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Hans-Alfred Szuldrzynski bereiste die Welt von 1943 bis 1945 als Funkmaat auf dem deutschen U-Boot 532 und war später drei Jahre lang Kriegsgefangener in England. Er schrieb darüber ein kunstvolles Zeitdokument, eine Mahnung gegen den Krieg und eine Lektion in Resilienz, die uns allen in dunklen Zeiten ein Licht sein kann. Faszinierend lesen sich seine anschaulichen Beschreibungen von der Schönheit der Natur in Ostasien und die Begegnungen mit den Menschen dort. Ohne die Grausamkeit des Krieges und die Angst vor dem Tod muss dort eine bezaubernde Welt vorzufinden gewesen sein.
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Seitenzahl: 268
Veröffentlichungsjahr: 2025
Zur Erinnerung an unseren Vater.
Deine Geschichte hat mich sehr beeindruckt und berührt. Sie unterstreicht die Sinnlosigkeit des Krieges, was in mir den Wunsch weckte, sie zu veröffentlichen.
Deine Tochter Marina
Hans-Alfred Szuldrzynski
„Mit 18 Jahren auf große Fahrt“
Ich heiße Hans-Alfred Szuldrzynski und wurde am 24. November 1923 als Sohn des Kaufmanns Felix und seiner Ehefrau Maria in Lehe, jetzt Bremerhaven, in der Eupnerstr. 15 geboren. Vom 6. bis zum 14. Lebensjahr besuchte ich die Volksschule daselbst und wurde nach der 8. Klasse entlassen. Anschließend trat ich bei der Firma Grundmann und Gröschel Hochseefischerei in die Maschinenschlosserlehre, die ich im September 1941 mit der Facharbeiterprüfung abschloss.1939 zogen wir in die Otto-Telchow-Stadt (Wilhelm-Gustloff-Str. 24), welche allein für die Ansiedlung neuer Arbeitskräfte aufgrund gewaltiger Expansion der Hochseefischerei geschaffen worden war.
Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches und der darauf folgenden Umgestaltung wurde die Siedlung in „Surheide“ umbenannt und aus der Wilhelm-Gustloff-Straße wurde die Lechstraße.
Am 1. Dezember 1933 wurde ich in die Hitlerjugend aufgenommen und im Winter 42/43 kam ich zur Kriegsmarine; hier beginnt meine Geschichte:
Erster Teil
Auslaufen zur 1. Feindfahrt
Endlich wieder an Land!
Auslaufen zur 2. Feindfahrt
Äquatortaufe
Die „Brake“
Das Leiden der Besatzung
Einlaufen in Penang
Weihnachten auf Penang Hill
3. Feindfahrt
Wieder in Penang
Der Angriff
In Shonan
Fünfte Fahrt – Verlegung nach Batavia/Jakarta
Belotti – Giulia
Sechste Fahrt – Verlegung
Erdbeben – Tsunami!
Auslaufen zur 8. Fahrt
Neunte Fahrt! Es geht Richtung Heimat
Die Rettung von Hans-Alfred Szuldrzynski
Angst oder Feigheit von Hans-Alfred Szuldrzynski
Das Kind von Hans-Alfred Szuldrzynski
Das Fest (Schattenpuppen) von Hans-Alfred Szuldrzynski
Sonnenuntergang von Hans-Alfred Szuldrzynski
Weihnachten im fremden Land von Hans-Alfred Szuldrzynski
Das kleine Lied von Hans-Alfred Szuldrzynski
Zweiter Teil
Hans-Alfred Szuldrzynski, ehemaliger Funkmaat U–532, ab Mai 1945 in englischer Kriegsgefangenschaft
Meine Tabakspfeife von Hans-Alfred Szuldrzynski
Der Mann mit der Pfeife von Hans-Alfred Szuldrzynski
Heimatsehnen von Hans-Alfred Szuldrzynski
Weihnacht! Von Hans-Alfred Szuldrzynski
Meiner Mutter von Hans-Alfred Szuldrzynski
„Ein Mann Brücke?“ Meine Frage geht im Tosen des durchs Turmluk mit Wucht herunterschwallenden Seewassers unter. Ich versuche es noch einmal: „Ein Mann Brücke!“
Jetzt kommt Antwort von oben: „Ein Mann Brücke genehmigt.“. Es ist die Stimme des 1. Wachoffiziers. Die kenne ich schon, obwohl ich erst vier Tage an Bord bin. An Bord des deutschen U-Boots U–532 der Baureihe IX C, gefertigt in Hamburg Finkenwerder bei der Deutschen Werft.
Ich bin als überzähliger Funker an Bord und überzählig komme ich mir bei dieser taktischen Übung auf der Ostsee oft vor.
Hier wird allen Besatzungsmitgliedern das Letzte abverlangt. Ich als Überzähliger habe keine Koje und liege in meiner Freizeit in irgendeiner Ecke, um eine kurze Zeit Ruhe zu finden, nachdem ich nahezu zwanzig Stunden auf Funkwache gesessen habe. Wenn ich dann unter einer feucht klammen Decke liege und versuche einzuschlafen, kreisen meine Gedanken immer um den gleichen Punkt: Wie kam ich hierher, wie begann alles?
U 532 während der „Taktischen Übung" in der Ostsee 1942
Es war Winter 1942/43.
