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Dr. Ezra Valerio Pierpaoli wurde 1965 in Mailand, Italien, geboren und ist in der Schweiz aufgewachsen. Er hat eine Familie mit drei kleinen Kindern, zwei Mädchen (3 und 5 Jahre) und ein Junge (10 Jahre) und wohnt im Dorf Möhlin in der Nähe von Basel in der Schweiz. Ezra Pierpaoli hat an der Universität Zürich Biochemie studiert und doktoriert. Seit 13 Jahren arbeitet er in der Pharmabranche im medizinisch-wissenschaftlichen- und Lizenzbereich. Im August 2011 ist er an einer Infektion mit dem Superkeim MRSA (Methicillin Resistenter Staphylokokkus Aureus) schwer erkrankt und hat die Krankheit nur dank der hochprofessionellen medizinischen Betreuung und mit unheimlich viel Glück überlebt. Der monatelange Aufenthalt in der Intensivstation und der stationären Rehabilitation unter strikter Isolation waren eine dramatische und verrückte Erfahrung. Antibiotikaresistente Bakterien sind immer stärker auf dem Vormarsch und bilden eine grosse Gefahr im Gesundheitswesen. Erschreckenderweise treten solche Keime in Ländern mit hohem Antibiotikagebrauch sehr häufig auf (USA, England, südeuropäische Länder, etc.) und können auf Reisen oder durch Reisende aus diesen Ländern übertragen werden. Wie wahrscheinlich die meisten Menschen hat der Autor nichts oder nur wenig zu MRSA gewusst. Mit diesem Buch will der Autor auf die potentiell verheerenden Folgen von MRSA-Infektionen aufmerksam machen. Das Buch ist auch ein persönlicher Bericht einer beeindruckenden Grenzerfahrung. Dies ist sein erstes Werk. In der Vergangenheit hat er jedoch schon mehrere biochemische und medizinische Artikel in renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht.
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Seitenzahl: 196
Veröffentlichungsjahr: 2013
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Ezra Pierpaoli
ÜBERLEBT - Infiziert mit dem Superkeim MRSA
120 Tage in der Intensivstation und der Rehabilitation
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2013
Impressum
Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Copyright (2013) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Bild: 3D und computergefertige Darstellung von Staphylokokken (in lila) auf Fasern (in braun). Dreamstime.com
Graphische Umschlaggestaltung: Reinhard Hammel
Umschlagkonzeption: Ezra Pierpaoli
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
www.engelsdorfer-verlag.de
COVER
TITEL
IMPRESSUM
VORWORT
ANGESTECKT
15. August 2011
16. August 2011
17. August 2011
18. August 2011
19. August 2011
20. August 2011
21. August 2011
22. August 2011
IM KÜNSTLICHEN KOMA
23. August - Anfangs Oktober 2011
23. August 2011
24. August 2011
25. August bis anfangs September 2011
2. – 12. September 2011
14. – 20. September 2011
21. September 2011
24. September 2011
3. Oktober 2011
GEWECKT
Anfang Oktober 2011
Der Naseneingriff
Dialysen
Schlechtes Sehen
Wie dünn sind meine Beine!
Tremor (Muskelzittern), Fernsehen und Musik
Lernen, wieder selbständig zu atmen
Apfelstückchen
Umlagerungen
Erstes Aufsitzen, Rundgang durch das Krankenhaus
Wie lange bin ich noch hier?
16. Oktober: Besuche und die Buchstabiertabelle
Physio- und Ergotherapie, Logopädie
Arztvisiten, Motivation
Wo ist mein Laptop geblieben?
