Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Dr. Ernst Werner (1907-1986) wurde in Lodz in der deutschen Minderheit geboren. Er studierte in Leipzig Philologie und promovierte dort 1933. Anschließend ging er nach Polen zurück und arbeitete als Gymnasiallehrer, zuerst in Lodz und dann in Lissa. Seine Haupt-Unterrichtsfächer waren Latein, Griechisch und Philosophie. Nach dem Krieg arbeitete Werner zuerst im Kultusministerium von NRW. Von 1949 bis 1957 war er dann Schulleiter am Engelbert-Kaempfer-Gymnasium in Lemgo, von 1958 bis 1960 am humanistischen Gymnasium in Bochum. Mit Ernst Schütte wechselte er nach Hessen, wo er 1960 bis 1961 das humanistische Gymnasium in Darmstadt und von 1961 bis 1970 die Ricarda-Huch-Schule in Gießen leitete. Werner war ein moderner Pädagoge (zwanzig Jahre seiner Zeit voraus), der auch immer wieder provozierte. Zu seinen markantesten Sprüchen zählte: "Ich verbiete euch zu gehorchen", "Ich will aus den Kindern von Nazis gute Menschen machen" und "Wenn euch ein Lehrer schlägt, dürft ihr zurückschlagen". Während viele seiner Schüler ihn verehrten, hatte er oft Konflikte mit konservativen Lehrern und Eltern. Schon 1988 erschien ein Buch ehemaliger Lemgoer Schüler über Ernst Werner, bezeichnenderweise mit dem Titel "Ich verbiete euch zu gehorchen". Das neue Buch ist eine heitere Ergänzung, mit viel neuem Material und Fotos, gerade auch über die Stationen Bochum, Darmstadt, Gießen und Wetzlar. Nach dem Lesen versteht man auch, warum Werner gelegentlich als um zwei Stufen härter bezeichnet wird als der Lehrerheld im Film "Der Club der toten Dichter" (von 1989).
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 56
Veröffentlichungsjahr: 2022
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Ernst Werner als Lesender in Lemgo, mit einer Karikatur aus Bochum von 1961, und drei Unterschriften von 1946, 1956, 1966
„Manchmal habe ich bedauert, Schulleiter zu sein. So konnte ich in meiner Vorbildrolle keinen Schabernack treiben, obwohl genug Ideen da waren.“ Das beichtete ein im Schulwind erfolgreich ergrauter Stratege.
Ernst Werner, eigentlich Dr. Ernst Werner (1907-1986), hatte weniger Hemmungen. Mit Begeisterung haute er dazwischen, provozierte und polarisierte. Für ihn war das aber oft kein Schabernack, sondern bitterer Ernst, unter anderem in seiner ersten Schulleiter-Stelle am Engelbert-Kaempfer-Gymnasium (kurz EKG) zu Lemgo.
Blick auf das EKG, 50 Jahre nach Ernst Werner
Acht Jahre hielt er es in der Lippischen Hansestadt aus, dann hatten sich Widerstände und Unzufriedenheit im Kollegium und bei Eltern so sehr aufgebaut, dass es für Werner keinen anderen Weg als eine Krankschreibung und anschließende Versetzung an ein Gymnasium im Ruhrgebiet gab.
Schon 1988 und 1990 erschienen zwei Bücher über Ernst Werner, herausgegeben von ehemaligen Lemgoer Schülern. Das erste trug als Titel Werners wiederholten Ausspruch: „Ich verbiete euch zu gehorchen!“ Durch diesen Satz wurde ich überhaupt aufmerksam auf Werner. Bei Recherchen fanden sich etliche Werner- und EKG-Schüler, die am Telefon gar nicht groß ermuntert werden mussten, sondern sofort mit Erinnerungen an ihn und die 1950er Jahre am EKG loslegten.
Seit 1988/1990 sind schon wieder drei Jahrzehnte vergangen. Es gelang, in Archiven und bei Zeitzeugen in Lemgo, Bochum, Darmstadt, Gießen, Wetzlar und Leipzig Material zu sammeln. Das Ergebnis ist dieses kleine heitere Büchlein - aber nicht deshalb klein, weil es nicht mehr Stoff gab, sondern weil ich mich darauf beschränkte, nur das Beste vom Besten aufzunehmen.
Wenigzeit-Inhaber mögen zunächst einfach nur durchblättern, die Fotos und Überschriften wirken lassen und von Fall zu Fall entscheiden, welche Kapitel lesenswert erscheinen. Wer den Film 'Der Club der toten Dichter' (1989) nach dem Drehbuch von Tom Schulman kennt, wird Parallelen finden, wobei für mich Ernst Werner schon zwei Klassen härter war als der Lehrer Keating („O Captain, mein Captain“) im Film.
Die letzten Korrekturfahnen schaue ich gerade auf einem Bänkchen auf dem EKG-Schulhof durch - und hoffe auf freundliche Aufnahme durch die Öffentlichkeit. Vielleicht wird es mittelfristig auch ein Theaterstück zu Ernst Werner geben.