Ich war bei der U-Boot-Schulflottille 21 in Pillau. Sie bestand aus kleinen Booten, 250-Tonnern, und wir hatten als Besatzung die Aufgabe, Kommandanten und Leitende Ingenieure in die Praxis des U-Bootkrieges einzuführen. Wir liefen morgens aus und kamen gegen 17.00 Uhr wieder in den Hafen. Der Tag ging dahin mit Tauchübungen. Die Funkerei war auf die Küstenwelle geschaltet, auf der nur Kurzsignale kamen. Mein Boot nannte sich U–121 und unser Kommandant war Oberleutnant Westphalen. Die Tage auf den Booten waren Mief und Seegang. Die Abende verbrachten wir an Land. Zum Wochenende kamen die „Fleischzüge“ von Königsberg und wir hatten reichlich Freiheit, denn auf unserem Wohnschiff, dem ehemaligen Passagierdampfer Ubena, wurde nicht kontrolliert, sodass wir nahezu uneingeschränkt Ausgang hatten.
Ubena
Derweil wir so unsere Tage mit dem fast süßen Leben verbrachten, ging der Krieg an der Ostfront in eine entscheidende Phase. Oft plagte uns das schlechte Gewissen und wir beklagten, dass wir nicht auf einem Front-U-Boot eingesetzt waren.
Eines Tages kam ein Läufer und brachte mir den Befehl Matrose IV Funk Szuldrzynski sofort beim Flottillenkommandeur melden.
Ich überdachte die letzten Tage, jedoch fiel mir kein Lapsus ein. Ich enterte die Brücke der Ubena und stand stramm vor meinem Kapitänleutnant. Es handelte sich um Flottillen-Chef Schuhart, eines der Asse der deutschen U-Bootwaffe und von mir hoch geachtet. Zackig meldete ich mich zur Stelle und wurde vom Chef freundlich begrüßt. Er hatte einen Gast, einen, dem ich als „einer unserer besten Funker“ vorgestellt wurde.
„Ich bin Kommandant von U–532 und brauche Sie drei Wochen als Funker für die taktische Übung. Meine Funkgasten1 kommen direkt von der Schule, haben also von praktischer Funkerei keine Ahnung und die beiden Maate sind überfordert.“ „Also“, sagte mein Kapitänleutnant, „für drei Wochen. Machen Sie uns keine Schande. Packen Sie noch heute Ihre Sachen, morgen um acht Uhr fährt ein Pkw nach Danzig zur Einschiffung, da können Sie mitfahren.“
Nun hatte ich den Salat. Ich wollte doch an die Front - nicht für drei Wochen Front riechen und dann zurück zur Schulflottille. Das hatte ich mir so nicht vorgestellt, doch was sollte ich machen, Befehl war Befehl.
Am nächsten Morgen ging es Richtung Danzig, wo ich mich beim TEK (Torpedo-Erprobungs-Kommando) meldete. U–532 war draußen und sollte vor 18 Uhr nicht einlaufen. Man wies mir eine Koje in einer Baracke zu, wo ich meinen Seesack unterbrachte, dann begab ich mich für ein paar Stunden in die Stadt, um mir noch ein paar Sachen zu besorgen. Bis ich zurück am Hafen war, lag es bereits am Pier, dunkel, mit Spuren von Schnee auf dem Oberdeck. Bedrohlich und doch so wunderbar erschien es mir im Brack des Hafenwassers. Mein neues Kommando für drei Wochen: U–532.
Neben dem Turm ein Wachposten mit Maschinenpistole. Ich melde mich an Bord und werde ins Innere geschickt, wo sich der II. Wachoffizier befinden soll. Im Boot herrscht ein heilloses Durcheinander. Obwohl ein Teil der Besatzung anscheinend mit Aufräumen beschäftigt ist, sehe ich keine Ordnung. Der erste Eindruck ist verheerend. Da war es auf unserer kleinen U–121 zwar eng, aber doch irgendwie gemütlich.
Ich frage mich nach dem II. Wachoffizier durch und finde ihn im Funkraum am Schlüssel „M“ arbeitend, auf einem Hocker sitzend mit dem Rücken zu mir. Als er sich auf meine An-Bord-Meldung umdreht, erschrecke ich über sein Jungengesicht. Der war doch höchstens so alt wie ich und schon Wachoffizier? Er führt mich durch das Boot und nach und nach werden mir die an Bord befindlichen Kameraden vorgestellt. Dann bin ich entlassen und suche im schummrigen Licht der Straßenlaternen meine Baracke. Hier lerne ich den Rest der Crew kennen.
In der Baracke ist es saukalt und klamm, obwohl im Kanonenofen ein heftiges Feuer bullert. Das Abendessen besteht aus einem Knust Brot mit Wurst, dazu gibt es Tee. Der ist wirklich heiß und wärmt mich ein bisschen auf. Als ich mich in meine Koje verziehen will, stelle ich fest, dass dort unter dem Strohsack nur drei Querbretter vorhanden sind und ein Liegen auf dieser „Dauerwellenmatratze“ unmöglich ist. Meine diesbezügliche Frage an einen anderen Funker unseres Bootes bringt nichts Konkretes: „Womit sollen wir denn die Scheißbaracke heizen, hier gibt es doch sonst nichts zu brennen.“
„Ich hab noch vier Bretter. Gibst du mir ´ne Packung Zigs, kriegste eins ab“, kam es vom anderen Funkgast. Dann wurde gehandelt; schließlich wechselten drei Zigaretten den Besitzer für ein weiteres Kojenbrett.
