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Wolfskrieg E-Book

Bernard Cornwell

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Beschreibung

Ich werde Feuer und Schwert durchs Land tragen, und Rache wird mein einziger Trost sein Ein Hilferuf aus Mercien erreicht den Krieger Uhtred. Er soll einer belagerten Stadt zur Hilfe kommen. Doch der Notruf war nur eine List, um ihn aus Northumbrien fortzulocken. Dort fällt in Uhtreds Abwesenheit ein furchtbarer Gegner ein: der Nordmann Sköll Grimmarson, an seiner Seite ein gefürchteter Zauber und sein Heer von Úlfhéðnar, Wolfskriegern, die vor nichts zurückschrecken. Der Feind nimmt Uhtred das Liebste, was er hat, und der Schmerz bringt ihn fast um. Doch wer Rache will, muss kühl und klug sein…

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Bernard Cornwell

Wolfskrieg

Historischer Roman

 

 

Aus dem Englischen von Karolina Fell

 

Über dieses Buch

Ich werde Feuer und Schwert durchs Land tragen, und Rache wird mein einziger Trost sein.

 

Ein Hilferuf aus Mercien erreicht den Krieger Uhtred. Er soll einer belagerten Stadt zu Hilfe kommen. Doch der Notruf war nur eine List, um ihn aus Northumbrien fortzulocken. Dort fällt in Uhtreds Abwesenheit ein furchtbarer Gegner ein: der Nordmann Sköll Grimmarson, an seiner Seite ein gefürchteter Zauberer und sein Heer von Úlfhéðnar, Wolfskriegern, die vor nichts zurückschrecken. Der Feind nimmt Uhtred das Liebste, was er hat, und der Schmerz bringt ihn fast um. Doch wer Rache will, muss kühl und klug sein …

Vita

Bernard Cornwell, geboren 1944 in London und aufgewachsen in Essex, arbeitete nach seinem Geschichtsstudium an der University of London lange als Journalist bei der BBC, wo er das Handwerk der gründlichen Recherche lernte (zuletzt als «Head of Current Affairs» in Nordirland). 1980 heiratete er eine Amerikanerin und lebt seither überwiegend in den USA. Weil er dort keine Arbeitserlaubnis bekam, verwirklichte er seinen langgehegten Wunsch, Bücher zu schreiben. Im englischen Sprachraum gilt er als unangefochtener König des historischen Abenteuerromans.

Seine Werke wurden in über 20 Sprachen übersetzt; Gesamtauflage: mehr als 20 Millionen Exemplare. Die Queen zeichnete ihn mit dem «Order of the British Empire» aus.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel «War of the Wolf» bei HarperCollins Publishers, London.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg bei Reinbek, Mai 2019

Copyright © 2019 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg bei Reinbek

«War of the Wolf» Copyright © 2018 by Bernard Cornwell

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Redaktion Jan Möller

Karte Peter Palm, Berlin

Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt, nach der Originalausgabe von HarperCollins UK

Umschlagabbildung www.collaborationJS.com

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN Printausgabe 978-3-499-27652-1 (1. Auflage 2019)

ISBN E-Book 978-3-644-40649-0

www.rowohlt.de

Wolfskrieg

ist dem Andenken an

Toby Eady

gewidmet,

meinen Agenten und hochgeschätzten Freund.

1941–2017

Ortsnamen

Die Schreibung der Ortsnamen im Britannien des neunten und zehnten Jahrhunderts war eine unsichere und regellose Angelegenheit, in der nicht einmal über die Namen selbst Übereinstimmung herrschte. London etwa wurde abwechselnd als Lundonia, Lundenberg, Lundenne, Lundene, Lundenwic, Lundenceaster und Lundres bezeichnet. Zweifellos hätten manche Leser andere Varianten der Namen vorgezogen, die unten aufgelistet sind, doch ich habe mich in den meisten Fällen nach den Schreibungen gerichtet, die entweder im Oxford Dictionary of English Place-Names oder im Cambridge Dictionary of English Place-Names für die Jahre um die Herrschaft Alfreds von 871 bis 899 zu finden sind. Doch selbst diese Lösung ist nicht narrensicher. So wird die Insel Hayling im Jahr 956 sowohl Heilincigae als auch Hæglingaiggæ geschrieben. Auch bin ich selbst nicht immer konsequent geblieben; ich habe die moderne Bezeichnung Northumbrien dem älteren Norðhymbralond vorgezogen, weil ich den Eindruck vermeiden wollte, dass die Grenzen des alten Königreiches mit denjenigen des modernen Countys identisch sind. Aus all diesen Gründen folgt die unten stehende Liste ebenso unberechenbaren Regeln wie die Schreibung der Ortsnamen selbst.

Bebbanburg

Bamburgh Castle, Northumberland

Berewic

Berwick-upon-Tweed, Northumberland

Brunanburh

Bromborough, Cheshire

Cair Ligualid

Carlisle, Cumberland

Ceaster

Chester, Cheshire

Cent

Kent

Contwaraburg

Canterbury, Kent

Dunholm

Durham, County Durham

Dyflin

Dublin, Irland

Eoferwic

sächsischer Name für York, Yorkshire

Fagranforda

Fairford, Gloucestershire

Farnea Islands

Farne-Inseln, Northumberland

Gleawecestre

Gloucester, Gloucestershire

Heagostealdes

Hexham, Northumberland

Heahburh

erfundener Name für Whitley Castle, Alston, Cumberland

Hedene

Fluss Eden, Cumberland

Huntandun

Huntingdon, Cambridgeshire

Hwite

Whitchurch, Shropshire

Irthinam

Fluss Irthing

Jorvik

dänischer/norwegischer Name für York, Yorkshire

Lindcolne

Lincoln, Lincolnshire

Lindisfarena

Heilige Insel Lindisfarne, Northumberland

Lundene

London

Mædlak

Fluss Medlock, Lancashire

Mærse

Fluss Mersey

Mameceaster

Manchester

Monez

Anglesey, Wales

Ribbel

Fluss Ribble, Lancashire

Ribelcastre

Ribchester, Lancashire

Snæland

Island

Spura

erfundener Name für das Römerkastell Birdoswald, Cumberland

Sumorsæte

Somerset

Tamweorthin

Tamworth, Staffordshire

Temes

Fluss Themse

Tine

Fluss Tyne

Usa

Fluss Ouse, Yorkshire

Wevere

Fluss Weaver, Cheshire

Wiltunscir

Wiltshire

Wintanceaster

Winchester, Hampshire

Wirhealum

Halbinsel Wirral, Cheshire

Erster TeilDie wilden Lande

Eins

Ich ging nicht zu Æthelflæds Bestattung.

Sie wurde in Gleawecestre in derselben Gruft wie ihr Ehemann beigesetzt, den sie gehasst hatte.

Ihr Bruder, König Edward von Wessex, war der ranghöchste Leidtragende und blieb in Gleawecestre, nachdem die Bestattungszeremonie vorbei und Æthelflæds Leichnam eingemauert worden war. Über dem Palast wurde die seltsame Flagge seiner Schwester mit der heiligen Gans eingeholt und stattdessen der Drache von Wessex gehisst. Die Botschaft hätte nicht deutlicher sein können. Mercien existierte nicht mehr. In allen britischen Ländern südlich Northumbriens und östlich von Wales gab es nur noch ein einziges Königreich und einen einzigen König. Edward forderte mich mit einer Vorladung auf, nach Gleawecestre zu reisen und ihm den Lehnseid für die Ländereien zu leisten, die ich im einstigen Mercien besaß, und in diesem Dokument folgten auf seinen Namen die Worte Anglorum Saxonum Rex. König der Angeln und der Sachsen. Ich reagierte nicht auf das Schreiben.

Im Laufe des Jahres erreichte mich ein zweites, dieses war in Wintanceaster unterschrieben und versiegelt worden. Durch die Gnade Gottes, so erklärte es, seien die Ländereien, die mir durch Æthelflæd von Mercien zugestanden worden waren, nun an das Bistum von Hereford gefallen, das, wie mir das Pergament beteuerte, die besagten Ländereien zur Mehrung des göttlichen Ruhmes einsetzen werde. «Was bedeutet, dass Bischof Wulfheard mehr Silber für seine Huren ausgeben kann», erklärte ich Eadith.

«Wärst du vielleicht doch besser nach Gleawecestre gegangen?», gab sie zu bedenken.

«Um Edward Gefolgschaft zu schwören?», stieß ich verächtlich aus. «Niemals. Ich brauche Wessex nicht, und Wessex braucht mich nicht.»

«Und was wirst du wegen der Besitzungen unternehmen?»

«Nichts», sagte ich. Was konnte ich schon tun? Gegen Wessex in den Krieg ziehen? Es ärgerte mich, dass Bischof Wulfheard, ein alter Gegner, den Grundbesitz an sich gebracht hatte, aber ich brauchte keine mercischen Ländereien. Ich besaß Bebbanburg. Ich war ein northumbrischer Herr, und ich hatte alles, was ich wollte. «Warum sollte ich irgendetwas unternehmen?», knurrte ich Eadith an. «Ich bin alt und brauche keine Scherereien.»

«Du bist nicht alt», sagte sie treu ergeben.

«Ich bin alt», beharrte ich. Ich war über sechzig, ich war uralt.

«Du siehst nicht alt aus.»

«Wulfheard soll seine Huren bespringen und mich in Frieden sterben lassen. Es kümmert mich nicht, wenn ich Wessex oder Mercien niemals wiedersehe.»

