»Wenn ich was mach, mach ich´s gscheid« - Laura Dahlmeier - E-Book

»Wenn ich was mach, mach ich´s gscheid« E-Book

Laura Dahlmeier

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Beschreibung

Laura Dahlmeier – das ist die erfolgreiche Biathletin und Olympiasiegerin, die sich mit nur 25 Jahren aus dem Leistungssport zurückzog. Eine strahlende Siegerin im Licht der Sportberichterstattung. Doch Biathlon war immer nur ein Teil ihres Lebens. Lauras große Leidenschaft gehört den Bergen. Aufgewachsen in Garmisch-Partenkirchen wurde sie von ihren Eltern früh an diese herangeführt. Beim Klettern und auf Skiern blieb sie dem Bergsport auch während ihrer Karriere im Biathlon treu und ging dafür ihren ganz eigenen Weg. In ihrem Buch berichtet sie von anspruchsvollen Touren in den Alpen und großen Abenteuern in fernen Bergen. Spricht offen über die Gefahren, die der Alpinismus mit sich bringt, erzählt davon, wie ihr die Natur Kraft gibt, und erläutert die Gründe für ihren Rückzug vom Profisport. Laura liebt die Freiheit, die sich im Gebirge besonders gut ausleben lässt – und motiviert auch uns, unsere Träume zu verwirklichen. Mit einem Vorwort von Thomas Huber

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Seitenzahl: 249

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LAURA DAHLMEIER

mit Franziska Kučera

»WENN ICH WAS MACH, MACH ICH’S GSCHEID«

LAURA DAHLMEIER

mit Franziska Kučera

»WENN ICH WAS MACH, MACH ICH’S GSCHEID«

Über Herausforderungen, die Freiheit in den Bergen und warum es wichtig ist, sein Ding durchzuziehen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine genderspezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

Originalausgabe

4. Auflage 2023

© 2023 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Frank Martin Siefarth, DiE WORTSTATT

Umschlaggestaltung: Isabella Dorsch

Umschlagabbildung: © Daniel Hug / @terragraphy

Satz: abavo GmbH, Buchloe

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-7423-2176-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-1941-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-1942-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Vorwort von Thomas Huber

Kapitel 1 – Entscheidung für die Freiheit

Kapitel 2 – Ich bin ein Kind der Berge

Kapitel 3 – Meine Ziele, meine Motivation, mein Weg

Kapitel 4 – Darum steige ich auf Berge – Abenteuer-Traumtouren

Kapitel 5 – Ich suche die Herausforderung, nicht das Risiko

Kapitel 6 – Heimat ist alles, was mir wichtig ist

Kapitel 7 – Und dann zieht’s mich wieder in die Ferne

Kapitel 8 – Ich möchte die Natur bewahren, die mir so viel schenkt

Kapitel 9 – Hier bin ich

Vorwort von Thomas Huber

Langsam schiebt sich die Sonne über den Grat, und das frühmorgendliche Licht überflutet glutrot den Granitpfeiler. Wir Brüder sitzen mitten drin auf einem Felsband und genießen die wärmenden Strahlen. Laura steht neben uns und sortiert konzentriert das Klettermaterial an ihrem Gurt. Immer wieder schweift ihr Blick hinauf entlang eines leicht überhängenden Risses, der den Granitpanzer über uns teilt. Sie übernimmt jetzt das Klettern am »scharfen« Ende des Seils – unerschrocken, bestimmt und gleichzeitig bedacht. »HmlaA« steht wie eine Zauberformel auf ihrem Helm geschrieben und spiegelt ihre besondere Mentalität wider. Was die Formel bedeutet, bleibt den Leserinnen und Lesern als detektivische Aufgabe überlassen.

Ihre Augen funkeln. Sie trocknet noch einmal ihre Hände mit Magnesia. Alexander gibt ihr ein motivierendes »Geeht schoo!« mit auf den Weg und ich lege ihr Seil in mein Sicherungsgerät. Ein letzter prüfender Blick, ob alles stimmt, ein verschmitztes Lächeln von der kleinen, zierlichen Laura in dieser großen Wand – dann klettert sie los in die steile Welt, so mutig und frech.

***

Diese scheinbare »Scheiß-da-nix-dann-feid-da-nix«-Mentalität ist verankert in einem tiefen Urvertrauen in Laura, denn sie wuchs als echtes Bergkind heran. Sie verliebte sich in diese steile Welt, wurde beschenkt mit unglaublichen Momenten, entdeckte in dieser Stille eine schier unendliche Weite, eine tiefe Liebe zur Natur. Dabei hat sie immer beobachtet, zugehört, lernte die Sprache der Berge und dass am Ende die Unmöglichkeit nur in einem Selbst existiert. Heute brennt in ihr die Seele eines echten Stone Monkey: wild, unangepasst und auch ein wenig rebellisch, auf jeden Fall selbstbewusst mit voller Hingabe ihren eigenen Weg gehend.

