Was bleibt, ist die Liebe - Susanne Juhnke - E-Book

Was bleibt, ist die Liebe E-Book

Susanne Juhnke

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Beschreibung

Liebe endet nicht mit dem Tod

»Haralds großer Wunsch war es, auf der Bühne zu sterben. Doch es war die Demenzerkrankung, die ihn aus dem Leben riss und mir den geliebten Mann raubte. Seine Welt und meine Welt waren nicht mehr unsere gemeinsame Welt. Aus Zweisamkeit wurde eine Einsamkeit zu zweit, eine unfassbare Einsamkeit, die ich mir nie hätte vorstellen können. Nichts hatte mich auf eine solche Diagnose vorbereitet. Man betritt ein Niemandsland und hat keine Orientierung, welchen Weg man beschreiten soll…« Susanne Juhnke

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Seitenzahl: 228

Veröffentlichungsjahr: 2016

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ZUM BUCH

Liebe endet nicht mit dem Tod

»Haralds großer Wunsch war es, auf der Bühne zu sterben. Doch es war die Demenzerkrankung, die ihn aus dem Leben riss und mir den geliebten Mann raubte. Seine Welt und meine Welt waren nicht mehr unsere gemeinsame Welt. Aus Zweisamkeit wurde eine Einsamkeit zu zweit, eine unfassbare Einsamkeit, die ich mir nie hätte vorstellen können. Nichts hatte mich auf eine solche Diagnose vorbereitet. Man betritt ein Niemandsland und hat keine Orientierung, welchen Weg man beschreiten soll …«      Susanne Juhnke

30 Jahre waren ihnen vergönnt, um ihre Liebe zu leben: Im August 1970 begegnen sie einander zum ersten Mal, am 8. April 1971 heiraten Susanne und Harald Juhnke, im September 1972 kommt ihr gemeinsamer Sohn zur Welt. Ihr Glück hätte ein Leben lang währen können; auch wenn es durch Harald Juhnkes Alkoholkrankheit getrübt wird, bleiben sie einander innig verbunden. Bis zum Juli 2000.

Von einem Tag auf den anderen ist nichts mehr so, wie es einmal war. Harald Juhnke stürzt in die Welt des Vergessens. Die Diagnose: Demenz. Gedächtnislücken, Realitätsverluste – verheerend für einen Schauspieler, dessen Werkzeug das Gedächtnis ist.

Für Susanne Juhnke beginnt ein unsagbar langes Abschiednehmen. Fast fünf Jahre geht sie durch alle Phasen der Hoffnung und der Verzweiflung, es ist ein nicht enden wollendes Auf und Ab der Gefühle. Doch der Verlauf ist unumkehrbar: Die klaren Momente ihres Mannes werden weniger, auf jede scheinbare Besserung folgt eine Verschlechterung. Nur das Erkennen bleibt bis zuletzt: Anfangs verwandelt sich Haralds Ausdruck in ein Strahlen, sobald er Susanne sieht, am Ende drückt er fest ihre Hand …

»So schwer und so weit ein Weg auch ist, man geht ihn Schritt für Schritt.« – Zum ersten Mal erzählt Susanne Juhnke, wie sie ihren Mann in der tragischen Zeit des Vergessens begleitete.

*

Susanne Juhnke, geboren 1944 in Berlin, wo sie auch heute lebt, arbeitete als Film- und Theaterschauspielerin, bis sie 1971 den Schauspieler Harald Juhnke heiratete. Im Jahr darauf wurde der gemeinsame Sohn Oliver Marlon geboren. Nach langjähriger Krankheit verstarb Harald Juhnke 2005. Sein Tod war ein tiefer Einschnitt im Leben von Susanne Juhnke.

SUSANNE JUHNKE

Was bleibt,

ist die Liebe

Wie ich meinen Mann

an das Vergessen verlor

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Copyright © 2016 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Friedel Wahren

