Wenn Freunde sterben ... - U.H. Wilken - E-Book

Wenn Freunde sterben ... E-Book

U. H. Wilken

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Beschreibung

Der Autor steht für einen unverwechselbaren Schreibstil. Er versteht es besonders plastisch spannende Revolverduelle zu schildern und den ewigen Kampf zwischen einem gesetzestreuen Sheriff und einem Outlaw zu gestalten. Er scheut sich nicht detailliert zu berichten, wenn das Blut fließt und die Fehde um Recht und Gesetz eskaliert. Diese Reihe präsentiert den perfekten Westernmix! Vom Bau der Eisenbahn über Siedlertrecks, die aufbrechen, um das Land für sich zu erobern, bis zu Revolverduellen - hier findet jeder Westernfan die richtige Mischung. Lust auf Prärieluft? Dann laden Sie noch heute die neueste Story herunter (und es kann losgehen). Wie ein herrenloser Hund streunte er durchs große texanische Camp am Brazos und hoffte, endlich auf seine Freunde zu stoßen. Nicht sie sollte er finden, sondern den Tod. Er war so arm und heruntergekommen wie alle Männer hier, die arbeitslos herumstanden und jeden Tag ihres Lebens verfluchten. Ohne Yankee-Dollars konnte er sich auch keine der sündhaft teuren Ausrüstungen kaufen, um mit den ersten Treibherden nach Norden zu ziehen. In der zerfetzten und verschmutzten Uniform fiel er nicht auf, sie alle trugen noch Uniformstücke – Überbleibsel eines verlorenen Bruderkrieges. Das einzige, was er wie einen Schatz hütete, waren die fast nagelneuen Stiefel, die er noch in den letzten Tagen des Krieges in einem verlassenen Gehöft gefunden hatte. An diesem Abend wartete sein Mörder schon auf ihn, im tiefen Schatten der alten Ställe neben dem Last Chance Saloon hatte sich ein Mann auf die Lauer gelegt. Ahnungslos kam er heran, vom Licht des Saloons gelockt, er würde sich kaum einen der verdünnten Whiskys leisten können. Er suchte die Nähe der Männer, um nicht immer nur in seinem schäbigen Hundeloch am Rande des Camps zu sein. Das Straßenstück vor dem Saloon war dunkel. Der junge Mann sah seinen Mörder nicht. Unter dem Sternenhimmel von Texas brüllten und tobten überall angetrunkene Männer, und so mancher Schuß fiel zwischen den Bretterbuden und den alten zerfetzten Armeezelten. Als er an den Ställen vorbeiwollte, flammte es im Dunkel grell auf. Er spürte den heftigen Einschlag und wurde herumgeschleudert. Mit zuc­kenden Händen griff er haltsuchend ins Leere – dann stürzte er noch während des Knalls in den aufgewühlten Staub. Der Mörder hetzte heran. Zwei Hände krallten sich in die Schultern des jungen Mannes und zerrten ihn zwischen die Ställe. Er spürte nicht, wie der Mörder ihm die Stiefel von den Füßen riß und die Taschen der zerlumpten Uniform durchwühlte. Vorn auf der Straße riefen heisere Stimmen und entfernten sich. Niemand würde ihm helfen!

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Seitenzahl: 153

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Die großen Western – 268–

Wenn Freunde sterben ...

U. H. Wilken

Wie ein herrenloser Hund streunte er durchs große texanische Camp am Brazos und hoffte, endlich auf seine Freunde zu stoßen.

Nicht sie sollte er finden, sondern den Tod.

Er war so arm und heruntergekommen wie alle Männer hier, die arbeitslos herumstanden und jeden Tag ihres Lebens verfluchten. Ohne Yankee-Dollars konnte er sich auch keine der sündhaft teuren Ausrüstungen kaufen, um mit den ersten Treibherden nach Norden zu ziehen.

In der zerfetzten und verschmutzten Uniform fiel er nicht auf, sie alle trugen noch Uniformstücke – Überbleibsel eines verlorenen Bruderkrieges. Das einzige, was er wie einen Schatz hütete, waren die fast nagelneuen Stiefel, die er noch in den letzten Tagen des Krieges in einem verlassenen Gehöft gefunden hatte.

An diesem Abend wartete sein Mörder schon auf ihn, im tiefen Schatten der alten Ställe neben dem Last Chance Saloon hatte sich ein Mann auf die Lauer gelegt.

