Über die unverzügliche Rettung der Welt - Helga Königsdorf - E-Book

Über die unverzügliche Rettung der Welt E-Book

Helga Königsdorf

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Beschreibung

Mir der analytischen Sachlichkeit der Naturwissenschaftlerin registriert Helga Königsdorf den Zustand der Welt, und mit dem Engagement der Schriftstellerin meldet sie ihr Veto an: beschwörend, leidenschaftlich und so sarkastisch, wie man es nur sein kann, wenn es einem bitterernst ist. Sie klagt die Bedenkenlosigkeit an, mit der heute die Lebensqualität künftiger Generationen zerstört wird. Wo sind die Utopien geblieben, die großen Entwürfe einer besseren Welt? Ist an ihre Stelle die gefährliche Hoffnung getreten, dass schon alles irgendwie weitergeht? Helga Königsdorf wagt eine neue Vision, als einfache und logische Alternative: Die Welt zu retten muss zur gemeinsamen Aufgabe werden. Wenn sie von diesem Ansatz her die aktuellen Probleme bündelt, die geltenden Strukturen in Frage stellt, über Konfliktlösungen nachdenkt, akzeptiert sie keine Tabus, schon gar nicht die von Politik und Wirtschaft gesetzten. Und was ist mit den Deutschen los? Ein Thema, dem sich Helga Königsdorf mit gleicher Obsession annimmt und das sie im Kontext der globalen Probleme über die nationalen Belange hinausführt.

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Seitenzahl: 99

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Informationen zum Buch

Mit der analytischen Sachlichkeit der Naturwissenschaftlerin registriert Helga Königsdorf den Zustand der Welt, und mit dem Engagement der Schriftstellerin meldet sie ihr Veto an: beschwörend, leidenschaftlich und so sarkastisch, wie man es nur sein kann, wenn es einem bitterernst ist.

Sie klagt die Bedenkenlosigkeit an, mit der heute die Lebensqualität künftiger Generationen zerstört wird. Wo sind die Utopien geblieben, die großen Entwürfe einer besseren Welt? Ist an ihre Stelle die gefährliche Hoffnung getreten, dass schon alles irgendwie weitergeht? Helga Königsdorf wagt eine neue Vision, als einfache und logische Alternative: Die Welt zu retten muss zur gemeinsamen Aufgabe werden. Wenn sie von diesem Ansatz her die aktuellen Probleme bündelt, die geltenden Strukturen in Frage stellt, über Konfliktlösungen nachdenkt, akzeptiert sie keine Tabus, schon gar nicht die von Politik und Wirtschaft gesetzten. Und was ist mit den Deutschen los? Ein Thema, dem sich Helga Königsdorf mit gleicher Obsession annimmt und das sie im Kontext der globalen Probleme über die nationalen Belange hinausführt.

Helga Königsdorf

Über die unverzügliche Rettung der Welt

Essays

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

In der Zeit …

Lieben Sie Schmetterlinge?

Ikarus läßt fliegen

Ostern bleibe ich in Berlin

Laßt uns eine Pyramide bauen

Die Explosion des Wissens

Der Mut zu stolzen Tönen

Meine Freunde und ich

Überleben wäre eine prima Alternative

Ganz normal deutsch

Ein Ausflug am Wochenende

Der Rechtsstaat wird’s schon richten

Es müssen nicht immer Lackbilder sein

Ein äußerst klärender Vorgang

Seele auf dem Operationstisch

Die unverzügliche Rettung der Welt

Textnachweis

Über Helga Königsdorf

Impressum

Wem dieses Buch gefallen hat, der liest auch gerne …

In der Zeit, in der diese Texte geschrieben wurden,

sind die Armen in der Welt ärmer

und die Reichen reicher geworden.

Starben unzählige Menschen an den Folgen des Hungers,

sind viele Arten der Tier- und Pflanzenwelt ausgestorben.

Sind die Meere giftiger,

ist der Boden unfruchtbarer,

ist das Ozonloch größer geworden.

In dieser Zeit sagten die Leute:

Es geht schon irgendwie weiter.

Es hat sowieso keinen Zweck.

Das ist das Ende der Geschichte.

Wir brauchen einen starken Mann.

In dieser Zeit nahm die Zahl der Menschen zu,

die allein sind,

die nicht gebraucht werden,

die ihre Interessen nicht ins Spiel bringen können.

