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»Generation Gwinn!«
So titelte der Spiegel und Giulia Gwinn macht dieser Schlagzeile alle Ehre. Bereits als Kind schlich sie sich förmlich davon, um mit den Jungs Fußball zu spielen – ihre eigene Mutter war anfangs nämlich noch dagegen. Doch Giulia folgte ihrer Leidenschaft, setzte sich gegen alle Widerstände durch und feierte als 18-Jährige ihr Debüt für die deutsche Nationalmannschaft. Selbst von zwei Kreuzbandrissen ließ sie sich nicht ausbremsen. Im Gegenteil: Sie kam noch stärker zurück und reifte beim FC Bayern München und im DFB-Team zur Führungsspielerin.
Giulia Gwinn ist Kapitänin der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, Olympia-Bronze-Gewinnerin und mehrmalige Deutsche Meisterin. Die Fans wählten sie zur Nationalspielerin des Jahres 2024 und 2019, das Forbes-Magazin nahm sie 2022 zudem unter seine Top 30 unter 30 auf. Auf Instagram erreicht und inspiriert Gwinn weit mehr als eine halbe Million Menschen. Parallel zum Fußball studiert sie Sportmanagement und lebt eine große Leidenschaft für Hunde und Fashion.
Sie beweist:
• Warum es sich lohnt, immer weiterzukämpfen und das eigene Ziel nie aus den Augen zu verlieren.
• Welch große Wirkung gelebte Werte und Glaubenssätze haben.
• Wie wichtig es ist, sich selbst treu zu bleiben.
Giulia verspürte von klein auf einen inneren Antrieb, ihren eigenen Weg zu gehen, ihre ganz eigene Geschichte zu schreiben. Jetzt hat sie diese besondere Story für uns alle aufgeschrieben.
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Seitenzahl: 325
Veröffentlichungsjahr: 2025
Buch
Giulia Gwinn ist vieles: Fußballerin vor allem, aber genauso Familienmensch, Sportmanagement-Studentin, Modebegeisterte, Markenbotschafterin und inspirierendes Idol. Seit ihrer Kindheit brennt Giulia für den Fußball, sie setzt sich gegen alle Widerstände durch, als einziges Mädchen in verschiedenen Vereinen. Nach zwei Kreuzbandrissen steht sie wieder ganz oben in der Nationalmannschaft und beim FC Bayern München. Sie beweist:
Warum es sich lohnt, immer weiterzukämpfen und das eigene Ziel nie aus den Augen zu verlieren. Welch große Wirkung gelebte Werte und Glaubenssätze haben.Wie wichtig es ist, sich selbst treu zu bleiben.Giulia verspürte von klein auf einen inneren Antrieb, ihren eigenen Weg zu gehen, ihre ganz eigene Geschichte zu schreiben. Jetzt hat sie diese besondere Story für uns alle aufgeschrieben.
Autoren
Giulia Gwinn, geboren 1999, ist Kapitänin der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und eine offensiv ausgerichtete Außenverteidigerin beim FC Bayern München. Sie ist Olympia-Bronze-Gewinnerin und mehrmalige Deutsche Meisterin. Die Fans wählten sie zur Nationalspielerin des Jahres 2024 und 2019, das Forbes-Magazin nahm sie 2022 zudem unter seine Top 30 unter 30 auf. Auf Instagram erreicht und inspiriert Gwinn weit mehr als eine halbe Million Menschen. Parallel zum Fußball studiert sie Sportmanagement und lebt eine große Leidenschaft für Hunde und Fashion.
Julien Wolff, geboren 1983, ist Journalist aus Leidenschaft. Als Sportredakteur bei Welt und Welt am Sonntag berichtet er über den FC Bayern und die Nationalmannschaft. Der Bestseller-Autor schrieb unter anderem die Kinderbuch-Reihe von und mit Weltmeister Thomas Müller, die international erschien. Wolff lebt in München.
GIULIA GWINN
MIT JULIEN WOLFF
WRITE YOUR OWN STORY
Mein Weg vom Bolzplatz in die Weltspitze
Mit einem Vorwort von Horst Hrubesch
Alle Ratschläge in diesem Buch wurden von der Autorin und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung der Autorin beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.
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Originalausgabe Mai 2025
Copyright © 2025: Mosaik Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)
Redaktion: Nina Schnackenbeck
Dieses Buch wurde vermittelt von Agence Hofmann.
Umschlag und Bildteil: Sabine Kwauka
Umschlagfotos: © berli berlinski,Kinderfoto: © Giulia Gwinn privat
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
GS ∙ MW
ISBN 978-3-641-31997-7V003
www.mosaik-verlag.de
Für die kleinen und großen Träumerinnen und Träumer dieser Welt
INHALT
Vorwort:Von Horst Hrubesch
Kapitel 1:Der Traum in Omas Schrank
Kapitel 2:Das Mädchen ohne Namen
Zwischenwort: Für immer wild
Von Joachim Masannek
Kapitel 3:Pendeln zwischen den Welten
Kapitel 4:Zweifel im Mannschaftsbus
Kapitel 5:Ich und der Nackte für Deutschland
Kapitel 6: Die große Fußballwelt ruft
Zwischenwort: Deine himmel-, himmel-, himmelblauen Augen
Von Kim Fellhauer
Kapitel 7:Das Tor, das alles ändert
Kapitel 8: Am Tiefpunkt
Kapitel 9:Die ganze Qual nochmal
Zwischenwort: Ein gestrichener Flug mit tollen Folgen
Von Prof. Dr. Christian Fink
Kapitel 10: Zwischen den Fronten
Zwischenwort: Von nichts und niemandem
Von Felix Seidel
Kapitel 11:Der olympische Traum
Kapitel 12:Käpt’n
Kapitel 13:Miss 360 Grad
Kapitel 14:Mein Sport im Wandel
Kapitel 15: Ein Zopf mit Vorbildfunktion
Kapitel 16: #viral
Kapitel 17:Die neue Zauberkugel
Schlusswort: Unsere Fußball-Prinzessin
Von Gabi Gwinn
Danksagung
Steckbrief Giulia Gwinn
Quellen
Bildnachweis
Bildteil
VORWORT
Von Horst Hrubesch
Ich denke mir: Das ist richtig mutig von Giuli. Finde ich gut. Auch wenn ich ihren Wunsch nicht erfüllen kann.
