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Eine unglaublich faszinierende Beziehungsgeschichte, in der es um Hoffnungen, Träume und viel Gefühl geht. In kürzester Zeit verliebt sich Frida in einen ganz anderen Typ von Mann, als sie bisher kannte. Mit Zweifel, Unverständnis, Leiden und immer wieder großer Hoffnung, dass sich alles gut entwickeln wird, gibt sie sich immer mehr in dieser Beziehung auf. Erst nach der Trennung und einer darauffolgenden Auseinandersetzung mit den Geschehnissen kann Frida das ganze Ausmaß in ihrer Beziehungsdynamik erkennen und verarbeiten.
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Seitenzahl: 419
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Text: Copyright © 2019 Solara Korf
Umschlaggestaltung: Copyright © 2019 Solara Korf
Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Eine aus dem Ostseeraum stammende Frau
im mittleren Alter erzählt über eine Beziehung,
die sie zusammen mit einem Mann im gleichen Alter erlebte.
Aus der Faszination der Ereignisse heraus und aus
der nachfolgenden Auseinandersetzung
mit den Geschehnissen, entstand diese
autobiographische Geschichte.
Prolog
Eine Reise in ein anderes Land, für eine längere Zeit oder sogar für immer, ist verbunden mit dem Kennenlernen einer anderen Kultur, sowie der jeweils anderen Sprache. Zu Beginn der Reise ist alles sehr aufregend, neu und wahnsinnig faszinierend. Das fremde Land ist wunderbar anders und beim Entdecken dieser besonderen Kultur bringt jeder Tag ein neues atemberaubendes Abenteuer mit sich. Voller Euphorie begibt man sich mit großem Einsatz und mitunter auch großen Erwartungen in diese andere Kultur. Doch diese erste Phase mit dem Hochgefühl geht relativ schnell und nahtlos in die nächste über. Erste Probleme und Irritationen tauchen auf und eine gewisse Desorientierung macht sich immer breiter. Missverständnisse wachsen, aber man durchschaut und versteht diese derzeit noch nicht. Mit den bislang erfolgreichen Handlungsmustern aus der eigenen Kultur können die Probleme nicht gelöst werden. Sie lassen die Schwierigkeiten damit nur noch mehr und größer werden. Die eigene Kultur bietet keine Hilfe und die andere ist sehr verwirrend, was die Krise durch zunehmende Orientierungslosigkeit wachsen lässt. In dieser Phase macht sich dann die Frustration, verbunden mit Unverständnis, Unbehagen und großen Ärgernissen richtig breit. Es treten depressive Verstimmungen und Ohnmachtsgefühle auf. Heimweh gesellt sich unweigerlich dazu. Es fällt schwer überhaupt noch positive Entwicklungen in der Fremde sehen zu können. Der Abbruch des Aufenthaltes in der anderen Kultur und die Rückkehr in die eigenen Kreise werden in Erwägung gezogen. Aber es ist andererseits auch schon schwierig das Ausland zu verlassen. Es erscheint immer noch sehr faszinierend und es hat einen gefesselt. Doch das Hin und Her, die starke Anziehung der anderen Kultur und die Verzweiflung durch die auftretenden Probleme machen nicht nur mürbe, sondern schaden zunehmend der psychischen, seelischen und körperlichen Gesundheit.
In der nächsten Phase erkennt man dann das ganze kulturelle Ausmaß. Man weiß inzwischen die Probleme der neuen Kultur gut abzuschätzen. Doch wohin man selbst wirklich gehört, ist nicht klar abzusehen. Die Unterschiede treten immer mehr ins Bewusstsein und machen eine intensive Auseinandersetzung damit unausweichlich. Ohne den wunderschönen Klang schaut man sich nun die Sprache der anderen Kultur genauer an. Die Worte zu verstehen ist schwer möglich, da es keine übereinstimmende Bedeutung gibt. Wenn das Wort Nachtisch auch so übersetzt wird, aber tatsächlich dieses Gericht vor dem Hauptgang serviert wird, versteht man das natürlich nicht. Weil das jedoch nicht das schlechteste Übel ist, nimmt man dies erst mal gern so an. Vielerlei weitere Bedeutungen sind nicht nachvollziehbar. Manches lässt nur Ungewissheit zurück, anderes auch schon heftiges Unbehagen. Doch wenn dann aus dem Wort Schaf, der Wolf dahinter steckt, ein Magnet letzten Endes ein ohne Ladung bestehendes Neutron ist, der Taster eine Verbindung unwillkürlich an und aus schaltet und das Wort Vertrauen mit Hexerei gewürzt erscheint, versteht man irgendwann nichts mehr von dieser fremden Kultur. Jegliche Anstrengung etwas zu durchschauen, läuft ins Leere und die Ahnung macht sich breit, dass auch die eigenen Vorstellungen hier niemals verständlich gemacht werden können. Die Rückkehr in die Heimat wäre das Vernünftigste.
Kapitel 1: Der Traum
Der Gedanke, den Traummann über eine Partnerseite im Internet kennenzulernen, bereitet mir schon seit längerem ein wenig Unbehagen. Doch ich bleibe weiterhin im Netz aktiv und verbringe Zeit mit dem Kontaktieren potenzieller Partner. Immer wieder knüpfe ich flüchtige Schreibbekanntschaften. Sogar einige Treffen hatte ich inzwischen hinter mir. Doch es scheint sich rückblickend wirklich nicht so einfach zu gestalten einen passenden Mann dabei zu finden.
Nun sitze ich mit dem Handy in der Hand auf meinem Sofa und schaue mich auf dieser Internetseite um, als mir jemand dort eine Nachricht schreibt. Ich lese eine kurze Begrüßung und grüße daraufhin zurück. Dann schaue ich mir sein Profil, welches er dort hinterlegt hatte, oberflächlich an. Sehr viele und aussagekräftige Informationen und Bilder gibt es darin zu entdecken. Warum ist er mir zuvor nur nie aufgefallen, denn er ist schon seit neun Jahren auf dieser Seite, wie ich in seinen Angaben erkennen kann.
Er: 21.09.17/ 21:15 Uhr:„Vielleicht können wir uns mal treffen und uns näher kennenlernen☺. Was hältst du davon?“
Ich: 21.09.17/ 21:21 Uhr:„Vielleicht können wir uns erst mal hier etwas kennenlernen. Was suchst du hier für Bekanntschaften?“
Er: 21.09.2017/ 21:26 Uhr:„Grundsätzlich nach einer festen Beziehung. Wäre aber auch schon mit viel weniger zufrieden. Eis essen, gemeinsam Kultur erleben oder so was. Einfach ist es ja nicht etwas Passendes zu finden.“
Ich lese noch einmal sein Profil genauer. Er ist 47 Jahre alt und beschreibt sich selbst als gepflegt, zuverlässig, fürsorglich, sachlich und ruhig. Unehrlichkeit, Egoismus sowie Intoleranz kann er nicht leiden. Seine Tochter scheint ihm sehr wichtig zu sein. Zu seinen Beziehungsansprüchen gehören Vertrauen, Treue, Respekt, Offenheit und positives Denken, lese ich in seinem Profiltext. Die verschiedenen Bilder von ihm geben sehr viel preis, da sie ihn in den unterschiedlichsten Situationen zeigen. Sein Aussehen erscheint mir durchschnittlich und es gibt nichts am Äußeren, was ihn besonders interessant für mich machen würde. Auf den Bildern wirkt er jedoch sehr unterschiedlich. Auf einem macht er eher den Eindruck von sensibel und schüchtern und auf einem weiteren hat er ein schelmisches Grinsen im Gesicht. Insgesamt bin ich jedoch nicht abgeneigt ihn weiter kennenlernen zu wollen.
Ich: 21.09.2017/ 21:35 Uhr:„Das ist nicht so einfach in unserem Alter das passende Gegenstück zu finden. Wie lange bist du Single? Warst du verheiratet? Ich bin geschieden. Wie ist dein richtiger Name? Liebe Grüße Frida☺.“
Leider antwortet er dann an dem Abend nicht mehr, sondern erst wieder am nächsten Tag. Thore ist sein Name, erfahre ich nun. Er war nie verheiratet und ist seit zwei Jahren Single, schreibt er mir. Ein paar Tage später macht er den Vorschlag, dass wir uns zu einer längeren Radtour treffen können. Für mich ist es keine Option, beim ersten Treffen solch eine Unternehmung zu planen. Mir erscheint dieses Vorhaben als sehr unpassend. Was sollte ich tun, wenn er mir missfällt oder sich sogar unangemessen benimmt? Also lehne ich diese Art von Begegnung ab und schlage ihm vor, dass wir uns auf einen Kaffee treffen könnten.