Entfernen der Trachealkanüle
Odyssee, Überführung in die Reha
IN DER RIA
26. Oktober – 8. November 2011
Die ersten Tage
Die Urinflasche
Logopädie
Das erste Mal duschen
Therapien
Physiotherapie
Psychologische Unterstützung
Ergotherapie
Medikamententherapie
Besuch
IN DER REHA
8. November 2011: Verschiebung ins Zimmer 313. 3. Stock
12. November 2011: Angehörigentag und Vermicelles
14. November 2011: Entfernung der Bauchsonde
15. November 2011: Geburtstag
21. November 2011: Nachkontrolle in der HMO-Abteilung, Kantonsspital Aarau
28. November 2011: Erster Abstrich
29. November 2011: Operation am Ohr im Kantonsspital Aarau
9. Dezember 2011: Auflösung der Isolation
12.-16. Dezember 2011: Die letzte Rehawoche
16. Dezember 2011: Entlassung
NACHWORT
LITERATURVERZEICHNIS
HERZLICHEN DANK!
KONTAKTMÖGLICHKEIT
Für meine Familie
Im August des Jahres 2011 bin ich aus heiterem Himmel schwer erkrankt. Wie sich nach einigen Tagen herausstellte, hatte ich mich mit dem multiresistenten Bakterienkeim MRSA angesteckt. MRSA ist eine Abkürzung für Methicillin-Resistenter oder Multi-Resistenter Staphylococcus Aureus, ein Bakterium, das die Hautoberfläche besiedeln und dort monate- bis jahrelang überleben kann. Multiresistent bedeutet, dass viele Antibiotika, die üblicherweise zur Bekämpfung einer solchen Infektion benutzt werden, nicht mehr wirken, da die Bakterien dagegen resistent geworden sind. Wo, wie und warum diese Infektion aufgetreten ist, war mir zu Beginn schleierhaft und konnte bis heute nicht eindeutig geklärt werden. Nach vielen Diskussionen und Recherchen konnte ich zumindest verschiedene Vermutungen aufstellen, wann und wo ich mich mit den Keimen infiziert hatte. Niemals hätte ich gedacht wie schnell und brutal einen eine solche bakterielle Infektion treffen und niederstrecken kann. Nach einer mehrmonatigen Krankheitsgeschichte habe ich mich mit dieser Thematik auseinandergesetzt, mit der ich mich vorher nicht allzu sehr beschäftigt hatte.
Es ist eine traurige Tatsache, dass jährlich weltweit Zehntausende an MRSA Infektionen sterben. Obwohl die Thematik „Superkeime“ immer wieder in den Medien auftaucht, scheinen deren verheerenden Folgen im öffentlichen Bewusstsein wenig bekannt zu sein. Wahrscheinlich sind sich auch viele Ärzte nicht im Klaren darüber, wie schwer einen eine MRSA-Infektion treffen kann. In den USA erkranken jedes Jahr fast hunderttausend Menschen an Infektionen mit MRSA. Eine Studie, die 2005 in den USA durchgeführt wurde und 2007 in der renommierten wissenschaftlichen amerikanischen Zeitschrift JAMA publiziert wurde, hat gezeigt, dass jeder fünfte Fall einer Infektion tödlich endete. Damit wären im Jahre 2005 in den Vereinigten Staaten 18,650 Personen an MRSA gestorben. Gemäß einem Jahresbericht des Europäischen Systems zur Überwachung antimikrobieller Resistenzen kann man davon ausgehen, dass in der erweiterten Europäischen Union pro Jahr bis zu 50,000 Todesfälle als Folge von MRSA auftreten. Die genaue Zahl zu erfassen ist schwierig, da als Todesursache nicht unbedingt MRSA erkannt und daher auch nicht aufgeführt wird. Zudem wird ein großer Teil dieser Fälle auf Spitalinfektionen mit den sogenannten nosokomialen Erregern zurückzuführen sein.
Obwohl MRSA als „Spitalkeim“ ein vieldiskutiertes Thema in Krankenhäusern und auch der Öffentlichkeit ist und bleiben wird, ist der Sachverhalt, dass man sich mit einer anderen Form des Bakteriums, dem „community-aquired“-MRSA oder CA-MRSA auch in der Allgemeinheit, im öffentlichen Raum, anstecken kann, weniger bekannt und umso erschreckender. Obwohl die Zahl an nosokomialen MRSA-Infektionen eher im Sinken begriffen ist, steigt die gesamte MRSA Prävalenz auf Grund der steigenden Zahl an CA-MRSA-Fällen. Diese Form von MRSA kann auch junge und vollständig gesunde Menschen treffen. Zwar ist dies in einem Land wie der Schweiz vermutlich äußerst selten aber durch einen Auslandaufenthalt in einem Land mit hohem Auftreten von CA-MRSA, z.B. den USA oder einem südeuropäischen Land als auch durch Kontakt mit einer CA-MRSA-positiven Person aus einem Land mit hohem Auftreten dieses Keims ist eine Ansteckung trotzdem möglich.
