What About Love - Herman Rarebell - E-Book

What About Love E-Book

Herman Rarebell

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Beschreibung

Es ist das Jahr 1980 und die Welt befindet sich im Kalten Krieg. Osten und Westen scheinen unversöhnlich und die Atombomben nur einen Knopfdruck entfernt. Doch Herman Rarebell, Drummer der legendären Scorpions, kümmert das nicht. Er kifft mit Hippies in den USA, schüttelt Gorbatschow die Hand und begegnet auf seinen Touren Menschen, die überall das Gleiche wollen: Frieden. Seine Geschichte handelt nicht nur von einer Band, die Musikgeschichte schrieb, sondern auch von der Zeit, in der sie es tat. Eine Zeit, in der Mauern fielen, Feindschaften endeten und eine verheißungsvolle Zukunft begann. Eine wahre Geschichte von Liebe, Freiheit und Hoffnung, die beweist: Wir dürfen an Weltfrieden glauben

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Seitenzahl: 247

Veröffentlichungsjahr: 2025

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WHAT ABOUT LOVE

Herman Rarebell:

What About Love

Alle Rechte vorbehalten

©2025 edition a, Wien

www.edition-a.at

Cover: Bastian Welzer

Satz: Bastian Welzer

Lektorat: Lionel Hausheer

Gesetzt in der Premiera

Gedruckt in Deutschland

1 2 3 4 5 — 28 27 26 25

isbn: 978-3-99001-806-4

e-isbn: 978-3-99001-807-1

Herman Rarebell

WHAT ABOUTLOVE

Wie ich mit den Scorpions fast den Weltfrieden verwirklichte ... und wie er wieder möglich wird

edition a

INHALT

Kapitel 1EIN ABEND IN MOSKAU

Kapitel 2DIE VERHÄLTNISSE ZUM TANZEN BRINGEN

Kapitel 3DAS ZENTRUM DES UNIVERSUMS

Kapitel 4ROCKSTARLEBEN

Kapitel 5WILLKOMMEN IM LAND DER UNBEGRENZTEN MÖGLICHKEITEN

Kapitel 6LANG LEBE DAS ESTABLISHMENT

Kapitel 7FREIE LIEBE

Kapitel 8DEN VORHANG ZERREISSEN

Kapitel 9DIE WELT HINTER DER MAUER

Kapitel 10DER FUNKEN

Kapitel 1 EIN ABEND IN MOSKAUAugust 1989

»Ich werde schon reden mit Jon«, sagte ich, eher zu mir selbst als zu irgendwem der Anwesenden. Immerhin war Jon kein rotznasiger Teenager mehr, auch wenn er sich gerade so benahm, sondern einer der größten Musikstars des Planeten. Ich stieß die Holztür auf, im Gang zog es kräftig, es war noch kälter, als ich erwartet hatte. Die Stimmung war aufgeheizt, wir alle waren ein bisschen daneben. Vielleicht war es der Alkoholentzug, vielleicht waren es die Soldaten, die mit ernsten Mienen und schweren Gewehren jeden unserer Schritte überwachten. Vielleicht lag es auch an Doc, der sich irgendeinen Scherz erlaubte, den nur er selbst verstand. Jon Bon Jovi mochte ein Weltstar sein, doch die Welt endete vor dem Eisernen Vorhang. Was dahinter lag, gehorchte eigenen Regeln. Und in dieser Welt kannte niemand den hübschen Sänger mit dem wallenden Brusthaar. Die hätten ihn hier zum Frühstück verspeist. Und jetzt wollte ihn unser Manager Doc McGhee zum Headliner machen? Lächerlich.

Überhaupt verdankten wir nur Doc die ganze Sache hier. Ein Musikfestival in der UdSSR. Nicht in irgendeinem Sattelitenstaat an der Peripherie, wo die Menschen nur darauf warteten, endlich eine Brise westliche Freiheit zu erfühlen. Sondern im Herzen des Feindes, im gottverdammten Moskau. Einen neuen Markt erschließen, ungeahntes Potenzial, der übliche Marketing-Scheiß. Wie hatten wir darauf reinfallen können? Es war Kalter Krieg, Menschen starben vor der Berliner Mauer, die Sowjets und die Amis hielten ihre schwitzenden Finger über den roten Knöpfen der Atomsprengkörper, und wir standen hier auf der falschen Seite. Und dann sollte auch noch Jon Bon Jovi Headliner sein. Bei all den Provokationen, die fast den dritten Weltkrieg ausgelöst hätten, würde das vielleicht den Ausschlag geben.

Wie kam Doc überhaupt auf die verrückte Idee, in Moskau ein Musikfestival zu organisieren? Die First Lady Nancy Reagan hatte es sich zu ihrer heiligen Mission gemacht, alle bewusstseinsverändernden Substanzen aus den US zu entfernen. Und davon gab es eine ganze Menge. Wie sollten wir die Jahre des Kalten Kriegs, die ständige Bedrohung der Auslöschung, auch bei klarem Verstand überstehen? Jedenfalls hielt sie es für eine kluge Idee, Doc für ihre Sache zu gewinnen. Doc und seine Hardcore-Schützlinge waren die perfekten Gesichter für eine Anti-Alkohol- und Anti-Drogen-Kampagne. Ganz schön schlau, Nancy.