Irgendwie findet mit Thore jedoch keine zielführende Kommunikation statt. Sich mit ihm überhaupt zu verabreden klappt vorerst nicht. Auf eine sehr nüchterne Weise führen wir unseren Schriftwechsel auf dieser Internetseite über viele Tage fort. Seine Nachrichten sind nicht nur kurz und sachlich, sondern auch ohne verständliche Aussagen über seine Absichten und Vorstellungen zum Thema Beziehung oder über das Leben insgesamt. Auf mich wirkt sein Geschriebenes, in dem er kaum auf meine Worte eingeht, sogar etwas provokant.
Thore scheint ein ewig Suchender zu sein, weil er diese Internetseite schon seit Jahren benutzte, um Kontakte zu knüpfen. Scheinbar meldete er sich dort auch nicht ab, wenn er in einer Beziehung steckte. Mich macht das alles nicht sehr zuversichtlich. Vielleicht sucht er hier auch nur jemand für sexuelle Vergnügungen oder er ist sehr anspruchsvoll. Beide Varianten sind keine guten Optionen für eine nach meinen Vorstellungen gut gelingende Partnerschaft. Thores beständiges Schreiben und sein scheinbar großes Interesse an mir, lassen mich jedoch weiterhin in dieser Konversation verbleiben.
Er: 19.10.2017/ 20:09 Uhr:„Bin über die Ferien im Urlaub bei der Familie in Hessen. Können uns danach erst wieder zu einem Treffen verabreden, Gruß Thore.“
Ich: 19.10.2017/ 20:32 Uhr:„Dann wünsche ich dir eine schöne Zeit im Urlaub und wenn du wieder da bist, melde dich einfach. Liebe Grüße Frida.“
Während seiner Urlaubswoche schreibt er natürlich nicht. Ich bekomme bei dieser langgezogenen Unterhaltung auf der Internetplattform immer wieder mal das Gefühl, dass er doch kein echtes Interesse an ein Kennenlernen hat. Aus meiner Sicht hätten wir ein Treffen schon längst vereinbaren können. So bin ich eigentlich nicht darauf eingestellt, dass er mir nach dem Urlaub überhaupt noch wieder schreiben würde.
Er: 29.10.2017/ 13:21 Uhr:„Jetzt sind wir wieder gut gelandet. Waren noch 2 Nächte in Hannover, Zoo anschauen und lecker Frühstücksbüfett genießen. Herrliches Wetter heute!“
In einer weiteren Nachricht steht, ohne weiteren Kommentar, seine Handynummer und er schreibt wieder, dass er sich mit mir treffen möchte. Ganz schön hartnäckig, denke ich. Seine Nummer speichere ich in meinem Handy ab. Ich nutze sie dann zwei Tage später und schreibe ihm etwas über WhatsApp. Da sich auf der Internetseite unsere karge Konversation auf etwa eine Nachricht täglich oder noch weniger beschränkte, hoffe ich nun, dass wir hier eine etwas bessere und intensivere Unterhaltung führen können. Doch es scheint ähnlich zu werden. Er antwortet in großen Zeitabständen und um unser erstes Treffen ohne Missverständnisse besser vereinbaren zu können, denke ich nun über einen Anruf bei ihm nach. Auch auf WhatsApp schreibt Thore nur kurze Sachinformationen, mit denen ich nicht sehr viel anfangen kann. Sie geben wieder nichts vom Zwischenmenschlichen preis.
Ich entscheide mich dann, einfach einen spontanen Anruf bei ihm zu machen. Das Klingelzeichen ist zu hören und mit ein wenig Spannung warte ich, ob sich jemand meldet. Nach zwei oder dreimal Klingeln höre ich eine sehr angenehme Stimme am anderen Ende. Die männlich klangvolle und klare Stimme mit einer ruhigen und bedachten Sprechweise gefällt mir sehr. Die Worte sind sachlich und informieren mich darüber, dass er gerade sehr mit Laub fegen beschäftigt ist. Mein Anliegen, unser bevorstehendes Treffen mit ihm abzusprechen, bringe ich klar zum Ausdruck. Ich schlage ihm einen Spaziergang an der Ostsee vor. Thore äußert sein Einverständnis und bei diesem kurzen Gespräch verbleiben wir, dass wir Ort und genaue Zeit zu unserem Treffen über WhatsApp schreiben werden. Ich wünsche ihm frohes Schaffen bei seinem Tun, verbunden mit einem Gefühl zur unpassenden Zeit angerufen zu haben. Er verabschiedet sich nun auch von mir. Es fühlt sich für mich ähnlich an, als wenn ich gerade mit dem Heizungsmonteur einen Wartungstermin vereinbart hatte. Genaueres zum Treff, bezüglich Ort und Zeit, schreiben wir dann tatsächlich später über WhatsApp.
An einem Sonntag mitten im November treffen wir uns nachmittags am schönen Ostseestrand. Vor und auch zum Zeitpunkt des Zusammentreffens mit Thore bin ich in keinster Weise aufgeregt, sondern freue mich einfach darauf, einen Spaziergang bei wunderschönem Wetter in Gesellschaft machen zu können. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich jedoch noch nicht, dass sich meine Gelassenheit bald ändern wird.
Ich bleibe noch kurz im Auto sitzen und überlege, ob ich ein Parkticket hole oder noch mal Ausschau halte nach einem kostenfreien Parkplatz. Die vereinbarte Zeit ist jedoch nah und nun sehe ich Thore auch schon aus der Seitenstraße zu Fuß ankommen. Er steuert auf unseren Treffpunkt, das Café zu. Darum steige ich sofort aus und gehe zu ihm, ohne nun ein Parkticket gelöst zu haben. Es liegen wenige Meter zwischen uns und als ich bei ihm ankomme, begrüßen wir uns locker und freundlich. Er wirkt sehr gefasst auf dieses Treffen und ich empfinde ihn sofort als angenehm und stilvoll. Sein Aussehen, ähnlich wie auf den Bildern, ist eher durchschnittlich. Thore ist groß und sein dunkles, schon etwas grau durchzogenes Haar erscheint mir nicht von der Haarschneidemaschine geschnitten zu sein. Das gefällt mir, weil es den Eindruck erweckt, dass er in dieser Hinsicht nicht gleichgültig zu sein scheint. Nach unserer kurzen Begrüßung mit einem Handschlag und einem Blick in die Augen teile ich ihm mein momentanes Anliegen mit: „Ich muss noch mal zu meinem Auto gehen und einen Parkzettel hineinzulegen.“ Daraufhin schlägt er vor, dass ich mein Auto in der Seitenstraße parke, damit ich mir die Kosten für das Ticket erspare. Auch er hat sein Auto in einer etwas entfernteren Seitenstraße geparkt, erzählt er mir.
Ich gehe nun rasch zum Auto und fahre es vom Parkplatz. Thore steht am Straßenrand und schaut mir zu, wie ich mein Auto auf dem freien Platz neben ihm einparke. Das Klischee: „Frauen und Einparken“, kommt mir komischerweise sofort in den Kopf, obwohl ich selbst damit kein Problem habe. Beim Aussteigen sage ich dann zu ihm: „Passt doch so oder?“. Nach seinem zustimmenden Kopfnicken beende ich meinen einfältigen Gedanken, bezüglich, dem Einparken.
Thore erscheint mir im anfänglichen Gesprächsverlauf etwas ruhig und zurückhaltend, denn er sagt nur wenig. Ich bekomme jedoch irgendwie den Eindruck, dass er mich förmlich durchleuchtet, um mich abzuchecken. Er schaut mich immer wieder an, aber eher flüchtig. Ich finde das nicht unangenehm, sondern deute es eher als Interesse an mir. Das Café, vor dem wir uns trafen, gefällt uns beiden nicht und so entscheiden wir uns später ein anderes aufzusuchen. Doch zuvor wollen wir nun einfach ein Stück gehen.