Sechs Uhr Wecken.
Dann auslaufen zum Torpedo-Übungsschießen.
Ich versuche, mich auf dem großen Boot zurechtzufinden. Gegen die U–121 ist es wirklich riesig und es dauert eine Zeit, bis ich weiß, wo Bug- und Heckraum angesiedelt sind. Ich muss sofort Funkwache gehen, um mich einzugewöhnen. Sechs Stunden am Gerät, sechs Stunden Freiwache, das ist der Rhythmus. Eine Koje wird mir nicht zugewiesen - es sind für die vier Funker nur zwei vorhanden. Der Bootsmann weist mir eine Hängematte zu, nur die kann eigentlich nie aufgespannt werden. Noch laufen wir zum Glück abends gegen 20 Uhr ein und ich habe meine Vierbrettkoje, in der ich einigermaßen gut schlafe.
Nach drei Tagen jedoch heißt es: „Auslaufen zur taktischen Übung!“ Bei einer taktischen Übung wird jedes Boot, bevor es an die Front kommt, nochmal auf Herz und Nieren geprüft. Ich schreibe „jedes Boot“ und meine doch vor allem die Besatzung und an erster Stelle die Funker. So manches Boot musste wegen Unfähigkeit der Funkerei alles wiederholen. Wer will das schon? Damit U– 532 das nicht passieren würde, war ich für drei Wochen an Bord kommandiert worden. Die Funker wussten das und nutzten es gründlich aus. Was auch kam, ob es sich um „Funkschlüsselgespräche“ handelte oder um „abgerissene Funkverbindung“, alles wurde auf mich abgeschoben. Ich saß von morgens sechs Uhr bis nachts um vier ununterbrochen auf Funkwache. Da ich in den verbleibenden zwei Stunden keine Koje hatte, lag ich frierend in irgendeiner Ecke auf den Flurplatten, bis ich wieder auf Wache zog. Konnte ein Mensch das lange aushalten? Nein, ich jedenfalls nicht. Am Ende der taktischen Übung war ich krank. Nieren und Blase versagten den Dienst. Ich war am Ende. Man hatte mich nicht als Menschen gebraucht, sondern nur als Funker.
Ich stieg aus und wurde mit einem Sanitätswagen zum Schiffslazarett Deutschland gebracht, einem ehemaligen Hapag-Passagierdampfer, der auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Hier lag ich 14 Tage lang im Krankenbett und schlief mich erst einmal richtig aus. Dazu gab es Bärentraubenblättertee literweise. Das sollte helfen, wie mir ein Marinearzt im weißen Kittel mitteilte – und es half trotz all meiner Skepsis. Nach acht Tagen bekam ich Besuch von Korvettenkapitän Junker, dem Kommandanten von U–532.
Man hatte mich also doch nicht vergessen. Er fragte mich, ob ich bei ihm an Bord bleiben wolle, er brauche für die Feindfahrten einen guten Funker und dass ich gut sei, hätten er und seine Offiziere registriert.
Korvettenkapitän Ottoheinrich Junker
Das erste Mal seit ich bei der Marine bin, fragt mich ein Offizier, ob ich mit ihm Krieg machen wolle. Kann ich da „Nein“ sagen?
Nach meiner Genesung darf ich mir auf der Brücke der Deutschland den Marschbefehl abholen. Als ich da noch warte, sehe ich aus dem Brückenfenster einen schwarzen Schornstein mit einem großen „G“ vorbei gleiten. Ich gucke fasziniert hinterher; ein Fischdampfer aus meiner Heimatstadt Wesermünde und dazu noch von der Reederei Grundmann & Gröschel, bei der ich bis vor einem Jahr noch als Maschinenschlosser gearbeitet habe.
Ich vergaß meinen Marschbefehl. Die nächste Straßenbahn brachte mich hinaus nach Danzig-Neufahrwasser zur alten Heinrich Fröhlke, auf der ich vor noch nicht allzu langer Zeit eine Reise als Heizer mitgemacht hatte. Das war ein „Hallo“, als ich nun in Marineuniform auftauchte! Es gab eine kleine Wiedersehensfeier, die zu einem leichten Besäufnis ausartete. Mit einem großen Paket Räucherfisch und sonstiger Meeresdelikatessen begab ich mich, leicht schwankend, zur Straßenbahn Richtung Bahnhof.
Plötzlich Fliegeralarm. Die „Elektrische“ hält und alle rennen in den nächsten Bunker. Jetzt war mein Zug wohl weg. Es war gegen 22.00 Uhr, als ich auf dem Danziger Hauptbahnhof eintraf und nichts ging mehr Richtung Westen.
Das würde bestimmt strengen Arrest geben - wenn nicht Schlimmeres -, sollte ich mit einem Tag Verspätung in Hamburg, wo U–532 zu Restarbeiten in der Deutschen Werft lag, eintreffen. Ich machte mir ernstlich Sorgen und ging zur Bahnhofskommandantur. Ich zeigte den dicken Umschlag mit meinen Marschpapieren vor, der viele Stempel aufwies, entschuldigte meine Verspätung mit Fliegeralarm und fragte, ob noch ein Dienstzug nach Berlin fahren würde. Der wachhabende Offizier sah mich komisch an, er roch wohl meine Fahne, dachte aber wahrscheinlich, dass das bei der Marine so üblich sei, und versorgte meinen Fahrausweis mit einem Genehmigungsstempel für einen nächtens fahrenden Kurierzug. Ich war erst einmal gerettet. Ohne mein Wissen hatte ich von der Tatsache Gebrauch gemacht, dass U-Bootfahrer sich im Deutschen Reich mehr erlauben konnten als andere Waffengattungen. Sie waren hoch angesehen und das wurde weidlich ausgenutzt.