So hat sich Doc also nach Moskau organisiert, so wie er immer alles raus- und rein- und überorganisierte, immerhin war er der verdammt beste Manager im Business. Blöd nur, dass er dafür uns brauchte. Und die verrückte Idee des Moscow Music Peace Festival. Scheiße, Doc, dachte ich in der russischen Kälte, während ich durch die dunklen Gänge des Backstagebereichs lief und Jon suchte, hättest du uns da mal besser rausgelassen. Selbst ein amerikanisches Gefängnis kann nicht so trostlos sein wie dieser Ort.

Das Stadion, in dem wir spielen sollten, war gigantisch. Als hätten Hooligans ein Kolosseum errichtet. Rund, massiv, gewaltbereit, ausgefüllt von einer unüberblickbaren grünen Rasenfläche, darüber neigten sich die breiten Schultern des Stadions über die Ränge. Dafür gemacht, abertausende fanatische Menschen zu fassen, die sich dem Spektakel des kommunistischen Rausches überlassen wollten. Das Individuum verschwand in der großen Ekstase. Die Gänge darunter bestanden aus weiß gekachelten Wänden, ich rannte durch eine Mischung aus Schwimmbad und Labyrinth.

Der Gang, in dem ich mich befand, beschrieb eine lange Kurve, er verlief wohl unterhalb der Stadionmauer entlang. Eine Tür flog auf, heraus kam Tommy Lee, Drummer von Mötley Crüe, mit nacktem Oberkörper und einem Gesicht wie kurz vor dem Sprung.

»Hast du Doc gesehen?«, fragte ich ihn.

»Doc kann mich mal!«, rief er.

»Oh mein Gott, Tommy, hol dir einen Drink.«

»Nein, ich mein es ernst, Herman! Wenn Jon vor uns spielt, hau ich Doc aufs Maul.«

Ich klopfte ihm bloß auf die Schulter und eilte weiter. Offenbar war ich nicht der Einzige, der Jon suchte. Es wäre besser für ihn, wenn ich ihn zuerst finden würde. Von oben kamen die verwaschenen Gitarrenriffs von Cinderella, seit gut zwanzig Minuten hatten sie sich schon der Übermacht des russischen Volkes übergeben. »Push, push«, hörte ich durch den Beton, zäh und schwer, ein guter Song.

Dann sah ich ihn. Doc saß auf einer Treppe, die zum Rasen des Stadions führte. Um ihn lungerten fette Musikbusiness-Typen in lächerlich lockeren Krawatten und mit langen Haaren, als wollten sie betonen, dass sie trotz der Millionen Dollars zu den Kids gehörten, die Rock wirklich zum Überleben brauchten, eben weil sie keine Millionen hatten. Docs liebes Teiggesicht war noch verschwitzter als sonst. Ich schubste ein paar Anzüge aus dem Weg und baute mich vor ihm auf wie eine Wand.

»Doc, das ist dummes Zeug!«, sagte ich. »Wir haben hier Fans, niemand kennt Bon Jovi oder Mötley Crüe, am ehesten noch Ozzy. Bring sie zur Vernunft!« Doc schaute mich an wie ein verletztes Tier.

»Jon ist gerade am Weg zum Flughafen«, sagte er resigniert. »Also bitte spielt, wann ihr wollt. Aber spielt, sonst fliegt mir das hier um die Ohren. Und euch allen auch!« Fuck. Wenn das hier den Bach runterging, dann war das nicht bloß ein weiterer Rückschlag in der Annäherung von West und Ost. Dann wäre das womöglich auch unser Ticket in den nächsten Gulag.

KUBA-KRISE

Kurz vor Ultimo

Der Spiegel, Ausgabe 44,30. oktober 1962

Die Angst in Deutschland wuchs in Bonn am schnellsten.

Wenige Stunden nach Ankündigung der US-Blockade gegen Kuba waren am Dienstag vergangener Woche fast sämtliche Lebensmittelgeschäfte im Bonner Prominenten-Viertel auf dem Venusberg ausverkauft.

Später wurde auch im übrigen Deutschland wieder gehamstert, besonders Zucker, Mehl und Öl. Gekauft wurde vor allem in Selbstbedienungsläden und Supermarkets von anonymen Kunden. Die Menschen fürchteten einen neuen Russensturm und scheuten sich doch, bei ihrem Krämer als Hamster erkannt zu werden.

Die Lebensmittelvorratskäufe erreichten nicht das Ausmaß von Suezkrise und Koreakrieg. Es fehlte der armen Bevölkerung an Geld. Denn der Krieg drohte kurz vor Ultimo.

