an, dass irgendwo mein Handy klingelt. Ryan springt auf, um mir bei der Suche nach dem Gerät zu helfen. Ich halte ihm seine Unterhose entgegen. Er versteht den Wink und schlüpft hinein. Nicht, dass sein Körper nun weniger anziehend wirken würde. Ich betrachte noch sein Hinterteil, als er unter dem Bett wieder hervorkommt und mir triumphierend mein Telefon entgegenhält. Mit einem knappen Nicken nehme ich es und starre auf den angezeigten Anrufer. Bevor ich auf den grünen Hörer tippe, muss ich tief Luft holen.

„Hallo Jochen“, säusele ich. „Hast du nicht Dienst?“ Als Polizist muss mein Freund auch schon mal am Wochenende ran.

„Hallo Biene, ja, noch bis vierzehn Uhr. Ich hatte gehofft, dass wir uns am Nachmittag oder am Abend treffen könnten.“

Das hatte ich befürchtet. Aber ich weiß nicht, ob ich ihm heute in die Augen sehen kann. „Weiß nicht. Habe ein bisschen zu viel gefeiert und bin müde. Ich melde mich, okay?“

Es dauert, bis Jochen antwortet. Es ist offensichtlich, dass er etwas anderes erwartet hat.

„Ja, okay. Wenn du es so möchtest“, sagt er, und aus jeder Silbe tropft sein Unmut.

„Sei mir nicht böse“, beschwichtige ich ihn. „Ich lege mich etwas hin und rufe dich dann bestimmt an.“

„Schon gut.“ Er stockt, und ich höre, wie seine Kollegin im Hintergrund etwas sagt. „Du, ich muss los. Am Eisstadion ist irgendwas passiert. Bis später.“

Bevor ich nachfragen kann, was geschehen ist, hat er aufgelegt. Wahrscheinlich haben wieder Jugendliche auf dem großen Parkplatz beim Stadion Autorennen veranstaltet.

Ich entscheide, dass ich wohl keine Handtasche dabei hatte, greife meine Jacke, die direkt an der Zimmertür liegt, stecke mein Handy ein und drehe mich zu dem Jüngling.

„Tschüss.“ Kurz hebe ich die Hand zu einem angedeuteten Winken und öffne die Tür. Ich habe keine Ahnung, wo ich hier bin und wie ich nach Hause kommen soll, aber ich muss hier raus.

 

Das Zimmer ist im oberen Stockwerk. Während ich eine geschwungene Holztreppe hinuntergehe, höre ich Stimmen. In der Diele mache ich gerade einen Schritt in Richtung Haustür, als hinter mir mein Name genannt wird.

„Biene? Was machst du denn hier?“

Ich drehe mich um und sehe in Annettes überraschtes Gesicht. Dann sieht sie die Treppe hoch und grinst. „Oh.“

„Nix, oh“, erwidere ich. „Scheiße.“

„So schlimm?“ Sie lacht auf.

„Ach, hör auf! Ich frage mich, was in mich gefahren ist.“ Ich sehe nach oben und vergewissere mich, dass der Jüngling mir nicht gefolgt ist, aber es ist niemand zu sehen. „Kannst du mich nach Hause bringen? Ich habe keine Ahnung, wie ich hierhergekommen bin.“

„Ich habe dich nur kurz mit Ryan knutschend in der Ecke stehen sehen. Dann wart ihr plötzlich weg.“

„Und du hast mich nicht davon abgehalten?“

„Bin ich dein Kindermädchen?“

„Kannst du mich nun fahren?“, jammere ich. Dieses unrühmliche Kapitel möchte ich so schnell wie möglich hinter mir lassen.

Sie nickt. „Klar, einen Moment.“ Sie verschwindet und ich höre Stimmen, dann erscheint sie wieder, ihre Handtasche über die Schulter gehängt. „Los geht’s.“ Sie geht an mir vorbei und öffnet die Haustür.

Ich folge ihr. „Wo sind wir überhaupt?“

„Bei Toby.“

„Wohnst du schon bei ihm?“

„Nein, aber gestern Abend war es einfacher, hierher zu fahren.“

„Und was macht Ryan hier?“ Es fühlt sich komisch an, seinen Namen auszusprechen.

