Vom Leben und vom Überleben - Torsten 'Toto' Heim - E-Book

Vom Leben und vom Überleben E-Book

Torsten 'Toto' Heim

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Beschreibung

Torsten ‚Toto‘ Heim, der bekannteste Polizist Deutschlands, nimmt uns mit auf die Achterbahnfahrt seines Lebens. Seine Geschichten führen den Leser in dunkle Gassen, in denen Gut und Böse dicht beieinander liegen. Sie sind echt, amüsant, gnadenlos ehrlich - zeigen aber auch das große Herz des Ruhrpottoriginals. Das Buch gibt einen persönlichen und ungeschönten Einblick in Totos Karriere bei der Polizei vom einfachen Streifenpolizist bis zum TV-bekannten Kultcop.

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Seitenzahl: 355

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Torsten 'Toto' Heim

mit Alexandra Huß

Vom Leben und vom Überleben

 

über den Autor

Torsten ‚Toto‘ Heim wurde 1963 in Hilden geboren und arbeitet nach wie vor als Polizeihauptkommissar.

2001 entschloss sich ein TV-Sender, eine Dokumentation über die Arbeit der Polizei zu machen.

Torsten Heim und Thomas Weinkauf, heute besser bekannt als ‚Toto & Harry‘, wurden 2001 erstmalig bei der Bewältigung des Polizeialltags mit der Kamera begleitet.

Ziel war es die Arbeit der Polizei zu dokumentieren und ein stückweit hinter das Vorurteil, dass die Polizei nur Bürger „abzieht“ und „Tickets verteilt“, zu schauen.

Überrascht von stetig wachsendem Bekanntheitsgrad und der positiven Resonanz traten beide (Toto später auch allein) in diversen anderen TV-Formaten auf und engagierten sich u.a. für das Kinderhospiz Mitteldeutschland. Hierfür bemüht sich Toto in seiner Freizeit stets um Spenden.

 

IMPRESSUM

1. Auflage 2022

© 2022 by hansanord Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages nicht zulässig und strafbar. Das gilt vor allem für Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikrofilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN Print 978-3-947145-60-7

ISBN E-Book 978-3-947145-61-4

Cover: Tobias Prießner

Satz | Umschlag: Christiane Schuster | www.kapazunder.de

Für Fragen und Anregungen: [email protected]

Fordern Sie unser Verlagsprogramm an: [email protected]

hansanord Verlag

Johann-Biersack-Str. 9

D 82340 Feldafing

Tel. +49 (0) 8157 9266 280

FAX +49 (0) 8157 9266 282

[email protected]

www.hansanord-verlag.de

 

Inhalt

Widmung Peter Althof
Widmung Rainer Wendt
Heimathafen
Zur Person
Familie
Weihnachten in der Pfalz
Im Zeichen des Mondes
Grundschulzeit
Gymnasium
Erste Liebe
Der Weg zur Polizei, Ingo und Onkel Benny
Der Führerschein
Die Ausbildung
Mein Spind
Meine Reise mit Mike
Die Krabbe von Samana
2020 – Vom Leben und vom Überleben
Sport ist mein Leben
Bundesliga 1963
Ein Tag in meinem Polizeileben
Karl-Heinz, der alte Wachdienstführer
SMS des Todes
Der Balkonsturz
Alt sein, alt werden
Mutter und Sohn
SEK-Einsatz
Die beklaute Opernsängerin
Angepisst
Der Domino-Effekt
Einleitung Auslandsreisen – Brasilien
Asien – Thailand
Türkei
Italien
Australien, Brisbane 2015
Südkorea
Südafrika
Miami Beach
Jamaika
Alaska
Texas
Lesung hinter Gittern/Schwerte
Lesung hinter Gittern/Tonna
Sorge um den Vater
Boys Don’t Cry
Alte Fälle - Tod auf der Bank: Ein Fall von vielen
Der Besuch der alten Dame
Die falsche Toilette
Verweste Leiche
Tod und Geburt
Schäferstündchen
Martin
Die Messerattacke
Die Messiewohnung
Lady in Red
Ein tragischer Unfall
Paula
Zickenkrieg
Krankenschein
Geiselnahme Lüdenscheid
Die Tankstellenräuber
Lebensrettung
Privat auf Täterfang
Im Auto in Richtung U-Bahn
Jean-Claude
Die guten Nachbarn
Schicksal?
Leser fragen Toto
Widmung für Toto
Bildteil

 

Nachtschatten. Kein Mond. Und die Finsternis liegt über den Welten. Wer in dieser Nacht die Zeichen zu deuten versteht, weiß, dass nur noch der mutigste aller Götter die Mächte der Finsternis aufhalten kann: Thor, der Herr des Gewitters, der Riesentöter mit dem Donnerhammer, der schon so viele Schlachten geschlagen hat. Aber diesmal braucht selbst er, Odins ältester Sohn, die Hilfe eines Freundes …
(Auszug aus Thor, der Donnergott)
Widmung Peter Althof
Toto ist für mich ein Herzensmensch, immer lustig und wenn man ihn braucht, ist er für einen da. Ein echter Freund!
Nürnberg im April 2022
Widmung Rainer Wendt
Toto verkörpert wichtige Polizeitugenden: Kameradschaft, Geradlinigkeit und Zuverlässigkeit. Viele Menschen lieben seinen ruppig-herzlichen Ruhrgebietsjargon und die Art, wie er mit der Bevölkerung umzugehen weiß. Recht und Ordnung waren und sind bei ihm jederzeit in guten Händen. Toto ist viel mehr als ein Kultpolizist, er ist ein echter Kumpel und langjähriger Freund. Uns verbinden unzählige gemeinsame Stunden und Gespräche. 
Rainer Wendt - Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft April 2022

Heimathafen

Der Winter des Jahres 1962/63 war der kälteste des 20. Jahrhunderts. Die Flüsse und Seen im ganzen Land waren zugefroren, ein eiskalter Wind mit starken Böen hielt auch das beschauliche Örtchen Hilden in Schach. Während die Schneedecke auf den Gehwegen immer dichter wurde, lag meine Mutter im Krankenhaus und brachte mich auf die Welt. Es war der 24. Februar 63, vor den Fenstern wurde es dunkel, die Nacht begann. Sie hatte sich für die Geburtsstation in Hilden entschieden, sodass mein Vater aufgrund des schlechten Wetters den Weg von Solingen, ihrem Wohnort, bis zur Klinik zu Fuß zurücklegen musste. Es fuhr weder ein Bus noch ein Taxi, also trabte er bei Nacht und bitterer Kälte gute fünf Kilometer über vereiste Straßen, um mich zu begrüßen. Nach den ersten Atemzügen war ich hellwach, ich blinzelte ihn an und hatte Bock auf das Leben. Meine Eltern gaben mir den altnordischen Namen Torsten, der in seiner Bedeutung auf Thor, den Gott der Seefahrer und des Wetters, zurückzuführen ist. In den mythologischen EddaSchriften hatte er die Aufgabe des Beschützers von Midgard, der Welt der Menschen. Vielleicht schwang da schon eine Prophezeiung mit, ein Wink des Schicksals? 

