Sinuhe, Sohn der Sykomore - Kathrin Brückmann - E-Book

Sinuhe, Sohn der Sykomore E-Book

Kathrin Brückmann

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Beschreibung

Die Freunde Sinuhe und Sesostris erleben als Kinder das Ende der 11. Dynastie Ägyptens mit. Als Sesostris' Vater Amenemhet neuer Pharao wird, ändern sich ihre Leben. Sinuhe schlägt die Schreiberlaufbahn ein und macht Karriere als Haremsvorsteher des Königs, während Sesostris als Heerführer die Grenzen Ägyptens beschützt. Doch Feinde bedrohen die junge Dynastie , und Sinuhe gerät immer tiefer in den Strudel der Ereignisse um Intrigen und Mord. Schließlich sieht er nur noch einen schrecklichen Ausweg vor sich. Die Geschichte des Sinuhe ist eine der ältesten Abenteuergeschichten der Weltliteratur und spielt um das Jahr 1900 v. Chr.

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Inhaltsverzeichnis

Karte von Ägypten

Karte von Vorderasien

Sinuhes Route

Personenregister

Prolog

1 ~ Unsichere Zeiten

2 ~ Es ist ein Mädchen

3 ~ Von Kriegern und Schreibern

4 ~ Unruhen im Norden

5 ~ Ein Druckmittel

6 ~ Leben und Tod liegen nah beieinander

7 ~ Schläge und Fehlschläge

8 ~ Die Schuldigen werden verhört

9 ~ Ein folgenschwerer Beschluss

10 ~ Der Feldzug

11 ~ Der letzte gute Tag

12 ~ Aufruhr im Frauenhaus

13 ~ Lauernde Erwartung

14 ~ Kein frohes Ereignis

15 ~ Eine Reise in den Westen

16 ~ Schlange in der Nacht

17 ~ Flucht

18 ~ Rettung in der Not

19 ~ Ein neuer Aufbruch

20 ~ Das Land Iaa

21 ~ Eine Hochzeit

22 ~ Die Hungersnot

23 ~ Eine Kriegslist mit Hindernissen

24 ~ Böse Vorahnung

25 ~ Elefantenjagd

26 ~ Späte Erkenntnis

27 ~ Des Rätsels Lösung

28 ~ Die Last des Alters

29 ~ Eine Krankheit, gegen die ich kämpfen werde

30 ~ Die Herausforderung

31 ~ Eine zweideutige Prophezeiung

32 ~ Die Schritte noch einmal gehen

Anhang ~ Ägyptische Götter

Anhang ~ Orte und Gebietsnamen

Anhang ~ Glossar

Nachwort

Romane von Kathrin Brückmann

Über die Autorin

Impressum

Karte von Ägypten

Karte von Vorderasien

Sinuhes Route

Personenregister

Historische Personen sind fett gedruckt, in Klammern befindet sich eine Aussprachehilfe, und eine Übersetzung des Namens steht kursiv dahinter.

Das Königshaus

Mentuhotep (Mentu-hotep) – Month ist zufrieden – Mentuhotep IV, letzter Pharao der 11. Dynastie

Anuket – Die Umarmende – Konkubine Mentuhoteps, Mutter der Meritamun

Meritamun (Merit-amun) – Geliebt von Amun – Tochter von Mentuhotep und Anuket

Amenemhet (Amen-em-het) – Amun ist an der Spitze – Wesir von Mentuhotep, später Regent und Pharao Amenemhet I, Begründer der 12. Dynastie

Sesostris (Se-sostris) – Mann der Göttin Useret – Sohn von Amenemhet, Oberster Heerführer, Kronprinz, Mitregent und später Pharao Sesostris I

Nefertatenen (Nefer-ta-tenen) – Schön ist Ita, die Erhabene – Mutter von Sesostris

Nofru –Schönheit – Schwester und spätere Große Königliche Gemahlin des Sesostris

Taweret (Ta-weret) – Die Große – Konkubine, Mutter des Prinzen Amenemhet

Amenemhet (Amen-em-het) – Amun ist an der Spitze – Sohn des Amenemhet mit der Konkubine Taweret

Familie des Sinuhe in Ägypten

Sinuhe (Si-nuhe) – Sohn der Sykomore – Schreiber und Haremsbeamter, Freund des Sesostris

(Dua) Cheti – Begleiter (des Morgens) – Sinuhes Vater, Oberster Schreiber des Pharao

Meret – Geliebte – Sinuhes Mutter

Sat-Hathor genannt Sati – Tochter der Hathor – Tochter des Ipi, Frau von Sinuhe

Sati-Scherit – Meine kleine Tochter, oder auch Kleine Sati

Tochter von Sinuhe und Sati

Ägyptische Würdenträger

Ipi – Name einer Nilpferdgöttin – Wesir Amenemhets

Antef-Iqer (Antef-Iker) – Er bringt seinem Vater Vortrefflichkeit – Wesir Amenemhets

Ptahhotep (Ptah-hotep) – Ptah ist zufrieden – Deckname Ptahwer (Ptah-wer) – Ptah ist groß – Gaufürst von Memphis

Osirisanch (Osiris-anch) – Osiris möge leben – Gaufürst von Abydos

Meketre (Meket-re) – Re ist mein Schutz – Haremsvorsteher unter Mentuhotep und Amenemhet

Pepi – Eigenname einiger Pharaonen der 6. Dynastie – Sohn des Meketre, Soldat

Amunnacht (Amun-nacht) – Amun ist stark – Schatzmeister unter Mentuhotep und Amenemhet

Uto – Name der Schlangengöttin aus Buto in Unterägypten – Sohn des Amunnacht, Soldat

Merimonth (Meri-Month) – Geliebt von Month – Sohn des Uto, Schreiber –

Neferti (Nefer-ti) – Der Gute – Hohepriester des Amun in Theben

Mentuhotepanch (Mentu-hotep-anch) – Mentuhotep möge leben – Hohepriester des Month

Pije – Eigenname – Zweiter Prophet des Month

Imhotepanch (Im-hotep-anch) – Imhotep möge leben – Leibarzt Amenemhets

Imhotep (Im-hotep) – Der in Frieden kommt – Arzt des Amunenschi, Enkel von Imhotepanch

Heqa-Nacht (Heka-Nacht) – Beherrscher der Stärke – Stellvertretender Haremsvorsteher

Sa-Nacht – Sohn der Stärke – Vorsteher der Feldarbeiter unter Sesostris

Handwerker, Soldaten und Diener

Nebu – Herrschaft – Wab-Priester im Hathortempel zu Men-Nefer

Sethnacht (Seth-nacht) – Seth ist stark – Ausbilder im Haus des Krieges, Schwager des Ptahhotep

Hori – Name des Gottes Horus – Diener im Haus des Sinuhe

Nebetanch (Nebet-anch) – Herrin des Lebens – Köchin Sinuhes

Hermonth (Her-Month) – Im Angesicht Months – Maler

Meni – Eigenname nach dem ersten König der 1. Dynastie – Bildhauer

Heruwer (Heru-wer) – Groß an Angesicht – Wache am Frauenhaus

Baket – Dienerin – Utos Ehefrau, Mutter Merimonths, Dienerin der Taweret im Harem

Nebi – Mein Herr – Bauer

Nesmonth (Nes-month) – Er gehört zu Month – Soldat

Bewohner Retjenus (Retschenu)

Abi – Angehöriger des Stammes der Chabiru

Nischon – Händler aus Qedem

Amunenschi – Fürst des Oberen Retjenu

Scheschi – Sohn des Amunenschi

Chajran – Sohn des Amunenschi

Tani – Tochter des Amunenschi und Frau von Sinuhe

Jamam – Ältester Sohn von Sinuhe und Tani

Bat-Hadad – Älteste Tochter von Sinuhe und Tani

Chaati- Tochter von Sinuhe und Tani

Amunenschi – Sohn von Sinuhe und Tani

Hillah – Tochter von Sinuhe und Tani

Abbaj – Ratgeber des Amunenschi

Sajadaj – Stammesältester des Weinreben-Stammes

Naram – Krieger des Weinreben-Stammes

Schamschim – Krieger des Weinreben-Stammes

Aramu – Krieger des Weinreben-Stammes

Prolog

Der Hathortempel von Men-Nefer lag zu dieser mittäglichen Stunde im gleißenden Sonnenlicht wie verlassen da. Nebu seufzte ergeben. Sein freches Mundwerk hatte ihm wieder einmal die ungeliebte Aufgabe eingebracht, die Amulette der Göttin an die Gläubigen zu verkaufen, die den Tempel besuchten. Er stand noch ganz unten in der Priesterhierarchie, hatte es gerade erst zum Wab-Priester gebracht, und es stand ihm nicht zu, den Propheten gegenüber vorlaut zu sein.

Nebu war anzusehen, dass er es nie zu höheren Weihen bringen würde, denn aus seinen braunen Augen blitzte der Schalk, und die breiten Lippen schienen ständig zu einem spöttischen Grinsen verzogen zu sein. Es fehlte ihm die nötige Ernsthaftigkeit, wie seine Vorgesetzten zu sagen pflegten. Nebu selbst bedachte die strengen Mienen der Propheten dagegen mit anderen Worten als ernsthaft.

»Diese verbiesterten alten Fledermäuse«, schimpfte er.

Aber seine Eltern hatten ihn nun einmal diesen Beruf erlernen lassen, und im Grunde konnte er sich glücklich schätzen. Solange er im Tempel Dienst tat, würde für sein leibliches Wohl stets gesorgt sein, was für einen Jungen wie ihn, der aus einfachen Verhältnissen stammte, nicht gerade selbstverständlich war.

Nachdem er sich diese Gedanken wieder einmal vor Augen geführt hatte, fügte er sich ohne weiteres Murren in sein Schicksal und ließ sich im Schatten der ehrwürdigen Sykomore nieder, die in der Mitte des Vorhofes wuchs.

