Unter Gottes Führung - Friedrich Hänssler - E-Book

Unter Gottes Führung E-Book

Friedrich Hänssler

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Beschreibung

Friedrich Hänssler nimmt Sie mit auf eine spannende Reise durch sein bewegtes Leben. Der bedeutende evangelische Verleger schildert in seinem neuen Buch zahlreiche Begegnungen mit ganz unterschiedlichen, bedeutenden oder auch unbekannten Menschen. Er schreibt über seine Eltern, von Begegnungen in seiner Jugend und erzählt von seinen Kontakten zu Politikern verschiedener Parteien. Dabei steht jede der Personen auch für einen Moment der persönlichen Geschichte von Friedrich Hänssler. Faszinierende Erzählungen voller Glaubenszuversicht!

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Seitenzahl: 144

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Der SCM Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7373-5 (E-Book)

ISBN 978-3-7751-5790-2 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:CPI books GmbH, Leck

© der deutschen Ausgabe 2017

SCM-Verlag GmbH & Co. KG · Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-haenssler.de · E-Mail: [email protected]

Die Bibelverse sind, wenn nicht anders angegeben, folgender Ausgabe entnommen:

Lutherbibel 1912. Ein Vers aus: Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Umschlaggestaltung: Kathrin Spiegelberg, Weil im Schönbuch

Titelbild: © privat

Autorenfoto: Patrick Horlacher

Bilder im Innenteil: © privat

Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach

Inhalt

Über den Autor

Vorwort

Mein Patenonkel

Meine Mutter

Eduard Ostermann

Willy Schulze

Mein Vater

Charles Colson und Harold Hughes

Johanna Dobschiner-Douglas

Peter Dugulescu

Festo Kivengere und Janani Luwum

Sofie Kaiser

Otto Riecker

Zvi Kalisher

Der unbekannte Botschafter

Wilhelm Busch

Gertrud Wehl

Paul Siefer

Johannes Rau

Manfred Wörner

Steinar Riksassen

Nachwort

Bildteil

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Über den Autor

FRIEDRICH HÄNSSLER, Jahrgang 1927, war langjähriger Leiter des Hänssler-Verlags und dort bis vor Kurzem als Berater tätig. Er ist einer der bedeutendsten evangelischen Verleger des 20. Jahrhunderts und hatte neben seiner Verlagstätigkeit Leitungsaufgaben in zahlreichen kirchlichen und christlichen Gremien inne. Er ist Träger zahlreicher Auszeichnungen und ein gefragter Redner.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Vorwort

Ist unser Leben wie ein Buch, das sich von alleine schreibt? Haben an diesem Lebensbuch nicht manche andere, vielleicht sogar viele andere mitgeschrieben? Beeinflusst unsere Vergangenheit die Gegenwart und zeigt, wie wir dahin gekommen sind, wo wir heute sind?

Ganz sicher sind so manche Begegnungen Teil meines Lebensbuches geworden. Martin Buber formulierte das eindrücklich: »Alles wirkliche Leben ist Begegnung.« Der Schriftsteller Manfred Hausmann äußert sich wie folgt: »Die Begegnungen sind es, die das Leben eines jeden ausmachen. Je ärmer ein Leben an Begegnungen ist, umso mehr verödet es. Je häufiger ihm die Gnade einer Begegnung widerfährt, umso wunderbarer leuchtet es.«

Auf meinem Lebensweg wurde ich durch eine Vielzahl von Begegnungen mit sehr bekannten Persönlichkeiten persönlich beschenkt, aber oft auch mit recht einfachen, ganz schlichten Menschen, die mit ihrem Wesen und Leben, mit Herzen, Mund und Händen bezeugten, dass Gott lebt, und mir es leichter machten zu glauben. Menschen mit Vorbildcharakter, die durchaus prägend wirkten. Impulse, die sich wie ein roter Faden durch mein Leben ziehen. Die konnten es zwar weder verlängern noch verbreitern, dafür aber vertiefen. Es waren Begegnungen mit oft unerwarteten Nebenwirkungen, Begegnungen, die ich rückblickend als gute Planung Gottes erkennen konnte und die mir immer wieder verdeutlichten, dass unser Leben eine Reise ist, die heimwärts führt.