Der sogenannte Kurierzug war nur kurz und ich teilte mein Abteil mit Heeressoldaten von der Ostfront. Abgemagert und hohläugig waren sie, teilweise hoch dekoriert, doch im Gespräch seltsam still und zurückhaltend. Habe mit ihnen das Paket Räucherfisch geteilt und dafür in dankbare Augen gesehen.
Gegen Morgen kam ein Gespräch auf. Nichts von Angriffen, wie sie die Wochenschau meldete, sondern Rückzüge waren das Gesprächsthema und die russische Kälte ertragen ohne richtig warme Sachen. Man zeigte mir den „Gefrierfleischorden“, eine Medaille für Bewährung im Kampf unter den lebensfeindlichen Bedingungen des russischen Winters 41/42, und erfrorene Füße. Was waren dagegen meine zwei Wochen Kälte auf dem Boot gewesen? Ich wagte nichts davon zu sagen.
Ankunft Berlin.
Eine Stunde später sollte mein Zug nach Hamburg den Bahnhof verlassen. Da fiel mir ein, dass ich eine Tante in Berlin-Falkensee hatte, die ich sehr gerne mochte und lange nicht gesehen hatte. Konnte ich das in einer Stunde schaffen?
Mit dem Doppeldeckerbus ging es nach Spandau und von dort weiter nach Falkensee. Meine Tante und mein Onkel wohnten in einem abgestellten Busanhänger auf einem Platz, der ihnen gehörte. Ihr Mann war Lastwagenunternehmer und hatte am Bau des Flugplatzes Berlin-Tempelhof mitgearbeitet. Jetzt war er eingezogen und sie lagen in Scheidung.
Das Wiedersehen war eine große Freude und schnell war die Abfahrtszeit meines Zuges vergessen. Ich war jung und meine Tante nicht alt und sehr hübsch. So ergab es sich, dass wir uns ineinander verliebten. Abends gingen wir ins Kino und auf dem Heimweg konnten wir das Bett kaum erwarten. Ich blieb trotz aller Bedenken drei Tage, bis mich das schlechte Gewissen meinen Kameraden gegenüber zum Bahnhof trieb. Jetzt kam die Angst, denn drei Tage über den Zapfen hauen, das war schon Fahnenflucht. Mit den größten Befürchtungen und sehr flauem Magen kam ich auf dem in der Werft liegenden Boot an und meldete mich beim Kommandanten. Der hieß mich herzlich willkommen und es gab kein Wort über meine Verspätung. Schon wieder merkte ich: für U-Bootfahrer lief eben alles ein wenig anders.
Die nächsten Tage vergingen wie im Fluge. Ich war vollauf damit beschäftigt, mich auf dem Boot einzuleben. Alles wurde noch einmal gründlich von den Werftarbeitern überholt und wir waren immer dabei. So lernte die Besatzung das Boot kennen und alles auch zu reparieren.
Der Funkraum war so ziemlich der einzige ruhige Platz an Bord. Die beiden anderen Funkgasten waren anders als ich: Während ich freiwillig und gern auf diesem Boot war, hatte man sie eingezogen und sie hatten sich nie zur U-Bootwaffe gemeldet. Warum war ich eigentlich so versessen darauf gewesen, zur Marine und an die Front zu gelangen?
Schon als junger Knabe hatten mich Uniformen fasziniert. Ein zackiges Auftreten machte mir Spaß. Meine Eltern und Verwandten waren eher konservativ, nur der jüngste Bruder meiner Mutter war schon früh in der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei und für uns Cousins ein Idol gewesen. Bei Familienfestlichkeiten, die immer im großen Rahmen stattfanden (meine Mutter hatte neun Geschwister), war immer ordentlich was los; Onkel Oskar, der Nazi, wie sie ihn innerhalb der Familie nannten, schlug sich dann stets zu uns Jungen.
Mein verstorbener Großvater war Lehrer gewesen und die Familie sehr sangesfreudig. Es wurde auch das ein oder andere Instrument beherrscht. Onkel Oskar spielte Harmonium. Er konnte sämtliche Märsche spielen und singen. Wir umlagerten ihn und bald konnten wir die Märsche und, wie er sagte, die Kampflieder mitsingen. Andere Jungs spielten Cowboy auf der Straße, ich spielte Soldat.