Und doch war ich ein Jahr später in Mercien, saß auf Tintreg, meinem feurigsten Hengst, hatte Helm und Rüstung angelegt, und Schlangenhauch, mein Schwert, hing an meiner linken Hüfte. Roric, mein Diener, trug meinen schweren Schild mit dem Eisenrand, und hinter uns sammelten sich neunzig Mann, alle bewaffnet und alle auf Schlachtrössern.

«Lieber Herr Jesus», sagte Finan neben mir. Er ließ seinen Blick auf dem Gegner im Tal unter uns ruhen. «Vierhundert von den Bastarden?» Er hielt inne. «Wenigstens vierhundert. Vielleicht fünfhundert?»

Ich sagte nichts.

Es war an einem Spätnachmittag im Winter und bitterkalt. Der Atem unserer Pferde zog wie Nebel zwischen den kahlen Bäumen hindurch, die auf der sanften Kuppe standen, von der aus wir unseren Gegner beobachteten. Die sinkende Sonne wurde von Wolken verdeckt, was bedeutete, dass kein verräterisches Licht von unseren Rüstungen oder Waffen zurückgeworfen werden konnte. Westlich von mir verbreiterte sich der Fluss Dee flach und grau Richtung Meer. In der Senke vor uns stand der Gegner, und hinter ihm lag Ceaster.

«Fünfhundert», entschied Finan.

«Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Ort noch einmal wiedersehe», sagte ich. «Wollte ihn auch niemals wiedersehen.»

«Sie haben die Brücke zerstört», sagte Finan, während er Richtung Süden spähte.

«Hättest du das an ihrer Stelle nicht getan?»

Der Ort war Ceaster, und unsere Gegner belagerten die Stadt. Die meisten dieser Gegner standen östlich von ihr, doch qualmende Lagerfeuer verrieten, dass auch im Norden viele waren. Der Fluss Dee verlief dicht an der südlichen Stadtmauer vorbei, dahinter wandte er sich nordwärts zu der breiten Mündung, und durch die Zerstörung des mittleren Bogens der alten Römerbrücke hatte der Gegner dafür gesorgt, dass keine Unterstützungstruppen von Süden kommen konnten. Falls sich die kleine Garnison der Stadt aus dieser Falle herauskämpfen wollte, würde die Unterstützung von Norden oder Osten kommen müssen, wo der Gegner am stärksten war. Und die Garnison war klein. Man hatte mir erklärt, auch wenn es nur eine Schätzung war, die Stadt werde von weniger als hundert Mann verteidigt.

Finan mussten dieselben Gedanken durch den Kopf gegangen sein. «Und fünfhundert Mann konnten die Stadt nicht einnehmen?», sagte er verächtlich.

«Wohl eher sechshundert», gab ich milde zurück. Es war schwierig, den Gegner einzuschätzen, denn in seinem Lager waren viele Frauen und Kinder, dennoch hielt ich Finans Schätzung für zu niedrig. Tintreg senkte den Kopf und schnaubte. Ich klopfte ihm auf den Hals, dann berührte ich Schlangenhauchs Heft, damit es mir Glück brachte. «Ich würde diese Stadtmauer nicht stürmen wollen», sagte ich. Ceasters Stadtmauer war von den Römern gebaut worden, und die Römer hatten gut gebaut. Und die kleine Garnison der Stadt hatte anscheinend eine gute Führung. Sie hatten die ersten Angriffe zurückgeschlagen, und deshalb hatten die Gegner ein Lager errichtet, um die Stadt auszuhungern.

«Also, was tun wir?», fragte Finan.

«Nun, wir haben einen weiten Weg hierher gehabt», sagte ich.

«Und?»

«Und deshalb wäre es eine Schande, nicht zu kämpfen.» Ich betrachtete die Stadt. «Wenn es stimmt, was man uns erzählt hat, fressen die armen Bastarde in der Stadt inzwischen Ratten. Und dieser Haufen da?» Ich nickte in Richtung der Lagerfeuer. «Sie frieren, sie langweilen sich, und sie waren schon zu lange hier. Sie sind bei ihrem Angriff auf die Stadtmauer blutig abgewehrt worden, deshalb warten sie jetzt einfach nur ab.»

Ich konnte die massiven Sperren erkennen, die von den Belagerern vor dem nördlichen und dem östlichen Stadttor Ceasters aufgerichtet worden waren. Diese Barrikaden wurden gewiss von den besten Einheiten des Gegners überwacht, um einen Ausfall oder einen Ausbruch der Garnison zu verhindern. «Sie frieren», sagte ich wieder, «sie langweilen sich, und sie sind unnütz.»

Finan lächelte. «Sie sind unnütz?»

«Die meisten stammen aus dem Fyrd», sagte ich. Der Fyrd ist ein Heer, das aus Feldarbeitern, Schäfern, einfachen Männern aufgestellt wird. Sie mögen tapfer sein, aber ein geübter Hauskrieger, wie die neunzig in meinem Gefolge, war weitaus todbringender. «Unnütz», wiederholte ich, «und dumm.»

«Dumm?», fragte Berg, der hinter mir auf seinem Hengst saß.

«Haben keine Späher hier oben! Sie hätten uns nie so nahe herankommen lassen dürfen. Sie haben keine Ahnung davon, dass wir hier sind. Und Dummheit ist tödlich.»

«Mir gefällt es, dass sie dumm sind», sagte Berg. Er war ein junger Norweger, jung und hitzig, und er fürchtete sich vor nichts außer der Missbilligung seiner jungen sächsischen Frau.

«Noch drei Stunden bis zum Sonnenuntergang», sagte Finan.

«Lasst sie uns nicht vergeuden.»

Ich ließ Tintreg umdrehen und durch den Wald zu der Straße reiten, die von der Furt durch die Mærse nach Ceaster führte. Die Straße ließ Erinnerungen an den Ritt zu der Auseinandersetzung mit Ragnar aufsteigen und an Hæstens Tod, und nun führte mich diese Straße zu einem weiteren Kampf.

Allerdings wirkten wir keineswegs bedrohlich, als wir den langen, sanften Abhang hinabritten. Wir zeigten keine Eile. Wir gaben uns den Anschein von Männern, die einen weiten Weg hinter sich hatten, was auch zutraf, und wir behielten unsere Schwerter in den Scheiden, und unsere Speere lagen gebündelt auf den Packpferden, die von unseren Dienern geführt wurden. Der Gegner musste uns gleich erblickt haben, kaum dass wir aus dem bewaldeten Hügelkamm auftauchten, doch wir waren wenige, und sie waren viele, und unser gemächliches Heranreiten ließ vermuten, dass wir in Frieden kamen. Die hohe Stadtmauer lag im Schatten, aber ich konnte die Banner erkennen, die am Festungswall hingen. Sie zeigten christliche Kreuze, und ich erinnerte mich an Bischof Leofstan, einen heiligen Narren und guten Mann, den Æthelflæd als Bischof von Ceaster gewählt hatte. Sie hatte die Stadtfestung und die Garnison verstärkt, zum Bollwerk gegen die Norweger und Dänen gemacht, die über die irische See kamen, um in den sächsischen Gebieten nach Sklaven zu jagen.

Æthelflæd, Alfreds Tochter und Regentin Merciens. Nun war sie tot. Ihr Leichnam verrottete in einer kalten Steingruft. Ich stellte mir ihre toten Hände vor, die in der übelriechenden Dunkelheit des Grabes ein Kreuz umklammerten, und musste daran denken, dass mir dieselben Hände den Rücken zerkratzt hatten, wenn sie sich unter mir wand. «Gott vergib mir», hatte sie dann hervorgestoßen, «hör bloß nicht auf!»

Und nun hatte sie mich nach Ceaster zurückgebracht.

Und Schlangenhauch würde erneut töten.

 

Æthelflæds Bruder regierte Wessex. Er hatte sich damit zufriedengegeben, seine Schwester Mercien regieren zu lassen, doch nach ihrem Tod hatte er westsächsische Truppen Richtung Norden über die Temes geführt. Sie kamen, wie er sagte, um seiner Schwester die letzte Ehre zu erweisen, doch sie waren geblieben, um dem Reich seiner Schwester Edwards Herrschaft aufzuzwingen. Edward, Anglorum Saxonum Rex.

Diejenigen mercischen Herren, die das Knie beugten, wurden belohnt, doch einige, nur wenige, grollten den Westsachsen. Mercien war ein stolzes Land. Es hatte Zeiten gegeben, zu denen der König von Mercien der mächtigste Herrscher in Britannien war, zu denen ihm die Könige von Wessex und Ostanglien und die Sippenführer von Wales Tribut gezahlt hatten, zu denen Mercien das größte aller britischen Königreiche gewesen war. Dann waren die Dänen gekommen, und Mercien war untergegangen, und es war Æthelflæd gewesen, die es zurückerobert, die Heiden nach Norden vertrieben und die Wehrstädte erbaut hatte, die ihre Grenze schützten. Und nun war sie tot und vermoderte, und die Truppen ihres Bruders bewachten die Mauern der Wehrstadt, und der König von Wessex nannte sich König aller Sachsen, forderte Silber, um die Garnisonen zu bezahlen, und er nahm den widerspenstigen grollenden Herren ihr Land und gab es seinen eigenen Männern oder der Kirche. Stets ging etwas an die Kirche, denn es waren die Priester, die dem mercischen Volk predigten, der Wille ihres angenagelten Gottes laute, dass Edward von Wessex der König in ihrem Land sei, und sich gegen den König zu stellen hieße, sich gegen ihren Gott zu stellen.

