Vier Wochen eines Sommers - Siegfried Maaß - E-Book

Vier Wochen eines Sommers E-Book

Siegfried Maaß

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Beschreibung

Cornelia, sechzehn Jahre alt, liebt Manuel aus Mocambique, doch nicht immer ist es für sie leicht, zu dieser Liebe zu stehen und sich gegen die Vorurteile von Eltern und Freunden zu behaupten. Manuel gehört zur FRELIMO und seine Heimat kämpft noch für die nationale Unabhängigkeit. Endlich sind dir vier Wochen um, in denen Manuel seine Eltern in Mocambique besuchen durfte. Doch er steigt nicht aus dem Bus, der vom Flugplatz Berlin-Schönefeld kommt. LESEPROBE: Kaum habe ich auf den Vorseiten von meinem öffentlichen Bekenntnis zu Manuel berichtet und mich verständnisvoll für die Unterstützung seines Volkes ausgesprochen, da geschieht etwas so Entsetzliches, dass ich an der Aufrichtigkeit meiner Worte zweifele und mich fragen muss, ob dieses Opfer nicht ein viel zu hoher Preis für unsere Unterstützung ist: Stefan Dörfelt ist in Mocambique konterrevolutionären Banditen zum Opfer gefallen und ermordet worden. So steht es in der Zeitung. Ich streiche die Zeitungsseite glatt und starre auf die kurze Mitteilung ..., fassungslos ..., sprachlos ..., arme Susanne! Was wird sie jetzt tun? Kann sie überhaupt mit diesem furchtbaren Schmerz weiterleben? Ich weiß, dass man es kann und verstehe es nicht. Auch mein Vater konnte es. Aber er hatte uns. Susanne ist allein. Ich muss zu ihr ... In Mocambique ermordet! Wo? Auf der Station? Oder unterwegs im Busch? Stefan selbst hatte damals gemeint, der Posten auf dem Hügel in der Nachbarschaft des Apondeiro wäre unnütz, eine übertriebene Vorsicht, denn bis an die von Soldaten geschützte Station würden sich die Banditen nicht heranwagen. Ist er nun ein Opfer seiner Leichtgläubigkeit geworden? Hat er leichtfertig bestimmte Maßnahmen zu seiner Sicherheit missachtet? Ich werde es wahrscheinlich nie erfahren. Aber es ist auch gleichgültig. Nur dass er tot ist, zählt ... Ich muss zu Susanne. Seit wann weiß sie es? Und wer hat diese furchtbare Nachricht überbracht? Ich sehe sie und Stefan noch am Tisch im Jugendklub sitzen. Sie hielten sich an den Händen ... In Mocambique hatte sich Stefan einen Bart wachsen lassen. Ich habe ihn jedoch nur glatt rasiert kennengelernt, weil ihn Susanne hier zu Hause nicht „verwildert“ haben wollte. Er redete nicht viel damals, und als ich ihm keine Ruhe ließ und ihn immer wieder nach seinen Erlebnissen in Mocambique fragte, gab er nur knapp Auskunft ... Ich glaube, er wollte sich einfach nicht von mir ausfragen lassen.

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Impressum

Siegfried Maaß

Vier Wochen eines Sommers

ISBN 978-3-95655-207-6 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien erstmals 1989 im Verlag Neues Leben, Berlin.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

© 2014 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Ohne Maria und Alberto, Benedito und Eddi wäre dieses Buch nicht entstanden. Ihnen und allen anderen, die mich verständnisvoll unterstützten, gilt mein herzlicher Dank.

Sonnabend, 12. Juli

Seit heute bin ich nun allein ...

Gestern Nachmittag war ich heimlich losgefahren. Ich wollte Manuel unbedingt noch einmal sehen, bevor er für die nächsten vier Wochen in seine Heimat flog, und außerdem dabei sein, wenn sein Flugzeug in die Luft stieg. Auf einen Zettel hatte ich geschrieben, dass sie sich keine Sorgen machen sollten. ‚Morgen Abend bin ich zurück und werde Euch alles erklären. Eure Conni.‘

Nun bin ich wieder zu Hause und will ihnen alles erklären, aber mein Vater spricht nicht mit mir, und Elke hat mich nur flüchtig an sich gezogen und mir zugeflüstert, dass sie später zu mir kommen würde ... Also wenn Vater zur Nachtschicht gegangen war.

Ich warte, dass es endlich so weit ist. Dann möchte ich schnell ins Bett und schlafen, nichts weiter als schlafen.

Im Zimmer nebenan toben meine kleinen Geschwister wie jeden Abend; je früher Elke sie ins Bett schickt, desto länger sind sie munter. Wahrscheinlich spielen sie wieder Zirkus, wobei Evchen in ihrem Flatterhemd auf Gert reiten muss, der sich eine Decke übergeworfen hat und nun ein Kamel ist. Evchen wird kräftig die Peitsche schwingen, wozu ihr die Fliegenklappe dient, die sich in diesem Sommer immer in Reichweite befindet. Katrin und Marlene stellen das Publikum dar, das begeistert in die Hände klatscht und die Artisten zu immer neuen Kunststücken anspornt ... Weiß ich alles, ohne dabei zu sein. Als könnte ich durch die Wand hindurchsehen. Oft genug bin ich mit ihnen umhergetollt, und auch Manuel haben sie nicht verschont, der dabei immer ganz unbeholfen und verlegen wirkte. Wenn er trotzdem mitmachte, geschah es wohl hauptsächlich meinetwegen.

Heute lassen sie mich zum Glück in Ruhe. Kann aber auch sein, dass Vater ihnen eingebläut hat: Zuerst habe ich mit Conni ein ernstes Wort zu reden ... Doch warum kommt er dann nicht?

Es war schon dunkel, als ich in Schönefeld ankam. Erst in diesem Augenblick dachte ich daran, dass ich noch die ganze Nacht vor mir hatte, bevor ich Manuel sehen könnte. Um diese Zeit lag er längst im Bett. Ob er schlafen konnte, weiß ich nicht. Er glaubte selbst nicht daran, als ich ihn vorgestern danach fragte. Er hatte nur gelacht und gemeint, dass er vielleicht vor Aufregung keine Ruhe finden würde, denn er käme nun nach drei Jahren zum ersten Mal wieder nach Hause.