Bildredaktion: Anka Hartenstein

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design

Umschlagfoto: oben: © Susanne Krauss, Grafing;

unten: © Ullstein/Binder

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-19015-6V002

www.heyne.de

Für Oliver

und meine treuen Lebensweggefährten

Inhalt

Vorwort

ERSTES KAPITEL

»Kommen Sie denn auch mit?« – Wie alles begann

ZWEITES KAPITEL

»Ein Schauspieler in der Familie reicht« – Mein Mann, der Künstler

DRITTES KAPITEL

»Det schaffste doch och« – Dem Rätsel auf der Spur

VIERTES KAPITEL

»Verharmlosen Sie die Krankheit nicht länger!« – Die Stunde der Wahrheit

FÜNFTES KAPITEL

»Meine Liebe geht neben mir, untergehakt« – Erinnern und Vergessen

SECHSTES KAPITEL

»Hauptsache, man ist gesund« – Das Schicksal nimmt seinen Lauf

SIEBTES KAPITEL

»Ich lebe jetzt ein Leben ohne Alkohol« – Klare Momente

ACHTES KAPITEL

»Wenn Mütter Blumen wären« – Ein schmerzvoller Verlust

NEUNTES KAPITEL

»Gib mir ein Kussi!« – Ein letzter Sommer

ZEHNTES KAPITEL

»Ich liebe dich noch immer« – Bis zum Ende aller Tage

ELFTES KAPITEL

»Er war einer von uns« – Abschied nehmen

ZWÖLFTES KAPITEL

»Schlaf gut, Harald« – Zeit der Trauer

DREIZEHNTES KAPITEL

»Und plötzlich spürst Du so etwas wie eine Leere in Dir« – Das Leben ohne Harald

Anhang

Bildteil

Vorwort

Anfangs wollt ich fast verzagen,

Und ich glaubt, ich trüg es nie;

Und ich hab es doch getragen –

Aber fragt mich nur nicht, wie?

HEINRICH HEINE

Es sagt sich so leicht: Die Zeit heilt alle Wunden. Doch nein. Meine Erinnerungen an Harald, diesen unvergleichbaren und unersetzlichen Menschen, sind nach wie vor allgegenwärtig und mit ihnen der Schmerz des Verlusts. Und es sind nicht allein die besonderen Gedenktage, die ihn zurück in mein Leben bringen. Fernsehwiederholungen, ein alter Film, in dem er mitspielte, ein Song, eine Rolle, von ihm synchronisiert … all dies sind Spuren einer Vergangenheit, die mich nicht loslässt. Sie läuft wie ein Film in meinem Kopf ab – ein Film, in dem ich als Partnerin des Hauptdarstellers mitgewirkt habe. Bilder, Gefühle und Augenblicke stehen plötzlich wieder ganz lebendig vor mir. Dann schmerzt es wie am ersten Tag, seit dem ich ohne Harald leben musste, und manchmal sogar noch mehr, denn es dauert, bis man realisiert, dass man einen geliebten Menschen für immer verloren hat.

Nicht ausgesprochene Worte sind Blumen des Schweigens, heißt es im Fernen Osten – eine Weisheit, die von der Presse selten toleriert wird.

Lange Jahre hatte ich mich den Medien entzogen, um unsere Privatsphäre zu bewahren. Harald vertraute mir, und ich schuf in unserem gemeinsamen Zuhause einen Rückzugsort für ihn, den einzigen, wo er sich ungestört wohlfühlen konnte. Vieles wurde mir, aber auch Harald von der Presse in den Mund gelegt, um die Leser glauben zu machen, es sei die Wahrheit. Ich wehrte mich nicht dagegen, denn ich wollte meine Kraft nicht vergeuden, brauchte ich sie doch für Harald und unser gemeinsames Leben.

Über verschiedene Episoden unserer Ehe wurde ausführlich berichtet – in Wahrheit und Dichtung. Haralds berufliche Erfolge vom genialen Entertainer bis hin zum Charakterschauspieler sind legendär, und seine Abstürze wurden von der Boulevardpresse reißerisch in Form von Schlagzeilen präsentiert. Über seine letzten Lebensjahre wurde in den Medien wild spekuliert. Die unsäglichen Berichte haben mir sehr zugesetzt.

Trotz der vielen Berichterstattung: Das letzte Kapitel seines Lebens, die Chronologie von Haralds langem Abschied bis hin zu seinem Todestag am 1. April 2005, ist noch nicht geschrieben. Wer, wenn nicht ich, dürfte es vollenden und es liebevoll ins wahre Licht rücken?