Unser Spaziergang führt uns durch einen sehr schönen Park und beim nebeneinander hergehen gibt es nun kaum ein direktes gegenseitiges Anschauen mehr. Nach sehr kurzer Zeit wird unsere Unterhaltung immer fließender und lockerer. Abwechselnd reden wir über die verschiedensten Themen. Thore erwähnt sehr früh, dass ihm seine Familie sehr wichtig ist. Dazu gehören seine Mutter, seine jüngere Schwester mit Mann und ihre beiden Kinder. Besonders hervor hebt er natürlich seine eigene dreieinhalb Jahr alte Tochter. Sie lebt hauptsächlich bei ihrer Mutter, ist jedoch regelmäßig an den Wochenenden und auch zwischendurch bei ihm zu Hause. Auch dass sein Kind ein Hinderungsgrund für eine neue Beziehung darstellen könnte, weil Frauen sie womöglich nicht akzeptieren würden, äußert er mir gegenüber. Wir reden dann sehr viel über unsere Einstellungen in Bezug auf Beziehung und auch kurz über unsere vorherigen Erfahrungen dies bezüglich. Inzwischen ist Thore nicht mehr so ruhig und zurückhaltend, wie in den ersten Minuten unseres Zusammenseins. Er spricht erstaunlich offen über seine Vorstellungen zum Führen einer Beziehung. Diese ähneln meinen sehr und so wächst mit zunehmender Vertrautheit auch mein Interesse an ihm. Thore scheint all das, was in seinem Profil im Internet zu lesen ist, wirklich sehr wichtig zu sein. Seine Aussagen beziehen sich immer mal wieder auf solche Angaben.
Ganz viele Erlebnisse aus unserem Leben und alles, was Menschen eben beschäftigt, erzählen wir uns gegenseitig und ich fühle mich immer wohler neben ihm zu gehen und mich dabei mit ihm zu unterhalten. Vielleicht sind diese ähnlichen Einstellungen, die er mir gegenüber äußert der Grund dafür, dass unser Gespräch zunehmend vertrauter wird. Wir verstehen uns so prächtig, dass ich nicht merke, wie die Zeit verrinnt. Es sind inzwischen schon fast zwei Stunden vergangen und uns überkommt der Gedanke ein Café aufzusuchen. Eine Pause vom Spaziergang würde mir sehr gelegen kommen. Leider hat nun dieses auf unserem Weg liegende Café wegen einer Winterpause geschlossen und Thore ist darüber sehr enttäuscht. Nach seinen Worten zu urteilen, kennt er es sehr gut und verbindet damit auch nur positive Erfahrungen. Uns bleibt jedoch nichts anderes übrig, als weiterzugehen, um ein anderes Café zu finden, welches gerade nicht in geschlossen hat.
Natürlich nimmt auch der berufliche Bereich in unserer Unterhaltung einen Platz ein. Ich erzähle ihm, dass ich im letzten Jahr meinen Arbeitsplatz als Erzieherin gewechselt hatte. Als Grund dafür gebe ich kurz Auskunft über Probleme im Kollektiv und darüber, dass seit mehreren Jahren Überstunden zu leisten ein unbefriedigender Zustand für mich war. Über meine gesamte berufliche Laufbahn spreche ich kurz. Das Thema Arbeit stellt sich dann jedoch als unbehaglicher Gesprächsstoff für Thore heraus. Er selbst ist scheinbar etwas länger schon arbeitslos und seine Auskünfte über diese Situation fallen sehr karg aus. Ich erfahre hauptsächlich sein Unbehagen zu diesem Thema und dass auch die Arbeitslosigkeit ein Problem für eine Beziehung darstellen könnte. Ich versuche nicht zu sehr auf dieses wohl problembehaftete Thema einzugehen. Es gibt ja genug anderes zum Erzählen. Mir fehlt es im Moment nur ein wenig an Verständnis dafür, warum für ihn Arbeitslosigkeit und ein kleines Kind so starke Beziehungskiller zu sein scheinen. Sind es eventuell auch nur Ausreden, um sich nicht für eine Partnerin festlegen zu müssen? Das könnte auf alle Fälle im Zusammenhang stehen mit seiner ewigen Suche nach der passenden Partnerin, aber ich denke darüber nicht weiter nach.
Direkt am Strand finden wir dann tatsächlich ein schönes kleines und gemütliches Café, was geöffnet hat. Wir essen Kuchen, Thore trinkt dazu Sanddorn-Punsch und ich Kaffee. Während wir an diesem recht kleinen Tisch uns gegenüber sitzen, überkommt mich der komische Gedanke, Thores Körpersprache mit meinem aus der Weiterbildung erworbenen Wissen zu deuten. Er sieht mich offen an und wirkt dabei sehr gefasst und interessiert. Seine blau-grauen Augen wirken auf mich trotz seines direkten ständigen Ansehens warm und vertrauensvoll und keinesfalls durchleuchtend oder aufdringlich. Seine Körperhaltung ist eher normal, sodass ich auf allgemeines Wohlgefühl schließen kann.
Unsere Unterhaltung führen wir im Café nahtlos weiter. Die Themen sind so vielfältig, dass ich mir sicher nicht alle darin enthaltenen Informationen merken kann. Zwischendurch gehe ich zur Toilette. Nach meiner Rückkehr, bleiben wir noch einen kurzen Moment sitzen und beginnen dann aufzubrechen. Nun geht Thore zur Toilette. Währenddessen bezahle ich die Rechnung bei der Wirtin. Seine Überraschung darüber, als er wieder kommt, ist ihm ins Gesicht geschrieben. Ob er es jedoch als negativ oder positiv ansieht, kann ich zu dem Zeitpunkt nicht einschätzen. Ich denke aber eher, dass er positiv überrascht war.
Mit unserem Spaziergang waren wir inzwischen schon am anderen Ende des Ostseeortes angekommen. Wegen der Dunkelheit entscheiden wir uns für den Rückweg nicht am Wasser entlangzugehen. Wir benutzen den beleuchteten Weg am Deich. Für mich ist dieser Nachmittag so schön, dass ich während des Zusammenseins mit Thore alles um mich herum vergesse. Die Laternen, die den Weg erhellen, in Verbindung mit den Dünen und dem Meeresrauschen, machen den Spaziergang außerdem sehr romantisch. Ich achte darauf, wie sich unsere Schatten im Licht der Laterne verändern und auch auf Thores Schritte, die gut auf meine abgestimmt erscheinen. Unsere Unterhaltung wird nun auch von kurzen Pausen, in denen ich dieser romantischen Stimmung nachhänge, begleitet. Zu meiner Äußerung dazu gibt es jedoch keine Reaktion von ihm.
Nach etwa vier Stunden Fußmarsch, inklusive der kleinen Pause, kommen wir zurück zur Straße, in der ich mein Auto geparkt hatte. Laut meiner App im Handy beträgt die Strecke, die wir an diesem Tag zurückgelegt haben insgesamt sechs Kilometer. Für mich ist das enorm viel, denn ich bin solche langen Spaziergänge nicht gewohnt. Mich hatte jedoch zu keinem Zeitpunkt Unlust oder Schwäche aufgesucht. Auch das Wetter hält sich mit Trockenheit genau bis zu dem Zeitpunkt, als wir an meinem Auto ankommen.
Nun fängt es an zu regnen und keiner von uns beiden sagt irgendetwas, um unser Treffen beenden zu wollen. Wir haben jedoch auch keinen Plan, wohin wir nun gehen und was wir eventuell machen könnten. So stellen wir uns unter einen Dachüberstand, um uns vor dem Regen zu schützen und führen unsere Unterhaltung dort fort. Thore macht manchmal den Eindruck, als wenn auch er sehr vertieft ist in unser Gespräch. Hin und wieder macht er kaum eine Pause bei seinen Erzählungen, was den Eindruck hinterlässt, dass ihm das, was er sagt, sehr wichtig ist. Auch er scheint immer mehr an mir Gefallen zu finden. Unsere vielseitigen Gespräche sind so schön und ich fühle mich immer wohler in seiner Nähe. Zwischendurch frage ich dann jedoch: „Wohin wollen wir jetzt? Wollen wir noch was essen gehen oder willst du nach Hause?“ Thore gibt mir keine Antwort. Er weiß auch nicht so recht was er machen möchte. Wir reden weiter, ohne diesen Fragen eine Lösung zu geben.
Nach einer Weile schlage ich vor, zu meinem Auto zu gehen, denn vielleicht könnten wir unser Treffen nun beenden. Genug Zeit hatten wir miteinander verbracht, um entscheiden zu können, ob wir uns noch weiterhin treffen wollen oder nicht. Thore geht auf die Möglichkeit sich nun zu verabschieden nicht ein und schaut sich mein Auto sehr interessiert an. Vielleicht gefällt es ihm, denn er selbst fährt dieselbe Automarke, wie ich. Mit seinen sehr offenen Gesprächen hatte Thore scheinbar genug Vertrauen bei mir aufgebaut, sodass ich ihn dazu einlade sich mit mir ins Auto zu setzen. Auch innen schaut er sich alles ganz genau an. Ich schalte leise Musik an. Wir unterhalten uns weiter über Musik und andere Dinge, die wir mögen.