Das verstehe ich gut. Ich würde kein Auge zumachen können, wenn ich eine so lange Reise vor mir hätte, egal, wohin. Aber dazu wird es vorläufig nicht kommen. Ich freue mich für dich, Manuel, ich freue mich, dass du zu den Schülern gehörst, die in den Ferien nach Mocambique zu ihren Familien reisen dürfen. Habe ich wirklich so zu ihm gesagt. Aber meine Freude hatte einen undankbaren und egoistischen Bruder - meinen Trennungsschmerz, der sich breit und stark machte. Das habe ich jedoch nicht erwähnt. Manuel hätte es vielleicht nicht verstehen können. Er ist sehr empfindsam und kann böse werden, wenn er glaubt, jemand sage etwas gegen ihn oder sein Land ... Er hat doch gar keinen Grund, mir gegenüber misstrauisch zu sein! Und trotzdem! Ich kann heute noch nicht begreifen, warum er sich neulich so erregte, als ich sagte, ich würde auch gern einmal nach Mocambique fliegen, weil es dort immer schön warm ist ... Manuel ließ mich kaum ausreden und hob abwehrend die Hände, als fühle er sich körperlich angegriffen - und das ausgerechnet von mir!

„Die Sonne scheint, und es ist heiß“, sagte er. „Conni findet das gut. Aber die Flüsse bei uns sind ganz trocken, und auf dem Feld wächst keine einzige Pflanze, kein Reis. Die Tiere sterben, weil es kein Wasser gibt, und viele Menschen müssen verhungern.“

In unseren letzten gemeinsamen Stunden vor seinem Abflug hätten wir uns bald zum ersten Mal richtig gestritten. Ich meine so einen bösen Streit, der leicht etwas kaputtmacht und tief drinnen Wunden hinterlässt, die lange nicht vernarben. Zum Glück ließ es aber keiner von uns darauf ankommen. So ruhig wie möglich sagte ich: „Das weiß ich doch alles, Manuel. Trotzdem würde ich gern einmal die Palmen am Meer sehen und an eurem weißen Strand liegen. Hast mir doch selbst erzählt, wie schön der Strand eurer Hauptstadt ist, und Fotos gezeigt. Seitdem ..."

„Unser Strand ist sehr schön, ja!“ Wieder ließ er mich nicht ausreden, und ich musste mir große Mühe geben, um die Wut, die in mir wie eine Luftblase aufstieg, zurückzudrängen. „Aber jetzt ist keine Zeit, unter Palmen am Meer zu liegen. Erst, wenn alles geschafft ist, dann können wir ..."

Diesmal unterbrach ich ihn. „Aber man muss doch mal ausruhen ..."

Davon wollte Manuel jedoch nichts wissen, und das überraschte mich eigentlich nicht. Er möchte am liebsten immer nur lernen und arbeiten und würde es sogar fertigbringen, sich nur an den Wochenenden mit mir zu treffen. Aber das habe ich bisher zum Glück immer verhindern können. Ich glaube, Manuel hat manchmal Angst, sein Land könnte bei uns im falschen Licht erscheinen - schön, aber arm, und die Leute dort würden nur faul in der Sonne liegen und darauf warten, dass ihnen andere helfen und für die tägliche Ration Reis sorgen ... Unsinn! Ich weiß inzwischen Bescheid! Ausführlich hat mir Manuel von sich und seinem Land berichtet.

Außerdem kenne ich noch jemanden, von dem ich viel über Mocambique erfahren habe. Aber an Susanne Dörfelt dachte ich an dem Tag, an dem ich mich mit Manuel fast gestritten hätte, nicht. An jenem Abend überlegte ich vor allem, wie ich Manuel am besten begreiflich machen konnte, dass ich mich tatsächlich freute, weil er im Sommer seine Familie besuchen durfte.

Susanne fiel mir erst wieder ein, als ich im Zug nach Schönefeld saß und mir alle möglichen Ereignisse, die mich in irgendeiner Weise an Manuel erinnerten, durch den Kopf gingen. Kurz vor Weihnachten war ich mit Roswitha zur Disco in den Klub gegangen. Die Ferien hatten begonnen. Den Gedanken, dass danach bald die Prüfungen anfangen würden, schoben wir weit von uns.

Obwohl es ein trüber, regnerischer Tag war und die dunklen Wolken unmittelbar über den Dächern unserer alten Stadt zu hängen schienen, war uns leicht und wohl zumute. Roswitha, die oft sehr unausgeglichen und schlecht gelaunt war, erschien mir an diesem Wochenende ausgelassen wie selten, und gern ließ ich mich anstecken. Ich brauchte jetzt nur noch Florian zu sehen, und mein „Glück“ war vollkommen.

Florian hatte ich einige Wochen zuvor im Klub kennengelernt, wo er merkwürdig erhaben an einer Säule lehnte und die Tanzenden beobachtete. War er mir deswegen aufgefallen? Oder hatten seine leuchtend roten Haare meine Blicke angezogen? Ich weiß es nicht. Er tanzte während des ganzen Abends nicht und schien nur gekommen zu sein, um zu beobachten. Als ich ihn in einer Tanzpause ansprach, setzte er sich zu mir und erzählte von seinen Tramptouren, seinen Erlebnissen. Ich hätte ihm stundenlang zuhören können. Seit dieser Zeit hatte er sich immer wieder in meine Gedanken gedrängt, und ich wusste nicht einmal, warum er mich so sehr beschäftigte. Vielleicht, weil er anders als die meisten Jungen war, die ich kannte, ernster und erwachsener.

Dieses Mal war ich nun mit Roswitha in den Klub gegangen, um ihn zu sehen, und ich hoffte sogar, mich mit ihm für die bevorstehenden Ferien verabreden zu können. Roswitha fuhr mit ihren Eltern ins Riesengebirge und würde erst nach Neujahr zurückkehren.

Schon vom Eingang aus versuchte ich die Gestalten zu erkennen, die sich auf der Tanzfläche befanden und in dem faden Licht der roten und blauen Scheinwerfer kaum Schatten warfen. Ihre Konturen waren gleichförmig, und ob Mädchen oder Junge, konnte ich von Weitem kaum unterscheiden. Aber dort würde ich Florian gewiss nicht entdecken, und der Platz an der Säule war leer.

„Willst du hier Wurzeln schlagen?“ Roswitha zog mich an der Hand auf die Tanzfläche. Wir tanzten miteinander und suchten uns dann Plätze. Alle Tische waren besetzt, und Florian hatte ich auch noch nicht gesehen. Ich spürte, wie meine gute Stimmung langsam in Enttäuschung umzuschlagen begann.

„Komm, wir gehen zu denen da!“ Roswitha wies zu einem Tisch, an dem ein Paar saß, das hier fremd und fossil wirkte; beide waren bestimmt schon Ende zwanzig.

„Zu denen?“ Ich lachte. „Wenn du unbedingt willst! Hauptsache, wir stören nicht!“

Die beiden hielten sich an den Händen, und zärtlich streichelte der kleine Finger der Frau über den behaarten Handrücken des Mannes. Bereitwillig rückten sie noch näher zusammen, als wir an ihren Tisch traten und Roswitha fragte, ob die beiden Plätze noch frei wären.

Bei der Kellnerin bestellten wir uns Cola mit „Zwinkern“, was ein Zeichen für Eingeweihte ist und bedeutet, dass man einen Schuss Wodka hineinhaben möchte.

Das Paar, an dessen Tisch wir nun saßen, hatte eine Flasche Weißwein vor sich stehen, manchmal nippten sie an ihren Gläsern, lächelten sich zu und setzten ihre Unterhaltung fort. Was gefiel ihnen im Klub? Merkwürdig, dachte ich, dass sie sich hier wohlfühlen. Es schien ihnen auch nichts auszumachen, von allen angestarrt zu werden.

Ein bestimmter Titel mochte es ihnen angetan haben, denn wie auf ein Kommando sprangen beide plötzlich auf und liefen Hand in Hand zur Tanzfläche. Als hätten sie nur auf diesen Oldie gewartet. Sie bewegten sich flott und sehr rhythmisch und unterschieden sich jetzt kaum von den sehr viel jüngeren um sie herum. Zufrieden lächelnd kehrten sie danach wieder an den Tisch zurück und türmten ihre Hände wie bei einem alten Kinderspiel vierfach übereinander.

Die Disco war für eine Weile verstummt, und weil Roswitha mit einem Jungen etwas zu besprechen und mich allein gelassen hatte, sah ich mich um. Vielleicht konnte ich Florian doch noch irgendwo entdecken?

Mit einem Mal hörte ich die beiden, an deren Tisch ich geraten war, von einem Jungen sprechen, den sie Ronny nannten und der jeden Morgen Schwierigkeiten mit dem Aufstehen hatte, und unwillkürlich musste ich lächeln, denn diese „Schwierigkeit“ war mir selbst gut bekannt. Überraschend fand ich die anschließende Bemerkung des Mannes, dass er Ronny jeden Morgen wecken müsse und ihm am liebsten einen Eimer Wasser ins Gesicht schütten würde, was jedoch leider wegen des ständigen Wassermangels nicht möglich sei ... Woher kam er denn? Wo hielten er und dieser Ronny sich sonst auf? Es klang beinahe, als käme der Mann unmittelbar aus der Wüste, wo er seinen Freund Ronny zurückgelassen hatte, der die Gelegenheit nutzte, um endlich einmal ungestört ausschlafen zu können. Oder waren sie vielleicht Reservisten und hatten gerade ein anstrengendes Feldlager hinter sich?

Die beiden bemerkten, dass ich ihnen ungewollt zuhören musste, weil sie so laut sprachen. Lächelnd hob die Frau die Schultern. „Tut mir leid. Aber man gewöhnt sich so sehr an den Musiklärm, dass man sich auch noch anschreit, wenn es still ist. Wir verraten ja keine Geheimnisse. Es war nur von einem guten Bekannten meines Mannes die Rede ..."

„Und der ist weit weg ..." Der Mann strich über sein Kinn, als müsse er einen Bart glätten. „In Mocambique, wenn du es genau wissen möchtest.“

Sprachlos blickte ich ihn an. Aus diesem Land kam der Junge, der Weihnachten bei uns sein würde. Ein merkwürdiger Zufall! Was hatten diese beiden aber, an deren Tisch ich saß, mit Mocambique zu tun?

Meine Neugier schien ihnen verständlich, nachdem ich ihnen von dem bevorstehenden Besuch berichtet hatte, und bereitwillig erzählte mir nun die Frau, dass sie sich in diesem Klub vor einigen Jahren kennengelernt hätten und an diesem Abend gekommen waren, um sich dieser längst vergangenen Zeit zu erinnern, bevor ihr Mann sie wieder für viele Monate verlassen müsste. Er gehöre einer FDJ-Brigade an, die seit anderthalb Jahren in Mocambique arbeite. Gleich nach Weihnachten müsse er dorthin zurückkehren. Inzwischen hatte ich auch ihre Namen vernommen - Susanne und Stefan. Er hatte Wein in mein leeres Colaglas gegossen, und beide tranken mir dann wie einer guten Bekannten zu.

„Und was machst du dort?“

„Wir errichten einen agrotechnischen Stützpunkt. Falls du dir darunter etwas vorstellen kannst ..." In die Augen des Afrikafahrers war ein spöttisches Lächeln gekommen, als würde er mich nicht ernst nehmen.

Ich übersah es und fragte: „Wie ist es dort?“

„Was soll ich darauf sagen ...“ Er hob die Schultern und begann wieder zu lächeln. „Auf jeden Fall sehr warm.“ Er blickte dann seine Frau an, als sollte sie an seiner Stelle alles andere erklären.

„Es ist Arbeit, wie bei uns auch, nur unter besonders schwierigen Bedingungen“, sagte sie und fügte hinzu: „Ich bin nämlich auch in Mocambique gewesen.“

„Du konntest ihn besuchen?“, fragte ich erstaunt.

Sie schüttelte den Kopf und sah ihren Mann aufmerksam an. „Wir waren zusammen dort. Ich musste aber leider nach einem halben Jahr wieder zurück, weil ich krank wurde.“ Sie hob die Schultern. „Da kann man nichts machen, die Gesundheit geht vor!“

Sie war in Afrika, dachte ich und blickte sie an, als hätte sie gestanden, einen Erdteil entdeckt zu haben. Ich vergaß darüber, dass ihr Mann sogar bald wieder nach Afrika zurückkehren würde. Für mich war nur ausschlaggebend, dass sie dort gewesen ist. Wohin war ich bisher gekommen? Meine Reisen haben bisher nur auf Landkarten stattgefunden, und über Reiseberichten konnte ich oft Stunden zubringen. Ich glaube, ich habe Susanne und ihren Mann den ganzen Abend lang mit meinen Fragen bedrängt und hatte hinterher ein schlechtes Gewissen ...

Aber das war etwas für mich! Leute, die in der CSSR, in Polen oder Ungarn gewesen sind, oder wie Roswitha, die schon den fernen Baikalsee gesehen hatte, kannte ich genug. Doch noch nie war ich Menschen begegnet, die schon in Afrika gearbeitet hatten.

Schließlich erwähnte Susanne, dass sich in ihrer Wohnung einige hübsche Erinnerungsstücke aus Mocambique befinden, und sie lud mich ein, sie doch mal zu besuchen.