„Er wohnt auch hier. Toby lässt ihn bei sich wohnen, damit er einfacher zum Training kommen kann und so.“

„Sehr großzügig von deinem Toby.“

Wir gehen aus dem Haus, und ich blicke mich um. „Ach, Freventstraße, nicht wahr?“

Annette nickt. „Du scheinst ja wirklich einen Filmriss zu haben.“

Ich betrachte das Haus, vor dem wir stehen. „Dein Toby lebt nicht schlecht.“

Sie ist schon bei ihrem Wagen und öffnet die Tür. Ich folge ihr und steige auf der Beifahrerseite ein. „Scheint was Ernstes zu sein mit euch.“

Annette ist die tougheste unter meinen Freundinnen. Als Krankenschwester im Hospital in Kempen hat sie so einiges erlebt, was ich mir gar nicht vorzustellen vermag. Seit ich sie kenne, hatte sie nie eine längere Beziehung. Klar, es tauchten kurzzeitig mal Kerle mit ihr auf, aber das war immer schnell wieder vorbei. Dass sie jetzt ausgerechnet mit Grefraths Eishockeystar zusammen ist, passt irgendwie. Sie macht es eben nicht mit einem Niemand. Sie sieht zu mir, während sie den Wagen startet. „Ja, könnte sein“, antwortet sie und lächelt.

„Das freut mich für dich. Wurde ja auch mal Zeit, dass da ein Mann kommt, der es mit dir aufnehmen kann.“

Ihr Blick bekommt etwas Weiches. Meine Freundin scheint wirklich glücklich zu sein. Was mich an mein eigenes Beziehungsdesaster denken lässt. Die Schamesröte steigt mir heiß in die Wangen. Welcher Teufel hat mich da bloß geritten? Annette scheint meine Gedanken zu erahnen.

„Wie läuft es denn mit dir und Jochen?“

„Gestern hätte ich noch geantwortet, gut. Jetzt weiß ich es nicht.“

„Von mir wird er nichts erfahren.“

„Das weiß ich. Aber ich kann mir immer noch nicht erklären, wie mir das passieren konnte.“ Ich betrachte die Häuser, an denen wir vorbeifahren. „Mein Gott, er ist noch ein Kind.“

Annette lacht auf. „Jetzt übertreibe mal nicht. Er ist fünfundzwanzig und sieht verdammt sexy aus. Du bist eben keine Nonne.“

„Aber ich bin in einer Beziehung, und jetzt war ich mit einem anderen im Bett.“

Ich muss an diese Pilger denken, die sich mit dornenbesetzten Peitschen selbst geißeln. Ich würde mir jetzt gerne mit diesen Dingern die Haut blutig schlagen. Verdient habe ich es zweifellos. Dabei habe ich großes Glück, jemanden wie Jochen in meinem Leben zu haben. Und das schon sehr lange. Schon in der Grundschule wich er nie von meiner Seite und hat mich verteidigt, selbst wenn ich es gar nicht wollte, weil ich mich viel lieber selbst geprügelt hätte. Später kamen wir immer mal wieder zusammen und trennten uns wieder, was zumeist von mir ausging. Jetzt sind wir schon länger zusammen, und es ist offensichtlich, dass Jochen den nächsten Schritt gehen will. Aber in mir sträubt sich alles dagegen. Ich kann nicht genau sagen, aus welchem Grund mir bei dem Gedanken an Zusammenziehen und mehr mit Jochen die Haare zu Berge stehen. Vernünftig betrachtet ist er eine perfekte Wahl. Er ist Polizist, Beamter mit sicherem Gehalt. Er tut alles für mich. Und doch …

„Spricht nicht für die Beziehung, wenn dir so etwas passiert“, mahnt Annette.

„Hm“, brumme ich, während sie in die Straße Auf dem Feldchen einbiegt.

Sie hält vor Omas Haus und sieht zu mir. „Wenn es nur ein Ausrutscher war, muss niemand etwas davon erfahren. Wenn es mehr sein sollte, dann musst du dir schnell darüber klar werden. Das bist du Jochen schuldig.“

Das liebe ich an Annette. Bei ihr gibt es kein Drumherumreden, nur klare und ehrliche Worte. Ich umarme sie kurz und hauche ihr ein Danke ins Ohr, dann steige ich aus und beobachte, wie sie wieder losfährt.

 

Ich krame den Hausschlüssel aus der Jackentasche und öffne die Haustür.

