Zwischen den Jahren - Günter Staub - E-Book

Zwischen den Jahren E-Book

Günter Staub

4,7

Beschreibung

Der Titel des Buches bezieht sich im engeren Sinne auf die unruhige Zeit der Raunächte zwischen Weihnachten, Neujahr und Dreikönigstag. Zwischen den Jahren entstanden und vergingen in kurzer Zeit zwei Staaten, das Dritte Reich und die DDR, von denen sich wichtige Geschehnisse in dem Buch wiederfinden. Im weiteren Sinne bezieht sich der Buchtitel auf eine Biographie mit eindrucksvollen Erlebnissen auf Auslandsmessen in aller Welt. Führende Positionen bei der Ludwig-Frank-Stiftung und der Deutsch-Jordanischen Gesellschaft führten zu vielseitigen Begegnungen in arabischen Ländern. Freimaurerei und der Templerorden bilden ein eigenes Kapitel des Buches. Leserbriefe des Verfassers in bekannten Tageszeitungen behandeln aktuelle Themen aus Politik, Wirtschaft und Kultur. Im weitesten Sinne bedeutet "Zwischen den Jahren" das Schicksal des Weltalls. Dabei wird das Entstehen und Vergehen des Daseins versinnbildlicht, da Geburt und Tod untrennbar verbunden sind.

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Seitenzahl: 456

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Für Toni, Rüdiger und Astrid

Inhalt

Vorwort

KAPITEL I

Jahresanfang

Raunächte

Neujahr

Dreikönigstag

Die drei Sterndeuter

Russische Weihnacht am Dreikönigstag

Zinswetten

Hoch verschuldete Kommunen

Jesiden

Salafisten

Nachklang

KAPITEL II

Friedensjahre

Kindheit

Schulbeginn

Die XI. Olympiade in Berlin

Fliegerei

Autogrammhelden

Luftschiff Zeppelin Hindenburg

Herrscherin der Lüfte

Sporthelden

KAPITEL III

Kriegsjahre

Heimatstadt Sinsheim

Oberschule

Hitlerjugend

Ende des Krieges

Gefangenschaft

KAPITEL IV

Nachkriegsjahre

Tanzgesellschaft Walzerreigen

Schulende

Abschlussfeier

Ferienaufenthalt in der DDR

Frühes Leid und spätes Glück

Deutsch-Französisches Sommerseminar

Grenz- und Kurstadt Bad Sooden-Allendorf

KAPITEL V

Englische Aspekte

Olive

Cambridge

Emanzipation der Frau

Bahai

Esperanto

Sternenhimmel Fußball

KAPITEL VI

Made in Germany

Bedrohungen für Made in Germany

Drohender Ausverkauf der deutschen Wirtschaft

Ich hatt’ einen Kameraden

KAPITEL VII

Auslandsmessen

Vorbereitungen durch AUMA und IHK

Jubiläumsmesse Lyon

42. Internationale Messe Brüssel

Trade Fair Tel Aviv – Modern Living

Internationale Messe in Plovdiv

Madrigalchor Sofia

Bolivien

Verwaltungszentrum La Paz

Tiwanaku und Titicacasee

XVII Feria Internacional de Santa Cruz de la Sierra

Ecuador

Boliviens Wirtschaft

Che Guevara

Tiergeschichten auf der Messe

Kuba

KAPITEL VIII

Gesellschaften und Bünde

Ludwig-Frank-Stiftung

Der Weg ist das Ziel

Begegnung mit dem Scheich von Katar

Manula und die Sprache Jesu

Süddeutsche Länder

Todesflug des südkoreanischen Jumbojets KAL 007

Fünfzig Jahre Deutsch-Jordanische Gesellschaft

Freimaurerei

Die Hiramlegende

Das verlorene Wort

Der Templerorden

Das Licht

Leningrad

Zahlenmystik

KAPITEL IX

Abwicklung der DDR

Treuhandanstalt – Gründung und Aufgaben

Treuhandniederlassung Chemnitz

Die Kaufkraft der DM-West

Was hat die Treuhand erreicht?

