Wir leben im Verborgenen - Ceija Stojka - E-Book

Wir leben im Verborgenen E-Book

Ceija Stojka

4,9

Beschreibung

Als 1988 der erste Teil von Ceija Stojkas Erinnerungen erschien, läuteten das Buch und die charismatische Präsenz der Autorin eine neue Ära in der Geschichte der Roma und Sinti ein, deren Leiden - nicht nur - im Nationalsozialismus nicht länger hinter der Fassade einer künstlichen Romantik vertuscht werden konnten. Als Erste wagte sich Ceija Stojka aus dem Verborgenen hervor und tat nichts weiter als erzählen - mit großer Wirkung, etwa der Anerkennung der Roma und Sinti als österreichische Volksgruppe. Ceija Stojkas Erinnerungen aus den beiden Büchern "Wir leben im Verborgenen" und "Reisende auf dieser Welt" sind nun hier erstmals zusammengefasst und erzählen von der Kindheit in der Zeit der Pferdewagen, von der Verfolgung und dem Überleben in den Konzentrationslagern und von den Versuchen, in der Nachkriegswelt Fuß zu fassen, die neuerlich keinen Platz für Roma und Sinti vorgesehen hatte. Stojkas Erinnerungen werden durch Gespräche mit Karin Berger ergänzt, die auch in einem berührenden Essay aus der Welt Ceija -Stojkas nach ihrem Schritt ins Rampenlicht erzählt.

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Ceija Stojka

Wir leben im Verborgenen

Die wissenschaftlichen Vorarbeiten für dieses Buch wurden von der Kulturabteilung der Statd Wien, Wissenschafts- und Forschungsförderung, sowie vom Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus unterstützt.

Mit freundlicher Unterstützung des Zukunftsfonds der Republik Österreich

Copyright © 2013 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien Alle Rechte vorbehalten Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien Umschlagabbildung: © Franziska Helmreich Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien ISBN 978-3-7117-5163-8 Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt

Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unterwww.picus.at

CEIJA STOJKA

Wir leben im Verborgenen

AUFZEICHNUNGEN EINER ROMNI ZWISCHEN DEN WELTEN

HERAUSGEGEBEN UND MIT EINEM ESSAY VON KARIN BERGER

PICUS VERLAG WIEN

VORWORT

In ihrem erstmals 1988 erschienen Buch »Wir leben im Verborgenen« beschrieb Ceija Stojka ihre Erfahrungen als Kind in den Konzentrations- und Vernichtungslagern Auschwitz-Birkenau, Ravensbrück und Bergen-Belsen. Ihre Aufzeichnungen waren in Österreich die ersten Erinnerungen einer Romni an die Verfolgung im Nationalsozialismus. Dieses Buch wirkte wie ein Initialfunke in einer gesellschaftlichen Situation, in der sich ein Teil der österreichischen Bevölkerung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus zu konfrontieren begann. Die Affäre Waldheim im Jahr 1986 hatte die Beteiligung von Wehrmachtsangehörigen an rassistischer Verfolgung ans Licht gebracht und die Diskussion um die NS-Vergangenheit angestoßen. Die Geschichte der Roma und Sinti war zu diesem Zeitpunkt vom öffentlichen Erinnern noch weitgehend ausgeschlossen.

Ceija Stojkas Buch war ein mutiger Schritt nach außen. Roma und Sinti hatten sich nach 1945 zurückgezogen, die Angst vor weiterer Verfolgung und Diskriminierung saß tief. Nach diesem Buch aber fassten viele Mut, ihre Identität zu zeigen und ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Verschiedene Vereine entstanden und 1993 wurden Roma und Sinti als eigene Volksgruppe anerkannt.

In ihrem zweiten Band »Reisende auf dieser Welt« (1992) erzählte Ceija Stojka aus ihrem Leben als junge Frau nach 1945, vom erneuten Reisen, vom Hausieren mit Stoffen und dem Handel mit Teppichen, von ihrer Situation als alleinerziehende Mutter ihrer drei Kinder und von ihrer Liebe zur Musik. Auch dieses Buch ist nicht nur ein Zeugnis individuellen Erinnerns, sondern spiegelt die gesellschaftliche Situation, mit der Roma und Sinti in den Jahrzehnten nach 1945 konfrontiert waren, wieder.