Noch ein anderer Gedanke: Vorbilder prägen einen Menschen. Es ist wie im wirklichen Leben: Menschen folgen viel leichter anderen Fußspuren als anderem Rat. Albert Schweitzer hat dafür die treffenden Worte gefunden: »Vorbild zu sein, ist nicht die Hauptsache in der Beeinflussung anderer. Es ist die einzige Möglichkeit.« Die Evangelien erzählen immer wieder, wie Jesus Menschen begegnete, oft auf der »Straße«, wo sich das Leben abspielt, wo er sie angesprochen hat oder sich ansprechen ließ, ganz persönlich, mit entscheidenden, mit alles verändernden Nachwirkungen. »… da begegnete ihnen Jesus« (Matthäus 28,9). Und sagen uns nicht unsere Erfahrungen bis heute, dass unser ganzes Leben aus vielen Gelegenheiten, Jesus zu begegnen, besteht? Eine solche Begegnung, eine Gottesbegegnung, ist die wichtigste, entscheidendste und folgenreichste Begegnung im Leben eines Menschen. Denn »Gott, der jedermann gern gibt« (Jakobus 1,5 nach Luther 84), verändert ein Menschenleben grundlegend! Wenn sich der Allerhöchste durch Jesus Christus einem Menschen zuwendet, dann tut er das wie ein Vater und auf vielfältige Weise. Wie ein Vater ermahnt er uns auch: »Wenn ihr stille bliebet, so würde euch geholfen; durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein« (Jesaja 30,15). Begegnungen sind nicht Zufall, Begegnungen sind von Gott gewirkt und dienen zum Bau seines Reiches. Sie haben einen tieferen Sinn – unabhängig vom Rang und Namen eines Menschen –, welcher sich oftmals erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt offenbart. Und sie erfüllen jederzeit einen bestimmten Zweck, der entweder uns selbst, unserem Gegenüber oder aber beiden Menschen hilfreich und wegweisend sein kann.

»Immer ist die wichtigste Stunde die gegenwärtige; immer ist der wichtigste Mensch, der dir gerade gegenübersteht; immer ist die wichtigste Tat die Liebe.«

(Meister Eckhart, spätmittelalterlicher Theologe und Philosoph)

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Mein Patenonkel

Mein Patenonkel Christian Wais gehörte zu der Art glaubhafter Jesusnachfolger. Von seinen Lebensumständen her gesehen, wurde er sicher nicht verwöhnt. Eine Gasvergiftung mit langen Nachwirkungen, bis hin zur zeitweiligen Blindheit, der Verlust von Daumen und Finger einer Hand waren »Erinnerungen« seiner Teilnahme als Soldat an den sinnlos mörderischen Kämpfen während des Ersten Weltkriegs in Frankreich. Er gehörte zu einem Freundeskreis von sechs jungen Männern, die aus zwei eng benachbarten Ortschaften stammten, und nachdem sie fast gleichzeitig zum Glauben an Jesus Christus fanden, miteinander verbindlich lebten, nicht als Bewunderer, sondern als Nachfolger Jesu Christi. Missionarisch gesehen, waren sie keine »Unterlasser«, sondern »Unternehmer«, man konnte ihnen das Wort von Jesus abnehmen. Jeder der sechs, die ich alle persönlich kannte, hatte seine eigene, ganz individuelle Lebensführung. So hatte es sich ergeben, dass einige zwar durch Beruf, Familie und Dienst am Reich Gottes räumlich getrennt lebten, aber geistlich waren sie lebenslang eng miteinander verbunden, ohne Trübung ihres Verhältnisses durch irgendeine Wolke dazwischen. Mehrere dieses Freundesbundes wurden bekannte Persönlichkeiten, gründeten wichtige christliche Werke oder begleiteten sie verantwortlich. Psalm 32,8 ist in ihrer »Weggenossenschaft« Realität geworden: »Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du wandeln sollst; ich will dich mit meinen Augen leiten.« Wobei manche ihrer Wege zunächst weder gebahnt schienen noch lustig waren. Es waren Wege der Berufung und dadurch gangbar und keine Wege der Selbstbestimmung oder eigener Wahl.