Haben sich die Bakterien erst einmal auf dem Körper der entsprechenden Person eingenistet, kommt es noch zu keiner Erkrankung. Ein Pickel, ein Schnitt oder eine kleine Wunde jedoch genügen, und die Bakterien können in kurzer Zeit in den Blutkreislauf gelangen. Innerhalb weniger Tage können sie dabei zu einer akuten Sepsis mit anschließendem Organversagen führen. Es gibt nur wenige Antibiotika, die diese Bakterien stoppen können.
Leider hat der unverantwortliche Umgang mit Antibiotika in vielen Ländern die Entwicklung solcher multiresistenten Superkeime sehr stark begünstigt. Auch das vorschnelle Abbrechen von Antibiotikatherapien kurz nach Abklingen der Symptome, anstatt sich an die vom Arzt verordnete Dauer der Therapie zu halten, trägt zur Entstehung solch resistenter Bakterienstämme bei.
Die Feststellung, dass die Entwicklung von Antibiotika mit neuen Wirkmechanismen von der Pharmaindustrie in den letzten Jahrzehnten in der Forschung eine eher untergeordnete Rolle mit niedriger Priorität gespielt hat, wird sich in Zukunft damit auswirken, dass für gewisse Infektionen wenige bis gar keine geeignete Antibiotika zur Verfügung stehen werden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Gefahr, die von multiresistenten Bakterienstämmen ausgehen, durchaus erkannt und letztes Jahr die Pharmaindustrie, Regierungen und Gesundheitsbehörden dringend dazu aufgerufen, gemeinsam diese globale Gefahr der Antibiotikaresistenz zu bekämpfen. In Antwort darauf hat dieses Jahr die Europäische Kommission eine 224 Millionen Euro Initiative lanciert. Ziel dieser Initiative ist die Wirkungsweise von antibiotikaresistenten Bakterien besser zu verstehen und erfolgsversprechende Ansätze dazu zu benutzen, neue Antibiotika zu entwickeln. Fünf namhafte Pharmafirmen sind darin involviert.
In diesem Buch möchte ich beschreiben, wie sich der ganze Krankheitsverlauf zugetragen hat und was es bedeutet, wochenlang mit einer solchen Erkrankung in der Intensivstation zu liegen und intensivmedizinisch behandelt zu werden. Ich glaube auch für Ärzte und das Pflegepersonal, die dort arbeiten, ist es schwierig nachzuvollziehen, wie man sich wirklich fühlt und was man aus der Sicht des Patienten durchmacht und erlebt, genauso wie es schwierig ist, sich bei einem Besuch einer schwerkranken Person in diese hineinzuversetzen. Die Situation war zugleich drastisch und unglaublich. Ich vermute, man kann es erst richtig verstehen, wenn man es selbst erlebt hat. Ich hatte unglaubliches Glück, die schwere Sepsis mit mehrfachem Organversagen zu überleben und bin daher in der einzigartigen Lage, davon überhaupt berichten zu können.
In einem zweiten Teil des Buches möchte ich beschreiben, was es heißt, von einer solchen buchstäblich körperlichen Totalkollision wieder Schritt für Schritt in monatelanger Arbeit den Körper aufzubauen, die Kräfte zurückzugewinnen und erneut die für einen gesunden Menschen selbstverständlichen Funktionen wie atmen, sprechen, essen, verdauen und gehen erneut zu erlernen, um ins normale Leben zurückkehren zu können.
Die ganze Erkrankung war wie eine lange und wahnsinnige Reise, aus der ich auf unerklärliche und wundersame Weise heil zurückgekehrt bin.
