Stadt, Land, Lust - Kathrin Brückmann - E-Book

Stadt, Land, Lust E-Book

Kathrin Brückmann

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Beschreibung

Zehn Geschichten, die Lust machen auf die Stadt, auf das Land, auf das Leben und die Liebe: Geschichten, die zeigen, dass Leben in der Großstadt oder auf dem Lande, im Norden der Republik oder in der Schweiz, gar nicht so sehr unterschiedlich ist. Hier wie dort geht es um die gleichen Dinge: um Liebe und Glück, um die Suche nach Mr. Right und um die Verwirklichung lang gehegter Träume, Wünsche und Sehnsüchte. Die Erzählungen führen nach Hamburg, Berlin, München und Frankfurt, nach Ostwestfalen, Oberbayern und in den Schwarzwald, nach Zürich und Verona. Sie schildern die Schwierigkeiten einer Reporterin in der Provinz, einen Trip durch das Berliner Nachtleben oder die Ängste einer Fleischereifachverkäuferin, sich in einen Vegetarier zu verlieben. »Stadt, Land, Lust« enthält zehn Geschichten der folgenden Autorinnen: Autorinnen: Kathrin Brückmann, Miriam Covi, Ly Fabian, Lara B. Fritz, Susanne Horak, Ivonne Keller, Jana Rauschenbach, Juliane Walker, Kerstin Wiedemann, Tonja Züllig Begeisterte Leserstimmen: »Eine ganz klare Leseempfehlung - perfekt für zwischendurch!« »...klare Leseempfehlung für alle, die gern kleine Schmankerl für Zwischendurch suchen.« »Schöner Mix witziger Liebesgeschichten!« »Stadt, Land, Lust« ist ein eBook von feelings –emotional eBooks*. Mehr von uns ausgewählte romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.de/feelings.ebooks Genieße jede Woche eine neue Liebesgeschichte - wir freuen uns auf Dich!

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Kathrin Brückmann / Miriam Covi / Ly Fabian / Lara B. Fritz / Susanne Horak / Ivonne Keller / Jana Rauschenbach / Juliane Walker / Kerstin Wiedemann / Tonja Züllig

Stadt, Land, Lust

Romantische Geschichten zwischen Alpenrand und Waterkant

Knaur e-books

Über dieses Buch

Zehn Geschichten, die Lust machen auf die Stadt, auf das Land, auf das Leben und die Liebe: Geschichten, die zeigen, dass Leben in der Großstadt oder auf dem Lande, im Norden der Republik oder in der Schweiz, gar nicht so sehr unterschiedlich ist. Hier wie dort geht es um die gleichen Dinge: um Liebe und Glück, um die Suche nach Mr. Right und um die Verwirklichung lang gehegter Träume, Wünsche und Sehnsüchte. Die Erzählungen führen nach Hamburg, Berlin, München und Frankfurt, nach Ostwestfalen, Oberbayern und in den Schwarzwald, nach Zürich und Verona. Sie schildern die Schwierigkeiten einer Reporterin in der Provinz, einen Trip durch das Berliner Nachtleben oder die Ängste einer Fleischereifachverkäuferin, sich in einen Vegetarier zu verlieben.

 

Begeisterte Leserstimmen: »Eine ganz klare Leseempfehlung - perfekt für zwischendurch!« »Schöner Mix witziger Liebesgeschichten!« »[K]lare Leseempfehlung für alle, die gern kleine Schmankerl für Zwischendurch suchen.«

 

»Stadt, Land, Lust« ist ein eBook von feelings – emotional eBooks*.