So viele Fakten an diesem einen Nachmittag von Thore zu hören überfordert mich etwas. Mein Bedenken, all die Einzelheiten später wieder zusammenzubekommen wächst. Ich habe den Eindruck, dass er sehr gern redet, denn im Auto übernimmt er dann irgendwie komplett die Unterhaltung und wird noch redseliger, als er es ohnehin schon war. Das gibt mir sehr stark ein Gefühl von Vertrauen, was er mir gegenüber zu haben scheint und auch eindeutiges Interesse daran, mich weiterhin kennenlernen zu wollen. Bei mir trägt all das dazu bei, dass mein Interesse an ihm und auch die Spannung steigen. Bald treten seine Sachinformationen für mich immer mehr in den Hintergrund und ich werde von seiner sehr angenehmen Stimme abgelenkt, um im Dämmerlicht der Straßenbeleuchtung seine Gesichtszüge zu studieren. Seinen Ausführungen nur noch zum Teil folgend, spüre ich ohne Vorwarnung, wie seine warme Hand sich auf meinen Oberschenkel legt. Ach du meine Güte, was ist nur mit mir los. Seine Hände sind beide bei ihm, wo sie sein sollen. Warum ich nur auf so etwas komme, weiß ich nicht. Wir unterhalten uns ganz normal und es gibt keine Anregungen oder sonst irgendetwas Animierendes für solche Fantasien. Im Moment bin ich zwar über mich erschrocken, denke jedoch nicht weiter über diese wundersamen Gedanken nach.
Mit seinen Händen streicht Thore sich des Öfteren durchs Haar und er kratzt sich gelegentlich etwas nervös an immer derselben Stelle seines Kopfes. Ich beobachte ihn und lausche weiter seiner beruhigenden und sehr angenehmen Stimme. Sie hört sich so schön an, dass ich ihn wirklich sehr gern weiterreden lasse. Wenn ich ab und zu mal zu ihm herübersehe, kann ich die Konturen seines Gesichtes gut erkennen und ich verfolge die Bewegungen seiner Lippen. Seine Worte treten immer wieder in den Hintergrund und werden dann von meinem Gedanken überdeckt, seine Lippen küssen zu wollen. Was ist nun schon wieder los mit mir? Was hat er bloß an sich?
Thore möchte gern pünktlich zum Tatort schauen zu Hause sein. Darum beginnen wir nun unser inzwischen schon fast fünf Stunden andauerndes Treffen zu beenden. Ich bekunde, dass der Nachmittag schön war und Thore erwidert meine Aussage auch. Darüber freue ich mich sehr und bin äußerst zuversichtlich, dass wir uns noch ein weiteres Mal treffen werden.
Auf der Fahrt nach Hause denke ich an diese seltsamen magischen Momente im Auto. Was haben sie nur zu bedeuten? Ich besitze zwar viel Fantasie und Märchen mag ich auch, aber erlebt hatte ich so etwas im echten Leben noch nie. Ich versuche realistisch herauszufinden, ob es mit ihm tatsächlich etwas werden könnte in Richtung Beziehung. Nach unseren sehr ähnlichen Vorstellungen zu urteilen, könnte es tatsächlich richtig gut passen.
Thore schreibt mir noch am selben Abend eine Nachricht. Ihm hatte der Nachmittag sehr gefallen und er möchte mich gern wiedertreffen. Die Aussichten scheinen also wirklich ganz gut, dass nun auch gegenseitiges Interesse vorhanden ist. Doch irgendwie kommt es dann alles anders, als in meiner Vorstellung. Ich habe in den nächsten Tagen versucht das Gesagte, die magischen Momenten und die gesamte Wirkung von Thore auf mich zu verarbeiten und zu ordnen. Einerseits ist da die Freude über ein so angenehmes Zusammentreffen und die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihm. Andererseits überfordert mich seine sehr starke Anziehung komplett und ich verstehe die Ursache dafür nicht.
Thore schreibt an den nachfolgenden Tagen weiterhin sachliche Nachrichten, wie ich es bisher von ihm gewohnt war. Das wirkte auf mich unverständlich, denn ich hatte eher den Eindruck, dass auch er bereit ist sich weiter auf ein Kennenlernen einzulassen. Vielleicht bin ich auch nur zu emotional von ihm angesprochen und er eben nicht, was seine weitere Sachlichkeit erklären könnte. In den darauffolgenden Tagen erfahre ich dann auch nichts, was seine Magie mit Vertrauen würzen könnte. Er schreibt nicht nur sehr faktisch, sondern teilt mir dann mit, dass er am Abend nach unserem Treffen schön mit seiner Ex essen war. Das ist doch das, was Frau sich von dem Neuen wünscht, dass er seine Ex trifft. Ich bekomme immer mehr das Gefühl, dass wir unterschiedliche Vorstellungen und Erwartungen voneinander haben. Was er will, kann ich trotz seiner klaren Mitteilungen bei unserem Treffen jedoch nicht erkennen und einschätzen. Seine informativen Vorstellungen, was Zwischenmenschliches angeht passen einfach nicht zum weiteren Verlauf unseres Kennenlernens. Nicht nur, dass seine Nachrichten weiterhin selten und dazu in aller Sachlichkeit erfolgen, bringen sie mich irgendwie durcheinander. Diese Ungereimtheiten sorgen dafür, dass ich ein weiteres Treffen nicht Zustandekommen lasse. Doch warum vergesse ich das Gehörte und Erlebte nicht so leicht und vor allem diese magischen Momente nicht? Was soll ich mit dem guten Eindruck, den er bei unserem Treffen hinterlassen hatte anfangen?
Dann schreibt Thore, dass sein Auto kaputt ist und ob ich auch zu ihm kommen würde für ein weiteres Treffen. Er geht weder auf meine Nachfragen bezüglich seiner Ex-Freundin ein, noch gibt er für mich eine klärende Erläuterung dazu ab. Mein Unbehagen wächst.
Das Schreiben über WhatsApp gestaltet sich in keinster Weise nach meinen Vorstellungen, denn er antwortet weiterhin in etwas größeren Abständen, wie es auf der Internetseite auch schon war. Dadurch gibt es keine durchgängige Unterhaltung mit ihm. Obwohl er sein Handy scheinbar in der Hand hält, wenn man nach dem Onlinestatus geht und er die Nachrichten von mir auch liest, antwortet er fast immer erst sehr viel später. Manchmal nach Stunden oder auch erst am darauffolgenden Tag. An ein Telefongespräch scheint er auch wenig Interesse zu haben.
Nachdem ich mein Unverständnis über seinen Schreibstil bei ihm kundgegeben hatte, bekomme ich diese Antwort:
Er 25.11./ 10:02:„Du ich sitze nicht ständig am Smartphone. Zumal auch nur imWLAN-Bereich meiner Mutter nutzbar. Sicherer ist SMS, die erreicht mich immer, da am Mann. Ich hatte auch noch was zu tun.Du scheinst mir nicht ausgelastet. Also bis Sonntag, ich schlage13.00 Uhr vor. Kannst mich von zu Hause abholen, Steinstraße 20 oder schlage was anderes vor. Kann überall hinkommen, Hafen, Zentrum oder so.“
Ich 13:09:„Was wollen wir denn unternehmen?“
Er 14:16:
„Habe noch keinen Plan. Können spazieren gehen, Café, Kirchenkonzert… Wetter soll ja eher blöd werden. Uns wird schon was einfallen.“
Zum Glück scheint Thore keine Ahnung zu haben, dass ich von ihm hin- und hergerissen bin. Er scheint seine Überzeugung beizubehalten, dass er sich mit mir weiter auf seine Weise verabreden kann. Doch ich weiß nicht, wie ich ihn einordnen soll und bin sehr verunsichert. Er hat jedoch etwas an sich, was ihn äußerst interessant für mich zu machen scheint.
Thore hatte den Beruf des Elektrikers erlernt und wohl nicht allzu lange in dieser Tätigkeit gearbeitet, wie ich es verstanden hatte. Später schloss er dann ein Studium in Betriebswirtschaft ab und auch in diesem Berufszweig fand er keinen festen Stand. Über fast zwei Jahre gab es in einem Callcenter eine Anstellung für ihn, erzählte er mir. Diese vom Arbeitsamt zugewiesene Tätigkeit sah er wohl teilweise als Nötigung an, aber sprach dann auch davon, dass sie ihm Spaß gemacht hatte. Er berichtete sogar etwas wehmütig, dass er dort langfristig leider nicht übernommen werden konnte. Es ist schwer für mich ihn in dieser Hinsicht zu verstehen.
