Warum Krieg? - Jacques Le Rider - E-Book

Warum Krieg? E-Book

Jacques Le Rider

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Beschreibung

Im Juli 1932 fragt Einstein in einem offenen Brief an Freud, wie man die Menschheit »den Psychosen des Hasses und des Vernichtens gegenüber widerstandsfähiger« machen könnte. In seiner Antwort zieht Freud die Bilanz seiner Kulturanalyse. Nur durch Hemmung des Aggressions- und Destruktionstriebs könne Friede gestiftet werden, kein »ewiger« allerdings, da die erreichte Triebumbildung so leicht außer Kraft gesetzt werden könne. In diesem Dialog zwischen Freud und Einstein werden Fragen gestellt, die heute aktueller denn je sind. Kann der Pazifismus in Krisenzeiten den Krieg verhüten? Freud geht davon aus, dass der Kulturprozess »gegen den Krieg arbeitet«. Galt aber die Kriegstüchtigkeit nicht immer wieder als hoher Kulturwert? Und warum gehen Einstein und Freud über die Frage des »gerechten« Verteidigungskriegs so rasch hinweg?

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Seitenzahl: 66

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wiener vorlesungen

Band 209

Herausgegeben für die Stadt Wien von Anita Eichinger

Vortrag

am 28. März 2023

jacques le rider

warum krieg?

zur aktualität des briefwechsels von einstein und freud

picus verlag wien

Copyright © 2023 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien

Alle Rechte vorbehalten

Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien

ISBN 978-3-7117-3029-9

eISBN 978-3-7117-5501-8

Informationen zu den Wiener Vorlesungen unter

www.wienervorlesungen.at

Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unter

www.picus.at

inhalt

die wiener vorlesungen

wie der briefwechsel zwischen einstein und freud entstand

1932, das jahr der letzten chance für den frieden

einsteins vorschläge zur kriegsverhütung in »warum krieg?« – eine etappe auf dem wege eines militanten pazifisten

recht und gewalt

sigmund freuds anthropologie des krieges

kein »arzt der kultur«

über schlafwandler, die in den krieg ziehen, und »gerechte« kriege

»pazifisten aus organischen gründen«

arbeitet die kulturentwicklung in jedem fall für den frieden?

diktatur der vernunft: freuds schwarze aufklärung in finsteren zeiten

abschliessende betrachtungen

bibliografie

nachwort

der autor

preise und auszeichnungen

bücher in deutscher übersetzung

weitere bücher

die wiener vorlesungen

Die Wiener Vorlesungen sind seit über drei Jahrzehnten ein offenes Dialogforum der Stadt Wien und eines der wichtigsten Formate für Wissens- und Kulturvermittlung in dieser Stadt. Ihr Ziel ist es, den Analysen, Einschätzungen und Fragen renommierter Denker*innen und Wissenschaftler*innen aus aller Welt Raum zu geben, um gesellschaftliche Herausforderungen der Gegenwart anschaulich zu analysieren und kritisch zu diskutieren. So wird nicht nur der Blick für die Komplexität und Differenziertheit unserer Wirklichkeit geschärft, sondern auch im Sinne eines kritischen, digital weitergedachten Humanismus Demokratie gestärkt, indem wissenschaftliche Betrachtung und Argumentation breit nachvollziehbar gemacht und vermittelt werden.

Es mag ein Paradox unserer durch vielfältige Krisen geprägten Zeit sein, dass gerade in einem Land, in dem seit jeher großartige Leistungen im Bereich der Wissenschaft erbracht wurden und werden, eine steigende Wissenschaftsskepsis zu beobachten ist. Alternative Wahrheiten haben Eingang in den allgemeinen Diskurs gefunden und persönliche Meinungen werden oft mit wissenschaftlichen Analysen gleichgesetzt, da es vielfach an Verständnis für ihre Verfahren fehlt. Wenn Algorithmen nur mehr auf uns zugeschnittene, angepasste »Wirklichkeiten« und »Wahrheiten«präsentieren, lösen sich geteilte Grundwerte und gemeinsame Referenzrahmen in sogenannten Filterblasen auf – Radikalisierung und Erosion von Demokratie sind die Folgen. Die Digitalisierung hat diese Entwicklungen befördert, bietet jedoch auch Chancen für die Zukunft.

Im Duell von Fake News und Fakten tragen die Wiener Vorlesungen dazu bei, antiaufklärerischen Entwicklungen mit Vehemenz entgegenzutreten und das Vertrauen der Menschen in die Wissenschaft wiederherzustellen sowie kritisches Denken zu fördern. Gerade aufgrund der Komplexität der multiplen Krisen (Klima, Krieg, Künstliche Intelligenz u.v.m), mit der unsere Welt konfrontiert ist, braucht es einen zukunftsorientierten Zugang und ein gemeinsames Agieren, um Demokratie und Diskurs zu stärken und Lösungsansätze zu formulieren und umzusetzen. Nichts Geringeres als die Frage »Was ist der Mensch«, die letztlich alle Wissenschaft umtreibt, ist vor diesen Hintergründen neu zu stellen.

Es erfordert kreative, mutige und ungewöhnliche Antworten und Ideen, neue Formen der Kooperation und ein Zusammengehen aller wissenschaftlichen Disziplinen, um den Herausforderungen entgegnen zu können. Vor allem aber braucht es einen auf valide wissenschaftliche Grundlagen gestützten Diskurs auf breiter gesellschaftlicher Ebene, denn diese Probleme und Entwicklungen betreffen alle Teile der Gesellschaft.