Zur Person

Torsten Heim besuchte das Geschwister-Scholl-Gymnasium bis 1981. Daraufhin folgte die Polizeiausbildung von 1981 bis 1984 in Bochum. Zwischen 1984 und 1989 war er in Köln stationiert. Im Moment ist er als Polizeihauptkommissar im Wach- und Wechseldienst in Bochum tätig.
Der Botschafter der Herman van Veen-Stiftung und der deutschen Kinderhospiz- und Familienstiftung hat einen Sohn und eine Tochter.

Familie

Unsere Familienverhältnisse waren überschaubar. Von den Eltern habe ich gelernt, was es heißt, fleißig und ordentlich zu sein, aber aufgewachsen bin ich sozusagen bei den Omas, da ich mich dort am meisten aufgehalten habe. Oma Käthe, die Mutter meines Vaters und seines Bruders, wohnte direkt im Haus gegenüber, ich brauchte nur über den Hof zu gehen, um den Duft aus ihrer Küche bereits zu riechen. Denn Kochen, und das wissen wir fast alle, konnten die Omas ja am besten.
Oma Käthe war streng, aber sie steckte mir immer mit den Worten, ich solle mir Bonbons kaufen und sie genießen, ein paar Pfennige zu. Mit Opa Karl, dem Vater meines Vaters, hatte ich kaum Kontakt. Er sprach nicht viel, eigentlich mit niemandem. Ich durfte ihm aber den Henkelmann zur Mittagspause bringen, er war selbstständiger Scherenschleifer und arbeitete um die Ecke in einer Firma. 
Mich Stöpsel kannte man schon am Eingangstor und ich bewunderte Opa, mit welcher Ruhe und Gelassenheit er die Messer wetzte und schliff.
Mit meinem Onkel Benny zog ich später in der Jugend um die Häuser. Wir waren bis tief in die Nacht unterwegs und tanzten, tranken, aßen und rauchten mit anderen jungen Menschen. Es war eine aufregende Zeit, in der man sich noch mit zwanzig Mark ordentlich einen hinter die Binde gießen konnte. Wir heckten so manche Streiche aus und hielten fest zusammen. Unsere Eltern waren ab Freitag not amused, wenn wir die Städte unsicher machten. Benny kannte zur damaligen Zeit jeder, man hatte Respekt vor ihm und ließ mich ebenfalls in Ruhe. Da das Jugendschutzgesetz noch anders strukturiert war, konnte ich unter seiner Aufsicht bis zum frühen Morgen unterwegs sein. Da ich in den Ferien und neben der Schule gejobbt habe, hatte ich auch die nötigen Geldmittel, um sie auszugeben. Es war eine spannende Zeit. Mit meinem jüngeren Bruder hatte ich eigentlich sehr wenig zu tun. Er zog sich aus bestimmten Gründen zurück und wurde zum Eigenbrötler. Wir haben auch heute keinen Kontakt mehr. 
Mein Vater nahm mich mit auf diverse Baustellen und ich half ihm, wo ich konnte. Zumeist wurden im Akkord Wände verputzt und am Wochenende half man Bekannten und Freunden beim Renovieren. Dadurch verdiente ich mir ein paar Mark dazu und lernte das Arbeitsmaterial und den Arbeitsbereich zu schätzen. Es war ein Knochenjob, sodass ich abends müde ins Bett fiel. Die Eltern konnten mir nicht so viel Taschengeld geben, wie es die anderen Kinder auf dem Gymnasium bekamen, aber durch meinen Zuverdienst konnte ich dort und in der Clique um Benny mithalten. In den Sommerferien fuhren wir meist mit dem Auto für mehrere Wochen in den Urlaub. Der Straßenverkehr war damals halb so wild und rasen konnte man mit dem Pkw auch nicht wirklich. Wir erholten uns an der Costa Brava oder Costa Dorada in Spanien und wir trafen dort Bekannte aus Holland und Deutschland. Es waren immer sehr gemütliche und familiäre Ferien. Ansonsten besuchten wir Oma Maria in der Pfalz und ich liebte diese Zeiten, es gab weder Handy noch Fernsehen. Die Fortbildung übernahm der Opa, der uns alte Kriegsgeschichten aus dem Zweiten Weltkrieg erzählte, er war Flieger und in russischer Gefangenschaft gewesen. Opas brummige Stimme höre ich noch heute, die Geschichten haben mich fasziniert. Und wenn die eigentlichen Herren des Hauses in der Küche Kuchen backten, saß ich auf seinem warmen Schoss und löste mit ihm Kreuzworträtsel. 
Ganz besonders stolz bin ich natürlich auf meine beiden Kinder. Dass ich 1996 und 2000 doch Vater werden würde, damit hatte ich nicht mehr gerechnet.
Eigentlich wollte ich immer eigene Kinder haben, doch in den vorherigen Beziehungen hatten wir leider nicht das Glück, welche zu bekommen. Wie eng das Leben und der Tod miteinander verknüpft waren, sollte ich kurz vor der Geburt meines Sohnes Lukas feststellen.
Es ereignete sich am Freitag, den 13.12.1996. Ich musste mit einer Kollegin einen tödlichen Verkehrsunfall auf dem Sheffieldring in Bochum aufnehmen, bei dem drei heranwachsende Menschen ihr Leben verloren haben. Sie fuhren mit einem 3-er BMW viel zu schnell, prallten gegen die Leitplanken, der Pkw wurde aufgeladen und gegen einen Betonpfeiler gedrückt. Die Insassen waren auf der Stelle tot. Auf der Stadtautobahn herrschte Grabesstille, der Schock saß bei allen Beteiligten tief. Ich fuhr nachts nach Hause, weckte meine damalige Frau und erzählte ihr diese traurige Geschichte. Während ich redete, legte ich die Hand auf ihren Bauch und spürte das neue Leben. Vier Tage später durfte ich bei der Entbindung meines Sohnes dabei sein. Durch einen Vorbereitungskurs, den ich meist verschlief, war ich trotzdem gut vorbereitet. Wer einmal eine Geburt live miterlebt hat, weiß, wovon ich spreche, und ich werde nicht ins Detail gehen. Schließlich war es geschafft und ich hielt meinen kleinen Jungen auf dem Arm. Ein unvorstellbares Gefühl. Jetzt, fünfundzwanzig Jahre später, darf ich ihn immer noch erleben und ich freue mich, dass er auch mit seiner Schwester gut auskommt. Das ist ja bei Geschwistern so eine Sache. Aber zurück. 
Nach der Risikogeburt meines Sohnes teilte man uns mit, dass wir wohl keine weiteren Kinder bekommen könnten. Wir waren natürlich enttäuscht und traurig. Aber auch diese schwierige Zeit schafften wir und dann, im Sommer 2000, kam unsere Tochter Sophia zur Welt. So hatten wir doch noch mal das Glück, Eltern zu werden, die Freude darüber war groß.
Als die Entbindung näher rückte, wollte das Baby schon acht Tage vor dem Termin zur Welt kommen. Auf dem Weg zum Krankenhaus schaute bereits ihr Köpfchen raus und nach einer heftigen Wassergeburt waren wir Eltern einer gesunden Tochter. Eine berauschende Emotion, unser Glück war perfekt.
Nach all den Jahren, die wie im Flug vergangen sind, nach Krankheiten und Wehwehchen, Freud und Leid, die das Erwachsenwerden mit sich brachte, schafften beide ihr Abitur auf dem Gymnasium. Sie wählten tolle Berufe in sozialen Bereichen und stehen heute kurz davor, ihre Abschlussprüfungen zu machen. Für meinen Stolz, die Liebe und die Dankbarkeit, die ich ihnen gegenüber empfinde, gibt es keine Worte.