Mit weltlichen Maßstäben gemessen, war mein Patenonkel zwar ein beliebter und geschätzter Mann, aber ansonsten wohl der Erfolgloseste der Freunde. Als Prediger und besonders auch als begabter Seelsorger leitete er ein Bibelseelsorgeheim. Als kleiner Bub durfte ich mit meinen Eltern in seinem Erholungsheim ein Wochenende verbringen, eine der wenigen Begegnungen und Erinnerungen. Bald aber häuften sich im Heim die Schwierigkeiten, zunächst durch eine Erkrankung seiner Frau, der Hausmutter des Heimes. Dazu gesellten sich die finanziellen Auswirkungen der damaligen Weltwirtschaftskrise und dann der immer stärker werdende Druck seitens der Nationalsozialisten. Aus wirtschaftlichen und besonders aus politischen Gründen musste das Heim aufgegeben werden. Mein Patenonkel zog nach Bayern, gründete dort eine Lebensmittelfabrik, war, auch kriegsbedingt, zunächst glänzend erfolgreich, dann aber wenige Jahre später der Konkurrenz der »Großen« nicht mehr gewachsen. Es war für ihn nicht einfach, diesen irdischen Verlust zu durchstehen und trotzdem getröstet zu sein.

Wie kam es aber, dass ausgerechnet er, neben manchen anderen, in meinem Leben bleibende Spuren hinterlassen hat? Man war in der damaligen Zeit nicht so mobil, hatte noch kein Auto, um weite Entfernungen zu überbrücken, auch das notwendige Geld fehlte. Deshalb habe ich meinen Patenonkel höchstens viermal in meinem Leben gesehen. Aber das Gebet kennt weder Bereichsgrenzen, noch hat es Entfernungsprobleme. Ich wusste mich umbetet von ihm, begleitet, umgeben aus der Ferne. Beten war für meinen Onkel Vertrauen mit Ausdauer, in sorgloser Heiterkeit und dem Wissen, der himmlische Vater hat noch viel mehr. Es war für ihn ein Lebensstil, ein Lebensprinzip in allen Situationen, ein Asyl für jeden Kummer.

Als der Zweite Weltkrieg begann, sollte ich im März 1940 in unserer Dorfkirche konfirmiert werden. Schon einige Zeit vorher wurde in der Familie die Frage gestellt, ob wohl der Patenonkel aus diesem Anlass zu uns kommen könnte. Aufgrund der Kriegssituation war eher nicht damit zu rechnen. Außerdem wurde einige Monate zuvor eine von meinem Vater geplante Zeltevangelisationswoche im Ort von den Nazis verboten, ein Pastor verhaftet und für Jahre im Konzentrationslager Dachau gefangen gehalten. Es kam der Tag der Konfirmation heran, von dem ich auch nur noch spärliche Erinnerungen habe. Zehn Tage vor dem Konfirmationstermin wurde ich 13 Jahre alt. Nach meinem heutigen Empfinden war ich für dieses Geschehen noch viel zu jung. Zu diesem Ereignis erwarteten wir – kriegsbedingt – nur eine Handvoll Verwandte. An ein größeres Fest wie heutzutage hat man damals nicht gedacht, das war so auch gar nicht üblich in unserer Familie. Am noch frühen Konfirmationsmorgen hörte man die Hausglocke läuten, und vor der Haustüre stand der Patenonkel. Wie der wohl den weiten Weg hergekommen war? Eine große Freude über diese schöne und perfekte Überraschung überkam uns, auch wenn für die Begrüßung und dem gemeinsamen Gang der Familie zum Gottesdienst nur wenig Zeit blieb. Ich empfand das alles äußerst spannend und aufregend, zumal damals vor überfüllter Kirche von jedem Konfirmanden Bibelworte und Teile des auswendig gelernten Katechismus aufgesagt werden mussten und ich pure Angst vor dieser großen »Öffentlichkeit« hatte.

Nun wandte mein Patenonkel sich mir zu und sagte ganz unvermittelt: »Wir beide gehen jetzt miteinander ins Nebenzimmer«, was dann auch so geschah. An den Inhalt des Gespräches, welches in der Kürze der Zeit stattgefunden hatte, kann ich mich nicht mehr so genau erinnern, umso tiefer aber hat sich das Nachfolgende bei mir eingeprägt. Mein Onkel sagte: »Jetzt knien wir an den Stühlen nieder und beten.« Es war für mich eine besondere »Gottesstunde«, die ich da erlebte, das Gebet dieses Gottesmannes, die Fürbitte für den kleinen Jungen, gerade so, als wollte er mich in das große Herz Gottes hineintragen. Dann legte er mir die Hände auf und segnete mich. Das war nicht spektakulär, das war heilige Natürlichkeit. Im Grunde ist es doch immer Gott selbst, der segnet, so wie er dem Abraham sagte: »Ich will dich segnen … und du sollst ein Segen sein« (1. Mose 12,2). Gottes Segenszusage ist ein Handeln, eine Zuwendung göttlichen Heils an Menschen und dazu benützt er auch in der Kraft Gottes handelnde Menschen. Ganz sicher hatte ich damals diese Erkenntnis nicht einmal in Spurenelementen, aber doch ein Erleben der Gegenwart des lebendigen, auferstandenen Herrn, eine prägende Realität, etwas, das bleibt, auch wenn es noch nicht eine Lebenshingabe an Christus, den Herrn, war. Aber ich habe die persönliche Erfahrung gemacht, einem »Bevollmächtigten des Christus«, einem Vorbild im Glauben, einem Segensträger begegnet zu sein. Was sollten gegenüber dieser Gottesstunde die durch die Kriegszeit sowieso spärlichen, kaum nennenswerten Konfirmationsgeschenke da noch eine Rolle spielen?

Dem mir bei der Konfirmation zugesprochenen »Denkspruch« aus 2. Timotheus 3,15: »Weil du von Kind auf die Heilige Schrift weißt, kann dich dieselbige unterweisen zur Seligkeit durch den Glauben an Christum Jesum«, konnte ich damals noch nichts Wesentliches abgewinnen.

Soweit ich mich entsinne, bin ich meinem Onkel dann anlässlich eines Gottesdienstes, den er gehalten hat, nur noch einmal begegnet. Aber die tiefen Eindrücke in meinem Leben blieben. Es hat noch lange gebraucht, bis ich etwas von dem verstanden habe, was Friedrich von Bodelschwingh mit seinem Ausspruch meinte: »Niemand empfängt einen Segen nur für sich selbst.«

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Meine Mutter

Es gibt einen etwas spitzen schottischen Ausspruch: »Ein Gramm Mutter ist mehr wert als ein Pfund Klerus.« Das ist wohl als Loblied für die Mutter gedacht, in das ich gerne einstimmen möchte.

Meine Mutter, Friederike Hänssler, geborene Leitenberger, kam 1887 auf einem kleinen Gehöft einer alten einsamen Mühle zur Welt. Ihre Jugend war geprägt von großer Armut, und ihre Mutter starb bei ihrer Geburt. Das hatte Folgen für die ganze Kindheit, welche alles andere als vergnüglich war. Die Stiefmutter konnte keine rechte Beziehung zu der kleinen Friederike aufbauen. Auch ihren Aufgaben schien sie wenig gewachsen zu sein. Schon als Kind musste Friederike im Sommer, noch vor Schulbeginn, ihrem Vater, der als »Straßenwart« für das Umfeld der Landstraßen zuständig war, mit der Sense beim Grasmähen und im Winter beim Schneeräumen helfen. Die Überanstrengung und Überbeanspruchung beeinflussten ihre körperliche Konstitution negativ und führten zu verschiedenen lebenslangen Leiden. Die Inanspruchnahme änderte sich auch nach ihrer Schulzeit nicht. Selbst als sie täglich zu Fuß mehrere Kilometer zur Arbeit in eine Weberei gehen musste, war trotz großer Anstrengung und spätem Nachhauseweg die Mithilfe bei der väterlichen Aufgabe unwiderrufliche Pflicht. Für heutige Verhältnisse ist das kaum nachzuvollziehen und unbegreiflich.

Vielleicht hat diese Notsituation die Sehnsucht nach Gott, nach seiner Liebe und Fürsorge erst so richtig entfacht. Als junges Mädchen wurde sie zu einer Zeltevangelisation in Stuttgart-Bad Cannstatt eingeladen. Dort sprach Jakob Vetter, der Gründer der Deutschen Zeltmission, die Menschen recht unverblümt und sehr direkt an: »Niemand hat triftigere Gründe, zum Arzt zu gehen, als der Kranke, und niemand hat mehr Grund, zu Jesus zu gehen, als der Sünder. Also, nicht länger gewartet, auf zum Heiland!« Diese eindeutige Verkündigung bewirkte eine Hingabe ihres Lebens an Jesus Christus und veränderte das Leben meiner Mutter. Sie brannte für Jesus, ganz im Sinne Jakob Vetters: »Ein Christ ist wie eine brennende Kohle. Entweder steckt er andere in Brand oder er geht aus.« Fröhlich sang sie nun Glaubenslieder. Als Haushaltshilfe bekam sie eine Anstellung im Hause eines kleinen Unternehmers und besuchte von nun an – was in ihrer Familie ganz unüblich war – die regelmäßigen Gottesdienste. Als aufmerksame Predigthörerin konnte sie anschließend Predigten erstaunlich gut wiedergeben, und sie lernte sehr viel Bibelworte und Gesangbuchlieder auswendig.

Der Sonnenschein in ihrem jungen Leben wurde durch Wolken verdunkelt. Ihre Schwester, die erste Frau meines Vaters, starb plötzlich innerhalb weniger Stunden an der asiatischen Grippe, nachdem zuvor ihr zweijähriges Kind zu Grabe getragen wurde. Mit einem einjährigen Kind war nun mein Vater allein und brauchte dringend Hilfe. Er fragte dann meine Mutter – die Schwester seiner ersten Frau –, ob sie nicht seine Frau werden wollte. Das war für sie keine leichte Entscheidung, zumal sich bei ihr eine immer stärker werdende schwere Asthmaerkrankung zeigte. Meine Mutter sah aber in dieser Anfrage eine klare Wegführung Gottes. Auch brachte sie sich in den gerade neu gegründeten Musikverlag meines Vaters tatkräftig mit ein. Mit ganzer Hingabe widmete sie sich der neuen Aufgabe. Die Weitergabe des Evangeliums war ihr wichtig, und sie sah darin eine Lebensaufgabe. Ich könnte mir nicht denken, wie mein Vater die Verlagsarbeit ohne ihren praktischen Einsatz bewältigt hätte.

Schwere Zeiten brachen über sie herein, als zwei ihrer Kinder kurz nach der Geburt starben. Fast untragbar war für sie, als ihre 17-jährige Tochter Anna von einer im Dorf grassierenden Diphtherieepidemie erfasst wurde und wenige Tage später verstarb. Anna war für sie ein wirklicher Sonnenschein, und trotz dem festen, im Wort Gottes gegründeten Glauben begann für sie eine Phase der Niedergeschlagenheit. Dazu gesellten sich noch die immer schwieriger werdenden Verhältnisse durch die Macht des Nationalsozialismus. Es war schwierig, die Angriffe auf die Familie, den Verlag, auf die Versammlung der Gläubigen und auch auf die Kirche zu bestehen. Später wurde der Verlag von den Nazis verboten, die Druckplatten mussten vernichtet werden. Zudem hatte meine Mutter immer wieder Krankheitszeiten zu überwinden. Als sie einmal wieder dem Tode sehr nahe war, besuchte sie der Gemeinschaftsinspektor des Gemeinschaftsverbandes. Er fragte sie: »Rikele (das ist die schwäbische Form von Friederike), wie geht es dir?« Darauf antwortete die Schwerkranke nur: »Friede wie ein Wasserstrom«, und zitierte damit Jesaja 48,18. So lebte sie im Wort Gottes. Die Bibel war ihr lieb und wichtig. Vor allem Gebet bestimmte ihr Leben. Meist betete sie kniend und für viele Menschen namentlich, natürlich auch sehr intensiv und anhaltend für mich, sie wollte mich Gott ganz weihen. Dabei hatte sie die ganze Welt im Blick. Ihre Mitarbeit im Deutschen Frauen-Missions-Gebetsbund war ihr nicht Pflicht, sondern Freude.

Sie nahm sich eigentlich nie Zeit für Urlaub. Das hatte auch finanzielle Gründe, aber mehr noch die Aufgabe an Menschen, die heimatliche Bodenhaftung und die Verantwortlichkeit für ihr Umfeld. Als es nach Jahren gelungen war, sie zu einem Urlaub in einem Freizeitheim zu bewegen, wurde sie zum Bahnhof gebracht. Noch auf den Stufen zum Bahngleis blieb sie stehen, drehte sich zu den Abschiedwinkenden um und sagte nur laut und deutlich: »Heim, ach, nur heim.«

Obwohl sie sehr krank war, kaufte sie die Zeit aus, weil die Ewigkeit drängte. Sie lebte nicht an den Aufgaben vorbei, die das Leben stellte, und manchmal musste ich sie bremsen, wenn sie mit letzter Kraft arbeitete und dann fast alles an viele Menschen verschenkte. All die Schwierigkeiten konnte sie nur durchhalten, weil sie sich selbst von Gott gehalten wusste.

Sie wünschte mir als jüngstes Kind, dass ich Verkündiger des Evangeliums werden sollte, und nannte mich deshalb mit meinem ersten Vornamen Samuel – der von Gott Erbetene. Ihre Liebe zu mir zeigte sich in vielfältiger Weise. So zum Beispiel im regelmäßigen Schreiben von Briefen, als ich während des Krieges Soldat war, oder dass sie mich, trotz Asthma und großem Kraftaufwand, in meiner Universitätsstadt besuchte. Für viele Menschen im Dorf hatte sie etwas übrig, manchmal bis an den Rand ihrer körperlichen Möglichkeiten. Nachts klammerte sie sich oft lange an die geöffneten Fenster im Schlafzimmer, um nach einem Asthmaanfall nach Luft zu ringen. Die ersten Enkel waren für sie eine große Freude. Es schien, als wollte sie alle Liebe, die sie ihren eigenen drei Kindern, die bereits gestorben waren, zugedacht hatte, auf die Enkel konzentrieren. Bis heute bewegt es mich, wie sie als leidende Frau den Gottesdienstbesuch fast nie versäumte und immer noch irgendwelche Gottesdienstbesucher zum Mittagessen oder anschließend an die Nachmittagsversammlungen zum Kaffee einlud. Das war praktische Bibelauslegung und gelebte Gemeinschaft.