Was die Dörfer einst zusammenhielt - Ulrike Siegel - E-Book

Was die Dörfer einst zusammenhielt E-Book

Ulrike Siegel

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Beschreibung

Geschichten von früher: Die Sonnen- und Schattenseiten des Landlebens

Jahrhundertelang hatte sie Bestand: die Dorfkultur, wie die Zeitzeugen in Ulrike Sie-gels Buch sie beschreiben. Ohne Sentimentalität erzählen sie von den vielen Facet-ten des Dorflebens in den 50er und 60er Jahren. Von den Geräuschen, die aus der Schmiede und von den Bauernhöfen tönten. Den Gerüchen, an denen allein man erkennen konnte, ob es sich beim jeweiligen Haus um die Schreinerei, den Schuster oder doch etwas anderes handelte.

  • Kindheit auf dem Land: Dorf-Geschichten und persönliche Erinnerungen
  • Fronmeister und Dorfhebamme: Ausgestorbene Berufe, die das Dorfleben prägten
  • Dorffeste im Sommer, Eiseskälte im Winter: Leben im Kreislauf der Jahreszeiten
  • Wie es früher einmal war: der Alltag in den 50er und 60er Jahren

Dorfgeschichten aus erster Hand: Erlebnisse, die im Gedächtnis blieben

Der graue Kittel des Schusters, die Eigenheiten des Dorflehrers und die Frage des Bahnbeamten, warum man eigentlich in die Stadt will: Es sind vor allem Begegnungen mit Menschen, die das Leben auf dem Land prägten. Die Männer und Frauen, die in diesem Buch ihre Kindheit wiederauferstehen lassen, erzählen viel von der Gemeinschaft, die die Dorfatmosphäre so lebendig machte. Ihre Berichte sorgen dafür, dass das typische Dorfleben nicht in Vergessenheit gerät. "Was die Dörfer einst zusammenhielt" ist ein Lesebuch über das Leben früher, das ohne Beschönigungen auskommt und die Erinnerung an eine ganz besondere Lebenswelt hochhält!

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Was die Dörfer einst zusammenhielt

Für alle Menschen, die unsere Dörfer noch heute gestaltenund mit Leben füllen

Inhalt

Vorwort

Die Kramerin von Oberlauterbach

Rita Fellner (geb. 1956), aufgewachsen in der Hallertau (Bayern)

Das Kapellenfest

Bernadette Dambacher (geb. 1964), aufgewachsen auf der Ostalb (Baden-Württemberg)

Hoher Besuch

Magdalene Kermelk-Ziegler (geb. 1953), aufgewachsen in Derscheid im Bergischen Land (Nordrhein-Westfalen)

Arm wie ein Schneider

Petra Döhler (geb. 1963), aufgewachsen in Ferdinandshof (Mecklenburg-Vorpommern)

Aller, Rosa und Frieda

Erika Stavrakakis (geb. 1954), aufgewachsen in Unterfranken (Bayern)

Vom Mayersbeck und s’Krummholze Ruth

Lea Renate Söhner (geb. 1957), aufgewachsen in Schwaigern (Baden-Württemberg)

Zwischen Idylle, Enge und Engagement

Peter Heffner (geb. 1960), aufgewachsen im Bauland (Baden-Württemberg)

Auf Sammeltour in unseren Heimattälern

Nikolaus König (geb. 1969), aufgewachsen in Siedelbach im Hochschwarzwald (Baden-Württemberg)

Kartoffel-Melken

Regina Aldinger (geb. 1960), aufgewachsen im Kraichgau (Baden-Württemberg)

„Skandal in Schnut“

Ilse Meyer (geb. 1960) und Maria Elsner-Simon (geb. 1952), aufgewachsen in Stapelermoor in Ostfriesland (Niedersachsen)

„Unser Dorf soll schöner werden“?

Annette (geb. 1962), aufgewachsen am Niederrhein (Nordrhein-Westfalen)

Alternativlos

Rainer Hofmann (geb. 1959), aufgewachsen in Hohenlohe (Baden-Württemberg)

Ermfriede

Anita Böhm-Krutzinna (geb. 1957), aufgewachsen im Schwalm-Eder-Kreis (Hessen)

Ein Dorf voller Tanten und Onkel

Maria Volkermann (geb. 1951), aufgewachsen in Faulück (Schleswig-Holstein)

Alwiss kommt!

Magdalene Kermelk-Ziegler (geb. 1953), aufgewachsen in Derscheid im Bergischen Land (Nordrhein-Westfalen)

Kinderwürstchen

Sabine Scheffer (geb. 1965), aufgewachsen im Schwalm-Eder-Kreis (Hessen)

Leben an Gleisen

Heidrun Fengler-Kuna (geb. 1955), aufgewachsen in Burkhardtsdorf im Erzgebirge (Sachsen)

Hinter dem Deich

Ilse Luitgens (geb. 1954), aufgewachsen in Vellage im Rheiderland (Niedersachsen)

Die Hohlblocks

Richard Betz (geb. 1956), aufgewachsen in Rodheim (Bayern)

Tragen und getragen werden

Matthias Stührwoldt (geb. 1968), aufgewachsen in Stolpe/Plön (Schleswig-Holstein)

Vorwort

Vom Leben in den Dörfern

„Was die Dörfer einst zusammenhielt“ – 19 Frauen und Männer tragen mit Geschichten aus ihrer Kindheit Puzzleteil um Puzzleteil zusammen zu einem vielschichtigen Bild vom Leben in Dörfern. Was sie verbindet, ist eine Kindheit in den 50er und 60er Jahren. Damals wurden sie Zeitzeugen der letzten Jahre einer Dorfkultur, die bis dahin Jahrhunderte überlebt hatte und in dieser Generation in nur wenigen Jahren verschwand.