Und Lauras Weg war bisher steil. Sie hat sich immer den großen Herausforderungen gestellt, egal ob in einer Felswand oder auf der gespurten Langlaufloipe. Sie hatte eine Vision, ein Ziel, das sie mit Leidenschaft, Training und Ausdauer verfolgte. Und dieses Ziel war immer das Oben, der Ort, wo es nicht mehr weitergeht, der Gipfel. Im Biathlon hat sie den höchsten Gipfel erreicht. Sie hielt inne, blickte in alle Himmelsrichtungen, erlebte diesen Moment intensiv und sog alles in sich auf. Sie hätte sich dort oben noch eine Zeit lang sonnen können. Aber sie ist vom Herzen ein Kind der Berge, eine Bergsteigerin, eben ein Stone Monkey – zu neugierig auf das Neue. Deshalb stieg sie zum richtigen Zeitpunkt wieder ab, nahm all die Erfahrungen und Erinnerungen mit ins Tal und machte sich zielstrebig auf ihren neuen, eigenen Weg.

***

Und deswegen sind wir jetzt hier, mitten im Brouillard-Pfeiler am Mont Blanc. Laura platziert akribisch eine Sicherung in den Riss in einer Welt voller Gefahren und klettert mutig geschmeidig weiter. Sie kann es, weil sie weiß, was sie tut. Und sie ist gut vorbreitet, denn wenn Laura etwas macht, dann macht sie’s gscheid! Und so sind wir uns sicher, dass wir heute noch zu dritt den Gipfel erreichen werden – und zwar den höchsten der Alpen.

Kapitel 1 Entscheidung für die Freiheit

Der Wind pfeift mir wie verrückt um die Ohren. Ich muss es trotzdem schaffen! Ich ziele. Wieder knallt eine Böe gegen mich und rüttelt am Gewehr. Verflixt! Ich warte, halte meine Waffe dabei weiter im Anschlag. Der Wind gibt nicht nach. Wie lange stehe ich schon am Schießstand? Das kostet zu viel Zeit! Nein, ganz ruhig! Nichts dem Zufall überlassen. Ich kann das. Ich halte und halte. Die Böe lässt endlich nach. Das ist die Chance! Ausatmen, Luft anhalten, Konzentration: Ganz ruhig halten und genau zielen. Jetzt: klick, peng. Nachhalten, nachhalten! Die Scheibe wird weiß. Treffer! Auch der fünfte Schuss! Ich werfe mir das Gewehr auf den Rücken und renne wie beflügelt los.

Die Schlussrunde. Noch mal 2,5 Kilometer. Ich habe super geschossen, aber noch ist nichts gewonnen. Wie es wohl den anderen Läuferinnen ergangen ist? Nicht darüber nachdenken! Du schaffst das. Jetzt noch mal 100 Prozent geben! Und doch nicht zu früh zu viel geben, warnt eine andere Stimme in mir.

Puh, der lange Anstieg ist geschafft, jetzt noch die letzten Serpentinen hoch. Meine Lunge brennt und meine Beine sind unglaublich schwer. Ich kann nicht mehr. Doch, komm schon! Ein bisschen geht schon noch. Das ist der allerletzte Anstieg, es ist nicht mehr weit, nur noch drei Minuten bis zum Ziel: Das geht noch. Das MUSS noch gehen!

»Es sieht gut aus, jetzt kommt es auf jede Sekunde an!« Die Trainer! Sie laufen neben mir her. »Komm mit der Hüfte über den Ski! Mach einen sauberen Abdruck! Komm von oben auf den Stock!« Die vertrauten Stimmen geben mir eine ungeheure Kraft. Ich konzentriere mich nur noch auf das, was sie mir sagen, blende die Schmerzen aus. »Nimm noch mal den Schwung mit! Arbeite rüber, in die Abfahrt rein! Tief ein- und ausatmen!« Weiterkämpfen, Schritt für Schritt.

Endlich, ich bin oben. Jetzt nur noch sauber runterfahren. Gut umtreten, bloß nicht wegrutschen. Das Stadion kommt immer näher. Es tut nicht mehr lange weh. Es ist nicht mehr weit. Jetzt noch mal Vollgas – bloß am Ende nichts verschenken! Die Ziellinie, ich sehe sie. Gib alles! Uuund, drüber ...