Doch die Angst vor dem angenagelten Gott konnte einen Aufstand nicht verhindern, und so hatte der Kampf begonnen. Sachsen gegen Sachsen, Christen gegen Christen, Mercier gegen Mercier und Mercier gegen Westsachsen. Die Aufständischen kämpften unter Æthelflæds Flagge und erklärten, es sei ihr Wille gewesen, dass ihre Tochter Ælfwynn ihre Nachfolge antreten solle. Ælfwynn, Königin von Mercien! Ich mochte Ælfwynn, aber sie hätte ebenso wenig ein Königreich anführen wie einen Speer in einen angreifenden Eber rammen können. Sie war flatterhaft, leichtfertig, bezaubernd und oberflächlich. Edward, der von der geplanten Thronfolge seiner Nichte wusste, hatte dafür gesorgt, dass sie gemeinsam mit seiner abgelegten Ehefrau in ein Kloster weggesperrt wurde, doch die Aufständischen führten weiter die Flagge ihrer Mutter und kämpften in ihrem Namen.

Angeführt wurden sie von Cynlæf Haraldson, einem westsächsischen Krieger, den Æthelflæd als Ehemann für Ælfwynn ausersehen hatte. Die Wahrheit aber lautete natürlich, dass er selbst König von Mercien werden wollte. Er war jung, er war gut aussehend, er war tapfer in der Schlacht, und er war dumm, jedenfalls in meinen Augen. Sein Ziel war es, die Westsachsen zu schlagen, seine Braut aus dem Kloster zu befreien und zum König gekrönt zu werden.

Doch zuerst musste er Ceaster einnehmen. Und dabei war er gescheitert.

 

«Es sieht nach Schnee aus», sagte Finan, während wir südwärts auf die Stadt zuritten.

«Es ist zu spät für Schnee», sagte ich überzeugt.

«Ich spüre es in den Knochen», sagte er und erschauerte. «Bei Einbruch der Nacht fängt es an.»

«Zwei Schillinge, dass es nicht schneit», spottete ich.

Er lachte. «Gott soll mir noch mehr Narren mit Silber schicken! Meine Knochen irren sich nie.» Finan war Ire, mein zweiter Befehlshaber und mein bester Freund. Sein Gesicht, umrahmt vom Stahl seines Helms, war alt und faltig, sein Bart war grau. Und meiner wohl ebenso. Ich sah zu, wie er Seelenräuber aus der Scheide zog und einen schnellen Blick über den Rauch der Lagerfeuer vor uns warf. «Also, was machen wir?», fragte er.

«Wir verjagen die Bastarde von der östlichen Seite der Stadt», sagte ich.

«Dort strotzt es von ihnen.»

Ich schätzte, dass beinahe zwei Drittel der gegnerischen Truppen an der Ostseite Ceasters lagerten. Die Lagerfeuer dort brannten dicht beieinander, zwischen niedrigen Unterständen aus Zweigen und Torf. Südlich dieser groben Schutzdächer standen ein Dutzend prunkvolle Zelte nahe bei den Ruinen der alten römischen Arena. Obwohl das Bauwerk als günstig gelegener Steinbruch genutzt worden war, überragte es noch immer die Zelte, über denen zwei Flaggen schlaff in der Windstille hingen. «Wenn Cynlæf noch hier ist», sagte ich, «dann bestimmt in einem dieser Zelte.»

«Hoffen wir, dass der Bastard betrunken ist.»

«Oder er ist in der Arena», sagte ich. Die Arena war knapp vor den Stadtmauern errichtet worden und ein gewaltiger steinerner Koloss. Unter ihren ansteigenden gemauerten Sitzbänken lagen Kellerräume, in denen, als ich sie das letzte Mal erkundet hatte, wilde Hunde hausten. «Wenn er einen Funken Verstand hätte», fuhr ich fort, «hätte er diese Belagerung aufgegeben. Er hätte genügend Männer hiergelassen, um die Garnison auszuhungern, und wäre nach Süden gegangen. Dort wird sich Sieg oder Niederlage des Aufstands entscheiden, nicht hier.»

«Hat er denn Verstand?»

«So viel wie eine Steckrübe», sagte ich und lachte. Eine Gruppe mit Feuerholz beladener Frauen war am Wegesrand niedergekniet, als wir vorbeikamen, und nun sahen sie erstaunt zu mir auf. Ich winkte ihnen zu. «Wir werden einige von ihnen zu Witwen machen», sagte ich, noch immer lachend.

«Und das ist komisch?»

Ich trieb Tintreg zum Trab an. «Komisch ist», sagte ich, «dass wir zwei alten Männer zum Kampf reiten.»

«Ein alter Mann bist vielleicht du», sagte Finan betont.

«Du bist so alt wie ich!»

«Ich bin kein Großvater!»

«Du könntest einer sein. Du weißt es nicht.»

«Bastarde zählen nicht.»

«Sie zählen», erklärte ich entschieden.

«Dann bist du inzwischen wahrscheinlich schon Urgroßvater.»

Ich warf ihm einen unwilligen Blick zu. «Bastarde zählen nicht», knurrte ich und brachte ihn damit zum Lachen, und dann bekreuzigte er sich, weil wir den Römerfriedhof erreicht hatten, der sich zu beiden Seiten der Straße hinzog. Es gab Geister dort, sie gingen zwischen den flechtenbewachsenen Grabsteinen um, deren verblassende Inschriften nur christliche, des Lateinischen kundige Priester lesen konnten. Jahre zuvor hatte ein Priester in einem Anfall von Pflichteifer begonnen, die Steine umzustürzen, und sie zu heidnischen Abscheulichkeiten erklärt. Noch am gleichen Tag war er tot umgefallen, und seither hatten die Christen die Gräber geduldet, die, so dachte ich, wohl von den römischen Göttern beschützt wurden. Bischof Leofstan hatte gelacht, als ich ihm diese Geschichte erzählte, und er hatte mir versichert, dass die Römer gute Christen waren. «Es war unser Gott, der eine, wahre Gott, der den Priester erschlagen hat», erklärte er mir. Dann war Leofstan selbst gestorben, war genauso plötzlich tot umgefallen wie der gräberhassende Priester. Wyrd bið ful āræd. Das Schicksal ist unausweichlich.

Meine Männer folgten mir nun hintereinander, nicht unbedingt in einer einzigen Linie, aber fast. Keiner wollte zu nahe am Straßenrand reiten, denn dort versammelten sich die Geister. Die lange, durchbrochene Reiterlinie machte uns verletzlich, der Gegner jedoch schien von unserer Bedrohung nichts zu ahnen. Wir kamen an weiteren Frauen vorbei, alle gebeugt unter großen Bündeln Feuerholz, das sie in den Gehölzen nördlich der Gräber geschnitten hatten. Die nächstgelegenen Lagerfeuer waren nun nicht mehr weit entfernt. Das Licht des Nachmittags begann zu schwinden, auch wenn es bis zur Dämmerung noch eine Stunde oder länger dauern würde. Ich sah Männer auf der nördlichen Stadtmauer, sah ihre Speere und wusste, dass sie uns beobachteten. Sie mussten uns wohl für Verstärkungstruppen der Belagerer halten.

Ich zügelte Tintreg ein kurzes Stück hinter dem Römerfriedhof, damit meine Männer zu mir aufholen konnten. Der Anblick der Gräber und der Gedanke an Leofstan hatte Erinnerungen wachgerufen. «Weißt du noch, Mus?», fragte ich Finan.

«Bei Gott! Welcher Mann könnte sie je vergessen?» Er grinste. «Hast du …», fing er an.

«Nie. Du?»

Er schüttelte den Kopf. «Dein Sohn hat ihr ein paar ordentliche Ritte beschert.»

Ich hatte meinen Sohn mit dem Befehl über die Wachmannschaft in Bebbanburg gelassen. «Der Glückliche», sagte ich. Mus, deren richtiger Name Sunngifu lautete, war klein wie eine Maus und mit Bischof Leofstan verheiratet gewesen. «Ich frage mich, wo Mus jetzt ist», sagte ich, den Blick weiter auf den nördlichen Abschnitt der Stadtmauer gerichtet, um abzuschätzen, wie viel Mann dort Wache standen. «Mehr als ich erwartet habe», sagte ich.

«Mehr was?»

«Männer auf der Mauer», erklärte ich. Auf der Wehrmauer sah ich wenigstens vierzig Mann und wusste, dass ebenso viele auf dem östlichen Abschnitt sein mussten, vor dem die meisten Truppen des Gegners standen.

«Ob sie Verstärkung bekommen haben?», überlegte Finan laut.

«Oder der Mönch hat sich geirrt, das würde mich nicht wundern.»

Ein Mönch war mit der Nachricht von der Belagerung Ceasters nach Bebbanburg gekommen. Wie sich versteht, wussten wir schon von dem Aufstand in Mercien, und er kam uns gelegen. Es war kein Geheimnis, dass Edward, der sich nun als König der Angeln und Sachsen bezeichnete, in Northumbrien einmarschieren wollte, um diesem anmaßenden Titel Wahrhaftigkeit zu verleihen. Sigtryggr, mein Schwiegersohn und König von Northumbrien, hatte sich auf diesen Einmarsch vorbereitet, ihn auch gefürchtet, und dann kam die Nachricht, dass Mercien sich selbst zerfleischte und Edward nichts ferner lag, als bei uns einzufallen, sondern er stattdessen darum kämpfte, seine neuen Landesteile zu halten. Was wir darauf zu tun hatten, verstand sich von selbst; nämlich gar nichts! Edwards Reich sollte sich ruhig selbst zerfleischen, denn jeder sächsische Krieger, der in Mercien starb, war einer weniger, der mit einem Schwert nach Northumbrien kommen konnte.

Und doch war ich nun hier, an einem Spätnachmittag im Winter, unter einem dämmrigen Himmel, um in Mercien zu kämpfen. Sigtryggr war darüber nicht erfreut gewesen, und seine Frau, meine Tochter, noch weniger. «Warum?», hatte sie zu wissen verlangt.