Alles begann ganz harmlos. Nicht im Traum hätte ich damit gerechnet, dass ich eine Woche später in der Intensivstation um mein Leben kämpfen würde.
An einem dieser ungeliebten Montage hatte ich im Büro plötzlich eine gereizte Nase und musste ständig niesen. Auch die Nasenschleimhäute waren ausgetrocknet, gespannt und schmerzten leicht, wie ich es von meinem jährlichen Heuschnupfen oder von Flugreisen gut kannte. Die Nase lief in einem fort. Alles deutete darauf hin, dass ich wieder einmal eine Erkältung aufgeschnappt hatte. Es war allerdings etwas sonderbar, wie die Symptome so plötzlich begonnen hatten, denn beim Aufstehen fühlte ich mich noch gut, aber unüblich war es sicher nicht. Ich kehrte zeitig von der Arbeit nach Hause zurück und legte mich sofort ins Bett, da allmählich auch unangenehme Gliederschmerzen auftraten.
Dieser Montag war der zweite Geburtstag meiner jüngsten Tochter, die im Gegensatz zu allen anderen Familienmitgliedern im Sommer geboren wurde. Dies war natürlich ein besonderer Tag für uns und unser Nesthäkchen. Noch gut hatten wir ihre schnelle Geburt an einem Samstag Spätnachmittag in Erinnerung.
Meine Frau hatte ein feines Nachtessen vorbereitet und einen Schokoladenkuchen gebacken. Um ca. 19.00 Uhr stand ich wieder auf, um mit meiner Familie zu essen und mit den Kindern zu feiern. Obwohl ich mich immer noch nicht besser fühlte, entwickelte ich einen rechten Appetit. Um mich zu schonen und am nächsten Tag wieder fit zu sein, ging ich jedoch frühzeitig zu Bett.
Auch nach der einigermaßen gut verbrachten Nacht ging es mir nicht viel besser. Ich wurde bis am Freitag der vorangegangenen Woche wegen einer Schleimbeutelentzündung am linken Ellbogen mit einem Antibiotikum behandelt und hatte nun den Verdacht, dass diese nicht ausgeheilt war und wieder neu aufgeflammt sein könnte. Deshalb rief ich gleich nach dem Aufstehen meinen Hausarzt an. Dieser fand jedoch, dass ein neuer Ausbruch der Infektion sehr unwahrscheinlich sei und es sich vermutlich um das Anfangsstadium einer Erkältung oder Grippe handle. Ich solle mich wieder melden, falls es in zwei Tagen nicht besser sei. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass ich schon wieder eine Grippe bekommen sollte, denn schon anfangs des Jahres war ich für fast zehn Tage, gemäß den Symptomen vermutlich an der Schweinegrippe, erkrankt. Ohnehin war ich eigentlich selten krank oder erkältet. Da ich mich nicht kräftig genug fühlte, um zur Arbeit zu gehen, meldete ich mich bei der Firma krank. Den Tag verbrachte ich wieder größtenteils im Bett.
Bis am Abend ging es mir um einiges schlechter: ich lag unter einer dicken Decke und fror so jämmerlich, wie ich nie zuvor gefroren hatte. Auf meine Bitte brachte mir meine Frau eine Wolldecke, die sie mir zusätzlich auf das Daunenduvet auflegte. Doch auch das half nicht sehr. Zudem waren die Gliederschmerzen ziemlich heftig geworden. Ich nahm zwei Alcacyl-Brausetabletten ein und hoffte, diese würden eine Linderung bringen.
In der Nacht wachte ich auf und maß die Körpertemperatur. Ich erschrak: das Thermometer zeigte 40° an! Das erklärte den starken Schüttelfrost. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so hohes Fieber gehabt hatte. Die Nacht war schlimm mit Fieberträumen, schwitzen und schlottern. Eine erneute Temperaturmessung um etwa drei oder vier Uhr morgens zeigte, dass diese in der Zwischenzeit trotz fiebersenkendem Medikament überhaupt nicht gefallen war und immer noch bei 40° lag.