[…]

48 Stunden lang waren Herzen und Hirne der Deutschen von Furcht erfüllt. »Gibt es Krieg?«, fragte die Münchner Abendzeitung. »Krieg ist seit Montag möglich«, antwortete Hamburgs Zeit. Aus der Menschen-Traube, die den ersten Krisen-Aushang der Süddeutschen Zeitung in Münchens Sendlinger Straße studierte, klangen bayrische Seufzer auf: »Jetzt wird’s brenzlig.« – »Da Ruß schlagt in Berlin zruck.« – »Jetzt kenne moa hoamgeh und schnell a Atomloch schaufle.«

[…]

Kanzler Konrad Adenauer, der Anfang der Woche wie alle anderen Nato-Regierungschefs Kopien der kompromittierenden US-Fotos von den sowjetischen Raketenbasen auf Kuba erhalten hatte, war von der Schärfe der Aufnahmen und ihrer Bedeutung für seine Hausmacht angetan: »Dat is janz jeheim, meine Herren, dat hat nicht mal der Herr Schröder jesehen.«

Schon auf der Reise nach Moskau, im Flugzeug, schwirrte irgendwas durch die Luft. Ich hätte auf mein Bauchgefühl hören sollen. Die ganze Zeit war es gewesen wie im Studio, wenn der Mix lief, die Gitarren, das Schlagzeug, den Gesang, dreißig, vierzig, fünfzig Mal, und eigentlich passte alles zueinander, bis auf eine kleine Unebenheit. Irgendwas war verrutscht. Etwas kratzte. Das konnte Energie sein, die raus wollte, die den Song zum Hit machte. Oder ihn verschlang, überdeckte, vernichtete. Noch konnte ich nicht sagen, was es war.

Zwanzig Stunden lang hatte mich dieses Gefühl begleitet, von den USA über London bis nach Moskau. Magic Bus, so nannten wir den Flieger. Zwanzig Stunden lang hingen einige der erfolgreichsten Rockmusiker der Gegenwart in einem Flugzeug tausende Meter über dem Boden, von wo aus wir keine Grenzen mehr sehen konnten, keine Länder, bloß Farbflecken, die ineinander übergingen, als wäre alles eins. Doch ich wusste, das war eine Illusion. Vor einem Jahr waren wir zum ersten Mal in Russland gewesen. Ich erinnerte mich an die Uniformgesichter, ständige Begleiter unserer damaligen Tour in Leningrad. Die abgesperrten Wege, die uns zeigten, wo wir gehen durften und wo nicht. Was wir sehen durften und was nicht. Mit wem wir reden durften und mit wem nicht. Grenzen innerhalb von Grenzen, der Mensch, eine Figur in einem Spiel, dessen Regeln er nicht verstand. Ständig Lakaien um uns herum, so freundlich, sie hätten sich für einen Kopfschuss bedankt, doch davor hätten sie mir mit beflissenem Lächeln die Eingeweide rausgenommen, falls ich aus Versehen gegen die falsche Statue gepisst hätte.

Zu trinken gab es nichts im Magic Bus, nichts, um die Gesichter aus meiner Erinnerung zu verbannen. Wir flogen im Auftrag der Nüchternheit, Nancy fucking Reagan sei Dank. Doc hatte für den Flug zumindest einen »Arzt« organisiert, Gott weiß, auf welcher Universität der seinen Abschluss gemacht hatte. Der konnte uns zumindest etwas gegen die unerträgliche Klarheit des Verstandes verschreiben. Als die Räder allerdings aufsetzten, die Tür aufging, der Beton-Kerosin-Geruch des Rollfelds reinschwappte, war die Spannung trotzdem spürbar. Das hier war Feindesland.

Ich trat auf die Treppe neben Klaus und Rudolf. Wir alle waren etwas orientierungslos, allein am Rollfeld, kühle Sonne, weiße Stahltreppen, schmerzhaftes Licht. Ich schirmte meine Augen ab und versuchte, etwas zu sehen. Die vertrauten Stahlgesichter der Soldaten, Gewehre griffbereit, akribisch aufgereiht, Demonstration einer Macht, die niemand so richtig einschätzen konnte. Was neu war, waren die jungen Menschen davor, sie trugen lange Haare und Bärte, hatten Kameras geschultert. Aufgeregte Typen in Strickpullis, die genauso gut auf Sitzstreik in Berlin oder in den Plattenläden Londons rumhängen konnten, hielten uns Mikrofone entgegen und fragten Dinge wie:

»Wie war der Flug?«

»Was ist Ihr erster Eindruck?«

»Haben Sie Ihren Gitarristen mitgenommen, Mister Osbourne?«

»Ich trete grundsätzlich ohne Gitarristen auf«, antwortete Ozzy ernst.

Was mich am meisten wunderte, ich konnte die netten Herren mit dem falschen Lakaienlächeln nirgends entdecken. Vielleicht täuschte ich mich. Oder vielleicht hatte sich doch was geändert.