«Ich habe einen Eid abgelegt», hatte ich ihnen beiden erklärt, und das hatte ihren Widerspruch zum Verstummen gebracht.

Eide sind heilig. Einen Eid zu brechen heißt, den Zorn der Götter auf sich herabzurufen, und Sigtryggr hatte meinem Zug zur Befreiung des belagerten Ceasters widerstrebend zugestimmt. Nicht, dass er viel hätte tun können, um mich aufzuhalten. Ich war der mächtigste Herr in seinem Reich, sein Schwiegervater und der Herr von Bebbanburg, tatsächlich hatte er sein Königreich mir zu verdanken, doch er bestand darauf, dass ich weniger als hundert Krieger mitnahm. «Wenn ihr mehr nehmt», hatte er gesagt, «kommen die verfluchten Schotten über die Grenze.» Ich hatte mich einverstanden erklärt. Ich führte nur neunzig Mann, und mit diesen neunzig wollte ich König Edwards neues Königreich retten.

«Meinst du, Edward wird sich dankbar zeigen?», hatte meine Tochter gefragt, im Bemühen, etwas Gutes an meiner widernatürlichen Entscheidung zu finden. Sie glaubte, Edwards Dankbarkeit könne ihn dazu bringen, seinen geplanten Einmarsch in Northumbrien aufzugeben.

«Edward wird mich für einen Narren halten.»

«Das bist du auch!», hatte Stiorra gesagt.

«Übrigens ist er krank, wie ich höre.»

«Gut», sagte sie rachsüchtig. «Hat ihn vielleicht seine neue Frau überanstrengt?»

Edward wäre nicht dankbar, dachte ich, ganz gleich, was hier geschehen würde. Die Hufe unserer Pferde klapperten laut auf der Römerstraße. Wir ritten noch immer langsam, zeigten uns nicht bedrohlich. Wir kamen an der alten, bröckelnden Steinsäule vorbei, auf der stand, dass es eine Meile bis Deva war – so hatten die Römer Ceaster genannt. Wir befanden uns nun zwischen den Unterständen und Kochfeuern des Lagers und wurden beim Vorbeireiten beobachtet. Niemand wirkte beunruhigt, es gab keine Wache und keinen Posten, der wissen wollte, wer wir waren. «Was stimmt nicht mit denen?», knurrte Finan mir zu.

«Sie denken, wenn Verstärkung kommt», sagte ich, «dann kommt sie von Osten, nicht von Norden. Also glauben sie, wir wären auf ihrer Seite.»

«Dann sind sie Schwachköpfe», sagte er. Damit hatte er natürlich recht. Cynlæf, falls er hier noch den Befehl führte, hätte an jedem Zugang zum Stützpunkt der Belagerer Wachen aufstellen müssen, doch die langen, kalten Wochen der Belagerung hatten sie faul und nachlässig werden lassen. Cynlæf wollte einfach nur Ceaster erobern und hatte darüber seine Rückendeckung vergessen.

Finan, der Augen hatte wie ein Falke, schaute zur Stadtmauer. «Dieser Mönch hat nur Mist von sich gegeben», sagte er verächtlich. «Ich sehe achtundfünfzig Mann auf der nördlichen Mauer!»

Der Mönch, der mir die Nachricht von der Belagerung gebracht hatte, war sicher gewesen, dass die Garnison besorgniserregend klein war. «Wie klein?», hatte ich ihn gefragt.

«Nicht mehr als hundert Mann, Herr.»

Ich hatte ihn zweifelnd angeschaut. «Woher wisst Ihr das?»

«Der Priester hat es mir gesagt, Herr», antwortete er ängstlich. Der Mönch, der Bruder Osric hieß, behauptete, aus einem Kloster in Hwite zu kommen, einem Ort, von dem ich nie gehört hatte, doch der, wie der Mönch sagte, ein paar Stunden Fußweg südlich von Ceaster liege. Bruder Osric hatte uns erzählt, wie ein Priester zu seinem Kloster gekommen war.

«Es ging mit ihm zu Ende, Herr! Er hatte Krämpfe im Gedärm.»

«Und das war Pater Swithred?»

«Ja, Herr.»

Ich kannte Swithred. Er war ein älterer Mann, ein eifernder und sauertöpfischer Priester, der mich nicht mochte. «Und die Garnison hat ihn geschickt, um Hilfe zu holen?»

«Ja, Herr.»

«Sie haben keinen Krieger geschickt?»

«Ein Priester kann gehen, wohin ein Krieger nicht gehen kann, Herr», hatte Osric erklärt. «Pater Swithred sagte, er habe die Stadt bei Sonnenuntergang verlassen und das Heerlager durchquert. Niemand hat ihn zur Rede gestellt, Herr. Dann ist er Richtung Süden nach Hwite gegangen.»

«Wo er krank geworden ist?»

«Wo er im Sterben lag, als ich aufbrach, Herr.» Bruder Osric hatte sich bekreuzigt. «Gottes Wille geschehe.»

«Euer Gott hat einen seltsamen Willen», hatte ich geknurrt.

«Und Pater Swithred hat meinen Abt gebeten, jemanden von uns zu Euch zu schicken, Herr», hatte Bruder Osric weitergesprochen, «und das war ich», endete er schwach. Er hatte demütig vor mir gekniet, und ich sah eine grausame rote Narbe, die quer über seine Tonsur verlief.

«Pater Swithred kann mich nicht leiden», sagte ich, «und er hasst alle Heiden. Und doch soll er nach mir geschickt haben?»

Die Frage war Bruder Osric unangenehm gewesen. Er war errötet, dann hatte er angefangen zu stammeln. «Er … er …»

«Er hat mich beleidigt», schlug ich vor.

«Das hat er, Herr, das hat er.» Er klang erleichtert, dass ich die Antwort vorausgenommen hatte, die er nicht hatte aussprechen wollen. «Aber er sagte auch, Ihr würdet dem Ersuchen der Garnison entsprechen.»

«Und Pater Swithred hatte keinen Brief bei sich?», fragte ich. «Kein Hilfegesuch?»

«Doch, Herr, aber er hat sich darauf erbrochen.» Er verzog das Gesicht. «Wahrhaftig, es war widerwärtig, Herr, alles voll Blut und Galle.»

«Woher habt Ihr die Narbe?», fragte ich ihn.

«Meine Schwester hat mich geschlagen, Herr», antwortete er, erstaunt über die Frage. «Mit einer Sichel, Herr.»

«Und wie viele Männer haben die Belagerer?»

«Pater Swithred sagte, es seien Hunderte, Herr.» Ich weiß noch, wie angespannt Bruder Osric war, aber das führte ich auf seine Angst vor der Begegnung mit mir zurück, einem berühmten Heiden. Dachte er, ich hätte Hörner und einen gegabelten Schwanz? «Um der Gnade des Allmächtigen willen, Herr», fuhr er fort, «die Garnison hat einen Angriff abgewehrt, und ich bete zu Gott, dass die Stadt inzwischen nicht schon besiegt ist. Sie bitten inständig um Eure Hilfe, Herr.»

«Warum hat Edward ihnen nicht geholfen?»

«Er hat andere Gegner, Herr. Er kämpft in Südmercien.» Der Mönch hatte flehentlich zu mir aufgesehen. «Ich bitte Euch, Herr! Die Garnison kann nicht mehr lange durchhalten!»

Doch sie hatte durchgehalten, und wir waren gekommen. Wir hatten mittlerweile die Straße verlassen, und unsere Pferde gingen im Schritt durch das Lager der Aufständischen. Die Glücklichsten unter ihnen hatten Unterschlupf in den Bauernhäusern gefunden, die von den Römern erbaut worden waren. Es waren gute Steinhäuser, auch wenn die langen Jahre ihre Dächer zerstört hatten, sodass sie nun aus unregelmäßigen Strohhaufen über den Deckenbalken bestanden, aber der Großteil der Belagerer hatte sich in grobe Unterstände zurückgezogen. Frauen legten frischgesammeltes Holz auf die Lagerfeuer und machten sich bereit, ein Abendessen zu kochen. Sie schienen nicht sonderlich neugierig, was uns anging. Sie sahen meine Kettenrüstung und den silbergekrönten Helm, sahen den silbernen Zierrat an Tintregs Zaumzeug, erkannten daran, dass ich ein Herr war, und knieten pflichtschuldig nieder, als wir vorbeikamen. Doch niemand wagte zu fragen, wer wir waren.

Ich hielt auf dem offenen Gelände nordöstlich der Stadt an und sah mich erstaunt um, weil ich nur wenige Pferde erblickte. Die Belagerer mussten Pferde haben. Ich hatte vorgehabt, diese Pferde wegzutreiben, um zu verhindern, dass sie zur Flucht genutzt wurden und auch, um mit den später wieder eingefangenen Tieren die Kosten für diesen winterlichen Kriegszug zu decken, doch ich entdeckte nicht mehr als ein Dutzend. Wenn es keine Pferde gab, waren wir im Vorteil, und so ließ ich Tintreg umdrehen und ritt an meinen Männern vorbei bis zu den Packpferden. «Macht die Speerbündel auf», befahl ich den Jungen. Wir hatten acht schwere Bündel, die mit Lederstricken zusammengebunden waren. Jeder Speer war um die sieben Fuß lang und besaß einen Eschenschaft und eine geschärfte Stahlspitze. Ich wartete, während die Bündel aufgeschnürt wurden und jeder meiner Männer eine der Waffen nahm. Die meisten trugen zusätzlich einen Schild, doch einige wenige zogen es vor, ohne die schweren Weidenbretter zu reiten. Der Gegner hatte uns mitten in sein Lager kommen lassen, und die Belagerer mussten gesehen haben, dass meine Männer ihre Speere nahmen, doch noch immer taten sie nichts, außer uns stumpfsinnig zu beobachten. Ich wartete, bis die Jungen die Lederstricke zusammengerollt hatten und wieder in die Sättel gestiegen waren. «Ihr Jungen», rief ich den Dienern zu, «reitet nach Osten und wartet auf den Feldern, bis wir euch holen lassen. Aber du nicht, Roric.»