In dieser Zeit verlor

der Sozialismus das Beiwort »real«,

die Marktwirtschaft das Beiwort »sozial«,

die Kultur das Beiwort »kritisch«.

In dieser Zeit

tanzte die Politik ums Kapital,

wuchs das Verbrechen zum Syndikat,

wurde die Wirklichkeit verkabelt.

In dieser Zeit wurde Kunst eine Geldanlage

und Geld ein Kunstwerk.

In dieser Zeit

lief der Weltuntergang auf Hochtouren.

Und alle sahen zu.

Allerdings ist zu bedenken, daß gerade die prächtigsten Sorten ausgestorben sind. (…)

Eventuell ist die Lage reif, daß man sich einige Gedanken macht. Beispielsweise könnte man das künstlerische Volksschaffen fördern. Man könnte Pinsel und Farben austeilen und die weißen Falter bunt anmalen.

Lieben Sie Schmetterlinge?

Stellen Sie sich eine blühende Wiese vor. Eine Wiese, an einem sonnigen Junitag in Ihrer Kindheit. Bunte Schmetterlinge gaukeln vorüber. Fuchs, Pfauenauge, Admiral. Und die kleinen, deren Namen sie nicht kennen. Der Countdown für die Schmetterlinge läuft!

Haben Sie Kinder oder sogar schon Enkelkinder? Erzählen Sie denen Märchen? Denken Sie auch manchmal daran, daß die Erbschaft, die wir hinterlassen, vorwiegend aus Disneyland und Giftmüll bestehen wird?

Glauben Sie auch, daß die meisten Asylsuchenden nur auf Grund wirtschaftlicher Erwägungen in unser Land kommen? Haben Sie schon einmal nachgedacht, was dieses »nur« bedeutet? Bedeuten kann!

Glauben Sie an das Recht des Tüchtigen? Die Länder, die bei der Entwicklung der technischen Neuheiten ganz vorn sind, können die Anfangspreise diktieren. Nur wer da mithält, kann die teuren Entwicklungskosten einspielen. Die anderen verkaufen ihre Ressourcen und ihre Arbeitskraft als Billigware. Ich bin auch für die Honorierung von Leistung. Was aber, wenn die anderen verhungern?

Armut, Hunger, zerstörte Umwelt gehören zusammen. Wer wollte es den Verhungernden verdenken, wenn sie sich bedienen, solange die Reichen Raubbau demonstrieren. Fast alle geschlossenen Kreisläufe der Natur sind zerstört. Nicht etwa eine blindwütige Biomasse aus Horrorfilmen richtet die Welt zugrunde, sondern ausgerechnet dem ersten Lebewesen, das mit einem zur Planung fähigen Verstand ausgestattet ist, bleibt es vorbehalten, der Super-GAU der Evolution zu werden. Tüchtigkeit ohne Verantwortlichkeit wird schnell fragwürdig.

Können Sie sich vorstellen, Sie müßten Ihr Kind zur Adoption in einem anderen Land freigeben, damit es überhaupt eine Chance zum Überleben hat? In Brasilien sterben im Mittel täglich tausend Kinder an Unterernährung. Mehr als sieben Millionen Kinder leben auf der Straße. Können Sie auf Anhieb sagen, wie viele Menschen täglich an Hunger oder an giftigem Wasser dahinsiechen? Warum merke ich mir diese Zahlen nie?

1975 war ich Gast der indischen Regierung. In Kalkutta aß ich zum erstenmal Languste und Artischokken. Zum Zähneputzen benutzte ich vorsichtshalber Selterswasser. Einige Früchte, die ich auf dem Markt gekauft hatte, legte ich vor dem Schälen in Kaliumpermanganatlösung. Draußen auf der Straße lagerten Leute mit ausgemergelten Gesichtern. Sie deckten sich in der Nacht mit alten Lumpen oder auch mit zerfledderten Zeitungen zu. Jemand hatte die Wasserleitung angebohrt, und es gab ein Gedränge. Die Polizei kam wenig später und schloß das Loch wieder. Gegen Morgen fuhr ein Lastauto vorbei. Zwei Männer gingen nebenher und warfen die Körper der in der Nacht Verstorbenen auf die Ladefläche.