Am Vormittag war Soundcheck. Der Stadionrasen lag vor mir ausgestreckt wie ein schlafender Hund, Techniker, fast alles Amerikaner, rannten auf der Bühne hin und her und türmten Verstärker auf, legten schwarze Kabel zu den Boxen, die immer wieder probeweise massige Soundstücke durchs Stadion spuckten. Überall standen grün uniformierte Soldaten herum und wirkten ratlos. Das Konzert würde erst in mehreren Stunden losgehen.

Olivgrün uniformierte Figuren, ihre kurzen Gewehre mit eingeklapptem Kolben über der Schulter. Sie bewachten jeden Fleck Rasen, als handelte es sich um geweihten Boden, alle Ein- und Ausgänge. Und selbst in der Mitte der Rasenfläche, in einer wie mit dem Lineal gezogenen Zweierreihe, teilte eine Mauer aus Stahlgesichtern das gesamte Stadion in zwei Hälften. Als menschlicher Wellenbrecher, als Sicherheitsgitter aus Fleisch. Auch vorn am Bühnenrand, wo normalerweise die Ordner waren, standen bullige Soldaten stramm. Einzelne Besucher waren schon ins Stadion gelangt und hatten sich unbeeindruckt auf dem Rasen niedergelassen. Kurz kam mir der Gedanke, ob das Sicherheitspersonal wirklich wegen des Publikums hier war. Oder wegen uns. Um uns im Auge zu behalten, die westlichen Agitatoren.

Ich saß hinter meinem Schlagzeug, etwas erhöht auf einem Podest in der Mitte der Bühne. Auf den beiden Resonanzfellen meiner Bassdrums prangten extra für diesen Anlass je eine deutsche und eine amerikanische Flagge, darüber ein roter Bereich mit Hammer und Sichel.

Die nasale Stimme des Tonmeisters drang aus dem Lautsprecher neben mir.

»Herman, jetzt bitte Snare.«

Ich schlug auf die große, flache Trommel zwischen meinen Knien und ein satter Knall peitschte durch das Stadion. Einige Stahlgesichter auf dem Rasen zuckten. Aber dann trommelte ich weiter, wie immer, und nichts passierte.

Während meines Soundchecks sah ich Jon Bon Jovi in seiner neuen Lederjacke über die Bühne schlendern, ein Ärmel mit Stars and Stripes, der andere mit Hammer und Sichel. Diese beiden Symbole zusammen zu sehen, widersprach allem, was uns in den letzten Jahrzehnten eingetrichtert worden war. Es fühlte sich falsch an, und doch hoffnungsvoll.

Jon redete mit Doc, fuchtelte mit den Händen. Doc schaute zwischendurch immer wieder nervös zu mir, aber ich machte mir keine Gedanken. Jon war eben Jon.

Fünf Stunden später saß ich in dem kalten Backstageraum auf einem der cognacfarbenen Ledersofas, neben mir Rudolf und Matthias, beide ließen geistesabwesend ihre Finger über ihre Gitarren rennen. Auf dem Tisch vor uns eine verbotene Flasche.

»Ich versteh’s nicht«, sagte Rudolf. Durch die Sonnenbrille konnte ich nicht sehen, ob er mich anschaute oder ins Leere starrte. Von draußen wummerte ein Riff von Mötley Crüe durch die Wände. Rudolf setzte sich auf.

»Niemand, außer Ozzy und wir, hat je hier gespielt. Die Crüe hat vor einem Jahr CDs auf den Schwarzmarkt geworfen, also sollten sie ein wenig bekannter sein. Aber Jon who the fuck Bon Jovi soll Headliner sein? Warum checkte das niemand?«

»Doc liebt Jon und er hat’s ihm versprochen«, sagte ich mit einem Achselzucken in der Stimme.

Klaus knallte durch die Tür herein, ein breites Grinsen unter seiner Sonnenbrille.

»Da hauen sich in der ersten Reihe die Leute auf die Fresse, das müsst ihr sehen!«

»Was?« Matthias unterbrach sein Geklimper.

»Ja, die Stimmung ist fantastisch, das Publikum rastet aus!« Klaus konnte sich gar nicht einkriegen. »Plötzlich haben die Soldaten in der ersten Reihe angefangen, die Leute herumzuschubsen. Das ließen sie sich aber nicht gefallen und schubsten die Soldaten zurück.«

»Oh, nein«, stöhnte Rudolf.

Klaus nickte. »Haben gut reingeprügelt. Echter Rock ’n’ Roll.«

»Und jetzt?«, fragte ich.

»Doc hat die brutalsten Soldaten vor der Bühne rausholen lassen.« Klaus ließ sich auf eines der Ledersofas fallen und griff nach der Flasche. »Mal sehen, ob das was bringt.«

»Wer spielt als Nächstes? Wo ist Ozzy, wo ist Jon?«, fragte ich und fing an, unruhig im Raum umherzugehen.