Roric war mein Diener, ein guter Junge. Er war Norweger. Ich hatte seinen Vater getötet, Roric gefangen genommen, und nun behandelte ich ihn wie einen Sohn, ebenso wie ich von Ragnar dem Dänen wie ein Sohn behandelt worden war, nachdem seine Truppen meinen Vater in der Schlacht niedergemacht hatten.

«Ich nicht, Herr?», fragte er.

«Du folgst mir», erklärte ich ihm, «und halte das Horn bereit. Bleib hinter mir! Und diesen Speer da brauchst du nicht.»

Er zog den Speer aus meiner Reichweite. «Das ist bloß ein zweiter für Euch, Herr», sagte er. Das freilich war eine Lüge, er konnte es nicht abwarten, die Waffe selbst einzusetzen.

«Lass dich nicht umbringen, du Narr», knurrte ich, dann wartete ich ab, bis die Jungen und die Packpferde sicher jenseits des Lagers waren. «Ihr wisst, was zu tun ist», rief ich meinen Männern zu, «also tut es!»

Und es begann.

 

Wir bildeten eine Linie, wir trieben unsere Pferde vorwärts.

Beißender Rauch stieg von den Lagerfeuern auf. Ein Hund bellte, ein Kind weinte. Drei Raben flogen ostwärts, schwarz hoben sich ihre Schwingen gegen die grauen Wolken ab, und ich frage mich, ob sie ein Omen waren. Ich drückte Tintreg die Sporen in die Flanken, und er machte einen Satz vorwärts. Finan war an meiner rechten Seite, Berg an meiner linken. Ich wusste, dass sie mich beide beschützten, und das verdross mich. Alt mag ich sein, aber nicht schwach. Ich senkte die Speerspitze, lenkte Tintreg mit einem Knie, dann beugte ich mich aus dem Sattel und ließ die Speerspitze in die Schulter eines Mannes gleiten. Ich spürte, wie die Klinge über Knochen schabte, zog die Waffe zurück, und er drehte sich mit einem Blick voll Schmerz und Erstaunen um. Ich hatte ihn nicht töten, sondern ihn nur in Angst versetzen wollen. Ich ritt an ihm vorbei, fühlte, wie sich die Klinge befreite, schwang den Speer zurück, hob die Spitze und sah, wie sich Furcht und Schrecken ausbreiteten.

Stellt euch vor, ihr würdet frieren, hättet Langeweile und Hunger. Vielleicht wärt ihr auch geschwächt von Krankheit, denn in dem Lager stank es nach Exkrementen. Eure Anführer erzählen euch nichts als Lügen. Falls sie irgendeine Vorstellung davon haben, wie die Belagerung beendet werden soll, abgesehen vom Warten, dann haben sie euch nichts davon verraten. Und die Kälte hält an, Tag für Tag, eine Kälte, die bis auf die Knochen dringt, und nie gibt es ausreichend Feuerholz, obwohl die Frauen täglich zum Sammeln gehen. Man erklärt euch, der Gegner würde verhungern, aber ihr seid genauso hungrig. Es regnet. Manch einer schleicht sich weg, versucht, nach Hause zu Weib und Kind zu kommen, doch die echten Krieger, die Haustruppen, mit denen die großen Barrikaden außerhalb der Stadttore bemannt sind, überwachen die Straße nach Osten. Wenn sie einen Flüchtenden finden, schleppen sie ihn zurück, und wenn er Glück hat, wird er blutig gepeitscht. Seine Frau, wenn sie jung ist, verschwindet in die Zelte der ausgebildeten Krieger. Alles, an das ihr denken könnt, ist euer Zuhause, und auch wenn dieses Zuhause ärmlich ist und die Arbeit auf den Feldern schwer, ist es besser als dieses ewige Hungern und Frieren. Man hat euch den Sieg versprochen, und bekommen habt ihr dieses Elend.

Dann, an einem Spätnachmittag mit tiefhängenden Wolken, während im Westen langsam die Sonne untergeht, kommen die Reiter. Ihr seht große Pferde, die Männer in Rüstung mit langen Speeren und scharfen Schwertern bringen, behelmte Männer mit Wolfsköpfen auf ihren Schilden. Die Männer brüllen euch an, laut dröhnen die gewaltigen Hufe durch den Dreck des Lagers, eure Kinder schreien, und die Frauen kauern sich zusammen, und das Glänzendste an diesem Winternachmittag ist nicht das Blitzen der Klingen und auch nicht das Silber auf den Helmscheiteln oder das Gold, das um die Hälse der Angreifer hängt, sondern Blut. Glänzendes Blut, unvermittelt spritzendes Blut. Kein Wunder, dass sie in blindem Schrecken davonliefen.

Wir trieben sie wie Schafe vor uns her. Ich hatte meinen Männern gesagt, sie sollten Frauen und Kinder verschonen und sogar die meisten der Männer, denn ich wollte nicht, dass meine Reiter anhielten. Ich wollte den Gegner laufen sehen, und er sollte immer weiterlaufen. Wenn wir zum Töten anhielten, gaben wir dem Gegner Zeit, Waffen zu ergreifen, Schilde hochzureißen und eine Verteidigung aufzubauen. Es war besser, zwischen den Unterständen hindurchzugaloppieren und die Gegner von ihren aufgestapelten Schilden wegzutreiben, weg von ihren Speeren, weg von ihren Sicheln und Äxten. Der Befehl lautete: Zuschlagen und weiterreiten, zuschlagen und weiterreiten. Wir kamen, um Verwirrung zu stiften, nicht um den Tod zu bringen. Noch nicht. Der Tod würde noch kommen.

Und so trieben wir die gewaltigen Pferde durch das Lager, ihre Hufe schleuderten Schlammbrocken empor, und unsere Speere waren scharf. Leistete ein Mann Widerstand, starb er, lief er weg, brachten wir ihn dazu, noch schneller zu laufen. Ich sah, wie Folcbald, ein riesenhafter Friese, einen brennenden Holzscheit aus einem Lagerfeuer aufspießte und ihn auf einen Unterstand schleuderte, und andere meiner Männer machten es ihm nach. «Dort!», rief Finan. «Dort!» Ich drehte mich um und sah, dass er nach Süden deutete, wo Männer von den Zelten auf die massive Sperre vor dem östlichen Stadttor zuliefen.

Das waren die richtigen Krieger, die Haustruppen.

«Roric!», brüllte ich. «Roric!»

«Herr!» Er war zwanzig Schritt entfernt und hatte sich gerade an die Verfolgung dreier mit Äxten bewaffneter Männer in Lederwesten machen wollen.

«Blas das Horn!»

Er ritt auf mich zu, zügelte sein Pferd und hatte mit dem langen Speer in seiner Hand zu kämpfen, als er umständlich versuchte, das Horn in die Finger zu bekommen, das er sich an einer langen Schnur über den Rücken gehängt hatte. Einer der drei Männer sah, dass Roric ihnen den Rücken zukehrte, und rannte mit erhobener Axt auf ihn zu. Ich öffnete den Mund, um eine Warnung zu rufen, doch Finan hatte den Mann ebenfalls gesehen, riss sein Pferd herum und galoppierte los. Der Mann versuchte zu flüchten, Seelenräuber blitzte auf, die Flammen eines Lagerfeuers spiegelten sich in seiner Klinge, und der Kopf des Axtmanns flog davon. Sein Körper schlingerte über den Boden, aber der Kopf prallte einmal auf und landete dann im Feuer, wo das Bratfett, das sich der Mann ins Haar geschmiert hatte, um sich die Hände zu säubern, in einer unvermittelten, hellen Flamme aufloderte.

«Nicht schlecht für einen Großvater», sagte ich.

«Bastarde zählen nicht», rief Finan zurück.

Roric blies das Horn, blies es noch einmal, und hörte nicht auf, es zu blasen, und der Klang, so schwermütig, so durchdringend und laut, rief meine Reiter zusammen. «Jetzt! Folgt mir!», rief ich.

Wir hatten die Bestie verwundet, nun mussten wir ihr den Kopf abschlagen.

 

Die meisten Flüchtenden waren vor unserem wilden Ritt in Richtung Süden davongelaufen, auf die großen Zelte zu, die offenkundig Cynlæfs ausgebildete Krieger beherbergten, und dorthin ritten wir nun gemeinsam, Knie an Knie, mit gesenkten Speeren. Unsere Reiterlinie trennte sich nur, um den Feuern auszuweichen, deren Funken in die aufkommende Dämmerung stoben, und dann, als wir einen weiten, offenen Bereich zwischen den dürftigen Unterständen und den Zelten erreichten, ritten wir schneller. Weitere Männer tauchten zwischen den Zelten auf, einer trug eine Standarte, die sich entrollte, als er auf die Sperre zulief, die einen Ausfall der Verteidiger durch das östliche Stadttor verhindern sollte. Die Sperre war ein ungeschlachtes Gebilde aus umgekippten Karren, selbst ein Pflug war dabei, dennoch stellte sie ein ernsthaftes Hindernis dar. Ich sah, dass der Standartenführer Æthelflæds Banner trug, die alberne Gans mit Kreuz und Schwert.

Ich musste gelacht haben, denn Finan rief mir über das Trommeln der Hufe auf der Wiese zu: «Was gibt es denn so Lustiges?»