„Du, das mache ich wirklich!“, erwiderte ich lachend. Susanne und Stefan gefielen mir sofort, und Susanne brauchte ihre Einladung nicht zu wiederholen - ich würde sie ganz bestimmt besuchen.

Roswitha hatte sich mit dem Jungen, bei dem sie so lange geblieben war, gestritten. Sie kehrte mürrisch an an unseren Tisch zurück. Erstaunt sah sie auf meine neuen Bekannten. „Du hast dich die ganze Zeit mit ihnen unterhalten? Mit den Ollen? Was gehen die dich überhaupt an?“, fragte sie, als wir bald darauf nach Hause gingen.

Ich hatte keine Lust, mir meine Stimmung verderben zu lassen und wehrte darum ab. „Erkläre ich dir ein anderes Mal“, sagte ich ausweichend.

Danach überstürzten sich die Ereignisse so sehr, dass ich an meine neuen Bekannten erst wieder dachte, nachdem Stefan längst wieder nach Mocambique zurückgekehrt war. Ich schrak aus meinen Gedanken auf, als der Zug plötzlich zu bremsen begann - wir hatten Schönefeld erreicht. Aufgeregt stieg ich aus. Trotz meiner siebzehn Jahre hatte ich den Flugplatz noch nicht einmal aus der Nähe gesehen. Das wird sich aber gleich ändern, dachte ich, als ich auf das hell erleuchtete Gebäude zuging, vor dem so reges Treiben herrschte, als wäre es früher Morgen.

Ich betrat nun zum ersten Mal das Flughafengebäude, das, obwohl sehr spät, voller Menschen war. Neugierig blickte ich zwei orientalischen Frauen in ihren bunten Kleidern nach. Unter den Röcken sahen eng anliegende Hosen hervor. Dann bemerkte ich zwei Afrikaner ... Einer saß auf seinem Koffer, der so prall gefüllt war, dass sich die beiden Seiten wie Pausbacken aufplusterten.

Am liebsten wäre ich zu ihnen gelaufen und hätte gefragt, ob sie auch nach Maputo wollten. War natürlich Unsinn. Was sollten sie dann jetzt schon hier? Und Afrika ist groß ... Ich blieb aber stehen und beobachtete sie unauffällig. Der eine, der sich lässig mit einer Hand an einer Säule abstützte, hatte wirklich Ähnlichkeit mit Manuel, nur dass er bedeutend älter war. Dreißig vielleicht, schätzte ich. Als ich schon fortgehen wollte, kamen zwei schwarze Frauen mit Kindern hinzu. Ausgelassen sprangen die Kleinen umher, ein Mädchen setzte sich zu dem Mann auf den Koffer. Die Kofferbacken plusterten sich nun noch mehr auf. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn sie plötzlich geplatzt wären.

Wohin mochte die Familie fliegen? Vielleicht waren die Kinder hier geboren und kamen nun zum ersten Mal dorthin, wo ihre eigentliche Heimat ist? In ihre fremde, unbekannte Heimat ... Der Junge, der noch an der Hand seiner Mutter lief, bemerkte meine neugierigen Blicke und steckte seine Zunge heraus. Ich lachte, worauf er noch einmal seine Zunge sehen ließ und damit wackelte ... Ein freches Bürschchen. Dann dachte ich an Manuel. Ich war auf sein Gesicht gespannt, wenn ich plötzlich vor ihm stehen würde. Ich winkte dem Jungen zu und lief weiter. Mein Herz hämmerte plötzlich wie vor einer Prüfung, als ich die Rolltreppe hinauffuhr und den Eindruck hatte, alle Leute sähen mich so erstaunt an wie ich selbst zuvor die Afrikaner ... Als könnten sie denken: Das ist doch Cornelia Asmuß aus Brückstedt ... Was sucht die denn hier? Will sie etwa ins Ausland? Aber so ganz allein? Dass ihr Vater sie weggelassen hat?!

Ich ließ die Blicke an mir abtropfen. Die gingen mich nichts an, und vielleicht bildete ich sie mir auch nur ein? Hat er nicht, mein Vater, dachte ich. Heimlich bin ich von zu Hause weg. Aber sie finden ja meinen Zettel.

Von einem weichen, bequemen Sitz aus konnte ich alles gut beobachten: Die Menschen, die entweder eilig irgendwohin liefen oder in Gruppen beieinanderstanden und sich laut unterhielten - meist in einer fremden Sprache. Die große Anzeigetafel hatte es mir besonders angetan, an der manchmal ein neuer Name erschien, nachdem zuvor kleine schwarze Plättchen so lange aufeinander gefallen waren, bis sich unter ihrem klappernden Geräusch ein Namensbild ergeben hatte: Moskau, Leningrad, Budapest, Havanna ... Maputo tauchte dort wahrscheinlich am frühen Morgen auf. Die ersten Stunden vergingen sehr schnell, weil es so viel zu sehen gab. Immer wieder entdeckte ich Neues. Manchmal, wenn ich mit dem Zug vorbeigefahren war und aus dem Abteilfenster die großen glitzernden Vögel gesehen hatte, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als selbst einmal mitfliegen zu können. Egal, wohin. Aber leider ist es bisher nur ein Wunschtraum geblieben. Genau wie jetzt, obwohl ich den glitzernden Vögeln noch nie so nahe gewesen bin. Manche aus meiner Klasse konnten jedes Jahr nach den großen Ferien mächtig mit ihren Flugreisen angeben - Sotschi oder Varna, und Roswitha ist sogar schon am Baikalsee im fernen Sibirien gewesen ...

Ich war eingeschlafen und erschrak, als mich jemand am Arm berührte. Zuerst glaubte ich zu träumen, aber dann vernahm ich ganz deutlich eine Stimme, ohne die Worte zu verstehen. Zwei Uniformierte standen vor mir, und der eine, der seine Hand lässig auf seiner Pistolentasche ruhen ließ, fragte: „Erwarten Sie hier jemanden?“

„Nein“, sagte ich, und dann: „Ja, aber nicht wie Sie denken.“

„Wie denke ich denn?“

„Ich meine, keinen, der ankommt.“

„Also einen, der abfliegt?“

„Ja“, sagte ich und war nun endlich richtig wach. „Der morgen früh abfliegt.“

Ich sah, dass der zweite, der stumm blieb, zur Uhr blickte. „Heute früh“, berichtigte ich dann. Es war ein Uhr nachts. „Wohin fliegt er denn?“, fragte der Uniformierte und schlug die Arme untereinander.