Chemnitz

Todesfalle A 72

Abwicklung einer Firma

Rückgabe vor Entschädigung

Die falsche Gräfin

Streik! Metaller sperren die Treuhand aus

Anschlag auf das Treuhandgebäude

Ganz Amerika wird Gewerbegebiet

Georgius Agricola

Treuhandanstalt im Kreuzfeuer der Kritik

Stimmungsvoller Ausklang

Beiträge

KAPITEL X

Jahrtausendwende

Projekt RU-EURO

Stadt an der Grenze zwischen Europa und Asien

Joint-Venture-Gespräche

Russlanddeutsche

Ausflug nach Sibirien

Alexander Puschkin

Millenniumsfeier

KAPITEL XI

Eine Dekade später

al-Qaida

Der Fall Lehman Brothers

Kapitel Lehman fast abgeschlossen

Bankenunion

Quo vadis Europa?

Energieprobleme

Konturen einer neuen Welt

Freihandelszone USA – Europäische Union

Quo vadis Deutschland?

KAPITEL XII

Jahresende

Adventsfeier der Theatergilde

Weihnachtsgedanken

KAPITEL XIII

Ausblick in das Weltall

Weltuntergänge

Ausflüge ins All

Reise zum Mars

Himmelfahrtskommando

Zukunft und Ende des Sonnensystems

KAPITEL XIV

Leserzuschriften und Briefwechsel

Europäische Gemeinschaft

Hauptstadt Berlin

Berliner Schloss – Humboldtforum

Demokratie

Meinungsfreiheit

Integration

Krieg und Frieden

Politik und Religion

Vermischtes

Literaturverzeichnis

Vorwort

Anlass zu dem Thema „Zwischen den Jahren“ gaben Weihnachts- und Neujahrsfeiern der Theatergilde, in denen die Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönigstag mit den historischen Hintergründen behandelt wurde. In dieser unruhigen Zeit der Raunächte schienen wilde Geister die Gesetze der Natur außer Kraft zu setzen. In einen Jahreswechsel fällt auch die Millenniumsfeier beim Übergang in ein neues Jahrtausend mit einer Rückschau auf das zweite Jahrtausend und Ausblick auf das 21. Jahrhundert.

Im weiteren Sinn bedeutet „Zwischen den Jahren“ einen langen Berufs- und Lebensabschnitt mit abwechslungsreichen Bildern persönlicher Erlebnisse in vielen Ländern der Welt. Aufträge des Ausstellungs- und Messe-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft auf internationalen Messen weltweit brachten Begegnungen mit hochrangigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und die vertieften Kenntnisse von Land und Leuten. Zwischen den Jahren entstanden und vergingen zwei deutsche Staaten, das Dritte Reich und die DDR, mit denen enge Erfahrungen verbunden waren. Die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin ist der dritte Staat, der als Untertitel im Buch erscheint. Eine Vermittlung der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Eschborn führte zu einer Entwicklungstätigkeit in Indien und der Senior Experten Service in Bonn gab grünes Licht für einen Einsatz in Orenburg am Ural. Führende Positionen bei der Ludwig-Frank-Stiftung und der Deutsch-Jordanischen Gesellschaft ergaben intensive Begegnungen mit verschiedenen arabischen Ländern, insbesondere mit Ägypten, Syrien und Jordanien, wo die Königsfamilie in Amman einen Empfang gab.

Im weitesten Sinne des Themas werden Entstehen und Vergehen und der Grund des Daseins als Lebensweg auf Erden wie auch des gesamten Weltalls angesprochen, da Geburt und Tod untrennbar miteinander verbunden sind. In der abgedruckten Abiturientenrede ist Bezug genommen auf Faust, der den rechten Lebensweg erkannte, indem er sich dem praktischen Handeln im Dienste der Menschheit zuwandte. Erst in den Kämpfen des Lebens fand der alte Faust den Inhalt seines und allen menschlichen Lebens. Die Zukunft des Sonnensystems wird am Schluss des Buches abgehandelt, das Ende des Weltalls, allerdings in einer sehr fernen Zeit, wird zu einem Zustand führen, aus dem alles einstmals entstanden ist.