Mit neun Jahren quälte ich meine Eltern so lange, bis ich in die Scharnhorst Jugend, die zum Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten gehörte, eintreten durfte. Es wurde marschiert und gesungen. Das Einzige, was mir nicht gefiel: Unsere Führer waren alles Erwachsene, welche überwiegend den 1. Weltkrieg erlebt hatten. Von denen trennten uns Jungen Welten, auch wenn ich mir in der grauen Uniform selbst schon bald wie ein erfahrener Soldat vorkam. Dann hörte ich, dass es in unserer Straße eine Gruppe Hitlerjungen gab. Die hatten Führer in ihrem Alter und sangen all die Lieder, die ich von meinem Onkel gelernt hatte. Ich ging zu einem dieser Treffen und war begeistert. Da war etwas, was mir großen Spaß machte, und schon nach wenigen Wochen war ich Hordenführer. Das war eine schöne Zeit und ich habe mir nie Gedanken über das Weshalb und Warum gemacht. Die Ordnung, die mir hier vorgegeben wurde, war für mich alles.
Meine Eltern hatten einen Gemüseladen und als die Werften in meiner Heimatstadt schließen mussten, konnte sich keiner mehr viel zu Essen leisten. Die Händler sollten anschreiben und mussten über Kurz oder Lang Konkurs anmelden. So erging es auch meinen Eltern.
Aber nun wurde alles besser. Für die arbeitslosen jungen Leute wurde der Arbeitsdienst geschaffen und später die Wehrmacht. Deutschland, so sagte man uns, mache sich vom Ausland unabhängig, um nicht von den Juden und Kapitalisten unterjocht zu werden. Die einfachen Leute, wie auch meine Eltern und Verwandten, hatten keinen Grund, nicht daran zu glauben.
Dann kam der Tag, an dem mir meine Mutter, die uns christlich erzogen hatte, sagte: „Gehe mal nach Geestemünde zur Schulstraße, da haben Randalierer ein jüdisches Gotteshaus, eine Synagoge, angezündet und in der Bürger haben sie in verschiedenen Geschäften die Fenster eingeschlagen.“
Ich zog meinen Mantel an und ging durch die Stadt. Ich konnte nicht glauben, wie man so etwas tun konnte. Wer zündete eine Kirche an? In unserem ordentlichen Land war doch so etwas gar nicht möglich.
Einige Tage später hatten wir eine Familienfestlichkeit, die in der Gaststätte eines Familienmitglieds gefeiert wurde. Es war eine Stille an der großen Tafel, wie ich sie nicht kannte. Dann wurde leise diskutiert und ich hörte, wie der älteste Bruder meiner Mutter, der bei der Kriminalpolizei war, sagte: „Das waren die SA-Leute. Die Feuerwehr durfte den Brand nicht löschen und die Kripo nicht eingreifen.“
Mein jüngster Onkel, SA-Mitglied, war auch dabei. Jetzt begann der große Streit. Der SA-Mann wehrte sich und behauptete, dass die Juden an Deutschlands Unglück Schuld seien und sie deswegen einen Denkzettel verdient hätten. Wenn er, der Kripo-Mann, weiter so etwas herumerzählte, dann wäre es vorbei mit Beamter und so. Ein Wort gab das andere und schließlich ging mein geliebter Onkel mit einem schweren Aschenbecher auf seinen Bruder los. Wenn die anderen Geschwister ihn nicht festgehalten hätten, hätte es wohl einen Totschlag, zumindest aber eine ordentliche Prügelei gegeben.
Da fing ich an, mich für den Nationalsozialismus genauer zu interessieren, konnte mich aber von der Faszination des Ganzen dennoch nicht frei machen. Ich stieg in der Hierarchie auf und wurde Jungenschaftsführer, Jungzugführer und dann, nach meinem 16. Geburtstag, Gefolgschaftsführer.
Ich weiß noch heute, wie stolz ich auf meine grün-weiße Führerschnur war.
Inzwischen war der Krieg ausgebrochen und wer nach dem Sinn desselben fragte, bekam von mir die Antwort: „Das Ausland will Deutschland kaputt machen und wir können uns von Polen doch nicht alles gefallen lassen!“
Wieso konnten sie uns denn nicht unbehelligt durch den sogenannten polnischen Korridor nach Danzig lassen, fragte ich. Der Schandvertrag von Versailles musste annulliert werden, befand ich.
Ja, so dachte ich und sah den Krieg als etwas Notwendiges an, um Deutschland frei zu machen.
Ich lernte Maschinenschlosser und arbeitete auf Wesermünder Fischdampfern. Kriegswichtige Teile für U-Boote wurden von mir hergestellt. Für mich war es keine Frage: Wenn ich ausgelernt hatte, wollte ich zur Marine, auf irgendeinem Pott in der Maschine arbeiten und helfen, den Krieg zu gewinnen.
Auch mein Vater und mein älterer Bruder waren bereits Soldaten und es konnte mir nicht schnell genug gehen, ihnen auf diesem Pfad zu folgen. Alle eventuellen Zweifel an der Richtigkeit der nationalsozialistischen Ideen wischte ich beiseite. Da meine Schwester und ich allerdings die Letzten zu Hause waren, um meiner Mutter, die durch einen Verkehrsunfall schwerbeschädigt war, in Haus und Garten zu helfen, kam eine Freiwilligmeldung nicht in Frage. Ich konnte nur hoffen, dass ich bald eingezogen würde.
So verging die Zeit. Die Siegesmeldungen von den Fronten kamen regelmäßig im Rundfunk und in den Wochenschauen im Kino.
Die ersten Bombenangriffe auf Bremerhaven richteten nur geringe Schäden an. Ich tat meine Pflicht in der Hitlerjugend und half beim Aufräumen, wenn wieder mal eine Bombe ein Haus getroffen hatte.