Am Morgen fühlte ich mich so miserabel und schwach, dass ich kaum die Kraft hatte, aufzustehen. Es war mir klar: jetzt musste dringend etwas passieren! Ich wusste nicht, was mit mir los war. Irgendwie ahnte ich instinktiv, dass etwas Schlimmes geschehen war. Die Symptome waren so stark, dass dies nicht eine Grippe sein konnte. Ich rief gleich um 08:00 nochmals den Hausarzt an, wo jedoch nur ein Anrufbeantworter verlauten ließ, dass die ganze Belegschaft auf einem Betriebsausflug sei. Das hatte gerade noch gefehlt! Aber etwas Gutes hatte es auch. Da ich über das Hausarztmodell versichert war, musste ich zuerst den Hausarzt konsultieren, der mich falls nötig, an einen Spezialisten oder das Spital weiterleiten würde. Dies entfiel nun glücklicherweise.
Meine Frau riet mir, mich direkt in der Notfallstation des nahegelegenen Regionalspitals Rheinfelden anzumelden. Ich rief das Spital gleich an und teilte dem Empfang mit, dass ich nächstens eintreffen würde. Wie sich später zeigen sollte, war es mitunter das rechtzeitige Handeln, das mir wahrscheinlich das Leben gerettet hatte. Jeder Tag weiteren Zögerns und Abwartens wäre verheerend gewesen. Bevor ich mich ankleidete, kletterte ich völlig entkräftet in die Badewanne und versuchte, den überhitzten Körper mit einer lauwarmen Dusche zu kühlen, wie wir das auch bei unseren Kindern bei hohem Fieber zu tun pflegten.
Meine Frau fuhr mich anschließend in Begleitung meines Sohnes ins Spital. Vor dem Eingang wartete ich auf einer Bank bis meine Frau einen Parkplatz gefunden hatte. Jedes Mal, wenn ich heute an diesem Spital vorbeifahre und die Bank sehe, muss ich an diesen Augenblick denken und wie die ganze Geschichte begonnen hatte.
In der Notaufnahme muss man ja zum Teil mehrere Stunden warten, bis man an die Reihe kommt. Ich hatte keine Kraft, um zu sitzen, bis ich aufgerufen würde und bat deshalb einen vorbeieilenden Arzt, mich irgendwo hinlegen zu dürfen. Mein schlechter Zustand war offensichtlich, und er brachte mich sofort in ein Ambulatorium mit einer Liege. Ich war so dankbar, dass ich wenigstens liegen konnte.
Nach einer Weile wurde ich von einer Ärztin befragt und untersucht. Meine Nase war in der Zwischenzeit stark geschwollen, und ich blutete leicht aus dem linken Nasenloch. Ich wurde gefragt, ob das Nasenbluten der Grund sei, warum ich hier sei. Es wurde mir eine Infusion angelegt und ein fiebersenkendes Medikament infundiert. Als Folge davon begann ich, wie verrückt zu schwitzen. Bald war mein Poloshirt komplett durchgeschwitzt und ich musste es gegen ein Krankenhaushemd auswechseln. Zudem begannen in meinem Kopf migräneartige Kopfschmerzen zu hämmern. An die verschiedenen Untersuchungen kann ich mich nicht mehr im Detail erinnern. Jedenfalls erhielt ich ein Medikament gegen die Kopfschmerzen, wurde geröntgt, ein Elektrokardiogramm wurde aufgenommen und Blutproben für Untersuchungen und Bakterienkulturen entnommen. Vor Anstrengung und Aufregung musste ich mich übergeben. Danach wurde mein Kopf mittels einer Schichtbild-Computertomographie vor und nach Gabe eines intravenösen Kontrastmittels untersucht. Wie ich später erfuhr, wurde die Diagnose einer Nasennebenhöhlenentzündung gestellt und mir per Infusion ein entsprechendes Antibiotikum verabreicht.