»Ozzy wird spielen, sagt er, er hat sich beruhigt«, antwortete Klaus. »Dann wir. Dann Bon Jovi, der ist nun doch wieder zurück.«

»Wir als Vorband von Bon Jovi?« Ich nahm Klaus die Flasche aus der Hand und nahm einen Schluck.

»Doc liebt Jon aus irgendeinem Grund, der mir unverständlich ist, und hat’s ihm versprochen«, wiederholte Klaus fast genau meine Worte.

»Wir sind die größte Liveband der Welt«, sagte ich.

»Eine der größten Livebands«, warf Klaus ein.

»Sei nicht so bescheiden, Klaus.«

Rudolf langte nun auch nach der Flasche Wodka. Ein wenig Russland in den Adern konnte vor dem Auftritt nicht schaden.

»Na ja, Doc ist ein Trottel, tun wir’s für ihn.«

»Doc hat allen was anderes gesagt. Sonst wäre die Hälfte gar nicht erst angereist«, sagte Matthias dazwischen.

»Doc ist ein großer Organisator«, sagte ich, die Bewunderung nur zum Teil gespielt.

»Ja, Tommy wird ihm nach dem Gig eine in die Fresse organisieren«, meinte Klaus.

»Trotzdem stark, was er so auf die Beine stellt, was alles möglich ist, wenn einer wirklich will«, sagte Matthias. Damit war das letzte Wort gesprochen. Er stand auf und fing wieder an, auf seiner Gitarre schnelle Fingerläufe zu spielen, als wäre das hier ein ganz normales Konzert wie hunderte davor.

Ich merkte, wie ich immer unruhiger wurde, und ging nach draußen auf den Gang. Ich irrte in den Gängen des Stadions umher, suchte Doc, redete mit Ozzy und klopfte auf die Schultern von Gorky Park, dieser sowjetischen Band, die so sehr nach Amerika klangen, dass es mich als Deutscher sogar zwickte. Aber eigentlich versuchte ich bloß nicht an unseren Auftritt zu denken. An die Soldaten in der ersten Reihe. An die ungebändigten Massen. An Aktion und Reaktion, an Gewalt und ihre Konsequenzen, an den Drang nach Freiheit und die unaufhaltsame Welle, die dieser Drang in Bewegung versetzen konnte. Eine Welle, die alles verschlang, was sich ihr in den Weg stellte. Und dann, als ich schon gar nicht mehr denken konnte, war es so weit. Die Welle schwappte mich nach oben, ins Licht.

Rauch zog über unsere Köpfe, der Himmel stand im Zwielicht, wir rannten auf die Bühne, durch den Nebel konnte ich die Menschen im Stadion nur als riesige, verschwommene Menge wahrnehmen. Die graue, gesichtslose Masse des Sowjets, des Feindes? Nein, eine Masse aus Jugend und Hoffnung, aus Schreien und Schmerzen, aus Tränen und Träumen. Tausend Gesichter flossen zu einem Ausdruck, den ich aus dem Spiegel kannte.

Ich klemmte mich hinter die Drums, Füße auf den Pedalen, das Riff von Blackout schnitt durch meine Monitorboxen, mein Kopf setzte aus. Meine Muskeln wussten, was zu tun war, bevor ich darüber nachdenken konnte. Ich setzte mich auf das Riff, wir zogen los, ein Zug ohne Gleis, unser Song entlud sich ins Publikum hinein wie hunderte Male zuvor, rohe Eskalation.

Der Rauch verzog sich etwas, ich sah die grünen Hüte der Soldaten vor der Bühne, Stahlgesichter. Matthias’ Gitarre schrie ihr Solo durch die Boxen, als ob sie ein Eigenleben hätte, junge Menschen links und rechts der olivgrünen Flecken sprangen durcheinander. »Da hauen sich Leute in der ersten Reihe auf die Fresse«, echote Klaus in meinem Kopf.

Der Himmel wurde blauer, Big City Nights. Ein Riff, die Kickdrum auf eins, zwei, drei und vier, Fäuste in der Luft, ganz hinten am Ende des Stadions … loderte dort Feuer? Einsatz, meine Becken explodierten, der Song schob an, Klaus flog über die Bühne, sang:

When the daylight is falling down into the night

And the sharks try to cut a big piece out of life

Soldaten im Publikum, mein Blick zum Bühnenabgang, möglicher Fluchtweg. Die Treppen runter, rein ins Kachelwand-Labyrinth, und dann?

Offenbar hatten wirklich ein paar Fans auf den hinteren Rängen des Stadions kleine Feuer entzündet. Feuer der Liebe oder der Aggression? Wann würde es gefährlich werden? Rudolf wirbelt seine Gitarre durch die Luft, die Masse vor der Bühne wurde immer unruhiger. Wie ein eisernes Gesetz riss unsere Musik die Leute aus ihren Körpern.