Wir stehen nach dem Abschlusstraining vor unserer dritten Gruppenpartie der Olympischen Sommerspiele 2024 gegen Sambia auf dem Trainingsplatz in Saint-Étienne. Zwei Tage zuvor haben wir mit der deutschen Nationalmannschaft gegen die USA gespielt. Und 1:4 verloren. Als Bundestrainer habe ich immer wieder Kommandos ins Spiel gerufen. In meiner Wortwahl war ich sehr deutlich. Das ist meine Art. Ich halte verbal schon mal drauf. Damit die Spielerinnen richtig wach werden. Das gehört für mich in unserem Sport dazu. Trainer alter Schule, sagen manche.
Auch in diesem wichtigen Spiel wollte ich den Mädels damit nur helfen. Sie haben manches auf dem Rasen nicht so hingekriegt, wie wir es uns erhofft hatten. Deshalb habe ich von außen mehr Einfluss als sonst genommen. Ich habe mehr Druck als gewöhnlich aufgebaut.
Deshalb kommt Giuli nun zu mir.
»Horst, können wir mal reden?«, fragt sie.
»Klar«, sage ich.
»Kannst du vielleicht draußen an der Linie im nächsten Spiel gegen Sambia etwas leiser sein?«
»Nein!«, antworte ich. »Wenn ich spüre, dass wir das Spiel im Griff haben, wir aber verpassen, es zu entscheiden – da kann ich nicht ruhig draußen stehen und einfach nur zuschauen. Da will ich euch helfen. Das ist auch meine Verpflichtung.«
Giuli hört genau zu. Und nickt schließlich. Sie versteht das. Ich freue mich, dass sie zu mir gekommen ist. Weil sie im Namen ihrer Mitspielerinnen fragt. Weil sie aktiv wird, den Austausch sucht. Sich nicht scheut, ihre Sicht der Dinge offensiv zu schildern.
Als Trainer kannst du sehr dankbar sein für eine solche Rückmeldung aus der Mannschaft. Giuli ist zu der Zeit eine Spielerin, die gerade erst in eine Führungsrolle reingewachsen ist. Ich denke mir: Alle Achtung! Toll, dass sie sich das traut. Sie übernimmt Verantwortung. Sie spricht die Dinge an.
Wir gewinnen gegen Sambia 4:1. Es ist Giulis 50. Länderspiel.
Diese kleine Geschichte von unserem Gespräch beim Abschlusstraining zeigt, wie Giuli tickt. Als ich 2018 Nationaltrainer werde, treffe ich sie zum ersten Mal. Sofort fällt mir auf: Dieses Mädchen hat eine besondere Ausstrahlung. Giuli strahlt Selbstvertrauen aus. Das brauchst du im Fußball. Und ihre Ausstrahlung dokumentiert ihre Qualität. Das fasziniert mich.
Die sportliche Qualität ist das eine. Mich als Trainer interessiert vor allem: Wo kann es mal hingehen? Wie kann sich jemand menschlich entwickeln? Ich sehe und spüre: Giuli kann vorweggehen. Sie kann eine Führungsspielerin werden. Diese junge Frau ist bereit, auf dem Spielfeld Risiken einzugehen. Fehler zu begehen. Und aus diesen zu lernen. Das ist im Fußball und im Leben sehr wichtig.
Im Laufe der Jahre lerne ich ihre Eltern kennen. Und erkenne, dass Giuli aus einem gesunden Zuhause kommt. Der Umgang in der Familie Gwinn untereinander passt total. Das macht viel aus. Giuli ist aufgeräumter und klarer, als ich es in ihrem Alter war. Ich habe damals länger gebraucht, um dahin zu kommen.
Zwei ihrer großen Stärken: Sie will sich entwickeln. Und sie nimmt Hilfe und Unterstützung an. Ihr ist klar, dass es ohne Hilfe nicht geht. Sie weiß, auf wen sie zugehen kann, mit wem sie sprechen kann. Giuli ist kritikfähig und bereit, Verantwortung für andere zu übernehmen.
Junge Spielerinnen brauchen Führung. Aber sie müssen Schritte auch allein gehen. Nach all den Jahren, in denen ich mit Giuli gearbeitet und ihren Weg begleitet habe, kann ich sagen: Giuli anzuleiten, ist nicht schwierig. Über das, was ich ihr als Trainer an die Hand gebe, denkt sie nach. Sie setzt es um. Und entwickelt es dann selbstständig weiter. Sie hat immer den nächsten Schritt im Auge.
Giuli will immer gewinnen. Sie will Energie investieren. Sie will besser werden. Und sie nimmt die anderen mit. Das ist für mich der entscheidende Faktor. Im Mannschaftssport gilt: Gemeinsam sind wir stark. Diesen Leitspruch lebt Giuli. Sie stellt komplett den Typ Teamplayerin dar. Bei Giuli kriegst du immer hundert Prozent. In Sachen Fußball, Verantwortung und Einstellung.
Ihre zwei schweren Kreuzbandverletzungen damals tun mir sehr weh. Wenn eine Spielerin gerade auf einem sehr guten Weg ist und so ausgebremst wird, ist das immer extrem bitter. Während ihrer Verletzungspausen treffe ich sie immer wieder. Und erkenne, wie hart sie arbeitet. Wie sie sich für ihr Comeback quält. Sie lässt sich nicht unterkriegen. Sie jammert nicht. Das ist eine weitere ihrer großen Stärken: dass sie die Situation akzeptiert. Die Dinge nimmt, wie sie nun mal sind. Und Widerstände überwindet.
Im Frühjahr 2024 frage ich sie, ob sie Kapitänin unserer Nationalmannschaft werden möchte. Ich habe vorher mit allen Führungsspielerinnen über meine Idee gesprochen. Alle sind dafür. Solch eine Entscheidung treffe ich als Trainer nicht aus dem Bauch heraus. Ich habe bei unserer Mannschaft und bei Giuli genau hingesehen. Sie hat einen guten Draht zu ihren Mitspielerinnen. Sie ist aus meiner Sicht die Richtige. Ich sage mir: Frag sie dann, wenn sie mit nichts rechnet. Mal schauen, was passiert.