Mit der Veröffentlichung der Bauerntöchter- und Bauernsöhne-Geschichten wurde die Lebenswelt der Höfe von innen beleuchtet. Am Rande wurden auch immer wieder Blicke in ein Dorfleben gewährt, das es so längst nicht mehr gibt. Daraus entstand die Idee, dieser Welt und den Menschen, die diese Welt geprägt haben, ein eigenes Buch zu widmen, bevor die Bilder, Farben und Gerüche für immer verloren sind.

Die Geschichten sind so unterschiedlich wie ihre Autorinnen und Autoren. Sie erzählen von Dörfern in unterschiedlichen Regionen Deutschlands, von einer Welt reich an Arbeit und arm an Geld. Von einem Leben zwischen Idylle, Enge und Engagement. Vom Tragen und Getragen-Werden in der Dorfgemeinschaft, aber auch von denen, die am Rande standen und für immer Fremde blieben. Mit vielen Facetten wird in diesem Buch das Leben auf den Dörfern beschrieben. Erzählt wird von Sonnen- und Schattenseiten und auch von jenen Stellen, „an die die Sonne gar nie kam, weil die Häuser in den Dörfern zu dicht standen“.

Man kann sie sehen und hören: die Bauern, den Dorfschmied, den Hausmetzger, die Hebamme, den Dorfschullehrer, die Schneiderin und den Sargträger. Und man kann es riechen: das Feuer der Schmiede, die Sägespäne der Schreinerei, die Misthaufen hinter den Ställen. Spüren kann man die Kälte, die in den unbeheizten Stuben im Winter Eisblumen an die Fensterscheiben zauberte, und die flimmernde Hitze der Sommertage auf den Feldern, in den Scheunen und Gassen.

Es waren Menschen, die diese Dörfer zusammenhielten. Die Dörfer hatten Gesichter und Geschichten, Orte mit Begegnungen zu fröhlichen und traurigen Anlässen. Im Kreislauf der Jahreszeiten zwischen Saat und Ernte, im Kreislauf der Feste zwischen Ostern und Weihnachten, im Kreislauf des Lebens zwischen Geburt und Tod. Ich danke den Autorinnen und Autoren, die sich auf dieses Buchprojekt eingelassen haben, für das Vertrauen und die Offenheit, mit der sie einen Blick in die Dörfer ihrer Kindheit ermöglichen, und für die Zeit, die sie für das Schreiben ihrer Geschichte verwendeten. Damit haben sie dieses Buch erst möglich gemacht.

August 2022

Ulrike Siegel

Rita Fellner (geb. 1956),aufgewachsen in der Hallertau (Bayern)

Die Kramerin von Oberlauterbach

Ihr Kolonialwarenladen stand mitten im Dorf, gleich neben der Kirche. Sie hatte in den Laden eingeheiratet und ihn vom Schwiegervater übernommen, am ersten Tag nach der Hochzeit im Jahr 1956. Von sechs Uhr morgens, wenn der Bäcker das frische Brot brachte, bis sieben Uhr abends, nachdem sie ihren Laden durchgewischt hatte, stand sie in ihrer weißen Schürze hinter dem Ladentisch. Wiegte ab, packte ein, gab aus.

Hart und ausdauernd hat sie gearbeitet und die kluge Rechnerin hat so im Lauf der Zeit das Sortiment dem Bedarf immer wieder neu angepasst. Bei ihr gab es alles, was die Dorfbewohner brauchten. Alles für den alltäglichen Bedarf an Lebensmitteln, Bonbons stückweise für einen Pfennig aus einer Drehgondel, verschiedene Senfmehle aus großen Gläsern zum Selbstmischen für Senf. Alles für die Schule, Schuhcreme und Rasierklingen, auch Textilien, Kälberstricke und Brühpech.

Wenn die Leute am Sonntagvormittag aus der Kirche kamen, konnten sie noch Zutaten für das Sonntagsessen mitnehmen, denn die Kramerin war die Erste, die die Kirche verließ, und hatte ihren Laden bereits aufgesperrt, wenn die anderen aus der Kirche kamen.

Stellte sich am Samstagabend bei jemandem unverhofft Besuch ein, so wurde auch mal an die Tür geklopft, um noch schnell für den Besuch einen Wein oder ein Bier zu besorgen.

Ihr Laden war auch Treffpunkt zum Neuigkeiten-Austauschen. Von Mund zu Mund erfuhr man, ob jemand krank oder gar gestorben war – schon bevor es in der Zeitung stand.

Die Kramerin war auch eine diplomatische Frau und hat auch so manchen Streit geschlichtet.

