Wenn das Glück mit dem Schwanz wedelt - Susanne Preusker - E-Book

Wenn das Glück mit dem Schwanz wedelt E-Book

Susanne Preusker

4,3

Beschreibung

Emmi ist ein Kampfhund, aber das weiß sie glücklicherweise nicht. Sie weiß auch nicht, dass Susanne einmal ein ganz anderes Leben geführt hat, bevor sie sieben Stunden in der Gewalt eines Sexualverbrechers war und sich schwer traumatisiert in einem neuen Leben wiederfand. Aber Emmi hat Susanne dabei geholfen, wieder gesund zu werden. Denn Emmi weiß nur: Ein Beißwursttänzchen mit der, die das andere Ende der Leine hält, ist das Allerallerschönste, was es gibt. Susanne Preusker erzählt in ihrem neuen Buch die Geschichte von Susanne und Emmi - und damit von Menschen und ihren Hunden und von Hunden und ihren Menschen. Das Lesen dieses Buches macht glücklich! Und am Ende fragt man sich: Wieso werden die Emmis dieser Welt eigentlich nicht von der Krankenkasse bezahlt?

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Seitenzahl: 198

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Buch lesen

Cover

Haupttitel

Inhalt

Anmerkungen und Quellen

Sonstige Literatur

Bildteil

Über die Autorin

Über das Buch

Impressum

Hinweise des Verlags

Susanne Preusker

Wenn das Glück mit dem Schwanz wedelt

Warum Hunde die besseren Therapeuten sind

Mit einem Nachwort von Mario Scheeben

Patmos Verlag

Ich mag Hunde. Sehr sogar. Wirklich.

Menschen übrigens auch.

Ich erklärte dem heiligen Petrus,

ich würde lieber hier bleiben,

vor den Pforten des Himmels.

Ich werde niemandem lästig fallen,

werde nicht einmal bellen,

ich werde mich in Geduld üben und warten.

Ich werde hier sein,

an einem himmlischen Knochen nagend,

gleichgültig, wie lange du brauchst.

Ich würde dich so sehr vermissen,

wenn ich den Himmel allein beträte,

es wäre einfach nicht der Himmel für mich.

Anonymus

Für Paulina

INHALT

Deutschland-Holland 2:1

Teil 1: Und dann kam Emmi

Erkenntnis Nr. 1: Ein Hund ist immer schneller als der Mensch, der ihn einfangen will. Oder muss.

Erkenntnis Nr. 2: Man darf sich Welpen nur dann ansehen, wenn man sich absolut sicher ist, auch einen mitnehmen zu wollen.

Erkenntnis Nr. 3: Ein Welpentest sagt zu ungefähr fünfzig Prozent die weitere Entwicklung des Hundes zutreffend voraus. Aber nur manchmal.

Erkenntnis Nr. 4: Ein Welpe, der sich während des Autofahrens das Maul leckt, hat keinen Durst. Ganz bestimmt nicht.

Erkenntnis Nr. 5: Ein Welpe macht aus Scheiße Pralinen. Oder umgekehrt.

Erkenntnis Nr. 6: Sag mir, wie dein Hund heißt, und ich sag dir, wer du bist. Oder gerne wärst.

Erkenntnis Nr. 7: Zum Welpen baut man eine Beziehung auf. Die zum Partner baut man ab.

Erkenntnis Nr. 8: Ein Welpe besteht aus Wasser. Und das will raus.

Erkenntnis Nr. 9: Barfen ist gut. Stillen wäre besser.

Erkenntnis Nr. 10: Pfefferspray macht rote Augen. Aber nicht bei jedem.

Erkenntnis Nr. 11: Das Problem sitzt an beiden Enden der Leine. Und dazwischen auch. Und überhaupt überall.

Erkenntnis Nr. 12: Wenn Vorstellung und Realität aufeinanderprallen, geht das für die Realität nicht gut aus.

Teil 2: Wer ist der Boss?

Hausbesuch

Wer ist der Boss?

Hund mit Leine

Hund mit ohne Leine

Im Land der Frühaufsteher

Hundepension

Teil 3: Kampfhund

Hühner auf der Autobahn

Platz für den Hund?

Warum Hunde die besseren Therapeuten sind

Nachwort

1. Hunde sind instinktgebundene Lebewesen

2. Wesens- und Charakteranlagen

3. Körperliche Anlagen und Eigenschaften

4. Antriebe und Motivation

Kommunikation

Rezept für Leberwurstkekse

Anmerkungen und Quellen

Sonstige Literatur

Deutschland-Holland 2:1

Wir schreiben das Jahr 1974. Ich war vierzehn Jahre alt, ein pummeliges, junges Mädchen in einer Zeit, in der junge Mädchen noch junge Mädchen waren, in der sie aussahen wie junge Mädchen und sich auch so benahmen. Ich war also sozusagen noch ein Kind. Am Nachmittag des 7. Juli 1974 lief im Fernsehen das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft. Deutschland gegen Holland. Ich habe mich nie besonders für Fußball interessiert, erinnere mich aber an dieses sportliche Medienereignis besser, als mir lieb ist:

Ich sitze neben meinem Onkel Peter auf der Couch in dessen Wohnzimmer, ein besticktes Sofakissen auf dem Schoß, meine Tante Jutta thront im Sessel daneben, alles ganz entspannt. In der Halbzeit geht mein Onkel, ein übergewichtiger Zwei-Meter-Mann, gelernter Bauarbeiter, nach draußen, um nach den Hunden zu sehen, die im Zwinger auf was auch immer warten. Mein Onkel hat nämlich nicht nur den Ehrgeiz, auf seinen Baustellen möglichst viel Dieselkraftstoff für seinen betagten Mercedes zu unterschlagen, nein, er hat auch das Ziel, Deutsche Schäferhunde zu halten und abzurichten. »Scharf machen«, nennt er das. Diesen Plan verfolgt er, begleitet von kritischen, aber halbherzigen Kommentaren seiner Familie, mit einer Verbissenheit, die der seiner Hunde in nichts nachsteht. Warum er das tut, habe ich vergessen.

Ich sitze also in der sicheren Gewissheit, dass meine Tante keinen Köter in ihrem Wohnzimmer duldet, entspannt auf dem verwandtschaftlichen Sofa, als sich unvermittelt ein riesiger Schäferhund, angefeuert von einem Kommando meines Onkels, knurrend zwischen mich und den Couchtisch zwängt, mir dann die Pfoten auf beide Schultern legt und mich leise grummelnd mit gefletschten Zähnen und schlechtem Atem fixiert. Drohend und bedrohlich. Ich schreie plan- und hilflos irgendwas, meine Tante schreit: »Raus mit dem Hund. Aber sofort!« Mein Onkel lacht und lacht. Und lacht immer noch, während er seinen Hund von mir herunterzieht und Richtung Garten hinausbugsiert. Ab in den Zwinger, guter Hund. Guter Junge.

Deutschland gegen Holland ging 2:1 aus. Wir haben also gewonnen. Wir? Ich eher nicht – ich hatte nämlich von dem Tag an ein äußerst gespanntes Verhältnis zu Hunden. Nicht nur zu Schäferhunden, oh nein: Dem Gesetz der Generalisierung von Ängsten konsequent folgend, hatte ich Angst vor allen Hunden. Angst vor deren Bellen, Knurren und vor Beißen sowieso. Angst vor der Angst, die Hunde ja bekanntlich riechen können, um dann sofort ihre Chance auf leichte Beute zu wittern. Und wahrzunehmen, versteht sich.

Ja, ich hatte Angst. Und sie blieb. Sie blieb während meiner restlichen Schulzeit, während meines Psychologie-Studiums, sie blieb während meiner Ausbildungen zur Psychotherapeutin und auch in den langen Jahren meiner Berufstätigkeit, sie steigerte sich noch, nachdem sich mein kleiner Sohn als ausgesprochener Hundefan entpuppte. Im Laufe der Jahre lernte ich, Sätze wie: »Der will doch nur spielen«, oder: »Der tut nix«, souverän zu kontern: »Soso. Hoffentlich weiß das auch Ihr Hund.« Ich lernte zu pöbeln, wenn ich Hundehaufen auf Spielplätzen niedergehen sah. Ich lernte, notfalls unauffällig die Straßenseite zu wechseln. Und ansonsten lebte ich ein hundeloses Leben. Diese Viecher, deren Sprache ich nicht verstand, waren mir größtenteils egal, außer Angst, Misstrauen oder bestenfalls großem Respekt hatten sie nichts von mir zu erwarten, und den Wunsch meines Kindes nach einem eigenen Haustier konnte ich unter Aufbietung zahlreicher pädagogischer Tricks erfolgreich auf das Thema »Katze« umlenken. So geschah es, dass im Laufe der Jahre Luis, Janosch, Sam und Betsy bei uns ein- und teilweise unter tragischen Umständen wieder auszogen.

Im Jahre 2009, also 35 Jahre nach dem 2:1 gegen Holland, bin ich aus meinem alten Leben gefallen und landete ausgesprochen unsanft in einem Bett aus Depressionen und Ängsten, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie mich jemals ereilen würden. Ängste, gegen die das, was ich beim Anblick eines knurrenden Schäferhundes empfunden hatte, die reinste Lachnummer war. Hinter mir lagen Erlebnisse, die ich wirklich liebend gerne gegen einen Hundebiss eingetauscht hätte. Dieser geht rascher vorbei, heilt schneller. Kein Hund hätte mir das angetan, was ein Mensch mir zugefügt hatte. Hunde unterwerfen einander, aber sie demütigen nicht. Hunde sind keine Sadisten.

Eines Tages ertappte ich mich dabei, wie ich in diesem neuen, ungeliebten Leben, das sich so verkehrt anfühlte, die junge Labrador-Hündin einer guten Freundin streichelte. Es fühlte sich gut und überhaupt nicht verkehrt an, dieses schwarze, glatte, seidige Fell. Ich mochte den Blick aus samtbraunen Augen. Ich lachte über Kunststücke wie »High five!« oder »Wie geht die Rolle?«. Ja, ich lachte. Ich lachte zu einer Zeit, in der es nicht viel zu lachen gab. Diese Hündin tat mir gut und ich mochte es, wie sie mir hingebungsvoll die Hand ableckte. Ich ekelte mich nicht, ich hatte keine Angst, ich war nicht misstrauisch, ich vertraute ihr. Wenn ich auch sonst niemandem zu trauen vermochte – ihr schon.

Die Erklärung fand ich erst einige Zeit später:

Man muss vor Hunden keine Angst haben. Nur vor Menschen.

Diese Lektion hatte ich begriffen.

Susanne Preusker

Magdeburg, im Sommer 2012

TEIL 1:

Und dann kam Emmi

Erkenntnis Nr.1: Ein Hund ist immer schneller als der Mensch, der ihn einfangen will. Oder muss.

Es ist Dezember. In der Stadt, in der ich lebe, ist Schnee gefallen. An sich nichts Besonderes, aber es handelt sich um viel Schnee. Ausgesprochen viel Schnee für diesen Monat und für diese Stadt. Es ist Samstagnachmittag, viele Menschen sitzen auf ihren Sofas, knabbern gemütlich Spekulatius und freuen sich auf die Sendung »Hund-Katze-Maus«. Ich nicht. Ich habe nämlich einen real existierenden Hund, und dieser Hund braucht Bewegung. Dieser Hund, genau genommen handelt es sich um ein Hundemädchen namens Emmi, will raus, toben, Spaß haben. Schnee hin oder her – der Hund will auf die Hundewiese. Schon klar. Dann will ich auch wollen, rede ich mir ein. Ich kleide mich also an: Jeans, zwei paar Strümpfe, Wanderschuhe, Pulli, Winterjacke, Schal, Mütze, Handschuhe. In der Jackentasche das übliche Hundewiesen-Equipment: Handy, Pfefferspray, Schlüssel, Leckerchen, Pupstüten, Balli. Und auf geht’s. Komm, Emmi, wir gehen raus, fein. Feiner Hund! So eine Brave! Und ab …

Einige Zeit später: Es ist immer noch Dezember. Es liegt immer noch viel Schnee. Ein fieser Ostwind ist aufgekommen, was die Sache nicht angenehmer macht. Wir sind auf der Hundewiese. Emmi spielt und tobt und rennt und freut sich. Ich stehe rum und mir ist kalt. Sehr kalt. Arschkalt sozusagen. Den anderen Hundebesitzern auch. Einer ruft seinen Hund, um zu gehen. Der Hund kommt. Beide gehen. Ich rufe auch. Emmi kommt nicht. Ich rufe noch mal. Emmi kommt nicht. Schlimmer: Sie tut erst gar nicht so, als hätte sie mich gehört. Nein, sie spielt und tobt und rennt und freut sich weiter. Ich stehe im Schnee, die Nase läuft, meine Augen tränen. Ich rufe lauter. Schließlich brülle ich: »Emmi, hiiieeerrrrherrrr!« Nichts. Null.

Eine Frau ruft ihren Golden Retriever. Er kommt sofort begeistert angaloppiert. Beide gehen. Die Hundewiese leert sich. Emmi spielt und tobt und rennt und freut sich. Ich puhle mit Fingern, vor Kälte steif, ein Leckerchen aus den Tiefen meiner Jackentasche. Bei der Gelegenheit fallen einige Pupstüten heraus, die ich dem Ostwind wieder abjage. »Emmi, hierher, schau mal, was ich habe.« Emmi schaut. Säusel: »Na, komm, meine Süße!« Die Süße kommt nicht. Die Süße spielt, beiläufig, aber nicht ohne Häme in meine Richtung grinsend, weiter.

Ich werde sauer. Aber richtig. »Na gut, ich kann auch anders!« Ich stapfe durch den Schnee auf meinen Hund zu und knicke um. Natürlich knicke ich um – alle Buddellöcher sind schneebedeckte, gut getarnte, nahezu tödliche Fallen. Für Menschen. Nicht für Hunde.

Mein Knöchel schmerzt, in die Tränen, die mir vor Kälte die Wangen herunterlaufen, mischen sich Tränen der Wut und der Ohnmacht. Ich fixiere meinen blöden Köter und stapfe weiter wie eine Irre: »Emmi. Komm sofort hierher. Aber auf der Stelle.« Emmi kommt nicht. Stattdessen kommt ein anderer Hundebesitzer, dessen potthässlicher Mischlingsrüde hingebungsvoll zu ihm aufblickt und an seinen Lippen hängt: »Na, Ihr kleiner Hund will wohl noch nicht nach Hause, was? Ha, ha, ha. Komm, Paul, wir gehen dann mal heim ins Warme.« Paul wedelt mit dem Schwanz. Emmi auch – aber in dreißig Metern Entfernung. Ich hasse Paul, Emmi, den Schnee und das Leben an sich. Ich könnte richtig losheulen, habe aber die rettende Idee: Ich gehe allein, meine Emmi wird folgen. Natürlich. Was denn sonst!

Ich gehe oder, um ehrlich zu sein: Ich humpele wie der letzte Vollhorst durch den Schnee Richtung Auto. Dabei schniefe ich und wische mit dem Handrücken die vom Ostwind gepeitschten Tränen von den Wangen, bevor sie dort festfrieren. Ich gehe und gehe und gehe. Werde langsamer, werde schneller. Drehe mich um. Heuchele Desinteresse. Emmi bleibt, wo sie ist. Soll sie doch. Mir doch egal. Ich kann auch anders.

Ich merke, wie sich ein unbändiger, übermenschlicher, alles in den Schatten stellender Zorn meiner bemächtigt. Unter den Augen der wenigen noch Anwesenden entscheide ich mich um und rase, so schnell es die Umstände, meine halb erfrorenen Füße nebst angeknackstem, wenn nicht gar gebrochenem Sprunggelenk und meine mittlerweile völlig durchnässte Jeans zulassen, zurück Richtung Hund. Richtung Köter, Richtung fleischgewordene Boshaftigkeit auf vier Pfoten. Ich stolpere – egal! Ich mache mich endgültig zum Idioten – auch egal! Alles egal. Gleich habe ich dich, du Mistvieh!

Nein, habe ich nicht. Ein Hund ist nämlich immer schneller als ein Mensch. Immer. Wirklich immer, immer. Erst recht im Schnee. Es passiert also Folgendes: Meine Hündin, als Welpe aus dem Tierheim gerettet, nachts unermüdlich die Treppen rauf- und runtergetragen, mein Hund, geliebt und beschützt, ernährt, liebkost, umsorgt, versichert, geimpft und strahlender Mittelpunkt meines Lebens, haut ab, zeigt mir aus circa zehn Metern den Mittelfinger und umkreist mich elegant und gutgelaunt in für sie absolut sicherer Entfernung. Wie ein Pony: Kopf nach hinten, federnd, unangestrengt, widerlich selbstsicher, entspannt und kein bisschen frierend. Was ist das Leben doch schön, du blöde Kuh, funkeln mir ihre Augen entgegen. Ich bin hier noch lange nicht fertig, signalisiert ihre Rute. Die flatternden Ohren morsen: Alles meins: die Wiese, der Schnee, der Park, die Stadt, Deutschland in den Grenzen von 2011. Ich schwöre, so war es. Vor Kälte spüre ich meine Finger nicht mehr, auch meine Füße fühlen sich taub an. Mein Gehirn hat in den Energiesparmodus geschaltet, daher erinnere ich mich an den Rest nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass ich mich irgendwann in der winterlichen Dämmerung, die zwischenzeitlich eingesetzt hatte, zwischen Emmi und eine veritable Doggendame geschmissen und meinen Hund schließlich am Halsband – oder waren es die Ohren? – von der Hundewiese getragen habe. Ich erinnere mich an wilde Verwünschungen, an Drohungen, sofort zum Tierheim zu fahren, und an Phantasien über nächtlich ausgesetzte Hunde auf einsamen Autobahnparkplätzen. Ich habe Emmi nicht verprügelt. Hoffe ich zumindest.

Und ich erinnere mich an einen bahnbrechenden Gedanken. Dieser kam mir aber erst Stunden später auf dem Sofa. Ich glaube, meine Finger waren gerade aufgetaut, der schmerzende Knöchel provisorisch versorgt und ich hatte einen Spekulatiuskrümel im Mundwinkel hängen. Der Gedanke war:

Da müsste man doch ein Buch drüber schreiben!

Gleiche Stadt, gleicher Hund, anderer Monat: Der Schnee liegt immer noch ziemlich hoch, meine Emmi braucht immer noch Bewegung, meine Emmi will immer noch ihren Spaß. Meine Emmi liebt das Leben, den Schnee, ihren Park. Und mich. Und mich? Klar liebt sie mich. Mich, dieses dick eingemummelte Michelinmännchen mit Hundejacke nebst überquellenden Taschen – Sie wissen: Handy, Pfefferspray, Schlüssel, Leckerchen, Pupstüten, Balli. Dieses wandelnde Versorgungszentrum hat dem weltbesten Emmilein schon geraume Zeit beim Spielen zugesehen. Mit Anka, Kika und Alma. Tatsache – so hießen sie, die drei anderen Hundedamen unterschiedlicher Provenienz. Ein temperamentvolles Quartett pflügte in der einsetzenden Dämmerung durch den knietiefen Schnee, ein Bild purer Lebensfreude. Doch irgendwann wurde es wieder Zeit zu gehen. Anka, Kika und Alma liefen freudig zu ihren jeweiligen Besitzerinnen, um sich anleinen zu lassen und folgsam Richtung Heimat zu traben, nur Emmi nicht, aber das kennen Sie ja schon.

Emmi kommt nicht, Emmi, ganz pure Lebensfreude, springt und hüpft und rollt sich im Schnee. Das fleischgewordene Michelinmännchen mit Hundejacke, Mütze, Schal, Winterstiefeln und blaugefrorenen Händen zieht wiederum das ganze Register von: »Ja, wo ist denn meine Süße?!«, über: »Wer möchte denn jetzt wohl ein besonders feines Leckerli haben?«, bis hin zu: »Auf der Stelle kommst du hierher!« Am Ende ist klar: Die Süße ist gefühlte hundert Kilometer entfernt im Gebüsch und möchte ganz bestimmt kein Leckerli. Klar ist auch: Sie wird nicht kommen. Weder jetzt noch auf der Stelle. Emmi ist nämlich noch lange nicht fertig.

Mir kocht die Galle über, schon wieder dieses durch Adrenalin gepushte Rauschen in den Ohren, tobender Herzschlag. Aber halt – da mischt sich noch ein anderes Geräusch dazwischen. Nämlich die hohen, schrillen Schreie einer Frau: »Hilfe! Nehmen Sie Ihren Hund weg. Sofort! Hilfe!!! So helfen Sie mir doch!!!!!!«

Scheiße. Scheiße. Scheiße. Ich rotiere um meine eigene Achse und sehe, wie Emmi, die mich ja angeblich liebt, einer älteren Dame ins Gesicht springt. Einmal, zweimal. Und noch mal. Wie ein Flummi. Schleck. Und hopp. Und schleck. Und hopp. Und noch mal ein besonders feiner Schleck über Mund, Nase und Wange einer Spaziergängerin auf der anderen Seite der Wiese, hinter dem Gebüsch: »Hilfe!!!!«

Das Michelinmännchen wälzt sich, so schnell es irgend geht, durchs städtische Unterholz. »Emmi. Hierher. Komm jetzt. Entschuldigung. Emmi. Tut mir wirklich so leid. Emmi. Sitz. Sie ist mir weggelaufen. Emmi. Mach sitz. Es tut mir wirklich leid. Ich weiß, das darf nicht passieren. Die tut nichts. Die ist lieb. Wirklich. Emmi. Lass das. Die will nur spielen. Mach jetzt sitz. Entschuldigen Sie bitte.« Und so weiter. Wirres Zeug am laufenden Band. Die Geschädigte ist zu Tode erschrocken, aber dennoch erstaunlich freundlich. Die Schädigende merkt, dass irgendwas richtig faul ist, pflanzt sich auf ihren Hintern, kuckt dämlich in die Gegend und wartet vorerst ab. Fehlt nur noch, dass sie La Paloma pfeift. Die Besitzerin der Schädigenden leint Letztere an und zieht sie wortlos nach Hause. Kein Wort wird gesprochen, kein Blick gewechselt.

Oh nein, Emmi liebt mich nicht. Und ich liebe diesen Hund nicht. Ich hasse ihn.

Eisiges Schweigen. Ich schmeiße den PC an und google: »Tierheime in der Nähe«. Der Hund, der mich hasst, liegt im Körbchen und tut so, als schliefe er. In Wirklichkeit plant er wahrscheinlich die nächste Attacke. Diesmal vielleicht auf ein Kind? Das wäre ja noch lustiger und man muss auch nicht so hoch springen.

Die Besitzerin, vom Michelinmännchen wieder zu einer normalen, aber unglaublich schlechtgelaunten Frau mutiert, kocht Kaffee und raucht eine Zigarette. Na gut: Es waren drei.

Zurück zum PC, google ich: »Hundeschulen in der Nähe«. Ich werde fündig und greife zum Telefon. So lerne ich Mario kennen.

Ach, und falls Sie, die mir unbekannte Spaziergängerin im Park, dieses Buch zufälligerweise in die Hände bekommen sollten: Danke nochmals für Ihre wirklich verständnisvolle und freundliche Reaktion. Das war nicht selbstverständlich. Und Sie müssen wissen, ohne Sie hätte ich Mario nie kennengelernt und das Buch wäre nicht entstanden. Und glauben Sie mir: Sie wollte wirklich nur spielen.

Erkenntnis Nr.2: Man darf sich Welpen nur dann ansehen, wenn man sich absolut sicher ist, auch einen mitnehmen zu wollen.

Um es gleich vorauszuschicken: Ich bin nicht tätowiert oder gepierct und trage mich zurzeit auch nicht mit dem Gedanken, derartige Verschönerungen an mir vornehmen zu lassen. Und nein, ich bin nicht vorbestraft, habe eine halbwegs vernünftige Ausbildung und würde mich als eher bürgerlich, meinethalben auch durchschnittlich bezeichnen. Und ja, ich habe einen Kampfhund. Und zwar einen Staffordshire Bullterrier. Vielleicht auch einen American Staffordshire Bullterrier. Auf jeden Fall etwas in dieser Art. Einen dieser Hunde, die ein kleines Imageproblem haben. Einen dieser Hunde, deren Presse eher schlecht ist. Einen dieser Hunde, für, oder besser gesagt: gegen die es jede Menge Gesetze, Verordnungen und Vorschriften gibt. Die nur gegen Aufschlag zu versichern sind – wenn überhaupt. Die gechipt, wesenstest-geprüft, ordnungsamtlich erfasst zu sein haben, Hunde, deren Halter nicht züchten, aber kräftig Steuern zahlen dürfen. Hunde, auf die die Reaktionen der Umwelt zwischen den Polen: »Ey, boah, voll krass, cool, ey«, und: »Halten Sie den Hund fest!«, schwanken, und zwar unabhängig davon, was Hund oder Halter tun oder nicht tun. Mit anderen Worten: Hunde, die sich kein halbwegs vernunftbegabter Mensch freiwillig ins Haus holt. Ja, ich habe einen solchen. Ich habe einen Kampfhund.

Und das kam so:

Aus Gründen, die ich bereits angedeutet und in einem anderen Buch beschrieben habe,1 hatte ich plötzlich Zeit. Viel Zeit. So viel Zeit, dass ich begonnen habe, Japanisch zu lernen, neue Kochrezepte auszuprobieren, zu stricken, »Frauentausch« zu kucken, viel zu lesen und Sport zu treiben. Naturgemäß handelt es sich dabei um zwar zeitraubende, aber auch einsame beziehungsweise, schlimmer: äußerst anstrengende Tätigkeiten. Und ich hatte das ungute Gefühl, etwas fehle dennoch. Eine Aufgabe, eine sinnvolle Beschäftigung, eine echte Herausforderung. Zum Beispiel in Form eines Hundes. Die Vorteile, so dachte ich, lägen auf der Hand: Es ist immer jemand da, ein Blick aus dankbaren Hundeaugen täte meiner Seele gut, bedingungslose Liebe inklusive freudigem Schwanzwedeln seien mir gewiss. Und der ganze Rest werde sich finden. So weit meine Vorstellung.

Andererseits hatte ich keinerlei Erfahrungen in der Hundehaltung, mal abgesehen von meinem uralten Wackeldackel, diesem treuen Begleiter auf zahlreichen Autofahrten. In früheren Zeiten besaß ich Katzen noch und nöcher und meine daher, für mich in Anspruch nehmen zu können, die Katzenseele an sich halbwegs durchschaut zu haben. Auch die Sache mit den sieben Leben habe ich begriffen, aber die Anschaffung einer Katze schied aus mehreren Gründen aus. Zum einen bin ich kein Fan von Wohnungskatzen, zum anderen ist mir keine Katze bekannt, die jemals schwanzwedelnd an der Tür stehend ihr Frauchen begrüßt oder anderweitig mit bedingungsloser Liebe überschüttet hätte. Das Gegenteil ist der Fall: Die vielbesungene Unabhängigkeit und Freiheitsliebe der Katze ist Ausdruck einer schier empörenden, auch zutiefst menschenverachtenden, zynischen Egozentrik. Hunde haben Herrchen, Katzen Personal. Ich habe vergessen, von wem diese wunderbare Formulierung stammt, hätte es aber auf keinen Fall treffender ausdrücken können. Also: keine Katze. Ein Hund muss her. Aber was für einer?

Aus Sicht meines Ehemannes wäre ein Rottweiler die erste Wahl gewesen. Aus meiner kaum. Aus meiner Sicht wäre ein Rauhaardackel schwer in Ordnung gewesen. Aus Sicht des Mannes, mit dem ich Bett und Tisch teile, kaum. Wo, bitte, ist nun der Kompromiss zwischen drei Kilo und sechzig Kilo?

Wir haben dann sämtliche Rassen – im übertragenen Sinne – durchgekaut, ohne uns auch nur annähernd einigen zu können. Zu lange Haare (Bearded Collie), zu groß (Riesenschnauzer), zu sehr in Mode (Labrador), zu lieb (Golden Retriever), zu dekadent (Basset), zu krankheitsanfällig (Irischer Wolfshund), zu klein (Mops) – keine Rasse ohne »Zu«. Es gibt viele, sehr viele Hunderassen. Daher nahm die Diskutiererei vorerst auch kein Ende und wir wären heute noch damit beschäftigt, wenn nicht eine Bekannte im Frühjahr 2010 den Satz aller Sätze gesprochen hätte:

Im Tierheim sind Staff-Welpen geboren worden. Kuck sie dir doch mal an. Antwort: Ich bin doch nicht bescheuert!

Ach, komm. Nur mal ankucken. Ganz unverbindlich.

Nie im Leben! Ich laufe doch nicht mit einem Kampfhund durch die Stadt.

Du kannst doch aber ruhig mal kucken. Nur mal kucken.

Ich habe nur mal gekuckt. Ganz unverbindlich. Der Rest ist Geschichte.

Dem Charme eines Hundebabys kann man sich nicht entziehen – das hatte ich oft gehört, aber nie glauben wollen. Nun weiß ich, dass es so ist.

Ich betrete die Box des Tierheims und ein Fellknäuel purzelt mir entgegen, das bei näherem Hinsehen aus fünf Staffordshire-Minis besteht. Eins süßer, knuddeliger, herziger, tapsiger als das andere. Und dann kam sie, dieses kleine Teil mit halbem braunem Kopf, die Kleinste und Zarteste des Wurfes, direkt auf mich zugestolpert und leckte mir hingebungsvoll die Hand. Sie hat mich ausgesucht. Von allen Menschen auf dieser Welt mich und nur mich! Die Kleinen stammen aus einer illegalen, beschlagnahmten Zucht. Egal! Der Besitzer hat die Elterntiere gequält, in einem Verschlag gehalten und, soweit man weiß, mit lebendigen Kleintieren gefüttert. Egal! Ansonsten ist über die Eltern wenig bekannt, nur dass die Hündin als Zuchtmaschine missbraucht wurde und dass der Vater wohl nicht ohne ist. Egal! Die Tiere gehören bis auf Weiteres noch dem Veterinäramt. Egal! Sie werden eine Menge behördlicher Auflagen zu erfüllen haben. Egal! Rechnen Sie damit, mit einem solchen Hund auf der Straße komisch angekuckt zu werden. Egal! Und teuer wird das auch. Egal. Alles egal. Sie hat mich ausgesucht. Nur mich! Denke ich, während der anzunehmende Vater, ein kalbsgroßer, blau-schwarzer American-Staffordshire-Rüde mit Riesenkopf und Riesenhauern, im Zwinger nebenan genüsslich eine Wolldecke zerlegt.

Wieder daheim maile ich meinem Mann das herzerweichende Foto dieses ach-so-zauberhaften, braun-weißen Hundebabys ins Büro:

Dazugehöriger Text: Ich finde, sie sieht aus, als hieße sie Emmi. Was meinst Du?

Antwort: Grundgütiger!

Text: Grundgütiger ist aber ein blöder Name für einen Hund. Wir bleiben bei Emmi, okay?

So kam Emmi, das kleine Ding mit dem halben braunen Kopf, zu uns und zu mir.

Und was die Sache mit dem Aussuchen betrifft: Ich bin davon überzeugt, dass es sich dabei um einen der allergrößten Mythen in der Mensch-Hund-Beziehungsgeschichte handelt, der durch ständige Wiederholungen auch nicht wahrer wird. Und ich weigere mich, anzunehmen, eine Art »höhere Gewalt« führe Hund und Besitzer zusammen. Alles dürfte zwangslos auf evolutionstechnisch hoch sinnvolle Verhaltensmuster und Reaktionsprogramme, auch auf Zufall zurückzuführen sein. Emmi zumindest, da bin ich mir sicher, wäre an jenem Tage voller Begeisterung auf jeden Menschen zugelaufen, um ihn aus diesen unglaublich hübschen Augen anzublinzeln. Und Handablecken geht sowieso immer. Wer hätte ihr und ihrem Charme schon ernsthaft widerstehen können? Hunde sind nämlich bereits von Kindesbeinen an total niedlich und liebenswert, mit anderen Worten: hochmanipulative, vorteilsbedachte Arschlöcher, doch dazu später mehr. Der Erklärungsgehalt romantischer »Sie hat mich gesucht und gefunden«-Geschichten geht also gegen null. Aber sie sind einfach schön. So schön, dass ich wider besseren Wissens weiter behaupten werde: Sie hat mich ausgesucht. Nur mich!