Mehr von uns ausgewählte romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.de/feelings.ebooks

Inhaltsübersicht

Die LadenhüterinLandei, was dagegen?Beziehungsstatus »Single«Schwarzwald – 100 % promifreiAnkommen in VeronaOhne Frühstück ins BettOma elbaufwärtsNächsten Freitag bei MoShakahariKitsch, lass nach!
[home]

Die Ladenhüterin

Kathrin Brückmann

 

Geht es euch auch so? Monotone Tätigkeiten können bei mir einen Trancezustand auslösen. Die Hände folgen einem festgelegten Ablauf von Bewegungen, während die Gedanken ganz eigene Wege gehen. Und manchmal scheint es auch genau andersherum zu sein. Neulich aber muss ich mit Kopf und Händen in Wolkenkuckucksheim gewesen sein, sonst wäre das alles nicht geschehen.

Aus dem Lager hatte ich die Restposten herausgesucht, die für den Aufsteller Sonderangebote bestimmt waren. Damit sie aus der Buchpreisbindung fallen, muss man sie am unteren Seitenschnitt mit diesem Stempel versehen. Die Bücher standen bereits mit den Schnittflächen nach oben in dem Gestell, und ich legte los: Stempel aufs Kissen drücken, dann auf die Seiten und so weiter – eine monotone Tätigkeit.

»Tschuldige …«

Dieses einfache Wort kam wie aus dem Nichts und ließ mich heftig zusammenfahren. Und schon war es passiert. Fett prangte das Urteil auf meinem Handrücken: preisreduziertes Mängelexemplar.

Hastig drehte ich mich herum. Wem sah ich mich wohl gegenüber? Natürlich meinem personifizierten Beuteschema! Für lange Haare bei Männern hatte ich schon immer eine Schwäche. Selbst der kleine Bauchansatz unter dem schwarzen Shirt ließ meine Knie weich werden. Sofort zwang ich meine wagemutigen Phantasien an die Leine: Meine Adonis-Version war mindestens zehn Jahre jünger als ich.

Sein Blick wanderte von meinem Gesicht zu meiner Hand. Seine Mundwinkel zuckten.

Kennt ihr diese Spruchbänder mit Nachrichten? Eines in der Art lief gerade auf seiner Stirn entlang: Achtung, preisreduziertes Mängelexemplar. Geschenkt ist noch zu teuer.

Natürlich wurde ich rot.

»Äh. Wie kann ich dir helfen?«

Das Du kam ganz automatisch. Mein kleiner Buchladen liegt in Berlin Friedrichshain, und die meisten meiner Kunden sind Studenten.

»Ich … öhm …«

Sein Blick wanderte im Ladenraum herum und blieb an den Zeitschriften neben dem Tresen kleben.

»Haste den Metaller da? Das ist ‘ne Heavy-Metal-Zeitschrift.«

»Nee«, sagte ich. »Ich kann ihn dir aber bestellen.«

»Super!« Er lächelte mich an.

Strahlend blaue Augen, Augenseen, nichts für Nichtschwimmer. Ich drohte bereits zu ertrinken.

»Morgen kannste ihn abholen.«

Er entdeckte den Stapel Visitenkarten neben der Kasse. »Darf ich?«

Ohne meine Antwort abzuwarten, griff er nach der obersten. Ich biss mir auf die Lippen.

»Fee?« Seine Augenbrauen schossen nach oben, und ich grinste schief.

»In ihrer ganzen Pracht«, machte ich einen angedeuteten Knicks.

Er lachte schallend. »Der Name gefällt mir. Er passt zu dir.«

Seine Fröhlichkeit war so ansteckend, dass ich meine Verlegenheit verlor. »Wie die Faust aufs Auge.«

»Quatsch. Ich bin Jonas …« Er machte eine Pause und sah mich mit einem schwer zu deutenden Ausdruck an. »Jonas Prinz. Bis morgen dann.«

Ich blickte ihm noch eine ganze Weile nach, wie er durch den strömenden Regen in Richtung Boxhagener Viertel rannte. Zwischen uns ballten sich die Wolken meiner Komplexe zusammen.

 

Am Nachmittag kam Katja vorbei.

»Na, meine Kleene, wat haste denn? Du kiekst ja wie ‘ne Kuh, wenn‘s blitzt.«

Sie steuerte schnurstracks die Polsterecke im hinteren Teil des Ladens an. Seit ich Sofa und Sessel dort aufgestellt habe, gehört Katja, die resolute Endvierzigerin, zum lebenden Inventar meines Geschäfts.