Eines Tages bekamen alle HJ-Führer den Befehl, sich zu einer bestimmten Zeit im HJ-Heim an der Uferstraße einzufinden. Bei meiner Ankunft waren schon etwa 50-60 Führer anwesend. Ich meldete mich mit „Deutschem Gruß“ beim anwesenden Bannführer zur Stelle. Ein großer, in Feldgrau gekleideter Offizier hielt eine Rede. Er war mit dem Ritterkreuz2 dekoriert und bewundernd sahen wir zu ihm auf. Zwei einfache Soldaten standen ihm zur Seite. Er berichtete uns von seinen Kriegserfahrungen und sagte, dass es wohl selbstverständlich sein müsse, sich freiwillig zu melden.
„Kameraden“, sagte er, „ihr seid die Treuesten, die der Führer hat . Er ruft euch jetzt! Da solltet ihr nicht zögern und euch freiwillig zur Panzergruppe melden. Wenn ihr sofort unterschreibt, garantiere ich euch, dass ihr binnen zwei Wochen zur Panzertruppe eingezogen werdet.“
Er hatte uns so begeistert, dass ein großer Teil der Anwesenden sofort unterschrieb. Auch ich überlegte nicht lange, sondern verpflichtete mich sofort. Ich bekam einen amtlichen Schein, auf dem stand, dass ich mich zur Panzerwaffe gemeldet hatte und dass ich in allernächster Zeit meinen Einberufungsbefehl in Händen halten würde.
Als ich mit dem Fahrrad auf dem Nachhauseweg war, dachte ich über alles nach und bereute diesen Schritt von ganzem Herzen. Ich hatte meiner Mutter versprochen, mich nicht freiwillig zu melden, und wollte doch auch unbedingt zur Marine, denn mein Berufswunsch für später war, als Schiffsingenieur zur See zu fahren und viele fremde Länder zu sehen.
Mit meiner Unterschrift hatte ich all das kaputt gemacht.
Da ich erst 17 Jahre alt war, hätten meine Eltern eigentlich ihre Zustimmung geben müssen, doch ich wusste nur zu gut, was mit Familien geschah, die ihre Zustimmung nicht gaben.
So grübelte ich einige Tage und Nächte, war todunglücklich und fühlte mich, als hätte ich mir mein ganzes Leben versaut. Meiner Mutter erzählte ich nichts davon.
In einer schlaflosen Nacht kam mir dann die Eingebung, mich an die Kriegsmarine zu wenden und mich dort freiwillig zu melden; vielleicht kämen die ja zuerst mit ihrer Einberufung.
Ich begab mich zum Kreiswehrersatzamt am Eingang des Bürgerparks und meldete mich beim zuständigen Unteroffizier. Der Mann war so vertrauenerweckend, dass ich ihm alles erzählte. Er hörte mich in aller Ruhe an und sagte dann, wenn ich bei ihm sofort meine Verpflichtung unterschrieb, würde er dafür sorgen, dass die Marine zuerst zum Zuge käme.
Ich unterschrieb und bekam sofort einen Termin zu einer Untersuchung meiner Tauglichkeit und einer Aufnahmeprüfung.
Mit schwerem Herzen, weil ich das nun meiner Mutter beichten musste, und leichtem Herzen, weil ich nun die Chance hatte, zur Kriegsmarine zu kommen, strampelte ich heimwärts.
Meine Mutter weinte ein Stückchen, doch dann sagte sie: „Ist recht mein Junge, Vati und Günter tun schon ihre Pflicht, da kann ich dich wohl nicht halten.“
Ein paar Tage später absolvierte ich meine Untersuchung und Prüfung. Da beides außergewöhnlich gut ausfiel, sollte ich die Funkerlaufbahn einschlagen. „Ich will aber in die Maschine“, war meine Antwort. „Kommt nicht in Frage“, bekam ich als Gegenantwort.
Jetzt merkte ich, dass meine Wünsche nichts mehr wert waren. Die Kriegsmarine bestimmte, wo es lang gehen sollte.
Ja, so hatte alles angefangen. Auf den nach der Grundausbildung folgenden Schulen schnitt ich als Bester ab und die Besten wurden immer auf ein U-Boot kommandiert.
So war ich hier gelandet, auf U–532 in der Hamburger Werft.
Tagsüber wurde an Bord gearbeitet und abends ging es an Land. Wir wohnten auf einem Wohnschiff, dem alten holländischen Passagierdampfer Veendam, auf dem es nur so von Ratten und Kakerlaken wimmelte.
Wenn ich an die Zeit zurückdenke, fällt mir die Fähre VII ein, die von St. Pauli nach Tollerort fuhr, wo die Veendam lag, und die uns oftmals weg fuhr, sodass wir zu spät an Bord kamen. Die Strafen waren erträglich. Meistens wurde die Ration Verpflegungsschnaps, der aus gutem Slibowitz bestand, gestrichen.
Ich denke an die Reeperbahn, St. Pauli unter dem Bismarck-Denkmal, wo abends die Parkanlagen so voller Mariner waren, die mit ihren Herzdamen schmusten, dass man kaum durchkommen konnte.
So langsam lernte ich, dass man als U-Bootfahrer bei der weiblichen Bevölkerung besondere Chancen hatte und das wurde natürlich ausgenutzt, solange wir noch die Möglichkeit auf Damenbekanntschaften hatten. Wenn auch die Wochenschauen nur U-Bootserfolge meldeten, so konnten wir uns doch zumindest ansatzweise vorstellen, dass unsere Fahrt recht einsam und gefährlich werden würde.