***

Es war geschafft: Ich hatte das Sprintrennen der Olympischen Winterspiele 2018 in Südkorea mit einer ordentlichen Schussleistung absolviert. Wie groß mein Erfolg aber wirklich ausfallen würde, erfuhr ich erst später. Ich hatte Startnummer 23, es folgten also noch einige sehr gute Biathletinnen. Ich hatte alles gegeben, alles aus mir rausgeholt und gekämpft bis zum Schluss. Aber ob das reichen würde? Ich hatte zwar fehlerfrei geschossen, aber beim letzten Stehendschießen auch sehr lange gebraucht, und meine läuferische Leistung war für mich schwer einzuschätzen. Es war also durchaus noch möglich, dass eine andere Läuferin ebenfalls fehlerfrei schießen, schneller laufen und mich bei der Platzierung einholen würde.

Das alles schoss mir durch den Kopf, während ich nach der Zieleinfahrt in der überhitzten Kabine saß und auf das Ende des Rennens wartete. Um mich herum wuselten andere Athletinnen, gingen ein und aus. Unser Pressesprecher kam regelmäßig wegen Interviewanfragen zu mir und ich löcherte ihn jedes Mal: »Stefan, wie schaut’s aus, kommt da noch jemand?« – »Nein, schaut gut aus!« Dann aber der innerliche Appell: Nicht zu früh freuen!

Beim nächsten Mal wieder: »Kommt immer noch niemand nach?« – »Nein, schaut wirklich gut aus.« – »Was heißt das?« – »Eine Medaille sollte es sicher sein.«

Schließlich kam er erneut herein und sagte tatsächlich: »Jetzt kommt keine mehr!« Ich konnte es kaum glauben: »Wirklich nicht!?« – »Nein, es sind alle durch.« Erst jetzt sickerte es langsam in mich hinein: Ich hatte die Goldmedaille gewonnen! Jubelnd fielen wir uns um den Hals. Mein Kindheitstraum war wahr geworden! Ich war so stolz und glücklich, es war einfach ein einzigartiges Gefühl, dieses langjährige Ziel, auf das ich so lange hingearbeitet hatte, zu erreichen. Ich hatte es wirklich geschafft ...

***

Ich bekomme noch heute Gänsehaut, wenn ich an das 7,5-Kilometer-Sprint-Rennen in Pyeongchang denke. Der Druck damals war enorm. Alle waren der Meinung, dass ich bei Olympia sicher einiges gewinnen und die Wettkämpfe mit links machen würde. Aber so einfach war es nicht. Die Saison bis dahin war holprig verlaufen und ich haderte mit der finalen Abstimmung meines Skimaterials. Das Olympia-Biathlonstadion in Pyeongchang war nicht besonders gut konzipiert (es handelte sich um einen umgebauten Golfplatz), die Strecken waren weniger harmonisch zu laufen als die Übrigen im Weltcup.

Das Rennen fand untypisch spät am Abend statt und es war extrem kalt und windig. Ich trug dickere Skiunterwäsche und extrawarme Handschuhe, die ich zuvor noch nie angehabt hatte und die ein sensibles Handling erschwerten. Im Stadion waren nur wenige Zuschauer, darunter kaum Deutsche oder biathlonerprobte Fans. Die begeisterten Anfeuerungsrufe an den Schießständen fehlten. Die ganze Atmosphäre war sehr kühl und hart. Es lag eine unangenehme Spannung in der Luft, die wiederum meine starke innere Anspannung spiegelte. Außerdem eröffnete der Biathlonsprint die Wettbewerbe bei diesen Winterspielen und damit schaute die ganze Sportwelt auf diesen ersten Wettkampf.

Das einzig Aufmunternde war, dass meine Eltern extra angereist waren. Und Linda, eine sehr gute Freundin von mir, und ihr damaliger Freund Matthias, die als Lehrer ihre Schulferien dafür geopfert und keine Mühen und Kosten gescheut hatten, um mir live vor Ort in Südkorea zuschauen zu können. Bis kurz vor Beginn des Rennens war nicht klar gewesen, ob sie rechtzeitig ankommen würden, da sich die Anreise nach Pyeongchang etwas kompliziert gestaltete. Doch sie schafften es. Und ich eine halbe Stunde später auch: Ich lieferte ein sehr gutes Rennen ab und gewann Gold – das war einfach ein unglaubliches Gefühl! Auch weil ich bis dahin noch kein bedeutendes Sprintrennen gewonnen hatte. Vor allem aber, weil ich diesem Moment so lange entgegengefiebert hatte.

***

Ich erzähle gerne die Anekdote, wie ich als Kind jubelnd auf meinem Stockbett stehend die Medaillenvergabe bei Olympia nachahmte. Was damals ein Spiel war, hatte sich über die Jahre zu meinem großen Ziel verfestigt, und nun hatte ich es erreicht! Für mich war dieser Sprint daher das Rennen in Perfektion, der absolute Höhepunkt meiner Karriere!