Als ich nach dem Frühstück das Hotel verließ, streckte mir eine Aussätzige ihre verstümmelten Hände entgegen. Die Art und Weise, wie sie mich bedrängte, hatte etwas Erpresserisches. Ich blaffte sie an, denn ich war gewarnt worden, daß man alle Bettler der Umgebung auf den Hals bekäme, ließ man nur das geringste Mitgefühl erkennen. Wie hätten Sie sich verhalten, an meiner Stelle in Kalkutta?

Wir haben uns übernommen. Also bescheidener werden? Schnell noch zurück zur Natur? Ja, wenn das so einfach ginge. Dadurch, daß wir uns plötzlich eines natürlichen Lebens besinnen, wird kein einziges der globalen Probleme gelöst. Und dann müßten wir uns vielleicht einmauern und neue Waffen konstruieren, um uns vor denen zu schützen, die an unserer neuen Natürlichkeit gern teilnehmen würden, weil sie woanders verhungern. Denn Hungerleider wollen wir doch nicht werden. Wir denken eher an etwas Harmonisches. An weniger Streß. Ländliche Idylle.

Das Erstaunlichste an der Kalkuttageschichte war und ist für mich, daß die auf der Straße nicht aufbegehrten. Andere verhungern vielleicht weniger geduldig. Handel und Tourismus haben die verschiedenen Kulturen nicht nähergebracht. Was fremd bleibt, läßt gleichgültig, oder es ängstigt. Wachsen die Sorgen, nimmt die Aggressivität zu.

Wir sitzen aber alle auf demselben Ast. Und wir sind dabei, uns diesen Ast abzusägen. Wir haben wenig Achtung vor dem Erbe der Evolution bewiesen. Jetzt kommen wir aus der angemaßten Rolle nicht mehr heraus. Wir können nicht einfach sagen: Verzeihung, so war das nicht gemeint! Wir haben uns zur Herrschaft über die Natur aufgeschwungen, jetzt müssen wir sie wahrnehmen, ob wir wollen oder nicht. Aber wir sollten endlich Verantwortlichkeit hinzugesellen.

Durch den Innovationsdruck werden in rasender Beschleunigung Technologien entwickelt, die weit über Ländergrenzen hinweg und weit in die Zukunft hinein Auswirkungen, oft irreversible Auswirkungen haben. Die natürlichen Ressourcen haben, solange sie, ökonomisch gesehen, ausreichend vorhanden sind, nicht einmal einen Preis. Wenn die für den Markt spürbare Verknappung eintritt, so daß ökonomisches Handeln dies berücksichtigen müßte, sind oft die Schäden für das künftige Leben schon nicht mehr reparierbar. Die Belohnung oder Bestrafung für marktwirtschaftliches Handeln erfolgt relativ kurzfristig. Die Dauerschädigungen erscheinen einfach als neue Bedingungen, auf die man sich einzustellen hat und denen man solange ausweicht, bis der Schaden total ist. Während die politische Zuständigkeit weitgehend an Ländergrenzen endet, ist die Ökonomie über den Weltmarkt miteinander vernetzt und international. Die internationalen politischen Strukturen sind dagegen fast ohne Verbindlichkeit.

Der Verzicht auf Kreativität und Effizienz ist tödlich. Alle Aufklärung nützt nichts. Alle Vorstellungen von einer aufgeklärten Elite, die, wenn sie nur das Ruder in der Hand hielte, das Schiff dank ihrer Einsicht schon auf den rechten Kurs bringen würde, haben der geschichtlichen Überprüfung nicht standgehalten. Wenn die Strukturen falsch sind, bewegt sich die Welt wie eine unbeherrschbare Maschine zum Abgrund. Und die Strukturen sind jetzt, da die Grenzen des Wachstums erreicht sind, falsch.

Die Logik der heutigen Marktwirtschaft wirkt so, daß diese allmählich ihre eigene Basis, den Markt, zerstört. Die Märkte werden immer zahlungsunfähiger. Der Konkurrenzkampf zwischen den Industriezentren wird allmählich absurd, weil sie um Märkte konkurrieren, die es eigentlich schon nicht mehr gibt. Die Ansätze, internationale Strukturen zu schaffen und Probleme gemeinsam zu lösen, funktionieren nur da, wo gemeinsame Interessen dahinterstehen. Und dabei überwiegen immer die kurzfristigen Interessen. Der Gipfel in Rio war eine »Stunde der Offenbarung«.