Weihnachten in der Pfalz

An ein Weihnachten Ende der 60-er Jahre kann ich mich besonders gut erinnern. Den Heiligen Abend wollten wir im Kreise der Familie verbringen und so stiegen wir in den Zug, der uns in ein Winterwunderland brachte. 
Meine Großeltern mütterlicherseits lebten in der Pfalz, es waren bescheidene Leute, die nicht viel besaßen. In dem roten Häuschen, das unmittelbar am Waldesrand lag, wohnten sie gemeinsam mit den Urgroßeltern. Ein schmaler Pfad trennte das Grundstück mit Garten und Stall von dichten grünen Bäumen und einem Bach, in dem ich im Sommer badete. Nun lag so viel Schnee, dass ich bis zu den Knien darin versank, die Schornsteine qualmten und die Luft roch nach Holz, nach Winter und Gewürzen. Die Zweige der riesigen Tannen hatten schwer mit der Last des Schnees zu kämpfen, sie bogen sich und bei kräftigem Wind ließen sie die weißen Kristalle durch die bitterkalte Luft stieben. Das Haus der Schumachers, die die Arbeit des Schumachers auch tatsächlich ausgeübt haben, war klein und beengt, doch an Gemütlichkeit hatte es nicht gefehlt. Es gab zwei Wolfsspitze, die die Füchse vertrieben, und zwei Katzen, die Mäuse und Ratten jagten. Meine Großeltern hatten acht Kaninchen, die in ihren Stallungen fett ansetzten, eines davon war ganz schwarz, das mochte ich besonders gerne. 
Die Vorbereitungen fürs Fest wurden aufgeteilt. Die Frauen unterhielten sich in der zweckmäßigen Küche, während sie das Festessen für den Abend zubereiteten. Es sollte traditionell Braten, Klöße und Rotkohl geben. Großvater und ich gingen in den Wald, um einen Weihnachtsbaum zu schlagen. Ich trug die Axt wie ein Held und fühlte mich in der Gesellschaft des alten Mannes sehr wohl und geborgen. Der Förster, ein Onkel meiner Mutter, wies uns ein Areal mit Bäumen zu, in dem wir uns den schönsten aussuchen durften, und als unsere Arbeit verrichtet war, zogen wir ihn quer durch den Wald zurück zum Haus. Der Weg lag bald im Dunkeln, denn Laternen gab es dort nicht, aber Angst hatte ich keine. Noch bevor wir die Haustür öffneten, rochen wir den Duft aus der Küche, meine Wangen glühten vor Aufregung und Appetit. Die Wärme des Ofens in der Wohnstube tat gut, Urgroßmutter, Großmutter und Mutter bestaunten den Tannenbaum. Mein Vater und der Urgroßvater, der eine mit Zigarette, der andere mit einer Pfeife im Mund, nickten zustimmend. Es war eine Zeit, in der es nicht viel gab, aber unser Familienkonstrukt zeugte von Zusammenhalt und Miteinander. Die Nachbarschaft funktionierte, man tauschte Lebensmittel wie Eier gegen Äpfel oder Kartoffeln gegen Brot und kaufte fehlende Dinge beim Krämer, der freitags aus dem Nachbarort vorbeischaute und seine Waren feilbot. Man folgte dem Rhythmus des einfachen Lebens, baute Obst und Gemüse eigenhändig an, es gab Kühe für die Milch und Hühner für die Eier. Sie schlachteten teilweise noch selbst, holten die Kartoffeln aus der Erde und säten das Korn, um Brote zu backen. Erschöpft vom Waldspaziergang gesellte ich mich zu den Frauen in die Küche, nun roch es nach Plätzchen und Mandeln, Nüssen und zerlassener Butter. Ich naschte vom Teig, bis ich Bauchweh bekam und zurück zu Großvater geschickt wurde, der mich über den Hof zum Plumpsklo begleitete, denn eine Toilette im Haus war damals noch nicht üblich. Die Hunde liefen uns hinterher, die Kaninchen im Stall schienen zu schlafen, auch mein Lieblingstier, der Schwarze, war nicht zu sehen. Ich fragte meinen Opa, ob wir gleich noch mal nach den Tieren schauen konnten, aber er wiegelte ab. 
»Der Baum muss noch geschmückt werden«, sagte er hüstelnd. Das Plumpsklo war kein schöner Ort, das habe sogar ich als kleiner Knirps verstanden. Es war kalt und ungemütlich, es bestand aus Holz mit Guckloch, an das ich nicht heranreichte, und es stank fürchterlich. So lang ich konnte, versuchte ich einzuhalten, um diesem Erlebnis zu entgehen. Den Weg zurück ins Warme rannte ich, denn nun wurde der Christbaum geschmückt, die Kerzen aufgesteckt, das Lametta durfte ich auf die Zweige legen. 
Zur Sicherheit deponierten wir einen Eimer mit Wasser in der Nähe, falls die Flammen der Wachskerzen auf die Tannenzweige übergehen sollten. Die Erwachsenen wechselten die Kleidung, auch mich zog man schick an. Eine Schallplatte mit Weihnachtsmusik lag auf der Anrichte, die ich zur Bescherung auf den Plattenspieler legte. Doch bevor das Fest begann, schlich ich mich doch noch mal zum Stall, um meinem Hasen frohe Weihnachten zu wünschen. So tapste ich auf Zehenspitzen in den Flur, zog die Stiefel über, öffnete die Tür und ließ sie einen Spalt breit auf. Dann ging ich über den verschneiten Hof, die Luft roch herrlich frisch. Hinter den Fenstern sah ich die Umrisse meiner Familie, den glitzernden Weihnachtsbaum, das gelbe Licht aus dem Küchenfenster erhellte mir den Weg. Da war der Hasenstall, ich legte den Riegel am Holzverschlag zur Seite und versuchte die Tiere in der Dunkelheit auszumachen, da lagen sie, eng beieinander, doch der Schwarze war nicht dabei. Mehrfach zählte ich nach, aber es blieb bei sieben. Erschrocken rannte ich zurück ins Haus und berichtetet aufgelöst von meiner Entdeckung. Die Erwachsenen schauten betreten drein, Großvater schob die Schuld auf den Fuchs, der habe ihn sicher geholt. Das kam mir allerdings komisch vor, denn mein Hase war doppelt so groß und dreimal so dick wie der Fuchs, der sich hier rumtrieb. Ich redete mir ein, er käme bald zurück, denn ich wollte am Weihnachtsabend nicht traurig sein. Mein Blick fiel auf die Pakete unterm Tannenbaum, eines davon war sicher für mich. Und dann genossen wir das leckere Essen, wir sangen im Kerzenschein zur Melodie der Schallplatte die alten volkstümlichen Weihnachtslieder, ich zupfte das Paketband auseinander und freute mich über eine Ritterburg mit fünf hölzernen Rittern. Bis auf die kratzige Strumpfhose war es ein wundervolles Fest, das ich nie vergessen werde. Na ja, nicht ganz. Denn im Bratentopf hatte mein Schwarzer gelegen, was ich Gott sei Dank erst Jahre später erfahren sollte.