Kritische Analyse und Aufklärung im Sinne der Demokratie und einer starken Zivilgesellschaft sind und bleiben zentrale Anliegen der Wiener Vorlesungen. Insofern freue ich mich, dass sie nicht nur digital im Internet jederzeit abrufbar sind, sondern mit vorliegender Publikation auch in gedruckter Form vorliegen.

Veronica Kaup-Hasler

Stadträtin für Kultur und Wissenschaft

warum krieg? zur aktualität des briefwechsels von einstein und freud

wie der briefwechsel zwischen einstein und freud entstand

Der öffentliche Briefwechsel zwischen Albert Einstein und Sigmund Freud entstand im Auftrag einer Zweigorganisation des Völkerbunds, der Internationalen Kommission für geistige Zusammenarbeit. Als Exekutivorgan dieser Kommission gab das Institut international de coopération intellectuelle mit Sitz in Paris eine Reihe von Briefwechseln »zwischen auf geistigem Gebiet führenden Persönlichkeiten« heraus. Warum Krieg? war der zweite Band in dieser Reihe.

Im März 1933, also kurz vor Erscheinen von Warum Krieg? veröffentlichte das Institut international de coopération intellectuelle des Völkerbunds in der Reihe Correspondances (Briefwechsel) die Broschüre Pour une société des esprits (A League of Minds) mit Aufsätzen des französischen Schriftstellers Paul Valéry und des spanischen Diplomaten Salvador de Madariaga, der 1921 Vorsitzender der Kommission für Abrüstung des Völkerbunds gewesen war (IICI, 1933). Der dritte Band in der Reihe Correspondances war 1934 die Broschüre L’Esprit, l’éthique et la guerre (Geist, Ethik und Krieg), die nur auf Französisch erschien und u. a. Beiträge von dem niederländischen Kulturhistoriker Johan Huizinga, Aldous Huxley und André Maurois versammelte (IICI, 1934). Es folgte noch ein vierter Band im Jahre 1935: Civilisations. Orient-Occident, génie du Nord-latinité; die englischsprachige Fassung war kürzer und trug den knappen Titel East and West (IICI, 1935).

Die Idee, den zweiten Band der Reihe Correspondances in der Form eines Briefwechsels mit Freud zum Thema Friedensstiftung und Kriegsverhütung ging auf Einstein zurück, der schon 1922 Gründungsmitglied der Internationalen Kommission für geistige Zusammenarbeit des Völkerbunds geworden war. Einstein war für die Kommission ein schwieriger Partner, der mehrmals aus Protest gegen deren allzu laue Haltung in der Bekämpfung des Militarismus zurückgetreten war, sich aber jedes Mal hatte überreden lassen, wieder aktives Mitglied zu werden. Einstein hatte 1930 anlässlich des zehnjährigen Bestehens des Völkerbunds seine Meinung zusammengefasst: »Ich habe selten Anlaß, über das, was der Völkerbund tut oder zu tun unterlässt, begeistert zu sein, aber ich bin doch immer dafür dankbar, daß es ihn gibt« (ÜdF, 129).

Einsteins Zugehen auf Freud war in mancher Hinsicht überraschend, da er von seinen gemischten Gefühlen gegenüber der Psychoanalyse als Tiefenpsychologie und als Psychotherapie nie ein Hehl gemacht hatte. Offensichtlich hatten ihn Freuds gesellschafts- und kulturtheoretische Schriften, vor allem Das Unbehagen in der Kultur aus dem Jahre 1930, doch positiv beeindruckt.

Einstein und Freud hatten sich am 29. Dezember 1926 im Hause von Freuds jüngstem Sohn Ernst in Berlin zum ersten Mal getroffen. Freud schrieb an Sándor Ferenczi: »Mit Einstein habe ich auch zwei Stunden verplaudert, er kam mit seiner Frau zu Ernst, um mich zu sehen. Er ist heiter, sicher und liebenswürdig, versteht von Psychologie soviel wie ich von Physik, und so haben wir uns sehr gut gesprochen« (Freud/Ferenczi, III/2, 126).

1928 hatte sich Einstein dazu geweigert, Freuds Nominierung für den Nobelpreis für Medizin zu befürworten. Am 15. Februar 1928 schrieb er dem Psychoanalytiker Heinrich Meng, der ihn gebeten hatte, die Nominierung Freuds zu unterstützen:

Bei aller Bewunderung für die geniale Leistung von Freud kann ich mich nicht entschließen, im vorliegenden Falle zu intervenieren. Ich kann über den Wahrheitsgehalt der Freud’schen Lehre nicht einmal für mich selbst eine Überzeugung gewinnen, viel weniger ein Urteil fällen, das auch für andere maßgebend sein soll. Ferner möchte ich Ihnen zu bedenken geben, daß es fraglich erscheint, ob die Leistung eines Psychologen wie Freud in den Bereich des Nobel-Preises für Medizin fällt, der doch wohl allein in Betracht gezogen werden kann (Tögel, 83).

Freud war natürlich von dieser abschlägigen Antwort informiert worden und hegte deshalb Einstein gegenüber gemischte Gefühle. An den deutsch-amerikanischen Schriftsteller und Journalisten George Sylvester Viereck, der sowohl mit Einstein als auch mit Freud interessante Interviews geführt hatte, hatte Freud am 6. November 1929 geschrieben:

Ich hatte vor einigen Jahren eine lange Unterhaltung mit [Einstein], in der ich zu meiner Belustigung feststellte, dass er von der Psychoanalyse nicht mehr versteht als ich von der Mathematik. Ja, ich glaube, ich bin ihm darin vor; während ich wenigstens die Berechtigung des mathematischen Denkens voll einsehe, bestreitet er die Berechtigung der Psychologie (ÜdF, 201f.).

Wenn sich Freud in Warum Krieg?