„Nach Maputo.“

Die beiden blickten sich an. „Das ist aber noch lange hin.“

„Ich weiß. Aber so zeitig fährt kein Zug hierher.“

„Zeigen Sie mal Ihren Ausweis“, sagte nun der andere, der mich so lange prüfend angesehen hatte. Er blätterte umständlich darin. „Sie sind nicht zufällig von zu Hause weggelaufen?“

Ich schüttelte den Kopf. „Die wissen Bescheid.“

So ruhig, wie ich mich gab, war ich nicht. Im Gegenteil ... Sie hatten jetzt meinen Namen und meine Anschrift und brauchten nur zu telefonieren. Dann stand vielleicht plötzlich der ABV vor unserer Wohnungstür und klingelte Elke heraus ... Mein Vater war ja zur Nachtschicht. Sie würde einen Schreck bekommen und annehmen, mir wäre etwas zugestoßen.

„Mit mir ist alles in Ordnung. Heute fahre ich wieder zurück.“

Zögernd reichte mir der andere meinen Ausweis. „Dann wünsche ich eine gute Nacht“, meinte er, ohne eine Miene zu verziehen, während der erste die Hand an die Mütze legte und grüßte.

Ich atmete erleichtert auf, als sie sich langsam entfernten. Elke in der Nacht herauszuklingeln wäre schlimm gewesen. Schon die bloße Vorstellung gefiel mir nicht. Mein Zettel wird Aufregung genug verursacht haben.

Von zu Hause weggelaufen ... Dazu hätte ich früher oft genug Gelegenheit gehabt. Und Gründe. Denn in der ersten Zeit vertrug ich mich mit Elke überhaupt nicht. Sie ist meine Stiefmutter und nur acht Jahre älter als ich. Mein Vater hat sie auf dem Friedhof kennengelernt, wo er das Grab unserer Mutti besuchte, während Elke die Grabstelle ihrer Eltern pflegte, die bei einem Verkehrsunfall umgekommen waren.

Irgendwie verging die Nacht, und als es dämmerte, ging ich auf den großen Balkon hinaus und sah nun die Flugzeuge direkt vor mir. Ob Manuels Maschine dort stand? Inzwischen war er schon aufgestanden. Schneller als sonst würde er sich waschen und anziehen und dann eilig zum Frühstück laufen. Konnte er überhaupt etwas essen? Ich an seiner Stelle bestimmt nicht. Reisefieber kommt mir vor wie Prüfungsangst. Und vor Prüfungen konnte ich nie etwas essen.

Ich versuchte mir dann vorzustellen, welche Orte der Bus durchfahren musste und welche ich davon kannte. Dann fiel mir ein, dass der Fahrer ab der Bezirksstadt die Autobahn benutzen würde, sodass es keine Anhaltspunkte mehr für mich gab. Auf der Autobahn kenne ich mich nicht aus, wir fahren immer mit dem Zug. Ich konnte mich darum nur nach der von Manuel angegebenen Zeit richten: Um neun, hatte er gesagt, würden sie in Schönefeld sein ...

Schon eine Stunde vorher trieb ich mich vor dem Flughafengebäude herum, wo die Busse hielten, die Menschen mit schweren Koffern entließen. Alle waren fröhlich und aufgeregt. Vierzig Busse hatte ich schon gezählt, als ich es endlich aufgab.

Wo blieb Manuels Bus?

Hatte der vielleicht Panne und lag auf der Autobahn fest? Ein schrecklicher Gedanke! Dann hätte sich Manuel umsonst auf seinen Urlaub in der Heimat gefreut.

Meinen heimlichen Gedanken, dass ich dann nicht vier Wochen ohne ihn sein müsste, fand ich gemein und unterdrückte ihn sofort wieder.

Zwei Männer in blauen Uniformen waren aus einem Auto gestiegen und gingen im Gleichschritt auf das Flughafengebäude zu. Ehe ich richtig begriff, was ich tat, stellte ich mich ihnen in den Weg. „Entschuldigen Sie“, sagte ich und merkte, dass meine Stimme vor Erregung zitterte, als würde ich vor einer Prüfungskommission stehen. „Sind Sie Piloten?"

Die beiden sahen mich an und begannen zu lachen. „Sieht man uns das nicht an?“

„Doch, ebendarum ... Ich wollte nur wissen, ob alle Maschinen immer pünktlich starten. Ich meine, auch wenn die Fluggäste noch nicht da sind.“

„So etwas gibt es nicht. Die Passagiere haben da zu sein. Und wenn nicht ...“ Der Pilot hob die Schultern. „Dann ist es ihr Pech. Starten müssen wir. Was dachten Sie denn, Fräulein?“

Eingebildeter Affe! dachte ich und war zugleich auf mich selbst wütend, weil ich wieder mal etwas unternommen hatte, ohne vorher zu überlegen. Mein alter Fehler. Ich blickte den beiden nach, die noch immer lachten, als hätte ich ihnen den Witz des Jahres erzählt. Empört wandte ich mich um und sah zur Uhr. Gleich neun ... Sie müssten doch längst da sein! Also wirklich eine Panne? Das durfte einfach nicht sein! - Manuel musste die Maschine nach Maputo erreichen!

Der Bus hatte an einer anderen Stelle gehalten, denn als ich noch suchend vor dem Gebäude umherlief, kam überraschend eine Gruppe Schwarzer auf mich zu. Ich blieb, in meiner Freude wie gelähmt stehen. Waren sie das? Wo war Manuel?

Dann hatte ich ihn entdeckt. Er trug die leichte helle Windjacke, in der ich ihn so gern sehe, und eine Schirmmütze, die ich noch nicht kannte. Wann hatte er die gekauft?

Ich rannte ihm entgegen; alle schleppten an ihrem Gepäck und schienen keinen Sinn für irgendwelche Leute zu haben, die hier umherliefen. Hätte ich vielleicht irgendwen wahrgenommen, wenn mich nur noch einige Hundert Meter von meinem Flugzeug trennen würden?

„Manuel!“

Er starrte mich an, als wäre ihm ein Geist erschienen, den der Medizinmann vertreiben müsse. Er ließ sein Gepäck fallen und tippte mich an.

„Conni, woher bist du gekommen?“

Ich deutete hinter mich und berichtete schnell, was er unbedingt wissen musste. Währenddessen umspülte uns seine Gruppe wie ein Fluss, der einem Felsen ausweicht. Ich bemerkte das Lächeln auf den Gesichtern und vernahm auch einige Zurufe, die Manuel galten und die ich nicht verstand.