Im Zeichen des Mondes

Ein bahnbrechendes Ereignis für die Menschheit vergaß ich nie, obwohl es schon so lange her war.
1969 war ich sechs Jahre alt und ich sollte im Sommer eingeschult werden. Ich war sehr aufgeregt, vor allem, wen ich kennenlernen durfte und was in der großen Schultüte sein würde. Im Juli 69 wurde ich plötzlich nachts von meinem Vater geweckt. Was war passiert? Es war noch nicht einmal morgens und mein Vater trug noch seinen zerknitterten Schlafanzug.
»Torsten, komm schnell ins Wohnzimmer. Es kommt da was im Fernsehen, das muss du dir anschauen. Dieses Ereignis wirst du dein ganzes Leben nicht vergessen«, rief er aufgeregt.
Ich huschte zu ihm rüber und legte mich auf die Couch, deckte mich zu und trank etwas Tee, den mein Vater mir hingestellt hatte. Im Fernsehapparat – damals wurden nur Schwarz-Weiß-Bilder gesendet – erklärte ein Reporter gerade, dass es zu einer Mondlandung kommen sollte. Den Mond kannte ich ja, vor allem wenn er voll war und man den Mann im Mond sehen konnte. Eigentlich so nah und doch so fern. Oder aus den Geschichten, in denen sich Menschen bei Vollmond in einen Werwolf verwandelten. Dieses Mal war aber eine Raumkapsel mit drei Astronauten, die Apollo 11, von der Erde aus gestartet und hatte die Mondumlaufbahn erreicht. Nach einigen Umkreisungen hatte man sich dem richtigen Eintrittswinkel genähert und man konnte die Mondlandefähre Eagle auf dem Mond landen lassen. Ich verstand nur, dass der Mond einmal Teil der Erde gewesen war und nun mit der Erde die Sonne umkreiste. So wollte es die Natur. Wie viele Millionen Jahre alt die Erde und die Menschheit waren, begriff ich damals noch nicht. Die Übertragung, die es im Fernsehen gab, war schlecht, und ich konnte kaum etwas erkennen. Nach einiger Zeit war man mit der Mondfähre gelandet und nun betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond, nach ihm Buzz Aldrin. Es sah aus wie in einem Science-Fiction-Film, wie die beiden umhersprangen und ihre Eindrücke zum Besten gaben. Der deutsche Reporter übersetzte das Gesagte und kommentierte das Ereignis mit voller Inbrunst. Man hörte, dass er sehr aufgeregt war. Nach einiger Zeit wurde mir langweilig und ich schlief ein, während mein Vater gebannt auf den Bildschirm starrte. Was dort gerade passierte, verstand ich erst Jahre später, als ich erwachsener wurde. Nach der heutigen rasanten Entwicklung zu urteilen, schafft es die Menschheit in naher Zukunft auch, den Mars zu betreten. Wenn man sich vorstellt, was für Entfernungen die Raumschiffe, die Raumsonden, die Satelliten und die von dort kommenden Signale zurücklegen, welche scharfen und bunten Bilder von dort aus dem Weltraum gesendet werden, das ist schon einzigartig. Allerdings schafft es die Menschheit nur zusammen, die unendlichen Weiten der Galaxien zu erforschen und zu erkunden. Ohne Kriege und Umweltzerstörung. Im Endeffekt bleiben wir Menschen nur so klein und winzig wie ein Sandkorn in der Wüste. Alles manchmal unvorstellbar, aber das Ereignis der Mondlandung vergaß ich nie.