«Das ist doch Irrsinn!» Ich meinte, gegen Männer unter einem Banner zu kämpfen, das ich mein ganzes Erwachsenenleben hindurch beschützt hatte.

«Es ist wahrhaftig Irrsinn! Für König Edward zu kämpfen!»

«Das Schicksal ist seltsam», sagte ich.

«Wird er sich dankbar zeigen?», fragte Finan, ebenso wie es meine Tochter getan hatte.

«Diese Familie war noch nie dankbar», sagte ich, «mit Ausnahme von Æthelflæd.»

«Vielleicht wird Edward dich ja auch in sein Bett lassen», sagte Finan heiter, und dann gab es keine Zeit mehr zum Reden, denn ich sah, wie sich der Standartenträger unvermittelt umdrehte. Statt zu der Sperre zu laufen, hastete er südwärts in Richtung der Arena, gefolgt von den meisten Kriegern der Haustruppe, und das erschien mir eigenartig. Sie waren ebenso viele wie wir, jedenfalls nicht viel weniger. Sie hätten einen Schildwall aufstellen und die Sperre als Rückendeckung nutzen können, und wir hätten es schwer gehabt, sie zu besiegen. Pferde griffen ein Hindernis wie einen gut aufgestellten Schildwall nicht an. Unsere Hengste hätten eher abgedreht, als mit den Weidenbrettern der Schilde zusammenzustoßen, also hätten wir absitzen, unseren eigenen Schildwall aufstellen und Schild gegen Schild kämpfen müssen. Und die Belagerer nördlich der Festung, die Männer, die wir noch nicht angegriffen hatten, hätten uns in den Rücken fallen können. Stattdessen aber rannten unsere Gegner weg, angeführt von ihrem Standartenträger.

Und dann verstand ich es.

Die römische Arena.

Ich hatte mich gewundert, keine Pferde zu sehen, und nun ging mir auf, dass die Belagerer ihre Tiere lieber in der Arena als auf einer der Weiden mit den schmalen Hecken abgestellt hatten. Das enorme Bauwerk lag vor der Südwestecke der Stadtmauer, nahe am Fluss, und bestand aus einem gewaltigen Mauerkreis, in dem Sitzbänke einen offenen Platz umgaben, auf dem die Römer blutige Vorführungen mit Kriegern und furchterregenden Tieren genossen hatten. Von einer Steinmauer umgeben, war die Mitte der Arena ein sicherer, geradezu uneinnehmbarer Stellplatz für die Pferde. Wir waren auf die Zelte zugeritten, um die Anführer der Aufständischen in die Zange zu nehmen, nun jedoch rief ich meinen Männern zu, stattdessen zu der großen gemauerten Arena zu galoppieren. Die Römer waren mir als Kind ein Rätsel gewesen. Pater Beocca, mein Lehrer, der mich in einen guten kleinen Christen verwandeln sollte, pries Rom dafür, dass es die Heimstatt des Heiligen Vaters, des Papstes, war. Die Römer, sagte er, hätten das Evangelium nach Britannien gebracht und Konstantin, der erste Christ, der Rom regierte, habe sich in unserem Northumbrien zum Kaiser ausrufen lassen. Nichts davon brachte mich dazu, Rom oder die Römer zu mögen, doch das änderte sich, als ich sieben oder acht Jahre alt war und Beocca mit mir in die Arena bei Eoferwic ging. Staunend hatte ich die Ränge mit den gemauerten Sitzen angestarrt, die rund um mich zur äußeren Ringmauer hin anstiegen, wo Männer mit Hämmern und Stemmeisen Mauersteine lockerten, um sie zur Errichtung neuer Bauten in der wachsenden Stadt zu verwenden. Efeu kroch an den Sitzen empor, Schösslinge sprossen aus Steinritzen, und die Arena selbst war dicht mit Gras bewachsen. «Dieser Ort», hatte mir Pater Beocca mit gedämpfter Stimme erklärt, «ist heilig.»

«Weil Jesus hier war?», fragte ich, wie ich mich erinnere.

Pater Beocca verpasste mir eine Kopfnuss. «Sei nicht dumm, Junge. Unser Herr hat das Heilige Land niemals verlassen.»

«Ich dachte, Ihr hättet mir erzählt, er sei einmal nach Ägypten gegangen.»

Erneut schlug er mich, um seine Betretenheit darüber zu verbergen, dass er berichtigt worden war. Er war kein unfreundlicher Mann, tatsächlich hatte ich Beocca sehr gern, obwohl ich ihn mit Vergnügen verspottete, und er war leicht zu verspotten, denn er war hässlich und verkrüppelt. Das war grausam, aber ich war ein Kind, und Kinder sind grausame Geschöpfe. Mit der Zeit lernte ich, Beoccas Rechtschaffenheit und Stärke zu erkennen. König Alfred, der sich von niemandem etwas vormachen ließ, hatte eine hohe Meinung von ihm. «Nein, Junge», fuhr Beocca an jenem Tag in Eoferwic fort, «dieser Ort ist heilig, weil hier Christen für ihren Glauben gelitten haben.»

Ich witterte eine gute Geschichte. «Gelitten, Pater?», fragte ich ernst.

«Sie wurden auf grauenvolle Art zu Tode gebracht, grauenvoll!»

«Wie, Pater?», hatte ich gefragt, ohne meine brennende Neugierde erkennen zu lassen.

«Manche wurden wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen, manche wurde gekreuzigt wie unser Herr, andere wurden verbrannt. Frauen, Männer, sogar Kinder. Ihre Schreie heiligen diesen Ort.» Er hatte das Kreuz geschlagen. «Die Römer waren grausam, bis sie das Licht der Erkenntnis gesehen haben.»

«Und dann waren sie nicht mehr grausam, Pater?»

«Sie wurden Christen», hatte er ausweichend geantwortet.

«Haben sie deswegen ihre Länder verloren?»

Erneut hatte er mich geschlagen, wenn auch nicht fest oder verärgert, und doch hatte er an diesem Tag die Saat für meine künftige Bewunderung gestreut. Die Römer! Als Kind war es ihre Macht, die mich beeindruckte. Sie kamen von so weit her, und doch hatten sie unser Land erobert. Es war damals noch nicht unseres, versteht sich, aber es war dennoch ein weit entferntes Land. Sie waren Gewinner und Kämpfer, für ein Kind waren sie Helden, und Beoccas Geringschätzung machte sie für mich nur noch heldenhafter. Zu dieser Zeit, vor dem Tod meines Vaters und bevor mich Ragnar in seine Familie aufnahm, hielt ich mich für einen Christen, aber ich stellte mir nie vor, ein christlicher Held zu werden, indem ich mich in der verfallenden Arena von Eoferwic einem wilden Tier auslieferte. Stattdessen träumte ich davon, in dieser Arena zu kämpfen, sah mich unter dem Jubel Tausender meinen Fuß auf die blutüberströmte Brust eines Kriegers stellen. Ich war ein Kind.

Nun, alt und graubärtig, wie ich bin, bewundere ich die Römer immer noch. Wie könnte ich auch nicht? Wir waren nicht fähig, eine Arena zu bauen und auch keine Stadtmauer wie die von Ceaster. Unsere Straßen waren morastige Wege, ihre dagegen waren in Stein gefasst und pfeilgerade. Sie erbauten Tempel aus Marmor, wir errichteten Kirchen aus Holzbalken. Unsere Fußböden waren festgetretene Erde, die mit Streu bedeckt wurde, ihre waren Wunderwerke aus verzwickten Fliesenmustern. Sie hatten das Land mit Wundern durchsetzt, und wir, die wir das Land übernommen hatten, konnten nur zusehen, wie die Wunder verfielen oder sie mit Flechtwerk und Stroh flicken. Wohl wahr, sie waren ein grausames Volk, aber das sind wir auch. Das Leben ist grausam.

Mit einem Mal drangen Schreie an mein Ohr, sie kamen von der Stadtmauer. Ich wandte meinen Blick nach rechts und sah behelmte Krieger auf der Mauer entlanghasten. Sie hielten so gut wie möglich Schritt mit uns und jubelten uns zu. Die Schreie klangen nach Frauen, aber ich konnte nur Männer sehen, einer von ihnen schwenkte einen Speer über seinem Kopf, als wolle er uns zum Töten anspornen. Ich hob meinen Speer in seine Richtung, und der Mann antwortete, in dem er auf und ab sprang. Er hatte weiße und rote Bänder an seiner Helmkrone hängen. Er kreischte mir etwas zu, aber er war zu weit weg, und ich konnte seine Worte nicht hören, nur ahnen, dass er jubelte.

Kein Wunder, dass in der Garnison gute Stimmung herrschte. Ihr Gegner war eingeknickt, und die Belagerung war aufgehoben, auch wenn der Großteil von Cynlæfs Truppen noch in ihrem Lager war. Diese Einheiten jedoch hatten keine Lust am Kampf gezeigt. Sie waren weggelaufen oder hatten sich in ihren Unterständen versteckt. Nur die Haustruppen wollten sich uns entgegenstellen, und nun flohen sie in die zweifelhafte Sicherheit der alten Arena. Wir holten ein paar Nachzügler ein, stießen ihnen den Speer in den Rücken, als sie südwärts stolperten, während andere, Gescheitere, ihre Waffen fallen ließen und in demütiger Unterwerfung niederknieten. Mittlerweile begann das Licht zu schwinden. Die rötlichen Steine der Arena warfen die Flammen der nächsten Lagerfeuer zurück, sodass es aussah, als wäre das Mauerwerk mit Blut überströmt. Ich hielt Tintreg vor dem Eingang zur Arena an, und meine Männer sammelten sich grinsend und in Hochstimmung um mich.