Ahnungslos kam er heran, vom Licht des Saloons gelockt, er würde sich kaum einen der verdünnten Whiskys leisten können. Er suchte die Nähe der Männer, um nicht immer nur in seinem schäbigen Hundeloch am Rande des Camps zu sein.

Das Straßenstück vor dem Saloon war dunkel. Der junge Mann sah seinen Mörder nicht. Unter dem Sternenhimmel von Texas brüllten und tobten überall angetrunkene Männer, und so mancher Schuß fiel zwischen den Bretterbuden und den alten zerfetzten Armeezelten.

Als er an den Ställen vorbeiwollte, flammte es im Dunkel grell auf. Er spürte den heftigen Einschlag und wurde herumgeschleudert. Mit zuc­kenden Händen griff er haltsuchend ins Leere – dann stürzte er noch während des Knalls in den aufgewühlten Staub.

Der Mörder hetzte heran. Zwei Hände krallten sich in die Schultern des jungen Mannes und zerrten ihn zwischen die Ställe.

Er spürte nicht, wie der Mörder ihm die Stiefel von den Füßen riß und die Taschen der zerlumpten Uniform durchwühlte.

Vorn auf der Straße riefen heisere Stimmen und entfernten sich. Niemand würde ihm helfen! Wer war er schon? Ein kleiner verkommener Kerl, wie es sie zu Tausenden gab, ein Bursche ohne Geld, Heimat und Arbeit.

Der Mörder zog die Stiefel seines Opfers an und stieß den jungen Mann dicht an die Bretterwand des Stalls heran. Dann hastete er geduckt da­von…

Nach einer Ewigkeit kam der Junge zu sich. Er sah die fernen Sterne über sich und die dunkle Stallwand. Wie aus weiter Ferne kamen die Stimmen der Männer im Saloon zu ihm herüber. Irgendwo im Camp bellte ein Hund. Lagerfeuer flackerten am Camprand und warfen ihren zuckenden Flammenschein gegen die Schwärze der Nacht.

»Hilfe!« stöhnte er. »Ich verblute…«

Niemand kam.

In diesem gottverlassenen Camp gab es keine Freunde.

Er wollte nicht sterben. Zitternd quälte er sich hoch und schwankte auf bloßen Füßen zur Straße hinüber. Er sah die Lichtbahn des Saloons und mehrere schweigend vorbeiziehende Reiter – und er erkannte sie und wollte schreien, aber der Tod würgte ihm gnadenlos die Luft ab. Mit jedem Pulsen floh die Kraft aus seinem Leib. Er sah die Sterne vom Himmel fallen und dicht vor sich aufglühen. Schwer prallte er gegen die Hauswand und stolperte über eine Tonne, fiel darauf und kippte langsam um. Flach atmend, blieb er liegen und sah nicht, wie die Tonne auf die Straßen hinausrollte und das Pferd eines Mannes, der gerade zum Saloon wollte, scheuen ließ…

»Ruhig, Pferd«, sagte der Reiter, »ruhig.« Er zog das Pferd zur Seite und verhielt am Rande der Lichtbahn des Saloons. Das narbige Gesicht war wie aus Stein, eingefallen waren die Wangen, rauh und bärtig das Kinn. Der Staub eines langen Rittes lag auf dem strähnigen sandfarbenen Haar, auf den Schultern und Beinen.

John Long blickte die Straße hinauf, sah die vielen Lichtbahnen und arbeitslosen ehemaligen Soldaten und Cowboys, die schlaffen Körper Betrunkener auf den Abfallbergen vor den Bretterbuden, die lärmenden Gruppen herumziehender Männer und weit hinten einen Mann, der es wohl besonders eilig hatte, zu seinem Whisky zu kommen.

Sein Blick kehrte zur Tonne zurück, die im Lichtschein liegengeblieben war. Noch glaubte er, daß ein Betrunkener über die Tonne gefallen wäre, als er die Blutspuren am Holz erkannte…

Es war eine schicksalhafte Entdeckung, die John Longs Leben eine große Wende geben sollte.

Über das narbige Gesicht zog ein düsterer Ausdruck, und der Atem wurde pfeifend und scharf. Ohne Eile ritt er an die Haltestange des Last Chance Saloon heran, stieg ab und leinte das Pferd an.

Er war zum erstenmal im Brazos-Camp. Noch heute mittag hatte er zwischen den Hügeln am Fluß gerastet. Nur die Hose verriet, daß auch er auf seiten des Südens gekämpft hatte.

Im Saloon dröhnte ein Orchestrion und übertönte das Rasseln der Sporen an Longs Stiefeln, als er den kurzen Weg zur Hofeinfahrt zurückging. Die Konturen der Ställe hoben sich fast schwarz ab vor den fernen Sternen und dem kalten bleichen Licht auf den Hügeln. Er bewegte sich auf langen Beinen in die Hofeinfahrt hinein und sah forschend umher. Vielleicht hätte er den jungen Mann im tiefen Schlagschatten des Hauses gar nicht entdeckt, wenn nicht in diesem Moment das Orchestrion verstummt wäre und der Sterbende aufgestöhnt hätte.

Gebeugt ging Long ans Haus heran und kniete nieder, tastete über den jungen Mann hinweg und berührte das eingefallene Gesicht. Er spürte, daß noch Leben in dem Jungen war, und er riß ein Holz an und ließ das schwache Licht über das totenblasse Gesicht fallen. Auf der Hemdbrust schimmerte es naß und dunkel. Der Sterbende hatte die Augen geöffnet und suchte nach Longs Gesicht, doch das Licht blendete ihn.

»Hilfe«, stöhnte er, »ich will nicht ohne meine Stiefel sterben!«

Die Flamme erstickte. Long schüttelte die Hand, um den Schmerz in den Fingerkuppen loszuwerden. Suchend sah er auf, sprang plötzlich hoch und lief zum Stall, riß das Stalltor auf und rannte hinein, tastete umher, fand die Stallaterne, machte Licht und kam mit der leuchtenden Lampe zurück. Er stellte sie an der Hauswand ab und beugte sich wieder über den Jungen.

»Wer hat das getan?« fragte er mit dumpfer Stimme. »Hast du ihn erkannt?«

»Nein«, stöhnte der Junge, »aber er hat meine neuen Stiefel mitgenommen – ganz helle Stiefel mit zwei Sonnen darauf…«

»Gut, mein Junge. Bleib still liegen. Ich werde sehen, ob ich hier einen Doc auftreiben kann.«

Zitternd griff der Junge nach seiner Hand. Mit trüben Augen sah er Long an.

»Nicht den Doc – hol meine Stiefel, bitte…«

Long atmete gepreßt und nickte kurzentschlossen.

»Wie heißt du, mein Junge?«

»Tom Horn…« Die Augen weiteten sich auf einmal, und er sah Long seltsam an. »Du bist es Chuck Martin? O Chuck, kein Doc kann mir noch helfen. Ich brauch meine Stiefeln, Chuck, hörst du?«

»Ja, Tom«, sagte Long mit kratzender Stimme, »ich hole sie dir. Du bekommst sie zurück. Bleib still liegen, Tom. Die Lampe werde ich drüben hinstellen, damit dich die Leute nicht sehen können. Du kannst dich auf mich verlassen, Tom. Ich komme wieder.«

»Chuck, sag unseren Freunden, daß ich…« Tom Horns Stimme brach jäh ab. Er atmete röchelnd und versteifte sich. Zuckend glitten die Hände über den Erdboden.

Long erkannte, daß der Junge nicht mehr lange leben würde. Der Mörder hatte ihn wohl schon totgeglaubt. Das Licht mußte weg, um den Mörder nicht noch heranzulocken. Tom hielt ihn für Chuck Martin, für einen Freund, und John Long ließ ihn in diesem Glauben.

John brachte die Stallaterne auf die andere Seite der Hofeinfahrt und ging dann auf die Straße zurück. Es war nahezu aussichtslos, den Mörder in kürzester Zeit in diesem großen wilden Camp zu finden. Doch vielleicht meinte das Schicksal es noch gut mit Tom Horn.

Im Last Chance Saloon war es brechend voll. John Long mußte sich mühsam einen Weg zur Theke bahnen. Keuchend lehnte er sich an und fuhr mit der Hand übers schweißglänzende Gesicht. Jemand wollte an ihm vorbei und stieß ihn an. Träge wandte er sich halb um und blickte in das stark geschminkte Gesicht einer rothaarigen Barfrau.

»Geh schon zur Seite, Großer«, sagte sie mit rauchiger Stimme und lächelte schwach und ermüdet. »Du machst mir meinen Job auch nicht leichter, wenn du dich wie ein Klotz dahinstellst…«

Er nickte und wich zurück.

Sie schob sich an ihm vorbei, blieb plötzlich stehen und drehte sich langsam zu ihm um. Mit großen blauen Augen sah sie ihn prüfend an. Wallender Tabakrauch zog an ihrem Gesicht vorbei.

»Bist du es, John Long?« fragte sie auf einmal und hatte alle anderen Gäste vergessen. Der Lärm schien sie gar nicht zu berühren. Sie trat dicht zu ihm heran und blickte zu ihm auf. »Wir beide haben doch einen Whisky miteinander getrunken – damals, vor diesem verdammten Krieg. Ja, du bist es, ich erinnere mich. Es war in Shawnee, auf der Station des Indianeragenten.«

»Ja«, nickte John ernst, »ich weiß es jetzt auch. Und jetzt sind Sie hier, Hallie Lorain – und Sie sind noch immer in so einem Stinkschuppen.«

Sie zuckte die Achseln.

»Wenn mich kein ordentlicher Kerl heiratet – was bleibt mir dann noch übrig, John Long? Komm, ich geb einen aus.«

»Jetzt nicht, Hallie, tut mir leid. Kann ich Sie mal sprechen, allein irgendwo?«

Ihr Blick tastete sein pulverzerfressenes Gesicht ab und ruhte dann auf seinem hartverkniffenen Mund.

»Du hast Sorgen, Long, das sehe ich – aber wer hat sie nicht?«

Sie drängten zur Hintertür und standen dann in einem Lagerraum. Eine Lampe brannte trübe und ließ Hallies Haar matt wie die Glut eines Feuers schimmern.

»Schieß schon los, Großer!«

»Hallie, Sie sind wohl schon länger im Camp. Wenn ein Mann ein Paar Stiefel hat, die er verkaufen will, wohin geht er dann?«

»Komische Frage, John«, erwiderte sie. »Willst du deine Treter verkaufen? Das macht hier kein Mensch. Ein paar Häuser weiter ist so ein Speiseladen, da bringen die Kerle irgend etwas hin, um sich endlich mal den Bauch vollschlagen zu können. Für ein paar Stiefel bekommst du vielleicht ein Steak, aber es kommt darauf an, was du für Stiefel hast. Für ganz alte kannst du bestenfalls das Fett aus der Pfanne lecken…« Sie senkte den Blick und betrachtete seine Stiefel. »Für die da könntest du…«

»Hallie«, unterbrach er rauh, »meine Stiefel sind es nicht. Haben Sie etwas Zeit, Hallie? Es ist sehr wichtig.«

»Laß doch das Sie, John Lang… Der Laden vorn ist knüppelvoll. Ich kann es mir eigentlich nicht leisten, wegzubleiben.« Sie atmete tief ein und nickte. »Also gut, was soll ich tun?«

»Draußen liegt ein junger Bursche. Irgendein Dreckskerl hat ihn von den Beinen geschossen, nur um an die neuen Stiefel heranzukommen. Der Junge wird sterben, Hallie. Ich möchte ihn nicht alleinlassen. Jemand muß bei ihm sein, dem ich vertrauen kann.«

Hallie wurde grau unter der Schminke, aber sie blieb gefaßt.

»Du mischst dich in Dinge ein, die dich das Leben kosten können, John Long. In diesem Camp kümmert sich niemand um den anderen… Aber ich tu’s. Zeig mir, wo der Junge liegt.«

Sie holte ihren Mantel aus einem Nebenraum und folgte John auf den Hinterhof. Als sie Tom Horn erreichten, lag er bewußtlos an der Hauswand. Der Mond war gewandert und schickte sein bleiches Licht über den Dachgiebel hinweg. Tom Horns Gesicht lag im Mondlicht.

»Mein Gott«, flüsterte Hallie Lorain, »so jung noch…« Sie ging in die Knie und strich sanft über die Stirn des Jungen hinweg. »Die Leute hier sind wie Tiere, schlimmer noch. Sie erschießen sich gegenseitig, nur um die Stiefel des anderen zu bekommen, oder um dem anderen die paar Patronen abzunehmen. Der Junge hier hat noch nicht einmal eine Waffe gehabt, John.«

»Ja, Hallie.«

Sie sah, wie John Long zur Straße ging, und sie hielt ihn nicht zurück. Sein langer Schatten wischte ums Haus herum – dann war er verschwunden, und sie wußte, wohin er nun ging.

In ihrem ganzen Leben hatte sie nie viel Freude und Glück gehabt. Sie hatte unendlich viel Leid gesehen und immer abseits stehen müssen, wenn zwei Menschen im Glück zueinander gefunden hatten. Die Saloons des Westens waren ihr zur Heimat geworden. Sie hatte sich aber nur wenige Gesichter eingeprägt, nur die Gesichter jener Männer, die aus der Masse herausragten. Dazu zählte John Long.

Das Sterben des Jungen erschütterte sie. Sie konnte ihm nicht helfen und ihm nichts leichtermachen.

»Armer Junge«, sprach sie vor sich hin, »warum bist du nur in dieses Camp gekommen? Ich hab dich doch schon ein paarmal gesehen, Kleiner. Du hast keine Freunde, nicht wahr? Wenn du John Long eher getroffen hättest, dann hätte dich niemand erschossen…«

Tom Horn lag still. Das Zittern seiner Hände und die schwachen Atemzüge verrieten, daß noch Leben in ihm war.

»Ihr wart alle im Krieg«, flüsterte Hallie, »auch du, Kleiner. Jetzt ist der Krieg aus, aber ihr findet keinen Job und lungert herum. Das ist der Dank dafür, daß ihr die Knochen hingehalten habt. Die großen Maulhelden, die diesen Krieg angezettelt haben, sitzen schon wieder auf dem Trockenen und machen ihre Geschäfte. Aber ihr Kleinen seid schlecht dran und kommt aus dem Dreck nicht heraus. Folgt doch einfach keinem Menschen mehr, der euch in einen Krieg hineinreißen will. Ihr wart alle verrückt gewesen, ihr habt sogar an den Sieg des Südens geglaubt und seid freiwillig losgezogen, bis die ersten Krüppel zurückgekommen waren, da seid ihr gewaltsam in das Feuer der Kanonen hineingetrieben worden. Aber was rede ich, Kleiner, du hörst es ja doch nicht, und du sollst es auch nicht hören…«

Sie zog den Mantel von den Schultern und breitete ihn über dem Jungen aus. Fröstelnd harrte sie in der Kühle der Nacht aus und horchte immer wieder. Jedesmal, wenn Schüsse fielen, zuckte sie zusammen…

Plötzlich standen zwei Männer in der Hofeinfahrt. Beide waren unterwegs zum Saloon gewesen. Jetzt standen sie zwischen den beiden Häusern und sahen zu Hallie Lorain hinüber.

»Ist er tot?« fragte der eine Mann mit dunkler Stimme und kam langsam näher.

Hallie hörte die harten Schritte und das Sporengerassel. Sie wich nicht zurück, grub die Hand unters Kleid und umfaßte die Waffe.

»Nein«, sagte sie, »aber das ist nicht eure Sache. Bleibt mir nur weit genug weg. Ich kenne euch nicht. Wer seid ihr? Heraus mit der Sprache!«

*

John Long verharrte vor dem Etablissement, das aus einer etwas größeren Bretterbude bestand. Die beiden Fenster waren mit alten Gardinen verhangen, Licht fiel durch, und John konnte die Schrift auf den Fensterscheiben lesen.

MARY’S INN, las er und verzog den Mund. Mit flachen, tastenden Schritten bewegte er sich auf die Tür zu, öffnete sie und trat ein.

Etliche Tische standen im Raum. Es gab einen Tresen, aber keinen Whisky. Der Geruch von Bratfleisch ließ Johns Magen laut knurren. Hinterm Tresen hantierte ein Mann mit einer einst weißen Schürze. Mehrere Tische waren besetzt. Im Hintergrund entdeckte John einen gut gekleideten Mann, der sicherlich nicht älter als er selber war. Gute, saubere Kleidung fiel in diesem Höllencamp sofort auf. Der Mann schien nie harte Arbeit verrichtet zu haben. Er las in einer älteren abgegriffenen Zeitung, die wohl durch die Druckpresse der Yankees gegangen war…

Der Mann hinterm Tresen musterte John Long abschätzend.