Nach all den Untersuchungen war es klar, dass ich im Krankenhaus bleiben musste. Infolgedessen wurde ich auf ein Zimmer verlegt. Meine Frau bemerkte erschreckt, dass mein rechtes Auge plötzlich völlig geschwollen war und hielt mir einen Spiegel vor das Gesicht. Unglaublich, das Augenlied und rund um das Auge war das Gewebe wie nach einer Schlägerei angeschwollen, wie nach einem Treffer mitten auf das Auge. Was war denn jetzt schon wieder geschehen? Im Laufe des Abends begann auch das linke Auge anzuschwellen. Die Nase war auch extrem geschwollen und sicher doppelt so breit wie normal. Es sah übel aus und erinnerte an das Gesicht eines Boxers, der während eines Boxmatches viele Schläge einstecken musste.
Am Abend besuchte mich meine Frau mit den drei Kindern, unserem achtjährigen Sohn sowie der dreieinhalbjährigen und der zweijährigen Tochter. Mein Sohn und meine ältere Tochter waren von meinem Anblick so erschrocken, dass sie zu weinen begannen. Daran kann ich mich noch erinnern. Das wollte ich nun wirklich nicht. Es tat mir schrecklich leid, und wir versuchten, sie zu trösten.
Die nächste Neuigkeit war, dass das Regionalspital für einen Fall wie mich nicht ausgerüstet war, da nun dringende Untersuchungen durch einen Hals-Nasen-Ohren Spezialisten benötigt wurden. Es wurde beschlossen, mich ins Kantonsspital Aarau zu verlegen. Nochmals musste ich mich übergeben.
Der Transfer ging sehr effizient. Bald lag ich auf einer Bahre festgezurrt in der Ambulanz auf dem Weg nach Aarau. Dort wurde ich in ein Ambulatorium gebracht und auf eine Untersuchungsliege gebettet, die so unbequem war, dass sich mein Rücken bald total verspannte.
Nach einer Weile warten wurde ich vom Stationsarzt befragt und untersucht. Besonders die starke Gesichtsschwellung war augenfällig. Er untersuchte meine Nase und vermutete einen Abszess in der Nasenhöhle. Darauf führte er eine feine Lanzette tief in das rechte Nasenloch, worauf mir ein Schwall Blut und Eiter über Schnurrbart und Mund lief. Es zeigte sich, dass sich tatsächlich ein großer Abszess an der Schleimhaut der rechten Nasenscheidewand gebildet hatte. Ich war froh, dass er diesen so schnell entdeckt hatte und problemlos öffnen konnte. Eine Lascheneinlage, d.h. ein wattierter Verband wurde unter der Nase von einem Ohr zum anderen angelegt, da weiterhin ständig eitrige Flüssigkeit aus der Nase floss. Nach einer Röntgenuntersuchung des Brustraumes musste ich wieder erbrechen. Endlich, nach einem zweiten speziellen Computertomogramm des Schädels, wurde ich in ein Stationsabteil der Überwachungsstation gebracht, wo ich die Nacht verbringen sollte, abgetrennt nur durch einen Stoffvorhang von anderen Patienten.
Zu meiner Freude kam ein Freund und Arbeitskollege zu Besuch, der extra die Fahrt nach Aarau auf sich genommen hatte. Ich glaube, er war von meinem Zustand und Aussehen ziemlich schockiert, obwohl er sich nichts anmerken ließ. Ich erzählte ihm, wie es mir bis dahin gegangen war und wie miserabel ich mich vor dem Spitaleintritt gefühlt hatte. Es war schön zu sehen, dass er sich um meine Gesundheit kümmerte. Bald ging er wieder. Ich wusste nicht, dass ich ihn für viele Monate nicht mehr sehen würde.
In der Station war es heiß und laut. Gegenüberliegend war ein Mann in erbärmlichen Zustand mit seltsam verdrehten und bandagierten Beinen und einer übergestülpten Sauerstoffmaske, der furchtbar schnarchte. Trotzdem konnte ich einigermaßen gut schlafen.
Nach der Nacht in der Überwachungsstation und einem Frühstück wurde mir der Befund meiner Krankheit mitgeteilt, von dem ich nicht wusste, was er eigentlich bedeutete. Das Resultat meiner Blutuntersuchung durch das Diagnostiklabor Viollier war eingetroffen und hatte ergeben, dass ich mit dem Bakterium MRSA infiziert war. Ich hatte eine Blutvergiftung!