»Warte, ich mach uns erst mal ein Käffchen«, sagte ich.

Während die Maschine blubberte, glich Katjas Tirade wider das Wetter dem Hintergrundrauschen des steten Regens.

Ich stellte die dampfenden Becher auf dem Tisch ab und zeigte ihr den Stempel auf meinem Handrücken. Dann erzählte ich ihr von der Begegnung mit Jonas.

»Och Feechen, wat du dir wieder allet einbilden tust. Du bist doch en hübschet Mädel.«

Ich sah sie zweifelnd an. »Ach komm, sei ehrlich. Männertechnisch bin ich ein Ladenhüter. Würdest du mich ins Schaufenster stellen? Groß, dick und ungelenk, mich guckt doch keiner zweimal an.«

»Aber nee, det stimmt doch jar nich. Klar biste en bissken rund, aber det steht dir. Du hast so en nettet Jesicht, echt.«

Katjas Worte konnten mich nicht trösten.

Spieglein, Spieglein an der Wand, jeden Tag mich hässlich fand.

»Selbst wenn – Jonas ist gerade mal Ende 20. Ich bin doch viel zu alt für ihn.«

»Na und? Wat macht det heute schon? Wo die Liebe hinfällt …«

»Na, mich verfehlt sie meist«, sagte ich bitter.

 

Am nächsten Morgen schien die Sonne und beleuchtete unbarmherzig einen Pickel auf meiner Stirn. Was heißt Pickel? Es war das Horn von Afrika! Klar, das musste ja passieren.

Habt ihr das auch schon erlebt? Ihr habt etwas Wichtiges vor – Rendezvous, Vorstellungsgespräch –, und genau dann kommen diese Relikte der Pubertät an die Oberfläche und erinnern einen daran, dass man innerlich immer noch das hässliche Ding vom Schulhof ist.

Ich mied den Blick ins Spieglein an der Flurwand, das trotzdem hinter mir herzurufen schien: Ieeh, guckt mal die!

Spieglein war ein Geschenk meiner Mutter zum Einzug in diese Wohnung. Es schien mir stets nur meine unvorteilhafteste Seite zu präsentieren. Warum nur fand ich nicht den Mut, es einfach in eine Schublade zu legen?

Allerdings war auch der Badezimmerspiegel an diesem Tag kaum gnädiger. Hier konnte nur noch die geballte Kraft der Kosmetikindustrie Abhilfe schaffen. Ich tupfte und schmierte und hatte doch mit jeder weiteren Schicht Abdeckstift das Gefühl, den Stirnhöcker zu einem immer größeren Gebirge aufzufalten – eine unübersehbare Barriere zwischen mir und normalen Menschen.

Ausgerechnet heute! Ich erwog Ausreden von Krankheit bis Notfall und ging am Ende doch aus dem Haus – stigmatisiert. Zum Glück hatte ich es nicht weit. Ich drückte mich in den Schatten, den die Zuckerbäckerbauten der Frankfurter Allee warfen, bis ich mich endlich im Innern meines Ladens verbergen konnte.

Den ganzen Vormittag huschte ich mit gesenktem Kopf herum, getraute mich kaum, den Kunden in die Augen zu sehen. Immer, wenn ich allein war, fuhren meine tastenden Finger an die Stirn, ob das Ding schon geschrumpft sei.

Katja war auch keine große Hilfe. »Ach wat, det sieht man kaum.«

Fromme Lüge!

Die Stunden verrannen, und Jonas tauchte nicht auf. Was, wenn er gar nicht käme? Einerseits verspürte ich Erleichterung, aber andererseits … Vielleicht hatte er es einfach vergessen. Würde ich ihn wiedersehen? Ich nahm den Metaller aus dem Regal und presste ihn an meine Brust.

Blöde Kuh! Wieso klopft dein Herz wie verrückt?