Es ist wie in Spielen: Du musst auch dann Entscheidungen treffen, wenn Dinge passieren, mit denen du nicht rechnest. Das macht Giuli gut. Auch in dieser Situation.
Sie sagt mir offen, dass sie nicht ganz sicher ist, was sie als Kapitänin alles machen muss. Oder Spezielles machen soll. Meine Antwort: »Du musst nur so bleiben, wie du jetzt bist.« Das macht sie. Eine weitere Stärke: Giuli ist absolut authentisch. Sie hat eine absolut ehrliche und klare Art.
Giuli ist noch lange nicht fertig. Bei ihr geht noch einiges. Sie hat vieles erreicht – doch damit gibt sie sich nicht zufrieden. Auf Erfolgen ruht sie sich nicht aus. Ich habe bei ihr das Gefühl: Sie schaut genau hin, wo ihre Entwicklung hingehen kann. Was ist in fünf Jahren? Sie wird sich weiterentwickeln. Sie wird weiterwachsen.
Während meiner Zeit als Nationaltrainer kommen manchmal Sprüche auf wie: Giuli ist dein Liebling. Unbestritten: Ich mag Giuli. Wir haben ein super Verhältnis. Aber: Bei mir hieß und heißt es immer Geben und Nehmen. Das weiß sie genau. Ich habe sie gefördert, aber auch immer Leistung und Verantwortungsbewusstsein eingefordert. Sie zahlt es einem zurück.
Giuli ist einer der Köpfe der Nationalmannschaft in den kommenden Jahren. Sie ist auf dem richtigen Weg. Den soll sie weitergehen. Menschlich wie sportlich. Und weiter ihre Geschichte schreiben, die inspirierend für so viele junge Menschen sein kann.
Horst Hrubesch, geboren 1951, ist einer der erfolgreichsten Fußballer der deutschen Sportgeschichte. Er gewann mit dem Hamburger SV dreimal die deutsche Meisterschaft sowie 1983 den Europapokal der Landesmeister, die heutige Champions League. Zudem wurde er 1980 mit Deutschland Europameister und 1982 Torschützenkönig der Bundesliga. Als Trainer gewann der einstige Weltklassestürmer mit der Olympiaauswahl der Männer 2016 die Silbermedaille, mit der U19 und der U21 zuvor jeweils die Europameisterschaft (2008 und 2009). Zweimal war Hrubesch interimsweise Bundestrainer der Frauen, 2024 gewann er mit ihnen bei den Olympischen Spielen in Paris die Bronzemedaille. Hrubesch wurde in die Hall of Fame des deutschen Fußballs aufgenommen.
KAPITEL 1
Der Traum in Omas Schrank
GLAUBE: IFYOUCANDREAMIT, YOUCANDOIT!
Ich bettele meine Oma an. Bitte! Bitte! Bitte!
In diesen Moment lege ich alles rein, was ich mit meinen sechs Jahren habe: große Kulleraugen, aus denen ich sie, so lieb ich nur kann, anschaue. Kleine Hände, mit denen ich vor lauter Vorfreude klatsche – und bereits meinen starken Willen. »Ich will das soooo gern machen, Omi.« Bitte! Bitte! Bitte! Dann erzähle ich ihr aufgeregt von meinem Plan. Ich bin gerade vom Schulunterricht gekommen. Wir sitzen am Esstisch. Meine Oma Rita schaut mich lächelnd an. Und sagt schließlich die drei Wörter, auf die ich so gehofft habe. »Machen wir, Giuli.«
Sie holt Stift und Papier. Mein Bruder Leon sitzt neben mir. Als Omi zurück ins Esszimmer kommt und uns beides in die Hand drückt, strahle ich. Neulich haben wir mit unserer Familie einen Film gesehen, in dem jemand einen Wunsch auf einen Zettel geschrieben hat, ihn dann in eine Zauberkugel gepackt und diese vergraben hat. Reingelegt hat die Person in dem Film einen Zettel mit ihrem größten Wunsch. Und die Zauberkugel ist eine Zeitkapsel – sie erfüllt in der Zukunft den Wunsch, macht den Traum wahr. »Omi, so machen wir das auch!«, rufe ich euphorisch. Meine Oma lächelt und streichelt mir über die blonden Haare. Sie sieht zu, wie Leon und ich losschreiben. Ich bin so aufgeregt, dass ich mich einmal verschreibe. Immerhin schreibe ich gerade an meiner Zukunft, da zittern meine Kinderfinger schon mal. Als ich fertig bin, überreiche ich ihr stolz den Zettel, auf dem jetzt in meiner Kinderschrift und ohne grammatikalisches Vorwissen steht: »Mein Wunsch: Ich wünsche mir Fußballstar werde. Und das ich die beste Torwartin Fußballerin von allen bin. ich gesund bleibe«
Meine Omi nickt. Sie und mein Opa wohnen wie wir in Friedrichshafen am Bodensee, fünf Autominuten entfernt, wir sind ganz oft bei ihnen. Unsere Omi Rita nimmt unsere Zettel, faltet sie feinsäuberlich und tut jeden in eine Box. Die Box ist mit kleinen Muscheln besetzt, ich habe sie ihr mal aus dem Italienurlaub mitgebracht. Auch wenn wir sie nicht im Garten vergraben – das ist für mich jetzt die Zauberkugel, wie aus dem Film. Meine Omi blickt mich und meinen Bruder lächelnd an. »Und jetzt verstecken wir die – und machen sie erst in zehn Jahren wieder auf.« Ich klatsche vor Aufregung. Ich bin hochzufrieden mit unserer Aktion und stolz. Jetzt habe ich meine eigene Zauberkugel!