„Bös du et, Kengk?“, ruft Oma aus der Küche im Grefrather Dialekt, in den sie gerne verfällt. Sie nennt mich immer Kengk, was Kind auf Hochdeutsch bedeutet. „Ja, ich bin es“, rufe ich zurück, während ich meine Jacke an die Garderobe hänge.

Seit dem Tod meiner Eltern lebe ich mit Oma in ihrem Haus. Im ersten Stock habe ich mein Reich, aber das Leben spielt sich zumeist in Omas Küche ab. Im Moment sitzt Oma am Küchentisch und blättert in der Tageszeitung.

„Hallo Kengk, wo warst du denn?“

„Ach, ich hatte etwas getrunken und habe bei Annette übernachtet.“ Ist ja nicht vollständig gelogen.

Sie mustert mich. „Du siehst mitgenommen aus. Hast du überhaupt schon gefrühstückt?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, steht Oma bereits auf und beginnt, Frühstücksutensilien zusammenzustellen.

Ich lasse mich auf meinen Stammplatz sinken und schüttele den Kopf.

Oma ist voll in ihrem Element, und ehe ich mich versehe, stehen ein dampfender Pott Kaffee, ein Teller mit Aufschnitt und Käse, zwei Brötchen und alle notwendigen Gerätschaften vor mir. Ich nehme einen kräftigen Schluck Kaffee und greife mir ein Brötchen, um es großzügig zu belegen.

Oma setzt sich wieder mir gegenüber und beobachtet, wie ich genüsslich in das Brötchen beiße.

„Wie läuft es denn mit Jochen?“

Oma mag Jochen. Bestimmt würde sie es gerne hören, wenn er und ich den nächsten Schritt gehen würden. Zwar war es ihr nie wichtig, dass ich finanziell versorgt bin, denn sie weiß, dass ich recht gut für mich selbst sorgen kann. Aber dass da jemand ist, der für mich da ist, liegt ihr sehr am Herzen. Und dass ich ein geregeltes Sexualleben habe. Zumindest über diesen Punkt könnte sie heute zufrieden mit mir sein, auch wenn ich mich nicht mehr an jedes Detail erinnern kann. Ich kann mich aber erinnern, dass ich es gewollt habe. So ehrlich muss ich mit mir sein. Ich wollte eine heiße Nacht mit diesem Eishockeycrack, und ich habe sie bekommen. Was sagt das über mich aus? Und über meine Beziehung zu Jochen? Meine Zweifel scheinen ja größer zu sein, als ich es mir eingestehen will.

„Alles gut, Kengk?“ Oma sieht mich besorgt an.

Ich beiße schnell wieder in mein Brötchen, um nicht antworten zu müssen. Mir scheint, dass ich an einem Wendepunkt in meinem Leben stehe. Sabine Hagen, die von allen nur Biene genannt wird, ehemalige Steuerfachangestellte, die mittlerweile eine florierende Detektei führt, muss sich endlich darüber klar werden, was sie im Leben will, und ob Jochen ein Teil davon sein soll oder nicht.

Ich lege das angebissene Brötchen ab und sehe Oma an. „Ich weiß es gerade nicht.“

II

In einem Wust aus Gedanken gefangen, kämpfe ich gegen das Chaos an wie gegen Fäden aus einem riesigen Wollknäuel, die mich umwickelt und bewegungsunfähig gemacht haben. So sehr ich auch an einigen Stellen zerre, nirgendwo löst sich das Gewirr auf und zeigt mir einen Ausweg.

Das Klingeln meines Telefons lässt mich die Augen öffnen. Es braucht einen Moment, bis ich realisiere, dass ich in meiner Wohnung auf der Couch liege. Ich muss eingeschlafen sein. Das Telefon klingelt immer noch. Ich taste neben meinem Kopf herum, in der Hoffnung, dass ich es irgendwo greifen kann, aber außer zerknüllten Papiertaschentüchern ertaste ich nichts. Also lausche angestrengt nach der Richtung, aus der dieses nervige Geräusch zu hören ist. Schließlich entdecke ich mein Handy auf dem Tisch vor mir und beim Griff danach, fällt mir auf, dass es bereits drei Uhr ist. Jochen hat Feierabend. Bestimmt ist er es, der anruft und sich mit mir treffen möchte. Nein, ich bin noch nicht so weit, schießt es mir durch den Kopf. Aber dann seufze ich erleichtert auf, als ich auf dem Display erkenne, dass es Annette ist, die mich aus meinem unruhigen Schlaf geholt hat. Ich drücke auf den Knopf. „Hi, Annette. Habe ich was bei dir vergessen?“

„Sie haben Toby abgeholt“, höre ich sie sagen, und dabei klingt so etwas wie Aufregung mit. Eine Regung, die ich von Annette nicht kenne.