Wir wollten während der Restarbeiten noch alles erleben, was möglich war, um später davon zehren zu können. Ich erinnere mich an Besuche in der berüchtigten Herbertstraße bei Mädchen, die keine Fragen stellten und einen zugleich alles vergessen ließen.
Dann war die Werftliegezeit beendet. Wir liefen aus nach Kiel zur Ausrüstung. Bei der Verpflegungsübernahme ist mir nicht klar, wo das alles verstaut werden soll. Die Kaje3 vor dem Boot steht voll mit Kisten und Kästen, Demijohns4 und Dauerwürsten. Doch es dauerte nur einige wenige Stunden und alles war verstaut. Dafür war ein Durchkommen zum Bugraum erst einmal illusorisch.
Ich versuchte es trotzdem und landete prompt mit dem rechten Fuß in einem Barkassdeckel mit einer undefinierbaren Masse.
Steuerbord vorne rechts oben ist meine Koje, d.h. sie gehört mir mit dem anderen Funkgefreiten zusammen. Die Koje und mein dahinter liegendes Spind sind nicht zu erreichen. Davor hängt in ganzer Bugraumlänge ein Torpedo.
Zwei Mann sind dabei, ihn zu fetten. Bei der taktischen Übung mussten alle Rohre geflutet werden. Jetzt muss man die Torpedos gut pflegen, damit sie im Ernstfall auch richtig laufen.
1 Funker an Bord eines U-Boots
2 Ein Kriegsorden, Abstufung des sogenannten Eisernen Kreuzes. Träger des Ritterkreuzes wurden durch NS-Propaganda als Helden stilisiert und waren so populär, dass sie oft sogar Autogrammkarten besaßen.
3 Der Kai wird ausschließlich in einer Handvoll norddeutscher Häfen als „Kaje“ bezeichnet
4 Gläserner runder Behälter aus der Getränkewirtschaft
Nordatlantik
Nun ist es endlich so weit. Heute, am 25.03.1943, laufen wir aus Richtung Norwegen. Das Minensuchboot 1902 ist unser Geleit. Es bringt uns unversehrt durch die Minensperren; von Kiel aus durch den Großen Belt und durch das Kattegat. Im Boot kommt man jetzt zur Ruhe. Alle Klamotten sind verstaut. Ich frage mich, wie der Smutje das alles wiederfinden kann.
Die Geleitfahrzeuge wechseln mehrere Male. Wenn ich nach meiner Wache auf die Brücke komme, ist die Silhouette immer eine andere. Auf meine Frage gibt mir der Wachoffizier die Nummern als Vp. (Vorposten) 1611 und Vp. 1707 an.
Plötzlich Alarm. Die Sirene heult durchs Boot und lässt mein Blut in den Adern erfrieren. Das Boot sackt vorne weg und geht steil nach unten. Leise kommen die Kommandos vom leitenden Ingenieur, dann erklingt die Stimme des Alten über die Lautsprecheranlage: „Prüfungstauchen. Das muss aber noch geübt werden. Im Ernstfall hätten wir jetzt eine Fliegerbombe gehabt. Auf 30 Meter einsteuern.“ Dann, nach kurzer Frist: „Klarmachen zum Auftauchen, Auftauchen!“
Wir stehen vor dem Fjord Einfahrt Kristiansand. Ein Hafenschutzboot empfängt uns. Morsezeichen mit der Klappbuchse blinken über das dunkle Wasser. Der Fjord ist von Bergen umsäumt, die sich scharf gegen den Nachthimmel abheben. Starke Strömung macht dem Boot zu schaffen, doch endlich ist es ohne Schaden an der Kaje fest. Treibölübernahme.
Die drangvolle Enge im Boot bedrückt mich. Im Bugraum, wo die meisten Besatzungsmitglieder schlafen, hat man auf den Flurplatten noch einen zusätzlichen Torpedo verstaut. So ist der Durchgang noch schmaler geworden. Der „Aal“ ist mit einer tischähnlichen Planke abgedeckt, von der wir essen können. Gesessen wird dabei auf Proviantkisten; das ist zwar nicht bequem, aber zweckmäßig.
An Schlaf ist nicht zu denken. Jeder geht seiner Arbeit nach und ist mit seinen Gedanken bereits in der Zukunft, von der wir nicht wissen, was sie uns bringt. Bekannt ist nur, dass wir ums sechs Uhr wieder seeklar sein müssen.
Es ist der 27.03.1943, als die Kommandos von der Brücke erschallen: „Alle Leinen los, bis auf Einlaufstander!“ Dann: „Alle Leinen los, beide Diesel.“ Rumpelnd springen die „Jockels“ an und lassen das ganze Boot vibrieren. Langsam nimmt es Fahrt auf Richtung Fjordausgang, in Gesellschaft von Geleitboot UJ 1207, welches zu unserem Schutz aufgeboten ist. Noch einmal ein paar Morsezeichen, dann fahren wir allein Richtung Island Passage – Nordatlantik – Feindfahrt.