«Gibt es nur diesen einen Zugang?», fragte mich Finan.

«Soweit ich mich erinnere, ja, aber schick ein halbes Dutzend Männer auf die Rückseite, damit wir sicher sind.»

Dieser Zugang war ein Tunnel mit Bogengewölbe, der unter den gestaffelten Sitzen hinweg in die Arena führte, und im abnehmendem Licht sah ich Männer, die einen Karren als Sperre an das andere Ende des Tunnels schoben. Sie beobachteten uns furchtsam, doch ich unternahm nichts, um sie anzugreifen. Sie waren Narren, und wie Narren waren sie dem Tod geweiht.

Sie waren dem Tod geweiht, weil sie sich selbst in die Falle gesetzt hatten. Es gab zwar noch andere Eingänge in die Arena, doch diese Eingänge, die sich in regelmäßigen Abständen rund um das Gebäude befanden, führten nur zu den Sitzrängen, nicht zu dem Kampfplatz in der Mitte der Arena. Cynlæfs Männer hatten ihre Pferde in der Arena abgestellt, und das war sinnvoll, doch in ihrem verzweifelten Fluchtversuch waren sie zu den Pferden gelaufen und fanden sich nun von einer Steinmauer umgeben, durch die es nur einen einzigen Ausweg gab, und diesen einzigen Tunnel bewachten meine Männer.

Vidarr Leifson, einer meiner norwegischen Krieger, hatte Reiter rund um die Arena geführt und war mit der Bestätigung zurückgekommen, dass es nur diesen einen Zugang zur Kampfebene gab. «Und was tun wir nun, Herr?», fragte er und drehte sich im Sattel, um in den Tunnel zu spähen. Sein Atem bildete Wolken in der kalten Abendluft.

«Wir lassen sie dort verrotten.»

«Können sie über die Sitze hochsteigen?», fragte Berg.

«Vermutlich.» Es gab eine leicht übermannshohe Mauer, mit der verhindert worden war, dass die wilden Tiere auf die Ränge sprangen und über die Zuschauer herfielen, also konnten unsere Gegner zu den Sitzen emporklettern und versuchen, durch einen der Treppenaufgänge zu entkommen, doch das würde bedeuten, die wertvollen Pferde aufzugeben, und sobald sie aus dem Gebäude wären, müssten sie sich immer noch an meinen Männern vorbeikämpfen. «Also versperrt alle Eingänge», befahl ich, «und macht Feuer vor jedem Treppenaufgang.» Die Sperren würden jeglichen Ausbruchsversuch von Cynlæfs Männern verzögern, und die Feuer würden meine Späher wärmen.

«Woher bekommen wir Feuerholz?», fragte Godric. Er war jung, ein Sachse und einst mein Diener gewesen.

«Von der Sperre, du Holzkopf», sagte Finan und deutete auf den behelfsmäßigen Wall, mit dem die Belagerer die Straße bewacht hatten, die am östlichen Stadttor begann.

Und in diesem Moment, als im Westen das letzte Licht des Tages verging, sah ich Männer von der Stadt kommen. Das östliche Tor war geöffnet worden, und ein Dutzend Reiter fädelte sich durch die schmale Lücke zwischen dem Wassergraben und der aufgegebenen Sperre. «Macht euch an den Bau der Absperrungen!», befahl ich meinen Männern, dann ließ ich einen müden Tintreg umdrehen und trieb ihn vorwärts zu den Männern, die wir gerettet hatten. Wir trafen sie vor dem tiefen Stadtgraben. Ich wartete aufmerksam ab, während sich die Reiter näherten. Sie wurden von einem großen, jungen Mann angeführt, der in eine Rüstung gekleidet war und einen guten Helm trug, dessen Goldverzierungen den Schein der Lagerfeuer rot schimmernd zurückwarfen. Die Wangenstücke seines Helms waren offen und zeigten, dass er sich einen Bart hatte wachsen lassen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, und der Bart, schwarz und kurz gestutzt, ließ ihn älter aussehen. Er war, wie ich wusste, fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig, ich erinnerte mich nicht, wann genau er geboren war, doch nun war er ein Mann im besten Alter, gut aussehend und selbstsicher. Außerdem war er ein leidenschaftlicher Christ, trotz all meiner Versuche, ihn davon abzubringen. Ein großes goldenes Kreuz hing an seinem Hals und schwang vor seiner polierten Kettenrüstung hin und her. Noch mehr Gold fand sich an seiner Schwertscheide und dem Zaumzeug seines Pferdes wie auch an der Einfassung der Gewandspange, die seinen dunklen Umhang zusammenhielt, und um seinen Helm lag ein schmaler Goldreif. Er zügelte sein Pferd nah genug, um den Arm auszustrecken und Tintregs Hals zu tätscheln, und ich sah, dass er zwei Goldringe über weichen schwarzen Lederhandschuhen trug. Er lächelte. «Ihr seid wahrhaftig der letzte Mensch, den ich hier erwartet habe, Herr», sagte er.

Und ich rief ihm einen Fluch entgegen. Es war ein guter Fluch, kurz und derb.

«Ist das die rechte Art», fragte er milde, «einen Prinzen zu grüßen?»

«Ich schulde Finan zwei Schillinge», erklärte ich.

Denn gerade hatte es angefangen zu schneien.

 

Es ist eines der Privilegien des Alters, in einem Palas vom Feuer gewärmt zu werden, wenn draußen in der Nacht Schnee fällt und die Späher in der Kälte zittern, während sie nach Gegnern Ausschau halten, die aus einer selbstgestellten Falle zu entkommen versuchen. Nur dass ich nun nicht mehr sicher war, wer hier in der Falle saß und wer ihn dort hineingelockt hatte.

«Ich habe Pater Swithred niemals ausgesandt, um Hilfe zu holen», sagte Æthelstan. «Euer Mönch hat gelogen. Und Pater Swithred erfreut sich bester Gesundheit, Gott sei’s gedankt.»

Prinz Æthelstan war König Edwards ältester Sohn. Er war das Kind eines hübschen Mädchens aus Cent, einer Bischofstochter, und das arme Mädchen war bei seiner Geburt und der seiner Zwillingsschwester Eadgyth gestorben. Nach dem Tod des Mädchens hatte Edward eine Westsächsin geheiratet und einen weiteren Sohn gezeugt, durch den Æthelstan zu einer Unannehmlichkeit wurde. Er war der älteste Sohn des Königs, der Ætheling, doch er hatte nun einen jüngeren Halbbruder, dessen rachsüchtige Mutter Æthelstans Tod wollte, weil er zwischen ihrem Sohn und dem Thron von Wessex stand. Daher streuten sie und ihre Unterstützer das Gerücht, Æthelstan sei ein Bastard, da Edward das hübsche Mädchen aus Cent nie geheiratet habe. In Wahrheit hatte er es geheiratet, jedoch in aller Heimlichkeit, denn sein Vater hatte ihm nicht die Erlaubnis dazu gegeben. Und mit den Jahren war das Gerücht ausgeschmückt worden, sodass es nun hieß, Æthelstans Mutter sei die Tochter eines Schäfers, sie sei eine Hure von niedriger Geburt und kein Prinz würde jemals solch ein Mädchen heiraten, und das Gerücht wurde geglaubt, weil die Wahrheit gegenüber leidenschaftlich vorgetragenen Lügen immer schwach klingt.

«Wirklich», erklärte mir Æthelstan jetzt. «Wir brauchen keine Unterstützung, ich habe nicht darum gebeten.»

Einen Moment lang starrte ich ihn einfach nur an. Ich liebte Æthelstan wie einen Sohn. Über Jahre hinweg hatte ich ihn beschützt, für ihn gekämpft, ihn das Kriegerhandwerk gelehrt, und als ich von Bruder Osric gehört hatte, Æthelstan stünde unter Belagerung und würde schwer bedrängt, war ich aufgebrochen, um ihn zu retten. Es war unwichtig, dass die Rettung Æthelstans den Interessen Northumbriens zuwiderlief, ich hatte einen Eid darauf abgelegt, ihn zu schützen, und hier war ich nun, in dem großen römischen Palas, wo er mir soeben erklärt hatte, dass er nie um meine Hilfe gebeten habe. «Ihr habt Pater Swithred nicht geschickt?», fragte ich. In der Feuerstelle brach ein Holzscheit ein und spie einen leuchtenden Funken auf die Binsenstreu. Ich trat den Funken mit dem Fuß aus.

«Aber nein! Er ist hier.» Æthelstan deutete durch den Saal auf den großen, ernsten Priester, der mich misstrauisch beobachtete. «Ich habe Erzbischof Athelm gebeten, ihn zum Bischof von Ceaster zu ernennen.»

«Und Ihr habt ihn nicht aus der Stadt geschickt?»

«Aber nein! Dazu hatte ich keinen Grund.»

Ich sah Finan an, der mit den Schultern zuckte. Es war Wind aufgekommen, er trieb den Rauch zurück in den großen Saal, der zum Haus des römischen Statthalters gehört hatte. Das Dach bestand aus starkem Balkenwerk, das mit Ziegeln gedeckt war, und ein Großteil davon hatte die Zeit überdauert, auch wenn die Sachsen irgendwann ein Loch als Rauchabzug hineingehackt hatten. Jetzt trieb der auffrischende Wind den Rauch zurück und ließ ihn um die rußgeschwärzten Deckenbalken wirbeln. Schneeflocken fielen durch das Loch herein, und ein paar hielten sich lange genug, um erst auf dem Tisch zu vergehen, an dem wir aßen. «Ihr habt also nie um meine Hilfe gebeten?», fragte ich Æthelstan ein weiteres Mal.