Lange Zeit habe ich mit meinem Gewissen gehadert, ob ich Details zu dem Krankheitsverlauf meines Mannes überhaupt preisgeben möchte, ob und was ich erzählen kann vom Schreckgespenst der Demenz, das ihn fünf Jahre vor seinem Tod heimsuchte, ohne seine Würde zu verletzen. Ich bin überzeugt davon, dass keine noch so schwere Krankheit die Würde eines Menschen verletzen kann. Wenn Menschen unheilbar erkrankt sind, heben sich alle Unterschiede auf: Ob prominent oder nicht, reich, arm, jung oder alt – wir sind letztlich alle gleichermaßen betroffen.

Haralds großer Wunsch war es, auf der Bühne zu sterben. Doch es war die Demenzerkrankung, die ihn aus dem Leben riss und mir den geliebten Mann raubte. Seine Welt und meine Welt waren nicht mehr unsere gemeinsame Welt. Aus Zweisamkeit wurde eine Einsamkeit zu zweit, eine unfassbare Einsamkeit, die ich mir nie hätte vorstellen können.

Das Schicksal lehrte mich, was Demut heißt. Nichts hatte mich auf eine solche Diagnose und die Aufgabe vorbereitet, die damit einherging; ich fühlte mich überwältigt. Wie erklärt man diese Krankheit, unter der sich ein Nichtbetroffener, der keinen Demenzkranken in seiner Familie hat, wenig vorstellen kann? Was kann man tun, wenn sich die irreversible Diagnose bestätigt hat? Theorie und Praxis sind zwei verschiedene Aspekte. Man betritt ein Niemandsland und hat keine Orientierung, welchen Weg man beschreiten soll.

Harald sollte von nun an mehr denn je im Vordergrund meines Lebens stehen, und ich tat alles, um ihm das Gefühl zu geben, in seinem vertrauten Umfeld geborgen zu sein. Gegen jede Vernunft bewahrte ich einen Funken Hoffnung in mir, dass es ihm vielleicht doch noch eines Tages besser gehen könnte … eine Hoffnung, die mit ihm zu Grabe getragen wurde.

Harald war die Liebe meines Lebens – und wird es immer bleiben. Der Sturz mitten aus dem Leben in Ohnmacht, Verzweiflung und Aussichtslosigkeit war tief und die Realität der letzten Lebensjahre unendlich traurig und schmerzvoll. Anfangs gelang es mir kaum, die gesamte Tragweite seiner Diagnose zu begreifen. Ich musste handeln und weitreichende Entscheidungen treffen, was Haralds Pflege betraf. Viele Möglichkeiten, die anderen Demenzkranken und deren Angehörigen offenstanden, konnte ich nicht in Anspruch nehmen, denn ich musste seine Privatsphäre schützen. Ich war angewiesen auf einen kleinen Kreis von Menschen, denen ich vertrauen konnte. Ich nahm mich zurück und beobachtete Harald, um auf ihn und seine Bedürfnisse eingehen zu können. Dabei konnte ich nur hoffen, nichts falsch zu machen. Mit Einfühlungsvermögen versuchte ich, Verständnis für die Krankheit zu entwickeln. Aus eigenen Erfahrungen habe ich Schritt für Schritt gelernt, den Alltag zu bewältigen. Das tägliche Leben hat mich befähigt, normal und würdevoll mit der Krankheit umzugehen.

Nein, Zeit heilt keine Wunden. Schmerz vergeht nicht, wenn er sich in das Herz eingraviert hat. Das Glück, das uns einmal vereinte, scheint wie durch eine graue Mauer vom Leben abgetrennt.

Doch manchmal gelingt es mir, über die Mauer hinwegzuschauen. Dann lasse ich all das Traurige hinter mir und finde mich in einem Garten voller schöner Erinnerungen wieder. In diesen kostbaren Momenten bin ich dankbar für das, was wir in glücklichen Zeiten teilen durften, und ich lasse Revue passieren, wie unsere romantische Liebesgeschichte einst begann, und lese noch einmal die ersten Liebesbriefe, die wir uns schrieben …

ERSTES KAPITEL

»Kommen Sie denn auch mit?« – Wie alles begann

Es gibt nichts Schöneres, als geliebt zu werden,

geliebt um seiner selbst willen

oder vielmehr trotz seiner selbst.

VICTOR HUGO

Erst im Rückblick habe ich mein Leben als Ganzes verstanden und mit ihm auch die innige Beziehung zu meinem Mann. Liebe, so lernte ich, hat drei Phasen: als Erstes die der Verliebtheit, jene Zeit, in der das Leben wie ein einziger Rausch erscheint. Sie wandelt sich zu der Liebe, die sich im Alltag festigt. Als Drittes folgt die Liebe, die bewiesen wird, die Pflicht aus Liebe.