„Wer hat Toby abgeholt? Und warum?“

„Die Polizei. Sie haben ihn zur Vernehmung abgeholt wegen dringenden Tatverdachts.“

„Tut mir leid, Annette, ich kann dir gerade nicht folgen. Was soll er denn getan haben?“

Weint Annette? Das kann nicht sein. Nicht Annette. Aber dennoch klingt ihre Stimme gebrochen, als sie antwortet. „Er soll seinen Trainer umgebracht haben.“

„Den Trainer? Aber den habe ich doch gestern Abend noch auf der Party gesehen.“

„Ja, und heute Morgen lag er tot in der Kabine.“

Jetzt dämmert es mir. Ging es bei Jochens Einsatz am Eisstadion um diese Sache? Dass der Trainer der Grefrath Tigers tot aufgefunden wurde? Es ist doch gerade erst ein paar Stunden her. Wenn sie jetzt schon einen Verdächtigen zur Vernehmung abholen, muss der Verdacht ziemlich deutlich begründet sein.

„Hat die Polizei denn gesagt, warum sie Toby verdächtigen?“

Ich höre ein deutliches Schniefen. „Nein, sie haben nur gesagt, dass er alles Weitere auf der Wache erfahren würde und dass sie ihm raten, einen Anwalt anzurufen.“

„Dann müssen sie wirklich einen klaren Verdacht haben.“

„Toby hat ihn bestimmt nicht umgebracht.“ Jetzt ist das Schluchzen nicht mehr zu überhören, und es bricht mir das Herz.

„Hat er denn einen Anwalt?“

„Nein, ich soll einen suchen.“

„Lass mal. Ich rufe den Anwalt an, mit dem wir in der Detektei zusammenarbeiten. Der kennt sich aus und wird sich kümmern.“

„Ja, das wäre gut.“ Die Stimme meiner Freundin ist schwach.

„Es wird sich bestimmt alles aufklären. Ich versuche mal, etwas in Erfahrung zu bringen, okay?“

Annette schnieft zur Bestätigung.

„Kommst du klar, oder soll ich zu dir kommen?“, hake ich nach.

„Nein, geht schon. Bitte versuche, etwas herauszubekommen, ja?“

„Mache ich.“

 

Hoffentlich ist Jago zu erreichen. Jago Diaz Fernandez ist mein Kompagnon in der Detektei. Na ja, eigentlich ist er der wesentliche Geldgeber. Ohne ihn wäre diese abenteuerliche Firmengründung nie möglich gewesen. Den Argentinier hat es vor Jahren nach Europa und vor einiger Zeit nach Grefrath verschlagen, und er hat sich überraschenderweise hier niedergelassen. Doch das hält ihn nicht davon ab, mit seinem Aston Martin von hier aus irgendwohin zu fahren und seinen Geschäften nachzugehen. Worin auch immer diese Geschäfte bestehen mögen. Zumindest haben sie ihn zu einem reichen Mann gemacht, der sich die Spielerei einer Detektei in Grefrath am Niederrhein ohne Probleme leisten kann.

Ich wähle seine Nummer, und glücklicherweise geht er sofort ran.

„Ola“, höre ich seine Stimme und seinen unverkennbaren spanischen Akzent.

„Hi. Kannst du Herrn Dahlen anrufen und ihn bitten, Toby Thomsen zu vertreten?“

„Was ist denn los?“

Ich berichte ihm kurz, was ich gerade von Annette erfahren habe. „Rufst du ihn an?“, schließe ich.

„Si, natürlich. Ich kümmere mich darum. Und was machst du jetzt?“

„Ich werde versuchen, etwas mehr über die Umstände zu erfahren.“

„Weiß Jochen denn nichts darüber?“

„Kann schon sein.“

Wir verabschieden uns, und ich starre auf mein Telefon.