Lemgo, den 29. Mai 2022 Ingo Althöfer
Ernst Werner mit Karikatur und Signaturen
Vorwort
Inhalts-Verzeichnis
Prolog:
Der gute alte Engelbert
Leipzig 1928 – Also sprach Zarathustra
Der Entnazifizierungs-Bogen
Ernst Werners Beginn in Lemgo
Ernst Werners Sprüche und ein Huttrick
Dr. Herbert Hitzemann (1916-1997)
Ernst Werner als Lehrer und Schulleiter
Erinnerungen von Eberhard Schröder
Prof. Dr. Theodor Litt (1880-1962)
Die eigentliche Leiterin des EKG
Kantor Walther Schmidt (1913-1991)
Erinnerungen von Elmar Buck
Ernst Werner als Direktor in Bochum
Eindrücke zu Ernst Werner (von M. Wallerath)
Ernst Werner in Darmstadt
Elternabend mit Finale Furioso
Darmstadt und Direx und Dalida
Ernst Schütte (1904-1972)
An der Ricarda-Huch-Schule in Gießen
Geschwister Werner bei und in Wetzlar
Palim Palim!
Jürgen (Piko) Schulten
Danksagungen
Foto-Nachweise
Namens-Register
Quellen
Es ist die Nacht vom 4. auf den 5. April 1958. Dunkle Nacht, Nebelschwaden, keine Menschenseele unterwegs. Keine Menschenseele? Doch, eine Gruselgestalt wankt auf der Straße von Lieme in Richtung Lemgo. Schon ahnt der Verlumpte die Türme von St. Nikolai am Horizont.
Aber da ist noch ein Mann, einer mit Taktstock. Er kommt dem Gespenst aus Lieme entgegen, blickt entsetzt auf den Ur-Ur-Ur-Greis und fragt: „Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ Der Alte antwortet mit ungeölter Stimme: „Ich bin Engelbert Kämpfer [absichtlich mit ä] und komme vom Friedhof an der Liemer Kirche. Vorhin hat es an mein Grab geklopft: 'Engelbert. Engelbert! Aufstehen! Du musst nach Lemgo. Dort ist wieder etwas Schlimmes im Gange.' Da habe ich mich auf den Weg gemacht, übrigens das erste Mal seit 242 Jahren. Was ist denn los? Wo wollen Sie überhaupt in dieser dunklen Nacht hin?“
„Mein Name ist Schmidt, Walther Schmidt, Kantor von Sankt Marien. Vorhin hatten wir die Aufführung der Matthäus-Passion. Sehr aufwühlend. Jetzt bin ich auf dem Weg zu Liesegang.“ „Liesegang? Der, wo man Bollerwagen leihen kann? Dass es den immer noch gibt.“ „Ja, der Liesegang. Aber der dreht inzwischen ein großes Rad. Er hat LKWs am Laufen, und Käfer kann man auch bei ihm mieten.“ „Käfer? Maikäfer wie die von der Maibolte?“ „Nein, viel größere. Da kann man sich sogar als Mensch reinsetzen und durch die Gegend düsen. Hat übrigens einen luftgekühlten Motor, so ein Käfer. Ganz apart.“ Engelbert: „Ich verstehe nur Bahnhof. Naja, macht nix. Aber warum wurde ich aus meinem Grab geklopft?“
WS: „Es ist etwas Schlimmes im Gange!“ EK: „Naja, schlimmer als die Hexenverfolgung in meinen jungen Jahren kann es doch kaum sein.“ WS: „Sie Glücklicher. Seien Sie froh, dass Sie die Nazi-Zeit nicht miterlebt haben. Die Nazis hatten null Hemmungen. Sie haben sogar das Gymnasium nach Ihnen benannt!“ EK: „Das ist es also?!“ WS: „Nein, ganz frisch. Ernst Werner, der beste Schulleiter, den die Schule in Lemgo je hatte, wird aus der Stadt vertrieben. Ich muss ihn und seine Privatbibliothek jetzt gleich zum Nachtzug nach Altenbeken bringen, mit dem Käfer.“
Plötzlich rüttelt es an meiner Schulter, „Ingo, Ingo! Du schreist im Schlaf. Was ist denn los?“ Schweißgebadet komme ich zu Sinnen und merke, dass ich im Bett liege, neben mir die treu sorgende Ehefrau. Ich schaue in ihr erschrecktes Antlitz, muss mich erst sammeln... Tja, wenn man 16 Stunden am Tag an einem Buchprojekt zu Ernst Werner sitzt, dann lässt es einen auch im Schlaf nicht los.
Im Kapitel zu Kantor Schmidt wird die wirklich 1958 passierte Fahrt von Walther Schmidt und Ernst Werner nach Altenbeken beschrieben.
Hinten auf dem Motorrad sitzt nicht Engelbert Kaempfer, sondern Karl Meier, 1946
Der Mitstudent Harm Klugkist erinnerte sich 1987 an eine Nacht in Leipzig (Text gefunden im Nachlass von Volkhard Brandes): Leipzig, so um 1928, privater Saufabend. 5 Lodzer Kommilitonen - 2 Flaschen Rum, 2 Flaschen Cognac, je 1 Liter, sind ausgetrunken, eine Literflasche Kölnisch Wasser steht noch da. Einer schenkt sich davon ein, alles lacht. Kurz danach ist auch diese Flasche leer - wir haben alle davon getrunken.
Nichts Trinkbares mehr da; wir gehen sehr laut die Treppe hinunter. Ein Polizist steht da. Ernst [Werner] sieht ihn, zieht einen Bademantel an, der an der Tür hängt, und deklamiert „Also sprach Zarathustra, und also wiederholten es sein Propheten ...“ Der Polizist muss lachen und verschwindet. Also hatte Ernst Werner schon als Student theatralische Gaben.
4711 Echt Kölnisch Wasser und Bademantel 2022