Der Baum war so alt, dass sein Stamm nur von vier Männern umfasst werden konnte, und die üppig belaubten Äste überspannten einen großen Teil des Tempelhofes. Die Sykomore – auch Eselsfeige genannt – war der heilige Baum der Göttin Hathor. Besonders Liebende und kinderlose Paare suchten diesen Tempel auf, um zu der kuhköpfigen Göttin zu beten. Sie erhofften sich vom Verzehr der süßen Früchte, dass ihre Gebete erhört würden. Deshalb gehörte dieser Hof auch zu den wenigen öffentlich zugänglichen Teilen des Tempels.

Vor Nebu lagen Amulette aus Fayence auf einer Decke ausgebreitet. Eine Schüssel mit frischen Früchten des Baumes stand daneben.

Der Jungpriester gähnte und schloss die Augen. Es war einfach zu heiß heute. Selbst das Gesumm der Fliegen schien ihm träge und schläferte ihn ein. Das Geräusch von Schritten ließ ihn bald wieder hochfahren. Die Propheten durften ihn nicht auch noch bei einem Nickerchen erwischen! Er beschattete seine Augen mit einer Hand und ließ seinen Blick über den Hof gleiten, bis er die Ankömmlinge entdeckt hatte. Es war ein Ehepaar, das durch den Pylon getreten war und sich suchend umsah.

Nebu seufzte erleichtert und beobachtete die beiden. Um sich bei diesem langweiligen Strafdienst die Zeit zu vertreiben, hatte er sich schon vor Wochen ein kleines Spiel ausgedacht. Er versuchte zu erraten, wofür die einzelnen Besucher beten würden. Als das Paar näherkam, glitt kurz ein Lächeln über Nebus Gesicht. Den hungrigen und doch leeren Ausdruck in den Augen der Frau kannte er nur zu gut. Diese beiden würden Kindersegen erflehen.

Ohne ihn weiter zu beachten, ging das Paar über den Hof, bis der dunkle Eingang zu den Räumen des Opfervorstehers sie verschluckt hatte. Denn war den Gläubigen der Zutritt zum Heiligtum auch an den meisten Tagen des Jahres verwehrt – die Opfer für die Göttin nahmen die Priester gern entgegen.

Als Nebu die beiden etwas später wieder herauskommen sah, war das Bündel des Mannes, das vorher prall auf seiner Schulter gelegen hatte, schlaff und leer.

›Die Priester wissen schon, wie sie den Gläubigen die Gaben aus dem Beutel ziehen können‹, dachte er. ›Sehr wohlhabend sehen die beiden nicht gerade aus. Ich werde mit ihnen wohl kaum mehr ein großes Geschäft machen können.‹

Trotzdem stemmte er sich hoch und begann, seine Waren anzupreisen.

Es war die Frau, die ihren Mann zu den glänzenden Amuletten zog.

›Es sind immer die Frauen‹, stellte Nebu im Stillen fest. Sie wurden nicht nur von der glänzend farbigen Oberfläche der Stücke angezogen, sie glaubten auch eher an die magische Wirkung der heiligen Gegenstände.

»Diese Amulette sind wahrhaft zaubermächtig«, begann Nebu.

Nun, da die beiden vor ihm standen, sah Nebu, dass sie nicht mehr ganz jung waren. Die Frau war zwar noch im gebärfähigen Alter, aber bald würde es für sie zu spät sein. Sicher wäre sie für ein paar seiner wohlklingenden Versprechungen dankbar. Sein begehrlicher Blick fiel auf den Reif aus Kupfer, den der Mann am Arm trug. Diese Deben genannte Form des Zahlungsmittels war besser zu transportieren als Tauschware in Form von Naturalien. Bei Bedarf trennte man Stücke davon ab oder übergab sie als Ganzes seinem Handelspartner.

»Ach, Meret, was willst du denn mit diesen Sachen? Lass uns weitergehen. Wir haben noch eine weite Heimreise vor uns«, versuchte der Mann seine Frau von Nebus Waren wegzuziehen.

»Warte. Ich will nur kurz schauen. Helfen deine Sachen denn? Wir wünschen uns so sehnlich ein Kind«, wandte sie sich an Nebu und schaute ihn flehentlich an.

Nebu unterdrückte den Triumph, richtig geraten zu haben. Eilfertig machte er eine Geste, die alles auf seiner Decke einschloss: »Meine Dame, bei mir findest du nichts Billiges wie auf den Märkten. Diese Amulette wurden von der Göttin persönlich gesegnet. Wer sie trägt, wird die Kraft der Hathor durch seinen Körper strömen fühlen. Aber, schönste Dame«, zwinkerte er der Frau zu, »am wundertätigsten ist dieses hier.« Er setzte eine geheimnisvolle Miene auf und schlug ein feuchtes Leintuch zurück.

»Sykomorensetzlinge? Was soll der Unfug?« Der Mann schien erbost. »Komm, Meret, die bekommen wir auch zu Hause.« Er ergriff die Hand seiner Frau, die sich auch schon halb wegziehen ließ.

»Nicht einfach nur Setzlinge«, beeilte sich Nebu zu sagen. »Sie stammen von diesem Baum hier.« Er beugte sich verschwörerisch vor und sah, wie die Frau die zerrende Hand ihres Mannes abzuschütteln begann und wieder näher kam, um ihn besser zu verstehen. »Der Baum hinter mir ist alt und heilig, es ist dieser Baum, der bei der Erschaffung der Welt aus dem Urgewässer Nun aufragte. Von ihm nähren sich die Seelen der Götter und der verstorbenen Pharaonen. Wer einen Setzling dieses Baumes sein Eigen nennt, ist wahrlich gesegnet. Denn so, wie der Baum in feuchter Erde Wurzeln schlägt, wird sich auch der Samen deines Mannes in dir verankern.«

Die Augen der Frau begannen zu glänzen, so lebhaft war das Bild, das Nebu heraufbeschworen hatte. »Cheti …«, bettelte sie.

Nebu sah im Gesicht des Mannes, dass der um seine Niederlage wusste.

»Was soll denn so ein Setzling kosten«, brummelte er unwillig.

»Heiliger Setzling, edler Herr. Einen Kupferdeben, nicht zu viel für eine so wundermächtige Pflanze, würde ich meinen.«

»Was? Welcher Dämon hat dich gebissen? Dafür bekomme ich einen ganzen Sack Getreide. Das ist Wucher. Komm, Meret.«

Flehend sah die Frau ihren Mann an. »Aber du hast ihn doch gehört. Dies ist der mächtigste Zauber, den wir bekommen können. Du wünschst dir doch auch so sehr, dass wir endlich Kinder bekommen.«

Der Blick des Mannes wurde weicher, als er seine Frau so verzweifelt sah. Seine Finger spielten mit dem glänzenden Kupferreif an seinem Arm. Doch dann strafften sich seine Schultern.

»Nein. Das Kupfer brauchen wir für die Heimfahrt. Oder willst du etwa nach Waset zurücklaufen?«

Nebu erkannte, dass er an diesen beiden nichts verdienen würde, und schlug die Pflänzchen wieder in ihr schützendes Tuch ein – sehnsüchtig beobachtet von der Frau. Tränen schimmerten in ihren braunen Augen. Dann wandte sie sich seufzend um und folgte ihrem Mann in Richtung Pylon. Nebu sah ihr hinterher, wie sie mit hängenden Schultern über den sonnigen Platz schlurfte, und zu seinem eigenen Erstaunen regte sich in ihm Mitleid. Rasch sah er sich um, ob er von einem seiner Vorgesetzten beobachtet wurde, und griff dann verstohlen unter das Tuch. Er holte das Paar erst ein, als sie das Steintor bereits durchschritten hatten. Wortlos steckte er der Frau den Setzling zu und eilte zurück zu seinem Platz.

* * *

Meret hegte und versorgte das kostbare Geschenk auf der weiten Heimreise in den Süden, als sei es bereits ihr Kind. Cheti verkniff sich abfällige Bemerkungen, weil er sah, wie glücklich seine Frau war. Und immerhin hatte der junge Baum ihn nichts gekostet, was schadete es also? Er selbst war zwar durchaus gläubig, aber er hatte leider auch schon zu viel von der Schlechtigkeit der Menschen gesehen, als dass er noch an solch faulen Zauber hätte glauben können.

Langsam glitt die Barke den Nil hinauf, bis sie einige Tage später die Residenzstadt Waset erreichte, in der Cheti als niederer Schreiber bei Hofe tätig war.

»Hoffentlich wächst unser Bäumchen gut an«, murmelte Meret und runzelte die Stirn. Sie konnten sich keinen eigenen Gärtner leisten, und sie war unsicher, wie sie die Pflanze zu behandeln hatte. Es war ihr so wichtig, dass der Setzling gut gedeihen würde.

Cheti brummelte nur, während seine Füße rasch ausschritten. Er sehnte sich nach seinem kleinen Haus im Beamtenviertel. Das Reisen behagte ihm nicht, er hatte die Fahrt nur Meret zuliebe auf sich genommen.

Sie bogen in die Gasse ein, an der ihr Grundstück lag. An der Mauer, die das Anwesen des Obersten Steuereintreibers vor neugierigen Blicken schützte, blieb er abrupt stehen. Meret prallte fast in ihn hinein und sah ihn fragend an.

»Wie wäre es, wenn ich gleich heute Abend noch zu Hetepi ginge und fragte, ob er uns seinen Gärtner ausborgt?«

»Oh Cheti«, strahlte Meret und umarmte ihren Mann stürmisch. »Du bist doch der Beste.«

Am nächsten Tag klopfte der Gärtner des Hetepi vorsichtig die feuchte Erde um den kostbaren Setzling fest und wiegte seinen Kopf. »Ich glaube nicht, dass da noch was draus wird, Dame Meret. Die lange Reise …«

Meret spürte Verzweiflung in sich aufsteigen. Dieses Bäumchen durfte nicht sterben! »Woran erkenne ich, ob die Pflanze angewachsen ist und gedeiht?«

»Beobachte die Spitzen. Wenn sich neue Knospen bilden, ist alles gut. Und immer schön feucht halten.«

Meret beugte sich vor und betrachtete eingehend das dürre Zweiglein, das nackt und kahl aus der schwarzen Erde lugte.