In die Klemme kommen über kurz oder lang alle. Der Druck auf die eigene Bevölkerung wird verstärkt. Die politischen Systeme werden restriktiver. Das Wort »sozial« ist aus der Mode gekommen. Und eines Tages wird Krieg die Fortsetzung von Ökonomie mit anderen Mitteln sein. Lokal. Die Kleinen gegen die Kleinen. Die Großen gegen die Kleinen. Würden die Großen die Waffen gegeneinander richten, könnte man gleich das Licht ausschalten. Aber Atombombenterrorismus ist wahrlich kein schöner Gedanke. Und deshalb sagt man schon jetzt prophylaktisch: Bevor du mir, lieber ich dir. Doch das alles löst kein einziges der globalen Probleme. Und wenn das Maß voll ist, wird es einen mächtigen Aufstand der Leidenden geben. So, oder doch so ähnlich, ist Geschichte immer verlaufen. Nur daß sie diesmal zu Ende geht. Denn die Sonne wird dann feindlich sein, die Brunnen werden giftig sein und die Wüsten und die Ozeane werden sich ausgebreitet haben. Das ist ein trostloses Szenarium. Es macht Angst, weil es so einleuchtend ist. Aber Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern die Angst zu überwinden und sich der Gefahr in den Weg zu stellen.

Wir leben auf Kosten der Zukunft. Wir sind alle Mittäter. Wenn man in fünfzig Jahren unsere Zeitschriften und Bücher liest, wird man sagen: Sie haben alles gewußt. Aber sie haben ihren Eigennutz als Optimismus getarnt. Sie haben gesagt, es sei nicht entschieden, daß es wirklich so schlimm käme, obwohl die Zeichen alle dafür sprachen. Lästige Mahner, die von Verantwortung reden wollten, hat man zu Spaßverderbern erklärt, bis sie sich schämten. In dieser Zeit wurde die Angst zur Krankheit erklärt. Für Angst gab es Ärzte und Tabletten. So wird man vielleicht über uns reden, wenn man uns überhaupt noch der Rede wert hält.

Angst ist eine der wichtigsten Errungenschaften der Evolution. Angst ist das Signalsystem des Gefühls, das vor Gefahr warnt. Dazu hat ja der Mensch gerade seinen Verstand, daß er einschätzen kann, inwieweit eine Angst begründet ist oder nicht. Wie er mit der Angst umgeht, das ist die entscheidende Frage. Ob er sie auf ihre Gründe hin überprüft oder sie verdrängt. Ob er nach Konzepten sucht, die Gefahr zu bannen. Oder ob er sich in hilflose Mystik oder gar in eiskalten Zynismus zurückzieht. Es gibt keinen Automatismus, der Rettung in Aussicht stellt. Aber die Welt ist einen Rettungsversuch wert.

Wir leben in einer repräsentativen Demokratie. Ich kann den Politikern meine Stimme geben oder entziehen. Politik ist kein Theaterspiel. Ich möchte weder die schnellere Reaktionsfähigkeit in Talkshows honorieren noch die größeren Versprechungen. Ich will Konzepte erklärt haben, und zwar so, daß ich sie verstehen kann. Ich bin nicht zu dumm dafür, und die anderen, die ich kenne, sind es auch nicht.

Ich möchte gern wissen, welche Konzepte die Politiker, die ich wähle, unterstützen, um die Bevölkerungsexplosion einzudämmen. Das ist eine der dringlichsten Aufgaben. Ich hoffe, daß es humanistische Konzepte sind, mit sozialer Komponente. Ich kann es nicht moralisch finden, neuentstehendem Leben das Wort zu reden, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob die Existenzbedingungen dafür überhaupt gegeben sind. Aber auch nicht, auf Aids oder auf den Hunger zu vertrauen.

Ich möchte von den Politikern wissen, welche Vorstellungen sie über den Beitrag unseres Landes zur Korrektur der weltweiten Strukturen, zum Ausbau eines weltweiten politischen Systems haben. Denn es stehen Aufgaben vor der Menschheit, die alle Ländergrenzen überschreiten, die alle im Zusammenhang stehen, die sich nicht voneinander getrennt lösen oder auf ein Territorium eingrenzen lassen.