«Wie oft muss ich es Euch noch sagen?», fragte er und schob mir den Weinkrug hin. «Und davon abgesehen, falls ich Hilfe gebraucht hätte, warum hätte ich dann nach Euch schicken sollen, wenn die Einheiten meines Vaters viel näher sind? Ihr hättet mir ohnehin nicht geholfen!»

Dafür erntete er ein Knurren. «Warum sollte ich Euch nicht helfen? Ich habe geschworen, Euch zu beschützen.»

«Aber Unruhen in Mercien», sagte er, «sind gut für Northumbrien, nicht wahr?»

Ich nickte widerstrebend. «Das sind sie.»

«Denn wenn wir Mercier untereinander kämpfen», fuhr Æthelstan fort, «können wir nicht gegen Euch kämpfen.»

«Wollt Ihr gegen uns kämpfen, Herr Prinz?», fragte Finan.

Æthelstan lächelte. «Gewiss will ich das. Northumbrien wird von einem Heiden regiert, einem Norweger …»

«Meinem Schwiegersohn», unterbrach ich ihn schroff.

«… und es ist das Schicksal der Sachsen», Æthelstan beachtete meine Worte nicht, «ein einziges Volk zu sein, unter einem einzigen König und einem einzigen Gott.»

«Eurem Gott», murrte ich.

«Es gibt keinen anderen», sagte er sanft.

Alles, was er sagte, ergab Sinn, bis auf den Unsinn über einen einzigen Gott, und der gesunde Menschenverstand legte nahe, dass ich aus keiner guten Absicht quer durch Britannien gelockt worden war. «Ich hätte Euch hier verrotten lassen sollen», knurrte ich.

«Aber das habt Ihr nicht.»

«Euer Großvater hat immer gesagt, ich sei ein Narr.»

«Mein Großvater hat in so vielen Dingen wahr gesprochen», sagte Æthelstan mit einem Lächeln. Sein Großvater war König Alfred.

Ich stand auf und ging zur Tür des Saales. Ich zog sie auf und starrte einfach nur zu den schimmernden Feuern oberhalb der östlichen Stadtmauer hinüber. Der größte Teil dieses Schimmerns stammte von dem Lager, in dem sich Cynlæfs Männer vor dem heftigen Schnee verkrochen, der aus Richtung Norden herangetrieben wurde. Kohlepfannen brannten auf der Stadtmauer, wo in Umhänge gehüllte Speermänner über den eingeschüchterten Gegner wachten. Im helleren Licht zweier flammender Fackeln neben den großen Doppeltüren des Saales zeigte sich der frische Schnee, der sich an den Gebäudemauern aufschichtete.

Bruder Osric hatte also gelogen. Wir hatten den Mönch mitgenommen, doch ich war sein endloses Gejammer über die Kälte und seinen wundgerittenen Hintern leid geworden, und wir hatten ihn bei Mameceaster gehen lassen, wo ihm, wie er behauptet hatte, die Kirche Obdach gewähren würde. Ich hätte den Bastard besser getötet. Mich überlief ein Schaudern, mit einem Mal nahm ich die Kälte der Nacht wahr. «Roric!», rief ich in den Saal hinein. «Bring meinen Umhang!»

Bruder Osric hatte gelogen. Der Mönch hatte mir erzählt, Æthelstan habe weniger als hundert Krieger, doch in Wahrheit hatte er zweimal so viele, was immer noch eine sehr kleine Garnison für einen Ort von der Größe Ceasters war, doch sie genügte, um die schwachen Vorstöße abzuwehren, die Cynlæf unternommen hatte. Bruder Osric hatte mir erklärt, die Garnison werde ausgehungert, tatsächlich aber waren ihre Lagerhäuser noch immer mit der halben Ernte des Vorjahres gefüllt. Eine Lüge hatte mich nach Ceaster gebracht, doch warum?

«Euer Umhang, Herr», sagte eine verstellte Stimme, und als ich mich umdrehte, hatte ich Prinz Æthelstan vor mir, der mir das schwere Pelzgewand persönlich gebracht hatte. Auch er trug einen Umhang. Er nickte einem der Wachtposten zu, damit er die Tür zum Saal hinter uns schloss, dann stellte er sich zu mir, um dem weichen, unaufhörlichen Rieseln des Schnees zuzuschauen. «Ich habe nicht nach Euch geschickt», sagte er und legte mir den dicken Pelz um die Schultern, «aber ich danke Euch für Euer Kommen.»

«Und wer hat den Mönch wirklich geschickt?», fragte ich.

«Vielleicht niemand.»

«Niemand?»

Æthelstan zuckte mit den Schultern. «Vielleicht wusste der Mönch von der Belagerung, wollte Hilfe holen, wusste aber, dass Ihr ihm misstrauen würdet, also hat er die Geschichte von Pater Swithred erfunden.»

Ich schüttelte den Kopf. «So schlau war er nicht. Und er hatte Angst.»

«Ihr jagt vielen Christen Angst ein», sagte Æthelstan trocken.

Ich starrte in den Schnee, der um die Ecke des Hauses gegenüber wirbelte. «Ich sollte nach Hwite gehen», sagte ich.

«Hwite? Weshalb?»

«Weil der Mönch aus dem Kloster dort kam.»

«Es gibt kein Kloster in Hwite», sagte Æthelstan. «Ich würde gern eins bauen, aber …» Er ließ den Satz unbeendet.

«Der Bastard hat gelogen», sagte ich rachsüchtig. «Ich hätte es wissen sollen!»

«Wissen? Woher?»

«Er sagte, Pater Swithred sei von hier aus Richtung Süden gegangen. Wie hätte er das tun können? Die Brücke war zerstört. Und warum Swithred schicken? Ihr hättet einen jüngeren Mann beauftragt.»

Æthelstan erschauderte. «Warum sollte der Mönch lügen? Vielleicht wollte er einfach nur Hilfe holen.»

«Hilfe holen», sagte ich höhnisch. «Nein, der Bastard wollte, dass ich nicht in Bebbanburg bin.»

«Damit jemand angreifen kann?»

«Nein. Bebbanburg würde nicht fallen.» Ich hatte meinem Sohn den Befehl übergeben, und er hatte zweimal so viele Krieger, wie zur Verteidigung dieser schroffen und abweisenden Festung notwendig waren.

«Jemand wollte Euch also nicht in Bebbanburg haben», sagte Æthelstan entschieden, «denn solange Ihr in Bebbanburg seid, können sie nicht zu Euch vordringen. Aber jetzt? Jetzt seid Ihr in Ihrer Reichweite.»

«Warum lassen sie mich dann hierherkommen?», fragte ich. «Wenn sie mich töten wollten, warum dann abwarten, bis ich unter Freunden bin?»

«Ich weiß nicht», sagte er, und ich wusste es ebenso wenig. Der Mönch hatte gelogen, doch aus welchem Grund, konnte ich nicht sagen. Es war eine Falle, offenkundig war es eine Falle, aber wer sie aufgestellt hatte und warum, blieb ein Rätsel. Æthelstan stampfte mit den Füßen, dann winkte er mich mit sich über die Straße, wo unsere Schritte die ersten Spuren im neuen Schnee hinterließen. «Trotzdem», sprach er weiter, «ich bin froh, dass Ihr gekommen seid.»

«Es war nicht notwendig.»

«Wir waren in keiner ernsthaften Gefahr», stimmte er mir zu, «und mein Vater hätte im Frühling Hilfe geschickt.»

«Hätte er das?»

Er überging den deutlichen Zweifel in meinem Ton. «In Wessex hat sich alles geändert», sagte er milde.

«Die neue Frau?», fragte ich bissig und meinte König Edwards neue Ehefrau.

«Die eine Nichte meiner Mutter ist.»

Das hatte ich nicht gewusst. Was ich wusste, war, dass König Edward sich seiner zweiten Frau entledigt und eine jüngere Frau aus Cent geheiratet hatte. Die ältere Frau war nun in einem Kloster. Edward behauptete, ein guter Christ zu sein, und Christen sagen, sie würden die Ehe fürs Leben schließen, doch eine üppige Summe Gold oder königliche Ländereien konnten die Kirche zweifellos davon überzeugen, dass ihre Doktrin falsch war und der König eine Frau ablegen und eine andere heiraten durfte. «Steht es dann jetzt nicht günstig für Euch, Herr Prinz?», fragte ich. «Seid Ihr wieder der Thronerbe?»

Er schüttelte den Kopf. Unsere Schritte knarrten im Schnee. Er führte mich eine Gasse hinunter, die uns zum östlichen Stadttor bringen würde. Zwei seiner Wachen folgten uns, aber nicht dicht genug, um unser Gespräch mitzuhören. «Mein Vater hält immer noch viel von Ælfweard, wie ich höre.»

«Eurem Rivalen», sagte ich bitter. Ich verabscheute Ælfweard, Edwards zweiten Sohn, der ein launisches Stück Rattenschiss war.

«Meinem Halbbruder», sagte Æthelstan, «den ich liebe.»

«Tut ihr das?» Einen Moment lang antwortete er nicht. Wir erstiegen die römische Treppe zum östlichen Teil der Stadtmauer, auf der Kohlepfannen die Wachtposten wärmten. Oben angekommen, hielten wir inne und ließen unseren Blick auf dem Lager des geschlagenen Gegners ruhen. «Liebt ihr diesen kleinen Scheißhaufen wirklich?», fragte ich.

«Gott gebietet uns, einander zu lieben.»

«Ælfweard ist abscheulich.»

«Er könnte ein guter König werden», sagte Æthelstan gelassen.

«Und ich werde der nächste Erzbischof von Contwaraburg.»

«Das wäre sicher unterhaltsam», sagte er belustigt.