Noch dazu hatte ich mir durch das gute Ergebnis beim Sprint die beste Startposition für mein Lieblingsrennen geschaffen, das Verfolgerrennen. Dass ich dann bei diesem zwei Tage später wieder die Goldmedaille abräumte und meinen Erfolg damit untermauerte, war das absolute i-Tüpferl für mich. Es war ein geniales Rennen: Ich hatte so viel Vorsprung, dass ich nach dem vierten Schießen eigentlich nichts mehr zu befürchten hatte und die letzten Meter wahrlich genießen konnte – davon träumt man als Athletin!

***

Ich spüre immer noch, wie emotional angespannt ich in diesen Tagen war. Und nicht nur mein persönlicher Erfolg brannte sich mir ein. Alles, was rund um und bei den Winterspielen in Pyeongchang passierte, treibt mich bis heute um.

Kaum jemand wusste damals, dass kurz vor den Olympischen Spielen mein sehr enger Freund Xari beim Eisklettern verunglückt war und ich wenige Tage vor Abflug nach Südkorea noch auf seiner Beerdigung war. Ich hatte außer den Trainern und den Teamkollegen niemandem davon erzählt. Ich war sehr durcheinander und schwappte innerlich immer zwischen zwei Extremen hin und her: Auf der einen Seite war ich unglaublich erschüttert, traurig und stand völlig neben mir. Auf der anderen Seite dachte ein Teil von mir: Jetzt erst recht! Jetzt mache ich das alles auch ein Stück weit für ihn. Und wenn ich jetzt schon da bin, dann gebe ich alles und zeige, was ich kann!

Natürlich holten mich die bitteren Gedanken während der Spiele trotzdem ein. Ich versuchte dann immer aufs Neue, den Kopf nicht in den Sand zu stecken und aus der Situation eher Kraft zu schöpfen. Wenn es aber in den Wettkämpfen nicht optimal lief, tat ich mich schwer, das hinzunehmen. Zum Beispiel konnte ich nicht verstehen, wie es möglich war, dass wir als Team – ähnlich wie schon in Sotschi 2014 – nicht gut funktionierten und nur den 8. Platz in der Damenstaffel belegten.

In diesen Tagen begann ich – trotz meines großen persönlichen Erfolgs –, mir immer wieder Fragen zu stellen: »Was ist das Leben wert? Ist es richtig, in meinem Leben das Hauptaugenmerk auf die Biathlonkarriere zu legen? Möchte ich noch etwas anderes machen?« Beantworten konnte ich mir die Fragen zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ich wusste nur, ich hatte mein großes Ziel verwirklicht, und mehr als einen Olympiasieg konnte ich im Biathlon eigentlich nicht mehr erreichen.

***

Einen Monat nach den Winterspielen fanden die letzten Rennen der Saison 2017/2018 in Tjumen statt. Ich war immer gerne in Russland, aber es war auch immer hart. Und in diesem Jahr fiel es mir besonders schwer, Ende März bei minus 20 Grad an der Sibirischen Grenze zu sitzen, während von zu Hause schon die ersten Frühlingsfotos eintrudelten. Ich war wenig daheim gewesen und nach wie vor beschäftigte mich der Tod meines Freundes. Das nagte an mir.

Dann war das letzte Rennen vorbei. Ich hatte mich nur mittelmäßig konzentriert, dadurch eine bessere Platzierung vergeben und war unzufrieden mit meiner Leistung. Während der langen Fahrt mit dem Bus zurück in unsere Unterkunft brach alles in mir zusammen. Ich hatte die Saison durchgestanden, aber jetzt hatte ich einfach keine Lust mehr. Soll das mein Leben sein, in Sibirien im Kreis zu laufen? Es konnte doch so schnell vorbei sein.

Abends saß ich dann bei der Saison-Abschlussparty mit dem Südtiroler Biathleten Lukas Hofer zusammen. »Mensch Laura, schau mal, hast du schon mitbekommen, wie die die Strecke planen?« Lukas hielt mir sein Handy unter die Nase und zeigte mir ein Streckenprofil für die Olympischen Winterspiele in China 2022. Er war total aufgeregt und ich spürte ganz stark, wie motiviert er war und bereits jetzt für eine Sache brannte, die erst in vier Jahren stattfinden würde – und das, obwohl seine Rennen in Pyeongchang nicht optimal gelaufen waren. Und ich, die gerade den Erfolg ihres Lebens gehabt hatte? Ich nuschelte nur abwechselnd »Aha«, »Ja«, »Mhm« und stellte mit einer mich erschreckenden Klarheit fest, wie fern mir das alles war. Ich hatte diese Leidenschaft so nicht mehr, wollte mich mit nichts davon beschäftigen. Ich war einfach nur heilfroh, dass die Saison vorbei war. Diese Begegnung war für mich so eindrücklich, dass ich kurz darauf zu einer ersten Entscheidung kam: Die Olympischen Spiele sollten mich nicht wiedersehen.

***

Dann ging ich erst mal auf Reisen. Mit ein paar Freunden ging es für 14 Tage nach Georgien zum Skitourengehen, was ich sehr genoss: Ein ganz anderes, sehr abwechslungsreiches Land, das unglaublich viele Abenteuer bietet und dennoch unkompliziert zu bereisen ist. Wir brauchten wenig Geld und fühlten uns total frei.

Anschließend fuhren wir unter anderem nach Chamonix, wo wir Allgäuer Bergführer kennenlernten. Mit ihnen unternahmen wir mehrere Tage hintereinander lange und wirklich anspruchsvolle, aber großartige Touren: Wir stapften mit den Skiern auf dem Rücken durch den Col du Diable hinauf und fuhren über den Mont Blanc du Tacul (4248 Meter) wieder ab. Dann stiegen wir auf die Aiguille Verte mit 4122 Metern und fuhren durch das Whymper Couloir ab. Zum Schluss gingen wir noch alle drei Gipfel des Grand Combin vom Tal aus an, dabei stieg ich zum ersten Mal über 3000 Höhenmeter am Stück auf.

Das waren fantastische Tage, in denen alles perfekt war: Das Wetter, die Verhältnisse, die Truppe – wir waren frei in unserem Tun und Lassen und entschieden täglich aufs Neue, wo es am nächsten Tag hingehen sollte – auf diese Freiheit hatte ich mich nach der langen Biathlonsaison und den monatelang durchgetakteten Wochen immer wahnsinnig gefreut. Aber in diesem Jahr spürte ich alles noch intensiver und mir wurde bewusst, dass ich mich nicht nur konditionell, sondern auch bergsteigerisch gesteigert hatte. Meine Möglichkeiten wurden mehr und damit die innere Stimme lauter, die fragte: »Möchte ich immer nur in den vier Pausenwochen nach Saisonabschluss, also im April, oder maximal noch an Ruhetagen zum Bergsteigen gehen oder deutlich öfter?«

Nach der Reise versuchte ich, das neu gewonnene Freiheitsgefühl, das sich in mir breitmachte, einzuordnen. Ich hinterfragte erneut, ob ich mich im Biathlon noch wohlfühlte und wie sehr ich für den Leistungssport noch brannte. Kurz überlegte ich, mir ein ganzes Jahr Auszeit zu gönnen. Aber mir wurde schnell klar, dass ich danach vermutlich nicht mehr zum Biathlon und in die damit verbundenen Strukturen zurückfinden würde.

Gleichzeitig nahmen nach den Olympischen Spielen die öffentliche Aufmerksamkeit und der Rummel um meine Person exponentiell zu. Ich wurde auf einmal überall erkannt und angesprochen. Damit musste ich erst einmal lernen umzugehen. Ich fand kaum mehr Ruhe und war auch zu Hause viel zu abgelenkt. Ich wollte aber unbedingt in meinem Entscheidungsprozess weiterkommen: Brannte in mir noch so viel Feuer für den Biathlon, dass ich weitermachen wollte? Oder war der Schrei nach etwas anderem und mehr Freiheit größer?

***

Daher entschloss ich mich im Frühsommer 2018 für eine vierwöchige Auszeit, um Abstand zu bekommen und mir für meine Entscheidung bewusst Zeit zu nehmen. Dafür wollte ich auf eine möglichst abgelegene (Alm-)Hütte in den Bergen. Der Gedanke an einen Almaufenthalt war dabei nicht neu. Bereits auf dem Rückflug von den Olympischen Spielen nach Frankfurt hatte ich nach »Almsommer« und »Arbeiten auf einer Alm« gegoogelt. Das fand ich einfach spannend und nach dem ganzen Trubel sehr verlockend.

Ich genoss diese Zeit dann auch sehr. Ich bekam die Möglichkeit, alleine auf einer privaten Jagdhütte in den östlichen Bayerischen Voralpen zu wohnen, auf der ich meine Ruhe hatte und eins sein konnte mit der Natur. Die Hütte liegt auf zirka 1500 Metern mit einer schönen Aussicht auf die umliegenden Berge. Sie ist umgeben von vielen Wiesen, Latschen und nur ein paar wenigen Felsen mit vielen kleinen Steiglein. Abends war es immer total still. Nur ab und zu fegten heftige Gewitter über das Almgebiet hinweg.

Ich hatte keine konkrete Aufgabe. In der Nähe befindet sich aber eine bestoßene Alm, deren Almleute ich immer wieder bei den Vorbereitungen für den Sommer unterstützen konnte: Wir reparierten die Zäune, bauten eine Terrasse, ich half beim Holzmachen. Außerdem bin ich viel Mountainbike gefahren und habe zu Fuß alte Steige erkundet. Mein Handy hatte ich überwiegend ausgeschaltet und ließ es oft den ganzen Tag über in irgendeiner Ecke liegen. Es war ein sehr befreiendes Gefühl, nicht permanent abhängig davon zu sein und gerade den sozialen Medien für eine gewisse Zeit den Rücken zu kehren. Instagram und Co. bieten viele Chancen, sind Teil meiner Arbeit, aber die immerwährende Möglichkeit beziehungsweise die Erwartungshaltung von außen, aktiv zu werden, setzen mich auch massiv unter Druck.

Irgendwann begann ich, regelmäßig Radio zu hören. Zu Hause mache ich das so gut wie gar nicht, aber in dieser Zeit stellte das Radio – neben den wenigen Menschen, denen ich begegnete – mein Fenster zur Außenwelt dar. Ich brauchte keine Uhr, ich stand auf, wenn es hell wurde, und ging ins Bett, wenn es dunkel wurde – für eine gewisse Zeit zurück zu den Wurzeln: Das war sensationell!

***

In der Zwischenzeit veränderte sich das Biathlon-trainerteam und ich wurde total neugierig, was sich dadurch beim Trainingsablauf optimieren würde. Ich fühlte mich wieder motiviert, noch einmal »Ja« zu sagen. Auch weil mir während der Auszeit vor allem eine Sache klar geworden war: Ich treibe einfach gerne intensiven Sport. Ich muss mich dafür nicht plagen, ich brauche nicht mal einen Trainingsplan. Ich trainierte in den vier Wochen Auszeit wahrscheinlich mehr als die anderen daheim – einfach nur, weil ich Lust darauf hatte und es mir Freude bereitete. Deshalb wollte ich die nächste Biathlonsaison trotz aller inneren Zweifel und Fragen noch einmal angehen und von Jahr zu Jahr weiterschauen. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich es falsch gefunden, es nicht wenigstens noch einmal zu probieren.

***

Dann hatte ich im späteren Sommer 2018 einen Fahrradunfall. Ich rutschte bei Regen auf einer nassen Holzbrücke aus und zog mir eine scheußliche Wunde am Oberschenkel zu. Sie war relativ tief, es war viel Schmutz eingedrungen und man konnte sie nicht richtig säubern. Die Folge war, dass sich die Wunde entzündete, schwarz wurde und ich operiert werden musste. Doch es war schon zu spät. Es hatte sich eine bakterielle Superinfektion entwickelt, die sich mit unterschiedlichen Symptomen äußerte. Dennoch schaffte ich es nicht, die nötige Zeit komplett auszusitzen und Ruhe zu geben. Es folgte ein Auf und Ab, bis ich richtig heftige Hautausschläge bekam. Ich konnte keine Schuhe mehr anziehen und meine Hände waren total wund. Da bin ich auf Anraten meiner Ärzte zu einem Spezialisten nach München gefahren, der mich sofort in eine dermatologische Klinik überwies.

Erst in diesem Krankenhaus realisierte ich, wie schlimm es wirklich war. Ich konnte nicht schlafen, mich juckte es überall. Ich konnte nicht mehr gehen und nichts mehr anfassen. Noch im September – der Monat, in dem Biathletinnen und Biathleten allmählich so richtig fit werden – schaffte ich es im Englischen Garten nicht von einer Parkbank zur nächsten. Das war so schrecklich! Ich wusste nicht, ob ich jemals wieder ganz gesund werden würde. Ich hatte keinerlei Vertrauen mehr in mich, in meinen Körper, in meine Leistung. Einerseits wollte ich so gerne wieder fit sein und Rennen laufen können. Andererseits fragte ich mich aber auch: »Warum bin ich jetzt so krank? Was soll ich daraus lernen? Vielleicht ist das ein Zeichen, dass es genug ist? Und wenn ich das jetzt ignoriere, komme ich dann vielleicht wieder in so eine Situation?«

Der Krankenhausaufenthalt in München war wie ein Spiegel, der mir sagte: »Wenn du jetzt so weitermachst wie zuvor, mit der ganzen Maschinerie und dem Drumherum, dann wirst du irgendwann auf dem Zahnfleisch gehen.« Mein Ziel war aber schon immer, mit dem Biathlon dann aufzuhören, wenn es mir gut gehen und ich mich in einer stabilen physischen Verfassung befinden würde. Ich bin in den Bergen aufgewachsen, Bergsteigen, Klettern und Skibergsteigen bzw. Skifahren gehörten schon immer zu meinem Leben dazu. Die Vorstellung, dass ich nicht mehr in der Lage sein könnte, intensiveren Bergsport zu betreiben, war für mich unerträglich.

Ich war hin- und hergerissen: Zum einen hätte es sich nicht richtig angefühlt, in diesem desolaten Zustand von einem Tag auf den anderen mit dem Biathlon aufzuhören. Aber ich hatte auch Angst davor, mich nach einer erfolgreichen Rückkehr vielleicht nicht an diese Schwächephase zu erinnern und immer weiterzumachen.

Ich traf schließlich noch im Münchner Krankenhaus erneut eine Entscheidung: Wenn ich wieder richtig gesund und fit werden und es noch einmal schaffen würde, im darauffolgenden Winter bei der Weltmeisterschaft in Östersund teilzunehmen und eine Einzelmedaille zu gewinnen, dann würde ich das als Zeichen nehmen und im Anschluss meine Biathlonkarriere beenden ...

***

Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn es nicht geklappt hätte. Aber ich arbeitete mit aller Kraft darauf hin und es sollte so kommen. Zwar zog sich meine Genesung hin, aber ich kam immer mehr hinter die Ursachen – eine Verkettung vieler ungünstiger Umstände –, die zu meiner Krankheit geführt hatten. Und allmählich ging es mir besser und ich wurde wieder fit. Zwar konnte ich bis Weihnachten lediglich zwei Rennen laufen. Aber beim ersten wurde ich mit ein bisschen Glück auf Anhieb Zweite und konnte mich für die Weltmeisterschaften qualifizieren. Ich war bei allen Rennen mit vollem Eifer dabei, aber innerlich verabschiedete ich mich schon still und heimlich und dachte bei jedem Wettkampf: »Jetzt bin ich wahrscheinlich zum letzten Mal hier an diesem Ort.«

Doch wirklich sicher war es erst später: Mit meiner Entscheidung im Bauch bat ich meinen Papa, zur Weltmeisterschaft nach Östersund zu kommen. Ich freute mich, dass er dabei war, und wir genossen das sehr. Nachdem ich die zweite Medaille gewonnen hatte, gingen wir anschließend einen Kaffee trinken und ich verkündete ihm freiheraus: »Du, ich hör auf.« Er war natürlich sichtlich überrascht: »Was? Meinst wirklich?« Doch ich war mir sicher. Mein Papa weiß, dass ich keine leichtfertigen Entscheidungen treffe, und meinte daher nur mit viel Wertschätzung in der Stimme: »Gut, du wirst es schon wissen.« Wir saßen noch lange zusammen und es war schön, dass er da war und es endgültig entschieden und aus mir raus war.

Nach dem letzten Rennen in Östersund informierte ich auch das Trainerteam und rief meine Mutter an: »Ich weiß, du reist nicht so gerne für meine Rennen in der Welt herum, aber wenn du mich ein letztes Mal live laufen sehen willst, dann musst du zum Weltcupfinale nach Oslo kommen.« Und zu meiner Freude kam sie dann auch.

Ich stellte auch sie vor vollendete Tatsachen. Ich holte mir keinen Rat. Es war meine Entscheidung, die ich mit mir selbst ausmachte. Und ich wollte keinen großen Abschied. Ich wollte meine Karriere im Stillen beenden, so wie ich auch alleine diese Entscheidung getroffen hatte. Ich wollte diese letzten Rennen der Weltmeisterschaften für mich laufen und mich bewusst verabschieden, ohne dass jeder davon wusste. Das war auch der Grund, warum wir der Presse nichts sagten. Ein großes Tamtam kam für mich nicht infrage. Die offizielle Verkündung folgte deshalb erst zu Beginn der neuen Trainingssaison Mitte Mai 2019.

Eine »Verabschiedungszeremonie« musste dann aber doch sein: Also schulterte ich bei der 18. World Team Challenge in Gelsenkirchen Ende Dezember 2019 zum allerletzten Mal meine Waffe. Ich wachste meine besten Ski und gab noch einmal alles. Alle meine Weggefährten, Trainer, Freunde, Vereine, meine Familie, meine Partner und Sponsoren, ja sogar unser Landrat waren mit einem Reisebus extra nach Gelsenkirchen angereist, um mir einen gebührenden Abschied zu bescheren. Und auch ich freute mich riesig darüber, mich in diesem Rahmen von meiner Biathlonzeit und der Biathlonfamilie verabschieden zu können. Es war ein fantastisches Fest, ich hätte mir keinen besseren Abschied wünschen können.

***

Natürlich gab es viele Menschen, die versuchten, mich umzustimmen: Ich könne den Biathlonsport doch noch lange machen. Ich könne gutes Geld verdienen. Die Trainer gaben sich wirklich Mühe, boten mir individuelle Lösungen in Bezug auf das Training an. Sie wollten mich unbedingt halten. Ich hätte viel Unterstützung erfahren. Und dafür bin ich sehr dankbar – ebenso dafür, dass ich schon vorher weitestgehend meinen eigenen Weg gehen durfte.