Wir laufen am Tage unter - bei Nacht über Wasser. Die Nervosität, die wohl jeden bei Beginn seiner ersten Feindfahrt befällt, ist im Boot spürbar, denn die Hälfte der Besatzung besteht aus Neulingen. Jeder versucht sich den Kameraden gegenüber abzuschotten, um sich die Angst nicht anmerken zu lassen. Ungewohnte Geräusche im Boot lassen die Augen erschrocken aufblitzen.
01.04.1943: Wir fahren ohne besondere Vorkommnisse durch die Island-Passage und durch den „Rosengarten“5. Unsere Funkverbindung ist sehr schlecht. Die über den ganzen Horizont blitzenden Nordlichter stören mit ihren elektrischen Wellen den Empfang der von unserer Leitstelle abgesetzten Funksprüche. Im Boot ist es kalt und feucht. Ich bin froh, wenn ich in unserem kleinen Funkschapp6 auf Wache sitzen kann. Das Horchen auf ankommende Funksprüche lässt keine unangenehmen Gedanken zu.
U-532 auf Kriegsfahrt im Nordatlantik
05.04.1943: Der heutige Tag bringt uns die ersten Wasserbomben. Sie liegen aber weit weg und haben uns nicht gegolten. Der Funkverkehr hat stark zugenommen und man kommt während der Wache nicht zur Ruhe. Noch höre ich angestrengt auf jeden Ton, aber nach und nach fällt mir das Lesen der Buchstabengruppen leichter und bald bin ich so weit, dass ich bei der Wiederholung der Sprüche diese sofort in den „Schlüssel M“ tippen kann. So habe ich die Möglichkeit den Spruch, wenn er noch „warm“ ist, dem Kommandanten vorzulegen.
Am 07.03.1943 empfange ich einen Funkspruch, der direkt an uns und auch noch an mehrere andere Boote gerichtet ist. Ein „Rudel“ wird zusammengestellt und wir gehören dazu.
Es ist unser erster Geleitzug. Wir karren und karren, doch er kommt nicht in Sicht. Erst gegen Abend tauchen endlich Rauchwolken und Mastspitzen am Horizont auf.
„Auf Gefechtstation!“
Schwerer Seegang kommt auf. Wir versuchen, uns vorzusetzen, um in günstigere Schussposition zu kommen.
„Maschinen äußerste Kraft voraus!“ Dann: „Boot schneidet unter, wasserdichte Back schließen.“
Nach vier Stunden Fahrt Sichtverschlechterung, Geleit verloren.
Zwei Tage haben wir gesucht, bei Tag und bei Nacht.
Im Boot geht bei dem andauernden Seegang einiges zu Bruch und die Seekrankheit macht manchem Neuling das Leben zur Hölle. Ich bleibe Gott sei
Dank davon verschont. Meine Fahrzeit auf dem kleinen U-121 in der Ostsee hat mich anscheinend seefest gemacht.
Das Essen ist eine Zumutung. Der Smutje hat nur einen 8-tägigen Crash-Kursus gemacht, dann wurde er auf uns losgelassen. Er litt wohl am meisten von allen unter der Seekrankheit, hatte aber das Essen für 52 Mann zuzubereiten. Ich möchte nicht wissen, was wir an manchen Tagen mittags zu uns genommen haben.
Einmal wurde der Mann beobachtet, wie ihm das fertige Gulasch vom Herd rutschte und auf den Flurplatten der Kombüse, vermischt mit Seewasser und Dieselöl, hin und her schwappte. Der „Koch“ hob es mit beiden Händen auf und warf es zurück in den großen Kessel.
Weil unser Smutje außerdem fürchterlich stank, wurde er vom Kommandanten zum Duschen in den Diesel geschickt. Dort war zu bestimmten Zeiten hinter einer Segeltuchplane eine behelfsmäßige Dusche aufgestellt. Hinterher musste er sich wieder dem Kommandanten zeigen.
„Drehen Sie sich Mal um“, befahl der Kommandant. „Was sind denn das für Schmutzränder an Ihren Waden?“
Die trockene Antwort: „Die sind schon ewig da, die gehen nicht mehr weg“. Sofort ging es zurück unter die Dusche und der Funkmaat, der gleichzeitig als Verpflegungsunteroffizier fungierte, musste diesmal mit der Wurzelbürste nachhelfen.
Am achten März gegen halb zwei mittags gibt es einen Angriff von einem viermotorigen Flugzeug. Urplötzlich kommt es aus den tief hängenden Wolken.
„Alaaarm! Tauchen!“ Während des vorlastigen Wegsackens ein scharfer Knall – keine Schäden, aber der Schreck steckt uns für die nächste Zeit in den Gliedern.
Ab jetzt: Flugzeug – Alarm – immer wieder. Wir kommen kaum vorwärts. Sobald wir aufgetaucht sind, drückt uns so eine Biene unter Wasser. Noch bei stockdunkler Nacht werden wir angegriffen. Sollten da neue Ortungsgeräte im Spiel sein? Ich kriege einen Funkspruch rein: Vorpostenstreifen fahren. Auf- und abtauchen bei schlechter Sicht und starkem Seegang. Wer sieht den Geleitzug zuerst? Die Brückenwache stiert in die Dunkelheit. Immer wieder kommen Brecher und überlaufen das Boot.
Ich bin von Wache gekommen und verkrieche mich in meine Koje, die noch warm ist vom Vorgänger. Bei der Kälte ein vorgewärmtes Bett, wo hat man das schon?