Zum 80. Geburtstag Ceija Stojkas erscheinen nun in dieser hier vorliegenden neuen Auflage ihre ersten beiden Bücher in überarbeiteter Form. Die von ihr verfassten Erinnerungen sind in einem ersten Teil zusammengefasst, in einem zweiten finden sich die Gespräche, die ich als Herausgeberin für jeden der beiden Bände mit ihr führte. Neu hinzugekommen ist in einem dritten Teil der Essay »Reisen in die Kaiserstraße – Begegnung zwischen den Welten«, in dem ich als Wegbegleiterin und Freundin Ceija Stojkas die Entwicklung seit dem Erscheinen des ersten Buches beschreibe. Zum einen werfe ich einen Blick auf viele Erlebnisse in einer mir bis dahin unbekannten Lebenswelt. Zum anderen widme ich mich der Wahrnehmung von Roma und Sinti in unserer Gesellschaft und den auf sie bezogenen politischen und kulturellen Veränderungen in dieser Zeit.

Bei Erscheinen des ersten Buches im Jahr 1988 war die Bezeichnung »Zigeuner« noch allgemein gebräuchlich, erst allmählich begann man von »Roma und Sinti« zu sprechen. In dieser neuen Ausgabe wird der Begriff »Zigeuner« dort beibehalten, wo dies in zeitgeschichtlichen und inhaltlichen Zusammenhängen sinnvoll erscheint und »Roma und Sinti« verfälschend gewirkt hätte.

Die Orthografie der in Romanes-Sprache verfassten Sätze hatte ich in den Erstausgaben gemeinsam mit Ceija nach ihrer phonetischen Realisierung gestaltet. Trotz nun bereits entstandener Schreibregeln folgte ich für die neue Ausgabe dem Rat des Linguisten Dieter Halwachs, diesen Schreibstil grundsätzlich beizubehalten. Er fügte lediglich fehlende Segmentierungen von Wörtern ein. Vielen Dank! Die beiden Gedichte im Buch sind Aufzeichnungen aus spontanen mündlichen Erzählungen Ceija Stojkas, die eigentlich nicht als Gedicht gedacht waren. »Auschwitz ist mein Mantel« wurde von Christa Stippinger, Leiterin des Kulturzentrums Exil in Wien, während eines Gespräches aufgezeichnet, »Ich habe die Freiheit« stammt aus meinem Film »Ceija Stojka – Porträt einer Romni«, in dem Ceija zu einem von ihr gemalten Selbstporträt spricht. Ich danke dem Linguisten Mozes Heinschink für die schriftliche Notierung in Romanes und seine Übersetzung ins Deutsche.

Im Öffnungsprozess der Roma und Sinti spielte Ceija Stojka die Rolle einer prominenten Zeitzeugin und Vermittlerin ihrer Kultur, sei es durch ihre schriftlichen Aufzeichnungen, durch viele Auftritte im In- und Ausland oder durch ihre Bilder und Zeichnungen, in denen sie sowohl die Konzentrationslager als auch die Zeiten des Reisens thematisierte. Für ihr engagiertes, jahrzehntelanges Bemühen hat sie viele Auszeichnungen erhalten, eine der wichtigsten war die Verleihung des Berufstitels Professorin durch das Ministerium für Unterricht, Kunst und Kultur.

Ihrem Erzählen hörten unzählige Menschen zu, vor allem auch viele Kinder und Jugendliche in Schulen. Dass ihr so viele zuhörten, lag daran, dass sie ihr Erinnern nicht an Hass und Vorwurf orientierte, sondern am genauen Berichten von dem, was geschehen war. Ihre Worte und ihre Persönlichkeit haben bei vielen Menschen Sichtweisen verändert, haben einen Anstoß gegeben, neues Wissen aufzunehmen und Vorurteile abzubauen.