Bei meinem letzten Weltcup-Wochenende im März 2019 in Oslo wollte mich der damals neue sportliche Leiter für Biathlon, Bernd Eisenbichler, sprechen. Ich sagte: »Gerne, Bernd, aber du weißt, ich hör auf. Egal, was wir heute besprechen, meine Entscheidung steht!« Er versuchte auch gar nicht, mich noch einmal umzustimmen, sondern hatte ein anderes Anliegen: »Laura, wir wollen, dass du weißt: Für dich stehen die Türen immer offen, egal, was du vorhast!« Das fand ich eine unglaublich nette Geste.

Früher oder später akzeptierten alle meine Entscheidung. Und noch mehr: Sie brachten mir eine große Wertschätzung entgegen, die es mir möglich machte – und immer noch macht –, meine Erfahrungen auch weiter in den Biathlonsport einzubringen, auch wenn ich nicht mehr als Athletin Teil des Teams bin.

Das war (und ist) unglaublich schön zu wissen. Denn nichts konnte meine Entscheidung damals noch umstoßen, dafür hatte ich mir in den vorangegangenen Monaten schon zu viele Gedanken gemacht. Es hätte sich nicht richtig angefühlt weiterzumachen. Als Leistungssportlerin muss ich mich hundertprozentig auf meinen Körper verlassen können, sonst ist es sinnlos. Mein Körper aber hatte mir ein eindeutiges Zeichen gegeben.

Außerdem hatte ich zwei Leidenschaften, die jeweils für sich viel Zeit beanspruchten. Ich musste mich für eine entscheiden, da beide gleichzeitig keinen Patz hatten. Das aber hätte ich mir wohl nicht zugestanden, wäre der Unfall nicht passiert. Und so hatte dieser auch eine gute Seite: Ich bin ein Erfahrungsmensch und muss die Dinge erleben und spüren, um sie zu verstehen. Es war die richtige Entscheidung und ich würde sie heute genau so wieder treffen.

***

Das schönste Gefühl nach der Beendigung meiner Biathlonkarriere war dann, die maximale Freiheit zu spüren – und tatsächlich zu haben: Ich musste mich bei niemandem mehr an- oder abmelden, keine Rechenschaft mehr über mein Tun ablegen, mich an keinen Trainingsplan mehr halten. Und das Beste: Endlich konnte ich mich vom Doping-Kontroll-System abmelden! Ich musste keine Angst mehr haben, um sechs Uhr morgens aus dem Bett geklingelt zu werden, um unter Aufsicht Fremder Blut und Urin abzugeben – ich zucke heute noch zusammen, wenn bei mir zu Hause die Klingel geht.

Ich musste nicht mehr täglich angeben, wo ich mich zu welcher Stunde befand und wie ich tagsüber erreichbar war. Spontan und unangekündigt hatten mich die Kontrolleurinnen und Kontrolleure überall gesucht: zu Hause, im Kino, auf Outdoorfestivals, im Training, in der Kneipe. Sie setzten alles daran, mich aufzuspüren, riefen alle meine angegebenen Kontakte durch, bis sie mich fanden. Ja, ich war damals die beste Biathletin in Deutschland, und wegen vergangener Doping-Skandale wird man als Profiathletin zu diesen Kontrollen verpflichtet. Das verstehe ich einerseits. Aber andererseits hatte ich keine Privatsphäre mehr und kam mir stellenweise wie eine Schwerverbrecherin vor. Ich war permanent in der Situation, meine Unschuld beweisen zu müssen. Das ist kein schönes Gefühl.

Doch nun war ich frei, topfit und die (Berg-)Welt stand mir offen. Wie jedes Jahr im Frühling brachen wir zu unserem schon traditionellen Skitourenurlaub auf: dieses Mal in den Iran. Wir reisten kreuz und quer durchs Land und trafen sehr viele nette und offene Menschen. Doch was mich am meisten berührte: Das Thema Freiheit hat hier noch mal eine ganz andere Bedeutung. Für die bergsteigerisch orientierten Frauen ist es das größte Freiheitsgefühl, beim Klettern ihren Schleier ablegen zu können – was auch nicht erlaubt ist, sie tun es aber trotzdem. Ich begegnete auch Nasim Eshqi, Irans einziger Profikletterin, und wohnte zwischendurch bei ihr. Sie hat uns viel über ihren Kampf für die Freiheit der Frau im Iran erzählt. All diese Erlebnisse und Eindrücke bekräftigten mich noch einmal mehr in meiner Entscheidung, nun zu machen, was ich