„Ich wollte meinen Augen nicht glauben", sagte Manuel. „Conni hat immer eine neue Überraschung für mich!“ Er nahm meinen Kopf in seine Hände und machte sich nichts daraus, dass die anderen zusahen, als er mich küsste. Dann hob er mich hoch, wirbelte mich herum und rief: „Ich freue mich, Conni, ich freue mich!“

Als ich wieder auf dem Boden stand und meine Haare glatt strich, sagte ich: „Du bist genauso verrückt wie ich!“ Dann nahm ich seine Tasche und wandte mich schnell um. Es fehlte noch, dass ich jetzt vor lauter Glück zu heulen anfing.

Uns blieb nicht viel Zeit, weil sich ein Vertreter ihrer Botschaft angekündigt hatte, um die Schüler zu verabschieden. Als Manuels Gruppe schließlich durch die Schleuse ging, durch die man mich nicht hindurchließ, lief ich auf den Ausguck hinauf. Von der Gangway winkte mir Manuel noch einmal zu ... So sehe ich ihn jetzt vor mir ... Es wird für vier Wochen mein letztes Bild von ihm sein. Ich muss es mir so lange aufbewahren ... Für vier lange Wochen.

Mein Vater hatte kaum die Wohnung verlassen, als Elke in mein Zimmer trat. Sie machte mir zum Glück keine Vorwürfe und erwähnte nur ihre Sorge, mir könnte etwas zustoßen, so allein in der Nacht unterwegs. Aufmerksam hörte ich zu, bemerkte aber keine Andeutung. Das wäre auch nicht Elkes Art gewesen. Aber dennoch hätte es sein können, dass sie mich an mein Ausreißen vor zwei Jahren erinnern wollte. Damals war ich bei einem Jungen vom Rummel und blieb die ganze Nacht über in seinem Wohnwagen.

Elke sagte, sie habe gleich gewusst, wo ich sei, und es Vater gesagt, der darauf nur noch wütender geworden war. Dabei mag er Manuel doch ... Warum also?

„Du musst ihn verstehen“, sagte Elke. „Er möchte nun mal gern gefragt werden. Außerdem ist er für dich verantwortlich. Morgen entschuldigst du dich, und alles ist bald wieder vergessen. Du kennst ihn doch ..."

Und ob ... Wenn ich ihn gefragt hätte, wäre ich nie zum Flugplatz gekommen.

Ich nickte. In Gedanken war ich schon wieder bei Manuel. Elke schien es zu spüren.

„Lass den Kopf nicht hängen, Conni. Es sind doch nur vier Wochen“, meinte sie tröstend, aber sie wusste ebenso gut wie ich, dass es nicht nur um diese vier Wochen ging. Vielleicht reichen sie nicht einmal aus, um mir die Klarheit zu verschaffen, die ich unbedingt brauche und von der alles Weitere abhängt?

Sonntag, 13. Juli

Obwohl ich in der vorigen Nacht schlecht geschlafen hatte, wurde ich schon sehr früh wach. In der ganzen Wohnung war es noch still.

Manuel befand sich nun schon in Maputo. Ich stellte mir vor. wie er langsam und bedächtig aus dem Flugzeug trat, ganz oben auf der Gangway stehen blieb und sich neugierig umsah, als wollte er gleich mit dem ersten Blick alles in sich aufnehmen, was ihm bekannt war und was er drei Jahre nicht gesehen hatte.

Wer mochte Manuel und die anderen Schüler auf dem Flugplatz empfangen? Sicherlich eine offizielle Delegation. Und einige, die aus Maputo oder der näheren Umgebung kamen, wurden vielleicht von ihren Angehörigen erwartet. Manuels Eltern konnten nicht dort sein, bestenfalls sein älterer Bruder, der in der Hauptstadt studiert. Manuel hatte ihm mitgeteilt, wann die Maschine eintreffen würde.

Bis nach Hause zu seinen Eltern hat er es noch sehr weit, über eintausend Kilometer, und wahrscheinlich wird er zwei oder drei Tage in Maputo bleiben und warten müssen, bis ein Flugzeug nach Norden startet. Und dann, hat er gesagt und über mein Erstaunen gelacht, muss er wenigstens noch zwei Tage und Nächte fahren, mit dem Bus oder auf einem LKW, das würde sich finden ... Erst dann hätte er sein Dorf erreicht, das sich im Nordwesten des Landes befindet. Wenn ich nun diese Tage und die gleiche Zeit für die Rückfahrt von seinem Urlaub abziehe, bleiben eigentlich nur zwei Wochen übrig, die er bei seiner Familie verbringen konnte.

Bei dem Gedanken an sein Heimatdorf überfiel mich plötzlich eine Hitzewelle. Dort gab es ein Mädchen, das ihm sein Vater schon vor Jahren zur Frau bestimmt und mit dem Vater des .Mädchens bereits den Brautpreis ausgehandelt hatte - lobolo nennen sie das. Der Vater des Bräutigams muss dem des Mädchens einen Preis zahlen - Geld oder der was weiß ich ... Wenn nun Manuels Vater jetzt darauf bestand, die Hochzeit auszurichten?

Ich darf gar nicht weiter denken, sonst ...

Während meiner Überlegungen war ich im Zimmer umhergelaufen und stand plötzlich vor dem Spiegel in der Schranktür. Da entdeckte ich ein schlankes Mädchen mit blonden Haaren und einer zierlichen Nase, um die sich auffällig viele Fältchen gebildet hatten. Auch auf der Stirn hatten sich welche angesammelt und erweckten den Eindruck, als gehörten diese Furchen einfach dorthin, wie die Strähnen, die immerzu herabhängen.

Bildest du dir etwa ein, Cornelia Asmuß, sagte das Spiegelbild, dass du irgendeine Chance hast, Manuel an dich binden zu können? Du weißt doch, dass es unmöglich ist.

Ich trat einen Schritt vom Spiegel zurück, riss drohend meinen Zeigefinger hoch und erwiderte: Was weiß ich denn?

Nichts … Nur dass ich Manuel liebe. Das ist nicht wenig, sage ich dir. Aber was daraus werden soll, weiß ich nicht. Ich brauche Zeit. Genau vier Wochen verbleiben mir, um mir Klarheit zu verschaffen.

Welche Klarheit? fragte es aus dem Spiegel zurück, wo das Gesicht zu lächeln schien, denn die Falten und Furchen glitten mit einem Mal in die Höhe.

Hör auf zu grinsen. Ich will wissen, ob meine Liebe zu ihm so stark ist, dass ich alles auf mich nehmen kann, egal, was auch kommen mag.

Du bist naiv, Cornelia Asmuß. Was willst du denn auf dich nehmen? Manuel muss in seine Heimat zurück, wenn seine Ausbildung hier beendet ist. Das weißt du! Glaubst du vielleicht, sein Staat ließe zu, dass er hierbleibt, wenn er als Fachkraft zu Hause dringend benötigt wird?