Ich sah, wie sich eine der grünen Uniformen aus der Masse erhob, er kletterte einem anderen auf die Schultern. Rudolf spielte das Intro von The Zoo, ganz automatisch klickten wir ineinander, Riff und Beat, die Boxen ballerten die Songs in die Köpfe der Menschen, ballerten die Gedanken aus dem Kopf, allen Hass, alles Fremde, alle Angst und Andersartigkeit, bam, bam, bam. Klaus sang:

The job is done and I go out

Another boring day

I leave it all behind me now

So many worlds away

Der Soldat auf den Schultern seines Kameraden zog sich die Uniform aus, mit nackter Brust wirbelte er seine Jacke über dem Kopf, im Takt flatterte sie durch die Luft. Die Soldaten warfen ihre Hüte in die Höhe, sprangen durcheinander, alles mischte sich, alle trieben auf unseren Riffs, als wäre es ein Wildwasserfluss, die olivgrünen Flecken verschwammen in der Masse. Doch es war keine gesichtslose, kalte, bedrohliche Masse mehr, sondern eine Einheit, eine Zusammengehörigkeit.

Und plötzlich waren alle Unterschiede aufgehoben, der ganze beschissene Eiserne Vorhang zerrissen. Wir schmolzen in die anderen, West und Ost war kein Widerspruch mehr.

Ich habe noch nie viel auf Politik gegeben, wohl niemand von uns, wenn ich ehrlich bin. Ich glaube, die meisten, die in diesem Flugzeug zum Moscow Music Peace Festival mitflogen, hatten klare Prioritäten in ihrem Leben: das tun, was sie wollten, und sich nichts sagen lassen.

Manchmal hieß das, einen Fernseher aus dem Fenster eines texanischen Hotels zu schmeißen und dafür lebenslanges Hausverbot zu kassieren. Meistens hieß es einfach, Menschen zu begeistern, mit ihnen zusammen für zwanzig Songs pro Abend komplett durchzudrehen, damit zwischen den Reagans und Gorbatschows dieser Welt, den Eisernen Vorhängen und den Weltuntergangsuhren für neunzig Minuten alles gut war. Und während wir spielten, ahnte ich, dass viele Menschen hier den gleichen Durst nach Freiheit hatten, der uns von Anfang an antrieb.

In diesem Moment, in dem 150.000 Menschen im Moskauer Olympiastadion unsere Songs in den Nachthimmel schrien, wurde aus den seltsamen Karikaturen hinter dem Eisernen Vorhang, die uns über Jahre hinweg in Film, Fernsehen und Zeitungen begegnet waren, zur Hälfte Roboter und zur Hälfte Höhlenmenschen, Typen wie wir. Mit den gleichen Wünschen, Sorgen, Problemen, Hoffnungen. Der Kalte Krieg zerstob in der Nacht. Ich war zwölf Jahre alt gewesen, als die Sowjets ihre Raketen in Kuba parkten. Und heute, siebenundzwanzig Jahre später an einem verflucht kalten Abend in Moskau, knallten keine Bomben, keine Schüsse, keine Explosionen. Nur Beats, Drums und die Herzen von uns allen, die sich nach Freiheit sehnten.

Kapitel 2 DIE VERHÄLTNISSE ZUM TANZEN BRINGENSüddeutschland, 1960er

Es war die Hochzeit meiner Tante, oder jemand anderes im weiteren Familienkreis, für ein Kind verschwimmen die Unterschiede. Auf dieser Hochzeit passierte es. Ich verliebte mich so naiv, so tief, so kindlich-unrettbar wie vielleicht nie wieder in meinem Leben.

Die Erwachsenen standen in lockeren Gruppen herum, Getränke in der Hand. Ich war noch recht klein, bahnte mir einen Weg zwischen Hosen und Röcken. Die Hochzeit fand in Eppelborn statt, im Innenhof eines Gasthofes, wie es sie auf dem Land im Süddeutschland der 1960er zuhauf gab. Es schunkelte ein Schlager vor sich hin, Männer und Frauen tanzten noch etwas steif, es roch nach gebratenem Fleisch, nach heißem Fett, Zigaretten und Seife. Meine Augen flitzten zwischen all diesen unverständlichen Symbolen und Zeichen der Erwachsenenwelt hin und her, bis mein Blick die kleine Bühne traf. Dort kam er zur Ruhe.

Die Band spielte etwas Überzuckertes wie schon den ganzen Abend, vielleicht Eine Rose aus Santa Monica, etwas, das jeden mit derselben dumpfen Art oberflächlicher Glückseligkeit erfüllte, so wie es für dieses Jahrzehnt typisch war, ein Glück wie auf Valium, schwerelos, belanglos. Die Sängerin tänzelte hin und her, verwarf die Arme vor Sehnsucht, doch ich konnte die Illusion in ihren Augen sehen. Mein Onkel tanzte mit seiner neuen Frau, er vermurkste seinen Walzerschritt, bis er auf den Schlager passte, und seine Lippen sprachen tonlos den Text nach, als wüsste er, wo Santa Monica läge.