Vom Zeitpunkt, in dem ich mich in der Notfallstation angemeldet hatte und mir die Blutproben entnommen wurden, hatte es also ganze 48 Stunden gedauert, um diese Diagnose zu stellen. Im Nachhinein frage ich mich, warum dies so lange brauchte, da gemäß dem heutigen Stand der Diagnostik auch ein MRSA-Schnelltest zur Verfügung steht, mit dem die Diagnose in wenigen Stunden gestellt werden kann. Gerade bei dieser Erkrankung ist eine schnelle Diagnose essentiell und unter Umständen lebensrettend. Wo, wann und warum diese Entzündung aufgetreten war, war mir ein Rätsel. Was MRSA überhaupt bedeutete, war mir nicht bekannt. Zugegebenermassen waren meine Kenntnisse zu Infektionskrankheiten sehr beschränkt. Es wurde mir erklärt, dass dies eine Abkürzung für die Bakterienstämme des Typs Methicillin-Resistenter Staphylococcus Aureus war.
Aus meinem Studium der Biochemie schwante mir, dass dies nichts Gutes zu bedeuten hatte. Ich konnte mich erinnern, dass damals mein Diplombetreuer, der selbst Mikrobiologe war, erwähnte, dass er für ein Experiment „Staphen“ züchtete und dass diese sehr ansteckend seien. Methicillinresistent hieß, dass das Antibiotikum Methicillin bei diesem Stamm nicht wirkte. War dies etwa einer dieser „Superkeime“, also Bakterien, bei denen viele Antibiotikaklassen wirkungslos waren, von denen man ab und zu in den Medien hörte?
Fragen über Fragen, zu denen ich keine Antwort wusste. Und besser ging es mir in der Zwischenzeit immer noch nicht. Nachdem die Diagnose gestellt war, wurde ich sofort isoliert, d.h. von den anderen Patienten getrennt und in ein Zimmer für Privatpatienten gebracht, obwohl ich allgemein versichert bin. MRSA ist als „Klinikkeim“, der zu den berüchtigten Spitalinfektionen führen kann, in den Krankenhäusern gefürchtet und eine weitere Verbreitung auf andere Patienten und das Personal musste unbedingt verhindert werden. Es erfolgte eine ausführliche Befragung und nachfolgende Instruktionen durch eine Spezialistin für Spitalhygiene und einen Infektionsspezialisten. Ein erster Verdacht kristallisierte sich heraus: hatte ich mich etwa in den Sommerferien in Istrien, Kroatien angesteckt, wo wir zwei Wochen vom 4.-15. Juli 2011 weilten?
Rückblick:
Etwas Sonderbares war in diesen Ferien passiert. Am vierten Tag des Urlaubs hatte meine Frau plötzlich Schmerzen in der Schamgegend. Was zuerst wie ein Mückenstich aussah, begann bald anzuschwellen, zu eitern und entwickelte sich innerhalb weniger Tage zu einem hässlichen Abszess. Auch mein Sohn hatte an der Leiste eine ähnliche, wenn auch kleinere Pustel, die Eiter zu enthalten schien.
Nachdem nach einigen Tagen Selbstbehandlung mit einer milden Kortisonsalbe und später einer Zugsalbe diese Stellen nicht zu heilen schienen, war es dringend Zeit geworden, einen Arzt zu konsultieren. Zum Glück gab es gleich in der Nähe der Feriensiedlung ein Ambulatorium, das wir aufsuchten und in dem wir vom Arzt und seiner Assistentin, auch einer Ärztin, sofort empfangen wurden. Dem Arzt war der Fall offensichtlich sofort klar. Es handelte sich anscheinend um eine bakterielle Infektion, die zuerst zu einer Art eitrigem Pickel führte, welcher sich leicht zu einem Abszess entwickeln konnte. Gemäß dem Arzt war diese Art Hautinfektion in dieser Region bei Touristen ziemlich verbreitet, rief jedoch bei der einheimischen Bevölkerung keine Erkrankung hervor, da diese den Keimen von Kind an ausgesetzt waren und eine Immunität dagegen ausbildeten. Bei Touristen hingegen kamen solche Infektionen recht häufig vor, und verrückterweise hing das Ganze auch noch von der Nationalität ab. Die Touristen in dieser Region Kroatiens waren vor allem aus dem nahen Österreich und Italien, aber auch aus den Niederlanden. Bei Holländern traten solche Hautinfektionen viel häufiger auf als bei italienischen Touristen. Dieser Sachverhalt machte später auch durchaus Sinn.