Das werden wir sehen ... Außerdem könnte ich doch mit ihm nach Mocambique gehen. Wäre das vielleicht keine Lösung?

Du machst dir was vor, Conni! Dort könntest du gar nicht leben, nicht für immer. Denk an die Verhältnisse, an das Klima und an die ständige Trennung von deiner Familie ... Ich wandte mich um und war froh, dieses kritische und strenge andere Ich loszusein. Warum ist es so stark? Immer stellt es in Zweifel, was ich mir vorstelle und wünsche. Dass Manuel als verheirateter Mann zurückkehren würde, brauchte ich jedenfalls nicht zu befürchten. Oder doch? Zwar hat er vor unserer ganzen Familie erklärt, dass er diese alte Sitte seines Volkes ablehne und sich nicht von seinem Vater die zukünftige Frau aussuchen ließe. Dieser alte Brauch wäre in der neuen Ordnung, die sie in Mocambique errichteten, nicht mehr zu vertreten. Doch wird er sich damit durchsetzen können?

Damals, als er davon berichtete, kannte ich ihn kaum. Er war zum ersten Mal bei uns und saß mir an der Festtagstafel gegenüber, sodass ich ihn unauffällig beobachten konnte. Er gefiel mir, aber meine Blicke sollten mich nicht verraten, was gar nicht so einfach war. Ich beteiligte mich auch nicht an dem Gespräch, das mein Vater mit einigen mehr oder weniger geschickten Fragen lenkte. Dazu schien er sich verpflichtet zu fühlen, denn es war seine Idee gewesen, Manuel einzuladen.

Eines Tages hatte er nämlich überraschend zu uns gesagt: „Zu Weihnachten werden wir einen Gast haben. Ich hoffe, es macht euch nichts aus.“

Elke wusste natürlich Bescheid und blickte uns neugierig an. Es war bei uns nicht üblich, Weihnachten Besuch zu haben. Wir sind schließlich sieben Personen.

„Einen Gast?“, fragte ich. „Wen denn? Haben wir plötzlich nahe Verwandte?“

„Nein.“ Elke lachte. „Es hat sich kein unbekannter reicher Onkel gemeldet.“ Sie sah Vater an, als wolle sie ihn auffordern, dieses Rätsel für uns zu lösen.

„Wir wollen einen Schwarzen einladen, einen aus der Völkerfreundschaftsschule.“

„.Prima!“, rief Gert begeistert. „Der kann uns unterm Weihnachtsbaum von Afrika erzählen!“

Wenn Gert sich äußerte, konnte natürlich auch Evchen nicht still bleiben. „Aber ein Mädchen! Bitte, Vati, ein Mädchen! So eine mit Antennenfrisur ..."

„Was ist denn das?“, fragte Vater und nickte, nachdem ihm Evchen erklärt hatte, dass manche der schwarzen Mädchen ihre Haare zu vielen kleinen Zöpfen zusammendrehen, die dann wie Antennen aussehen würden.

„Wie beim Sputnik“, fügte Gert hinzu.

Vater schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht versprechen. Es sind nun mal mehr Jungen an dieser Schule, und ich kann nicht sagen, ich will keinen haben, weil mein Evchen ... Nein.“ Vater nahm nun seine Erklärerhaltung ein: Drückte seinen Rücken steif gegen die Stuhllehne und legte die Hände auf dem Tisch übereinander. Das war für uns immer das Zeichen dafür, dass wir genau hinhören mussten - gleich würden wir etwas Wichtiges erfahren. Und wie immer, wenn er sich auf solche Bekanntmachung eingerichtet hatte, begann er auch dieses Mal: „Seht mal. das ist so …“ Pause. Auch wie immer. „Ich will gar nicht wissen, wer es ist. Im Betrieb haben sie gefragt, wer bereit wäre, zu Weihnachten Mocambiquer bei sich aufzunehmen ..."

„Damit sie dann nicht so allein sind“, wagte Gert zu sagen, und mein Vater blickte ihn streng an, denn er liebt es nicht, bei einer wichtigen Erklärung von seinen Kindern unterbrochen zu werden. Aber schließlich nickte er und sagte: „Damit sie nicht so allein sind, und weil sie etwas von unseren Bräuchen kennenlernen sollen. Versteht ihr?“

Wir stimmten alle zu. Das war doch einfach. Wenn ich einige Jahre in Mocambique leben würde, würde ich auch gern wissen wollen, wie es in ihren Familien zugeht und wie sie ihre Feste feiern.

„Aber warum denn kein Mädchen?“, fragte Evchen wieder und machte einen Schmollmund, mit dem sie oft erreichte, was sie wollte. „Sie sind doch so hübsch ..."

„Ausgesucht wird nicht“, meinte mein Vater sehr entschieden. „Das wäre ja wie auf dem Markt, wo ich mich zwischen mehreren Kohlköpfen entscheiden kann ... Nein!“ Er zog seine Hände an den Körper zum Zeichen dafür, dass er seine Erklärerhaltung aufgeben wollte. „Wer kommt, soll uns willkommen sein. Einverstanden?“

„Moment“, sagte Elke und hob beschwichtigend ihre Hände. „Nichts überstürzen, Walter. Ich würde schon ganz gern vorher wissen, ob es ein Junge oder ein Mädchen sein wird. Schließlich ist Weihnachten, und ich muss mich vorher um ein Geschenk kümmern.“

Mein Vater sah Elke erstaunt an und begann dann zu lachen. „Ein Glück, dass ich dich habe ...“ Er strich sanft über ihre Hand. „Daran hätte ich nun überhaupt nicht gedacht ... Gut, ich frage im Betrieb nach ..."

Zwei Wochen vor Weihnachten wussten wir jedenfalls, dass ein Junge zu uns kommen würde. Mir sollte es recht sein. Mit Jungen bin ich schon immer besser ausgekommen als mit Mädchen, die oft so zickig sind. Wie zum Beispiel Roswitha ...

Evchen war jedoch enttäuscht und ging gleich ins Kinderzimmer. Sie hatte schon ihre schönste Puppe ausgesucht, um sie dem Mädchen, das sie erwartete, zu schenken.

Um so mehr freute sich Gert. Schon am nächsten Tag lief er in die Kinderbibliothek, um sich Bücher über Afrika auszuleihen. „Ich will ja nicht wie doof dastehen“, meinte er und vertiefte sich bis zum Heiligen Abend in seine Lektüre. Er ist ein pfiffiges Kerlchen! Als er abends über seinem Buch eingeschlafen war. holte ich es mir heimlich aus seinem Zimmer.

Glaubte er vielleicht, ich wollte „doof dastehen“?

Montag, 14. Juli

Meinen ersten Arbeitstag als Rettungsschwimmer habe ich hinter mir. Zwölf Stunden an der frischen Luft machen müde, aber ich komme mir trotzdem frisch und entschlackt vor. Das vier Wochen lang, und ich bin ein neuer Mensch.

Nach dem langen Schulstress ist es genau das Richtige. Ich bin froh, nicht in der Brauerei Flaschen spülen zu müssen. Das habe ich im vorigen Jahr genau zwei Wochen ausgehalten.

Die letzten Monate hatten es ganz schön in sich. Diese Prüfungen! Und meine ewige Angst davor! Mittags kam ich jedes Mal wie zerschlagen nach Hause. Ein Schwerstarbeiter kann sich nach der Schicht nicht schlechter fühlen. Elke meinte, ich solle mich hinlegen, eine Stunde Schlaf würde mich wieder aufmöbeln. Bloß dazu war mir einfach die Zeit zu schade. Am liebsten wäre ich jeden Abend zur Disco gelaufen, dort hätte ich mich austoben und „aufmöbeln“ und darüber die Prüfungen, die mich in nächster Zeit erwarteten, vergessen können. Aber in Brückstedt glaubt man wohl, zweimal in der Woche Disco wären ausreichend.

Ich hätte nicht mal auf Manuel Rücksicht genommen und wäre einfach hingelaufen. Mit ihm konnte ich sowieso nicht rechnen. Hatte er wirklich mal an einem Discoabend Ausgang, war er nicht zu bewegen, mit mir dort hinzugehen. Einen Grund hat er mir nie genannt, und schließlich war es mir dann auch meistens egal. Die Hauptsache für mich war, dass wir zusammen sein konnten. Nun bin ich für vier Wochen allein.

„Du bist doch nicht allein“, antwortete Vater, nachdem ich ihm und Elke ehrlich sagte, wie ich es empfinde.

Sie haben heute Abend mit dem Essen auf mich gewartet, während die Kinder bereits im Bett waren.

Beim Essen sah mich Vater manchmal an, als wollte er sagen: Ich warte ... Worauf? Natürlich auf eine Entschuldigung. Dabei weiß er ganz genau, dass ich so etwas kaum über die Lippen bringe. Vielleicht kam er mir deshalb entgegen, als er zwischen zwei Bissen sagte: „Du hast dir das sicher nicht genau überlegt. Sonst hättest du vorher Bescheid gesagt.“

Ich fing Elkes Blick auf und nickte. „Ich hätte dich sonst sogar gefragt“, sagte ich und wagte ein zaghaftes Lächeln.

Er merkte natürlich, dass ich ihn auf den Arm nahm, ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen. „Das ist sehr schön. Dann kann ich also damit rechnen, dass sich das so schnell nicht wiederholt? Ich meine, vielleicht in vier Wochen, wenn Manuel zurückkommt?“

Ich nickte.

Nachdem ich schon geglaubt hatte, damit alles überstanden zu haben, nahm mein Vater seine Erklärerhaltung ein und begann: „Sieh mal, das ist doch so Und nun folgte ein Vortrag über die Angst, die Elke meinetwegen ausgestanden hatte; sie habe nämlich sofort gewusst, wohin ich so heimlich verschwunden war. Er, sagte mein Vater, wäre nie auf den Gedanken gekommen. Viel eher hätte er mich irgendwo in einer Disco gesucht ... Aber die wären ja nicht so lange offen, jedenfalls nicht in unserem kleinen Brückstedt, darum hätte er wahrscheinlich am Bahnhof nachgesehen ...

Das führte aber wirklich zu weit. Hielt er mich für eine von denen, die sich nächtelang auf dem Bahnhof herumtreiben und sich einen Kerl fürs Bett suchen?

Elke hatte meine Reaktion zum Glück vorausgesehen. Sie griff über den Tisch nach meiner Hand. „Dasmeint er nicht so, Conni. Aber in solchen Augenblicken rennt man doch überallhin und sucht ... Und er ist ja auch gar nicht hingegangen und hat mir sofort geglaubt, als ich sagte, was ich vermute, und außerdem musste er zur Schicht.“

Erst jetzt fällt mir ein, dass er da am Bahnhof vorüber muss. Sicher hat er sein Rad angeschlossen und sich erst mal gründlich umgesehen. Das weiß nicht einmal Elke.

Danach wollte er wissen, ob ich mit Manuel gesprochen hatte. Nach meiner Schilderung sah er mich an, als bewundere er meine Ausdauer. So viel Aufwand, Zeit und Mühe für die wenigen Minuten.

„Und nun bin ich vier lange Wochen allein.“

„Du bist doch nicht allein“, antwortete mein Vater. „Zählt deine Familie etwa nicht?“

Elke nickte mir aufmunternd zu - du kennst ihn, mochte heißen. Im Grunde versteht er dich ja, will’s nur nicht direkt zugeben ...

Ich nickte ebenfalls.

Mittwoch, 16. Juli

Die Arbeit in Hohefort habe ich unserem Sportlehrer Stängel zu verdanken. Eigentlich heißt er Stange. Aber weil er knapp unter zwei Meter groß ist, nennen ihn alle Schüler so. Eines Tages, mitten in den Abschlussprüfungen, kam er auf dem Schulhof auf mich zu. In seinem Schatten hätte ich zweimal Platz gehabt.

„Weißt du schon, was du in den Ferien machst?“, fragte er und verbarg seine Zigarette in der hohlen Hand. Nicht vor mir, sondern vor seiner Kollegin, die Aufsicht hatte. „Noch nicht“, erwiderte ich. „Konnte mich nicht kümmern.“ Ich hob die Schultern. „In der Brauerei komme ich immer unter. Flaschen spülen.“

Stängel winkte ab und zog schnell an seiner Zigarette. „Ist doch nichts für dich. Ich wüsste was Besseres.“

Was konnte das schon sein? Vielleicht im Fußballstadion den Rasen mähen? Stängel war als leidenschaftlicher Anhänger von Aktivist Brückstedt bekannt und fuhr zu jedem Auswärtsspiel seiner Mannschaft mit. Wenn ich auch früher wie ein Junge herumtobte und mit ihnen um die Wette lief - ihre Fußballbegeisterung konnte ich nie teilen. Für mich brauchte es nur Schwimmen, Leichtathletik und Turnen zu geben.

„In Hohefort suchen sie noch Rettungsschwimmer.“