Grundschulzeit

Meine Grundschulzeit verbrachte ich in der Grundschule Fürker Irlen in Merscheid. Der Namensteil Fürker leitete sich durch die Nähe zu der seit dem Mittelalter vorhandenen Hofschaft Fürk ab, Irlen bedeutete Erlen, diese Bäume säumten in dem Gebiet einst einen kleinen Zufluss zum Viehbach. Zur Einschulung war meine Schultüte größer als ich, in ihr steckten eine Menge Leckereien, die ich im Anschluss nach und nach verputzte. Dort verbrachte ich vier Jahre, es gab vier Klassen, die zwischen fünfunddreißig und vierzig Kinder hatten. Es gab einen Rektor, der mir damals schon sehr alt vorkam, und eine dunkelhaarige Klassenlehrerin mit Brille. Beide waren streng, es galt Ruhe und Disziplin zu wahren und wenn das nicht funktionierte, gab es auch mal einen Hieb mit dem Holzlineal auf die Finger. Die Klasse untereinander schloss schnell Freundschaft, wir übten gemeinsam die deutsche Schrift, leider gab es in den Jahren danach nie ein Klassentreffen und die meisten von ihnen sah ich nie wieder. Ich schrieb gute Noten, denn ich wollte unbedingt auf das Gymnasium, und mein Fleiß wurde belohnt, obwohl der Besuch eines Gymnasiums zur damaligen Zeit eher für finanziell Bessergestellte üblich war. Doch ich hatte es geschafft, ich kam auf die Geschwister-Scholl-Schule. Toto aus der Arbeiterfamilie, die Mutter Sekretärin, der Vater Stuckateur, der Häuser und Wände verputzte. 
Nach den Schularbeiten trafen wir uns an den verschiedensten Treffpunkten, wir tobten und spielten in der Natur, es gab keine Handys, wir bastelten uns Netze und fingen Lurche und Frösche. Es gab im Ort eine stillgelegte Kläranlage, in der Nähe gab es einen alten Bunker, in dem die Polizei später alte Kriegswaffen fand. Dort befindet sich heute eine Autobahn. Wir kletterten auf Bäume, bauten uns mit einem Taschenmesser Pfeil und Bogen und machten uns so richtig schmutzig. Pünktlich zum Abendessen gingen wir nach Hause, es gab frisches Brot und Käse. Manchmal eine heiße Suppe. Das Schlimmste für uns Kinder war, wenn wir Hausarrest bekamen, nicht draußen sein zu können, war eine entsetzliche Strafe. Wenn ich heute zurückblicke, habe ich in meiner Kindheit nichts verpasst, ich erinnere mich an das gestohlene Obst vom Nachbarn, per Räuberleiter erbeutet, an den wilden Hund, vor dem wir dann schnurstracks weglaufen mussten. Denn wehe, man wurde erwischt, dann hieß es mit dem Handrasenmäher des Nachbarn Rasen mähen, und das vier Wochen lang. Es war eine schöne Zeit, unbeschwert und frei. 
Die Eltern gingen arbeiten, sie machten beide erst spät den Führerschein. Ich beschäftigte mich dann mit einem Buch, tauschte MickeyMouse-Hefte oder spielte Fußball auf der Feuerwehrwiese. Meine Mutter und mein Vater lasen, um die neuesten Informationen zu bekommen, die Tageszeitung oder hörten Radio. Einen Fernseher gab es erst später, eine braune Holzkiste, bei der man, um umzuschalten, noch aufstehen und den Knopf am Apparat drücken musste. Dann erschien das Testbild und man konnte zwischen dem Ersten und Zweiten Programm wählen. Was ich in der heutigen Zeit vermisse, ist der Zusammenhalt. Unsere früheren Nachbarn waren Italiener, Türken und Jugoslawen. Alle spielten und lebten zusammen, wir hatten eine Menge Spaß. Am Wochenende traf man sich, jeder brachte etwas zu essen mit, entweder gab es Pizza vom Italiener oder leckeres Fleisch beim Türken. Bei uns wurde gegrillt, es gab belegte Brote auf die Hand. In unserem Fußballverein Union Solingen waren alle integriert, die Eltern gingen arbeiten und die Kinder zur Schule. Ohne Probleme.

Gymnasium

Nach der Grundschulzeit wollte ich unbedingt auf ein Gymnasium, um später Sportlehrer zu werden. Das war ein heikles Thema, da der Schulbesuch dort Geld kostete und viele Familien sich dies nur schwer leisten konnten. 
Außerdem brauchte man eine bestimmte Qualifikation, damit man angenommen wurde, die besaß ich, und so setzte ich mich gegenüber meinen Eltern durch. Also besuchte ich ab 1973 das damalige Geschwister-Scholl-Gymnasium in Solingen-Ohligs, das zu Fuß nur eine Viertelstunde vom Elternhaus entfernt lag. Es war eine aufregende und spannende Zeit. Ich erinnere mich gerne an unsere einstige Klassenlehrerin Frau Voss. Wenn sie den Klassenraum betrat, blieb uns allen die Spucke weg, denn sie erschien uns unnahbar und rein. 
Sie war hochgewachsen und trug einen schwarzen Hosenanzug, ein buntes Halstuch wehte im Wind. Sie war dezent geschminkt, trug eine Lesebrille und sah sehr gepflegt aus. 
Wir Jungs waren sofort verliebt und hatten Riesenrespekt vor ihr. Ich begeisterte mich für Sport, Religion, Deutsch und Englisch, Erdkunde und Musik. Schwer tat ich mich nur in Physik, Chemie und Latein. Letzteres musste ich wählen, wenn ich Sport und Medizin studieren wollte. Wie der Lernstoff rüberkam, war natürlich wichtig, denn nichts war schlimmer als Langeweile im Unterricht. Ich erfuhr viel Unterstützung seitens des Lehrpersonals und kam gut durch die Schulzeit. 
Das Motto hieß ganz glasklar: Entweder ihr lernt auch selbstständig oder ihr wechselt die Schule. Ich hatte Glück, dass der Sportlehrer mich ins Herz geschlossen hatte, ich spielte in allen Schülermannschaften um die Stadtmeisterschaften mit, egal ob es Tischtennis, Handball oder Fußball war. Und wir hatten Erfolg. Das freute den Coach, der sich im Wettkampf mit den Kollegen der anderen Schulen befand, und da seine Schwester bei uns Mathematik unterrichtete und seine Tante die Direktorin war, lief es bei mir. Selbst in der Pubertät kam ich, bis auf eine Ehrenrunde, gut durch die Zeit. Ich lernte – als Raufbold – vor allem, dass man sich geistig auseinandersetzte und sich nicht immer prügelte oder schubste. 
Die Zwei-Klassen-Gesellschaft merkte man hier niemandem an, man wusste aber, wessen Familie eine Arbeiterfamilie und welche Unternehmer, Kaufleute und Firmeninhaber waren. Während ich in der Freizeit mit Bus, Bahn oder Fahrrad fuhr, hatten die besser situierten Jugendlichen schon Mofas oder Mokicks. Trotzdem waren wir eine tolle Clique, die zusammenhielt, etwas unternahm oder sich zu Feten in den reichen Häusern traf. Die siebziger und der Anfang der achtziger Jahre besaßen weniger Hektik. Es gab keine Handys, wir spielten den ganzen Tag draußen oder trafen uns im Freibad und zum Bolzen auf der Feuerwehrwiese. In den Kirchen gab es Jugendclubs, wo wir Cola tranken und Klammerblues tanzten. 
In der Oberstufe bekamen wir einen interessanten Zusatzkurs, die Theater-AG/Schauspiel. Ich mochte die Bühne und spielte mit anderen Schülern die Sketche von Loriot oder Otto Waalkes nach. Und obwohl ich mich eher als introvertierten und schüchternen Jungen sah, hat mir diese AG für mein späteres Leben viel mit auf den Weg gegeben. Selbstbewusstsein und Disziplin, und damit wurde ein Grundstein gelegt, auch für die Dreharbeiten und Auftritte zu Toto & Harry. 