Während unseres Treffens sprach Thore davon, dass seine längste und letzte Beziehung etwa knapp drei Jahre gehalten hatte. Damit ist die Beziehung zur Mutter seiner Tochter gemeint. In dieser Zeit lebte er mit dieser Frau zusammen in ihrem Haus, damit sie sich gemeinsam um das Kind kümmern konnten. Als dann die Erziehungszeit, nach einem guten Jahr zu Ende ging, trennten sie sich. Diese Trennung ist jetzt fast zwei Jahre her und alle anderen Beziehungen dauerten nur wenige Monate oder Wochen. Er erklärte dies mit seinen sehr hohen Ansprüchen. Diese Fakten lassen mich ein wenig auf irgendwelche Beziehungsprobleme seinerseits schließen. Von seinen hohen Ansprüchen bemerkte ich selbst nichts. Ich hatte bei unserem Treffen eher das Gefühl, dass ich ihm genüge. Er äußerte nichts, was seinem Anspruch womöglich nicht gerecht werden könnte.
Auch wenn ich mich scheinbar in diesen Mann verguckt hatte, versuche ich nun diese mir zur Verfügung stehenden Fakten zu betrachten. Sie erscheinen nicht so klar und wem soll ich Vertrauen schenken? Meinen widersprüchlichen Gefühlen, die unser Zusammensein hinterlassen hatte oder den Fakten, die ich nicht nachvollziehen konnte? So versuche ich nun den für mich sicher erscheinenden Weg zu wählen. Mit dieser Nachricht beginne ich Thore nun zaghaft wieder loszuwerden.
Ich 17:34:„Lieber Thore, in den letzten Tagen war unsere Unterhaltung hier nicht sehr schön. Ich hatte mir das Kennenlernen etwas anders vorgestellt. Erfahren durfte ich von dir unter anderem, dass du dich mit Ex-Freundinnen triffst. Gestern, als ich auf der Partnerseite mein Profil gelöscht habe, sah ich dich dort online. Dazu braucht man genauso Internet, wie für das Schreiben bei WhatsApp. Es scheint so, als ob du nicht bereit bist, dich auf jemanden einzulassen und eine Beziehung zu führen. Das ist für mich Grund genug, es lieber sein zu lassen. Ich werde mich nicht mehr mit dir treffen. Mit dieser Entscheidung habe ich es mir nicht einfach gemacht und es hat auch nichts mit deiner Arbeitslosigkeit oder deiner Tochter zu tun. Ich wünsche dir viel Erfolg und Glück bei deiner weiteren Partnersuche.“
Er 18:47:„Ich bin sowas von bereit für eine Beziehung.“
Auch diese kurze Antwort stimmt mich nicht ernsthaft um. Nun hoffe ich, dass Thore einfach wieder aus meinem Kopf verschwindet und er sich nicht mehr bei mir meldet, wenn ich selbst ihm nichts mehr schreibe. Doch so richtig scheint er meine letzte Nachricht nicht zu akzeptieren. Thore lässt nicht locker und schreibt immer wieder irgendetwas. In seinen Nachrichten lese ich eher belanglose Dinge und er bezieht sich auf nichts, was etwas mit uns zu tun hatte. Ich antworte ihm nur sehr selten und immer wieder mit dem Hintergrund nicht weiter mit ihm in Kontakt bleiben zu wollen. Später lösche ich sogar seine Nachrichten und auch bald seine Nummer. So lässt Thore es dann auch bald sein mir zu schreiben, da er keine Antworten mehr bekommt. Ich habe es scheinbar geschafft.
Thore schwirrt mir jedoch weiterhin im Kopf herum. Ich weiß nicht so genau, was ich mit meinen Gefühlen anfangen soll, die mich einfach überrollt hatten, bei unserem Treffen und auch beim Lesen seiner Nachrichten. Nun kam wegen meiner eigenen Unsicherheit keine weitere Begegnung mit ihm mehr zustande. Dabei hätte ich ihn wirklich so gern wieder gesehen. Vielleicht könnte ich doch etwas mehr Klarheit bekommen, wenn wir uns noch besser kennenlernen würden. Meine überempfindliche Reaktion auf das Thema Ex-Freundin kenne ich so nicht von mir und auch nicht das Unbehagen, was seine Erzählungen über die verflossenen Frauenbekanntschaften mir bereiten. Mit Eifersucht hatte ich bisher nie etwas zu tun. Auch die Tatsache, dass er schon seit neun Jahren sein Profil auf dieser Internetplattform hat, lässt mich vermuten, dass er nicht besonders beziehungsfähig ist. Ich habe bei unserem Treffen meine Einstellung zum Ausdruck gegeben, dass ich es eher nicht ansprechend finde, wenn jemand sich so lange als Single präsentiert. Das lässt vermuten, dass er weiterhin mit anderen Frauen schrieb, während er in einer Beziehung steckte. Er reagiert ganz unschuldig mit den Worten: „Warum soll ich mich jedes Mal abmelden“. Ich antworte darauf: „Dann bist du ja insgeheim weiter auf der Suche. So kann eine Beziehung auch nicht richtig gelingen, wenn du dich nicht auf eine Frau einlassen willst.“ Dazu bekomme ich keine Antwort oder eine Erklärung.
Ich selbst frage mich: Ist Thore so was wie ein Casanova, der ganz unschuldig vielen Frauen den Kopf verdreht? Ob er auch auf andere Frauen solch eine Wirkung hat, wie auf mich? Welche Gründe gibt es dafür, dass er mich so durcheinander bringt? Ich kann all das nicht nachvollziehen und in einer schlaflosen Nacht schreibe ich einen Brief an Thore, den ich auch tatsächlich abschicke.
Lieber Thore,
vor etwa zwei Wochen trafen wir uns und haben einen wunderschönen Nachmittag miteinander verbracht. Wir fanden so viele Themen, die uns gemeinsam interessierten und hatten ein sehr gutes Verständnis füreinander. Jemanden im Internet zu Daten hat uns beiden scheinbar bisher wenig Erfolg gebracht. Meist bringt so was Enttäuschungen und Absagen mit sich. Du warst, denke ich auch enttäuscht, als ich schrieb, ich möchte mich nicht mehr mit dir treffen. In meinem Inneren sieht es allerdings ganz anders aus. Als wir uns an diesem wunderschönen Sonntag voneinander verabschiedeten, wünschte ich mir sehr, dich wiederzusehen. Zu meiner Freude wolltest du das auch. Die Nachrichten an den darauffolgenden Tagen haben mich dann sehr verwirrt und schon bald lief bei mir ein Gedankenkarussell auf Hochtouren. Leider ist mein Ausweg dann meist Rückzug und Abgrenzung. So in etwa hatte ich dir davon schon erzählt. Heute möchte ich mutig sein und es mal ganz anders machen, auch wenn ich damit rechnen muss, dass ich hiermit lediglich zu deiner Belustigung beitrage. Mutig sein, nicht nur diesen Brief zu schreiben, sondern eventuell tatsächlich sich auf jemanden einzulassen. Mit Absagen kann auch ich inzwischen gut umgehen. „Auf was einlassen?“, bringt für mich die meisten Ängste mit sich. Du fragtest mich nach meiner Absage, ob ich mir eine Beziehung ohne Verpflichtungen vorstellen kann, oder so ähnlich. Du meintest sexueller Natur. Ich glaube, du hast damit nur Abstriche gemacht. Ich finde, in jeder Beziehung ist es gut verantwortungsvoll miteinander umzugehen. Wenn Verpflichtungen verhandelbar bleiben, gibt es auch keinen Druck in der Beziehung. Mit Gefühlen ist das schon komplizierter. Sie kommen oder auch nicht und sie gehen oder bleiben. Wie man Beziehung gestaltet, ist eine Sache an der mindestens zwei mitwirken. Ob man aber Beziehung leben möchte, ist viel entscheidenden. Das bedeutet etwas zu ändern im eigenen Leben. Manchmal auch aus der Komfortzone herauszukommen, Einstellungen und Vorstellungen zu entlassen von dem, wie jemand sein sollte. Über all solche Dinge mache ich mir Gedanken und bin erschrocken, was eine Begegnung mit dir in mir bewegt.
Liebe Grüße Frida.
Bei unserem Treffen hatten wir auch unsere Nachnamen ausgetauscht. Somit steht mir seine Adresse nun komplett zur Verfügung, um am Montagmorgen den Brief in den Briefkasten einwerfen zu können. Nach meiner Berechnung sollte Thore ihn am darauffolgenden Mittwoch erhalten. Dieser Brief, den ich erstaunlicherweise nur zweimal schreiben muss, bis er nach meiner Vorstellung war, lässt für mich selbst jedoch nichts besser werden. Mit dem Einschlafen klappt es immer noch nicht, denn alles kreist in meinem Inneren um ihn und um das Thema Beziehung. Da ich immer wieder schaue, ob Thore auf der Internetseite online zu sehen ist, stelle ich fest, dass er ab genau dem Mittwoch nicht mehr täglich dort zu finden ist, an dem er meinen Brief bekommen sollte. Den Online-Status kann man dort auch sehen, ohne dass man selbst ein Profil auf dieser Seite angelegt hatte. Man benötigt nur den Benutzernamen des Teilnehmers. Natürlich bringe ich sein verändertes Verhalten sofort mit meinem Brief in Verbindung. Doch die Ungewissheit wächst, denn er reagiert nicht darauf. Schreibt er mir womöglich auch einen Brief?