Kurz vor Ladenschluss – ich war bereits zu einem Häufchen Selbstmitleid im Schatten des gigantischen Pickels geworden – trat er durch die Tür. Ich hätte ihn beinahe nicht erkannt, denn er hatte sich mit einem Schal bis fast unter die Nasenspitze vermummt.

Meine Melancholie wurde von einem Glücksgefühl hinweggefegt. Trotzig bot ich meinem inneren Schweinehund die Stirn, die gehörnte, und strahlte ihn an. »Hi Jonas. Hier ist dein Metaller.«

Natürlich wanderte sein Blick sofort zu dem Kainsmal, die Augen wurden groß.

»Hallo Fee. Ich … Moment mal.«

Er eilte suchend die Regale entlang, wurde schließlich fündig. Während er zum Tresen zurückging, wickelte er sich umständlich aus dem Schal heraus. Ich hatte nur Augen für den Buchtitel, den er mir präsentierte: Des Knaben Wunderhorn. Na schönen Dank auch.

Dann endlich sah ich, was zuvor verdeckt gewesen war – eine rote Pustel an seinem Kinn. Er grinste verlegen.

 

So hat das damals begonnen.

Jonas kam von nun an immer öfter in meinen kleinen Laden, bestellte Bücher, die er für sein Psychologiestudium benötigte, und hielt sich dabei länger auf als nötig. Längst schon wagte ich mir auszumalen, dass es nicht nur mein grauenhafter Kaffee war, der ihn zu einem Schwätzchen in die Polsterecke lockte.

»Feechen, ick kann det langsam nich mehr sehen«, sagte Katja eines Tages, nachdem Jonas sich verabschiedet hatte.

»Was?«

»Na ihr zwee beede. Mädel, der Jonas schmachtet dir an, aber du scheinst det nich zu kapiern.«

»Quatsch«, sagte ich. Doch mein Herz machte dabei einen kleinen Hüpfer.

»Wenn ick et dir doch sage! Trau dich mal.«

Vielleicht hätte ich Jonas meine Gefühle tatsächlich viel eher gezeigt, wenn da nicht Spieglein gewesen wäre. Sein unbarmherziges Urteil über meine Krähenfüße, den dicken Hintern und den Schwabbelbauch wirkte wie eine kalte Dusche auf den zarten Keim meiner Hoffnung. Ich schluckte schwer.

»Och nee, nu komm mir nich mit dem waidwunden Blick!«, schimpfte Katja.

Nach diesem Gespräch ließ sie sich eine Woche lang nicht blicken.

Ihr werdet euch sicher wundern, aber ich wusste weder, wo sie wohnte, noch kannte ich ihre Telefonnummer; daher konnte ich sie auch nicht fragen, was los sei. Manchmal hat man solche Freundschaften. Sie sind auf einen bestimmten Raum begrenzt, und so war das bei Katja und mir.

Und dann war sie plötzlich wieder da, begrüßte mich mit einer Umarmung, als sei nichts geschehen, und winkte Jonas fröhlich zu.

»Na, ihr beeden Hübschen, kiekt ma, wat ick hier habe.«

Sie legte Karten für ein Konzert im K17 auf das Tischchen.

Kennt ihr den Club in der Pettenkofer Straße? Dort spielen regelmäßig Heavy-Metal-Bands und bieten ein Kontrastprogramm zur Kneipenmeile um die Simon-Dach-Straße, die Touristen und Partygänger anlockt. Mehr was für die Einheimischen also.

»Die hat meen Neffe sich jeholt, aber nu hatt er nen neuen Job und kann nich jehn, weil er Samstag früh raus und malochen muss. Da dacht ick mir, det is wat für Feechen und Jonas.«

Ich fühlte mein Gesicht heiß werden und wusste, dass ich aussah wie ein Feuermelder. Wütend funkelte ich Katja an. Jonas aber schien nicht im Mindesten zu bemerken, welch durchsichtiges Manöver sie abzog.