»Danke für deinen Rat und deine freundliche Hilfe. Richte auch deinem Herrn meinen Dank aus.«

In den folgenden Tagen wurde Cheti beim Heimkommen stets als Erstes über den Zustand der Pflanze informiert. Mal war sich Meret ganz sicher, dass sie Wachstum beobachtet hätte, dann wieder war sie überzeugt, dass das kostbare Geschenk nur noch verdorrt in der Erde steckte. Cheti nahm beides mit der ihm eigenen Ruhe hin, denn zumindest hatte Meret etwas, um das sie sich kümmern konnte, solange kein Kinderlachen das Haus erfüllte.

Doch dann prangte eines schönen Tages unbestreitbar ein grünes Blatt an dem kahlen Stängel. Meret strömte über vor Glück. Und als sie kurze Zeit später spürte, dass sie Leben in sich trug, wusste sie, dass nur der mächtige Zauber der heiligen Sykomore dies bewirkt haben konnte.

Froh beobachtete Cheti, wie seine Frau lachend und tanzend durch das Haus wirbelte, und nahm sich fest vor, der guten Göttin in den nächsten Tagen ein gehöriges Dankopfer zu bringen.

Den gesunden Jungen, den Meret zu Beginn des neuen Jahres zur Welt brachte, nannten sie Sinuhe – Sohn der Sykomore.

1 ~ Unsichere Zeiten

Regierungsjahr 1 von Mentuhotep IV

»Ich glaube, da hinten ist noch eine. Dort, bei der Palme, siehst du?«

Aufgeregt packte Sinuhe seinen Freund am Arm und wies auf die dichte Vegetation am westlichen Flussufer.

Angestrengt spähte Sesostris in die angegebene Richtung. »Deine Augen sind wohl besser als meine. Doch halt – da bewegt sich tatsächlich etwas. Das ist aber dann die Letzte für heute. Die Sonne geht bald unter und ich darf mich nicht verspäten.«

Rasch paddelten die beiden Knaben das kleine, aus gebündeltem Papyrus gefertigte Boot hinüber. Als sie sich dem Dickicht aus Binsen genähert hatten, schlugen sie mit ihren Paddeln gegen die Pflanzen. Es dauerte nicht lange, bis ein großer Vogel mit lautem Geschrei seine Deckung verließ. Nun musste es schnell gehen. Während Sinuhe sitzen blieb, richtete sich Sesostris auf dem schwankenden Papyrusboot auf und hielt sein Wurfholz bereit. Schon segelte das Holz in elegantem Schwung hinauf in den Himmel. Es traf die flüchtende Ente mit einem dumpfen Laut, bevor sie sich im nächsten Dickicht in Sicherheit bringen konnte.

Das Boot schaukelte von der heftigen Bewegung, und Sesostris ließ vorsichtig auf dem flachen Boden aus gebündelten Stängeln nieder. Er ergriff sein Paddel. Jetzt konnten sie sich Zeit lassen. »Da haben wir aber eine schöne Mahlzeit erjagt«, schwelgte er und leckte sich die Lippen. »Zwei Enten für jeden. Mutter wird sich freuen.«

Sinuhe grinste seinem Freund zu.

Nicht, dass die Vorräte im Haus des Wesirs Amenemhet jemals knapp gewesen waren, aber gebratene Ente stellte immer eine willkommene Abwechslung auf dem Speiseplan dar. Während Sinuhes Vater Cheti als Palastschreiber ein hoher Beamter am Hof war, leitete Amenemhet im Auftrag Pharaos die Geschicke der Beiden Länder. Sesostris sah seinen Vater daher nur selten, aber wenn er in der Residenz Waset weilte und keine Beratung anberaumt war, legte er Wert auf gemeinsame Mahlzeiten. Amenemhet war ein harter und verschlossener Mann, und Sesostris fürchtete seine Missbilligung mehr als alles andere.

Im Haus des Cheti ging es weniger förmlich zu. Die gemeinsame Abendmahlzeit nutzte der Schreiber, um seiner Familie über die neuesten Entwicklungen bei Hofe zu berichten. Oft entspannen sich daraus lebhafte Diskussionen über den Zustand der Beiden Länder, und hier wurde auch die Meinung des Knaben gehört. Cheti war es wichtig, die Ausbildung seines Sohnes über das Schulische hinaus zu fördern und seinen Verstand zu schärfen.

Wie alle ägyptischen Kinder aus Hofkreisen lernten die beiden Jungen in der Palastschule bereits die Grundkenntnisse der ägyptischen Schrift. Sie standen im selben Alter, doch war Sesostris für seine acht Überschwemmungen bereits hoch aufgeschossen. Sein Körperbau ließ darauf schließen, dass er einmal muskulös und stark werden würde. Sinuhe, kleiner und zartgliedrig, wirkte eher etwas verträumt, und niemand wäre auf die Idee gekommen, in ihm einen künftigen Streiter im Heer des Pharaos zu sehen. So verschieden die beiden Jungen waren, so stark war das Band der Freundschaft, das sie verband. Denn jeder der beiden fand im anderen das, was ihm selbst an Eigenschaften fehlte und er insgeheim vermisste. Sesostris’ ungestümes Vorpreschen wurde oft vom bedächtigen Sinuhe gebremst, während dieser mit seinem Freund aufregende Abenteuer erlebte, die er sich allein nie zugetraut hätte.

Wie geschmolzenes Gold zog sich das Band des Stroms zwischen den Ufern dahin. Im Osten konnte man die Silhouette von Waset mit den Hütten und Häusern, Palästen und Tempeln erkennen. Entlang der Uferstreifen lagen Felder, jetzt, so kurz nach der Aussaat, noch schwarz vom fruchtbaren Schlamm des Flusses. Die Freunde genossen beim Paddeln das friedliche Bild und die Stille der abendlichen Stunde.

Plötzlich zerbrach der ruhige Spiegel der Wasseroberfläche.

Sinuhe erkannte die Zeichen als Erster: »Achtung! Ein Krokodil!«

»Sobek wird uns unsere Beute nicht streitig machen«, sagte Sesostris in Anspielung auf den krokodilgestaltigen Nilgott. »Schneller, Sinuhe!«

»Lass es gut sein. Das ist viel zu gefährlich«, wandte Sinuhe ein.

»Kommt gar nicht infrage! Mein Wurfholz, meine Beute. Beeil dich doch!«

Die Aufregung sandte prickelnde Schauer über Sinuhes Haut, als er das Ruderblatt energisch durch die Wasseroberfläche stieß. Pfeilschnell flog das kleine Boot über den Nil, er sah Schweiß auf dem braun gebrannten Rücken seines Freundes glänzen. Sie hatten die Stelle fast erreicht, an welcher der tote Vogelkörper auf den Wellen dahindümpelte. Sesostris beugte sich über den Bug, die Hand im Wasser. Fast konnte er den Vogel schon greifen. Noch weiter reckte er sich vor. Angespannt verfolgte Sinuhe das Manöver, denn unweit zeigten Wirbel im Wasser das Nahen des Krokodils an.

»Nicht! Es ist zu spät, komm zurück!« Entsetzt über so viel Leichtsinn versuchte Sinuhe vergeblich, die rasende Fahrt zu bremsen.

Doch Sesostris schien auf keinen Fall aufgeben zu wollen. Seine tastenden Finger schlossen sich fest um den Hals des Vogels. Triumphierend hob er den Arm, das Wasser perlte vom Gefieder der Ente. Da durchbrach das Krokodil die Wasseroberfläche und schnappte nach dem Leckerbissen. Ein Schrei, und Sesostris war im aufgewühlten Wasser verschwunden.

Wie betäubt saß Sinuhe da. Die untergehende Sonne warf lange Schatten über den Nil, und von der Stadt herüber wehten Fetzen von Klagegeschrei. Für einen Moment stand für ihn die Zeit still. Doch dann warf er sich bäuchlings auf den Papyrusnachen und durchkämmte mit seinen Armen das Wasser. Immer hektischer suchte und paddelte er, immer grauer wurde das Licht über dem Nil. Als seine Finger endlich den Freund erfühlten, schluchzte er vor Erleichterung. Doch der Körper, den er ins Boot hievte, war schlaff.

Er drehte Sesostris auf den Rücken und tätschelte seine Wange. »Wach auf!«

Aber er wusste es, spürte, dass der Ba seines Freundes den Körper verlassen hatte. Angst, Verzweiflung und Wut würgten seine Kehle. »Verlass mich nicht! Komm zurück!«

Immer lauter hallten die Schreie die Klageweiber. Sinuhe nahm es kaum wahr. Wie rasend trommelte er auf Sesostris’ Brust, rüttelte und schüttelte den leblosen Leib.

Da begann Sesostris zu husten und zu würgen. In einem Schwall gab er das Wasser des großen Stroms von sich. Dann schlug er die Augen auf und zeigte sein unverschämtes Grinsen.

»Nicht alles für Sobek«, krächzte er. In seiner geöffneten Hand lag noch immer der Kopf der Ente.

»Oh, du Esel, du Idiot, du … du … Was für ein Dummkopf! Wie kann man nur einem Gott sein Opfer streitig machen wollen?« Erleichtert schloss Sinuhe den Freund in die Arme. »Nun aber nichts wie weg hier, bevor Sobek es sich anders überlegt und noch einen Nachtisch fordert!« Mit raschen Schlägen ruderte er das Boot ans Ostufer.

Die Jungen wateten durch das seichte Wasser und zogen den Nachen den schmalen Sandstreifen herauf. Sinuhes Knie waren weich, und er konnte Sesostris’ Zähne klappern hören.