Ich hoffe, dass Ceija Stojkas Engagement Bewusstsein verändert hat, dass die Weitergabe ihrer Erfahrungen langfristig wirkt. Wir wissen es nicht genau, aber vielleicht hat ihr Erzählen rassistische Ressentiments vermindert. Vielleicht hat es bewirkt, dass Empörung und Zivilcourage mehr Platz in unserem Alltag finden. Das würde ich mir wünschen.

Wien, im Jänner 2013 Karin Berger

AUSCHWITZ IST MEIN MANTEL

du hast angst vor der finsternis? ich sage dir: wo der weg menschenleer ist, brauchst du dich nicht zu fürchten.

ich habe keine angst. meine angst ist in auschwitz geblieben und in den lagern.

auschwitz ist mein mantel, bergen-belsen mein kleid und ravensbrück mein unterhemd.

wovor soll ich mich fürchten?

Ist das die ganze Welt?

1939 fuhren wir Rom noch mit Wagen und Pferden frei in Österreich herum. Meine Mutter war damals zweiunddreißig Jahre alt, mein Vater ebenfalls. Wir waren sechs Kinder, die älteste Schwester, Mitzi, war gerade vierzehn, dann kamen meine Schwester Kathi mit zwölf Jahren, meine beiden Brüder Hansi mit elf und Karli mit acht, unser Nesthäkchen Ossi mit sieben und ich selbst, Ceija, mit sechs Jahren. Wir liebten unsere Eltern, und unter uns Geschwistern war das ebenfalls so. Natürlich mussten wir auch, wo immer wir waren, die Schule besuchen. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Schultag, mein Vater Wackar brachte mich dahin. Ich war mächtig stolz.

Wir waren damals, 1939, irgendwo in der Steiermark, als meine Leute erfuhren, dass wir nicht mehr umherreisen dürften. Es wurde immer schlimmer für uns, bis mein Vater den Entschluss fasste, nach Wien zu gehen. Er sagte, dass er in Wien einen guten Bekannten habe, einen Fuhrwerksunternehmer, mit einem großen Platz. Vielleicht könnten wir unsere Wohnwagen bei ihm einstellen und dort eine Zeit lang leben. Und so ging es nach Wien, in den sechzehnten Bezirk, in die Paletzgasse zu Herrn Sprach. Dieser Mann nahm uns herzlich auf, doch er sagte zu meinem Vater: »Karl, der Wohnwagen ist zu auffällig, du musst ihn in ein kleines Holzhaus umbauen.« So geschah es dann auch. Wir Kinder kamen wieder in die Schule, meine älteste Schwester Mitzi in eine Papierfabrik. Ossi, der Kleinste, blieb noch bei meiner Mutter Sidi. In diesem großen Hof lebte noch das Ehepaar Brösel in einem kleinen Haus. Sie hatten keine Kinder, aber sie hatten uns sehr lieb. Sie züchteten Hasen, und oft durften Ossi und ich mit Frau Brösel zum Hanselteich, um Gras für die Hasen zu rupfen. Nach der Arbeit gab es dann immer eine gute Jause.

Gleich neben unserem Hof war das schöne Kongressbad, wo wir Kinder uns sehr viel aufhielten, und in der Paletzgasse gab es einen neuen Gemeindebau, der wegen seiner roten Farbe von den Bewohnern Paprikakistl genannt wurde. In diesem Neubau wohnte die Patin meiner Schwester Kathi. Wir nannten sie Gusti-Godl. Sie war einfach ein Sonnenschein. Sie versteckte uns vor den Nazis, wann immer sie die Möglichkeit dazu hatte.

Gusti, der Bruder meines Vaters, besuchte uns mit seiner Familie, auch er hatte drei Kinder. In dieser schlimmen Zeit versuchten unsere Familien, dicht beisammen zu bleiben. Aber wir hatten keine Chance. Ich erinnere mich noch genau, wie wir mit unseren Cousins das letzte Mal spielten. Sie wurden nie wieder gesehen. Eine ganze Familie war verschwunden, und bis heute weiß keiner, was mit ihnen geschehen ist.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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