»Oh, das ist ja super. Klasse!« Er griff nach den Karten. »Ja, äh … Fee? Hätteste denn Lust?«

Endlich löste er den Blick von den Tickets und sah mich an. Erneut spürte ich die Hitze in meine Wangen schießen. Ich konnte nur nicken und grinste dabei wie ein Honigkuchenpferd.

 

Als ich am Freitagabend nach Hause kam, hatte ich mir mein Outfit für das Konzert schon zurechtgelegt: Ein schwarzes Kleid aus T-Shirt-Stoff mit weit schwingendem Rock (kaschiert die dicken Schenkel, Fee!) und eine Silberkette mit großen, unregelmäßig gehämmerten Gliedern. Heavy metal eben. Dazu die Zehnlochstiefel, die ich aus London mitgebracht hatte. Mein hüftlanges Haar ließ ich offen fließen. Im Vorbeigehen streckte ich Spieglein die Zunge heraus und warf mich in meine Lederjacke.

Trotzdem überfiel mich bereits im Treppenhaus wieder die Unsicherheit. War ich zu aufgedonnert? Wirkte das Kleid nicht zu aufgesetzt jugendlich? Würde man mir ansehen, dass ich nicht dazugehörte? Ihr müsst wissen, dass ich zwar oft und gern Metal höre, aber noch nie auf einem Konzert gewesen war. Allein hätte ich nicht gehen wollen, und meine Freunde bevorzugen andere Musik.

Ich fühlte mich also bereits auf dem Weg zum Treffpunkt mit Jonas wie ein Fremdkörper. Just my luck: Nach wenigen Schritten auf den unebenen Gehwegen der kleinen Nebenstraßen begannen die Stiefel, höllisch zu scheuern. Hätte ich sie bloß früher schon eingelaufen! Ich stolperte weiter an den fast durchweg sanierten Altbaufassaden der Rigaer Straße entlang. Nur die besetzten Häuser stachen wie faule Zähne heraus. Genau das liebe ich an meinem Bezirk. Hier gibt es noch Gegenströmungen.

Natürlich war ich zu früh. Wir hatten uns für halb acht verabredet, und es war erst viertel nach sieben. Ich setzte mich auf eine gemauerte Beetumfassung am Straßenrand und kramte verzweifelt in meinem Rucksack herum. Eigentlich hatte ich immer ein Notfallpäckchen mit Tampons, Taschentüchern und so weiter dabei. Vielleicht konnte etwas Zellstoff meinen Fersen Linderung verschaffen? Selbstredend lagen diese Dinge in der anderen Tasche. In diesem Moment sah ich, wie Jonas um die Ecke bog.

Er eilte strahlend auf mich zu und umarmte mich. »Toll siehste aus!«

»Danke.« Ich zögerte. Bequemlichkeit gegen Eitelkeit. »Du hast nicht etwa ein Taschentuch dabei, oder so was?«, fragte ich und deutete auf meine Füße.

»Autsch, das kenne ich«, antwortete er und tastete seine Manteltaschen ab. Schließlich zauberte er eine Packung mit – oh Wunder – Blasenpflastern hervor. Seine eigenen Springerstiefel hatte ihn wohl eine gewisse Voraussicht gelehrt.

»Du bist mein Retter!«

Wenn ihr schon mal auf einem Metal-Konzert wart, wisst ihr sicher, dass dabei meist wenig Romantik aufkommt. Doch die Stimmung war super, und schon bald vergaß ich meine Bedenken, ging ganz in der Musik auf. In der Pause tranken wir Bier, und die Hemmungen fielen immer mehr von mir ab. Die Band setzte zum letzten Song des Abends an, ein schnelles, mitreißendes Stück, und am Ende standen Jonas und ich uns erhitzt gegenüber. Er umfasste mein Gesicht mit seinen Händen – erwähnte ich schon, dass er sehr groß ist? – und zog mich an sich. Unser erster Kuss war wunderschön, zärtlich, aber auch voll Verlangen, das gestillt werden musste. Ich glaubte zu schweben.