Mit Harald habe ich jede einzelne dieser Phasen intensiv durchlebt. Ich erinnere mich noch genau, wie ich ihn kennenlernte. Es war ein Sommerabend im Jahr 1970 …

Harald hatte in der Kleinen Komödie in München Kein Problem von Norman Krasna gespielt und war nach Berlin zurückgekehrt. Als Nächstes stand Molnárs Liliom im Hansa-Theater auf seinem Spielplan. Ihm blieb ein einziger Tag Pause – »zu viel Freiheit für einen Schauspieler«, wie er es nannte. Um den Abend nicht allein verbringen zu müssen, besuchte er die Vorstellung im Berliner Renaissance-Theater, in der Victor de Kowa als Hauptdarsteller in Gastspiele und Liebe von Robert Horney und Walter Firner auftrat. Es geht in der Komödie um einen amourösen Dirigenten, der in den unterschiedlichsten Städten der Welt gastiert und Kinder gezeugt hat und diese anlässlich eines Familientreffens zusammenführen will.

Ich selbst spielte die Rolle der Mizuko, der Tochter aus Tokio, und freute mich darauf, mit dem großen Victor de Kowa zusammen auf der Bühne zu stehen.

Es war der 23. August 1970, der mein Leben auf immer verändern sollte – eine Schicksalsbegegnung. In der Pause kam Harald Juhnke hinter die Bühne. Da er die meisten meiner Kollegen kannte, gesellte er sich zu ihnen in die Garderoben und hielt ein Schwätzchen. Zu Inge Wolffberg war er ganz besonders herzlich, sollten die beiden doch tags darauf ihre gemeinsamen Proben für Liliom beginnen. Selbstverständlich war Harald Juhnke mir ein Begriff, ich hatte ihn in verschiedenen Boulevard-Theaterstücken und Sechzigerjahre-Kinofilmen und einmal in der Bar Coupé 77 mit Hildegard Knef an einem Tisch sitzen gesehen.

Bevor er sich verabschiedete, fragte Harald in die Runde, ob wir nach der Vorstellung noch irgendwohin gingen. Der Name »Diener« wurde genannt, eine Ur-Berliner Künstlerkneipe, benannt nach dem Boxer Franz Diener, der sie Ende der Vierzigerjahre übernommen hatte. Dort wurde typische Berliner Hausmannskost serviert, und etliche Schauspielkollegen ließen den Abend hier gerne mehr oder weniger feuchtfröhlich ausklingen.

Ich spürte, wie sein Blick mich streifte. Im Vorbeigehen fragte er höflich und fast ein wenig scheu: »Kommen Sie denn auch mit?«

»Ja – legen Sie Wert darauf?«, antwortete ich.

»Ich lege großen Wert darauf«, meinte er und war auch schon verschwunden.

Ich maß der kleinen Schmeichelei keine Bedeutung bei. Er jedoch empfand es offenbar anders. In seinen Memoiren schrieb er über unsere erste Begegnung: »Mir war, als hätte mich jemand mit Himbeergeist übergossen und ein Streichholz entzündet. Es gab einen Schlag. Ich war flambiert.«1

Später, als das Ensemble im Diener zusammensaß, dominierte Harald mit seiner Präsenz kess und charmant die Runde. Er mimte den Alleinunterhalter und brachte die Stimmung auf den Höhepunkt, sodass sich alle vor Lachen kaum halten konnten. Selbstverständlich spürte ich eine gewisse Anziehungskraft, die von ihm ausging, wenngleich ich erst nach einer ganzen Weile realisierte, dass sein Auftreten an diesem Abend mir galt.

Ein echter Schlawiner, dachte ich. Er wusste die Damenwelt nach allen Regeln der Kunst zu bezirzen.

Sein Blick schweifte immer wieder zu mir. Allerdings war ich kein junges Mädchen mehr, das sich schnell verliebte. So leicht war ich nicht aus der Reserve zu locken, auch nicht von ihm. Zudem hätte ich mir im Traum nicht vorstellen können, dass dieser Mann ernsthaft an mir interessiert sein könnte. Er beeindruckte mich mit seiner natürlichen Nonchalance, doch ich konnte mich ihm durchaus entziehen. Zumindest an diesem Abend.