Als ich dann nach fünf Tagen die sehnsüchtig erwartete Antwort erhalte, schreibe ich in mein Tagebuch:
Tagebucheintrag am 08. Dezember 2017/ 22.00 Uhr:„Heute möchte ich das Thema Thore abschließen und ihn endlich aus meinem Kopf verbannen. Auf meinen Brief bekam ich keine Antwort. Er schrieb mir nicht zurück und er rief mich auch nicht an. Es gab nur eine kurze WhatsApp-Nachricht am Sonntag, diese lautete: „Danke für deinen sehr lieben Brief. Ich wünsche dir eine schöne Adventszeit.“ Ich antworte darauf: „Danke, wünsche ich dir auch.“ Dann löschte ich wieder die Nachrichten und auch seine Nummer. Ich bin sehr enttäuscht. Thores Reaktion auf meinen Brief ist zwar nett. Doch das ist mir zu wenig. Auch wenn er mit dem Brief vielleicht überfordert war, hatte ich erwartet, dass er irgendwie auf das Geschriebene eingehen würde. Irgendeine Reaktion, ob nun Zustimmung oder Ablehnung, hatte ich erwartet. Wieder kann ich keine Emotionen von ihm erkennen. Er scheint nicht genug echtes Interesse an mir zu haben. Sicher hatte ich seine Worte und sein Verhalten nicht richtig verstanden oder zu viel hineininterpretiert. Thore erscheint mir irgendwie sehr eigenwillig.“
Ein langer Urlaub und der Besuch meiner Kinder stehen vor der Tür. Die Vorfreude auf Backen, Basteln und andere vorweihnachtliche Dinge lassen meine Gedanken an Thore fast verschwinden. Ich schlafe nachts auch wieder ganz normal. Doch nach ein paar Tagen ohne Konversation, bekomme ich doch wieder eine Nachricht von ihm. Er schickt mir ein Weihnachtsvideo, welches er sehr lustig findet. Ich reagiere darauf mit einem weiteren Weihnachtsvideo und teile auch mit, dass ich an solch einer Konversation nicht sehr interessiert bin. Mich überkommt nun das Gefühl, dass ich ihn so schnell doch nicht loswerde und seine Hartnäckigkeit an mir dranzubleiben beeindruckt mich auf seltsame Weise. Ich versuche jedoch die Unterhaltung nicht in Gang zu halten und glänze mit Desinteresse. Dann nach wieder ein paar Tagen, am 14. Dezember bekomme ich ein weiteres Weihnachtsvideo von ihm gesendet. Ich bin auch jetzt wieder nicht sehr begeistert über diesen Blödsinn und schreibe ihm dies nun auch klar und deutlich. Bezüglich des lustigen Videos, schreibt er dann, dass er mit seiner Tochter Lene sehr viel lacht. Er teilt mir außerdem mit, dass er sich noch ein neues Auto besorgen muss für die Weihnachtsfahrt zu seiner Schwester nach Hessen. Doch was bitte schön hat das mit mir zu tun? Ich hatte ihm einen Brief geschrieben und mich schon ein wenig nackig gemacht. Er ignoriert all das und das fühlt sich nicht gut an. Wieder wünsche ich mir, dass er endlich aus meinem Kopf verschwinden würde. So folgen das weitere Löschen seiner Nachrichten und nun auch das Blockieren seiner Nummer am Morgen des 15. Dezembers.
Viele Gedanken um das Thema Beziehung kreisen über die Feiertage in meinem Kopf umher. Dabei geht es mir keineswegs nur darum, die Begegnung mit Thore zu verstehen. Ich lese gerade ein Fachbuch, welches ich von einer Kollegin bekommen hatte. Darin geht es um das Thema Bindung und Beziehung aus pädagogischer Sicht. Die Individualisierung der Menschen in unserer heutigen Gesellschaft bildet dabei einen großen Hintergrund. Es wird deutlich gemacht, warum Singledasein und häufige Trennungen immer mehr unsere Gesellschaft prägen. Auch dass Onlineportale lediglich dazu beitragen, dass Menschen sich begegnen aber eine Beziehung dann selbst gestaltet werden sollte, scheint ein immer größer werdendes Problem zu sein. Wie im Kaufrausch schaut man sich auf diesen Portalen um und hofft auf ein günstiges Schnäppchen. Dieses sollte so funktionieren, wie jeder es nach seinem Geschmack gerne hätte. Wenn sie oder er doch nicht so gut passen, wird eben weiter gesucht. Dies hatte ich mehrfach auch so empfunden, während ich dieses Internetportal besuchte.
Ich stelle mir selbst die Frage: Wie glücklich bin ich als Single? Einen Partner hatte ich mir von Zeit zu Zeit immer mal gewünscht, doch allein klappte es auch sehr gut in meinem Leben. Ich hatte mein berufliches und soziales Umfeld und genügend Interessen, denen ich nachging. Mein Wunsch in einer längeren Beziehung auch glücklich zu sein, gestaltete sich jedoch immer etwas schwierig. Thore scheint ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben, lassen mich seine Erzählungen vermuten. Wir haben so viele Gemeinsamkeiten und verstehen uns so gut. Warum gab es nun plötzlich diese Irritationen? Vielleicht hat Thore eingefrorene Gefühle in mir geweckt und ich kann damit nur nicht gut umgehen. Viele solcher wirren Gedanken verbunden mit keiner vernünftigen Lösung, gehen mir immer wieder durch den Kopf und geben keine Ruhe.
Kapitel 2: Der Traum
Das Jahr 2018 hat begonnen und nach der Neujahrsparty bei mir Zuhause fahren meine Kinder auch schon wieder weg. Die lange Zeit mit ihnen war wunderschön und somit fallen mir der Abschied und auch das darauf folgende Alleinsein schwer. Die Gedanken an Thore kommen vage zurück und ich frage mich, ob auch er den Jahreswechsel gut verbracht hatte. Da liegt es für mich nahe, aus der Laune heraus, zu testen was nach so langer Zeit passiert, wenn ich seine Nummer bei WhatsApp wieder freigebe. Ihm einfach selbst zu schreiben, kommt mir dabei nicht in den Sinn. Ich rechne nicht ernsthaft mit einer Nachricht von ihm und finde es darum schon etwas absurd am dritten Tag nach meiner Freigabe seiner Nummer doch tatsächlich etwas von ihm zu lesen.
Er 05.01./ 12:01:„Alles gut bei dir?“
Ich 16:53:„Ja, bei dir auch?“
Er 18:34:„Nur, weil du nicht mehr da warst. Bei mir na ja, wenn ich meine Kleine habe, geht es mir gut. Habe gerade wieder abgegeben. Nächste Woche hab ich sie von Mittwoch bis Sonntag. Weihnachten war wieder schön bei meiner Schwester mit Bescherung, Gans, Grünkohl, Weihnachtszirkus, Buffet, Bowlen, Ausflüge, Silvester draußen mit Nachbarn bei Feuerschale, Musik, Raketen. Lene hielt auch durch. Habe mir alten Benz gekauft, fuhr super darunter, liebe Grüße Thore.“
Ich 19:44:„Schön zu lesen, dass du schöne Feiertage hattest. Nun sind sie wieder zu Ende und der Alltag ist wieder da, liebe Grüße Frida.“
Er 20:04:
„Ja und deine waren auch schön?“
Ich 20:05:
„Ja☺.“
Er 20:06:„Okay, kein Kommentar ist auch eine Aussage.“
Ich 20:09:„Wolltest du mehr wissen? Ich bin gerade etwas schreibfaul, entschuldige.“
Er 20:22:
„Na guck mal morgen, ob es dann leichter fällt.“
Ich 20:36:„Was interessiert dich denn?“
Er 06.01./ 09:53:„Na alles, wie Weihnachten war, Weihnachtsmarkt, zwischen den Jahren, Silvester, Kinder, Liebhaber, neue Vorsätze...“
Ich 10:35:„Oh, das ist ja viel. Ich hatte ja schon vor Weihnachten Urlaub. Da haben wir viele schöne Sachen gemacht. Vor allem viel gegessen. Weihnachtsmarkt war sehr schön. Vor Weihnachten war ich mit den Kindern viel unterwegs und Silvester haben wir bei mir zu Hause gefeiert. Wir waren alle mal wieder Singstars☺. Mit dem Liebhaber lasse ich es vorerst sein. Was hast du dir denn vorgenommen?“
Er 11:07:„Ich habe lieber nichts vorgenommen, aber was Partnerschaftliches wäre schon schön.“
Ich 12:06:„Das ist ja etwas, was du dir wünschst. Vielleicht klappt es ja in diesem Jahr und du findest die Richtige.“
Ich finde es schon komisch, warum er mir all diese sachlichen Dinge von sich schreibt und auch immer wieder den Kontakt zu mir aufnimmt. Ob es Interesse an meiner Person ist, oder ob er nur jemanden zum Unterhalten sucht? Vielleicht sollte ich mich mit ihm ein weiteres Mal für einen gemeinsamen Spaziergang treffen. Wir hatten uns ja super unterhalten und auch gut verstanden. Wenn ich versuche den nötigen Abstand zu bewahren und meine Emotionen im Zaum halte, sollte nichts dagegen sprechen.