»Verdammt, Sinuhe, das war aber knapp. Noch einmal mache ich so etwas nicht, versprochen.«

»Schön wär’s«, seufzte Sinuhe, denn er kannte seinen Freund. »Jetzt aber nichts wie nach Hause! Hier, nimm du zwei Enten, mir reicht eine, und vergiss dein Wurfholz nicht.«

»Willst du den stattdessen?«, fragte Sesostris und warf Sinuhe den Entenkopf zu.

»Pfui, bleib mir weg damit.« Sinuhe schleuderte den Kadaverteil in die Büsche.

Trotz Sesostris’ zur Schau gestellter Forschheit zitterten seine Finger, als er das Wasser aus dem triefenden Schurz wrang. Sie schulterten ihre Beutel und machten sich auf zu den blinkenden Lichtern der Stadt. Mit einem Mal wurden ihnen gleichzeitig die immer noch andauernden Klagerufe bewusst.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Sesostris und blieb stehen.

Sinuhe zuckte mit den Schultern. »Sie klagen schon eine ganze Weile.«

Ihm wurde bewusst, dass er während seiner Suche nach dem Freund geglaubt hatte, die Schreie gälten Sesostris. Doch wie hätte das sein können?

»Da muss jemand Bedeutendes gestorben sein«, grübelte Sesostris.

Die Freunde schauten sich an und begannen zu rennen.

Sinuhe erinnerte sich noch vage an die Ereignisse vor zwei Überschwemmungen, als der gute Gott Mentuhotep III seine Reise in den Westen angetreten hatte. Da der König keine Kinder hatte, war es zu Unruhen und Intrigen gekommen, bis sich einer seiner Halbbrüder, Mentuhotep IV, schließlich als Thronfolger hatte durchsetzen können. Unsichere Zeiten! Die Beamten des Hofes waren in verschiedene Lager gespalten. Mord und Verrat hatten Einzug gehalten.

Es war Glück oder gutes Gespür gewesen, dass ihrer beider Väter, Amenemhet und Cheti, damals den richtigen Prinzen unterstützt hatten. Dieser hatte nach seiner Thronbesteigung seine Anhänger in hohe Positionen gesetzt, seine Feinde aber entmachtet und verbannt. So war es dazu gekommen, dass Cheti nun ein geachteter Mann bei Hofe und Amenemhet sogar Wesir der Beiden Länder geworden war, obwohl seine Mutter aus dem elenden Kusch stammte und seine Haut fast so dunkel wie die eines Nubiers war. Ihre Söhne konnten die angesehene Palastschule besuchen und waren Freunde geworden.

Doch Mentuhotep IV hatte noch keine Große Königliche Gemahlin erwählt. Kein Kind war ihm geboren, das ihm auf dem Thron hätte folgen können. Was also, wenn die Klagen ihm galten? Es wäre das Ende der Dynastie, doch es könnte noch schlimmer kommen!

Die Gaufürsten waren mächtig, besonders in Zeiten schwacher Herrscher. Schon einmal in der Geschichte des Schwarzen Landes war der Himmel auf den Kopf gestellt worden und die Maat zerbrochen. Gaufürsten hatten sich zu Herren über die Beiden Länder ausgerufen, und es hieß, dass damals siebzig Könige in siebzig Tagen geherrscht hätten. Doch wirkliche Macht über die Beiden Länder hatte keiner von ihnen innegehabt. Die Einheit von Ober- und Unterägypten war zerrissen gewesen. Erst der Familie Mentuhoteps war es vor hundert Jahren gelungen, die Beiden Länder wieder zu vereinen.

Staub wirbelte unter den Füßen der Kinder auf. Sie rannten an den Reihen der Hütten entlang, die von Fischern, Bauern und Handwerkern bewohnt wurden. Einzig das schwache Licht, das aus den Fenstern drang, erleuchtete ihren Weg. Endlich hatten sie das Viertel der Vornehmen erreicht. Hier war es fast völlig dunkel, denn die meisten der Häuser lagen hinter Mauern inmitten üppiger Gärten. Wehklagen durchdrang die nächtliche Stille. Noch konnte Sinuhe nicht sagen, woher es stammte. Es schien von überallher zu kommen und schwebte doch körperlos über der nächtlichen Stadt. Den Jungen fröstelte es, und er rieb sich die Arme, als könne er damit die böse Vorahnung abstreifen.

Nahe dem Palastbezirk trennten sich die Wege der Freunde. Wortlos nahmen sie voneinander Abschied. Die Zeit der unbeschwerten Spiele konnte nun vorbei sein.

Dunkel und still lag der Garten da. Nicht einmal die Fackeln zu beiden Seiten des Hauseingangs waren entzündet worden, aber Sinuhes Füße kannten den Weg. Außer Atem und mit pochendem Herzen trat er über die Schwelle.

»Vater? Mutter?«

Alles blieb still.

Er eilte ins Speisezimmer. Dort fand er seine Mutter Meret am gedeckten Tisch, auf dem die Speisen unberührt standen. Sie, die sonst immer geschäftig durch die Räume eilte, brütete dumpf vor sich hin. Der Platz seines Vaters war leer.

Der Beutel entglitt Sinuhes Händen. »Mutter, was ist passiert? Wo ist Vater?«

Merets Blick richtete sich auf ihn, und Sinuhe sah, wie sich ihr Körper straffte. Dann entdeckte er auch die Tränenspuren in ihrem Gesicht.

»Oh, da bist du ja. Setz dich. Ich muss dir Schlimmes berichten.«

Die Zeit dehnte sich ins Unendliche. So viele Gedanken wirbelten in Sinuhes Kopf herum: Der Vater ist tot. Aber wie? Warum? Oder ist es Pharao?

Er ließ sich auf seinen Stuhl sinken und unterdrückte den Wunsch, sich die Ohren zuzuhalten. Stattdessen umklammerte er die Sitzfläche, bis die Fingerknöchel weiß wurden.

»Der mächtige Stier, unser König Mentuhotep, hat sich zu den Göttern versammelt«, begann die Mutter zu berichten.

Sinuhe stieß den Atem aus, die Anspannung ließ etwas nach.

»Dein Vater wurde von Amenemhet zum Rat gerufen. Es müssen schnell Entscheidungen getroffen werden. Sonst …«

Sinuhe sah Furcht in den Augen seiner Mutter, die seine Ängste widerspiegelten. »Aber … Was ist geschehen? Mentuhotep war bei guter Gesundheit.«

»Ach, mein Sohn. Mentuhotep hat doch heute die Gaufürsten Ober- und Unterägyptens empfangen, um die Neuregelung der Verwaltung bekannt zu geben. Amenemhet hatte gerade begonnen, die neuen Maßnahmen zu verkünden, als der Pharao sich krümmte und mit dem Gesicht auf den Boden fiel. Es muss schrecklich gewesen sein; ein furchtbares Durcheinander ist ausgebrochen. Amenemhet hat den Leibarzt seiner Majestät gerufen, doch der konnte Pharao nicht mehr helfen. Bei Sonnenuntergang hat der gute Gott die Sonnenbarke bestiegen, um gemeinsam mit Re die Unterwelt zu durchreisen.« Meret war das Entsetzen anzumerken, als sie hinzufügte: »Dein Vater vermutet einen Anschlag.«

Sinuhe hatte Mühe, seine Ängste in Worte zu fassen. »Gift? Meint Vater, es könnte Gift gewesen sein? Einer der Gaufürsten?«

Cheti hatte seiner Familie berichtet, was Mentuhotep an Änderungen und Einschnitten plante. Er hatte befürchtet, dass die Neuordnung der Verwaltung den Unmut der Mächtigen hervorrufen würde. Die Macht der Gaufürsten wäre erheblich beschnitten worden. Cheti aber hatte die Maßnahmen aus ganzem Herzen begrüßt. Sie würden zur Stabilisierung der Herrschaft Pharaos führen. Und er war sehr stolz gewesen, dass er nicht nur als Schreiber, sondern auch als Ratgeber zur Abfassung der Gesetze beigetragen hatte.

»Gift. Ja. Vielleicht«, riss die Stimme seiner Mutter ihn aus seinen Gedanken. »Aber das wissen nur die Götter genau, und sie werden über die Schuldigen richten, falls es so ist.« Sie wischte sich eine Strähne ihrer Perücke aus dem Gesicht. »Nun aber gilt es, die Maat aufrechtzuerhalten. Es muss schnell ein Nachfolger gefunden werden. Dein Vater wurde vom Wesir zusammen mit den anderen hohen Beamten Mentuhoteps zur Beratung gerufen. Einige der Gaufürsten verfügen über viel Gold – und das öffnet leider so manch verräterischem Vorschlag das Ohr. Sie werden zu verhindern suchen, dass ein Vertrauter Mentuhoteps sein Werk fortsetzen kann.«

Meret nahm ihn in die Arme, und Sinuhe spürte, dass sie damit nicht nur ihn trösten wollte. Sollte es dazu kommen, wäre nicht nur die Position seines Vaters in Gefahr, sondern das Leben der ganzen Familie. Dann ging ein Ruck durch ihren Körper, und sie entließ ihn aus ihrer Umarmung.

Als sie sich wieder hinsetzte, umspielte ein halbherziges Lächeln ihren Mund. »Iss etwas, und dann lass uns zu Bett gehen. Dein Vater wird spät heimkehren, und morgen ist es für Neuigkeiten immer noch früh genug.«

Sinuhe kaute auf einem Bissen Fleisch herum, der in seinem Mund immer größer zu werden schien. Wer konnte so einen Frevel an der Maat begangen haben? Wie hinterlistig und heimtückisch dieser Anschlag war! So jemandem war alles zuzutrauen. Er würgte den Brocken herunter und stand auf. Ihm war der Hunger vergangen.