Unsere Familie war häufig und in vielen Ländern herumgereist, jedoch hatten wir noch nie etwas Ähnliches erlebt. Um die Infektionen zu kurieren, erhielten meine Frau und mein Sohn ein Antibiotikum in Tabletten-, bzw., Sirup- und Salbenform, das sie für den Rest der Ferien, d.h. zehn Tage lang, anwenden mussten. Es war eine starke Medikation, die beide müde machte.
Eine Woche später hatte meine ältere Tochter auch einen kleinen Abszess an der Leiste und musste zum selben Arzt gebracht werden. Auch sie wurde mit einem Antibiotikum behandelt. Einzig bei unserer jüngsten Tochter und mir schienen diese Keime keine Wirkung zu haben. Der Arzt erklärte dies damit, dass wir ein starkes Immunsystem besäßen.
Doch zurück zum Bericht:
Aufgrund der bestehenden Diagnose konnte im Kantonsspital Aarau endlich die korrekte Antibiotikatherapie mit Vancocin begonnen werden, einige der wenigen Antibiotika die gegen MRSA wirken.
Am Abend besuchte mich in Aarau wieder meine Frau Joy. Wir redeten lange. Meine Frau machte damals noch einige Fotos von mir mit meinem Handy, die ich allerdings erst viel später im Dezember 2011 entdeckte.
Es war wieder sehr heiß im Zimmer. Vom vielen Liegen hatte ich Rückenschmerzen und schaute fern, um mich abzulenken.
Ich hatte eine weitere schlimme Nacht verbracht. In der Nacht werden die Schrecken und Ängste ja meist noch stärker und irrationaler. Ich glaube ich begann zu diesem Zeitpunkt zu verstehen, in welch gefährliche Situation ich geraten war, obwohl ich natürlich nicht ahnen konnte, was noch alles auf mich zukommen würde.
Am Vormittag bat ich eine Pflegerin, ob ich mit einem Seelsorger sprechen könne. Das war möglich, und bald darauf erschien ein jüngerer Herr, der sich als Spitalseelsorger vorstellte. Leider habe ich keine Ahnung mehr, was ich mit ihm besprach. Dies ist Teil einer retrograden Amnesie, also eines Gedächtnisverlustes, der bis zu diesem Datum zurückreichte, wie ich später feststellen musste. Ich hatte jedoch große Angst und besprach vermutlich meine Befürchtungen mit ihm. Im Kontrast dazu war es draußen ein schöner Hochsommertag mit viel Sonnenschein.
Am frühen Nachmittag kam meine Mutter zu Besuch. Wir setzten uns im Zimmer an das kleine Tischchen und unterhielten uns über die letzten Tage. Ich hatte Durst und fragte meine Mutter, ob sie mir ein Bier bestellen könne. Ich dachte zwar nicht unbedingt, dass mir dies erlaubt würde, aber zu meinem Erstaunen gestattete dies die Pflegerin. Es wurden uns vom internen Gastbetrieb zwei kühle Flaschen Bier gebracht. Ich genoss dieses in vollen Zügen. Dies sollte das Letzte für viele Monate sein.
Am Nachmittag verschlechterte sich mein Zustand. Ich hatte Schmerzen auf der Brust. Mein Unterleib war richtig aufgedunsen. Um das Atmen zu erleichtern, erhielt ich zusätzlich Sauerstoff über eine Sauerstoffmaske zugeführt. Es wurde ein zweites Computertomogramm des Schädels erstellt, da der dringende Verdacht bestand, dass Bakterien in die Stirnhöhlen gelangt sein könnten.