Als ich am nächsten Tag in die Garderobe des Theaters kam, stand ein riesiger Baccarastrauß auf meinem Schminktisch. Wer schickt mir denn da rote Rosen?, dachte ich und öffnete den Umschlag, der zwischen den Blüten steckte.

Darf ich Sie wiedersehen?

H. J.

Ich fühlte mich geschmeichelt, aber wollte ich ihn wirklich wieder treffen? Auf der Karte stand weder eine Adresse noch eine Telefonnummer, und so konnte ich mich nicht einmal für den zauberhaften Strauß bedanken. Ich konnte nur abwarten.

Am nächsten Abend wartete erneut ein Bouquet auf mich. Längst feixten die Kollegen, und einige machten sich lustig und wollten mir weismachen, das sei Haralds Masche.

Und dennoch, es waren rote Rosen, und sie hatten gewiss eine Bedeutung, die ich noch herausfinden würde. Wie heißt es so schön? »Lasst Blumen sprechen.«

Auch am dritten Abend stand wieder ein üppiger Rosenstrauß in meiner Garderobe, und dieses Mal war eine Telefonnummer auf der beigefügten Karte vermerkt.

Nach der Vorstellung ergriff mich eine gewisse Unruhe. Ich war mir noch im Unklaren darüber, was Harald von mir wollte. Eine Affäre? Bloß nicht! Außerdem war er liiert, und auch ich war zu jener Zeit noch gebunden. Ich konnte mir vorstellen, mich von ihm zu einem unverbindlichen Abendessen einladen zu lassen, das schon. Aber war es das, was er wollte? Nach all den roten Rosen? Wohl kaum.

Wäre es nicht spannender, ihn noch etwas hinzuhalten?, überlegte ich. Nein, sagte ich mir, allein schon das Gebot der Höflichkeit erforderte jetzt ein herzliches Dankeschön.

Harald hatte auf meinen Anruf gewartet. Seine Stimme klang überraschend vertraut, und ich spürte, wie sie mein Herz schneller schlagen ließ … Diese Wirkung hat sie auch heute noch auf mich. Es tut so gut und weh zugleich, die Stimme eines geliebten Menschen zu hören, gerade weil er nicht mehr lebt.

Harald hat unzählige Filme und Serien synchronisiert, er lieh Marlon Brando die Stimme, Charles Bronson, Jack Lemmon, Peter Falk, Richard Burton, Edward G. Robinson, Peter Sellers, Robert Wagner, Woody Allen, Stacy Keach und etlichen anderen. Erst neulich las ich im Fernsehprogramm, dass der französische Spielfilm Kinder des Olymp gesendet wurde, ein Filmklassiker von 1945 aus dem Pariser Theatermilieu. Harald hatte Pierre Brasseur in der Rolle des Bohemiens Frédérick Lemaître synchronisiert. Es war so grandios, wie er sprach, gerade so, als sei ihm die Rolle auf den Leib geschrieben. Seine Stimme klang noch so jung und in ihrem Timbre so vertraut …

Welches Schicksal uns beide erwartete, konnte ich nicht ahnen, als ich an jenem Augustabend am Telefon schließlich einwilligte, ihn wiederzusehen.

Bei unserem ersten Tête-à-Tête in einem noblen Restaurant fühlte ich mich, als würden wir einander schon ewig kennen. Obwohl ich sonst eher zurückhaltend bin, erzählte ich ihm von meiner Familie und all den Dingen, die mich bewegten. Auch er öffnete sich, sprach von seinen Eltern, seinen Rollen, und so redeten wir stundenlang. Die Zeit verging viel zu schnell. Wir hatten uns so viel zu sagen.

Zwischen Harald und mir herrschte von Anfang an eine intensive Vertrautheit, die man niemals forcieren kann. Die Chemie stimmte ganz einfach. Wir waren total fixiert aufeinander, ließen uns fallen, blendeten die Umgebung aus. Erinnerungen, die ich Jahrzehnte später allein aufrechterhalten würde …

Schon bald verabredeten wir uns Abend für Abend und spürten, wie unsere Seelen zueinanderfanden.

Was liebt man an einem Menschen, den man liebt?

