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Der Fund einer Moorleiche rüttelt das beschauliche Füchtorf auf. Als Kai vorschlägt, sich den schaurigen Fund in der Halloween-Nacht anzusehen, kriegt Sara es mit der Angst zu tun. Aber als einziges Mädchen in der Clique muss sie sich beweisen. Kneifen gilt nicht!
Und so machen die fünf sich auf ins nebelverhangene Moor, nicht ahnend, was sie dort erwartet ...
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Veröffentlichungsjahr: 2016
»Im Füchtorfer Moor haben sie eine Moorleiche gefunden!«
Den ganzen Sommer über hatten Archäologen in dem als Naturschutzgebiet ausgewiesenen Niederungsmoor eine alte germanische Kultstätte ausgegraben, aber mit so einem spektakulären Fund hatte niemand gerechnet, und das zum Ende der Grabungskampagne. Die Nachricht ging wie ein Lauffeuer durch den Ort und war auch das Thema bei den Schülern der örtlichen Gesamtschule.
Sara drückte die Ohrstöpsel tiefer in ihre Ohren, während sie sich mit dem Strom der anderen zu ihrem Klassenraum treiben ließ. Die Klänge ihrer Lieblingsband sperrten das dumme Gequatsche der Schüler aus, die sich gegenseitig mit grausigen Details zu übertreffen suchten: Der Mann sei hingerichtet worden, man habe ihn aufgehängt und dann ins Moor gelegt, die Zunge hinge ihm wie ein Lappen aus dem Mund, es handele sich um ein Menschenopfer und so weiter. Wenn sie doch endlich aufhören würden, bevor jemand merkte, wie sehr sie das alles ängstigte! Schon als kleines Kind hatte sie sich vor Mumien und Skeletten gegraust, und auch jetzt noch ließen die Erzählungen über den schaurigen Fund ihrer Fantasie die Zügel schießen.
In der großen Pause stellte sich Sara zu Tim, Marc, Kai und Micha unter die stattliche Eiche. Nach einem bislang goldenen Oktober war es plötzlich kalt geworden. Ein schneidender Wind fegte gelbe und braune Blätter von den Bäumen. Zitternd wickelte sie den Parka enger um ihren Leib. Eine Eichel landete neben ihren Füßen, und sie kickte sie weg. Misstrauisch musterte sie ihre Freunde. Die vier Jungs waren so zappelig – was heckten sie aus?
»Heut ist Halloween …«
Marcs lauernder Unterton ließ Sara nichts Gutes ahnen. »Und?«
Tim schlug ihr auf die Schulter, als sei sie einer seiner Kumpel. »Na, ist doch klar, Alter. Im Ort ist bestimmt nix los, also gehen wir heut Nacht uns die Moorleiche anschauen. Schön gruselig.«
Nachts ins Moor? Die spinnen doch!, schoss es Sara durch den Kopf, obwohl sie es besser wusste. Denen war es bitterernst. Schreckensbilder krochen in ihr hoch. »Die wird sicher bewacht.«
»Eben nicht!« Wie immer, wenn Kai aufgeregt war, kiekste seine Stimme. Heute überschlug sie sich geradezu. »Mein Alter macht doch auf Grabungshelfer bei denen, deshalb weiß ich, dass sie nur eine Plane drübergelegt haben. Wer sollte auch ’ne Moorleiche klauen?«
Mist! Sara kroch noch tiefer in die zu weite Jacke. Das Kapuzenband hing ihr jetzt genau unter der Nase. »Ich weiß nicht … Geht mal lieber allein. Das Moor ist gefährlich, und wenn ihr bei der Ausgrabung was kaputt macht …!«
»Mi-mi-mi, du Mädchen!«
Sara knuffte Kai härter, als dass er es noch freundschaftlich auffassen konnte. »Stimmt auffallend.« Sie schoss einen Seitenblick auf Micha ab. Wie stand er dazu?
Der stieß sich lässig vom Stamm ab und baute sich vor Sara auf. »Kneifen gilt nicht. Wenn du dazugehören willst, so richtig, musst du mitkommen.«
Wie immer, wenn er in ihrer Nähe war, prickelte Saras Haut. Micha war toll! Er war schon sechzehn, also ein Jahr älter als die anderen – kleben geblieben, wie er immer gleichgültig sagte , größer und – hm, ja – männlicher als der Rest der Bande. Er war überhaupt der tollste Junge, den Sara kannte, und ihr »Okay« schien direkt von ihren weichen Knien aus wie eine Blase ihren Bauch hinaufzusteigen und über ihre Zunge zu rollen.
Anerkennung blitzte in seinen blauen Augen auf. »Klasse. Ich wusste, auf dich kann man zählen.«
Kai verdrehte die Augen. »Als ob!«
Zu Saras Freude beachtete Micha ihn gar nicht. »Wir treffen uns heute Abend um zehn mit den Fahrrädern am Unkemännerbrunnen.« Das war der übliche Treffpunkt in Füchtorf, direkt auf dem Kirchplatz.
Es klingelte, und die Schüler strömten zurück ins Schulgebäude. Sara war froh, dem eisigen Wind zu entkommen, der nicht gerade Lust darauf machte, sich die Nacht im Freien um die Ohren zu schlagen. Und was würde Tante Hilde dazu sagen? Ach richtig, die würde ja mit ihren Hexen abhängen. Innerlich stöhnte sie. Dieser Wicca-Kram war oberpeinlich! Aber die Tante war sonst echt in Ordnung, ließ ihr viele Freiheiten, die andere nicht hatten, und heute Nacht würde sie Saras Abwesenheit nicht einmal bemerken. Dabei wäre ihr eine Ausrede, nicht mitgehen zu können, sogar zupassgekommen. Nein, kneifen durfte sie nicht. Die Jungs waren bislang ihre einzigen Freunde hier.
Auf dem Heimweg rollte ein Gefühl drohender Einsamkeit über sie hinweg, fast so schlimm wie diesen Sommer, als sie ihr Zuhause und ihre Eltern hatte verlassen müssen …
Die Räder des Zuges ratterten monoton. Vor Saras Augen verschwamm die Landschaft zu Farbklecksen, oben blau, unten grün, braun, strohgelb. Je näher sie ihrem Ziel kam, desto karger wurde die Umgebung, desto spärlicher die menschlichen Behausungen, die ihr mit einem Mal als Inbegriff des Trosts erschienen. Dabei waren ihr die Betonschluchten in Berlin oft genug wie ein Gefängnis vorgekommen. Die nüchterne Strenge, die geraden Linien, das war ihr Zuhause. Es spiegelte ihre Familie wider. So wie die Ankündigung ihrer Mutter: Papa muss beruflich für zwei Jahre nach Brasilien, ich begleite ihn, und du ziehst so lange zu Tante Hilde. Große Chance – großes Mädchen – verstehst du schon.
Genickt hatte sie, es nicht verstanden und sich verstoßen gefühlt.