Im Anhang des Buches sind einige Leserbriefe aus bekannten Tageszeitungen mit hochaktuellen Themen aus Politik, Wirtschaft und Kultur abgedruckt. Sie behandeln insbesondere die Europäische Gemeinschaft, die Stellung der Bundeshauptstadt Berlin und die Umsetzung verfassungsrechtlicher Fragen in einer Demokratie.

Der Verfasser

KAPITEL I

Jahresanfang

Raunächte

Anselm Blidmunt machte es sich in einem lederbezogenen Sessel, dessen Rückenlehne ein von seiner Frau Toni anlässlich eines Geburtstages geschenkter Fuchspelz zierte, in seiner wärmenden Kanzlei im Erdgeschoss eines frei stehenden Familienhauses bequem, das, am Rande des Schwarzwaldes gelegen, an ein kleines Wäldchen angrenzte, in dem allerlei Getier in der klirrenden Kälte ausharrte und Goldfische sich unter die Eisdecke eines Fischteiches zurückzogen. Fuchs, Hasen und auch Rehe vom nahen Wald hatten früher die Terrasse des Hauses in der Winterzeit aufgesucht, jetzt, nach neuen Einzäunungen benachbarter Wiesen, drangen nur gelegentlich noch hungrige Wildschweine bis an die mit Draht versehene Grenze vor. Draußen pfiff ein ungemütlicher Wind um Kanten und Ecken und Väterchen Frost hatte sein dichtes weißes Linnen ausgebreitet. Während der Orkan Bary im Norden für Chaos sorgte, ging es im Süden doch gemütlicher zu. Kälte und Schnee hatten in vielen Regionen der nördlichen Halbkugel Verkehrschaos und Stromausfälle verursacht.

Es war die Zeit der Raunächte zwischen dem Heiligen Abend und dem Fest der Erscheinung des Herrn. Viele Geister trieben ihr Unwesen. Zur Mitte der Zwölfnächte, die ihren Ursprung in der Zeitrechnung nach einem Mondjahr haben, das gegenüber dem Sonnenjahr elf Tage kürzer ist und somit nach alter Überlieferung die normalen Gesetze der Natur in diesen toten Tagen außer Kraft setzt, brach Wotan mit den Toten zur wilden Jagd auf, deren Seelen Ausgang hatten und wilde Umzüge veranstalteten. Bis in die jüngste Zeit war in weiten Teilen Europas der Glaube verbreitet, dass sich zauberkundige Menschen, die einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatten, zu dieser Zeit in Werwölfe verwandelten und in dieser Gestalt Menschen und Vieh bedrohten. Der überall dargebotene Lärm an Silvester soll diese Unholde fernhalten.

Blidmunt erinnerte sich an die grausige Nacht zehn Jahre zuvor, als der gewaltige Orkan Lothar, der in einem ungeraden Jahr als männlich dargestellt wird, hochgewachsene Tannen und Fichten umriss, Zweige und Geäst spielerisch auf die Fluren streute und in weiten Teilen des Schwarzwaldes ein Chaos hinterließ.

An jenem Tag, es war der zweite Weihnachtsfeiertag, folgte Blidmunt mit seiner Frau einer Einladung nach Heidelberg zu Freunden, die sich nach der Pensionierung des Ehemannes als Pfarrer in seiner früheren Gemeinde im elterlichen Haus in Neuenheim niedergelassen hatten.

Schon auf der einen Seite der Autobahn sah man entwurzelte Bäume und eine lange Reihe von stehenden Autos. Die Heimfahrt war nur auf einer Nebenstraße möglich. Welch eine Bescherung zu Hause! In der Dunkelheit erkannten die Heimkehrer aufeinandergestürzte Bäume, am nächsten Morgen wurde erst das Ausmaß der Zerstörungen augenfällig.