Es war eine magische Anziehungskraft, die Harald und mich verband. Ich erinnere mich, wie seine Gestik und Natürlichkeit mich gefangen nahmen. Gern hätte ich ihn zärtlich berührt, doch wir befanden uns in einem Restaurant, und ich spürte, wie wir beobachtet wurden. Intimitäten in der Öffentlichkeit austauschen? Nein, ein solcher Moment sollte uns allein gehören. Und so liebkosten meine Blicke seine Hände, sein Gesicht, und von da an wusste ich, wie verliebt ich war.

Mitte September sollte die dreimonatige Tournee mit Victor de Kowa und Gastspiele starten. Hatte ich mich im Sommer noch darauf gefreut, durch Deutschland und die Schweiz zu tingeln, graute mir nun davor, Harald so selten sehen zu können. In der Zwischenzeit hatten wir beide uns von unseren vorigen Partnern getrennt. Nichts und niemand sollte uns im Wege stehen. Zudem war es ein Gebot der Fairness, und wir wollten unsere gemeinsame Beziehung auf Ehrlichkeit aufbauen.

Vor Beginn unserer Reise hatte der Veranstalter jedem Mitwirkenden ein Tourneebuch ausgehändigt, in dem alle Theater- und Hoteladressen aufgeführt waren. Harald und ich tüftelten eilig aus, wann wir uns an welchem Ort wiedersehen könnten. Meine freien Tage waren rar, er hatte tagsüber Proben und ab Oktober abends Vorstellungen.

Was sind schon drei Monate?, versuchte ich mich zu trösten – und vermisste Harald bereits, bevor die Tournee überhaupt begann.

Abend für Abend läutete das Telefon um 23 Uhr in meinem Hotelzimmer. Ich sehnte mich nach seiner Stimme und konnte es kaum erwarten, den Hörer abzunehmen und all die Worte zu sagen, die Verliebte auf dieser Welt sich zuflüstern.

Munel, so nannte Harald mich. Ein Name, den er eigens für mich erfunden hatte und immer beibehalten sollte. Ich fragte ihn, was das bedeutete.

»Na, ein Munel ist so ein kleines Kuscheltier mit großen Augen. Das muss man die ganze Zeit streicheln und liebkosen.«

Es passte auch auf ihn, fand ich, und nannte ihn ebenso.

Manchmal rief er mich später in der Nacht ein zweites Mal an und versicherte mir, wie sehr er mich vermisste. Er erzählte mir von seinen Proben zu Liliom, wo er den Ausrufer eines Karussells auf einem Rummelplatz spielte, der sich alsbald in den Wirrungen seines Lebens verlor. Dann lag ich schlaflos in meinem Hotelbett, dachte an ihn, stand auf, suchte nach Papier und Stift und begann zu schreiben …

GELDERN, 16.9.1970

3:00 Uhr

Mein geliebter Liliom!

Ich bin todmüde, aber ich muß Dir einfach noch ein paar Zeilen schreiben.

Ich habe mich wahnsinnig gefreut, daß Du mich noch einmal angerufen hast.

Der Abend war gerettet.

Wir haben eine sehr nette Premierenfeier gehabt. Ich habe fast ausschließlich an Dich gedacht, und der Wein und der Champagner haben doppelt gewirkt.

Wenn Du wüßtest, wie sehr ich Dich vermisse. Das Schlimmste ist, daß wir gar nichts tun können, um zueinander zu gelangen. Ich könnte wahnsinnig werden, wenn ich daran denke, wie lange es noch dauert, bis wir uns wiedersehen! Ich zehre jetzt schon davon, Dich in Hannover in meine Arme schließen zu können. Es wird wunderbar werden. Du kommst doch, oder?

Ich liebe Dich, ich liebe Dich, obwohl ich es noch gar nicht so sehr realisieren kann.

Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als daß wir so glücklich werden, wie wir es uns wünschen.

Sei zärtlich geküßt

Deine Susanne

In seiner schwungvollen Handschrift schrieb er mir zärtliche Liebesbriefe, die er per Eilboten an meine jeweilige Hoteladresse sandte. Während der Tournee kam eine beachtliche Anzahl zusammen. Bis heute habe ich sie wie einen Schatz bewahrt. Nun, nach fünfundvierzig Jahren, trösten sie mich und dokumentieren, wie einst unsere Liebe begann.

Tief im Gedächtnis ist mir ein Brief, in dem Harald zum ersten Mal anklingen ließ, dass er mich heiraten wolle. Am Donnerstag, dem 24. September 1970 – wir kannten uns noch nicht einmal einen Monat –, schrieb er: »… Was ist bloß mit uns los! Es ist so unglaublich und kann nur damit enden, daß Du zu meiner Frau wirst! Ich werde alles für Dich tun und mein ganzes Talent für unser Glück einsetzen.« Er unterzeichnete mit »Dein Mann«.

Zwei Wochen später trafen wir uns, endlich hatten wir beide einen spiel- und probenfreien Tag. Als wir im Hotelzimmer waren, tat er ganz belanglos und zog aus seiner Tasche einen Brief, den er mir überreichte. Ich dachte mir nicht viel dabei, legte ihn beiseite und schminkte mich erst einmal ab. Fast hätte ich ihn ungeöffnet liegen gelassen, doch ich spürte eine gewisse Neugier, was Harald wohl geschrieben hatte.

Mein geliebtes Munel!

Hiermit werde ich offiziell und bitte Dich, meine Frau zu werden.

Ich glaube, daß wir sehr glücklich werden, und verspreche Dir noch einmal, alles für Dich zu tun.

Dein Liliom

PS. Kann ich bitte schön eine Antwort haben!?

Aus heiterem Himmel fühlte ich mich wie vom Blitz getroffen. Harald machte mir einen Heiratsantrag!

Wunschgemäß antwortete ich ihm, Zug um Zug, ebenfalls schriftlich:

Ja, ich will Deine Frau werden.

Vielleicht war diese Art der Antwort bezeichnend für mich: So zurückhaltend und formvollendet ich mich auch gab, in meinem tiefsten Innern verfiel ich in einen Freudentaumel. Harald und ich würden heiraten!

Am nächsten Tag musste er zurück nach Berlin, das Theater wartete auf ihn. Ich hätte so viel darum gegeben, bei ihm zu sein, ihn den Liliom spielen sehen zu können.

NEUMÜNSTER, 1.10.1970

0:45 Uhr

Mein einziger Liebling,

Deine Stimme klingt noch warm in meinem Ohr nach unserem Telefonat. Man sagt sich dreimal täglich, wie sehr man sich liebt, und man muß es sich auch noch einmal schreiben.

Harald, Du bist mein Mann, und ich will und kann Dich nie mehr verlassen. Für mich ist unsere Liebe wie ein Taumel, in dem ich zwischen Himmel und Erde schwebe. Es ist so unsagbar schön, wie ich es in meinem Leben noch nicht gespürt habe. Vielleicht waren wir füreinander bestimmt, weil alles doch so schnell und schön begonnen hat. Laß uns doch, soweit möglich, unsere kleine Welt aufbauen, in der wir unendlich glücklich sein wollen. Niemand soll in sie eindringen können, vielleicht als Ausnahme Dein Sohn, weil er auch zu Dir gehört.

Wir allein sind unseres Glückes eigener Schmied, und wenn wir gemeinsam alles dafür einsetzen, haben wir beide den Himmel auf Erden und vielleicht noch mehr.

Ich könnte weinen vor Glück, daß wir uns begegnet sind.

Vor allen Dingen habe ich von Anfang an ein so großes Vertrauen in Dich gehabt, das mußt Du mir glauben, sonst hätte ich mich niemals so schnell so hundertprozentig für Dich entschieden. In so einer Situation kann man wenig nach dem Verstand gehen, es muß einfach vom Gefühl her entstehen.

Du hast recht, ich bin ganz doll stolz auf Dich, auch wenn ich es noch nicht gesagt habe. Das muß auch so sein, weil es unser Selbstvertrauen und unsere Liebe noch mehr stärkt. Und ich fühle auch, daß Du es auf mich bist und nicht nur so sagst.

Mein Munel, ich liebe Dich wahnsinnig, und Du bist auch ein anderer Mensch für mich. Sollten böse Zungen auch schlecht reden. Du bist ein Mann, der mein Leben glücklich machen wird!

Laß Dich ganz zärtlich streicheln und küssen

Deine Susanne

In Kollegenkreisen wurde natürlich getuschelt und gespöttelt. Einige behaupteten sogar: Lange wird die Ehe sowieso nicht halten.

Ich kümmerte mich nicht darum. Ich glaubte fest daran, dass wir zusammengehörten. Auf immer und ewig.

Harald zeigte sich in den folgenden Wochen verliebt und romantisch. Er gab mir zu verstehen, wie sehr er mich vermisste, mich um sich haben wollte. Am liebsten die ganze Zeit, im Theater oder im i-Punkt, einer modernen Rooftop-Bar des Europa-Centers. Kurzerhand schrieb er das Lied »Komm auf die Schaukel, Luise«, das Liliom auf dem Rummelplatz singt, auf mich um.

Komm auf den i-Punkt, Luise SUSANNE,

Mädel, ach sei auf dem Kien.

Du fühlst Dich wie im Paradies IN DER BADEWANNE

Zu Füßen liegt Dir ganz Berlin.

Ja –

Komm auf den i-Punkt, Luise SUSANNE,

da ist der Pommery kalt.

Du bist wie der i-Punkt, Luise SUSANNE,

ich bin in euch beede verknallt.

Ja –

Komm auf den i-Punkt, Luise SUSANNE,

5 Jahre steht jetzt der Bau,

Der Manderman kennt keene Krise PANNE

Hier gibt es tagtäglich ne Show.

Ja –

Komm auf den i-Punkt, Luise MEIN MUNEL,

da ist der Pommery kalt.

Du bist wie der i-Punkt, Luise MEIN MUNEL,

ich bin in Euch beede verknallt.

Mein Liebling!

Hier eine eigene Umarbeitung von Deinem Mann! Wie findest Du sie?

Heute nacht schreibe ich einen langen schönen Brief an meine geliebte Frau. Vergehe vor Sehnsucht und könnte schreien, daß wir nicht schon jetzt jeden Tag zusammen sind. Ich liebe Dich so sehr, wie ich es gar nicht ausdrücken kann. Laß Dich küssen und umarmen

Dein Mann

Mitte Oktober, als wir in der Schweiz gastierten, erfuhr ich, dass unsere Vorstellung in Aarau ausfallen würde. Da der nächste Tag spielfrei war, buchte ich sogleich einen Flug nach Berlin. Mittags ging es von Zürich über Frankfurt zu Harald. Als ich im Theater ankam, freute er sich wie wahnsinnig. Wir gingen anschließend im Kempinski-Grill essen, der schon bald unser Stammlokal werden sollte.

Am nächsten Abend sah ich Harald erstmals als Liliom auf der Bühne.

In mein Tourneebuch schrieb ich:

Ich bin sehr stolz auf meinen Mann.

Ich war es, und wie! Während seiner Premiere hatte ich Hunderte Kilometer entfernt selbst auf der Bühne gestanden. Wie viel hätte ich darum gegeben, die Premiere mit ihm erleben zu dürfen! Nun war es endlich so weit, und ich war fasziniert von seiner Bühnenpräsenz und glücklich, weil wir einen weiteren Abend zu zweit hatten.

Nach der Vorstellung gingen wir mit dem Ensemble essen. Ich war todmüde von all den aufregenden Stunden, die wir zusammen verbracht hatten. Fast hätten wir am nächsten Morgen verschlafen. Um 11 Uhr ging mein Flug nach Köln, ich würde am Abend in Witten auftreten.

Wann immer Zeit blieb auf meiner Reise von Stadt zu Stadt und Bühne zu Bühne, suchte ich in Buchhandlungen nach kleinen Geschenken, die ich in einen Briefumschlag steckte und Harald schickte. Überglücklich, wie ich war, drehte sich alles um die Liebe. Während wir in Süddeutschland gastierten, stieß ich auf ein Büchlein von Maurice Sendak mit dem Titel Sie liebt mich … sie liebt mich nicht … sie liebt mich …, und schrieb hinein:

… sie liebt Dich bis zum Ende aller Tage!

Deine Susanne

November 1970

Ich hatte ganz aus dem Herzen gesprochen. Wie hätte ich auch wissen sollen, dass ich niemals mit Harald alt werden würde. Wissen, was diese Liebe mir in einer fernen Zukunft abverlangen würde …

Fünfundvierzig Jahre später halte ich das Buch erneut in der Hand und streiche über die Widmung. Sie rührt mich – und versetzt mir zugleich einen Stich.

Ein weiterer November, das elfte Jahr ohne ihn.

Das Gefühl der totalen inneren Einsamkeit lässt mich nicht mehr los. An manchen Tagen sind meine Depressionen unerträglich. Ich fühle mich ausgebrannt, erschöpft und müde vom Leben. Meine Gedanken gleichen Höllenqualen. Manchmal denke ich, ich verliere den Verstand.