Wir Kinder mochten besonders gern die Weihnachtszeit. Die beiden Schaufenster waren schön dekoriert mit Tannenzweigen und Tannenzapfen vom Wald. Lichterglanz und Goldpapierfunkeln. Oft standen wir Kinder vor den Fenstern und suchten in Gedanken ein ausgestelltes Teil aus, das uns besonders gut gefiel. Eine schöne Seife, ein Parfüm, eine kleine Figur oder Pralinen. Das durfte sich dann der Nächste nicht mehr wünschen. Selten, dass wir dann auch wirklich zu Weihnachten so etwas bekommen haben, aber für einen kurzen Moment hatten wir es schon besessen. Im Laden duftete es da besonders gut nach Zimt und Lebkuchen, nach Zitronat und Orangeat. Dies gab’s in Hälften zum Selbstschneiden aus großen Gläsern, die in den hölzernen Regalen standen.

Am Heiligen Abend wollte die Ladenglocke gar nicht mehr stillstehen. Die Kramerin hatte selbst verdientes Bargeld in der Kasse, was zu dieser Zeit die wenigsten Frauen hatten.

4. Januar 1956: Übergabe des Ladens durch den Schwiegervater

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Am Karfreitag gab’s Brathering. Es wurde eine große Dose zum Verkauf geöffnet und jeder kam mit Büchse und Schüssel.

Abends wurde frisch gemolkene Kuhmilch von den eigenen Kühen aus einer großen Milchkanne literweise ausgegeben. Wenn die Ernte groß war, gab es auch mal Kirschen oder Äpfel vom eigenen Garten. Ansonsten wurden die Früchte selbst gebraucht. Die ruhigste Zeit im Laden war die Mittagessenszeit und kurz danach. An den Laden schloss sich gleich die Stube mit Küche an. So kochte die Kramerin parallel zu dem Ladengeschäft noch für neun Personen in der Familie. Zum Glück gab’s noch einige Jahre die Großeltern, die mithalfen, schon mal Kartoffel schälten, den Ofen anheizten. Sonst hätte es öfter erst spät Mittagessen gegeben, je nachdem wie viel im Laden los war. Aber es musste zur bestimmten Zeit gegessen werden, da der Mann vom Feld kam und dann wieder hinauswollte und nicht aufgehalten werden durfte. Später kam dann noch die Pflege der Alten hinzu. Die Kinder waren dann schon größer und wurden selbstverständlich bei der Hausarbeit und auch bei der Aufsicht der Kleinen mit eingebunden. Kita oder Kindergarten gab es noch lange nicht.

Das Dorf mit 550 Einwohnern war damals autark. Es gab eine Post, Sparkasse, Kirche, wo regelmäßig eine Messe abgehalten wurde, Kramerladen, Metzgerei, Bäckerei, Gemeindeamt, Wirtshaus, Schmied, Schule für 1. und 2. Klasse, 3. und 4. Klasse und die 5., 6., 7., 8. und 9. Klasse, jeweils in einem Raum mit Klassenlehrer. Das funktionierte sehr gut. Die Lehrer waren sehr geschickt, die Kleinen mit einer Aufgabe zu beschäftigen, während sie mit den Großen Themen behandelten. Wir Kleinen hörten oft sehr interessiert zu bei großen Themen, z.B. Politik, und profitierten davon. Wir wurden kritischer.

Fast zu jedem Haus gehörte eine kleine Landwirtschaft zur Selbstversorgung. Darüber hinaus konnte auch mal ein Kalb oder Schwein, Milch, Getreide oder Holz verkauft werden. Im Hof neben dem Kramerladen wurde im kleinen Lagerhaus freitags in einer bestimmten Zeit Getreide angenommen, teils zum Verkauf oder auch zum Mahlen, und kam als Mehl wieder retour. Da staubte es oft gehörig.

Wenn der Hopfen gepflückt wurde, waren viele Hopfenzupfer da, aus teils weiter entfernten Orten, bis zum Ende der Ernte, ca. 14 Tage. Sie schliefen im Haus und mussten auch verköstigt werden. Das kam bei den Frauen zu ihrer alltäglichen Arbeit dazu. Der eigentümliche Duft von Hopfen lag in der Luft. War vor der Ernte kein Gewitter mit Hagel gekommen, hatte man eine gute Einkommensquelle, falls doch, waren alle Arbeit und Mühe im Vorfeld umsonst gewesen.

Ein großer Einschnitt für der Kramerladen kam mit Eröffnung des ersten Supermarktes im sieben Kilometer entfernten Ort. Man begann, im Großen und dann auch billiger zu kaufen. Eine Fabrik hatte dort auch eröffnet, wo dann viele arbeiteten und ihre kleine Landwirtschaft aufgaben. Die Felder wurden verpachtet an zwei, drei Großgrundbesitzer. Es blieb kein Feldrandstreifen mehr. Jeder Quadratmeter wurde ausgenützt. Bisher hatte man seine Felder mit Respekt und Weitsicht bearbeitet, denn sie wurden an die nächste Generation weitergegeben. Dies änderte sich. Der Besitzer war nicht mehr der Eigentümer.

Alle brauchten jetzt ein Auto, kamen so zur Arbeit und nahmen Einkäufe von dort gleich mit.

Irgendwann rechnete sich der Laden für die Kramerin überhaupt nicht mehr und sie schloss ihren Laden. Er steht bis heute leer. Ein großer Riss geht durch das Schaufenster und vor der Eingangstür will Unkraut wachsen.

Es findet bereits ein Umdenken statt. Aber es wird noch dauern, bis das in die Tat umgesetzt ist.

Bernadette Dambacher (geb. 1964),aufgewachsen auf der Ostalb (Baden-Württemberg)

Das Kapellenfest

Das Fundament war feucht und der Putz blätterte ab, viele Fenster waren kaputt, die Bänke verkratzt und der Dachstuhl vom Holzwurm zerfressen. Die Kapelle war in einem miserablen Zustand, jahrelanges Beten und das Ostalbwetter waren nicht spurlos an ihr vorbei gegangen. Es musste etwas geschehen, denn eine Kapelle in einem so maroden Zustand kam zur 200-Jahres-Feier natürlich nicht in Frage. Die Kapelle brauchte eine gründliche Renovierung. Diese und die Vorbereitungen für das Kapellenfest beschäftigten ab sofort das ganze Dorf mehr als ein Jahr.

Es gab zahlreiche Versammlungen zwischen den Dorfbewohnern, dem Kirchengemeinderat und den Vereinen mit hitzigen Diskussionen, ob, was und wie renoviert werden sollte. Und schnell wurde dabei klar: Die Kirchengemeinde hatte nach der kurz davor stattgefundenen Renovierung der Kirche und des Pfarrhauses kaum noch Geld übrig und grundsätzlich auch wenig Interesse an den Kapellen in den Dörfern. Auch wenn unsere Kapelle klein war und gar nicht alle Bewohner auf einmal reinpassten, war sie sowohl geografisch – an der einzigen Kreuzung liegend – als auch emotional das Zentrum des Dorfes und Versammlungsort. Wollten wir also, dass etwas geschah, mussten wir uns selbst kümmern und es war klar, dass hier alle mithelfen. Selbst die einzige evangelische Familie im Dorf sah das so. Es wurde folglich beschlossen, dass als Erstes im kircheigenen „Heiligenwald“ mehr Holz als normal geschlagen würde, um mit dem Verkauf einen Teil der Renovierungskosten zu bezahlen.

Die Kapelle

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Unser kleines Dorf mit circa 100 Einwohnern zählt zu einer Ansammlung von ein paar ähnlich großen Weilern im Umkreis von drei bis vier Kilometern um das größere Hauptdorf mit insgesamt ungefähr 2000 Einwohnern. Dort waren die Grund- und Hauptschule, der Kindergarten, die Kirche, die Pfarrei, der Arzt, drei Läden, eine Bäckerei, ein Metzger und die Raiffeisengenossenschaft. Hier lieferten die Bauern ihre Ernte für die Vermarktung ab, man erwarb dort alles Nötige für die Landwirtschaft und es gab Mietgefrierfächer, in denen auch wir nach der Hausschlachtung das Fleisch einlagerten, bevor wir selbst einen Gefrierschrank im Keller hatten. Wenn man einmal in der Woche mit dem Auto die drei Kilometer ins Dorfzentrum fuhr, dann wurde das so geplant, dass man so viel als möglich auf einmal erledigen konnte. Zu einem Arzttermin kam dann meistens der Einkauf, die Abholung des eingefrorenen Bratens aus dem Gefrierfach oder das Bargeld aus dem Schweineverkauf wurde zur Bank gebracht und auf dem Friedhof musste das Familiengrab versorgt werden.

Natürlich fanden auch dort im Zentrum die Feste der Vereine und alle Veranstaltungen statt. Im Winter in der Turnhalle und im Sommer im Freien oder im Zelt. In unserem Dorf hatte es zu meinen Lebzeiten noch nie ein richtig großes Fest gegeben, daher waren die Aufregung und die Erwartung vor allem der Jugend an das Kapellenfest groß.

Unsere Kapelle war der heiligen Ottilie geweiht, der Heiligen der Blinden. Sie war auf dem Altar abgebildet als hochgewachsene Nonne. In der einen Hand hatte sie ein aufgeschlagenes Buch, in dem zwei offene Augen abgebildet waren, und in der anderen Hand einen Stab mit einem Kringel am oberen Ende. Ich kann mich noch gut an meine Ehrfurcht als Kind erinnern, wenn ihre eigenen Augen und die im Buch auf die Betenden herabblickten – in dem Fall auf uns kleine Mädchen in der ersten linken Reihe auf der harten Holzbank kniend mit unseren Rosenkränzen.

Rosenkranz beten war eine sehr ernste und wichtige Angelegenheit im dörflichen Kirchenleben und kam nicht von ungefähr. In der vom Hobbyhistoriker der Gemeinde extra zum Kapellenjubiläum verfassten Chronik wird beschrieben, dass die Dorfbewohner nach einer Viehseuche gelobten, täglich gemeinsam den Rosenkranz zu beten. Diese täglichen Andachten weckten den Wunsch nach einer eigenen „Betkapelle“, die dann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Gemeinleistung und mit Unterstützung des unweit gelegenen Klosters errichtet wurde. Bis vor wenigen Jahren noch wurden Bittprozessionen durch die Felder durchgeführt mit den unterschiedlichen Rosenkranzvarianten: die beliebtesten waren der Schmerzhafte, der Freudenreiche und der Glorreiche.

Rosenkranz beten war für Kinder eine schreckliche Veranstaltung, eine halbe Stunde stillsitzen oder sogar knien und Reim um Reim runterrattern. Im Mai, dem Marienmonat, waren es besonders viele, nämlich jeden Sonntagnachmittag. Es gab viele weitere Anlässe oder Situationen, bei denen nur Rosenkranz beten half: zu wenig Sonne im Frühjahr, zu wenig Regen im Sommer, Hagel und Stürme, die die Ernte zu vernichten drohten, oder wenn sonstiges Unheil nahte. Lag jemand im Sterben, schickte die Mesnerin ein Kind von Haus zu Haus: „Der oder die Sowieso liegt im Sterben, kommt zum Rosenkranzbeten nach dem Stall.“ Und wenn jemand dann tatsächlich gestorben war, musste man beten, dass er oder sie in den Himmel kommt.

Man konnte es nicht erwarten, bis das Beten endlich vorbei war, denn danach durfte man mit den anderen Kindern eine Weile um die Kapelle herum Fangen spielen oder wir Mädchen Seilhüpfen, während die Männer rumstanden und bei ein paar Zigaretten den neuesten Dorftratsch austauschten. Gab es sehr wichtige Dinge zu diskutieren, blieben auch die Frauen.

Die Kapelle war entsprechend immer auch Mittelpunkt für Neuigkeiten oder Gespräche und überhaupt eine Möglichkeit sich zu treffen, ohne in der Wirtschaft zu sitzen. Zu besprechen gab es immer genug in Zeiten ohne sonstige Kommunikationsmittel und insgesamt wenigen Möglichkeiten sich zu treffen. Bauernhofarbeit war ja meistens eine einsame Angelegenheit, wenn man von Kühen, Schweinen und Hühnern als adäquaten Gesprächspartnern absieht.

Unsere äußerst pflichtbewusste und engagierte Mesnerin sorgte nicht nur dafür, dass die Kapelle blitzsauber war, die Altartücher und die Gewänder für den Pfarrer gewaschen und gebügelt, sondern auch für die reibungslose Durchführung der Gottesdienste und Rosenkranzgebete. Bei diesen war ja kein Pfarrer anwesend, d.h. die Mesnerin wählte die passende Rosenkranzvariante, stimmte die von ihr ausgesuchten Lieder an und gab wichtige Mitteilungen und Informationen mündlich für alle bekannt. Sie läutete die Glocke zum Mittag und Abend – bis zum Kapellenfest von Hand, danach gab es eine elektrische Anlage, der sie allerdings nur bedingt traute. Immer gab es frische Blumen, arrangiert in großzügigen Sträußen und Gestecken. Hatte sie keine eigenen mehr in ihrem Garten, ging sie von Haus zu Haus oder man brachte sie ihr persönlich vorbei.

Kapellendienst war also die neue Parole, die den ganzen Herbst und Winter vor dem für Mai geplanten Fest bestimmte. Während die Männer Arbeitsdienste auf der Kapellenbaustelle zu leisten hatten und dort das Dach erneuerten, neue Fenster einbauten und das Fundament trockenlegten, nähten, häkelten, strickten und werkelten die Frauen für den Basar und die Tombola. So entstanden Schürzen, Sofakissen, Wandbehänge, Makramee-Ampeln, Socken und andere mehr oder weniger nützliche Gebrauchsgegenstände und Dekorationsobjekte. Bis heute nutze ich die gehäkelten Topflappen von damals, denn sie erfüllen ihren Zweck auch nach jahrelangem Gebrauch noch ganz wunderbar und sind immer noch „pfennigguat“! Basare waren in der Zeit beliebte „Märkte“, um für Wohltätigkeitszwecke – in diesem Fall die Renovierung der Kapelle – Geld zu sammeln. Werden heute gebrauchte, nicht mehr benötigte Dinge oder Fehlkäufe für den guten Zweck gesammelt, wurden die Dinge damals extra für den Verkauf hergestellt. Überfluss auf dem Land gab es nicht. Wenn etwas nicht mehr gebraucht wurde oder nicht mehr benutzt werden konnte, dann war es meistens mehrfach repariert oder wirklich kaputt.

Ehrenamt als solches war in unserer Familie nichts Neues, ganz im Gegenteil. Mein Vater war Vorstand im Kegelclub und meine Mutter Vorstand im Frauenverein. Es war völlig selbstverständlich, dass auch wir Kinder uns einbringen und am Dorfgeschehen teilnehmen sollten. Jeder musste einen Sport ausüben und ein Instrument spielen lernen. In unserem Fall war das für alle Kinder das Akkordeon, unterschiedliche Wunschinstrumente waren nicht vorgesehen. Vor allem kamen auch Blasinstrumente nicht in Frage, weil die Blaskapelle im Sommer an Wochenenden auf den Dorffesten spielte und da waren wir natürlich unabkömmlich auf dem Hof und hatten Arbeits- bzw. Erntedienst. Das Akkordeonorchester hatte nur einen Auftritt pro Jahr im Winter, das schien für unsere Eltern ideal. Selbstverständlich – und von den Eltern sehr gern gesehen – beteiligten wir beiden großen Schwestern uns auch in der katholischen Jugendgruppe, die von unserem in der Kinder- und Jugendarbeit engagierten jugoslawischen Pfarrer sehr gefördert wurde.

Ehrenamtliches Mithelfen bei Festen, beim Kuchenbacken, Gästebedienen, Thekendienst, Vorturnen für die Vereinskasse, all dies hatten wir alle also schon oft geleistet. Aber eben im Hauptdorf, von einem der Vereine organisiert und nicht auf uns selbst gestellt in unserem kleinen Weiler mit den paar wenigen Leuten, die wir waren.

Je näher der Termin für das Fest rückte, desto konkreter wurden die Aktivitäten und die Diskussionen lauter. Wer erschien mal wieder nicht zu seinem Arbeitsdienst? Wer stellte sich besonders ungeschickt an? Wer wollte immer das Kommando führen, ohne Ahnung zu haben? Denn das Kommando wurde je nach Tätigkeit weitergegeben: Waren Schreinerarbeiten dran, dann war das der Neffe vom Soundso, bei Maurerarbeiten wurde entsprechend jemand anderes mit Kompetenz verpflichtet usw. Und warum mischten sich ständig die Kirchengemeinderäte ein, die doch anscheinend qua Amt nur für die große Kirche im Dorfzentrum zuständig waren und auch keinen erkennbaren Arbeitsbeitrag leisteten? Sie wollten die schönen alten Holzbänke aus Eiche, die Treppe zur Empore und den Altarstein rauswerfen und alles komplett neu bauen. Da hatten sie aber nicht mit der Mesnerin und den energischen Frauen des Dorfes gerechnet, denn die wollten ihren wertvollen Altar mit der Ottilie und dem durchgehend handbehauenen Altarstein erhalten. Und so kam es auch!

Und wieso dachte man in dieser illustren Ratsrunde und in der Arbeiterschaft, jeder Bauernhof sollte ein Schwein stiften – denn auf ein Schwein mehr oder weniger kam es ja nicht an, oder? –, während die Arbeiterfamilien „nur“ ihre Arbeitsleistung zur Verfügung stellten. Aus Sicht der Bauern hatten doch die Arbeiter ein luxuriöses Leben mit geregeltem Feierabend und freien Wochenenden, an denen könnten sie doch mehr in der Kapelle arbeiten. Denn die Bauernfamilien mussten sich ja jede Stunde extra für die Kapelle von der sowieso schon vielen Arbeit auf dem Hof abknapsen. Es gab kein anderes Thema mehr und die Zeit wurde immer knapper und die Gefahr, dass die Baustelle nicht fertig wurde, immer größer.

Auf unserem Hof gab es den größten und verkehrstechnisch am besten gelegenen Maschinenschuppen, der nach und nach zum Mittelpunkt aller Aktivitäten und zu Ehren meiner Mutter Franziska in „Franziskanerschuppen“ umbenannt wurde. In den Wochen vor dem Fest wurde er in mehreren gemeinsamen Aktionen ausgeräumt und unsere Maschinen, Traktoren, die großen Erntewagen sowie der Mähdrescher bei den anderen Bauern untergebracht. Von der letzten Ernte war Anfang Mai nicht mehr viel übrig, sodass es auch überall Platz gab. Die Scheune wurde gefegt, die Spinnweben von der hohen Decke entfernt, eine Bühne, die Küche und mehrere Theken für Getränke und Essensausgabe aufgebaut. Die Wände wurden mit alten Landwirtschaftsgeräten „behängt“, von denen jeder noch irgendwo eines in einer Scheune oder auf dem Dachboden versteckt hatte. Alte Rechen, Harken, Wagenräder aus Holz, Milchkannen, Saatschüsseln aus Blech und alle möglichen historischen Geräte, die dann die Frauen zum Fest mit frischen grünen Zweigen und den ersten blühenden Blumen schmückten. Ganz zum Schluss halfen die Kinder und Jugendlichen dann noch, die Biertische und -bänke aufzustellen. Es gab für jede und jeden eine Aufgabe. All diese Aktionen wurden so geplant, dass sie mit einem gemütlichen Ausklang und einem Bierchen, einem selbst gemachten Likör oder einer Bluna für die Kinder kombiniert werden konnten, und so ergaben sich schon viele kleine „Vorfeste“ und Treffen, die davor sonst kaum stattgefunden hatten. Dabei wurde festgestellt, dass man auch eine Lösung für die Entsorgung all dieser konsumierten Getränkeeinheiten finden musste. Durch einen nicht mehr nachvollziehbaren Zufall trieb jemand einen alten ausrangierten Klo-Wagen auf, den die Jugend auf Vordermann brachte und bunt anstrich. Für heutige Verhältnisse etwas unkonventionell erfolgte beim Fest die Ableitung in unsere Güllegrube. Von da an hatten wir unseren eigenen Klo-Wagen im Dorf, der bei weiteren Festen in der ganzen Umgebung sehr beliebt war und vermietet werden konnte.

Am Freitag und Samstag in der Festwoche versammelten sich die älteren Frauen alle in ihrer Einheitstracht mit mindestens einem Schurz über dem Kittelschurz, dicken Strumpfhosen und einem Kopftuch über den Haaren in unserer Waschküche. In dem mit Holz befeuerten Kessel, in dem normalerweise die Kartoffeln für die Schweine gekocht wurden, dampften sie diesmal für den Kartoffelsalat. Stundenlang schälten und schnitten die Frauen die noch heißen Kartoffeln – der schwäbische Kartoffelsalat wird mit warmen Kartoffeln angemacht – und mischten den Salat in Waschzubern mit den Armen bis zu den Ellbogen im Kartoffelmatsch. Für das große Mittagessen am Sonntag wurde eine Kartoffelsalat-Nachtschicht eingelegt. Auf ähnliche Weise wurde auf einem anderen Hof in einem nicht mehr benötigten Waschkessel das ganze Wochenende Sauerkraut gekocht und frisch und heiß in die Festhalle geliefert.

Das Fest sprengte alle Dimensionen und Erwartungen! Der Dauerregen hörte am Donnerstagabend auf, die Sonne schien drei Tage, so sehr sie konnte. Zum Schlachtfest mit Bieranstich am Freitag strömten die Menschenmassen und das Bier. Zur Kapellenweihe am Samstagabend – durchgeführt vom Abt des nahen Klosters wie vor 200 Jahren die Gründungsmesse – standen die Leute dichtgedrängt in der frisch renovierten, noch nach Farbe riechenden, hübschen Kapelle und draußen auf der für den Verkehr gesperrten Straße. Die heilige Ottilie strahlte für alle über ihren Heiligenschein hinaus und drückte mindestens ein Auge zu beim Anblick des anschließenden Alkoholkonsums! Der Abt war bis weit in die Nacht anwesend und gab bei der Verabschiedung zu: „So lange war ich in meinem ganzen Leben noch nie auf einem Fest!“

Zum Festgottesdienst am Sonntag im festlich geschmückten Franziskanerschuppen mit mehreren Pfarrern aus den umliegenden Kirchengemeinden kamen Hunderte von Menschen. Meine Schwester und ich waren stolz, bei so einem Ereignis als Lektorinnen die Fürbitten lesen zu dürfen. Es gab an allen Tagen ein vielseitiges Programm, durchgeführt von den örtlichen Vereinen: Große Reden wurden geschwungen, der Gesangverein und der Kirchenchor sangen zusammen, der Sportverein glänzte mit Tanzeinlagen, es wurde ein kleines Laientheater aufgeführt, der Musikverein spielte und bis weit nach Mitternacht wurde gesungen und getanzt. Zahlreiche Mitglieder aller Vereine halfen umsonst in der Küche, an der Theke, bei der Bewirtung, bei der Kuchen- und Kaffeeausgabe, als Parkwächter und bei all den vielen kleinen Aufgaben, die so eine große Veranstaltung erfordert.

Der Reiterhof aus dem Nachbardorf veranstaltete Ponyreiten für die Kinder und der Schäfer spendete einen Hammel für den Hammeltanz, bei dem der Gewinner den Hammel mitnehmen durfte.

Insgesamt erschienen über das ganze Wochenende mehr als 5000 Leute, verspeisten neun Schweine – allein 1200 Schnitzel am Sonntag –, einen Ochsen, zentnerweise Kartoffelsalat und Sauerkraut und 120 gespendete selbst gebackene Kuchen. Das Bier ging am Samstagabend aus und musste von unterschiedlichen Brauereien für Sonntag neu geliefert werden.

Nie mehr wieder gab es so einen Zusammenhalt in unserem Dorf, so viel Gelächter, so viel Getratsche, nie mehr wieder versorgten wir zusammen ein komplettes Wochenende lang die ganze Umgebung und nie mehr wieder tanzten Alt und Jung die halbe Nacht in der Scheune. Als eines der kleinsten Dörfer hatten wir einen Standard gesetzt, an dem sich die folgenden Kapellenfeste in den anderen Dörfern messen mussten, und wir waren stolz darauf!

Magdalene Kermelk-Ziegler (geb. 1953), aufgewachsen inDerscheid im Bergischen Land (Nordrhein-Westfalen)

Hoher Besuch

„Der Pater kommt Ende der Woche“, sagte Mama beiläufig.

„Wann?“ Omas Gesicht hob sich, ihre Miene ein großes Fragezeichen.

„Übermorgen, am Freitag, Steinmanns Josef hat Bescheid gesagt.“

„Dann müssen wir morgen gründlich putzen“, überlegte Oma und schaute mich dabei an.

„Da kannst du mir helfen, ja?“

„Aber dann darf ich auch die Blumen machen!“, rief ich.

„Natürlich darfst du das, wer denn sonst?“

Als ich am nächsten Tag von der Schule kam, standen die Wohnzimmerfenster weit offen, die frisch geputzten Scheiben glänzten in der Mai-Sonne. Der Teppich lag aufgerollt im Hausflur, davor standen die sechs Stühle, immer zwei aufeinandergestapelt. Es roch nach Schmierseife. Oma kam von ihrem Mittagsschläfchen die Treppe herunter.

„Ich hab schon geputzt, das war aber auch nötig! Ich glaube, seit Weihnachten haben wir da drinnen nicht mehr sauber gemacht.“ Ich beeilte mich mit dem Essen und dann machten wir uns an die Arbeit. Räumten Teppich und Möbel wieder an ihren Platz, ebenso die Pflanzen auf den Fensterbänken und zogen die weißen Gardinen sorgfältig vor die Fenster. Oma suchte im Schrank das schönste weiße Leinentischtuch heraus, breitete es auf dem Tisch aus und strich die Liegefalten glatt.

Inzwischen holte ich das Kreuz mit dem Standsockel aus dem Elternschlafzimmer und die Marienstatue vom Vertiko. Beide stellte ich auf den Tisch, dazwischen den flachen Messingständer mit der dicken weißen Kerze, die wurde nur zum Paterbesuch angezündet.

Aus der Glasvitrine des Wohnzimmerschranks nahm ich zwei von den geschliffenen Weinbechern, die würde ich als Blumenvasen verwenden.

Draußen schaute ich mich suchend in Mamas Blumengärtchen um. Da blühte gelber und dunkelroter Goldlack, Vergissmeinnicht, sogar noch ein paar späte weiße Narzissen. Dazu noch Zweige vom Jasmin, die schon erste Knospen zeigten. In der Küche ordnete ich die Blumen gleichmäßig in den Gläsern und stellte sie auf den Tisch, nun sah er richtig festlich aus.

Jetzt konnte der Pater kommen!

Am Freitagabend fingen wir etwas früher mit der Stallarbeit an, damit Mama um halb acht auch pünktlich fertig sein würde. Papa machte die restliche Arbeit, er nahm als Evangelischer nicht an der Andacht teil. Um viertel nach sieben kamen schon die ersten Besucher: Anna und Josefa, die grauhaarigen Zwillingsschwestern, sie setzten sich rechts und links von Opa, der sich den besten Sessel gesichert hatte und seine langen Beine weit von sich streckte.

Ziska kam von nebenan und hatte extra ihre weiße Sonntagsschürze umgebunden. Bei Heinrich hingen noch ein paar Strohhälmchen an der Strickjacke und Trude setzte schon mal ihre Andachtsmiene auf, beide rochen nach Kernseife. Steinmanns Peter und Sohn Josef nahmen die speckigen Hüte ab, ihre Haare hatten sie mit Wasser straff nach hinten gebürstet. Alle blieben noch vor unserer Haustür in der Abendsonne stehen und Oma begrüßte sie. Peter sagte: „Gruß von Anna, sie wollte auch gern mitkommen, aber du weißt ja, ihre Beine machen nicht mit, sind wieder offen, so schlimm.“ Traurig schüttelte er den Kopf und Oma versprach: „Da nimmst du ihr nachher vom Weihwasser mit, das wird ihr guttun.“ Von der anderen Seite des Zaunes, der seit einiger Zeit auf der Grenze zwischen unserem und dem Nachbargrundstück stand, spähte Trinchen durch einen Türspalt zu uns herüber. Sie wäre sicher auch gerne zur Andacht gekommen. Aber ihr Mann erlaubte es nicht. Nach einem lautstarken Streit mit Opa über den Grenzverlauf hatte er voller Wut den Zaun gezogen und seiner Frau jeglichen Kontakt zu uns verboten. Jetzt rief er so laut aus dem Hinterzimmer, dass wir alle es hören konnten: „Was hast du da zu horchen? Mach die Tür zu, zum Donnerwetter!“

Inzwischen bog auch schon der Pater mit seinem Fahrrad um die Hausecke, sein Gesicht gerötet vom anstrengenden bergauf Schieben. Obwohl er schon einige Jahre im Kloster Schönenberg lebte, hatte er sich immer noch nicht an die vielen Hügel im Bergischen Land gewöhnt. Er lehnte das Rad an die Hauswand und nahm seine Aktentasche vom Gepäckträger.

„Guten Abend, Herr Pater, schön, dass Sie uns wieder einmal besuchen“, Oma begrüßte ihn respektvoll, nahm seine Tasche und sie gingen ins Haus, nachdem der Pater freundlich nickend die anderen Besucher begrüßt hatte. Die plauderten noch miteinander: „Hast du schon die Kartoffeln gesteckt?“ „Nein, der Acker ist noch nicht abgetrocknet.“ „Habt ihr schon die Rinder auf der Weide?“ Nun kamen noch ein paar späte Besucher, Traudchen und Anton und drei Kinder.

„Kommt jetzt rein“, sagte Mama, „die Kinder sitzen auf der Eckbank.“ Wir drängelten uns zusammen und es passten leicht sieben Kinder auf die breite Bank, auf der sonst höchstens drei Erwachsene Platz hatten. Die Stühle reichten nicht aus für die Großen und Mama holte rasch noch den Hocker aus dem Badezimmer. Zwei mussten auf dem schmalen Ofenbänkchen sitzen.