Sinuhe sah Sesostris stürzen. Der Kopf des Freundes versank in einem Strom von Blut. Die Schwänze von Dutzenden Krokodilen peitschten die klebrige Flüssigkeit auf, und auch er selbst war über und über besudelt. Er versuchte, das Blut von sich abzuwischen, während rings um ihn der aufgewühlte Strom gischtete, hier ein Bein und dort aufgerissene Münder aufblitzen ließ. Namenlose Gesichter glänzten rot im Schein der Sonne, und doch erkannte Sinuhe sie: Es waren die Gaufürsten, Hofbeamten und Generäle, die sich um die willkommene Beute balgten. Sesostris war längst verschwunden, doch noch immer schäumte der Fluss. Endlich wurde es ruhig um Sinuhe in seinem Boot. Träge ließ er seine Hand im nun wieder klaren Wasser baumeln. Etwas verfing sich zwischen seinen Fingern. Er griff zu. Auf seiner Handfläche lag der Kopf von Sesostris. Wasser perlte von den Federn seines Halsstumpfes. Sinuhe versuchte, das Ding abzuschütteln. Da begann der Kopf zu würgen. Ein zusammengeballtes Stück Papyrus quoll aus dem Mund des Freundes.

Mühsam entzifferte Sinuhe die Zeichen: »Warum hast du mich geopfert?«

Der bleiche Mund verzog sich zu einem Grinsen. Jemand schrie und schrie und schrie.

»Sinuhe, wach auf, mein Sohn, wach auf! Es ist nur ein Traum.«

Mühsam stemmte Sinuhe sich aus den Tiefen des Schlafes empor in die Wirklichkeit. Sein Geist klammerte sich an der vertrauten Stimme seines Vaters fest, bis es ihm endlich gelang, die Augen zu öffnen. Kupfern lag der Geschmack von Blut auf seiner Zunge. Unsicher griff er nach dem Wasserkrug, doch sein Vater kam ihm zuvor und schenkte den Becher voll. In tiefen Zügen schluckte Sinuhe Angst und Entsetzen des Traums hinunter, aber ein ungutes Gefühl blieb wie ein Kloß in seiner Kehle und drückte ihm auf den Magen. Gleich würde er sich übergeben müssen.

»Wie spät ist es?«, stieß er hervor. Schlagartig ersetzte die Erinnerung an das Geschehen des Vortags die Bilder des Albtraums. »Was ist passiert? Sind wir in Gefahr?«

»Leg dich wieder hin, es ist alles in Ordnung, und noch graut der Morgen nicht. Beim Frühstück werde ich euch alles berichten. Du kannst ruhig wieder einschlafen.«

Gemurmelte Stimmen drangen durch die Schleier von Sinuhes Schlaf, den die Strahlen der Sonne endgültig beiseiteschoben. Ein Gefühl von etwas Dringendem ließ ihn sich schnell aufsetzen und mit unbeholfenen Fingern ankleiden. Es war bereits helllichter Tag! Rasch schlüpfte er in seinen Schurz und in die Binsensandalen. Nun war alles wieder da, und es drängte ihn, die Neuigkeiten zu erfahren. Er eilte zum Esszimmer.

»Nein, lass ihn ruhig ausschlafen. Als ich nach Hause gekommen bin, hatte er einen Albtraum.«

»Der arme Junge. Das alles hat ihn sehr mitgenommen. Vielleicht sollten wir ihn nicht derart mit den Palastintrigen belasten, er ist doch immer noch ein Kind.«

Das war die Stimme der Mutter, die Sinuhe vernahm.

»Ich weiß, Meret, doch bald schon wird er seine Ausbildung beginnen. Besser, er weiß, was auf ihn zukommt, als dass er zu vertrauensselig ist. Der Palast ist eine Schlangengrube, und nur die Stärksten und Klügsten können hier bestehen. Sein Wissen um die Verhältnisse wird ihm nützen …«

Sinuhe betrat den Raum. »Ja Vater, ich will lieber alles wissen, als zu ahnen, dass da Dinge sind, die ihr mir verheimlicht. Ich würde es doch spüren, wenn euch etwas bedrückt.« Er blickte seine Eltern erwartungsvoll an.

»Oh Sinuhe, da bist du ja. Komm, setz dich zu uns. Vater hat uns große Neuigkeiten zu berichten.«

Geschäftig eilte seine Mutter zum Tisch und schob ihm die Morgenspeise aus Brot, Honigkuchen und Früchten hin. Sinuhe konnte ihre Anspannung spüren und ahnte, dass Cheti mit seinem ausführlichen Bericht auf sein Erscheinen gewartet hatte. Das machte ihn stolz, denn es gab ihm das Gefühl, dass der Vater ihn als Gesprächspartner genauso schätzte wie die Mutter.

Cheti wartete, bis seine Familie Platz genommen hatte.

Dann räusperte er sich: »Letzte Nacht haben die höchsten Palastbeamten, die Gaufürsten Ober- und Unterägyptens und die Obersten Heerführer der Beiden Länder überlegt, wie es nun, nach dem Ende der Dynastie, mit Kemet weitergehen wird. Es war eine lange Beratung um die Frage, wer Mentuhotep nachfolgen soll.«

Das sonst so sanfte Gesicht des Vaters wirkte angespannt, tiefe Schatten der durchwachten Nacht lagen um seine Augen und ließen ihn älter aussehen. Sinuhe fragte sich, wer infrage käme, doch der Vater beantwortete seine Gedanken bereits.

»Zwischen den mächtigsten Gaufürsten der beiden Länder ist es zum Streit gekommen, Ptahhotep aus Men-Nefer und Osirisanch von Abdju waren die Wortführer. Mitten in die Debatte platzte dann auch noch der Haremsvorsteher mit der Nachricht, dass eine der Konkubinen des verstorbenen Königs Anzeichen einer Schwangerschaft zeige.« Cheti nahm einen Schluck Wasser, um seine Kehle anzufeuchten. Dann fuhr er fort: »Das änderte natürlich alles. Man einigte sich schließlich darauf, dass die Entscheidung vertagt werden müsse, bis man so oder so Klarheit habe. Und wenn tatsächlich ein Thronfolger zu erwarten ist …«

»Die Beiden Länder so lange ohne Pharao?«, unterbrach Sinuhes Mutter ihren Mann. Auch Sinuhe war erschrocken. Ging das denn?

Cheti lächelte. »Ja, das hat Ptahhotep von Men-Nefer auch gesagt und sich gleich als Regent zur Verfügung gestellt.«

»Ah, eine Regentschaft.« Sinuhe hörte seine Mutter erleichtert aufseufzen.

»Ja. Allerdings muss ich gestehen, dass ich sofort um das Ungeborene zu fürchten begonnen habe, als ich mir den machtgierigen Ptahhotep als Regenten vorstellte. Zum Glück hatten auch andere Einwände, und es kam wieder zum Streit. Letzten Endes haben sich alle Anwesenden auf Amenemhet als Regenten geeinigt, da er als Wesir die Geschicke der Beiden Länder am besten leiten kann.«

Sinuhe zuckte bei der Nennung des Namens Amenemhet zusammen. Sesostris‘ Vater Regent! Wie aufregend!

»Wenn das Kind aber ein Mädchen ist …«, wandte Meret ein.

»Dann wird man weitersehen müssen. Eine Prinzessin kann zwar nicht selbst herrschen, aber sie ist die Trägerin des göttlichen Blutes. Wer sie heiratet, kann sich zum Herrn der Beiden Länder aufschwingen. Doch es würde dauern, bis sie mannbar wäre, und so lange kann das Schwarze Land nicht ohne Herrscher sein. Einer der Großen Ägyptens wird sich des Throns bemächtigen und die Prinzessin später heiraten, um seinen Anspruch zu festigen. Wir sollten beten, dass diese Situation nicht eintritt! Bis das Kind geboren ist, wird Ägypten jedenfalls einen starken und zuverlässigen Regenten haben. Nicht einmal die Gaufürsten konnten etwas gegen Amenemhet sagen – nur Ptahhotep hat geschimpft, dass Amenemhet ein Emporkömmling sei.«

»Kenne ich den Mann – Ptahhotep?«, fragte Meret.

»Nein, ich glaube nicht. Er hält sich zum Glück nur selten in der Residenz auf. Er und Osirisanch sind beide dafür bekannt, nur ihre eigenen Interessen und die ihres Landesteils im Auge zu haben – der eine für Unterägypten, der andere für Oberägypten. Ehrlich gesagt … hätte man einen der beiden zum Regenten gewählt, es hätte zum Bürgerkrieg kommen können. Denn jeder von ihnen hätte als Unterlegener seinen Landesteil gegen den anderen aufgehetzt.«

Sinuhe sog die Luft ein. Was für ein Glück, dass es dazu nicht gekommen war!

»Mit Amenemhet haben wir zumindest eine Hoffnung auf Stabilität, auf die Wahrung der Maat. Mir dreht es noch heute den Magen um, wenn ich an die Unruhen vor Mentuhoteps Thronbesteigung denke«, sagte sein Vater.

Für seinen Vater war wie für die meisten Ägypter, das wusste Sinuhe, die Aufrechterhaltung der Maat das Wichtigste. Sie symbolisierte die gerechte Weltordnung, Stabilität und die Einheit der Zwei Länder. In vielen Titeln und Namen spiegelte sich die Dualität des ägyptischen Landes wider, denn man vollzog mit ihrem Aussprechen oder Niederschreiben stets von Neuem die Vereinigung der beiden Landesteile Ober- und Unterägypten.

»Und was, wenn das Kind ein Junge wird? Wird er dann sofort Pharao?«, fragte Sinuhe. Er versuchte sich vorzustellen, wie ein Säugling auf dem Horusthron saß, die schwere Doppelkrone auf dem Kopf.

Sein Vater lachte. »Nein, das geht natürlich nicht. Welche Entscheidungen sollte ein Kleinkind treffen können? Für diesen Fall wird die Regentschaft von Amenemhet verlängert, bis der königliche Knabe die Mannbarkeit erreicht hat, also dreizehn Überschwemmungen zählt.«

Meret aber warnte: »Vermutlich rechnen einige damit, dass schon bald eine neue Regelung getroffen werden muss, falls das Kind ein Mädchen ist – oder die Schwangerschaft unglücklich verläuft.«

»Dann wäre Amenemhets Regentschaft beendet. Es müsste eine neue Wahl getroffen werden. Und diese Zeit werden die Konkurrenten nutzen, um ihre Position zu stärken. So, wie ich meinen Freund Amenemhet kenne, hat er dafür bereits Vorsorge getroffen. Fürs Erste ist die Gefahr gebannt, aber noch ist die Zeit zum Aufatmen nicht gekommen. Die nächsten Monde werden kritisch«, antwortete Cheti.

2 ~ Es ist ein Mädchen

Regierungsjahr 1 von Amenemhet I

Im Amuntempel zu Waset lag der Hohepriester Neferti im Sterben. Er war so alt, dass kein Mensch des Schwarzen Landes sich erinnern konnte, einen anderen in diesem Amt gekannt zu haben.

Der Sterbende hatte darum gebeten, in das Allerheiligste getragen zu werden. Die Priester des Amun hielten Wache und lauschten den schwachen Atemzügen, die den geschrumpften Körper nur widerwillig zu verlassen schienen. Im flackernden Licht der Fackeln strahlte das Greisengesicht eine entspannte Ruhe aus, die runzlige Hand winkte seinen Nachfolger herbei. Der Tempelschreiber setzte sich rasch zu Füßen der Trage nieder, denn die letzten Worte eines Hohepriesters waren heilig.

Wie alter Papyrus raschelten die Worte aus dem eingesunkenen Mund: »Der Thron der Beiden Länder ist verwaist. Aber ein König des Südens wird kommen, Ameni mit Namen, Sohn einer Frau aus Nubien und ein Kind Oberägyptens ist er. Er wird die Weiße Krone nehmen und wird die Rote Krone tragen – so wird er die Beiden Mächtigen vereinen und wird die Beiden Herren zufriedenstellen. Freut Euch, ihr Menschen eurer Zeit, denn der Sohn guter Herkunft wird sich einen Namen machen bis in alle Ewigkeit!«

Mit dem letzten Wort senkte sich Stille über den Raum. Neferti hatte seine Reise in den Westen angetreten.

* * *

Zur selben Zeit hallten die Räume des Frauenhauses von den Schreien der Gebärenden wider. Die junge Frau lag seit Stunden in den Wehen. Priesterinnen des Bes und der Taweret murmelten Gebete und Zaubersprüche zum Schutz von Kind und Mutter, deren geschwollener Leib mit Amuletten behängt war. Nervös ertastete die Geburtshelferin noch einmal die Lage des Kindes im Bauch der königlichen Konkubine. Viel hing von einer glücklichen Entbindung ab, das wusste sie. Überlebte das Kind nicht, müsste sie ihre Sachen packen und für immer den Palast verlassen. Noch einmal rieb sie ihre rechte Hand mit Gänsefett ein und versenkte sie im Geburtskanal.

Dann verkündete sie: »Es ist Zeit für den Gebärstuhl.«

Das erhöht stehende Möbel war bereits hereingetragen worden. Zwei Frauen halfen der Schwangeren vom Lager auf und stützten sie auf ihrem Weg. Die Arme auf die bequemen Lehnen gestützt, hockte sich Anuket hin. Die Füße stellte sie auf die beiden Ziegel. Ein neuer Krampf durchlief sie.

»Nun musst du pressen!«

Wieder und wieder strengte sich die Gebärende an, bis endlich, nach einem lang gezogenen Schrei, der Kopf des Kindes herauskam, behutsam umfangen von den Händen der Hebamme. Eine weitere Kontraktion ließ den glitschigen Leib in ihre ausgestreckten Arme gleiten. Silbrig pulsierte die Nabelschnur.

»Es ist eine Prinzessin! Und sie ist gesund und schön!«

Wie betäubt lehnte sich Anuket zurück und dachte nach. Als Mutter des künftigen Pharaos wäre ihre Zukunft sorgenfrei gewesen. Doch andererseits hatte sie so vielleicht sogar noch bessere Aussichten. Ein berechnendes Lächeln glitt kurz über ihre Lippen, als sie sich ausmalte, wie viele hohe Herren um die Hand dieses kleinen Mädchens buhlen würden. Das konnte sie sich zunutze machen.

Nun endlich sah sie ihr Kind an. »Gebt sie mir! Ach, ist sie nicht wunderschön? Meritamun soll sie heißen.«

* * *

Haremsvorsteher Meketre bekam die Botschaft bereits eine Stunde später. Er speiste mit seinem Freund Amunnacht, als der Bote kam.

»Eine Prinzessin also …«, murmelte der Schatzmeister des Pharaos, »nun ist alles wieder offen. Amenemhets Regentschaft ist beendet. Wen wirst du unterstützen?« Fragend blickte Amunnacht seinen Freund an.

»Warum bist du Ptahhoteps Mann? Der Gaufürst von Men-Nefer ist ein gieriges Schwein«, wollte Meketre wissen und hob seinen Becher an die Lippen.

»Ich habe keine Wahl.« Amunnacht erhob sich leise und riss mit Schwung die Tür zum angrenzenden Küchentrakt auf.

»Was …?«

Der Schatzmeister schloss die Tür sorgfältig und hievte dann seinen massigen Körper zurück auf den Stuhl.

»Ich wollte nur sichergehen, dass wir keine Zuhörer haben.« Verschwörerisch beugte Amunnacht sich vor. »Als Schatzmeister von Mentuhotep konnte ich mir einige … Freiheiten nehmen. Du weißt ja, wie lasch die Verwaltung unter dem guten Gott war.« Er räusperte sich verlegen und brachte es fertig, gleichzeitig seinem alten Freund verschmitzt zuzuzwinkern.

»Du hast Gold für deine eigene Truhe abgezweigt«, mutmaßte Meketre. Ein verstehendes Lächeln kräuselte die schmalen Lippen.

»Genau. Ptahhotep weiß davon, und ich bin in seiner Hand. Zudem muss ich befürchten, dass die Fehlbeträge entdeckt werden, wenn ein neuer Herrscher in den Palast einzieht.«

»Tsss«, machte Meketre.

»Ptahhotep hat mir versprochen, dass ich Wesir werde, wenn er die Doppelkrone erringt. Übrigens«, fügte Amunnacht hinzu, »auch dein Posten bliebe gesichert, wenn du uns hilfst. Es würde sich auch sonst für dich lohnen. Du müsstest nur dafür sorgen, dass die kleine Prinzessin uns nicht gefährlich werden kann, sobald Ptahhotep den Thron bestiegen hat.«

Meketre spitzte nachdenklich den Mund. »Ich sehe mein Lebensglück nicht gerade in den Wänden des Harems. Versteh mich nicht falsch, es ist eine einflussreiche Stellung. Aber diese Frauen! Jeden Tag Streitereien und Genörgel. Glaube mir, auf die Dauer wünscht man sich nur noch Ruhe, weit weg von allem, was weiblich ist. Wer bin ich denn, verwöhnten königlichen Blagen die Rotznasen abzuwischen? Wenn da also noch mehr für mich drin wäre …«

»Eine Versetzung und Beförderung meinst du?« Amunnacht verzog das Gesicht. Er hätte Meketre viel lieber weiter als Haremsvorsteher gesehen. Zu viel hing jetzt von der Loyalität dieses Amtsinhabers ab.

»Das hast du gut erkannt. Ich könnte das Kind auch jetzt sofort beseitigen. So viele Neugeborene erleben nicht einmal ihren zweiten Mond. Keiner würde Fragen stellen.«

Amunnacht erkannte, dass sein Freund in Gedanken bereits als Gaufürst über üppige Ländereien wandelte. »Nichts übereilen, mein Guter! Die Heirat mit der Prinzessin würde jeden Mann im Schwarzen Land zu einem ernst zu nehmenden Anwärter auf den Horusthron machen, wie du weißt. Darum muss sie Ptahhoteps Große Königliche Gemahlin werden. Keiner würde seine Herrschaft mehr anzweifeln können.« Er dachte scharf nach. Meketre musste ins Boot geholt werden, sonst konnte der Plan scheitern. Also würde er ihm lieber alles versprechen, was er forderte. Später konnte man immer noch weitersehen. »Also gut. Du, mein Bester, musst nur dafür sorgen, dass bis zu Ptahhoteps Machtergreifung niemand anderer an die Kleine herankommt. Dann wirst du deinen Lohn erhalten. Sollten die Dinge sich aber anders entwickeln, ist es immer noch Zeit für eine tödliche Krankheit.«

»Anders entwickeln? Ah, ich verstehe. Falls ein anderer als Ptahhotep sich durchsetzt.«

»Was wir nicht hoffen wollen.«

Meketre rümpfte die Nase. »Eigentlich gibt es doch keinen anderen möglichen Nachfolger, oder?«

»Im Grunde käme jeder Mann aus adligem Haus infrage. Doch manches Blut ist vornehmer als anderes. Ptahhotep zählt immerhin den Pharao Chufu zu seinen Vorfahren.«

Meketre zuckte mit den Schultern. »Du weißt sehr wohl, dass diese Abstammung des Gaufürsten von Men-Nefer sehr fraglich ist. Aber für mich ist nur wichtig, dass ich meinen ungeliebten Posten für einen besseren werde eintauschen können.«

Als ob die Herkunft des künftigen Pharaos unwichtig wäre! Amunnacht entstammte selbst einer sehr alten Familie mit ruhmreichen Vorfahren. Schon, dass er sein Haupt vor der Familie der Mentuhoteps hatte beugen müssen, die doch erst in den Wirren der Dunklen Zeit Größe erlangt hatte, war ihn bitter angekommen. Das war für ihn ein weiterer Grund, warum er den Gaufürsten von Men-Nefer unterstützte.

* * *

Beim Regenten löste die Nachricht von der Geburt der Prinzessin nur gelinde Bestürzung aus. Amenemhet hatte die Zeit gut genutzt und überall neue Verbindungen geknüpft. Aber er wusste auch, dass er nicht zu denen gehörte, die sich leicht Freunde machen. Er hatte in den letzten Monden unter den Wachleuten, die für den Schutz der Karawanen und Steinbrüche zuständig waren, etliche Spitzel angeworben, die ihn über die Aktivitäten von Osirisanch und Ptahhotep auf dem Laufenden hielten. Daher war er darüber im Bilde, dass der unterägyptische Gaufürst nicht untätig gewesen war. Um Osirisanch musste er sich jedoch nicht mehr kümmern. Der Oberägypter schien das Rennen um die Nachfolge Mentuhoteps aufgegeben zu haben.

Amenemhet konnte mit der Prophezeiung des Neferti ein schweres Gewicht zu seinen Gunsten in die Waagschale werfen, von dem außer ihm bislang kaum jemand wusste. Er legte die Fingerspitzen unter dem Kinn zusammen und lächelte versonnen.

* * *

Im Haus des Wesirs Ipi war von all diesen Ränkespielen nichts zu spüren. Seine Bewohner trieben friedlich auf den sanft plätschernden Wellen des täglichen Einerleis dahin, denn Ipi brachte seine Sorgen nie mit nach Hause. Er war von Amenemhet zum höchsten Beamten der Beiden Länder ernannt worden, aber er schätzte die Stunden in seinem kunstvoll ausgeschmückten Anwesen zu sehr, um sie mit den Problemen seiner Arbeit zu belasten.

Und so hatte seine jüngste Tochter Sat-Hathor, von allen liebevoll nur Sati gerufen, bislang eine unbeschwerte Kindheit gehabt. Genau genommen waren Satis Eskapaden das Einzige, das den Frieden des Hauses stören konnte. Die Sechsjährige hatte ihren eigenen Willen.

»Sati, Sati! Verflixt, wo steckt das Kind nur wieder?«

Leise kichernd hörte das Mädchen die Rufe der Kinderfrau. Sie hatte sich hinter einem Busch nahe der Gartenmauer verkrochen, denn sie wollte lieber auf dem Markt den Geschichtenerzählern lauschen, als einen weiteren Nachmittag am Webstuhl zu sitzen, bis ihr die Augen tränten. Die Tochter des Wesirs sollte zu einer vorbildlichen Vorsteherin des Haushalts erzogen werden – so sahen es jedenfalls die Eltern, denn sie würde später einmal einen Mann von vornehmem Geblüt heiraten.

Sati aber hatte ganz andere Interessen. Wie aufregend und herrlich waren die Geschichten, denen sie so gern zuhörte! Aus dem Mund der Erzähler drangen Worte, die sich in den Gedanken des Mädchens zu einem farbenfrohen Tuch verwoben, das sie in eine andere Welt entführen konnte, wenn sie es zuließ. Und das tat sie oft.

Nun drückte sie doch das schlechte Gewissen, denn auch ihre Mutter kam in den Garten gelaufen und suchte nach ihr. Sati wusste, dass sie sich immer um sie sorgte, wenn sie verschwand. Und oft hatte sie sich schon die Mahnungen der Eltern anhören müssen, wie gefährlich es für ein kleines Mädchen sei, allein durch die Stadt zu wandern. Ob sie doch lieber umkehrte? Mutter und Kinderfrau verschwanden im Haus, und nun lag der Garten im nachmittäglichen Licht verlassen da. Die Gelegenheit war zu gut, um sie verstreichen zu lassen.

Ihre nackten Füße klatschten auf den staubigen Weg, als sie die Gasse an der elterlichen Grundstücksmauer entlangrannte. Erst als sie in das Gewimmel der kleinen Gässchen des Handwerkerviertels eingebogen war, verlangsamte sie ihre Schritte.

Manche der Frauen, die vor ihrer Haustür Körbe flochten, grüßten das kleine Mädchen freundlich, denn sie kannten sie inzwischen. Hätten sie gewusst, dass sie die Tochter von Ipi, dem Wesir der Beiden Länder war, hätten sie wohl nur den Kopf geschüttelt. Deshalb zog Sati bei ihren Ausflügen auch niemals ihre guten Kleider aus durchscheinendem Leinen an, sondern trug lediglich ein schmuddeliges Lendentuch um die Hüften geknotet. Das Verkleiden und Vorgeben, eine andere zu sein, machte ihre Ausflüge für sie noch spannender und die Geschichten, die sie zu hören bekam, um einiges aufregender.

Jetzt hatte sie den Markt erreicht. Ungesehen drückte sie sich an den Verkaufsständen vorbei und ließ sich schließlich im Schatten einer Mauerecke nieder, wo sie gut genug hören konnte.

Die Märchenerzähler zogen in der Regel von einem Ort zum nächsten, und so war auch an diesem Tag der Mann, der die Geschichte der Rudj-Djedet zum Besten gab, ein Fremder für Sati. Das Märchen aber kannte sie bereits. Sie blieb still sitzen, bis der Mann geendet hatte und mit einem anderen begann.

»Da erhob sich Prinz Chephren und sprach: ›Ich will von einem Wunder erzählen, das sich zur Zeit deines Ahnen Nebka zugetragen hat …‹«

Sati seufzte glücklich und ließ sich von den Worten in eine längst vergangene Zeit tragen. Später zog sie sich an ein ruhiges Plätzchen am Nil zurück und ließ ihre Gedanken schweifen. Das Rauschen des Windes im Schilf war so beruhigend. Es war, als wispere es ihr voll unerfüllter Sehnsucht zu.

Ob es wirklich Zauberer gab, die eine Wachsfigur in ein Krokodil verwandeln konnten? Sie schloss die Augen und glitt unmerklich in den Zustand zwischen Wachen und Schlaf, in dem die unglaublichsten Dinge geschehen können. In Satis Kopf verwoben sich Traum und Wirklichkeit.

Die unsanfte Berührung einer Hand schreckte sie auf.

Sie riss die Augen auf und erblickte einen Mann über sich, viel zu nah. Sie wollte schreien, aber schon hatte sich eine schwielige Pranke über ihren Mund gelegt.

Sati konnte den fauligen Atem ihres Angreifers riechen, sah den Blick unter der niedrigen Stirn glasig vor Begierde werden und ahnte, was der Mann von ihr wollte. Und da schob er auch schon seine andere Hand zwischen ihre Schenkel. Brutale Finger bohrten sich in sie hinein. Sati winselte und strampelte.

»Verfluchtes Aas du, willst du wohl stillhalten«, stieß der Mann zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und zwang ihre Schenkel weit auseinander.

Sati bäumte sich noch einmal auf, bevor der massige Körper sich ganz auf sie senken konnte. Sie winkelte ihr Knie an und stieß es ihm zwischen die Beine.

Abrupt wurde sie losgelassen. Der Mann rollte sich vor Schmerz im Schlick herum und hielt sich die Weichteile.

Sati wartete nicht ab, ob der Kerl sich wieder erholte. Sie sprang auf und rannte, was ihre Beine hergaben. Weit entfernt von der Stelle des Angriffs schlug sie sich ins Uferschilf. Dort hielt sie sich verborgen vor den Menschen, denn sie fühlte sich bis ins Innerste besudelt. Vor ihr glänzte das kühle Wasser so rein und klar. Was hätte sie darum gegeben, tief in die Fluten einzutauchen und all dies wegzuwaschen, mit dem Kopf unterzutauchen, bis auch die hintersten Winkel ihrer Gedanken gereinigt wären von dem Unaussprechlichen, das ihr gerade widerfahren war. Lange wagte sie sich nicht hervor, zu groß war ihre Angst, dass der Mann noch irgendwo lauern könnte.

Später, als die Sonne sich bereits dem Horizont zuneigte, glitt sie vorsichtig ins Wasser. Doch sie konnte sich noch so lange schrubben, bis ihre Haut ganz rot war. Die Erinnerung konnte sie nicht fortspülen.

Es war schon dunkel, als sie endlich nach Hause kam.

»Kind, du bringst mich noch ins Grab«, wurde sie von den Vorwürfen ihrer Mutter begrüßt.

»Was hast du dir nur dabei gedacht, dich so lange draußen herumzutreiben? Hast du eine Ahnung, was dir hätte passieren können«, donnerte ihr sonst so sanfter Vater.

Sati brach in Tränen aus.

»Nicht schimpfen, bitte«, jammerte sie. »Ich will es auch nie wieder tun.« Und dieses Mal meinte sie es auch so.

Am nächsten Tag bat sie ihren Vater darum, Lesen lernen zu dürfen.

Die Eltern hatten gemerkt, dass ihre Jüngste seit dem Vortag sehr verstört war, und so gab Ipi der Bitte seiner Tochter ohne weiteres Schimpfen nach.

3 ~ Von Kriegern und Schreibern

Regierungsjahr 5 von Amenemhet I

Man hörte nur das Schaben des Messers. Dann fiel mit einem dumpfen Geräusch die Jugendlocke des Sesostris auf den gefliesten Boden. Wie jedem Knaben im Alter von dreizehn Überschwemmungen, so wurde auch dem Kronprinzen heute, zu Beginn der Nilschwemme, der geflochtene Seitenzopf abrasiert, der ihn als Kind kenntlich machte und unter den besonderen Schutz des Gottes Horus stellte. Der falkenköpfige Horus war das göttliche Kind von Isis und Osiris.

Feierlich trat Pharao Amenemhet vor und überreichte seinem Sohn die Perücke eines Kriegers. Die Große Königliche Gemahlin Nefertatenen umarmte ihn.

»Mutter, ich bin doch jetzt erwachsen«, protestierte Sesostris.

Die Königin ließ ihn unwillig gehen und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.

Amenemhet umfasste die Schultern seines Sohnes. »Sesostris, nun ist es an der Zeit, deine Ausbildung als mein Nachfolger zu beginnen. Ich benötige dich vor allem im Heer, denn dort gärt es laut meiner Informanten wieder einmal. Darum wirst du morgen in das Haus des Krieges eintreten. Bald schon sollst du als oberster Heerführer die Truppen Ägyptens gegen die Fremdländer führen. Ein müßiges Heer neigt zu Unzufriedenheit. Das wird mir Zeit verschaffen, die Feinde im Palast kaltzustellen.«

Amenemhet seufzte und drückte die Schultern seines Sohnes noch einmal fest. Sesostris aber strahlte, war es doch genau das, worauf er gehofft hatte. Mit Sinuhe hatte er bereits eifrig Pläne geschmiedet, wie sie sich gemeinsam im Haus des Krieges würden bewähren können.

Die vergangenen vier Jahre hatten tiefe Furchen in Amenemhets dunkles Gesicht gegraben. Seine Position als Herr der Beiden Länder war zu keinem Zeitpunkt unangefochten gewesen. Die Prophezeiung des Neferti hatte zwar dazu geführt, dass er die Doppelkrone ergreifen konnte, doch hinter vorgehaltener Hand war von einem verabredeten Spiel die Rede gewesen – zu günstig schienen die letzten Worte des Hohepriesters in Amenemhets Machtpläne zu passen. Nur dem Ansehen des Neferti war es zu verdanken, dass Amenemhet sich gegen seine Gegenspieler hatte durchsetzen können. Doch sicher saß er keineswegs auf dem Thron. Bereits seine Ernennung zum Wesir war vielen Edlen bitter aufgestoßen. Er konnte auf keine vornehme Ahnenreihe zurückblicken, seine Mutter war nicht einmal Ägypterin gewesen. Umso weniger schmeckte es dem alten Adel, nun ihre Knie vor ihm als Pharao zu beugen.

Die neugeborene Tochter des Mentuhotep konnte zwar nicht selbst Pharao werden, das verbot die Maat, aber sie war Trägerin des göttlichen Blutes, und wer sie einmal ehelichte, hatte einen legitimen Anspruch auf die Doppelkrone. Seither versuchten viele Würdenträger, Einfluss auf die Beamten des Frauenhauses zu gewinnen. Amenemhets Spitzel hatten unzählige Geschenke und Botschaften abgefangen, und Durchsuchungen in vornehmen Häusern hatten so manchen ehrgeizigen Höfling zu Fall gebracht.

Einige der hohen Beamten hatte Amenemhet von Mentuhotep übernommen. Er arbeitete schon seit Langem gut mit ihnen zusammen und glaubte sich ihrer Unterstützung sicher. Es hatte seiner Beliebtheit aber nicht gerade genützt, dass er auch neue Gesichter bei Hofe eingeführt und wichtige Posten mit Beamten niedriger Herkunft besetzt hatte. Der Adel protestierte lautstark über die Veränderungen. Die Gaue Oberägyptens standen zwar treu zu Amenemhet, seit Osirisanch auf einen Außenposten tief im Süden verbannt worden war. Ptahhotep von Men-Nefer hingegen war dem Exil durch Flucht zuvorgekommen. Der König hatte den Mann seither vergeblich suchen lassen.

In Unterägypten gärte es seit Amenemhets Thronbesteigung unaufhörlich. Besonders die Ernennung neuer Gaufürsten, die weniger machthungrig waren als ihre Vorgänger, gestaltete sich ausgesprochen schwierig. Oft stellte sich der Neue im Amt als durchtriebener heraus als sein Vorgänger, oder aber der frischgebackene Fürst hatte kurz nach Amtsantritt einen ›bedauerlichen Unfall‹. Die ständigen Kämpfe gegen Schatten, die nicht zu fassen schienen, zermürbten den tatkräftigen Pharao, der sich oft nicht anders zu helfen wusste, als mit aller Härte um sich zu schlagen. Immer wieder flackerten im Delta Revolten auf, die vom Heer brutal erstickt werden mussten. Aber die Soldaten murrten bereits. Keiner von ihnen schlug gern die eigenen Landsleute. Und so hoffte Amenemhet, dass großartige Feldzüge gegen die Libu, das elende Kusch oder die Heqa-Chasut die Situation im Heer beruhigen würden.

* * *

Auch im Haus des Cheti strich an diesem Tag ein Rasiermesser die letzten Spuren der Kindheit fort. Stolze Eltern drückten den sich windenden Sohn mit leiser Wehmut an sich, denn so ist es seit alter Zeit stets gewesen, dass Kinder begierig in den neuen Lebensabschnitt stürmen, wo die Eltern längst wissen, dass nun nichts einfacher wird.

Sinuhe hatte oft am Esstisch davon gesprochen, wie sehr er sich auf die kommende Zeit freue, auf die Ausbildung im Haus des Krieges, auf gemeinsame Heldentaten mit Sesostris. Seine Eltern hatten sich bei diesen Reden stets skeptische Blicke zugeworfen, aber sie wollten ihrem Sohn die letzten Tage unbeschwerter Kindheit erhalten und hatten dazu geschwiegen.

Als nun Cheti umständlich die Perücke hervorholte, die Sinuhe in die Erwachsenenwelt begleiten würde, war es die Haartracht eines Schreibers. Sinuhe sagte zunächst nichts, aber seine Mundwinkel zitterten. Den Eltern entging nicht die Enttäuschung, die sich auf den noch runden Wangen ihres Sohnes abzeichnete, doch diese Entscheidung hatten sie nach reiflicher Überlegung ohne ihn getroffen. Cheti stülpte ihm die dunklen Locken über den kahlen Schädel, und Meret zupfte die Frisur zurecht.

Sinuhe wehrte die Finger seiner Mutter ab. Anklagend hob er den Blick zu seinem Vater.

»Mein Sohn, wir haben dich im Haus des Lebens des Amuntempels eingeschrieben, wo du ab morgen zum Schreiber ausgebildet werden wirst. Halt! Lass dir von mir, einem erfahrenen Mann sagen«, unterbrach Cheti den aufkeimenden Protest, »warum wir diese Laufbahn für die bessere für dich halten. Setz dich.« Er sah Tränen in Sinuhes braunen Augen schimmern, die Unterlippe bebte trotzig, doch der Junge schwieg, wie ihm geheißen. »Warum bist du also als Schreiber am besten dran?

Stell dir vor, du wärest Maurer. Bei jedem Wetter müsstest du fast nackt draußen schuften, die Arme schwer wie Blei und stets krank vom kalten Wind.

Wie erginge es dir als Weber? Da wärest du zwar den ganzen Tag in der Stube, aber deine Knie drückten in deinen Bauch, dass du dich fühltest wie eine Gebärende.« Cheti sah angesichts der plastischen Schilderung ein Grinsen um Sinuhes Mundwinkel zucken. Er fuhr fort: »Da du so oft auf dem Fluss bist, wärest du vielleicht gern Fischer? Dann solltest du dich aber mit Sobek gut stellen.

Der Töpfer dagegen, ja! Er ist bereits unter der Erde, obwohl er noch gar nicht tot ist.

Du denkst, es gebe keinen glorreicheren Beruf als den des Kriegers? Der Soldat, mein Sohn, marschiert den ganzen Tag unter glühender Sonne. Er zieht, wohin man ihn befiehlt. In der Wüste bekommt er nur Sand zu fressen, und am Ende erwartet ihn ein elender Tod.

Merke dir: In jedem Beruf hast du einen Vorgesetzten, nur der Schreiber ist sein eigener Herr. Der Schreiberberuf wird geachtet wie kaum ein Zweiter, und dein Tagwerk ist nicht vergänglich, sondern deine Schriften werden im Haus des Lebens verwahrt für die Ewigkeit. Als Schreiber kannst du Beamter bei Hof werden, wie ich, und hoch hinaufsteigen. Deine Worte können das Ohr des Herrn der Beiden Länder erreichen und du hast ein mehr als gutes Auskommen.

Deine Hände, mein Kind, sind nicht schwielig wie die eines Kriegers. Sie sind schmal und flink, genau richtig für das Führen der Binse. Außerdem solltest du bedenken: Wenn dein Freund Sesostris eines Tages zum Träger der Doppelkrone emporsteigt, wird er unter seinen Beamten einen Vertrauten brauchen, der ihm treu ist.

Ich weiß, dass du enttäuscht bist. Dass dies zunächst eine Trennung von deinem Freund bedeutet. Aber Meret und ich haben uns das gut überlegt. Es ist das Beste für dich.«

* * *

Die Freunde trafen sich an ihrem Lieblingsplatz. In diesem grünen Hain am Ufer des Nils warfen Sykomoren und Dattelpalmen angenehmen Schatten. Das steigende Nilwasser hatte die kleine Anhöhe noch nicht erreicht, und so lag Sesostris bereits bäuchlings im spärlichen Gras, als der Schatten Sinuhes auf ihn fiel.

Er sah auf und rief: »Und ab morgen sind wir also im Haus des Krieges. Ja! Das wird ein Spaß, sage ich dir.« Genießerisch schloss er die Augen. Dann warf er sich herum und zog Sinuhe zu sich herunter. »Du sagst ja gar nichts. Moment … Ist das etwa eine Schreiberperücke?« Lachend zog er an den langen Strähnen. Erst dann bemerkte er die bedrückte Miene seines Freundes. »Erzähl!«

»Ach, mein Vater – er hat mir einen endlosen Vortrag gehalten, warum alle anderen Berufe außer dem des Schreibers so schlecht sind, dass ich nicht zum Krieger tauge, und so weiter, und so fort. Er hat mich im Haus des Lebens eingeschrieben.«

Sinuhe ließ sich neben ihm ins Gras plumpsen und hatte sichtlich Mühe, die Tränen der Enttäuschung zurückzuhalten.