»Ein Steak?«

»Nein, zwei Stiefel.« John kam näher und ließ den Blick über die Tische hinwegschweifen. »Ich suche ein paar neue Stiefel.«

Er hatte den Tresen erreicht und lehnte sich an.

»Neue haben wir nicht. Unter den alten können Sie sich ja ein Paar aussuchen, wenn Sie sie auch bezahlen können?«

»Schon möglich«, nickte John. »Wo geht’s entlang?«

»Dort durch die Hintertür.«

John ging am Tresen entlang, öffnete die Tür und betrat den Hinterraum. Hier lag alles durcheinander, angefangen vom Stiefel bis zum Sattel. Diese Speisebude war nichts anderes als das große Lager eines Schiebers, der mit dem Leid der hungernden Männer noch Geschäfte machte.

Aber John wollte sich keine Stiefel aussuchen. Er hatte die Tür bis zu einem schmalen Spalt zugezogen und starrte nun durch den Spalt hinaus in den Speiseraum.

An den Tischen erhob sich ein Mann. Er trug lederne Kleidung und sah wie ein Armee-Scout aus. Schwar­zer Bartwuchs verdeckte fast das ganze Gesicht, nur die Augen, Stirn, Nase und Mund waren frei. Bedächtig schob er den Blechteller auf dem Tisch zurück, kam dann an den Tresen und fragte: »Stimmt alles so?«

»Ja«, sagte der Mann hinterm Tresen.

»Gut«, nickte der Bärtige. Die Augen funkelten kalt, als er zur Hintertür blickte. Er konnte John Long nicht sehen, wohl aber Long ihn. »Das nächste Mal bist du ein bißchen freundlicher, verstanden? Grüß deine Mary…« Zynisch lächelnd wandte er sich ab und ging zur Tür. Er trug helle, fast neue Stiefel, die an den Schäften zwei flammende Sonnen zeigten…

Long trat hervor und umging den Tresen. Der Bärtige hatte die Tür erreicht, als Long mit frostiger Stimme sagte: »Die hellen Stiefel will ich, keine anderen.«

Der Bärtige zog die breiten Schultern an und drehte sich um, starrte Long mit schmalen Augen an und verzog das Gesicht.

»Kleiner Witz, wie?« grollte er.

»Yeah« murmelte Long, »ein Witz, bei dem einer von uns beiden ins Gras beißt.«

»Keine Schießerei, verdammt!« war der Mann hinterm Tresen zu hören. »Hier wird nicht geschossen!«

»Halt’s Maul!« fuhr der Bärtige ihn an. »Mich schafft keiner. Du brauchst um deine Teller keine Angst zu haben. Der Kerl fängt die Kugel auf. Ich verspreche dir sogar, ihn auf die Straße zu werfen.« Er lachte dröhnend auf und ging einen Schritt weg von der Tür. »Wer bist du, Fremder? Du weißt nicht, wer ich bin, und ich will’s dir sagen.«

»Ich will es nicht wissen«, erwiderte John Long kalt. »Ich weiß nur, daß ein paar Häuser weiter ein junger Boy stirbt, der keine Stiefel an den Füßen hat, weil ein anderer sie trägt. Es sind Stiefel mit zwei Sonnen. Davon gibt es nur ein Paar im ganzen Camp. Ich hab dem Jungen versprochen, ihm die Stiefel zurückzubringen.«

Blanker Haß flammte in den Augen des Bärtigen. In ihm war die Hölle, abgrundtiefe Gemeinheit offenbarte der Gesichtsausdruck, und langsam senkten sich die Hände, blieben dicht über den Waffen hängen.

»Seien Sie vernünftig, Mister«, tönte aus dem Hintergrund die warnende Stimme des Mannes, der wohl als einziger im Brazos-Camp gut gekleidet war. »Pacco hat noch jedes Duell lebend überstanden. Es täte mir leid um Sie, Mister!«

John Long ließ sich durch die Stimme nicht ablenken. Jede Unachtsamkeit könnte ihm den Tod bringen.

»Pacco also«, murmelte er. »Heute abend haben Sie den letzten umgebracht, Pacco, einen netten armen Kerl, der nur das Pech hatte, neue Stiefel anzuhaben…« Longs Stimme gefror und klirrte wie brechendes Eis. »Greifen Sie zu den Eisen, Pacco, sonst beginne ich damit. Ich lege Sie um wie ein Stück Dreck, Pacco!«