An diesem schönen Sonntagvormittag warte ich dann auf eine weitere Nachricht von Thore. Es scheint jedoch so, als wenn sie nicht kommen soll. So ziehe ich mich warm an, um allein einen Spaziergang am Strand zu machen. Bei dem schönen klaren Winterwetter nehme ich mir vor, mit der Kamera ein paar Naturfotos zu machen. Fertig angezogen, mit dem Autoschlüssel in der Hand, schaue ich noch mal auf mein Handy. Ich hatte ein wenig gehofft, dass ich nicht allein den Spaziergang am Wasser machen werde. Meine Gedanken scheinen von Thore erhört worden zu sein, denn er schreibt genau passend dazu seine erste Nachricht an diesem Tag.
Er 07.01./ 11:26:„Aber immer alleine machen und selber kuscheln ist doch auch nicht schön. Heute ist tolles Spazierwetter.“
Ich 11:28:„Ich will gerade zum Strand fahren. Wie lange brauchst du? Ich würde auf dich warten.“
Er 11:29:„Wohl erst gegen eins.“
Ich 11:29:„Kannst du am Strand sein?“
Er 11:30:„Ja gerne, schlag was vor.“
Ich 11:32:„Ich stehe zwar schon angezogen in der Tür, aber ziehe mich dann noch mal aus. Wollen wir zur Ostseeklinik beim Ferienhaus oder woanders hin? Würdest du es zu um eins schaffen?“
Er 11:34:„Ja, ist okay, schaffe ich. Können ja dann noch sehen.“
Ich 11:35:„Bei der Klinik treffen ist auch okay?“
Er 11:41:„Können auch beim Einkaufszentrum treffen, wegen Parkgebühr.“
Ich 11:51:„In Ordnung, machen wir so.“
Meine Freude ist groß, über das so schnell vereinbarte Treffen mit ihm und ich bin wahnsinnig gespannt, wie nun dieses Zusammensein mit ihm wird. Für mich dauert die Fahrt zu unserem Treffpunkt etwa eine halbe Stunde und bei Thore etwas länger. Darum habe ich noch genug Zeit, um mir was Schöneres anzuziehen und auch eine ordentliche Frisur zu zaubern.
Mein schulterlanges Haar hatte ich vor wenigen Tagen nachgefärbt. So sehen diese heute schön dunkelbraun aus und verraten nichts von ihrem eigentlichen Grau. Mit ein wenig Lippenstift aufgelegt, mache ich mich dann auf den Weg. Der Gedanke, dass es wieder solche magischen Momente geben könnte, kommt mir jetzt in den Sinn. Ich bemerke auch ein Kribbeln in meinem Bauch. Um zuvor noch Geld vom Automaten holen zu können, fahre ich überpünktlich los. So warte ich letzten Endes am verabredeten Treffpunkt auf ihn. Immer wieder nehme ich mir ganz fest vor, all die eventuell auftretenden emotionalen Irritationen nicht so ernst zu nehmen.
Thore kommt pünktlich mit seinem neu erworbenen alten Benz auf den Parkplatz gefahren und hält direkt neben meinem Auto an. Ich begutachte ihn, als er aussteigt und auch das sehr alte Auto sehe ich mir ein wenig verwundert an. Nach der kurzen Begrüßung frage ich ihn: „Willst du umziehen?“ Dabei zeige ich auf den großen Wäschebeutel, der im Kofferraum zu sehen ist. Thore sagt daraufhin: „Das kommt ins Ferienhaus. Wir können das doch gemeinsam dort hinbringen?“ Ich stimme zu und freue mich über sein Vertrauen, mir das Ferienhaus, von dem er viel erzählt hatte, schon bei unserem zweiten Treffen zeigen zu wollen.
Auf mich wirkt Thore irgendwie nicht so gelassen, wie bei unserem ersten gemeinsamen Nachmittag. Er sieht aus, als wäre er gerade aufgestanden und hätte sich in Eile rasiert und geduscht. Ich überlege, ob ich ihn mit dieser plötzlichen Unternehmung doch etwas überfordert hatte. Im weiteren Gesprächsverlauf empfinde ich ihn allerdings so wie bei unserem ersten Treffen. Thore spricht schnell wieder mit mir offen, sachlich und sehr gefasst.
Um zum Ferienhaus zu fahren, benutzen wir sein Auto und ich lasse meines auf dem Parkplatz zurück. Für mich ist es nicht immer einfach Beifahrer zu sein, denn manchmal habe ich viele Ängste und wenig Vertrauen in die Fahrkünste des Anderen. Bei Thore bin ich gespannt, ob ich mich in seinem Auto wohl und sicher fühle und steige relativ unvoreingenommen bei ihm ein. Während der Fahrt erzählt Thore die ganze Zeit über und ich frage mich, ob er so viel Redebedarf hat, oder ob er ein wenig aufgeregt ist. Vielleicht geht es ihm ja so ähnlich wie mir. Doch ich erhalte weitere erstklassige Sachinformationen von ihm. Er erzählt mir von den Leuten, die alle auf dem Weg zum Ferienhaus wohnen. Auch wie es früher dort mal war und was sonst so mit der Umgebung in Verbindung steht, erfahre ich in einem ausgiebigen Redeschwall. Mein Interesse an diesen Informationen hält sich sehr in Grenzen und ich merke mir sehr wenig von seinen Worten. Es sind kaum emotionale Regungen von Thore darin enthalten. Ich kann nicht einschätzen, warum er mir diese Dinge erzählt und auch nicht, was ihm daran so wichtig ist.
Nachdem wir beim Ferienhaus angekommen sind, machen wir eine Grundstücksbegehung, die sehr umfangreich ausfällt. Um das kleine Grundstück herum wachsen verschiedene Hecken und Büsche. Mehrere kleine und ein etwas größeres Blumenbeet sehe ich. Zu dieser Jahreszeit ist nicht genau zu erkennen, was dort eventuell im Frühjahr mal erblühen wird. Unter einem größeren Baum ist eine Sandkiste für Thores Tochter Lene liebevoll angelegt. Es scheint ihm sehr wichtig zu sein, mir alles genau zu zeigen und es auch mit den dazu gehörenden wichtigsten Informationen zu verpacken. Vielleicht ist es einfach sein Stolz, der beim Erzählen seinen Enthusiasmus fördert, denke ich mit ein paar kleineren Fragezeichen in meinem Kopf. Das Häuschen ist schlicht gebaut und komplett mit Holz verkleidet. Holz mag Thore scheinbar sehr, denn er betont es immer wieder. Auch welches Holz hier verbaut wurde, erzählt er mir. Das gesamte Anwesen macht auf mich einen sehr gemütlichen und praktischen Eindruck und entspricht sehr meinem Geschmack. Eine Aussichtsplattform hinter dem Haus ermöglicht einen Blick über den Deich auf die Ostsee. Ich finde das so faszinierend, dass ich dort ein wenig ausharre.
Da die Unterhaltung mit Thore wieder hervorragend sachlich ist, werde ich immer gespannter und neugieriger etwas herauszufinden, was seine Gefühlswelt sagt und natürlich auch, wie er zu mir steht. Dass ihm diese ganzen materiellen Dinge so wichtig sind und er sie mir auf so eigenwillige Art und Weise erzählt, finde ich etwas seltsam. Vielleicht hat das etwas mit Statusdarstellung zu tun oder es sollte einfach gut auf mich wirken. Seine Wertevorstellung könnte jedoch eine ganz andere als meine sein, denke ich. Nachdem wir unseren Rundgang beenden, versucht Thore nun die Tür des Ferienhauses zu schließen. Er kämpft einige Minuten mit dieser und nachdem es glücklicherweise geklappt hatte, fahren wir mit dem Auto weiter an der Küste entlang. Ich fühle mich tatsächlich mit seinem Fahrstil sehr wohl, denn er erscheint mir als ein sicher Fahrer.