Erste Liebe

Verknallt war ich das erste Mal mit süßen siebzehn, ihr Name war Britta, sie war ein Jahr jünger als ich und wir lernten uns in der Tanzschule kennen. 
Sie tanzte mit meinem Kumpel Oliver in einer Gold-Star-Formation und es sah wirklich toll aus, wie die Tänzerinnen und Tänzer über das spiegelglatte Parkett schwebten. Ich selber hatte für einen Tanzkurs keine Zeit, aber am Wochenende gab es dort eine Disco und jedes Mitglied der Tanzschule durfte einen Gast mitbringen. So zog ich mit Oliver und Holger los und Britta forderte mich bei der Damenwahl auf. Ich bekam sofort einen roten Kopf, stellte mich aber gar nicht so ungeschickt an. Wir verabredeten uns zum Kaffee oder zum Eisessen, wir lernten uns langsam kennen, indem wir etwas unternahmen und viel miteinander redeten. Die typischen Zettelchen steckten auch wir uns zu: Willst du mit mir gehen? 
Ja / nein / vielleicht später / warum nicht? 
Wenn das Kreuzchen dann an der richtigen Stelle war, ging man händchenhaltend durch die Stadt. Im Kino folgte der erste Kuss, aber ohne Zunge. Ich war ganz hin und weg und wir verstanden uns gut.
Britta kam aus schwierigen Familienverhältnissen und ich war so etwas wie ein Halt für sie. Sie machte eine Lehre zur Fleischfachverkäuferin und ich begann die Ausbildung bei der Polizei. Mein Vater besorgte uns recht früh eine kleine Wohnung, viele Freunde halfen uns bei der Renovierung. Sie zog mit einem sprechenden Graupapagei ein, der uns mit seinem Gekrächze auf Trab hielt. Es war ein aufregendes Jahr, wir lachten und wir schmusten viel. Leider lernte sie dann einen anderen Mann kennen und ich war raus. Ich erwischte sie eines mittwochs in flagranti. 
Da ich die Woche über im Lehrgang bei der Polizei Bochum war und noch keinen Führerschein hatte, kam ich normalerweise erst freitags mit der SBahn nach Solingen zurück. Aber an diesem Mittwoch war alles anders. Ein Lehrgangskollege musste wegen einer dringenden Familienangelegenheit zurück und ich klinkte mich ein. So stand ich freudig und voller Erwartung vor der Wohnungstür und hörte plötzlich Gestöhne. Ich schloss leise auf und sah schon das Dilemma. Britta lag mit einem Typen auf der Couch, sie liebten sich. 
Für mich brach eine Welt zusammen und ich ging wortlos rüber zu meinen Eltern, die in der Nähe wohnten. Durch dieses Ereignisses wäre ich fast durch den Lehrgang gerasselt, konnte mich aber gerade noch fangen.
Durch die Enttäuschung schlief ich bei ihnen in einem großen Partyraum und versuchte mich zu erholen.
Ich bin darüber hinweggekommen und sie lebt heute mit ihrem Mann und den vier Kindern in Düsseldorf.

Der Weg zur Polizei, Ingo und Onkel Benny

1980 lag in Solingen bei meinen Eltern ein Brief im Postkasten – Der Werbe- und Auswahldienst der Polizei in Nordrhein-Westfalen suchte junge und dynamische Männer ab sechzehn Jahren. Mein Bruder Ingo war sofort Feuer und Flamme. Ich dagegen konnte mir ein Leben in grüner Uniform nicht vorstellen. Doch da hatte ich die Rechnung ohne meine Mutter gemacht. Denn mein Bruder war erst fünfzehn und durfte deshalb nicht alleine zum Einstellungstest. Man redete mit ins Gewissen, und so fuhr ich mit, von Solingen nach Essen. Ich erinnere mich noch ganz genau, ich hatte überhaupt keine Lust dazu, mein Berufswunsch war Sportlehrer, das war für mich ganz klar, was sollte ich also bei der Polizei? Dort angekommen sahen wir die Konkurrenz. Fünfzig junge Männer, die bis auf meine Wenigkeit alle unbedingt zum Polizeidienst wollten. Aber gut, Mutter hatte es mir vorher immer wieder eingebläut, ich müsse mich anstrengen, denn wenn ich den Test nicht schaffte, bliebe ihr zweitgeborener Sohn alleine zurück. Der Test ging nämlich über zwei Tage, und wer zu schlecht war, der fuhr sofort nach Hause. Alles begann mit einem vermeintlich harmlosen Diktat, doch bei dem erwischte es schon die Hälfte der Truppe. Ein Polizeibeamter sammelte die Zettel ein, er kam kurze Zeit später zurück und bat über zwanzig von uns nach draußen. Durchgefallen, ab nach Hause. In diesem Moment packte mich der Ehrgeiz und ich gab alles. 
Auf das Diktat folgten Dreisatz-Aufgaben und wieder verabschiedeten sich ein paar der Teilnehmer. Dann wurden wir auf Farbenblindheit getestet und mussten schließlich noch eine Nacherzählung schreiben, Ingo und ich blieben im Rennen. Am zweiten Tag ging es zum Sporttest. Wie gesagt, ich wollte Sportlehrer werden, da schockten mich Liegestützen nicht wirklich. Zum Schluss waren wir noch zwölf Mann und jetzt hieß es ab zum Polizeiarzt. Wir saßen alle in Unterhosen auf einem schummerigen Flur, die alten Holzstühle knarzten, es war kalt und wir hatten langsam keine Lust mehr. Auf einmal flog die Tür auf, der Amtsarzt kam heraus und brüllte uns an: 
»Wer von euch ist Schalke-Fan?« 
Wie bereits gesagt: Ich saß dort nur in Unterhose, mir war kalt, ich wollte nach Hause. Also hob ich den Finger. Ich war zwar Bochum-Fan (und bin es mit Leib und Seele bis heute), aber das war damals schließlich eine erlaubte Notlüge. Ich musste auf einem Trimmrad strampeln, bis ich nicht mehr konnte. 
Im Nebenraum flüsterte der Arzt mit der Krankenschwester, doch ich verstand jedes Wort.
»Der Erste muss es schaffen, dann haben die anderen noch Hoffnung. Wir nehmen eh nur vier von den fünfzig.« 
In dem Moment wusste ich, dass ich es meistern würde. Es war ein tolles Gefühl, obwohl ich ja eigentlich gar nicht zur Polizei wollte. Mein Bruder fiel aufgrund seines Wachstums durchs Raster, die eine Schulter war höher als die andere, er wurde zurückgestellt. Für Ingo brach eine Welt zusammen, er hat geheult wie ein Schlosshund, denn Polizist war schließlich sein Traumberuf. Und nun war er raus und ausgerechnet der große Bruder, der falsche Schalke-Fan, wurde genommen. War das Schicksal? Das frage ich mich bis heute. Zu Hause angekommen wusste meine Mutter nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. Denn ihr Jüngster hatte immer noch Tränen in den Augen, sie spendete Trost auf der einen und zeigte stolz auf der anderen Seite. Von da an hatte ich mich mit dem Gedanken angefreundet, zur Polizei zu gehen, auch mit Hinblick auf Onkel Benny, das schwarze Schaf der Familie. Er freute sich damals am meisten, dass aus mir was Ordentliches werden würde. Er hatte oft Pech im Leben und war fast immer zur falschen Zeit am falschen Ort. 
Meine späteren Kollegen bei der Polizei kannten ihn aus nun genannten 
Gründen alle sehr gut …
Bennys schräge Laufbahn begann, als er nach einem Dorffest seine angetrunkene Freundin sicher nach Hause fahren wollte. Leider hatte er keinen Führerschein und prompt sah er die Haltekelle. Anzeige. Den etwas größeren Auftritt hatte er dann ein paar Jahre später. Benny war 1,82 Meter groß, er hatte ein breites Kreuz und viele Muskeln. Er trug einen Vollbart und hatte lange kastanienbraune Haare. An jenem Rosenmontag trug er dazu einen bodenlangen Lodenmantel, einen Stetson und einen Patronengurt. Umgeschnallt hatte er einen ausrangierten silbernen 45er-Colt, an den Füßen klackerten die Sporen der Cowboy-Stiefel. In diesem Outfit ging er mit einem Kumpel in die Deutsche Bank, um Geld von seinem Konto abzuheben. Mit einem Zigarillo im Mundwinkel sagte er den legendären, in unserer Familie immer wieder genannten Satz: 
»Gib mir all mein Geld, Gringo.« 
Der Bankangestellte, möglicherweise ein Karnevalsmuffel, drückte sofort den Alarmknopf. Die Polizei stürmte in die Bank, nahm ihn fest, sperrte ihn ein und wir mussten ihn anschließend auslösen. 
Ein anderes Mal hatte er einen über den Durst getrunken und fuhr artig mit dem Taxi nach Hause. Der Fahrer dachte offenbar, so einen Besoffenen ziehe ich schön über den Leisten. Vor Fahrtbeginn machte Benny einen Festpreis von zwanzig Mark aus, worauf der Taxifahrer sich zunächst einließ, doch kurz vor der Haustür verlangte er siebenunddreißig Mark. Der Konflikt war vorprogrammiert, denn mein Onkel ließ sich nicht verarschen. Er gab dem Mann die vereinbarte Summe und wollte sich verabschieden, da schlug der Taxifahrer Alarm. Zwei andere Taxen kamen angebraust und versuchten ihn festhalten, er holte kurzerhand aus, im Nu lagen die drei Droschkenkutscher rücklings auf der Straße. Und wieder kam die Polizei, er wanderte in die Zelle, den Rest kennt Ihr ja schon. Manchmal brachten ihn auch die eigenen Freunde in Bedrängnis. Eines Nachts telefonierte er lautstark mit einem Kumpel, seine Mutter, die in deren Haus die untere Etage bewohnte, bat ihn doch bitte aufzulegen, denn es war weit nach Mitternacht. Doch Benny blökte sie an: 
»Sei still, sonst bringe ich dich um!«
Sein Kollege am anderen Ende der Leitung verstand den rüden Spaß, der zwischen den beiden nicht unüblich war, nicht und rief die Polizei. Drei Stunden nach dem Telefonat traten Polizisten mit gezogenen Waffen die Tür ein und stürmten in die Wohnung. Die Mutter kam im Nachthemd aus dem Schlafzimmer geschossen und fragte die Beamten, ob sie noch richtig tickten, worauf die verdutzten Kollegen ihr antworteten: 
»Wir dachten, Ihr Sohn habe Ihnen etwas angetan!« 
»Da habt ihr euch ja ’ne Menge Zeit gelassen. Wenn der wirklich ernst gemacht hätte, wäre ich wohl schon tot«, gab sie gähnend zurück. Trotzdem musste mein Onkel den Beamten auf die Wache folgen. 
Später arbeitete er als Bodyguard, da bekam er einen Auftrag in der Schweiz. Mit einem Kollegen sollte er einen Geschäftsmann bewachen. Erst schien alles ganz toll, eine Villa, schöne Frauen und Champagner bis zum Abwinken. Doch als nachts die Lichter ausgingen, flogen plötzlich die Türen aus den Angeln und Blendgranaten durch die Fenster. Ein Spezial-Einsatz-Kommando der Polizei stürmte das Anwesen. Der Geschäftsmann hatte einen ganzen Koffer mit Bargeld veruntreut und wollte die Dollars auf einem Schweizer Nummernkonto verstecken. Der Spezialist in unserer Familie kannte ja bereits den Ablauf: Festnahme, Zelle, Verhör. Und ausgerechnet er, mein lieber Onkel Benny, freute sich nun am meisten, dass der kleine Torsten zur Polizei ging.
Verrückt, oder? Ingo, mein Bruder, ging übrigens später zur Bundeswehr und wurde Berufssoldat. 
Bei meinen Kumpels in der Schule war das allerdings ganz anders. Alle lachten mich aus. Du wirst Bulle – unvorstellbar doof. Ich dachte nur, ihr spinnt doch. Da konnte ich Motorradfahren, Sport machen und hübsche Mädels kontrollieren. Bis dahin war es aber noch ein weiter Weg.
Eine ärztliche Kontrolle warf mich kurzzeitig aus der Laufbahn, beim Röntgen hatte man auf meiner linken Lunge einen Schatten entdeckt. Ich rauchte schon eine Weile und erschrak: War es bald so weit, musste ich jetzt sterben? 
Doch der dunkle Fleck hatte einen ganz anderen Grund. Ich spielte damals Handball und warf mit links. Als ich das dem Arzt erzählte, fing der an zu lachen: »Der Schatten ist wahrscheinlich ein besonders dicker Brustmuskeln. Du hast zwar eine Bronchitis, aber sterben wirst du daran nicht.« Und damit stand mir auf dem Weg zum Schutzmann nichts mehr im Wege. Vorher ging ich noch zum Friseur. Meine Haare waren mittlerweile schulterlang, was mir persönlich gut gefiel, und als dann die Schneidemaschine anfing zu rattern und die ganze Perücke zu Boden fiel, war das echt schlimm für mich. Man konnte jetzt die Segelohren deutlich sehen – und ich fand auch, dass die schiefen Schneidezähne nun viel mehr auffielen. Dass die Haare später in der Ausbildung noch kürzer werden würden, habe ich mir allerdings nicht träumen lassen. Der 1. Oktober 1981 war dann der Tag der Wahrheit. Ich musste zum Dienstantritt von Solingen nach Bochum, um mich in einer Polizei-Kaserne zu melden. Das Ruhrgebiet, den Kohlenpott, kannte ich gar nicht richtig, ich dachte, es gebe dort nur rußgeschwärzte Häuser und Gesichter. Als ich aus der Bahn stieg und zu Fuß die Castroper Straße hinauflief, sah ich das mir von einem Schulausflug bekannte Planetarium. Weiter hinten ragte der Förderturm des Bergbaumuseums in den blauen Himmel und der Bochumer Tempel, das Ruhrstadion, gab sich die Ehre, mich zu begrüßen. 
Damals ahnte ich noch nicht, dass ich hier noch so manche Schlacht außerhalb des Spielfelds mit Hooligans schlagen würde. Und dann war es auch schon so weit, da stand der Toto mit kurzen Haaren, Segelohren und feuchten Händen vor dem Kasernentor und begehrte Einlass. In meinem Magen grummelte es. Ein älterer Polizeibeamter kam an das Tor und sprach mich an. Fast verstand ich ihn nicht, es war tiefster Kohlenpott-Slang: 
»Na, Junge, watt wollste hier? Wollste zu de Polizei, oder watt?« 
Ich schaute zu ihm auf, ein Polizeiobermeister mit zwei Sternen. Damals war das in der Hierarchie eine Art Gott. Ich murmelte verlegen, dass ich mich hier melden sollte, und dann begleitete er mich zur Unterkunft. Dort betrat ich das Büro und wen erblickten meine jugendlichen Augen: Hartmut Fromm, mit einhundert Spielen Profispieler des VfL Bochum in der 1. Bundesliga. Mein Mund stand wohl geraume Zeit offen, denn er fragte belustigt, warum ich ihn so erstaunt anblickte. 
Ich stammelte: »Ich habe Sie in einem Kicker-Sonderheft gesehen.« Hartmut Fromm, er wurde mein Ausbilder. Das fing ja gut an!