Mist. Ich muss Jochen anrufen. Er wird sich mit mir treffen wollen, aber werde ich ihm heute unter die Augen treten können? Ich drehe mein Smartphone in der Hand hin und her. Es hilft nichts. Wenn ich Annette helfen möchte, muss ich genauer wissen, was geschehen ist, und Jochen ist meine einzige Quelle. Ich habe mich in den Schlamassel reingeritten, und jetzt muss ich da durch. Ich klicke seinen Namen an und höre den Rufton.

„Hi, Biene. Ausgeschlafen?“

„Geht so. Aber hör mal: Annette hat mich gerade ganz aufgelöst angerufen.“

„Annette war aufgelöst? Was ist denn los?“ Auch er scheint schlagartig erkannt zu haben, dass etwas sehr Schlimmes passiert sein muss, wenn Annette die Fassung verliert.

„Deine Kollegen haben ihren Freund zur Vernehmung abgeholt. Er wird verdächtigt, seinen Trainer ermordet zu haben. Warst du deshalb heute Morgen am Eisstadion?“

„Ja, war ich.“

„Und?“

„Der Trainer ist in der Kabine tot aufgefunden worden.“

„Das weiß ich schon. Hast du eine Ahnung, warum sie Toby verdächtigen?“

„Ja.“

„Mensch, nun lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.“

„Biene, wie oft müssen wir diese Diskussion noch führen? Ich kann in Teufels Küche kommen, wenn ich dir Ermittlungsdetails erzähle.“

„Ich weiß das doch. Aber hier geht es um eine meiner besten Freundinnen. Du hast mir doch schon öfter etwas erzählt.“

„Ja, und wie oft habe ich damit Kopf und Kragen riskiert?“

„Ist aber immer gutgegangen. Und außerdem: Wie oft war ich es, die die wahren Tatpersonen ermitteln konnte?“ Jochen brummt etwas Unverständliches.

„Na also! Erzähle mir zumindest mal, wie der Trainer umgebracht wurde.“

Er seufzt. „Wie es aussieht, wurde er bereits gestern am späten Abend erschlagen. Vermutlich mit einem Eishockeyschläger. Ist ja irgendwie naheliegend.“

„Aber dann kann es Toby doch gar nicht gewesen sein. Der war doch auf der Party. Ich habe ihn da gesehen.“

„Bist du sicher, dass er die ganze Zeit dort war? Und von der Pistenbar aus könnte er doch ohne Weiteres mal eben in die Kabine rübergehen. Muss niemand mitbekommen haben.“

„Ja, ist ja schon gut. Du hast natürlich recht.“

„Meine Kollegen werden das schon richtig machen.“

„Na klar.“ In meinem Kopf rattert es schon, während ich überlege, wie es sein kann, dass ausgerechnet Toby verdächtigt wird.

„Wollen wir nachher zum Italiener?“

Mist, jetzt habe ich kurz nicht aufgepasst, da hat er mich schon am Wickel. „Sei mir nicht böse, aber ich muss mich um Annette kümmern. Sie ist echt fertig. So habe ich sie noch nie erlebt, und da muss ich für sie da sein. Das verstehst du doch, oder?“ Ich rede mich um Kopf und Kragen.

„Ja, sicher. Aber schade ist es trotzdem.“

„Ich melde mich“, lasse ich schnell verlauten, bevor ich das Gespräch beende, um keine weitere Diskussion aufkommen zu lassen, die mich womöglich auf gefährliches Terrain bringen könnte.

 

Wenn ich jetzt zuhause bleibe, werden wieder diese verwirrenden Gedanken hochkommen. Die Grübelei über mein Leben und meine Beziehung mit Jochen. Fast erscheint mir der neue Mordfall in Grefrath wie eine Rettung aus meinem persönlichen Chaos. Ich bin froh, dass ich mich darauf konzentrieren kann. Tun, was Detektivinnen tun. Die Hintergründe der beteiligten Personen zusammenstellen, Fakten sammeln, ermitteln.

Also greife ich Jacke und Handtasche und laufe eiligen Schrittes die Treppe hinunter.

„Gehst du noch weg?“, ruft Oma aus der Küche.

„Ja, ich muss nochmal ins Büro. Warte nicht mit dem Essen auf mich“, antworte ich und bin schon aus dem Haus getreten.

Es ist ein klarer Herbsttag, und so greife ich mein Fahrrad und trete kräftig in die Pedale. Der Fahrtwind tut sein Übriges, und es kommt fast so etwas wie Euphorie in mir auf. Ich tadele mich innerlich dafür, dass ausgerechnet ein Mordfall diese Gefühle in mir auslöst. Schließlich ist ein Mensch gestorben, und ein Freund wird verdächtigt. Das sollte wirklich kein Grund für Freude sein. „Du bist völlig verkorkst, Sabine“, raune ich mir selbst zu, während ich die Dunkerhofstraße in Richtung Deversdonk hinunterrase.

An der Bäckerei winkt mir Micha zu, die gerade die Theke aufräumt. Ich bremse so kräftig, dass mein Hinterrad über die Straße schleift. Micha kommt aus dem Laden.

„Oh, so eilig heute?“, begrüßt mich meine Freundin.

„Hast du es noch nicht gehört?“

„Was soll ich gehört haben?“

Ich hätte gedacht, die Informationen würden sich in Grefrath schneller verbreiten. Gerade als Bäckereifachverkäuferin mit viel Kundenkontakt sollte man Neuigkeiten doch zügig erfahren. Aber anscheinend hat sich die Nachricht zum neuen Mordfall und zu dem prominenten Verdächtigen noch nicht verbreitet.

„Es hat einen Mord gegeben“, beginne ich meinen Bericht in Richtung Micha.

„Annette hat geweint?“, fragt sie ungläubig, als ich geendet habe.

Ich nicke. „Ja, deshalb muss ich alles daransetzen, die Details zu klären und ihr zu helfen.“

„Ich rufe sie gleich an“, beschließt Micha sofort.

„Ja, mach das. Ich gehe jetzt ins Büro und sehe, was ich herausfinden kann.“ Als ich wieder auf das Fahrrad steigen will, fällt mir noch etwas ein.

„Ach, Micha, kennst du Toby Thomsen eigentlich näher?“

„Näher kann man nicht sagen. Seit er auf der Hohe Straße sein Versicherungsbüro hat, kommt er gelegentlich in die Bäckerei.“

„Wollte euer Sohn nicht mal Eishockey spielen?“

Micha schüttelt den Kopf. „Das war Ollis Wunsch.“ Oliver ist ihr Mann. Ein ruhiger Zeitgenosse, den ich noch nie mehr als ein paar Worte habe reden hören.

„Wart ihr denn da nicht im Verein?“

„Olli hat Paul zur Probe hingezerrt, und jetzt spielt der Junge in der Schülermannschaft, mehr schlecht als recht.“

„Dein Mann scheint ein echter Eishockeyfan zu sein.“

„Das kann man wohl sagen. Er fährt ständig nach Krefeld zu den Pinguinen.“

„Was hat denn der Zoo mit Eishockey zu tun?“

Micha lacht auf. „Du kennst dich für eine Grefratherin aber echt wenig aus im Eishockey. Die Pinguins sind die Krefelder Mannschaft. Olli verpasst fast kein Spiel.“

„Dann hat er doch sicher auch Tobys Karriere dort verfolgt und kann mir vielleicht etwas mehr über ihn erzählen.“

„Kann schon sein. Ich frag ihn mal und sage dir dann Bescheid.“

„Super!“ Ich schwinge mich wieder aufs Fahrrad. „Bis später“, rufe ich ihr noch zu, als ich schon auf dem Weg zur Detektei bin.

 

In meinem Büro schaue ich, was das Internet so hergibt. Die Nachricht vom toten Trainer wird mir sogleich angezeigt. Nun ist es also in der Öffentlichkeit angekommen. Stefan Haller heißt das Opfer. Er war ein erfolgreicher Spieler der Düsseldorfer EG, bevor er ins Trainerfach wechselte. Dort hat es zwar nie für Spitzenclubs gereicht, aber sein Ruf scheint tadellos zu sein. Seine Söhne sind in seine Fußstapfen getreten, und einer spielt sogar in der aktuellen Nationalmannschaft. Das Traineramt beim Viertligisten Grefrath hat er nur angenommen, um dem derzeitigen Vereinsvorsitzenden Rolf Schulze einen Gefallen zu tun. Sie scheinen befreundet zu sein. Zumindest entnehme ich dies den Aussagen Hallers bei der Pressekonferenz zu Saisonbeginn, die gerade einmal vierzehn Tage her ist. Was kann Stefan Haller in dieser kurzen Zeit getan haben, dass ihn in der Mannschaftskabine jemand erschlägt?

Ich blättere noch etwas durch die Seiten, die mir die Suchmaschine auflistet, aber nichts darin bietet mir einen Anhaltspunkt.

„Habe ich doch richtig gehört.“ Jago steht in meiner Bürotür und lächelt mich an. Es scheint, als habe er es sich heute gemütlich gemacht, denn er trägt nicht, wie sonst üblich, seinen schwarzen Anzug mit einem weißen Hemd, sondern tatsächlich eine Jeans zum weißen Hemd. Ich überlege, ob ich ihn je in einer Jeans gesehen habe.

„Oh, du bist zuhause?“

Er nickt. „Si, habe gelesen, als ich unten im Büro etwas gehört habe.“

Er hat seinerzeit das ganze Haus gekauft und sich über dem Büro eine großzügige Wohnung eingerichtet, deren Ausstattung durchaus an eine argentinische Hazienda erinnert.

„Hast du etwas von Herrn Dahlen gehört?“

Jago kommt in mein Büro und zieht sich einen Stuhl vom Besprechungstisch heran. „Nein, noch nicht. Er wollte sich aber gleich darum kümmern und sich melden, wenn es etwas Neues gibt. Du weißt, dass er kompetent ist. Er wird das schon richten.“

Herr Dahlen ist unser Ansprechpartner bei der Anwaltskanzlei Hussmann und Partner, die seit einiger Zeit unser Hauptkunde ist.

„Ja, sicher, er wird das schon gut machen. Aber wir sollten auch aktiv werden. Das schulde ich Annette als Freundin. Hast du irgendwelche Kontakte in die Eishockeyszene?“ Ich bin immer wieder überrascht, wen Jago so alles kennt. Er bewegt sich in Kreisen, die unsereins völlig verborgen bleiben.

Dieses Mal schüttelt er allerdings mit dem Kopf. „Nein, Eishockey ist in Argentinien nicht verbreitet.“

„Ja, ich weiß, Fußball und Polo sind eher dein Ding.“

„Stimmt.“ Er grinst. „Ist Grefrath eigentlich erfolgreich im Eishockey?“ Er sieht mich fragend an.

„Früher hatte der Verein mal größere Ambitionen und spielte sogar kurzzeitig in der 2. Bundesliga, bis er dann zum ersten Mal pleiteging. Heute, ein paar Konkurse später, krebst die Mannschaft in einer der unteren Ligen herum“, erläutere ich ihm.

„Irgendwie kann ich mir dich gut vorstellen, wie du über das Eis flitzt und andere Kerle umhaust.“ Er lacht laut auf.

„Lach nicht, es wäre fast so weit gekommen“, protestiere ich, obwohl ich bei dem Gedanken auch lachen muss. „Ich wäre damals selbst gerne mit Schläger über das Eis geglitten und hätte den Puck ins gegnerische Tor geschossen, aber dazu habe ich nie eine Chance bekommen. Meine Eltern wollten es nicht. Mädchen im Eishockey waren damals noch nicht so üblich.“ In meiner Erinnerung sehe ich meine Eltern und mich bei der Diskussion darüber im Wohnzimmer sitzen und muss schlucken. Es dauert einen Moment, bis ich mich wieder gefangen habe und meine Erläuterungen fortführen kann. „Meine Eltern brachten mich stattdessen zum Eiskunstlauf, aber da habe ich es nicht lange ausgehalten. Als sie dann verunglückten, stand mir der Sinn nicht nach Sport.“

Jago sieht mich mitfühlend an. „Tut mir leid.“

„Kennst du denn den Vorsitzenden der GEG, des Grefrather Eissportvereins? Rolf Schulze heißt der“, wechsele ich das Thema.

„Der Klempner?“

„Ja, genau. Das ist er.“ Jetzt fällt es mir auch wieder ein. Rolf Schulze hat den führenden Klempnerbetrieb in Grefrath. Ständig begegnet mir eines seiner Firmenautos mit dem markanten Schriftzug Schulze bringt Ihr Wasser zum Laufen. „Hattest du schon mal was mit ihm zu tun?“

Jago runzelt die Stirn. „Kann sein, dass ich ihm mal begegnet bin. Bin mir aber nicht sicher. Was willst du von ihm?“

„Ich denke, es wäre ein guter erster Schritt, mit ihm zu sprechen, um zu erfahren, wie sein Verhältnis zum Opfer war. Wenn meine Infos stimmen, haben sie sich wohl schon länger gekannt.“

Jago steht wieder auf und schiebt den Stuhl zurück an den Tisch. „Aber nicht heute, oder?“

„Nein, heute nicht. Aber direkt am Montag.“

„Das ist ein Plan“, bestätigt er. „Wir sehen uns.“ Dann ist er auch schon wieder in Richtung seiner Wohnung verschwunden.

Ich würde ja zu gerne wissen, was er so treibt, wenn er alleine in seiner Wohnung ist. Oder allgemein hier in Grefrath.

Aber dieses Geheimnis werde ich nicht jetzt lösen. Ich schaue auf die Uhr und überlege, was ich jetzt tun könnte. Für das Abendessen ist es noch zu früh, und ich habe Oma sowieso gesagt, dass sie nicht auf mich warten sollte. Darauf, nun nach Hause zu fahren und mit einem Butterbrot alleine in meiner Wohnung zu sitzen, habe ich keine Lust. Jochen anrufen fällt aus naheliegenden Gründen flach. Da kann nur eine helfen. Ich tippe Bettys Namen auf dem Smartphone an und lausche dem Rufton.

„Schneider“, meldet sich Betty am anderen Ende.

„Hi, ich bin's. Kann ich zu euch zum Essen kommen?“, falle ich mit der Tür ins Haus.

Bettys schallendes Lachen ist aus dem Handy zu vernehmen. „Was ist denn los? Hat dich deine Oma etwa rausgeschmissen?“

„Nein.“ Ich stocke. „Es ist kompliziert. Kann ich kommen?“

„Klar. Kannst du doch immer.“

„Okay, bin gleich da.“

 

Als ich mein Fahrrad vor dem Haus der Schneiders abgestellt und an der Tür geklingelt habe, öffnet mir Bettys Mann Georg die Tür.

„Hi, Biene“, begrüßt er mich. „Komm rein. Du kennst dich ja aus.“

„Hallo, Georg“, begrüße ich ihn und trete ein. Ich lasse meine Jacke an der Garderobe und folge ihm ins Wohnzimmer, wo Betty auf der Couch sitzt und in einer Fernsehzeitschrift blättert. Im Fernsehen läuft eine Sportübertragung. „Hallo, Liebes“, empfängt sie mich. „Setz dich.“

Ich folge der Aufforderung und lasse mich neben sie auf die Couch fallen. „Seit wann schaust du Biathlon im Fernsehen?“

Betty lacht auf. „Immer schon.“

„Möchtest du eine Latte?“, meldet sich Georg zu Wort.

„Ja, gerne.“

Georg geht in die Küche, und der Moderator beteuert aufgeregt, dass der deutsche Biathlet keinen Schießfehler gemacht habe. Es dauert nicht lange, bis aus der Küche das gurgelnde Geräusch des Milchaufschäumers erklingt. Wenig später erscheint Georg mit einem perfekt gefüllten Latteglas wieder und stellt es vor mich hin. Dann setzt er sich in einen Sessel und konzentriert sich wieder auf die Meldungen zum Sport.

„Und jetzt schieß los! Was ist passiert?“, fragt Betty.

Ich nippe an dem Kaffee und wische mir den Milchschaum von der Lippe. „Es gibt wieder einen Mordfall“, erwidere ich, obwohl ich sicher bin, dass Bettys Frage sich auf persönlichere Dinge bezog. Aber darüber möchte ich nicht reden.

Georg greift über den Tisch nach der Fernsehzeitung, die Betty abgelegt hat, und stockt dann in seiner Bewegung. „Oh, wo denn?“

„Im Eisstadion. Der Trainer von den Tigers lag tot in der Kabine, und Toby Thomsen wird dringend verdächtigt.

„Annette ist doch mit ihm zusammen“, stellt Betty fest.

Ich nicke. „Ja, und sie ist ziemlich fertig. Ich glaube, sie hat sogar geweint.“

„Annette?“ Betty sieht mich ungläubig an, und ich nicke erneut zur Bestätigung.

„Ich rufe sie sofort an“, verkündet sie und ist schon aufgestanden und aus dem Raum verschwunden.

„Kennst du Toby?“, frage ich daher Georg.

---ENDE DER LESEPROBE---