Wir halten dann das nächste Mal in dem Ort, in welchem ich mit meinem früheren Ehemann vor langer Zeit einen Garten mit kleinem Häuschen hatte. Unsere Reise führt uns direkt daran vorbei und sicher interessiert sich Thore auch dafür, denke ich. Wir spazieren kurz durch die Kleingartenanlage, doch tatsächlich erkenne ich dann kein Interesse bei ihm. Er sagt zu all dem nichts, aber schaut sich alles, was ich ihm zeige ohne Widerspruch an. Hier gibt es nun nach fast zwanzig Jahren nicht mehr viel von früher. Nur die Obstbäume und die Gehwegplatten, die zum Gartenhaus führen, sind noch dieselben. Unseren Aufenthalt dort in den Gärten beenden wir nach sehr kurzer Zeit und setzen unsere kleine Reise mit dem Auto fort.
Nach einem Spaziergang am Wasser, entscheiden wir uns dann unsere Unterhaltung lieber in einem gemütlichen Café weiterzuführen. Der Wind ist sehr eisig und es ist wirklich ungemütlich draußen. In dem etwas gehobenen Café kann Thore sich schwer entscheiden, welchen Tisch wir nehmen wollen. Auch bei der späteren Auswahl des richtigen Tortenstückes braucht er eine Weile. Mit ein wenig zustimmender Unterstützung von mir, entscheidet er sich dann doch für die Schwarzwälder Kirschtorte und ich wähle ein Stück Schoko Torte. Nachdem dann jeder seine Torte aufgegessen hat, holt Thore eine kleine einfache Kamera heraus und wir schauen uns zusammen die Fotos darauf an. Er überlässt sie mir auch sehr schnell alleine, um die Bilder darauf besser ansehen zu können. Auf der Kamera sind Fotos von ihm und der ganzen Familie zu sehen. Dass Thore mir all diese Bilder schon so früh offen zeigt, empfinde ich in dem Moment wieder als Zeichen von Vertrauen mir gegenüber. Auf der Kamera gibt es sehr viele Fotos von ihm, die teilweise auch etwas unvorteilhaft sind. Es scheint ihm nichts auszumachen, sich so zu präsentieren wie er wirklich ist. Ich zeige ihm daraufhin auch einige ausgewählte Bilder von meinem Handy.
Thore hat immer wieder davon gesprochen, wie wichtig es für ihn ist, dass er in einer Beziehung dem anderen vertrauen kann. Mein gewonnener Eindruck von seinem doch sehr schnell gefundenen Vertrauen zu mir, wird dann jedoch von einer anderen Erscheinung infrage gestellt. Im Café zeigt Thore durch sein Auftreten und seine Körpersprache ganz viel Verschlossenheit und Ablehnung mir gegenüber. Sein Oberkörper ist immer ein wenig von mir weg gewandt, während er in seinem gemütlichen Sessel sitzt. Ich frage mich, ob er sich mit mir nicht wohlfühlt. Mich irritieren diese unterschiedlichen Verhaltensweisen sehr. Einerseits spricht er offen und überlässt mir seine Kamera, aber andererseits sehe ich seine eher distanzierte Körperhaltung.
Thore bezahlt dieses Mal die Rechnung und weil wir den Kassenzettel mit dem Code für die Schranke brauchen werden, stecke ich den Bon in meine Jackentasche. Ich schlage dann auf dem Parkplatz vor, dass ich den Pin in die Tastatur der Schranke eintippe, damit sie sich öffnet, während er das Auto dort hindurch fährt und sage neckisch zu ihm: „Lass mich aber nicht hier stehen.“ Es gibt daraufhin keine Reaktion von ihm. Thore war dann kurz zerstreut, weil er dachte, sein Auto schließt sich nicht auf und die Türen sind eingefroren. Doch als er merkt, dass er den Schlüssel nur falsch benutzt hatte, ist es ihm sichtlich sehr peinlich.
Diese Gefühlsregung lässt mich hoffen, dass ich ihn ein wenig aus seiner sachlichen Verfassung gebracht hatte. Ich wünsche mir, dass er nicht nur mehr Interesse an mir, sondern auch emotionale Reaktionen zu irgendetwas zeigt. Es gibt keine Anzeichen von Flirten, kein zufälliges Berühren oder etwas Ähnliches. Alles bleibt auf der sachlichen Ebene. Selbst über Beziehungsangelegenheiten spricht Thore sehr abgeklärt. Seine Äußerungen geben mir jedoch keinen Zweifel daran, dass er alles Gesagte auch ganz genau so meint. Es geht ihm nicht nur um Vertrauen, sondern auch um Harmonie und Treue in seiner Vorstellung von Zweisamkeit. Seine Einstellungen finde ich sehr passend zu meinen und ich frage mich so manches Mal, ob er Gedanken lesen kann. Seine konkreten Ausführungen, die sachlich und auch konsequent wirken, scheinen auf mich sehr anziehend zu sein. Vielleicht ist es aber auch seine stille Akzeptanz mir gegenüber und seine gut formulierten Vorstellungen, die mich so verblüffend auf eine gute Partie mit ihm hoffen lassen. Zu meinen Äußerungen, in unseren Unterhaltungen, bekomme ich keine Ablehnung oder einen Widerspruch von ihm und nehme an, dass er meine Vorstellungen einfach akzeptiert. Seine Sachinformationen geben mir allerdings immer wieder genug Raum für mein eigenes emotionales Kopfkino. Da werden viele Vorstellungen und Möglichkeiten in mir geweckt und ich kann immer weniger einschätzen, wie er emotional zu mir steht. Ich weiß nicht, ob er etwas an mir gut oder schlecht findet. Äußerungen auf mich zugeschnitten gibt es von Thore nicht.
Nachdem wir das mit der Schranke hinbekommen haben, fahren wir an diesem Nachmittag noch ein wenig umher und gehen dann ein weiteres Mal für einen kurzen Spaziergang hinaus in die Kälte. Zum Glück entscheiden wir uns dieses Mal schnell in einem Restaurant noch etwas zu Abend zu essen. Dort sind wir die einzigen Gäste und haben das Glück, den letzten Saisontag das wunderbare Essen genießen zu können. Ab morgen gehen auch hier die Lichter über die Winterzeit aus.
Thore steigt mit mir aus, nachdem er neben meinem Auto auf dem Parkplatz anhält. Mit seinem Eiskratzer in der Hand hilft er sofort dabei, mein vereistes Auto freizubekommen. Doch auch im Inneren des Fahrzeuges hat die Frontscheibe eine dünne Eisschicht. Darum setze ich mich hinein und stelle Lüftung und Heizung an. Thore bleibt bei mir am Auto stehen und schaut ins Innere des Wagens. Er scheint sich nicht so sicher zu sein, ob er mich nun alleine lassen kann. Ich deute dies als Unsicherheit oder Sorge um mich. Darum sage ich: „Die Scheibe ist bestimmt gleich frei. Dann kann ich auch fahren. Du musst nicht unbedingt warten.“ Er scheint dies zu akzeptieren und wir verabschieden uns mit einem Händedruck und ohne Umarmung voneinander.
Es ist inzwischen schon gegen 21.00 Uhr an diesem Abend. Wegen eines Wiedersehens habe ich in unserer Unterhaltung klare Richtlinien angemeldet und die lauten etwa so: „Wir können uns ja immer zum Spazierengehen treffen. Das funktioniert ja ganz gut.“, oder auch diese: „Am besten ist es, wenn wir gar nicht schreiben. Dann gibt es auch keine Missverständnisse.“ Thores sehr sachlichen Nachrichten und meine Interpretationsversuche zu diesen, gestalten unsere Unterhaltungen bei WhatsApp wenig vorteilhaft. In Gesprächen, wenn wir zusammen sind, gibt es wiederum keine Missverständnisse, stelle ich fest. Auch an diesem Nachmittag beeindruckt mich Thore wieder sehr positiv. Die Zeit mit ihm ist so unglaublich schnell vergangen und verbunden mit dem wunderbaren Gefühl im hier und jetzt zu sein. Thore wirkt auf mich sehr vertraut und ich bin nach diesem Treffen noch mehr von ihm fasziniert.
Am nächsten Morgen schreibe ich ihm.
Ich 08.01./ 7:48:„Guten Morgen, danke für den wieder mal schönen Sonntag. Ich habe gestern noch bis Mitternacht mit meiner Tochter telefoniert und bin jetzt hundemüde. Lass es dir gut gehen!“
Er 9:21: