Usedom-Krimi 2: Das Flüstern der alten Kiefern
Usedom Verbrechen Band 2: Hannah Thomsen & Leo Bergmann
Mirko Kukuk
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[email protected] Unterstützung bei Text/Bild: GeminiDie in diesem Buch dargestellten Figuren und Ereignisse sind fiktiv. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder toten realen Personen ist zufällig und nicht vom Autor beabsichtigt.
Inhalt
Titelseite
Impressum
Prolog
Charakterprofile: Steckbrief
Kapitel 1: Der Fund im Moor
Kapitel 2: Ein Erbe voller Neid
Kapitel 3: Alte Legenden, neue Konflikte
Kapitel 4: Digitale Spuren im Wald
Kapitel 5: Der Widerstand der Dorfgemeinschaft
Kapitel 6: Der Schatten der Vergangenheit
Kapitel 7: Das geheime Treffen
Kapitel 8: Ein Geständnis unter Druck
Kapitel 9: Der verborgene Schatz
Kapitel 10: Die Wahrheit der Kiefern
Kapitel 11: Ein Doppelspiel
Kapitel 12: Der Betrug des Bewahrers
Kapitel 13: Die Falle im Moor
Kapitel 14: Das Geständnis unter dem Mond
Kapitel 15: Echoes in the Dunes
Epilog
Nachwort:
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Prolog
Der Wind, der über die Dünen von Usedom fegte, war mehr als nur eine Brise; er war ein altes Flüstern. Er trug den salzigen Geruch der Ostsee, das Rascheln der Kiefern und die unausgesprochenen Geheimnisse einer Insel, die Jahrhunderte von Geschichten in ihren Mooren und Wäldern barg. In dieser Nacht, in der die Sterne kaum durch die dichten Wolken drangen, war das Flüstern lauter als sonst. Es sprach von altem Unrecht, von verborgenen Schätzen und von einer Gier, die älter war als die ältesten Bäume. Tief im Zempiner Moor, wo das Land weich und verräterisch war, sollte dieses Flüstern einen blutigen Höhepunkt finden. Ein Mann würde stürzen, nicht durch Zufall, sondern durch die unerbittliche Macht der Vergangenheit und der menschlichen Habgier, die ihn fest im Griff hatte. Und mit seinem Tod würde eine Lawine von Enthüllungen ins Rollen kommen, die die Fassade einer angesehenen Familie für immer zerreißen würde. Die Insel hatte schon viele Geheimnisse begraben, doch dieses würde nicht schweigen.
Charakterprofile: Steckbrief
Kommissarin Hannah Thomsen
Name: Hannah Thomsen Dienstgrad: Kriminalkommissarin Alter: Ende 40 Dienstort: Kripo Ahlbeck, Usedom Besondere Merkmale: Intuitive und scharfsinnige Ermittlerin mit tiefer Kenntnis Usedoms. Ihre direkte Art und pragmatische Herangehensweise verbergen eine große Empathie für die Opfer und einen unerschütterlichen Gerechtigkeitssinn. Sie verlässt sich auf ihr Bauchgefühl, ergänzt durch jahrelange Erfahrung. Hannah ist geerdet und lässt sich nicht vom äußeren Schein täuschen, sondern sucht stets nach der menschlichen Geschichte hinter dem Verbrechen. Ihre Stärke liegt im "Zwischen-den-Zeilen-Lesen" und dem Entschlüsseln komplexer Beziehungsgeflechte.
Kommissar Leonard "Leo" Bergmann
Name: Leonard "Leo" Bergmann Dienstgrad: Kriminalkommissar (Cyber-Forensiker) Alter: Anfang 30 Dienstort: Kripo Ahlbeck, Usedom Besondere Merkmale: Das digitale Genie des Teams, spezialisiert auf Cyber-Forensik und Datenanalyse. Leo ist ruhig, analytisch und oft in seine Bildschirme vertieft. Er besitzt eine außergewöhnliche Fähigkeit, komplexe digitale Spuren zu entschlüsseln, von verschlüsselten Chats bis zu gelöschten Dateien. Während Hannah die menschliche Seite eines Falles beleuchtet, taucht Leo in die Tiefen des Internets ein, um entscheidende Muster und Beweise zu finden. Seine akribische Arbeitsweise und sein technisches Know-how machen ihn zum unverzichtbaren Gegenpart zu Hannahs intuitiver Herangehensweise.
Kapitel 1: Der Fund im Moor
Der Morgen auf Usedom hatte jene trübe, feuchte Schwere, die sich tief in die Knochen zu graben schien. Ein grauer Himmel hing wie ein nasser Schwamm über der Insel, und der Wind trug den salzigen Geruch der Ostsee landeinwärts, vermischt mit dem erdigen, modrigen Aroma des Moors. Für Kriminalkommissarin Hannah Thomsen, Ende 40 und gestählt von unzähligen Usedomsommern und noch mehr Usedomsommer-Kriminalfällen, war dies ein typischer Herbsttag. Sie stand am Rande eines Birkenwäldchens, das in das weitläufige Zempiner Moor überging, die Hände tief in den Taschen ihrer wetterfesten Jacke vergraben. Ihr Blick wanderte über die Szenerie, die sich vor ihr ausbreitete: Blaulicht schimmerte diffus durch den Nebel, uniformierte Beamte bewegten sich wie gespenstische Silhouetten.
Ein Notruf hatte sie hierhergebracht, mitten in die unheimliche Stille eines Ortes, den selbst die Einheimischen mieden. Ein Spaziergänger mit Hund, der sich offenbar in die Tiefen des Moores verirrt hatte, war auf etwas gestoßen, das er nie vergessen würde. "Leiche im Moor", hatte es am Telefon geheißen, kurz und prägnant. Aber Hannah wusste, dass hinter dieser nüchternen Meldung immer eine Geschichte steckte, eine, die sie nun entwirren musste. Ihre Intuition, die sie nie im Stich ließ, sagte ihr, dass dieser Fall komplizierter werden würde als ein bloßer Unfall. Das Zempiner Moor gab seine Geheimnisse nur widerwillig preis.
Neben ihr stand Leonard „Leo“ Bergmann, Anfang 30, Hannahs jüngerer Kollege. Leo war das genaue Gegenteil von Hannahs erdverbundener, pragmatischer Art. Er war das digitale Gehirn des Duos, ein Meister der Datenanalyse und des Spurenlesens im Netz. Während Hannah die menschlichen Abgründe erforschte, tauchte Leo in die digitalen Tiefen ein, um IP-Adressen, Chatverläufe und gelöschte Dateien zu entschlüsseln. Jetzt stand er, die Hände in den Hosentaschen seines winddichten Parkas vergraben, den Blick konzentriert auf sein Smartphone gerichtet. Er tippte und wischte, während er der Funkverbindung der Kollegen lauschte, die sich tiefer ins Moor vorwagten. Selbst hier, im Matsch und Morast, war Leo in seiner eigenen, digitalen Welt zu Hause.
„Keine klaren Spuren im direkten Umfeld, Hannah“, meldete sich der Kollege von der Spurensicherung, Hauptmeister Meier, als er aus der morastigen Tiefe auftauchte, seine Stiefel klatschten schmatzend im Schlamm. „Die Oberfläche ist zu weich, alles verwischt. Und der Regen…“ Er zuckte mit den Achseln. Hannah nickte. Das war zu erwarten gewesen. Das Moor war ein Meister der Vertuschung.
Sie machten sich auf den Weg zum Fundort. Der Pfad war tückisch, die feuchte Erde gab bei jedem Schritt nach, und der Geruch von Schwefel und faulenden Pflanzen wurde stärker. Hannah, aufgewachsen in der Region, kannte die Gefahren des Moores. Sie wusste, wo man auftreten konnte und wo der Boden nur eine dünne Kruste über dem tödlichen Morast war. Leo folgte ihr aufmerksam, seine Schritte vorsichtig, aber zielstrebig. Er vertraute Hannahs Ortskenntnis blind.
Ein kleines Team der Spurensicherung hatte den Fundort bereits großräumig abgesperrt. Im Zentrum, halb im dunklen Wasser, halb im aufgeweichten Moorbeet, lag er. Ein Mann mittleren Alters, gekleidet in eine hochwertige Outdoor-Jacke, die nun von Schlamm und Moorwasser durchtränkt war. Sein Gesicht war bläulich angelaufen, die Augen glasig, der Ausdruck starr und leer. Es war Reinhart Schönborn. Der Name allein rief in Hannah sofort eine Reihe von Assoziationen hervor. Schönborn – ein alteingesessener Name auf Usedom, Synonym für Tradition, aber auch für Besitz und, in jüngster Zeit, für Kontroversen. Er war ein Bauunternehmer, der in den letzten Jahren immer wieder Schlagzeilen gemacht hatte, nicht immer positive.
„Keine offensichtlichen Verletzungen“, informierte sie der Notarzt, der sich über die Leiche beugte und den Kopf schüttelte. „Zumindest keine, die auf den ersten Blick erkennbar wären. Keine Einstiche, Schusswunden oder schwere äußere Gewalteinwirkung.“ Hannah kniete vorsichtig nieder, um einen besseren Blick zu bekommen. Die Kleidung war intakt, aber von Schlamm bedeckt. Ihr Blick fiel auf die Hände des Toten, die seltsam verkrampft waren, als hätte er sich an etwas festgehalten, bevor er loslassen musste.
„Wie lange liegt er schon hier?“, fragte Hannah. „Schwer zu sagen, bei diesen Temperaturen und im Moorwasser“, erwiderte der Notarzt. „Aber ich würde sagen, nicht länger als 24 Stunden. Eher weniger.“ Hannahs Blick schweifte über die Umgebung. Das Moor war hier besonders dicht, die Kiefern standen eng beieinander, ihre Äste verhakt und dunkel. Keine Lichtung, kein offener Blick. Man konnte sich hier leicht verirren, wenn man nicht ortskundig war. Aber Reinhart Schönborn war ortskundig, sehr sogar. Er kannte jeden Winkel Usedoms. Ein Unfall? Kaum vorstellbar.
„Leo, check mal die Wetterdaten der letzten Tage“, bat Hannah. „Regen, Wind, Temperaturen. Alles, was für einen Unfall relevant sein könnte.“ Leo nickte, ohne den Blick vom Bildschirm zu heben. „Schon dabei. Und ich werte die erste Funkmeldung des Finders aus. Vielleicht gibt es da Details, die uns helfen.“ Während die Spurensicherung damit begann, die Leiche vorsichtig zu bergen und die unmittelbare Umgebung abzusuchen, zog sich Hannah ein Stück zurück. Sie schloss die Augen, atmete tief ein, versuchte, die Gerüche des Moores zu entschlüsseln, die Stimmungen des Ortes aufzunehmen. War hier Panik gewesen? Kampf? Oder einfach nur das lautlose Versinken in den dunklen Tiefen?
„Kein Handy, keine Geldbörse, keine Papiere am Mann“, meldete Hauptmeister Meier wenig später. „Wir haben die Taschen durchsucht. Nichts außer einem Schlüsselbund.“ Hannah runzelte die Stirn. Das war ungewöhnlich. Ein Bauunternehmer wie Schönborn, der immer erreichbar sein musste, ohne Handy? Und keine Papiere? Das roch nach Vertuschung. „Sucht weiter, jeden Quadratzentimeter. Vielleicht ist ihm etwas beim Sturz aus der Tasche gefallen.“
Leo kam zu ihr, sein Gesicht ernst. „Das Handy des Finders hat keine Geodaten gespeichert, die uns direkt hierher führen würden. Er hat es erst am Moorrand eingeschaltet, um den Notruf abzusetzen. Aber…“ Leo hielt inne, sein Finger fuhr über den Bildschirm. „Ich habe die Route des Hundesporthalsbands auslesen können. Das GPS-Signal ist schwach, aber es zeigt eine sehr unregelmäßige Zickzack-Bewegung kurz vor dem Fundort. Als ob der Hund etwas gewittert hätte, dem er gefolgt ist. Oder als ob er versucht hat, sich aus etwas zu befreien.“
Hannahs Blick traf Leos. „Spannend. Kannst du die Route genauer rekonstruieren?“ „Ich kann versuchen, die Koordinaten mit den örtlichen Geodaten abzugleichen. Vielleicht gibt es Auffälligkeiten in der Topografie, die zu einer Stolperfalle passen würden. Oder eben nicht.“ Leo hatte bereits sein Laptop und eine portable Satellitenantenne ausgepackt und begann, sich inmitten des schlammigen Untergrunds einzurichten. Er war in seinem Element. Während andere im Morast verzweifelten, sah er in der Komplexität der Daten eine Herausforderung.
„Unfall oder Mord?“, murmelte Hannah leise vor sich hin, mehr zu sich selbst als zu Leo. „Die erste Einschätzung tendiert zum Unfall, Hannah“, sagte Leo, ohne aufzusehen. „Zumindest, wenn man die oberflächlichen Befunde und die tückische Natur des Moores betrachtet. Aber…“ Er hob den Blick, seine Augen trafen ihre. „Du denkst anders, stimmt’s?“ Hannah nickte langsam. „Ein Mann wie Schönborn verirrt sich nicht so leicht. Und die fehlenden persönlichen Gegenstände… das riecht nicht nach Pech. Das riecht nach Absicht. Jemand wollte nicht, dass wir seine Identität sofort herausfinden, oder er wollte etwas vertuschen.“
Sie beschloss, noch vor Ort die ersten Schritte der Ermittlung einzuleiten. Sie teilte die Aufgaben ein: Ein Team sollte das Haus von Reinhart Schönborn durchsuchen, nach Hinweisen, nach fehlenden Gegenständen, nach möglichen Motiven. Ein weiteres Team sollte die Familie informieren und erste Kontakte herstellen. Und Leo würde sich um die digitalen Spuren kümmern, die, wie Hannah wusste, oft die entscheidenden Hinweise lieferten, auch wenn sie nicht offensichtlich waren.
Die Bergung der Leiche war eine mühsame Arbeit. Die Gerichtsmedizin würde später die genaue Todesursache feststellen müssen. Doch Hannahs Bauchgefühl, ihre langjährige Erfahrung im Umgang mit den Abgründen der menschlichen Seele auf dieser scheinbar so friedlichen Insel, sagte ihr, dass Reinhart Schönborn nicht einfach gestolpert und im Moor versunken war. Jemand hatte nachgeholfen. Und dieser Jemand hatte einen guten Grund gehabt, Schönborn schweigen zu lassen. Das Flüstern der alten Kiefern, das im Wind über das Moor strich, schien ihr zuzurufen, dass hier ein dunkles Geheimnis begraben lag, das weit über den Tod eines Bauunternehmers hinausging. Usedom hatte wieder einmal seine dunkle Seite gezeigt, und Hannah Thomsen war bereit, in sie einzutauchen.
Kapitel 2: Ein Erbe voller Neid
Der Geruch von Kaffee lag schwer in der Luft des kleinen Besprechungsraums im Polizeipräsidium Ahlbeck, vermischt mit dem kaum wahrnehmbaren Hauch von Reinigungsmitteln und altem Papier. Draußen kletterte die Sonne zaghaft über die Dächer, versprach aber nur wenig Wärme. Für Hannah Thomsen und Leo Bergmann war der Morgen jedoch bereits voller Anspannung. Auf dem Whiteboard prangte ein unscharfes Foto von Reinhart Schönborn, darunter eine Liste erster Fakten, die Leo akribisch zusammengetragen hatte.
„Also“, begann Hannah, stützte die Ellbogen auf den Tisch und rieb sich die Schläfen. „Reinhart Schönborn, 58 Jahre alt, Bauunternehmer, verheiratet, keine Kinder. Seit drei Generationen auf Usedom ansässig. Ruf: umstritten, aber einflussreich.“ Sie hob eine Augenbraue. „Der Mann hatte Feinde, das ist klar.“