Ich wollte mich schon auf einen Stuhl stellen, um die Bühne noch besser im Blick zu haben. Doch dann war das Stück zu Ende, jemand schlug seine Gabel an das Glas, alle verstummten und ich hörte irgendeinen Quatsch über Glück, Liebe und Hochzeitstorte, das Einmaleins der Welt, einer Welt, eng wie das Aquarium eines Goldfischs, wo doch, für mich zumindest, schon alles Glück dort auf der Bühne war.

Die Bandmitglieder stellten ihre Instrumente zur Seite und schlossen sich den anderen Gästen an. Die Tanzfläche leerte sich, als sich alle unter dem kurzen Vordach des Gasthauses um die Torte drängten. Ich starrte weiter auf die Bühne, endlich sah ich das Glitzern, die zarte, weiße Schicht über den festen Ringen. Unwiderstehlich zog es mich an.

Es war ein kleines Set. Ich wusste noch nicht, wie die verschiedenen Teile hießen. Fasziniert ließ ich meine Finger über die schnarrende Marschtrommel gleiten, die der Schlagzeuger zuvor zwischen seinen Knien gehalten hatte. Ich strich über den Rand der großen Basstrommel, die mir fast bis an die Brust reichte. Ich stellte mir vor, wie es sich anfühlen musste, mit viel Kraft auf das Fell zu schlagen. Was für ein Geräusch es machen musste, wenn der Schlegel mit voller Wucht auf das Fell traf. Wie die Augen des Publikums größer wurden, wenn sie den tiefen Wumms in der Magengrube spürten. Wie die Vibrationen dieses Instruments durch ihre Körper fuhr und sie zum Tanzen brachte. Ohne es benennen zu können, fühlte ich sie damals das erste Mal, die Magie der Musik. Sie war wie ein Geheimnis, das nur mir gehörte, das ich mit niemandem teilen musste.

Die beiden hölzernen Sticks lagen verlockend auf dem silbernen Ring der Snare. Sie wollten benutzt werden, sie zogen meine Finger an. Die Trommel reichte mir fast bis zum Bauch. Vorsichtig nahm ich die Sticks in die Hand. Die meisten Gäste waren noch immer von der Torte abgelenkt, Gespräche hingen wie fette Fliegen in der Luft. Ich versuchte, mich auf den Hocker zu setzen, die Sticks in der Hand. Sofort fühlte ich mich am richtigen Ort. Als hätte sich das ganze Universum zusammengezogen zu diesem einen kleinen Punkt. Eine konzentrierte Ruhe überkam mich, ich schaute von der Bühne hinunter zu den schwatzenden Erwachsenen. Zum ersten Mal begriff ich etwas, das sie nicht verstanden.

Das Scheppern, als mir der Stick aus der rechten Hand rutschte und auf die Marschtrommel fiel, war ohrenbetäubend.

»Hermann!« Die Stimme meines Vaters riss mich zurück in die Wirklichkeit. Er hatte sich umgedreht und kam über die Tanzfläche schnell zur Bühne, geduckt, als würden ihn die anderen Gäste auf diese Art nicht entdecken können.

Ich rutschte vom Hocker und legte die Sticks widerwillig auf die Snare. Aber etwas in mir hatte sich verändert. Das Scheppern war ein Versprechen gewesen. Ich komme wieder.

Ich wuchs mit meinen Eltern in einem Haus im Saarland auf, ein kleines Bundesland im damaligen Westdeutschland, nahe der französischen Grenze. Die Hauptstadt war Saarbrücken, wenn man es denn so groß machen wollte, und dort war nie was los. Im dreißig Kilometer entfernten Lebach, der nächsten größeren Stadt, war noch weniger los. Und in Hüttersdorf, nochmal ein paar Kilometer von Lebach entfernt, wo wir lebten, war am allerwenigsten los. Wenige Orte auf der Welt waren den großen Träumen ferner, und wenige Orte zeigten einem das so unverschämt an jeder Ecke.

Die Region war durchzogen von weiten grünen Feldern, wie man sie in Irland vermuten würde, es gab einen Dorfbach, in klaren westdeutschen Normen gurgelte er in seinem Betonbett an der Straße vorbei, etwas außerhalb schlängelte er sich zwischen Bäumen und Sträuchern durch. Als Kind hielt ich manchmal Ausschau nach der Waldfee, die hier wohnen musste. Sie zeigte sich nie.

Mein Vater Hermann Erbel war Polizist. Wir wohnten in einem schönen Einfamilienhaus, wie es für Polizisten angebracht war. Wenn es denn Verkehr gegeben hätte in Hüttersdorf, wäre er ruhig und reguliert gewesen, selbst ohne Zutun des Polizisten. Die Augen hinter den Vorhängen der Nachbarn bläuten einem das richtige und gute Verhalten ganz ohne Drohung ein. Ruhe und Ordnung waren eine Frage der Moral. Alles war eine Frage der Moral. Es gab eine Ordnung im Leben, eine einzige, und in dieser hatte alles und jeder einen Platz. Hüttersdorf, mein Vater, der Bach, ich. Das Problem: Ich hasste Ordnung.