Meiner Mama erzählen Leon und ich nichts davon. Es ist unser Geheimnis. Und in unserer großen Familie gibt es jeden Tag so viel zu erzählen, da sind die kindlichen Gedanken schnell bei einem anderen Thema. Am Anfang denke ich noch ab und zu an unsere Zauberbox und meinen Zettel da drinnen. Doch mit der Zeit vergesse ich beides. Und meine Oma mehr oder minder auch. Was bleibt: meine absolute Begeisterung für den Fußball. Meine Oma und mein Opa sagen immer: »Nirgends wirkst du so dermaßen glücklich wie beim Fußball.«
2020 gehen sie von uns. Für meine Eltern folgt nach dem Tod der beiden ein schwerer Gang: Sie räumen die Wohnung von Oma und Opa aus. Bei unserem nächsten Treffen hält Mama plötzlich die Zauberbox in der Hand, welche Oma Rita, die Mama meines Papas, damals versteckt hat. Ich erkenne sie sofort. »Schau mal, Giuli, die haben wir gefunden. Was ist das? Was machen wir damit? Kann das weg?«
Bei mir rattert es kurz im Kopf. Dann ist sofort der Tag von damals wieder da. Aber was habe ich aufgeschrieben? Ich weiß es nicht mehr. Mit Mama zusammen öffne ich die Zauberbox. Wir ziehen den Zettel hervor, falten ihn auf. Es ist jetzt wirklich wie bei einer Zeitkapsel. Als ich lese, was ich vor rund 15 Jahren in meiner kindlichen Schrift ausgedrückt habe, wird mir bewusst, dass es stimmt, was man sagt.
Träume können Wirklichkeit werden.
***
Doch in der Erwachsenenrealität erfüllt nicht die Zauberkugel diese Träume. Für meine Träume musste ich selbst viel tun. Widerstände überwinden. Über meine Grenzen gehen. Mit meinen Liebsten und tollen Menschen um mich herum immer wieder den Glauben an meinen Traum verstärken. Ich habe Tränen des Glücks vergossen. Tränen der Verzweiflung. Ich habe gewonnen und verloren, auf und außerhalb des Rasens. Ich war mit Pokalen ganz oben und mit der Angst vor dem Karriereende ganz unten. Mich haben Glücksgefühle auf Wolke sieben schweben lassen. Mich hat Frust runtergezogen und in dunkle Gedanken getaucht. Und ich bin immer wieder aufgestanden.
Vor allem bin ich gewachsen. Habe gelernt. Bin als Persönlichkeit gereift.
Ich habe euch also etwas zu erzählen.
Ich erzähle euch meine Geschichte. Sie enthält viele Dinge, die ich öffentlich noch nie erzählt habe. Ich erzähle sie euch, ohne dass sie die Blaupause für euer Leben schlechthin sein soll. Ich gebe keinen Weg vor. Ich will euch einfach ermutigen, euren zu finden – und vor allem auch, ihn zu gehen. Jeder Mensch kann seine eigene Geschichte schreiben, ohne Stift und Papier, ohne Laptop. Mit Taten. Mit Werten. Mit Überzeugungen. Mit Visionen. Davon bin ich zutiefst überzeugt. Seine Geschichte schreiben heißt, seine Zukunft zu schreiben. Optimistisch und selbstbewusst nach vorn zu schauen.
Deshalb heißt mein Buch #writeyourownstory. Das ist mein Motto. An das ich so sehr glaube, dass ich es mir auf den linken Unterarm habe tätowieren lassen. Das mich jeden Tag antreibt.
Ich möchte euch inspirieren. Motivieren. Zeigen, dass Träume Triebwerke sein können. Der eigene Weg ist gerade am Anfang nicht einfach. Aber er lohnt sich.
Was mich das Leben und die Rückschläge bis hierhin gelehrt haben, kann sich jede und jeder von euch zu eigen machen. Egal, wie jung ihr seid. Egal, welchen Beruf ihr ausübt. Egal, wie wenig oder viel Geld ihr habt.
Vieles in meinem Leben mag von außen einfach wirken. Und so toll: Profi beim FC Bayern, Nationalspielerin, viele Followerinnen und Follower. Das ist auch grandios. Doch wo Scheinwerfer sind, fällt auch Schatten. Auch ich hatte Zweifel. Hatte Downs. Hatte Momente, in denen ich alles hinschmeißen wollte. Tage, an denen ich nicht wusste, welche Richtung jetzt die richtige ist für mein Leben. Gerade aus diesen Phasen habe ich viel gezogen.
Als Spielerin gebe ich dem Team gern Orientierung, gerade in schwierigen Phasen. Vielleicht kann ich das mit diesem Buch auch tun.
Das hier ist meine Story.
Das hier ist mein Leben.
Das hier ist Giulia Gwinn.
Das hier ist eure Giuli.
KAPITEL 2
Das Mädchen ohne Namen
ZUSAMMENHALT: FAMILYFIRST
Meine große Reise in die Fußballwelt beginnt auf einem kleinen Bolzplatz. Und mit einer kleinen Lüge.
Meine Story fängt am Bodensee an. Genauer gesagt in Ailingen, in der Nähe von Friedrichshafen. Unser Ort hat gerade mal 7000 Einwohnerinnen und Einwohner. Meine Familie lebt im Ortsteil Unterlottenweiler am Rande von Ailingen, hier stehen einige Höfe und Wohnhäuser. Ein richtiges Dorfleben. Es gibt nur eine größere Straße, es geht ruhig und beschaulich zu. Ailingen darf sich sogar »staatlich anerkannter Erholungsort« nennen.
Zu Hause sind wir zu sechst: meine Mama Gabi, mein Papa Florian, meine Brüder Manu und Leon sowie meine Schwester Jessi und ich. Jessi und Manu sind genau genommen meine Halbgeschwister, aber dieses Wort hört sich für mich komisch an. Für mich sind sie schon immer einfach meine Geschwister gewesen. Ich bin die Jüngste. Leon ist knapp zwei Jahre älter als ich, Manu fünf Jahre, Jessi sogar 17 Jahre.
Bevor ich zur Welt komme, sucht sich meine Mama für mich den Namen Giulia aus. Die italienische Form von Julia. Meine Eltern mögen Italien sehr, Mama findet den Namen besonders und total schön. Mein Papa will aber unbedingt, dass ich Ronja heiße. Zum Glück setzt er sich damals nicht durch. Ich bin nicht gerade in love mit dem Namen Ronja, denn ich denke da immer an Ronja Räubertochter. Passt einfach nicht komplett zu mir. Nachdem meine Mama damals das letzte Wort behält, besteht mein Papa darauf, dass es mein zweiter Name wird – und das ist für mich aus heutiger Sicht auch total okay, ein guter Deal.
Und dann, am 2. Juli 1999, erblicke ich das Licht dieser Welt. Da ist es: Giuli, das Küken. Noch schnell vor der Jahrtausendwende fange ich an, auf dieser wunderschönen Erde rumzukrabbeln. Frankreich ist Fußballweltmeister, Mambo No. 5 die Nummer eins in den Musikcharts, Gerhard Schröder Bundeskanzler – und die Familie Gwinn jetzt noch größer. Nicht nur vom Alter her bin ich das Küken – auch körperlich. Und damals auch vom Wesen her. Ich bin klein und zierlich. Und nach außen hin auch ziemlich schüchtern.
Mein Papa hat einen Kfz-Betrieb, meine Mama arbeitet im Büro seiner Werkstatt mit angeschlossener Tankstelle. Seit ich denken kann, spielt der Fußball bei uns daheim eine Rolle. Wir leben in einem Haus mit Garten, den meine Brüder zum Fußballplatz umfunktionieren. Mein Papa hat uns extra ein großes Tor gekauft und aufgebaut. Dort trete ich zum ersten Mal in meinem Leben gegen einen Ball.
Meine beiden Brüder spielen im Verein: Leon für die TSG Ailingen, Manu für den TSV Meckenbeuren. Sie sind total verrückt nach Fußball. Wenn in ihrem Verein kein Training ansteht, zieht es sie immer auf den Bolzplatz, der nur ein paar Schritte hinter unserem Haus liegt. An unseren Garten grenzt ein Maisfeld an, zum Bolzplatz muss man über einen Hof einmal über die Straße. Aber meine Brüder haben einen Schleichweg. Quasi der Expressweg zum Kicken. Die Fast Lane zum Spaß haben. Sie müssen nur aufpassen, dass der Bauer von nebenan sie nicht erwischt.
Als kleines Mädchen hat der Ball, den sich meine Brüder immer unter den Arm klemmen, eine beinahe magische Anziehungskraft auf mich. Ich bin großer Fan der Filmserie Die Wilden Kerle, die auf der Buchreihe Die Wilden Fußballkerle basiert. Ich verschlinge die Bücher und Filme. Für jeden Teil gehe ich ins Kino. Meine Heldin ist Vanessa. Sie ist das einzige Mädchen in der Mannschaft. Und will die erste Frau in der Männer-Nationalmannschaft werden. »Sie ist die Wildeste aller Kerle«, sagt der Junge Raban über sie in dem Buch. Ein Teil der Filmreihe heißt: »Alles ist gut, solange du wild bist!« Das gefällt mir. Das inspiriert mich. Ich erkenne mich in Vanessa wieder. Ich will sein wie sie.
Heute verstehe ich, dass Vanessa eine Figur ist, die ihre Weiblichkeit nicht verhehlt. Und sich durch Zwänge der Gesellschaft nicht einschränken lassen will. Sie schießt sogar mit Stöckelschuhen Tore. Und sie ist die »Königin des Alptraumpasses« – mit ihren Flanken von rechts bereitet sie viele Tore vor. Ihr Spitzname ist »Die Unerschrockene«. Als kleine Giuli finde ich sie einfach nur cool. Und stark. Ich sehe etwas in ihr.
Ich wünsche mir alles von den »Wilden Kerlen«, bald ziert das Logo der Reihe sogar meine Handtücher. Und zu jedem meiner Geburtstage gebe ich eine »Wilde Kerle«-Party, mit Schminken und allem. Auch die Mädchen aus meiner Klasse tragen »Wilde Kerle«-Sachen. Aber im Fußballverein melden sie sich nicht an.
Also will ich unbedingt mit meinen Brüdern auf den Bolzplatz. Damit ich werde wie Vanessa. Leon und Manu sind nicht gerade begeistert. Und weigern sich, mich mitzunehmen. Sie wollen in Ruhe kicken – und nicht ihre kleine Schwester beaufsichtigen. Doch so schüchtern ich damals außerhalb der Familie bin, so penetrant kann ich daheim sein. Wie gesagt: Mein Wille ist schon damals sehr ausgeprägt. Ich lasse nicht locker. Bis Mama zu meinen Brüdern sagt: »Nehmt die Giuli halt bitte mit.«
Doch auf dem Bolzplatz angekommen folgt für mich die Ernüchterung. Ich darf gar nicht mitspielen. »Du holst die Bälle, die am Tor vorbeifliegen«, sagen Leon und Manu. Was die älteren Brüder sagen, wird gemacht. Und sogar das Bälleholen macht mir Spaß. Irgendwann sagen sie: »Stell dich ins Tor.« Auch das bereitet mir Freude. Bis mein Bruder Leon voll abzieht. Der Ball trifft mich mit aller Wucht im Gesicht. Blut schießt aus meiner kleinen Nase, ich fange an zu weinen. Keine Sekunde länger will ich hierbleiben.
Ich renne los, Richtung nach Hause. Auf dem Weg hinterlasse ich eine Blutspur. Der Bauer von nebenan weiß jetzt sicher, dass wir die Abkürzung über sein Gelände genommen haben. Zu Hause angekommen falle ich heulend in Mamas Arme. Sie drückt mich fest und hört sich in Ruhe an, was passiert ist. Als sie erkennt, dass nichts Schlimmes geschehen ist und meine Nase schon nicht mehr blutet, sagt sie: »Tja, Giuli, du wolltest ja mit auf den Bolzplatz.«
Der Schreck ist schnell vergessen. Am nächsten Tag bin ich wieder mit meinen Brüdern auf dem Platz. Ich setze durch, dass ich mitkicken darf. Und komme fortan nie wieder weinend von dort zurück. Sondern nur noch glücklich. Ich will nicht nur am Rand stehen, ich will mittendrin sein. Der Ball und ich – das ist damals irgendwie eine Hassliebe. Diese Challenge, mit meinen älteren und besseren Brüdern mithalten zu wollen, triggert mich total.
Ich mache schnell Fortschritte. Jeden Tag übe ich: schießen, passen, Ball hochhalten. Im Garten haben unsere Eltern ein Trampolin für uns aufgebaut. Ich nehme den Ball sogar da mit rauf, versuche auf dem wackligen Sprungtuch den Ball zu jonglieren. Dauernd denke ich mir solche Challenges mit dem Ball aus.
Oft kicken meine Brüder und ich auf dem Bolzplatz, bis es dunkel wird. Wir vergessen beim Kicken alles um uns herum, nichts und niemand kann uns aus unserem Fußball-Tunnelblick rausholen. Obwohl, stimmt nicht ganz: Der Eismann kann es. Er kommt im Sommer jeden Tag mit seinem Eiswagen bei uns vorbei. Sobald wir den Wagen aus Oberlottenweiler den Hügel runterfahren sehen, rennen wir kurz nach Hause und betteln Mama so lange an, bis wir genug Münzgeld haben. Dann rennen wir zurück zum Bolzplatz. Sprinttraining mal anders. Der Eismann weiß schon, dass seine kleinen Stammkunden immer hier auf ihn warten. Meist nehme ich eine Kugel Schokolade. Eis macht glücklich – aber Fußball noch glücklicher.
Zu Hause läuft wegen meines Vaters und meiner Brüder viel Fußball im Fernsehen. Mein Onkel ist großer Fan des FC Bayern. Ich schaue mir bei den Spielern aus dem TV viel ab. In jeder großen Pause in der Schule gibt es für mich nur eines: Fußballspielen auf dem Hof. Die anderen Mädchen haben keine Lust, hängen – im wahrsten Sinne des Wortes – am Klettergerüst rum. Mir egal. Ich spiele mit den Jungs. Vor allem mit meinem besten Freund Dommi sowie Nico und Luci. Sie sind meine drei engsten Freunde. Meine Eltern achten darauf, dass ich möglichst viel ausprobiere. Ich spiele auch Blockflöte und Gitarre. Doch Sport macht mir einfach am meisten Spaß.
Ich möchte auch so gern im Verein spielen. Doch meine Mama ist dagegen. Sie wünscht sich eine »weiblichere« Sportart für mich. Das hat nichts damit zu tun, dass sie ein altmodisches Rollenbild hätte. Es gibt bei uns einfach keine Mädchen- oder Frauenmannschaft in der Gegend. Sie kennt halt kein Mädchen, das Fußball spielt. Deshalb ist es schwierig für sie, sich mich in Trikot und Stollenschuhen vorzustellen. Meine Mama hat zumindest teilweise die Vorurteile im Kopf, die in Sachen Frauenfußball zu Beginn der 2000er-Jahre viele Menschen haben. So will sie mich nicht sehen. Und außerdem verbringt sie wegen meiner Brüder an jedem Wochenende eh schon sehr viel Zeit auf den Fußballplätzen unserer Region. Sie will einfach etwas anderes.
Und fragt: »Wäre Tanzen nicht besser? Oder Leichtathletik?« Es sind viele Sportarten bei uns daheim in der Verlosung für mich, meine Mama war früher selbst Leichtathletin. Sie denkt für mich auch an Handball, das hat meine Schwester Jessi gespielt. Oder Taekwondo. Und meldet mich und meinen Bruder Leon schließlich dort an. Diese Kampfkunst gefällt mir auch, ich mache sogar zwei Gürtel. Außerdem komme ich in den Kunstradverein. Hier schaffe ich es schnell in den Biberach-Kader, eine regionale Auswahl. Ich bin in beiden Sportarten ziemlich gut, in beiden finde ich in Nina eine echt nette Freundin.
Mein Papa staunt, als er seine kleine Tochter bei einer Vorführung nach wenigen Wochen Training bereits freihändig auf einem großen Rad durch die Halle fahren sieht. Doch beide Sportarten begeistern mich nicht. Einmal falle ich im Training vom Kunstrad, knalle aus ordentlicher Höhe auf den Rücken. Zum Glück passiert mir nichts. Aber ich habe schnell genug davon. Das hat gar nicht so sehr mit den Eigenheiten dieser speziellen Sportart zu tun. Mir machen einfach Einzelsportarten generell nicht viel Freude. Ich fühle mich komisch, wenn ich allein etwas machen soll oder muss. Allein auf dem Rad, alle schauen auf dich – nein, nicht mein Ding, sorry. Bereits mit sechs Jahren ist mir klar, dass ich mit anderen Kindern auf dem Sportplatz stehen möchte. Dass ich Teil von etwas Größerem sein möchte.
Nach rund einem Jahr im Kunstradverein nehme ich meinen ganzen Mut zusammen. Und schreibe meinem Trainer einen Brief. Erst vor Kurzem habe ich schreiben gelernt. Sein Name ist Hermann, aber beim Schreiben bin ich so aufgewühlt, dass es dann so aussieht:
»Lieber Herr Mann. Es war schön im Kunstrad. Aber ich kann nicht mär. Aber es wirklich ganz ganz schön.« Die i-Tüpfelchen meines Namens male ich als Herzchen. Ganz entschlossen gehe ich damit zu Herrn Mann, also zu Hermann. Und drücke ihm meinen Brief in die Hand. Von diesem Moment an ist Schluss mit Kunstrad.
Wann immer ich kann, bin ich weiter auf dem Bolzplatz.
Und dann kommt ein ganz besonderer Tag. Ein Tag, der im Nachhinein betrachtet die Weichen für mein Leben stellen soll.
Meine Freundin Nina erzählt mir, dass sie heute wieder zum Fußballtraining geht. Und fragt, ob ich mitkommen will. Natürlich will ich! Aber Mama will nicht. Ich traue mich gar nicht, sie wieder zu fragen. Sie wird eh nein sagen. Also biege ich die Wahrheit ein bisschen um. Ich sage meiner Mama, dass ich zu einer Freundin gehe. Ist ja an sich nicht falsch, ist nicht gelogen. Ich verschweige halt nur, dass es von dort aus weiter zum Fußball geht. Ich gehe heimlich ins Training.
Den ganzen Tag bin ich sehr aufgeregt und freue mich auf das Training. Hoffentlich sieht Mama uns auf dem Weg nicht.
Als wir am Sportplatz ankommen, falle ich total raus. Weil ich nicht mal Fußballschuhe habe. Alle anderen sind perfekt ausgerüstet: Trikot, Hose, Stutzen, Schuhe. Nur ich stehe in normaler Kleidung und meinen Straßenturnschuhen da, die ich immer trage. Hätte ich ein Sportoutfit angezogen, wäre meine Mama ganz sicher hellhörig geworden und hätte Verdacht geschöpft. Das wollte ich nicht riskieren. Es muss so gehen. Ich stapfe in meinen kleinen Turnschuhen auf den Fußballplatz, als wäre es das Normalste auf der Welt.
Nina und ich sind die einzigen Mädchen. Dann geht das Training los. Sobald der Ball rollt, ist all meine Aufregung verschwunden. Ich habe einfach nur Spaß. Es ist noch schöner, als ich es mir erträumt habe. Leidenschaft, Passion, Fügung – all diese Worte kennt mein kleiner Kinderkopf damals natürlich noch nicht. Doch von heute aus betrachtet ist es an diesem Tag so: Die kleine Giuli erkennt, dass sie hier genau richtig ist. Dieser Tag entfacht ein Feuer in mir, das bis heute brennt.
Nach dem Training komme ich verschwitzt nach Hause. Und strahlend vor Glück. Der Drang, im Fußball besser zu werden und Teil einer Mannschaft zu sein, ist enorm. Teil einer echten Mannschaft, keiner von Kindern zusammengewählten Truppe auf dem Bolzplatz. Der Fußball ist für mich mit nichts anderem zu vergleichen.
Ich bin damals ein Papakind. Der Alltag mit der Arbeit und vier Kindern kann sehr hektisch sein, und ich habe meinem Vater gegenüber bislang wahrscheinlich gar nicht so deutlich gemacht, wie groß mein Wunsch ist, Fußball zu spielen. Er hat das nicht so sehr mitbekommen, es dringt nicht ganz zu ihm durch. Wohl auch, weil ich im Taekwondo und im Kunstrad recht gut bin. Aber irgendwann merkt Papa, dass da etwas in mir arbeitet. Dass ich nicht komplett happy bin. Dass es etwas mit den Sportarten zu tun haben muss, die ich ausübe. Und er stellt mir eine Frage. Eine Frage, die zu den wichtigsten gehört, die mir im Leben gestellt wurden.
»Meine liebe Giuli«, sagt Papa und sieht mich liebevoll an. »Was willst du? Was möchtest du gern machen?«
Soll ich Papa die Wahrheit sagen? Gibt das Ärger mit Mama? In meinem Kinderkopf fliegen die Gedanken und Fragen hin und her. Der Drang, Fußball spielen zu wollen, ist so groß, dass ich mich endlich traue. Mich traue, ganz klar auszusprechen, was ich will.
»Papa, ich will Fußball spielen!«, sage ich, mit Tränen in den Augen. »Aber die Mami lässt mich nicht.«
Mein Papa blickt mich weiter an. »Von mir aus darfst du«, sagt er schließlich. Ich jubele. Ich springe. Ich strahle. Ich bin total erleichtert. Dann wird die Stimme meines Papas lauter. »Aber wenn du rennst wie so ein Mädchen, dann darfst du nicht mehr Fußball spielen.« Er zwinkert mir zu. Wir sprechen gemeinsam mit Mama. Und auch sie erkennt jetzt, dass ihre Giuli wohl doch Fußball spielen sollte.
Mit sieben Jahren geht mein erster Traum in Erfüllung: Ich werde Mitglied bei der TSG Ailingen. Abteilung Fußball. In den Jahren danach beschwert sich mein Papa kein einziges Mal über meinen Laufstil. Es scheint ganz ordentlich auszusehen.
***
Heute haben viele Vereine in Deutschland eine Mädchenmannschaft. Als ich sieben, acht Jahre bin, im Jahr 2007, ist das noch ganz anders. Ich komme in die Jungsmannschaft. Meine Freundin Nina hat schon bald keine Lust mehr auf Fußball. Aber ich bleibe dabei. Also ist es wie bei Vanessa von meinen geliebten »Wilden Kerlen« – ich bin das einzige Mädchen. Das macht mir nichts aus. Ich will Fußball spielen, in einem Team. Ob ich in einer Jungenmannschaft oder einer Mädchenmannschaft spiele, ist für mich nicht entscheidend. Es gibt nur zwei Optionen: mit den Jungs spielen. Oder eine andere Sportart wählen. Die zweite kommt für mich nicht mehr infrage. Ein paar der Jungs kenne ich aus der Schule, einige sind sogar Freunde von mir. Daher fühle ich mich wohl und integriere mich schnell.
Mein erster Trainer heißt Michael Fischer. Wir Kinder nennen ihn »Migo«. Er und sein Co-Trainer Thilo Holzbaur haben eine super Art und bringen uns Kids total viel bei. Migo gibt mir damals einen Leitsatz mit, den ich mir in meinem weiteren Leben immer wieder vor Augen halten werde. Der mir oft helfen wird:
HABIMMERSPASS. UNDMACHESFÜRDICH!
Ich probiere damals schon, gut mit links und rechts passen und schießen zu können. Und ich bin schnell, habe einen Zug zum Tor. Nach einigen Trainings sagt Migo zu meinen Eltern: »Eure Giuli hat echt Talent! Ihr solltet sie fördern.« Mein Papa sponsort die Mannschaft, sein Kfz-Betrieb ist Werbepartner des Vereins. Auf unserem Trikot steht also vorn mein Name: Gwinn. Ich bin unglaublich stolz.
Aber Papa macht nie Druck, wie es heute leider viele Eltern im Jugendfußball tun. Er brüllt nichts rein von der Seitenlinie. Papa lässt mich einfach Spaß haben. Und schaut interessiert zu.
Ich laufe damals schon viel und schnell. Vielleicht habe ich das von meiner Leichtathletik-Mama. Mein Papa spielt selbst Fußball, ich sehe gern bei seinen Spielen zu. Er ist ein absoluter Kämpfer auf dem Rasen. Sein unglaublicher Wille beeindruckt mich. Er macht immer weiter und zieht alle seine Mitspieler mit, an ihre Grenzen zu gehen. Das habe ich von ihm.
Ich erzähle meinen Freundinnen, wie cool Fußball ist. Doch sie trauen sich nicht, in die Mannschaft zu kommen – weil da nur Jungs sind. Ich bleibe also das einzige Mädchen. Ich habe mir die Trikotnummer 7 ausgesucht, die Nummer meines Vorbildes Bastian Schweinsteiger.
Mama merkt in dieser Zeit, dass ich meine Leidenschaft entdeckt habe. Dass ich das gefunden habe, was mich erfüllt. Sie erkennt, wie viel Herz ich in den Fußball stecke. Und freut sich darüber. Meine Eltern sind bei nahezu jedem meiner Spiele dabei. Papa sagt später, dass ich auf dem Platz mit solch einer Leidenschaft laufe, als würde ich um mein Leben rennen. Er erkennt etwas in mir, das er fördern möchte. Oft trainieren wir zu zweit auf unserem Bolzplatz nach dem Vereinstraining noch weiter. Der Impuls kommt von mir – ich kann vom Fußball einfach nicht genug bekommen.
Schließlich wechsele ich aus Ailingen zum VfB Friedrichshafen. Und mache weitere Fortschritte. Meine Eltern möchten mein Talent weiter fördern. Sie suchen mir einen Verein, der noch bessere Bedingungen bietet für Kinder. Und entscheiden sich für den FV Ravensburg, den ehrgeizigsten Verein in unserer Region. Er hat einen super Ruf. Der FV setzt auf Talententwicklung, hier geht es strukturierter und zielgerichtet zu. Der Klub bietet uns quasi alles – nur keine Mädchenmannschaft.
Meine Eltern melden mich für ein Probetraining an. Als ich dort ankomme, schaut mich der Trainer etwas komisch an. Ich sehe Verwunderung in seinem Blick. Dann greift er zu einer Liste und einem Stift. Er trägt dort alle Teilnehmer des Probetrainings ein. Ich blicke auf die Liste. Und bin schockiert, als ich sehe, was dort geschrieben steht:
Das Mädchen
Sein Ernst? Er fragt nicht mal nach meinem Namen? Ich bin zwar noch jung – aber nicht blöd. Sofort verstehe ich die Botschaft: Ob die jetzt hier mitmacht, ist eigentlich egal. Die wird bei uns eh nicht mithalten können. Da müssen wir uns nicht mal die Mühe machen, ihren Namen aufzuschreiben.
Ich sage nichts. Ich spiele einfach Fußball. So gut ich kann. Das Training läuft super. Der Trainer kommt mit schnellen Schritten auf meine Eltern zu, noch bevor die Einheit beendet ist. Er ist ganz aufgeregt. Und sagt: »Die wollen wir haben!«
Ich habe es geschafft, dass ich gesehen werde. Über die Leistung. Über meine Art, Fußball zu spielen.
Ich bleibe also auch nach meinem zweiten Vereinswechsel allein unter Jungs. Am Anfang sind sie skeptisch. Was will die hier? Kann die was? Die Skepsis legt sich sehr schnell. Sie sehen und spüren, dass ich alles gebe.
Schnell werden es meine Jungs. So nenne ich sie bis heute. Sie sehen mich schon bald als absolut vollwertigen Teil der Mannschaft. Sie sind für mich wie Brüder. Wann immer mich ein Gegenspieler foult, wann immer jemand vom Spielfeldrand was Blödes reinruft – sie beschützen mich. Als wäre ich ihre kleine Schwester. Meine Jungs respektieren mich total. Für sie zählt Einsatz, das, was ich für die Mannschaft leiste. Nicht das Geschlecht.
Mal sind es Gegenspieler, mal deren Eltern, die mich aus dem Konzept bringen wollen. Und nicht damit klarkommen, dass ihr Sohn von einem Mädchen ausgetanzt wird. »Das Mädchen hat im Fußball nichts verloren!«, rufen sie. Oder: »Was will die hier?« Besonders Dreiste sprechen mich direkt an: »Mach was anderes als Fußball!« Leider Dinge, die damals wohl jedes Mädchen erlebt, das Fußball spielt. Bei Turnieren ist es besonders heftig. Wann immer die anderen Teams registrieren, dass meine Mannschaft ein Mädchen dabeihat, höre ich Sätze wie: »Die kann doch eh nicht mithalten« oder: »Das Mädchen kann eh nichts!« oder: »An die gehen wir härter ran, dann hat die eh keine Lust mehr.« Jede Menge diskriminierender Sprüche.
Ich habe großes Glück. Meine Jungs stehen immer hinter mir. Und obwohl ich klein bin, machen mir diese dummen Sprüche ziemlich wenig aus – zumindest relativ gesehen. Sie verletzen mich schon. Weil ich nicht verstehe, dass ein Mädchen bei den Jungs für so viele in negativer Hinsicht etwas Besonderes ist. Denn für mich ist es ganz normal. Es nervt mich, dagegen ankämpfen zu müssen. Aber es bricht mich nicht.
Weil ich spüre, dass ich nicht allein bin – und diese Sprüche Quatsch sind. Ich fühle mich beschützt und geborgen, ich fühle mich total wohl. Bei einem Turnier haut mich ein Gegenspieler an der Mittellinie richtig böse um. Unser Torwart kommt über das ganze Feld gelaufen und stellt ihn zur Rede. Ein wichtiger Moment für mich. Weil ich spüre: Die Jungs sind für mich da.
Ich fühle mich als Teil des Teams. Den Teamgedanken sauge ich in dieser Zeit so stark auf, dass er zentral für mein Leben wird. Gemeinsam ist man stark – mir wird bereits als Kind klar, dass dies viel mehr als eine Floskel ist. Es ist die Wahrheit. Teil einer Mannschaft zu sein, Teil eines Teams, Teil eines Kollektivs – das gibt mir unheimlich viel Selbstvertrauen. Das bleibt in meinem ganzen Leben so. Im Team fühle ich mich stark. Weil ich weiß, dass mich die anderen auffangen.
Und: Zum Glück habe ich damals schon die Gabe, in solchen Situationen ruhig zu bleiben. Ich brülle nichts zurück. Ich denke mir immer: Euch zeige ich es! Auf dem Rasen! Und tatsächlich: Nach den Spielen werden die vorher noch so lauten Stimmen am Spielfeldrand leiser.
Ich spüre, dass ich mich bei jedem Spiel, jedem Turnier beweisen muss. Dass ich gegen Widerstände ankämpfen muss. Als Junge muss man das nicht. Ich finde es ungerecht. Aber ich nehme die Situation an. Euch zeige ich es!