In solchen Momenten kann man denken, die Zeit bliebe stehen. Tatsächlich waren aber nur wir stehen geblieben, während der Saal um uns herum immer leerer geworden war. Einige Leute hatten bereits damit begonnen, das Equipment der Band zusammenzupacken. Ich wurde unsanft angerempelt.

»He Alte, schieb deinen fetten Arsch da weg!«

Spiegleins Echo brachte mich unsanft auf den Boden der Tatsachen zurück. Verlegen löste ich mich von Jonas und ging Richtung Tür.

»Was ist? Was hast du auf einmal?«

Ich schüttelte nur den Kopf und deutete auf den Ausgang. Wir holten unsere Jacken von der Garderobe und verließen das K17. Draußen ging ich ein paar Schritte, bis wir von den anderen Gästen weit genug entfernt waren. Ich fühlte mich mutlos. »Jonas, ich bin viel zu alt für dich.«

»Was für ein Blödsinn!«

»Was glaubst du denn, wie alt ich bin?«

»Spielt das eine Rolle? Und wenn du 60 wärst, ich würde dich trotzdem lieben.«

»Warum?«, stammelte ich und konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich fühlte mich hässlich und verbraucht.

Er nahm mich in die Arme. »Zauberfee! Du hast mich vom ersten Moment an verhext. Weißt du, dass ich dich nur nach Wechselgeld fragen wollte, damals? Ich musste dich aber unbedingt wiedersehen, darum habe ich den Metaller bestellt.« Er küsste die Tränen von meinen Wangen. »Mach mich nicht unglücklich, indem du jetzt einen Rückzieher machst. Ich hatte doch kaum zu hoffen gewagt, dass du – so intelligent und witzig, so schön …«

Ein feiner Haarriss zog sich über die glänzende Silberfläche. Spieglein, du kannst mich mal!

 

Die ersten Wochen unserer Beziehung waren wie ein Traum. Katja nannte uns bald nur noch die beeden Mondkälber. Ich hatte Spieglein mit dem Gesicht zur Wand gedreht; jetzt konnte es nur noch unverständlich vor sich hin brabbeln. In Jonas’ Augen sah ich mich ganz neu: schön und begehrenswert.

Aber wie das bei mir so ist: Das Verhängnis ließ nicht lange auf sich warten. Meine Nemesis ertönte eines Abends vom Band des Anrufbeantworters, und dummerweise hörte Jonas mit.

»Kind, du hast lange nichts von dir hören lassen. Ich rufe an, weil wir nächsten Monat zu Tante Marthas Geburtstag nach Leipzig fahren. Du wirst doch nicht wieder vergessen zu gratulieren? Du weißt, dass das auf mich zurückfällt. Wir werden am Sonntag über Berlin zurückfahren und bei dir nach dem Rechten sehen.« Piep.

Unglücklich sah ich zu Boden und wünschte, ich hätte es nicht gehört. Der vorwurfsvolle Tonfall schien wie eine Wolke um den AB zu wabern.

Ich fühlte Jonas’ prüfenden Blick auf mich gerichtet. »Was war das denn?«

»Meine Mutter. Helgrun.«

»Das war mir irgendwie klar«, feixte er. »Ich fand die Nachricht nur etwas … sonderbar. Du nennst sie Helgrun? Warum?«

Weil ich das mutterlose Produkt einer unbefleckten Geburt bin. Weil sie Hell-grun ist, meine ganz persönliche Hölle.

»Das war damals modern, antiautoritär und so«, antwortete ich ausweichend.

»Ah.« Wieder dieser nachdenkliche Blick.

Kennt ihr das, wenn ihr euch wie entkleidet fühlt, wie eine Nacktschnecke auf dem Seziertisch? Jonas’ Blick hatte diese Wirkung auf mich. Dabei war es genau das, was ich vermeiden wollte: Dass er die Fee sah, die Helgrun geschaffen hatte. Den unglücklichen Klumpen, hässlich und schleimig.

Spieglein, Spieglein an der Wand, wieder viel zu sagen fand.

 

Helgruns Besuch rückte näher. Wir hatten nicht mehr darüber gesprochen, und ich hatte mich bemüht, die mich umgebende dunkle Wolke zu verdrängen.

»Was meinst du, soll ich am Sonntag lieber das Shirt ohne Aufdruck tragen?«

Jonas’ Frage traf mich wie ein Blitz. »Wie meinst du das? Zu welchem Anlass?«

»Na, deine Mutter.«

»Nein. Du willst sie nicht kennenlernen. Du willst es wirklich nicht.«

Jonas hob mein Kinn und zwang mich, ihn anzusehen. »Doch Süße, ich weiß, dass ich es will.«

»Aber ich will es nicht!«

An diesem Tag stritten wir uns zum ersten Mal. Ich konnte Jonas nicht begreiflich machen, warum ich ihn auf keinen Fall meiner Mutter vorstellen wollte, wusste ich doch, dass dies das Ende unserer Beziehung wäre. So war es schließlich jedes Mal gewesen. Ich schrak davor zurück, ihm von meiner unglücklichen Kindheit zu erzählen, denn würde er mich dann nicht mit anderen Augen sehen, mit Helgruns Augen? Ich hatte mir geschworen, wenn ich je den Mann fürs Leben fände, dürfe sie ihm niemals begegnen.

Ich suchte Rat bei Katja.

Sie legte nachdenklich den Kopf schief. »Weißte, Kleene, vielleicht is det nich det Schlechtste. Dann liejen de Karten uffm Tisch.«

»Du verstehst das nicht. Sie wird …« Erneut kamen die Worte nicht über meine Lippen. »Ich weiß einfach, dass er mich danach verlassen wird. Helgrun hat noch jeden meiner Freunde vergrault.«

»Na, dit muss ja’n Wundertier sein, deene Helgrun. Vielleicht bringste se mal mit her, dann könnt ick ihr auch wat verzählen.«

 

Der Ton der Klingel glich den Alarmglocken in meinem Kopf. Ich brauchte eine ganze Weile, um meine Gesichtszüge zu dem unterwürfigen Lächeln zu sortieren, das zu Helgruns Besuchen gehörte. Im letzten Moment drehte ich Spieglein herum. Das fehlte noch, dass sie dazu ihre spitzen Bemerkungen machte!

Und dann traten sie ein, Helgrun und das Nachtschattengewächs, ihr zweiter Mann. Sie musterte mich über den Rand ihrer Brille hinweg. Als Jonas dazukam, stellte ich ihn vor.

Sofort stürzte sich Helgruns prüfender Blick auf ihn, taxierte ihn unbarmherzig, nur um gleich darauf wieder zu mir zu wandern. Die Lippen verzogen sich zu einem süßlichen Lächeln. »Kind! Dass du noch lebst. Wir haben ja so lange nichts von dir gehört!«

Ich überging den Vorwurf geflissentlich. »Hattet ihr eine gute Fahrt?«

Nun standen sie im Wohnzimmer. Manchmal weiß man genau, was als Nächstes passiert. Wie bei einem Theaterstück, das man schon auswendig kennt.

»Also wirklich, Fee, ich hatte gehofft, du hättest ein bisschen abgenommen. Bei so dicken Beinen solltest du wirklich keine Röcke tragen.« Sie sah Jonas an, und ein neckisches Lächeln huschte über ihre Lippen. »Findest du nicht auch, Jonas? Solche Stampfer sollte man besser verstecken.«

Der hässliche kleine Klumpen Fee wurde noch kleiner und hässlicher. Ich fing Jonas’ Blick auf. Er zog mich aus dem Sumpf, in dem ich zu versinken drohte, und zum ersten Mal in meinem Leben wagte ich Widerworte, heftig und laut: »Was soll das, Helgrun? Warum machst du mich immer vor anderen schlecht?«