Als ich etwa fünf Jahre alt war, fing ich an, auf Töpfen und Pfannen herumzuschlagen. Meine Eltern ließen mich zum Glück machen. Schließlich gab es andere Kinder, die gern mit Zügen spielten. Es gab Kinder, die gern lasen, andere malten. Die schlimmsten Balgen kletterten auf Bäume. Dieses Kind, dachten sie wohl, machte halt Lärm. So oder ähnlich erklärte es meine Mutter Katharina den Nachbarn. Was sie nicht ahnen konnte: Das war noch nicht mal der Anfang.

1957 trennten sich meine Eltern und ich zog mit meiner Mutter nach Lebach zu meinen Großeltern. Meine Eltern hassten sich nicht, es gab keinen furchtbaren Streit oder Zwist. Sie trennten sich ruhig, gelassen, geordnet. Wie es sich für Hüttersdorf gehörte.

Die Topf-und-Pfannen-Phase hielt an. Meine Eltern ergaben sich ihrem Schicksal und gewöhnten sich langsam, aber sicher an ihren lärmenden Sohn. Nur manchmal fragten sie sich, von wem ich das wohl geerbt hätte. Polizisten waren eher ruhige Persönlichkeiten. Meine Mutter kaufte mir kleine Handbesen für die Töpfe und Pfannen, vielleicht aus Rücksicht auf ihre Eltern, die den Lärm ertragen mussten.

Nur einmal konnte mein Großvater väterlicherseits, selbst Polizeikommissar, nicht mehr an sich halten. Ich hatte gerade kurz Pause gemacht in Sachen Töpfe und Pfannen und einen meiner ersten Songtexte an der Wohnzimmerwand notiert, da entdeckte mein Großvater wohl einen Schreibfehler und schrie meine Mutter an, sie solle diesen Unsinn mit dem Trommeln sofort unterbinden, sonst werde das noch ein echtes Problem. Lärm war ein Zeichen von gesellschaftlicher Unruhe. Die wollte niemand.

Jedenfalls war es in diesen Jahren, als ich auf der Hochzeit das weiße Trixxon-Drumset entdeckte. In den Wochen und Monaten darauf sparte ich jeden Cent meines übersichtlichen Taschengeldes. Ich saß in meinem Kinderzimmer, hörte die Yardbirds auf Radio Caroline und trommelte in meinem Kopf mit. Meine Großeltern schauten mit skeptischen Mienen auf die Geduld meiner Mutter. Sie hielt. Ich danke Gott und ihr noch heute dafür.

Irgendwann war es so weit und ich konnte mir mein erstes Set leisten. Alles sehr rudimentär: eine Kickdrum, eine Snare, ein Becken zwischen Crash und Ride, so war es als beides spielbar. Keine Hi-Hat, keine Tom-Toms. Als ich 14 Jahre alt war, bekam meine Mutter eine Stelle bei der Deutschen Bahn und wir zogen von Lebach nach Saarbrücken, mein Schlagzeug kam mit. Ich bin mir nicht sicher, ob meine Großeltern froh waren. Zu diesem Zeitpunkt war für meine Eltern und mich klar: Das war keine Phase mehr. Zwar konnten sie mich noch überzeugen, nach der Schule ein Betriebswirtschaftsstudium anzufangen, an der Handelsschule Dr. Wenzel. Doch ich war längst verloren für die Welt der sauber geführten Budgets. Quartalsberichte und Kreditwürdigkeiten ließen jeden Lebenswillen in mir verkrusten.

Wovon und wofür ich zu dieser Zeit lebte, waren die Mastermen, eine Band rekrutiert aus Jungs, die mit mir zur Schule gingen. Wir hatten lange Haare, eine Meinung zum Vietnam-Krieg, und waren auch sonst ein rotes Tuch für die meisten Deutschen über dreißig. Aber das waren eher Nebeneffekte. Uns ging es um die Musik. Und vielleicht um das bisschen Ruhm, das wenige Geld und um den nützlichen Flirtspruch: »Ich spiele in einer Band.«

Wir spielten die amerikanischen Hits und tourten an drei bis vier Tagen durch die Teenie-Tees der Umgebung. Das waren Nachmittags-Partys von 16 bis 18 Uhr. Wenn es ganz wild wurde, gab es ein zweites Set von 19 bis 22 Uhr. Spätestens dann musste aber die Bühne abgebaut sein. Noch sollte alles seine Ordnung haben, selbst die Unordnung. Es war ein Versuch der Gesellschaft, das Neue im Alten verschwinden zu lassen. Wie sich bald zeigen sollte, war dieser Versuch zum Scheitern verurteilt.