Neujahr

Gebet vom Neujahrstag 1888

Pfarrer Hermann Kappen (1888 – 1901)

Herr, setze dem Überfluss Grenzen

und lasse Grenzen überflüssig werden.

Lasse die Leute kein falsches Geld machen,

aber auch das Geld keine falschen Leute.

Nimm den Ehefrauen das letzte Wort

und erinnere die Ehemänner an ihr erstes.

Schenke unseren Freunden mehr Wahrheit

und der Wahrheit mehr Freunde.

Bessere solche Beamten, Geschäfts- und Arbeitsleute,

die wohl tätig, aber nicht wohltätig sind.

Gib den Regierenden ein besseres Deutsch

und den Deutschen eine bessere Regierung.

Herr, sorge dafür, dass wir alle in den Himmel kommen

– aber nicht sofort.

Der Winter hält das Land in seiner eiskalten Hand. Mit Eiskristallen, Blitzeis und vielen Unfällen hat er die Menschen fest in seiner Gewalt. Auf den Autobahnen, Straßen und Bürgersteigen herrscht Chaos. Die Fahrzeuge der Autobahnmeisterei fahren ununterbrochen seit vergangenem Abend. Auf der A 8 kommt ein Sprinter ins Schleudern und gerät, sich überschlagend, aufs Seitenbankett, den Fahrer tot unter sich begrabend.

Zwei Tage zuvor blieb es zwar kalt, aber freundlich. Im Gasthaus zum Goldenen Ochsen war zur Neujahrsfeier geladen. Die vorgebuchten Gäste füllten den Saal bis auf den letzten Platz. Auch Blidmunt mit Frau Toni hatte sich dorthin aufgemacht, um mit Freunden zusammen den Abend zu verbringen. Sohn Rüdiger und sein Freund Lothar sowie dessen Vater und Bruder Friedemann, der in Washington D. C. im Landwirtschaftsministerium beschäftigt ist, gesellten sich zu der illustren Runde. Das festliche Mahl mit allerlei Leckereien und herkömmlichen Weinen aus der heimischen Rebenlandschaft, die bei diesen Anlässen immer wieder Gäste anlockte, zog sich in die Länge, während Lothar, als guter Schachspieler der 2. Bundesliga bekannt, brillant sein großes Repertoire am Klavier unter Beweis stellte und die Gäste mit bekannten Weisen unterhielt.

Bei der angeregten Unterhaltung ging es um die janusköpfige Betrachtungsweise des Vorwärts- und Zurückschauens beim Jahreswechsel. „Der Jahresanfang, der Beginn des neuen Jahres, der im gregorianischen Kalender (1582) mit dem 1. Januar zusammenfällt“, begann Blidmunt wie gewöhnlich in dozierender Weise als ehemaliger Lehrbeauftragter einer Hochschule im Außenwirtschaftsbereich. „Der Jahresanfang“, wiederholte er, „lag noch bis in die Neuzeit bei sehr verschiedenen Daten. Im Mittelalter wurde am 25. März oder 25. Dezember Neujahr gefeiert. Sogar das Osterfest, das mit dem Mondjahr zusammenhängt und am ersten Sonntag des Frühlingsmondes gefeiert wird, ist trotz seines veränderlichen Datums als Jahresanfang benutzt worden. Der Name des Festes der Auferstehung Christi war vor der Christianisierung des Germanentums der Name eines heidnischen Frühlingsfestes, wohl bekannt nach einer heidnischen Frühlingsgöttin, in englischen Texten als Eostrae überliefert, im Griechischen ‚Eos‘, Göttin der Morgenröte, und im Lateinischen ‚Aurora‘, Morgenröte. Die germanische Göttin war demnach eine Lichtgöttin und das ihr geweihte Fest war ein solches des zunehmenden Lichts im Frühling (englisch ