Zeit der Ernte - James Lee Burke - E-Book

Zeit der Ernte E-Book

James Lee Burke

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Beschreibung

Eine texanische Kleinstadt an der Grenze zu Mexiko. Als Hackberry Holland im Jahr 1967 aus dem Koreakrieg zurückkehrt, wird er von vielen Seiten zu einer politischen Karriere gedrängt. Doch der Anwalt setzt sich stattdessen für einen mexikanischstämmigen Landarbeiter ein, der kurz vor seiner Freilassung im Gefängnis ermordet wird. Bald kommt es zu handfesten Auseinandersetzungen mit der Polizei und gewaltbereiten Rednecks.

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Seitenzahl: 520

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Das Buch

Texas, 1967. Hackberry Holland, 35, Anwalt und Veteran aus dem Koreakrieg, wird von seiner Frau Verisa, seinem Bruder Bailey, US-Senator Dowling und dessen einflussreichen Freunden in der Öl- und Rüstungsbranche zu einer politischen Karriere gedrängt. Als erfolgreicher Anwalt, gefeierter Kriegsheld und Sohn eines ehemaligen Kongressabgeordneten ist Hack geradezu prädestiniert für ein politisches Amt und soll in Washington die Interessen der texanischen Wirtschaft durchsetzen. Hack allerdings würde sich viel lieber um seine Farm und seine Pferde kümmern und in der Kanzlei weiterhin eine ruhige Kugel schieben, um gelegentlich einen dieser lukrativen Fälle für zwielichtige Ölbarone zu übernehmen. Zudem kämpft Hack mit Unmengen Jack Daniel’s gegen die Erinnerungen an seine Zeit als Kriegsgefangener und die schwere Last des gewaltigen Familienerbes der Hollands an.

Als Hack versucht, Berufung gegen die ungerechte Verurteilung eines ehemaligen Armeekameraden, des mexikanischstämmigen Landarbeiters Art Gomez, einzulegen, stößt er in einem rechtskonservativen Grenzstädtchen auf einen Sumpf aus Vetternwirtschaft, Hass und Gewalt. Trotz Bewilligung des Berufungsantrags wird Art kurz vor seiner Freilassung im Gefängnis ermordet, woraufhin die Auseinandersetzungen eskalieren.

James Lee Burkes erster Hackberry-Holland-Roman wurde im Original bereits 1971 veröffentlicht, erscheint angesichts der aktuellen politischen Geschehnisse in den USA aber erstaunlich aktuell.

Der Autor

James Lee Burke, 1936 in Louisiana geboren, wurde bereits Ende der Sechzigerjahre von der Literaturkritik als neue Stimme aus dem Süden gefeiert. Nach drei erfolgreichen Romanen wandte er sich Mitte der Achtzigerjahre dem Kriminalroman zu, in dem er die unvergleichliche Atmosphäre von New Orleans mit packenden Storys verband. Burke wurde als einer der wenigen Autoren zweimal mit dem Edgar-Allan-Poe-Preis für den besten Kriminalroman des Jahres ausgezeichnet. 2015 erhielt er für den zweiten Hackberry-Holland-Roman Regengötter den Deutschen Krimi Preis. Er lebt in Missoula, Montana.

James Lee Burke

ZEIT DER ERNTE

Roman

Aus dem Amerikanischen von Daniel Müller

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe erschien 1971 unter dem Titel LAY DOWN MY SWORD & SHIELD The Countryman Press, Inc., Woodstock
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Copyright © 1971 by James Lee Burke Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion: Thomas Brill Umschlaggestaltung: Johannes Wiebel | punchdesign, München Umschlagabbildung: Johannes Wiebel unter Verwendung von Motiven von Shutterstock (argus, CatonPhoto, Paul B. Moore, solarbird, Deyan Georgiev) Gesetzt aus der Adobe Garamond Pro
ISBN: 978-3-641-18888-7V002
www.heyne-hardcore.de

Dieses Buch widme ich meinem Vater, James L. Burke Sr., der mich die guten Dinge des Lebens lehrte.

Kapitel 1

Vor fast neunzig Jahren, während der Sutton-Taylor-Fehde, versenkte John Wesley Hardin ein halbes Dutzend .44er Kugeln in einem Verandapfosten des Hauses, das ich heute bewohne. Damals lebte hier mein Großvater, Old Hack, der mir später auch die Geschichte von jenem Aufeinandertreffen mit dem Outlaw erzählte: Hardin war zu Ohren gekommen, dass Hack ihn ins Gefängnis werfen wollte, sollte er sich jemals wieder in DeWitt County blicken lassen, und so ritt Hardin sturzbetrunken und über Nacht den weiten Weg von San Antonio nach DeWitt zum Haus von Old Hack. Als Hardin auf dem Hof eintraf, war die Sonne gerade aufgegangen, und es regnete leicht. Sein schwarzer Anzug war von Matsch, Pferdeschweiß und Whiskeyflecken beschmutzt, am Sattelknauf hatte er mit einem Lederriemen eine Flinte festgezurrt, und in seiner Hand hielt er einen Navy-Colt, den Hahn bereits gespannt.

»Hey, Hack! Komm raus. Und wag es ja nicht, deine Lincoln-Nigger mitzubringen, sonst knall ich die gleich mit ab.«

Dazu muss gesagt werden, dass mein Großvater als Sheriff und Friedensrichter von der Regierung der Reconstruction-Ära dazu verdonnert worden war, zwei schwarze Unionssoldaten als Deputy Sheriffs zu beschäftigen, und dass unter den zweiundvierzig Männern, die Hardin im Laufe seiner Karriere unter die Erde brachte, viele Schwarze waren. Diese hasste er ebenso leidenschaftlich wie Gesetzeshüter und Carpetbaggers – die Nordstaatler, die nach dem Sezessionskrieg in den Süden kamen, um sich dort zu bereichern.

Hardins Gesicht war rot vom Alkohol, seine Augen geweitet, als er auf die Veranda feuerte. Durch die Lautstärke der Schüsse verängstigt, scheute sein Pferd, bäumte sich auf und versuchte seitlich auszubrechen. Als sich das Tier in seiner Not im Kreis zu drehen begann, schlug Hardin ihm mit der Pistole auf den Schädel und schoss weiter. Feuerstöße und schwarzer Qualm stoben aus der Mündung des Revolvers, bis die Trommel leer war. Alle sechs Schüsse trafen den Pfeiler in der Mitte der Veranda und bildeten eine makellose senkrechte Linie.

Hack war an diesem Morgen schon sehr früh auf den Beinen, da eine seiner Stuten gerade ein Fohlen gebar. Als er Wes Hardin durch das Scheunenfenster auf seinem Hof erblickte, zog er die Winchester aus dem Sattelholster an der Wand und wartete, bis Hardin die Trommel seines Revolvers geleert hatte. Bekleidet mit einem Pyjamaoberteil, das er in die Hose gesteckt hatte, und die Hände bis zu den Ellbogen voller Blut und Schleim, trat er hinaus auf den Hof und lud die Winchester durch. Als Hardin hinter sich das Ladegeräusch des Unterhebelrepetierers hörte, fuhr er im Sattel herum.

»Du gottverdammter Scheißkerl«, sagte Hack. »Besser, du lässt die Finger von der Flinte, oder ich verpass dir ein zweites Arschloch.«

Hardin stützte die Hand mit dem Revolver auf seinem Oberschenkel ab und wendete sein Pferd.

»Schleichst dich also von hinten ran, was?«, sagte er. »Los, hol deine Pistole und lass mich nachladen. Dann bezahl ich deine Nigger-Deputys auch dafür, dass sie dich verbuddeln.«

»Hab ich nicht gesagt, du sollst dich von DeWitt fernhalten? Stattdessen tauchst du hier auf, schießt meine Veranda entzwei und verscheuchst mit deiner Ballerei höchstwahrscheinlich die Hälfte meiner Mexikaner«, sagte Hack. »Aber ich verrat dir was: Ich werde dich in Ketten legen, dich ins Gefängnis werfen und dir in meinem Gerichtssaal wegen versuchten Angriffs auf einen Gesetzeshüter den Prozess machen. Und jetzt runter vom Gaul!«

Hardin starrte Hack an. Sein Killerblick wirkte so versteinert und entschlossen, als würde er in eine Flamme stieren. Dann zog er seine Stiefel aus den Steigbügeln, presste dem Pferd die Sporen in die Seiten und beugte sich nach vorn, hinunter zum Hals des Tieres, wo er sich an der Mähne festhielt, als das Pferd in Richtung Tor preschte. Ohne zu zögern sprang Hack nach vorn, riss die Winchester mit beiden Armen in die Höhe und rammte sie Hardin gegen den Schädel. Der Outlaw kippte aus dem Sattel und landete im Dreck. An seinem Haaransatz klaffte nun eine gut acht Zentimeter lange Wunde. Als er aufzustehen versuchte, trat Hack ihm zwei Mal ins Gesicht und warf ihn anschließend auf die Ladefläche eines Gemüsekarrens. Dort legte er Hardin Handschellen an, wickelte eine Eisenkette um dessen Körper und nagelte die Kettenenden am Boden des Pferdewagens fest.

Und so landete John Wesley Hardin im Gefängnis von DeWitt County, Texas. Nach dieser Geschichte legte er sich zwar nie wieder mit Hackberry an, sehr wohl aber mit einer Reihe anderer Gesetzeshüter, von denen allerdings keiner in der Lage war, Hardin Paroli zu bieten. Erst 1895 traf der Outlaw in einem Saloon in El Paso auf seinen Meister, einen Mann namens John Selman, der ihm eine Kugel in den Schädel jagte.

Es war ein heißer, windstiller Julitag. Ich stand auf der Veranda, an den Pfeiler mit den sechs verwitterten Einschusslöchern gelehnt, und schaute hinüber zu Old Hacks weißem Grabstein unter den Sumpfeichen des Familienfriedhofs der Hollands. Reglos hingen die von Staub überzogenen Blätter an den Bäumen, und das Laubdach warf in der Hitze gesprenkelte Schatten auf die Grabsteine. Auf dem Friedhof waren mehrere Generationen meiner Familie begraben. Zum einen lag dort Son Holland, ein Mann aus den Bergen von Tennessee, der 1835 aus den Cumberlands in den Süden gekommen war und in der Schlacht von San Jacinto für die Unabhängigkeit von Texas gekämpft hatte. Er war mit Sam Houston befreundet gewesen und hatte nach dem Krieg tausendzweihundert Morgen Land von der Republik Texas erhalten. Er verstarb altersbedingt, als er gerade Pferde für die Konföderierten beschlagnahmte. Auf dem Friedhof lagen auch die beiden älteren Brüder von Hack, die mit der texanischen Kavallerie unter General Hood in die Schlacht von Atlanta gezogen waren, außerdem mein Großonkel Tip, der beim ersten Viehtrieb auf dem Chisholm Trail dabei gewesen war und eine Indianersquaw geheiratet hatte. Daneben ruhten Sidney Holland, ein Baptistenprediger und Alkoholiker, der stets zwei Revolver und eine Derringer bei sich getragen und sechs Männer getötet hatte; Winfro Holland, der während der Sutton-Taylor-Fehde in einem Bordell ermordet und anschließend von einer Bande betrunkener Cowboys hinter ein Pferd gebunden und vor dem Laufhaus durch den Dreck geschleift worden war; Jefferson Holland, der nach zwei Jahren Business College in Austin der Meinung gewesen war, er könnte mit der King Ranch und der XIT Ranch auf dem Viehmarkt konkurrieren, und als Resultat sechshundert Morgen Land der Familie Holland eingebüßt hatte; und Sam Holland, mein Vater und Old Hackberrys Sohn – ein kultivierter Mann mit einem rheumatischen Herzen, der als Südstaatenhistoriker an der University of Texas gelehrt hatte, später während des New Deal Kongressabgeordneter geworden war und schließlich Selbstmord beging.

Hinter dem Friedhof flachten die grünen Hügel zu einem Fluss hin ab, der jahreszeitlich bedingt braun gefärbt war und wenig Wasser trug. An den Uferböschungen wuchsen Schwarz- und Virginia-Eichen sowie Mesquitesträucher. Auf den umliegenden Feldern blühten in schnurgerade angelegten Reihen mit gleichmäßigen Abständen die Baumwollpflanzen, während die Tomaten angesichts der frühen Sommerschauer schon jetzt prall und rot an den Stauden hingen. Die Sonnenstrahlen glitzerten auf den Rotorblättern der durch die Windstille paralysierten Western-Windräder, und durch das Hitzeflimmern sahen die Behausungen der mexikanischen Farmarbeiter, größtenteils einfache Häuser mit waagerechten Holzverschalungen oder Schindelfassaden, in der Ferne aus wie flachgedrückte Streichholzschachteln. Die Kolbenstangen meiner beiden Ölförderpumpen hoben und senkten sich monoton im Takt. Aufgrund der niedrigen Temperatur im Inneren der Rohre tropfte Kondensflüssigkeit von den Förderköpfen herab, und hin und wieder kroch mir der abscheuliche Geruch des Rohgases in die Nase. Die Bohrlöcher befanden sich in der Mitte eines Baumwollfeldes. Die Bohrtürme waren schon längst demontiert, die Baumwollpflanzen um die Förderköpfe herum mit chirurgischer Präzision in Quadratform zurückgeschnitten, was für mich schon immer wie eine Art Ehrfurchtsbezeugung der Landschaft gegenüber der texanischen Ölindustrie gewirkt hatte.

Der Zufahrtsweg zum Haus war mit weißem Kies bedeckt, auf den angrenzenden Flächen wuchs Hundszahngras. Weiße Holzzäune säumten den Kiesweg und die Straße, wo mein Grundstück endete. Der Rasen war frisch gemäht und wurde täglich von einem Schwarzen gewässert, den meine Frau mit der Pflege der Rosengärten beauftragt hatte. Neben der Veranda wuchsen auf beiden Seiten Magnolien- und Orangenbäume. Das Hauptgebäude war 1876 von Old Hack errichtet worden. Er hatte dabei die Holzstämme von Son Hollands ursprünglicher Hütte verbaut, die sich nun in unseren Küchenwänden befanden, und im Grunde hatte sich seit jener Zeit wenig verändert. Meine Frau hatte im ersten Stockwerk eine mit Rankgittern begrenzte, überdachte Veranda anlegen lassen, die nun großen Tontöpfen mit Farnpflanzen Platz bot, und eine mit Fliegengittern geschützte Seitenveranda, auf der wir an warmen Sommerabenden für gewöhnlich diniert und Eistee genossen hatten. Nachdem wir dazu übergegangen waren, unsere Mahlzeiten getrennt voneinander einzunehmen, wurde die Veranda im Erdgeschoss zur Cocktailbar für ihre Gartengesellschaften umfunktioniert, bei denen ein professioneller Barkeeper in weißem Jackett Eis schabte und Mint Juleps für die Gäste bereitete, meist Mitglieder von gemeinnützigen Organisationen wie den Daughters of the Confederacy, der Junior League und des Texas Democratic Women’s Club.

Trotz der sonntäglichen Gartengesellschaften, bei denen ehrenamtlich engagierte Frauen mit stechendem Blick und eisgekühlten Drinks auf dem Rasen schwatzten, trotz der mit Rosen bepflanzten weißen Kästen und der Klimaanlagen in den Fenstern war es immer noch das Haus von Old Hack, und manchmal, wenn ich nachts allein in der Bibliothek saß, schien das Gebäude, von seiner brummigen Gegenwart erfüllt, zu ächzen.

Ich nehme an, dass ich mich deshalb in diesem Haus schon immer eher als Gast und nicht wie sein Besitzer gefühlt habe. Ich mochte zwar Old Hacks Namen geerbt haben, das Revolverhelden-Gen der Hollands jedoch war nicht an mich weitergegeben worden. Während des Koreakrieges war ich Navy-Sanitäter und verteilte drei Monate lang Penicillin-Pillen gegen Tripper an unsere Jungs in Seoul, bevor man mich an die Front versetzte. Dort dauerte es allerdings nur sechs Tage, bis mir die Chinesen zwei Beinschüsse verpassten und mich gefangen nahmen. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass mein einziger Versuch, Hacks schießwütigem Vermächtnis gerecht zu werden, gehörig in die Hose ging. Stattdessen saß ich zweiunddreißig Monate in drei unterschiedlichen Kriegsgefangenenlagern ein. Über den Fronteinsatz, die Verwundung, die Auszeichnung mit dem Purple Heart und meine Zeugenaussage vor dem Militärgericht, wo man einem Überläufer den Prozess machte, werde ich später berichten, denn all diese Details spielten eine nicht unwichtige Rolle für meine Kandidatur als Kongresskandidat der Demokraten.

Ich zündete mir eine Zigarre an und ging den gleißend weißen Kiesweg hinunter zu der Eiche, unter der mein Wagen stand. Erst eine halbe Stunde zuvor hatte ich geduscht und mir frische Sachen angezogen. Doch kaum war ich in Bewegung, fühlte sich das Hemd auf meiner Haut schon wieder feucht an, und die Sonnenstrahlen knallten wie die Flamme eines Schweißbrenners gegen die dunklen Gläser meiner Sonnenbrille. Ich ließ mich in den Ledersitz des Cadillacs sinken und schaltete die Zündung und die Klimaanlage ein. Muffig warme Luft strömte durch die Lüftungsöffnungen, und einen Moment lang konnte ich den konzentrierten Geruch der Ölquellen riechen – einen Geruch, der einen monatlichen Scheck von Texaco, Inc. in Höhe von viertausend Dollar verhieß. Ich drückte den Automatikhebel in die L-Stellung, trat langsam aufs Gaspedal und spürte die vibrierende Kraft von dreihundertfünfzig Pferdestärken durch die Sohlen meiner Stiefel aufsteigen. Kieselsteine klackten gegen Kotflügel und Bodenblech, dann holperte der Wagen über das Viehgitter auf die Straße, wo ich das Gaspedal durchtrat und dem Surren der Reifen auf dem weichen Asphalt lauschte. Aus den Augenwinkeln sah ich die weißen Weidezäune am Straßenrand vorbeihuschen, deren Latten durch den Luftzug knackten wie brechende Zweige. Mit drei Fingern am Lenkrad und neunzig Meilen pro Stunde auf dem Tacho steuerte ich den Wagen an Schlaglöchern und Bodenwellen vorbei, während ich auf die Zigarre biss und zu den Schatten auf den Feldern hinausschaute, die sich, wie so häufig, wenn ich nach San Antonio oder Houston fuhr, ein Rennen mit mir zu liefern schienen. Ich war diese Strecke schon oft gefahren; einige Male auch mitten in der Nacht, volltrunken und mit Tempo einhundertzwanzig Meilen pro Stunden, während die Hillbilly- und Gospel-Musik eines in Del Rio ansässigen Senders aus den Lautsprechern plärrte. Am Morgen danach war ich meist schweißgebadet in einem elenden Whiskey-Kater versunken: Gelbe Blitze zuckten hinter meinen Augen, und ich sah den Cadillac, wie er eine klaffende Lücke in den weißen Zaun riss und sich im Feld überschlug, und dann sah ich mich selbst, von schwarzem Blut überströmt, gefangen zwischen Lenkrad und eingedrücktem Dach.

Nüchtern allerdings hatte ich beim Fahren das Gefühl, etwas Magisches in den Händen zu halten und von einer luftgekühlten Allmacht aus Stahl und Blech umgeben zu sein, wenn der lange Rahmen des Wagens die Straße unter sich verschlang.

Als ich mich dem kleinen Städtchen Yoakum näherte, schraubte ich den Deckel meines Flachmanns ab und genehmigte mir einen Schluck. Weiße Ranchhäuser und Scheunen zogen an mir vorbei, ebenso die dazugehörigen Baumwollfelder und Weiden, auf denen Rinder und Pferde standen und, hin und wieder, auch eine einsame Eiche. Die Sonnenstrahlen wurden von der Motorhaube wie weiße Blitze reflektiert, und vor mir schien die Straße in der Hitze zu zerfließen. Eine leichte Brise war aufgekommen, und Staubteufel begannen an den trockenen Rändern der Maisfelder zu tanzen. Auf einem Hügel setzten sich die Rotorblätter eines Western-Windrades in Bewegung, und kurz darauf rauschte das Wasser in einem langen, weißen Strahl aus der windbetriebenen Pumpe in eine Viehtränke. Am Stadtrand von Yoakum kam ich an den Behausungen der Schwarzen und Mexikaner vorbei, die, obwohl teilweise in unterschiedlichen Jahrzehnten erbaut, alle gleich aussahen. Die Fassaden waren allesamt grau und verwittert, die Veranden größtenteils baufällig, auf die Dächer hatten die Bewohner Fetzen aus Teerpappe genagelt, und vor den Häusern tollten dreckige Kinder in zugemüllten Gärten zwischen kaputtem Spielzeug, alten Kabel- und Drahtknäueln, leeren Bleichmittelkartons und überfüllten Mülltonnen. Hinter den Häusern sah es nicht anders aus: Zwischen alten Autos, deren verrostete Motoren und demolierte Windschutzscheiben von Spinnweben überzogen waren, wucherte das Unkraut, an den Wäscheleinen baumelten abgetragene Overalls und Jeanshemden, und die Büsche und Sträucher, die im Schotterbett der nahe gelegenen Eisenbahnschienen wuchsen, waren schwarz vom Dreck der vorbeifahrenden Züge.

Ich nahm noch einen Schluck aus dem Flachmann und legte ihn zurück ins Handschuhfach. Es war Samstag, und auf den Straßen der Kleinstadt herrschte reger Verkehr. Rancher und Farmer waren unterwegs, ebenso Frauen in bunten Baumwollkleidern, mexikanische und schwarze Feldarbeiter, Pick-up-Trucks und ramponierte Autos. An den Straßenecken lungerten junge Burschen herum. Sie trugen lackierte Strohhüte und Jeanshosen, die mit so viel Stärke behandelt waren, dass sie wie aus Pappe schienen. Auf der Hauptstraße lugten aus den hohen Bordsteinen immer noch die Halteringe zum Festmachen der Pferde hervor, und der Gehweg vor den Ladenfronten war von einer Anfang des Jahrhunderts errichteten Holzkolonnade überdacht. Alte Männer mit schmalen, sonnenverbrannten Gesichtern, weißen Hemden und vorgebundenen Fliegen saßen im Schatten, spuckten den Saft ihres Kautabaks auf den Boden und schauten dem Treiben zu. Am Ende der Straße befand sich das Gefängnis von Yoakum, ein teils aus Holzstämmen, teils aus verputzten Ziegelsteinwänden bestehender Bau, in den mein Großvater einst Wes Hardin gesperrt hatte. Es stand etwas zurückgesetzt, auf einem von Unkraut überwucherten Grundstück. Das Dach und eine Seitenwand waren bereits eingestürzt, und die Trümmer, hauptsächlich zerbrochene Holzbalken und Ziegelsteine, hatte man auf einem Haufen zusammengekehrt. Vor den Gitterstangen der Zellentüren lagen die Scherben von im jugendlichen Übermut zerschlagenen Bierflaschen, in den Ecken die benutzten Verhütungsmittel nächtlicher Besucher. An einer der Wände war immer noch die Inschrift zu lesen, die ein Insasse dort 1880 mit einem Nagel in den Putz gekratzt hatte: J. W. Hardin wird Hack Holland zu Niggerfutter verarbeiten.

Oft schon hatte ich mich gefragt, ob Old Hack sich damals wohl Sorgen über Vergeltungsaktionen machte. Schließlich hätte Hardin aus dem Gefängnis ausbrechen oder dessen Verwandte ihm mit einer Schrotflinte auflauern können. So wie es aussah, hatte Old Hack aber vor nichts und niemandem Angst gehabt, denn als Hardin nach vierzehn Jahren aus dem Gefängnis kam, schickte Hack ihm ein Telegramm mit folgendem Wortlaut: Deine Cousins sagen, du würdest mich immer noch umlegen wollen. Falls dem so ist, schicke ich dir gern ein Zugticket nach San Antonio, und wir regeln die Sache kurz am Bahnhof.

Während meines Jurastudiums an der Baylor University nutzte ich einen von Hacks .44er Colts als Briefbeschwerer. Das Metall hatte seine Brünierung verloren, und die Mahagonigriffe wiesen bereits Risse auf. Federn und Hahn funktionierten aber noch tadellos, sodass sich die schwere Trommel geschmeidig in die korrekte Position drehte, wenn ich den Hahn spannte. Als ich später zusammen mit meinem Bruder eine Kanzlei in Austin eröffnete, bekam der Colt einen Platz an der Bürowand, wo er neben einem Bild aus dem Jahr 1925 hing, das Hack, bereits gealtert und mit langen weißen Haaren, an der Seite meines Strohhut tragenden Vaters zeigte. Ebenfalls an der Wand hingen mein gerahmtes Juradiplom und meine Mitgliedsurkunde der akademischen Ehrengesellschaft Phi Beta Kappa. Der Revolver und Hacks zerfurchtes Gesicht dominierten jedoch das Büro.

Als ich San Antonio kurz vor zwei Uhr erreichte, lag die Temperatur bei achtunddreißig Grad Celsius. Steif und starr zeichnete sich die Skyline gegen die flimmernde Hitze ab. Auf den Bergen über der Stadt konnte ich die Behausungen der wohlhabenden Bevölkerung sehen: weiße, stuckverzierte Häuser, mit roten Ziegeln gedeckte Dächer, Terrassengärten, in denen Seidenbäume wuchsen. Mein Weg führte mich durch das mexikanische Viertel, wo Secondhandläden, Baptistenmissionen, Kreditbanken und Pfandleihen die Häuserblocks dominierten. Drahtige Pachucos mit eng zulaufenden Hosen, an den Ärmelenden zugeknöpften, braunen Hemden und öligen Schmalztollen standen träge vor den Billardhallen und Weinbars herum.

Ich bog auf den Parkplatz des Mission Motel – ein dreckig-weißes Gebäude, dessen Architektur dem Alamo nachempfunden war. Fenster und Türen waren mit Bögen verziert, die straßenseitige Außenmauer mit kleinen Glockentürmen bestückt. Im Innenhof hatten sich die Architekten an einer Art Patio versucht, in dem angeschlagene Tontöpfe mit abgestorbenen Pflanzen vor dem Eingang der Rezeption standen. Die Pflastersteine hatten sich durch den Regen abgesenkt, und Unkraut wucherte aus den Fugen. Ich nahm ein Zimmer, das ich schon von früheren Aufenthalten kannte: Die Wände waren mit Gips verputzt und in senfgelber Farbe gestrichen, das Doppelbett verfügte über einen elektrischen Vibrationsmechanismus, der nach Münzeinwurf Massagen verabreichte, der Teppich war abgewetzt. Auf der Kommode standen zwei Gläser mit dicken Böden und ein Kübel mit Eiswürfeln. Ich entfernte das Siegel der Jack-Daniel’s-Flasche, schüttete ein paar Eiswürfel in eins der Gläser und füllte es bis zur Hälfte mit Whiskey. Dann setzte ich mich auf die Bettkante, zündete mir eine Zigarre an und trank ungefähr fünf Minuten lang mit langsamen Schlucken. Durch die zugezogenen roten Fenstervorhänge konnte ich die heißen Umrisse der Sonne am Himmel erkennen. Ich leerte das Glas und genehmigte mir noch eins. Dann spürte ich langsam, wie mich die Wirkung des Whiskeys erfasste. Ich hatte schon immer gern getrunken, und der beste Moment dabei war für mich stets der gewesen, wenn man merkte, dass man gleich betrunken sein würde – dieser klare Moment, dominiert von einem Gefühl der Kontrolle und geschärften Sinne, wenn sich mit einem Mal alle Türen in deinem Oberstübchen öffnen und sämtliche Geheimnisse in simple Gleichungen verwandeln.

Ich wählte eine Nummer, die in keinem Telefonbuch zu finden war. Vor drei Jahren hatte ich sie von R. C. Richardson bekommen, einem Ölunternehmer aus Dallas, den ich vor dem Gefängnis bewahrt hatte, nachdem er sich staatliche Agrarsubventionen in Höhe von fünfzigtausend Dollar erschlichen hatte. Nach dem Prozess war er in unser Büro gekommen, hatte sich über meinen Schreibtisch gelehnt, wobei sein riesiger Bauch über seinen Cowboygürtel quoll, und mir einen Scheck über zehntausend Dollar ausgeschrieben. Zum Abschied reichte er mir seine Visitenkarte, mit der besagten Nummer auf der Rückseite.

»Ich weiß nicht, ob ihr Anwaltstypen auf mexikanisches Chili steht. Falls ja, werden Sie weit und breit kein besseres als das hier finden«, sagte er.

Er war ungehobelt und vulgär, aber er hatte recht: Es war einer der besten Callgirl-Services in ganz Texas – teuer, erlesen und professionell. Ich hatte immer den Verdacht, dass das Geld und die Organisation hinter dem Service von der Mafia in Galveston stammten, denn weder die Mädchen noch die Frau am Telefon schienen sich große Sorgen darüber zu machen, dass der Kunde ein Cop sein könnte.

Die Disponentin klang wie die Sprecherin eines Benachrichtigungsdienstes: kein Tonfall, kein Akzent, keinerlei Satzmelodie. Es war praktisch unmöglich, ihre Stimme einer bestimmten Region zuzuordnen oder mit denen von anderen Menschen zu vergleichen. Eine Zeit lang versuchte ich mir vorzustellen, wie sie wohl aussehen mochte. Sie musste die Bestellungen von unzähligen Männern entgegengenommen haben; Anrufe aus Motelzimmern oder menschenleeren Häusern, vorgetragen mit nervösen, von Alkohol belegten Stimmen, in denen Verlegenheit und Lust ebenso mitschwangen wie die Angst vor einer Zurückweisung. Ich fragte mich, ob diese zahllosen Geständnisse männlicher Sehnsucht und Schwäche für sie bestürzende Einblicke in die Welt der ehrbaren Bürger darstellten oder ob sie eine stumpfsinnige Arbeitsdrohne war, die nicht weiter darüber nachdachte. Ich mochte einfach nicht glauben, dass am anderen Ende der Leitung eine übergewichtige, blondierte Puffmutter mit Glasringen an den Fingern saß – was angesichts der mechanischen Stimme am Telefon eine viel zu menschliche Vorstellung war. Irgendwann kam ich zu der Überzeugung, dass es sich um eine herzlose, asexuelle, alte Jungfer handelte, klapperdürr und blass, die durch ihre Fähigkeit, das Sexleben anderer manipulieren zu können, ohne selbst daran teilnehmen zu müssen, still und heimlich ein von Zynismus dominiertes Gefühl der Macht entwickelt hatte.

Wie immer war sie sehr diskret und subtil, als sie mich indirekt danach fragte, was für eine Art Mädchen und welche Leistungen ich wünschte. Und wie immer gab ich den Namen an, mit dem ich mich schon an der Motelrezeption eingeschrieben hatte – R. C. Richardson.

Ich legte den Hörer auf und schenkte mir einen weiteren Whiskey mit Eis ein. Dreißig Minuten später kam das Mädchen in einem Taxi. Sie war Mexikanerin, groß gewachsen, gut und teuer gekleidet, und ihr Gang hatte eine gewisse Anmut. Das schwarze Haar hing über ihren Schultern, und ihre relativ helle Gesichtshaut war bis auf zwei kleine Narben in der Wange perfekt. Sie hatte hohe Brüste und Schultern, unter ihrem kurzen Rock zeichneten sich zwei wohlgeformte Beine ab. Als sie mich anlächelte, sah ich, dass ihr ein Backenzahn fehlte.

»Magst du einen Whiskey, vielleicht mit etwas Wasser?«, fragte ich.

»Dafür ist es mir gerade zu heiß. Außerdem soll ich an den Nachmittagen sowieso nicht trinken.« Sie setzte sich auf einen Stuhl, zog eine Zigarette aus ihrer Handtasche und zündete sie an.

»Egal. Trink trotzdem einen mit.« Ich goss etwas Whiskey in das zweite Glas.

»Auch wenn Sie mir einen Drink ausgeben, gibt’s bei mir nur das, was Sie bezahlen, Mr. Richardson.«

»R. C. In Dallas nennen mich die Leute einfach nur R. C. Meinen Nachnamen kannst du dir für einen Besuch im Petroleum Club aufheben, da gilt er nämlich mehr als eine Diners-Club-Karte.«

»Ich glaube nicht, dass Sie auf Ihre Kosten kommen, wenn Sie so weitertrinken«, sagte sie.

»Abwarten. Normalerweise werde ich nämlich zum Stier, wenn ich was intus habe.«

Ich stand auf, band mir den Schlips ab und zog mein Hemd aus. In meinem Schädel brummte der Whiskey.

»Besser, Sie bezahlen mich, bevor wir anfangen«, sagte sie, nahm einen Zug von der Zigarette und schaute geradeaus.

Mein weißes Leinenjackett hing über der Stuhllehne. Ich zog das Portemonnaie aus der Innentasche, zählte fünfundsiebzig Dollar ab und legte die Scheine auf die Kommode.

»Kann es sein, dass ein paar Leute bei deinem Verein aus Galveston kommen?«, fragte ich.

»Über solche Dinge werden wir nicht informiert.«

»Du wirst doch bestimmt mal den ein oder anderen von den Strippenziehern kennengelernt haben, oder? Du weißt schon, Kerle italienischer Herkunft mit Sonnenbrillen und Maßanzügen?«

»Unser Date dauert genau zwei Stunden, Mr. Richardson.«

»Nimm dir was zu trinken. Was ist eigentlich mit der Frau am Telefon? Wurde die in ihrem Leben schon mal flachgelegt?«

Das Mädchen legte die Zigarette auf der Kommodenkante ab. Sie schlüpfte aus ihren Schuhen und rollte ihre Strumpfhose herunter. Ich nahm einen tiefen Schluck aus meinem Glas.

»Vielleicht ist’s ja auch die Großmutter von Lucky Luciano, die den Qualm eines Joints in den Hörer haucht«, sagte ich.

»Sie haben nicht oft die Chance, sich mit anderen Leuten zu unterhalten, oder?«

Sie stand auf, schlang ihre Arme um meinen Hals und presste mit einer kraftvollen Bewegung ihren Bauch nach vorn. Ich konnte das Parfüm in ihrem Haar riechen. Sie ließ ihre Hand meinen Rücken hinuntergleiten und biss mir mit geschlossenen Augen leicht auf die Lippe.

»Wollen wir nicht langsam anfangen?«, sagte sie.

Ich küsste sie auf den Mund und konnte den Whiskey in meinem Atem schmecken.

»Warum genehmigst du dir nicht erst mal einen Drink?«, sagte ich. »Ich mag’s nicht, wenn eine Frau verkrampft und wimmernd unter mir liegt, nur weil ich einen Jack Daniel’s hatte und sie nicht.«

»Verheiratet, stimmt’s?« Sie lächelte und schob ihre Finger unter meinen Gürtel.

»Ich hab einfach nicht sonderlich viel Spaß mit Frauen, die so aussehen, als hätten sie Schmerzen, wenn man sich auf sie legt. Kommt wahrscheinlich von den guten Manieren, die man als Richardson so an sich hat.«

»Muss eigenartig sein, mit Ihnen zusammenzuleben.«

»Kannst es ja beizeiten mal ausprobieren.«

Sie drückte ihren Bauch wieder nach vorn, löste die Umarmung und zog ihre restlichen Sachen aus. Sie hatte einen wundervollen Körper; einen Körper, wie man ihn nur selten bei einer Professionellen zu sehen bekommt. Ihre hohen Brüste waren straff, ihre Beine lang und braun vom Sonnenbaden am Swimmingpool irgendeines Gangsters, die Pobacken blass in der Bikinizone; der Bauch war flach, in Form gehalten von fünfundzwanzig oder mehr Sit-ups pro Tag, die Innenseite ihres Oberschenkels mit einer kleinen Tätowierung verziert, dem Pachuco-Kreuz mit drei Streifen.

Ich zog Hose und Unterhose aus, legte sie auf dem Stuhl ab, nahm die Zigarre vom Aschenbecher und schaute in den länglichen Spiegel an der Badezimmertür. Mit mittlerweile fünfunddreißig hatte ich gute fünfzehn Pfund zugenommen, seit ich im zweiten Studienjahr im Baseballteam der Baylor University gepitcht hatte. Über den Oberschenkeln hatte ich etwas Fett angesetzt, die Venen in meinen Beinen zeichneten sich lilafarben unter der Haut ab, und mein Haar war am Scheitelansatz etwas dünner geworden. Ansonsten war ich aber immer noch so fit und drahtig wie damals, als ich fast jedes Team in der Southwestern Conference nach Hause geschickt hatte. Keine Spur von Fett an Brust oder Bauch, und die Rückseite meines linken Oberarms war immer noch so muskelbepackt, wie man es von jemandem erwartet, der den Schlagmännern zwei Jahre lang einen Carl-Hubbell-Screwball nach dem nächsten servierte. Meine Schultern waren etwas nach vorn gebeugt, aber ich brachte es ohne Schuhe immer noch auf eins sechsundneunzig, und die vereinzelten grauen Ansätze in meinem sandblonden Haar verliehen mir eher Reife und Erfahrung, als dass sie mich alt machten. Dann waren da noch meine Kriegsverletzungen: zwei kreisförmige Narben von weißer Farbe an beiden Unterschenkeln, die eine schräg nach unten verlaufende Linie bildeten.

Wir trieben es eine Stunde lang und legten nur Pausen ein, damit ich mir noch ein Glas einschenken konnte. Mein Kopf schwamm im Whiskey, mein Herz hämmerte, und meine Haut fühlte sich heiß an. Der Fußboden neigte sich, als ich zur Flasche auf der Kommode ging, meine Atemzüge wurden heftiger und kratzten in meiner Kehle. Wir gingen alle Positionen durch, die sie kannte, probierten alle Experimente aus, die mir einfielen, und stellten im Grunde die Fantasien masturbierender Teenager nach. Sie vermochte es, Leidenschaft vorzutäuschen, ohne dass es offensichtlich gekünstelt wirkte, und wusste ganz genau, wann es an der Zeit war, den Körper anzuspannen oder die Beine zu spreizen. Nach dem dritten Mal, als ich schon dachte, dass wir fertig wären, beugte sie sich über mich, küsste mich und benutzte ihre Hände, bis ich bereit war, wieder in sie einzudringen. Sie fühlte sich weich und straff im Inneren an und hatte ganz offensichtlich noch nicht allzu viele Jahre im Geschäft hinter sich. Sie stützte sich auf ihre Ellbogen, sodass ihre Brüste vor meinem Gesicht hingen, spannte die Muskeln in ihrem Bauch an und drehte bei jeder unserer rhythmischen Bewegungen einen ihrer Oberschenkel zur Seite. Schon bald spürte ich, wie sich etwas in mir aufbaute und an Kraft gewann. Wie ein großer Felsbrocken rollte es einen Hügel hinab, erst langsam, dann immer schneller, und schoss schließlich über die Kante eines Canyons hinweg, um außerhalb meines Körpers zu explodieren und mir den leeren Frieden eines Opiumtraums zu schenken.

Völlig erschöpft fiel ich in einen whiskeygetränkten Stupor. Der in der Luft tanzende Staub sah in den durch die Vorhänge einfallenden Sonnenstrahlen aus wie sich windende Mehlwürmer. Das Mädchen erhob sich und zog sich an. Ein paar Augenblicke später hörte ich, wie sie die Tür zuzog. Trotz Klimaanlage schwitzte ich heftig. Ich schob den Kopf über die Bettkante und hoffte, auf diese Weise das sich drehende Zimmer zum Stillstand bringen zu können. Als ich die Augen schloss, zuckten farbige Blitze hinter meinen Lidern, und das Echo der Obszönitäten, die ich dem Mädchen zugeraunt hatte, als der Felsbrocken den Hügel hinuntergerollt war, erfüllte meinen Schädel. Meine Kehle und mein Mund waren trocken vom Whiskey und den angestrengten Atemstößen, die Gefäße in meinem Kopf geweitet vom Alkohol. Am liebsten wäre ich unter die Dusche gekrochen, um unter dem Brausekopf darauf zu warten, dass das kalte Wasser die Hitze aus meinem Körper spülen würde. Stattdessen rutschte ich noch tiefer in das Delirium … und dann begann der Traum.

Ich hatte viele Träume über meine Zeit in Korea. Manchmal hob ich ein Grab im gefrorenen Boden aus, während Unteroffizier Tien Kwong mit hasserfüllten Augen über mir stand und mir in unregelmäßigen Abständen den kurzen Lauf seiner Maschinenpistole in den Nacken rammte. Dann gab es Tage, an denen mich Kwong in das Verhörzimmer des Obersts brachte, wo ich auf einem Stuhl Platz nahm und so lange schweigend vor mich hinstarrte, bis Kwong meinen Hinterkopf packte, sein Knie in mein Gesicht rammte und mir dabei die Nase brach. Manchmal war ich auch allein, nackt im Zentrum des Lagers, wo wir uns einmal pro Woche unter einem Wasserhahn waschen und die Läuse aus unserer Kleidung spülen durften. Und jedes Mal, wenn ich zum Wasserhahn ging und das verrostete Ventil aufdrehte, fiel mein Blick auf die ins Metall gestanzten Worte: Manufactured in Akron, Ohio.

Dieses Mal jedoch trug mich der Traum an einen ganz besonderen Ort; den Ort, an dem mein sechstägiger Einsatz an der Frontlinie geendet hatte – die »Schießbude«.

Am Nachmittag war noch alles ruhig gewesen. Wir hatten Stellung in einem trockenen Bewässerungsgraben bezogen. Vor uns lagen Reisfelder, die in zwei Meilen Entfernung von den kahlen, durch Artilleriebeschuss zerlöcherten Ausläufern eines Gebirges abgelöst wurden. Im Zwielicht konnte ich die zerborstenen Bäume und die von unseren 105-mm-Haubitzen gerissenen Krater ausmachen, ebenso einen von unseren Napalmbomben schwarz gefärbten Hügel. Wir hatten zwar gehört, dass die 1. Marineinfanteriedivision am Chosin-Reservoir auf ein paar Chinesen getroffen war, aber unser Gebiet galt offiziell als sicher. Einerseits hätten unsere Gegner zwei Meilen offenes Gelände zu überqueren, um uns zu erreichen. Andererseits hatten wir unseren Verteidigungsring mit Stolperdraht und Minen gesichert, was allerdings als übertriebene Maßnahme angesehen wurde, da die Nordkoreaner in den Bergen nicht genügend Truppen für einen Frontalangriff hatten. Um halb acht gingen die Suchscheinwerfer an und beleuchteten die Reisfelder und die zerschossenen Hügel. Unmittelbar danach begannen die Signalhörner mit ihrer nächtlichen Beschallung, und über die Megafone wurden Tiraden gegen den amerikanischen Imperialismus verlesen. Die Kombination aus kakophonischem Hall und dem unnatürlich weißen Licht, das die Berge und die Furchen der Reisfelder bestrahlte, wirkte wie das audiovisuelle Experiment eines geistesgestörten Professors auf der Mondoberfläche. Manchmal vergaßen die Nordkoreaner, die Nadel von der Schallplatte zu heben, ein Kratzen, ungefähr so angenehm wie Fingernägel auf einer Schiefertafel, hallte aus den Bergen. Hin und wieder veränderten die Suchscheinwerfer ihre Ausrichtung, fuhren kurz über den Himmel und die Wolken und beleuchteten in der Ferne einen weiteren, von braunen Löchern überzogenen Hügel.

Ich saß mit dem Rücken gegen die Grabenwand gelehnt und versuchte zu schlafen. Die Decke, in die ich mich gehüllt hatte, fühlte sich in der Kälte allerdings wie eine Metalloberfläche an, außerdem schmerzten meine in feuchten Stiefeln steckenden Füße. Ich war am Nachmittag beim Überqueren eines Reisfeldes nass geworden, und mittlerweile hatten sich kleine Eisklumpen in meiner klammen Uniform gebildet. Selbst als ich die Wollmütze unter meinem Helm so tief wie möglich ins Gesicht zog, fühlten sich meine Ohren aufgrund der Kälte immer noch an, als hätte jemand mit einer Holzleiste auf sie eingeschlagen. In der Ferne hörte ich, wie einer unserer Panzer eine Straße entlangrumpelte. Dann begann ein Maschinengewehr mit Kaliber .30 an unserer rechten Flanke zu feuern. »Was macht das verdammte Arschloch da?«, presste der Corporal neben mir hervor, ein Hillbilly aus dem Norden von Alabama. Der Mann war groß gewachsen und hatte sich eine Decke über den Helm gezogen und am rechten Zeigefinger die Kuppe seines Handschuhs abgeschnitten. Ich hatte ein Codein-Fläschchen im Gepäck und holte es heraus, um mir einen Schluck zu genehmigen. Das Zeug schmeckte nicht so gut wie Whiskey, aber es wärmte definitiv besser als eine dieser Dosen mit Brennpaste. Das .30er MG gab einen Moment lang Ruhe, begann danach aber wieder längere Salven abzufeuern. Kurz darauf knatterte ein leichtes Maschinengewehr los, wahrscheinlich ein Browning Automatic Rifle, abgekürzt B. A. R., unter das sich das unregelmäßige Knallen von Kleinwaffen mischte. »Was zum Teufel ist da los?«, brummte der Corporal. Er richtete sich auf und kniete nun im Graben, sein M1 Carbine fest mit den Händen umschlossen. Plötzlich explodierten Leuchtgeschosse im Himmel, und über den Feldern begannen weiße Halos zu flackern. Im künstlichen Licht schien das Gesicht des Corporals blass wie Kerzenwachs, seine Lippen waren schmal und weiß.

Die ersten Mörsergranaten schlugen vor unseren Ziehharmonika-Stacheldrahtrollen ein und ließen die Minen detonieren, die wir vorher ausgelegt hatten. Gelbe und orangefarbene Flammen schossen empor und katapultierten Dreck und zerfetzten Stacheldraht in die Höhe. Dann betäubte ein Donnerdröhnen meine Ohren, das sich anfühlte, als rasten zwei Güterzüge zusammen. Ich spürte den heißen Luftzug des explosionsbedingten Vakuums, und im nächsten Moment brach die Grabenwand über mir zusammen und knallte mit der Wucht eines Vorschlaghammers gegen meinen Kopf. Die Erdmassen rammten mir die Kante des Helms in die Nase, was für eine ordentliche Platzwunde sorgte, und ich konnte sofort das Blut schmecken, das über meinen Mund lief. Irgendwo zwischen den umherfliegenden Felsbrocken und Erdklumpen, dem Donner der Granateinschläge und dem brummenden Beben unter meinen Füßen hörte ich einen Marine schreien. Es war nur ein lang gezogenes Wort, geschrien von einer Stimme, die aus einem Verbrennungsofen emporzusteigen schien: »DOOOOOOOOOOC!«

Ich setzte mich in Bewegung und kroch auf allen vieren den Boden des Grabens entlang. Doch plötzlich änderten die Chinesen die Ausrichtung ihrer Geschütze und konzentrierten das Feuer auf das Zentrum unserer Linie.

Bis dahin hatte ich immer geglaubt, dass, sollte ich mir jemals eine Kugel einfangen, es als Konsequenz einer von mir gefällten Entscheidung geschehen würde. Ich würde dran glauben müssen, weil ich selbst gehandelt hatte, und ganz egal, wie gedankenlos oder unbesonnen diese Tat auch sein mochte, besäße ich auf diese Weise noch ein wie auch immer geartetes Mitspracherecht bei meinem Tod. Auf dem Boden des Grabens dämmerte mir nun langsam, dass ich stattdessen inmitten eines Feuersturms sterben würde. In dieser Situation den eigenen Tod abwenden zu wollen war so aussichtslos, wie vor der niederfahrenden Faust Gottes zu fliehen. Die Granaten schlugen in unregelmäßigen Abständen im Graben ein und katapultierten Männer, Waffen und Ausrüstung in alle Himmelsrichtungen. Mit einem Mal erstarrte der Corporal neben mir in einer Explosion aus Licht und Erde. Er hatte Mund und Augen weit aufgerissen, sein Helm war löchrig, von Granatsplittern zerrissen. Wie in Zeitlupe schien er sich in einer Pirouettenbewegung zu drehen, das gesamte Gewicht seines massigen Körpers auf nur einen Fuß gelagert, und fiel mit dem Rücken zuerst auf mich. Das Blut quoll unter seiner Wollmütze hervor und lief ihm dünn wie Bindfäden über das Gesicht. Er öffnete und schloss den Mund, und seine mit weißem Speichel belegte Zunge formte einen feuchten, saugenden Laut. Er hustete noch einmal leise und tief in seiner Kehle. Dann fixierten seine Augen eines der am Himmel brennenden Leuchtgeschosse und hörten auf, sich zu bewegen.

Wenig später verstummte der Feuersturm. Zu plötzlich und zu rasch eigentlich, denn man sollte meinen, dass ein derart intensives und mörderisches Ding nicht einfach so endet, sondern sich aus seiner eigenen kataklystischen Kraft speist und bis in alle Ewigkeit fortwährt. Ich schob den Corporal zur Seite und merkte in der Stille (oder dem, was ich für Stille hielt, denn links und rechts erfüllte das Knattern automatischer Waffen immer noch die Luft), wie meine Ohren klingelten. Der zerfetzte Helm rollte vom Kopf des Corporals. Auf seiner Schädeldecke klaffte eine lange Wunde, die aussah wie von einem Skalpell gezogen. Auf dem Boden des Grabens lagen die Toten in unnatürlichen Positionen verstreut. Einige von ihnen waren zur Hälfte unter den eingestürzten Grabenwänden verschüttet, ihre Körper verdreht, ihre Gliedmaßen abgeknickt, als wären sie vom Himmel gestürzt. Die Gesichter der Verwundeten waren aschfahl, gezeichnet von Schock und Gehirnerschütterungen. Etwas weiter hinten im Graben schrie ein Mann.

»Sind Sie verletzt, Doc?«, fragte mich der First Lieutenant. Er trug sein Carbine in der rechten Hand, sein linker Arm baumelte reglos an der Seite herunter.

»Nein. Alles in Ordnung.« Unsere Stimmen klangen in meinen Ohren wie die von zwei weit entfernten Männern.

»Bereiten Sie alles für die Evakuierung der Verwundeten vor. Unserer rechten Flanke wird gerade der Arsch aufgerissen. In fünf Minuten sollen wir Artillerieunterstützung bekommen, und dann ziehen wir uns zurück.«

»Sie bluten ziemlich stark, Lieutenant.«

»Helfen Sie so vielen auf die Beine, wie Sie können. Gleich wimmelt es hier von Schlitzaugen.«

Die versprochene Deckung durch unsere Artillerie blieb aus. Fünfzehn Minuten später wurden wir überrannt. Unsere automatischen Waffen mähten Hunderte der über die Reisfelder auf uns zustürmenden Chinesen nieder, und wir schaufelten Schnee auf die glühenden Läufe unserer MGs, damit sie nicht überhitzten. Der Boden des Grabens war von Patronenhülsen und leeren Munitionskisten bedeckt. Auf den Feldern lagen die Toten in Zickzack-Reihen, so weit das Auge reichte. Wie Wellen stürmten die Gegner in unsere Richtung. Kaum waren die einen gefallen, folgten ihnen schon die nächsten nach. Daraufhin setzten die Signalhörner wieder ein, und Stielhandgranaten zerrissen unseren Stacheldraht. Jedes Mal, wenn eine unserer Waffen nachgeladen werden musste oder ein Marine zu Boden ging, rückten sie näher an unseren Graben heran. Unser einziger Panzer stand hinter uns, lichterloh in Flammen, unser Lieutenant hatte einen Schuss in den Mund abgekommen, und alle unsere Unteroffiziere waren tot. Nachdem wir die letzten Patronen verschossen hatten, schien unser Alamo gekommen, und wir pflanzten die Bajonette auf unsere Gewehrläufe. Dann brach eine neue Welle chinesischer Angreifer über uns hinweg.

Sie liefen am Graben entlang und feuerten aus nächster Nähe mit ihren Maschinenpistolen auf uns hinab. Erfüllt von einem hysterischen Gefühl der Erleichterung, den Frontalangriff überlebt zu haben, schossen sie auf die Toten ebenso wie auf die Lebenden. Ihre Waffen waren nicht für zielgenaues Schießen ausgelegt, auf ein paar Meter Entfernung jedoch pumpten sie im Handumdrehen ein komplettes Trommelmagazin in ihre Gegner. Schließlich kam der Moment, in dem ich, zum ersten Mal in meinem Leben, vor dem Feind davonlief. Ich ließ die Bahre mit dem verwundeten Marine fallen und rannte los, sprang über Leichen und Munitionskisten, verbogene Bazookas und gefechtsunfähige Maschinengewehre hinweg, vorbei an unserem Lieutenant, der Blut und Zähne auf seinen Mantel spuckte, und dann tauchte plötzlich ein Junge über mir am Grabenrand auf, ein Chinese in Stoffschuhen und Watteuniform, höchstens siebzehn Jahre alt, mit einem schmalen, gelben, von Kälte und Frost gezeichneten Gesicht. Ich erinnere mich noch daran, dass ich meine Arme ausstreckte, um Kopf und Brustkorb vor den Kugeln zu schützen. Doch das erwies sich als unnötig, denn der Bursche war ein derart schlechter Schütze, dass er nur meine Beine und die auch nur unterhalb der Knie erwischte. Wie Eiszapfen durchbohrten die Kugeln meine Glieder, und ich stürzte zu Boden, als hätte mir ein Clown in einer Slapstick-Nummer gegen die Schienbeine getreten.

An dieser Stelle endete mein durch Jack Daniel’s und sexuelle Erschöpfung bedingter Ausflug nach Korea. Ich wachte um halb sieben auf, schwitzend und mit einem dicken Schädel. Eine halbe Stunde lang saß ich in der gekachelten Dusche, ließ kaltes Wasser auf mich herabregnen und kaute auf einer nicht angezündeten Zigarre herum. Die weißen Dellen in meinen Schienbeinen fühlten sich unter dem Druck meines Daumens an wie Gummi.

Kapitel 2

Das Shamrock Hilton in Houston wimmelte in dieser Nacht von Demokraten. Aus ganz Texas waren sie angereist, fast siebenhundert an der Zahl, aus Loyalität zur Partei. Unter ihnen die Söhne und Töchter der vergessenen Kriege, das texanische Parteikomitee, die Schwergewichte vom Gewerkschafts-Dachverband AFL-CIO, die Freibetragslobbyisten (die sich für den Erhalt der großzügigen Sonderabschreibungen der Erdölindustrie einsetzten), manikürte Zeitungsverleger, aalglatte Public-Relations-Typen, Millionärsfrauen in Nobelkleidern von Neiman Marcus mit Piney-Woods-Akzent, junge Anwälte mit politischen Ambitionen (ein jeder von ihnen ausgestattet mit einem wachen Auge, einem festen Handschlag und einem nach Rasierwasser riechenden Kastenkinn à la Fearless Fosdick), die Zehnprozenter (die selbst bei den skrupellosesten Finanztricksereien stets eine Gebühr von zehn Prozent einstrichen), die Neureichen, die ihren Kindern Studienplätze am Randolph-Macon College kauften, die Rancher, die mit beiden Augen auf Agrarsubventionen schielten, einige nur leidlich gesellschaftsfähige Mafia-Typen aus Galveston, verschiedenste Fußsoldaten, Laufburschen und Jasager aus Lyndons Entourage, drei texasstämmige Hollywood-Filmstars, ein Astronaut, ein kriegsversehrter General im Rollstuhl von der Veteranenorganisation des Spanisch-Amerikanischen Krieges, ein saufender Baseballspieler, der mal für die Houston Buffaloes gepitcht hatte und danach zu den Cardinals aufgestiegen war, ein paar teure Prostituierte, ein Air-Force-General, der dank seines Eifers beim Brandbombenangriff auf Dresden eines Tages sehr wahrscheinlich mit einer Fußnote in die Militärgeschichtsbücher einging, und US-Senator Allen B. Dowling.

Für die Strecke von San Antonio hatte ich nur zweieinhalb Stunden gebraucht. Das Gaspedal bis aufs Bodenblech durchgetreten, war ich wie ein blauer Blitz durch Kleinstädte und Farmsiedlungen geschossen, wo betrunkene Cowboys mit einem Bier in der Hand vor den Saloons gesessen und mir ungläubig hinterhergestarrt hatten.

Ich bog in die weiße, halbkreisförmig angelegte Zufahrt zum Shamrock ein und wartete am Ende einer Autoschlange auf die Bande uniformierter schwarzer Hotelpagen, die mein Gepäck und auch meinen Cadillac übernehmen und mich keine Tür allein öffnen lassen würden. Sie verrichteten ihre Arbeit mit flinken, routinierten Handgriffen, sodass man sich fast wie auf einem Fließband vorkam. Ihre Zähne waren weiß, ihre Gesichter schwarz und freundlich, und sie wirkten unterwürfig und doch voller Selbstvertrauen in ihre Effizienz. Ich hatte das Gefühl, dass sie uns allen nur zu gern die Kehlen durchgeschnitten hätten. Sie erinnerten mich an die schwarzen Truppen in Korea, wenn sie mit Mr. Skins, einem weißen Offizier, zu tun hatten. Sie waren in der Lage, ihre Aufgaben derart exzellent zu erledigen, dass sie Auszeichnungen und Orden verdient hätten. Gleichzeitig beleidigten sie ihre Vorgesetzten und lachten ihnen ins Gesicht, und taten doch nichts, wofür ein Offizier sie hätte rügen können, ohne sich lächerlich zu machen.

Ich ließ den Cadillac bis vor die Glastüren am Eingang rollen. Als der Wagen stand, zog einer der schwarzen Hotelpagen die Tür für mich auf, ein anderer setzte sich auf den Fahrersitz, ein dritter holte mein Gepäck aus dem Kofferraum. Ich gab jedem einen Dollarschein – nicht ohne das dumme Gefühl einer unnatürlichen Situation, wie beim Bezahlen eines Schuhputzjungen – und folgte dem dritten Pagen ins Hotel. Während ich die Bewegung der grauen Uniform auf seinem Rücken und die darunter verborgenen festen Muskelstränge beobachtete, ging mir eine Frage durch den Kopf: Würdest du mir wirklich gern eine Rasierklinge über die Halsschlagader ziehen, du entwurzelter Nachfahre von Ham, der du deines kulturellen Erbes beraubt und auf ein südtexanisches Baumwollfeld verfrachtet wurdest, um dort als ungebildeter und linkischer Landarbeiter zu schuften und dich mit den deinen, eine Generation nach der anderen, auf einem Stück Pachtland abzuplacken? Ja, ich schätze schon, dass du das tun würdest. Alles, was es braucht, ist die saubere, scharfe Klinge eines Rasiermessers, mit der du mir behutsam die Blutgefäße öffnest.

Ich war immer noch ordentlich benebelt vom Jack Daniel’s, dem mexikanischen Mädchen und dem Traum. Gut möglich, dass meine sonderbaren Einblicke in die Gedankenwelt des schwarzen Mannes vor mir ihren Ursprung in dieser Benommenheit hatten.

An der Rezeption nannte ich meinen Namen, woraufhin mir mitgeteilt wurde, dass meine Frau die Suite im zehnten Stock bezogen hatte. Sie war gestern schon zusammen mit meinem Bruder Bailey in Houston angekommen, pünktlich zum Beginn der Parteiversammlung. Eigentlich waren wir heute zum Mittag auf der Terrasse verabredet gewesen, um mit ein paar von den Freibetragslobbyisten zu speisen, die bereitwillig Unmengen in die Karrieren von jungen Kongressabgeordneten investierten. Mein einziger Pflichttermin, die Rede auf der Parteiversammlung, war allerdings erst für zehn Uhr abends angesetzt, und ehrlich gesagt war ich nicht in der Verfassung für einen ganzen Tag voller oberflächlicher Konversationen, rassistischer Witze und kühler Gin-Cocktails am Swimmingpool gewesen, wo gepuderte Ölbaroninnen in den mittleren Jahren mir Banalitäten zuflüsterten, die sich wie Glassplitter in meinen Gehörgängen anfühlten. Ich hatte all diese Menschen vorher schon einmal getroffen, in Dallas, Austin, Fort Worth und El Paso – und sie waren sich stets treu, unterschieden sich nur minimal, unabhängig von Ort oder Anlass. Die Männer trugen Western-Anzüge von Oshman, halbhohe Stiefel, Diamantenringe von Zale, die an ihren fetten Fingern reichlich deplatziert wirkten, dazu Schnürsenkelkrawatten oder sportliche Hemden ohne Binder, die die Aufmerksamkeit von ihren unsteten Augen und den geplatzten Venen auf ihren Wangen ablenkten. Über Finanzen sprachen sie mit einer bedachten Gleichgültigkeit, aber ich wusste, dass es ihnen bei diesem Thema im Schritt kribbelte. Ihre Frauen mochten mich, weil ich jung und gut aussehend war, Erfolg als Anwalt hatte und mit einem dezenten Teint von meinen Partien auf angesagten Tennisplätzen glänzte. Es kostete mich einige Anstrengung, den guten Gesprächspartner zu mimen und vergnügt und unbeschwert die Eiswürfel in meinem Glas klimpern zu lassen, während sie mir von den trivialen Details ihres faden Alltags berichteten. In diesen Situationen profitierte ich von meiner Selbstdisziplin, denn ich wusste immer genau, was ich meinem inneren Schutzpanzer zutrauen konnte und wann es an der Zeit war, mich zu entschuldigen und zu verschwinden.

Außerdem brauchte ich diese Leute nicht, um in meinem Wahlkreis als Kongressabgeordneter gewählt zu werden. Der Name Holland und die Reputation meines Vaters reichten aus, um fast jedem Mitglied unserer Familie ein politisches Amt zu sichern, wenn es das nur wollte. Zudem erinnerten sich die Leute noch an den Kriegsheimkehrer Hackberry Holland: ein verwundeter US-Navy-Sanitäter in Tropenuniform, ein ehemaliger Kriegsgefangener mit Gehstock, der zweiunddreißig Monate lang der Gehirnwäsche in chinesischen Kriegsgefangenenlagern widerstanden hatte, während andere US-Soldaten Geständnisse unterzeichneten, Mitgefangene anschwärzten und zum Feind überliefen.

Nicht unerheblich war in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass mein republikanischer Konkurrent ein zwielichtiger Rassist war, der auch im Geschäftsleben verschrobene Ansichten vertrat und sein Versicherungsunternehmen in den Bankrott getrieben hatte. Im Laufe der Jahre war er Mitglied einer Reihe rassistischer Organisationen gewesen: der John Birch Society, der Paul Revere Society, der Independent Million, der White Citizens League, der Dixiecrat Party. Der Mann war ein gemeiner und widerwärtiger Trunkenbold, ein Tyrann gegenüber seiner Frau und seinen Kindern, und ehrlich gesagt war mir unklar, warum die Republikaner ihn überhaupt aufgestellt hatten. Wahrscheinlich hatte es damit zu tun, dass er jederzeit große Summen von Männern seines Schlages einwerben konnte und die Republikaner seit der Reconstruction-Ära ohnehin keine Wahl in DeWitt gewonnen hatten.

Verisa hatte eine Fünfzimmer-Suite genommen, inklusive Cocktailbar, Hochflorteppich, Ölgemälden an den Wänden, Gummibäumen in Pflanztöpfen und einem Balkon mit Aussicht auf den Swimmingpool des Hotels. Der Hotelpage stellte meinen Koffer ab und schloss die Tür hinter mir. Ich konnte die Wut in Verisas Augen sehen. Sie hatte ein weißes Abendkleid an und saß mit eng übereinandergeschlagenen Beinen auf der Couch. Die Spitze eines ihrer High Heels zeigte auf den Kaffeetisch. Ihr rotbraunes Haar hatte durch das viele Bürsten und Kämmen einen metallischen Glanz, ihre Haut wirkte blutarm und glatt wie Marmor. Wäre ich etwas näher an sie herangetreten, hätte ich die Parfümtropfen hinter ihren Ohren riechen können, ebenso die gepuderten Brüste, den leichten Gin-Geschmack in ihrem Atem und einen Hauch ihrer Weiblichkeit. Sie warf mir einen kurzen Blick zu, wandte ihre Augen wieder von mir ab und zündete sich eine Zigarette an. Die Spitze ihres Schuhs schnellte nach vorn und traf eine handgeschnitzte Verzierung an der Seite des Tisches. Sie war gut darin, ihre Wut zu kontrollieren. Gelernt hatte sie das auf dem Randolph-Macon College. Und durch das Zusammenleben mit mir. Sie konnte rasenden Ärger in heißer Zigarettenasche aufgehen lassen, auf eine Handvoll am Rande einer Cocktailparty gezischte Wörter reduzieren oder in einem hitzigen Ausbruch nach der Heimkehr ausleben. Der Tritt gegen den Couchtisch jedoch fühlte sich an, als hätte sie mich direkt zwischen den Beinen erwischt – eine Revanche für sieben Ehejahre und zahllose zerbrochene Mädchenträume; für die Demütigung, die sie empfand, wenn ich Ölfeldarbeiter oder Soldaten aus Fort Sam Houston in den Country Club schleppte; für die mitternächtlich im Rausch offenbarten Schuldgefühle aus dem Koreakrieg. Gleichzeitig war es auch eine Art Vergeltung für den stoischen Zustand aussichtsloser Resignation, in den sie sich geflüchtet hatte, für die sozialen Enttäuschungen und die zermürbende Ungewissheit, ob sie nun die Frau eines texanischen Kongressabgeordneten (und möglicherweise späteren Senators) werden und einen Platz an der reich gedeckten Tafel der Macht erhalten würde – einer Macht, die weit über all das hinausging, was man mit Geld kaufen oder zerstören konnte.

»Ist dir denn wirklich alles scheißegal, Hack?«, sagte sie leise, den Blick immer noch geradeaus gerichtet.

»Was habe ich verpasst?«

»Einen Tag voller Entschuldigungen für die Abwesenheit meines Ehemannes. Ehrlich gesagt, habe ich genug davon.«

»Ein Mittagessen am Pool mit der Aristokratie von Dallas? Das stelle ich mir nicht sonderlich schrecklich vor.«

»Ich bin nicht gerade zum Scherzen aufgelegt, Hack. Mir Entschuldigungen aus den Rippen zu leiern und für dich zu lügen macht mir keinen besonders großen Spaß. Und ohne Begleitung drei Stunden mit unzivilisierten Geschäftsleuten am Tisch zu sitzen auch nicht.«

»Aber das sind doch die kultivierten Jungs mit dem vielen Geld. Die Kerle ölen die Räder der Maschinerie und sorgen dafür, dass Frankenstein rundläuft.«

Ich ging zur Bar und schenkte mir einen doppelten Whiskey über ein paar Eiswürfeln ein. Der Drink legte sich sanft über die Reste meines Nachmittagsrausches und machte mich noch gelassener in diesem Gefühl der sexuellen Überlegenheit, das ich nach dem Herumhuren stets Verisa gegenüber empfand.

»Ich weiß zwar nicht genau, wo du gewesen bist, aber ich tippe mal auf eine deiner Motelnummern mit irgend so einem billigen Bauernflittchen.«

»Ich musste zu einem Treffen mit R. C. Richardson nach Austin.«

»Wie viel zahlst du denen eigentlich? Machen sie’s dir auch französisch? So nennt man das doch in diesem Gewerbe, oder?«

»Ja, so nennt man das wohl.«

»Das müssen wirklich reizende Mädchen sein. Bekommst du sonst noch irgendwelche Sonderwünsche von denen erfüllt?«

»Noch mal: Ich war bei R. C. Der verrückte Hund überlegt momentan tatsächlich, sich ein Patent auf die Maul- und Klauenseuche ausstellen zu lassen. Allein mit den Verträgen für Vietnam würde er Millionen machen.«

»Deine Freundinnen haben wahrscheinlich auch die eine oder andere Seuche.«

»Lass es lieber, Verisa.«

»Ach, so ist das? Ich soll dich also besser nicht darauf ansprechen, wie? Stattdessen darf ich den ganzen Tag mit Leuten plaudern, die auf Zahnstochern herumkauen, und soll dich anschließend freudig an der Tür empfangen, wenn du gerade von einem Fick-Ausflug zu einer deiner mexikanischen Huren wiederkommst?«

Die Präzision ihrer Worte ließ etwas in mir zusammenzucken. Ich schenkte mir noch mal nach.

»Ich wette, du bist schon öfter mit mir ins Bett gestiegen, ohne zu wissen, ob du dich bei einer deiner Huren angesteckt hast«, sagte sie.

Es war so weit. Sie begann die Daumenschrauben anzuziehen.

»Willst du vielleicht einen Drink? Ich werde mich jetzt umziehen.«

»Oh mein Gott, dann hast du es also wirklich getan«, sagte sie und bedeckte ihren Mund mit den Fingern.

»So etwas habe ich nie getan.«

»Ach was. Wahrscheinlich erinnerst du dich einfach nur nicht mehr daran. Schließlich muss man zwei Wochen warten, um sicher zu sein.«

»Du solltest dich nicht so gehen lassen.« Aber sie hatte recht. Ich erinnerte mich nicht mehr.

»Das ist mal einem Mädchen auf dem College passiert, einem dummen Ding, das es auf den Rücksitzen fremder Autos mit Matrosen und Marines getrieben hat. Nie im Leben hätte ich mir träumen lassen, dass es einem auch mit dem eigenen Ehemann widerfahren kann.«

»Du redest dich vorsätzlich in Rage«, sagte ich.

»Eigentlich wundert es mich, dass du mir nicht gleich irgendwelche Antibiotika verabreicht hast.«

Ich mixte ihr einen Drink, gab einen Spritzer Zitrone hinzu und stellte ihn vor ihr auf den Tisch.

»Es tut mir leid, dass dich der heutige Tag so mitgenommen hat«, sagte ich. »Ich dachte, Bailey würde dich zum Lunch begleiten, wenn ich es nicht rechtzeitig schaffe.«

»Sag mir, ob du mir das wirklich angetan hast.«

»Pass auf, ich verstehe, dass du einen beschissenen Tag hattest. Ich hätte hier sein müssen, um mit diesen Mistkerlen zu Mittag zu essen, oder ich hätte Bailey anrufen sollen, damit er sich um dich kümmert«, sagte ich. »Ich werde mich jetzt umziehen. Wir müssen in ein paar Minuten runtergehen.«

»Du musst eine ganz besondere Uhr haben. Immer wenn du mit dem Rücken zur Wand stehst, sagt sie dir, dass es Zeit ist, irgendwohin zu gehen.«

»Dein Drink wird dir guttun.«

»Warum trinkst du ihn nicht selbst? Er wird dich vor Charme sprühen lassen«, sagte sie.

»Du hast ein Talent dafür, es in kürzester Zeit auf die Spitze zu treiben.«

»Vielleicht mache ich ja so lange weiter, bis du nicht mehr weißt, wo dir der Kopf steht.«

»Lohnt das denn den Aufwand? Wenn dir was daran liegt, gewonnen zu haben, dann fühl dich meinetwegen ruhig als Siegerin. Vielleicht willst du mir ja auch nur sagen, dass ich dir den Hintern küssen und um Vergebung bitten soll.«

»Das hast du ja auch schon ohne Grund für eine Entschuldigung getan. Ein Psychoanalytiker hätte seine wahre Freude an dir.«

»Ich möchte jetzt keine möglicherweise peinlichen Details ausgraben, aber wenn ich mich recht erinnere, hast du jede Sekunde davon genossen.«

»Ja, ich erinnere mich noch gut an diese reizenden Momente. Du hast all die Sauereien mit mir angestellt, die sie dir in den japanischen Puffs beigebracht haben, und nebenbei über zwei Jungs schwadroniert, die in einem chinesischen Gefangenenlager draufgegangen sind.«

»Besser, du machst jetzt langsam den Schnabel zu.«

»Wie hieß der Junge aus San Angelo noch mal? Und der schwarze Sergeant aus Georgia?«

»Tu lieber, was ich dir sage!«

»Das sind doch nur ein paar kleine Erinnerungen, die du unbedingt mit mir teilen musstest. Wie war das noch gleich? Man hat sie in eine Latrine geworfen, nicht wahr? Um mit deinen Worten zu sprechen: amerikanischer Dünger für die koreanischen Reisfelder.«

»Hör auf damit, Verisa, oder ich vergesse meine Manieren.«

»Willst du mich jetzt etwa schlagen? Das wäre wirklich das i-Tüpfelchen auf meinem Tag.«

»Gönn mir einfach eine Verschnaufpause.«

»Du kannst mich jetzt nicht hängenlassen, Hack. Wenn du uns diese Chance versaust, lasse ich mich scheiden und hole mir das Haus vor Gericht. Und dann zahle ich es dir auf die passendste Art und Weise heim, die ich mir vorstellen kann, und lass euren Familienfriedhof zubetonieren.«

Ich griff mir die Whiskeyflasche und mein Glas von der Bar, ging ins Schlafzimmer und warf die Tür hinter mir zu. Ich spürte, wie die Wut in meinem Kopf pulsierte und die Venen in meinem Hals anschwollen. Eigentlich wurde ich nur selten ärgerlich. Dieses Mal jedoch hatte sie mich dort erwischt, wo es wehtat, und mit ihren Krallen ein gutes Stück aus meinem Inneren gerissen. Ich nahm zwei Züge aus der Flasche und begann mich umzuziehen. Ich schaute in den Spiegel, mein Gesicht war glühend rot. Dann schleuderte ich meine Hose gegen die Wand und riss mir das Hemd vom Leib, sodass die Knöpfe über den Boden rollten. Nur in Unterwäsche stand ich da und gönnte mir noch einen Drink, dieses Mal mit gemäßigteren Schlucken. Der Whiskey breitete sich in mir aus, und ich spürte einen Schweißtropfen von meiner Augenbraue hinablaufen. Ruhig bleiben, Junge, ganz ruhig bleiben, dachte ich. Der Lone Ranger verliert niemals die Fassung. Er gibt einfach dem Sheriff eine Silberkugel und lässt sich von Tonto einen Drink mixen.

Dieses Mal war Verisa von ihrer üblichen Linie abgewichen. Es schien, als hätte sie den Tag damit zugebracht, einen ganzen Handkoffer voll chirurgischer Instrumente zusammenzusammeln, um abends das Messer an meinen lebenswichtigen Organen anzusetzen. Ehrlich gesagt, wusste ich nicht mal, ob ich ihr die Sache übelnehmen oder ihr dafür Anerkennung zollen sollte. In der Vergangenheit hatte sie ihre Empörung meist lautlos in einer Spritze aufgezogen, um die Nadel später in eine besonders empfindliche Stelle zu stoßen. Wenn ich dem sensiblen Teil ihres Seelenlebens etwas ganz besonders Schmerzvolles angetan hatte, revanchierte sie sich, indem sie just im Moment meines lähmenden Höhepunktes schlaff und gleichgültig unter mir zusammensackte und die Arme hinter dem Kopf auf dem Kissen verschränkte.

Ich gönnte mir noch einen kleinen Drink; gerade genug, um meinen Gaumen zu benetzen. Dann putzte ich mir die Zähne, nahm drei Aspirin und zwei Vitamintabletten und gurgelte mit Listerine, um den Whiskey-Atem loszuwerden. Ich zog ein italienisches Seidenhemd an, band eine dunkle Krawatte um, schlüpfte in einen bügelfrischen Anzug, polierte meine Schuhe mit einem feuchten Handtuch, zündete mir eine Zigarre an und blies den Qualm gegen den Spiegel. Alles in Ordnung, Mann mit der Maske, dachte ich.

Ich hörte, wie Verisa die Zimmertür öffnete, dann die Stimmen von Bailey und Senator Dowling.

»Hack«, sagte Verisa und trommelte leise mit den Fingernägeln gegen die Tür. Ich wusste, dass sie bereits die Wandlung zur vergnügten Ehefrau eines Kongresskandidaten vollzogen hatte. Es war erstaunlich, wie schnell sie dazu in der Lage war.

Ich öffnete die Tür, trat aus dem Schlafzimmer und schüttelte die Hand des Senators.