Der Führerschein

Zur heutigen Zeit dürfen die Heranwachsenden ab dem siebzehnten Lebensjahr den Führerschein machen. Damit können sie sofort am öffentlichen Verkehr teilnehmen, entweder beim begleiteten Fahren oder selbstständig mit dem eigenen Wagen oder dem Familienauto. Früher war das noch anders. Meine Eltern zum Beispiel mussten sich in den siebziger Jahren zunächst das Geld zusammensparen, um dann nacheinander die Fahrerlaubnis zu erlangen. Da gab es noch keine Sicherheitsgurte im Fahrzeug, das Benzin war noch bezahlbar und es wurde im Auto ordentlich geraucht. Man konnte sogar am eigenen Auto herumschrauben und es reparieren und der Fahrzeugverkehr auf den Straßen war noch sehr übersichtlich.
Auch in meiner Zeit des Heranwachsens hatten die meisten Mitstreiter in der Oberstufe schon ein motorbetriebenes Zweirad und ab achtzehn Jahren dann den Führerschein. Ich hatte das Gefühl, dass ich der Einzige in unserer Clique gewesen war, der noch mit dem Fahrrad oder mit der S-Bahn von Solingen-Ohligs zur Polizeikaserne nach Bochum fuhr.
Da ich die Annahme für den Polizeidienst in NRW in der Tasche hatte, musste ich eineinhalb Jahre warten, um bei der Polizei einige Führerscheinklassen zu erlangen. Das gab es damals noch. Man erlangte diverse Fahrerlaubnisse im 2. Ausbildungsabschnitt. Wer Klasse 3 oder B hatte, konnte sogar einen Führerschein für den Lkw machen. Und dann war es endlich so weit. Ende Oktober fingen wir parallel an, uns auf die Fahrprüfungen für Motorrad und Pkw vorzubereiten. 
Erst einmal hatten wir Fahrschulunterricht und wir büffelten für die theoretischen Prüfungen, bevor wir uns die einzelnen Fahrzeuge anschauen konnten. Uns wurde viel erklärt und nach einer Zeit durften wir morgens schon mal die VW Bullys bereitstellen, wenn nötig befreiten wir die Autos von Eis und Schnee. Wir waren in 2er-Gruppen unterwegs und wir hatten insgesamt zweieinhalb Monate Zeit, die einzelnen Prüfungen zu schaffen, damit am Ende die Klassen 1 und 3 erteilt werden konnten. Ich machte dabei circa vierzig Fahrstunden auf dem BMW-Motorrad und etwa fünfzig Stunden mit dem VW. Für einen meiner Kollegen und für mich war das eine ereignisreiche Zeit, denn wir zwei fielen immer wieder auf. Das Erste, was uns passierte, ereignete sich an einem Montagmorgen um sieben Uhr. Viele in der Kaserne schliefen noch, aber wir hatten den VW Bully schon aus der beheizten Garage geschoben und warteten nun auf den Fahrlehrer. Meinem Kollegen war aber nun langweilig geworden und er fing an, das Innenleben des Streifenwagens zu untersuchen und an verschiedenen Schaltflächen des Funkgerätes und des Sondersignals zu drehen. Ich sagte noch, er soll das lieber lassen, das gebe nur Ärger, da passierte es auch schon. Ewald hatte am Knopf des Martinshorns gezogen, sodass das Horn anging und wir nun den kompletten Garagenhof und einen Teil der Kaserne beschallten. Jetzt wurde mein Kumpel doch nervös und er versuchte, das Signalhorn auszuschalten. Leider zog er noch fester, bis er eben diesen Knopf in der Hand hielt. Mir wurde schlecht. Die Lichter in der Polizeikaserne gingen an und wir wurden immer hektischer. Ich öffnete schnell die Motorhaube, den das Signal lief ja über die Batterie, vielleicht konnte ich etwas abklemmen und das extrem laute TATÜTATA stoppen. Mir lief, trotz des kalten Wintertages, der Schweiß den Rücken hinunter. Dass Ewald nicht ohnmächtig wurde, war ein Wunder. Plötzlich stand unser strenger Fahrlehrer neben uns, zog an einem Kabel und das Gerät stoppte. Wenn Blicke töten könnten, wären wir auf der Stelle umgefallen. Er packte uns am Nacken und schüttelte uns wie kleine Katzen. Dabei fauchte er: »Seid ihr eigentlich von allen guten Geistern verlassen worden? Was hatte ich euch gesagt? Finger weg, ein Polizeiauto ist kein Spielzeug.« 
Das Ende vom Lied: Wir mussten beim Hundertschaftsführer antreten, um uns zu entschuldigen. 
Die Strafe: Freitagnachmittags einige Polizeiautos säubern, während die anderen Kollegen nach Hause fahren durften. Nachdem wir die theoretischen Prüfungen bestanden hatten, stand die praktische Fahrprüfung für Pkw an. Ewald hatte schon Vorkenntnisse, ich nicht. Und so fuhren wir dann auch. Mein Kumpel war nach mehreren Fahrstunden sicher, ich hatte immer noch Angst und Respekt vor der Geschwindigkeit.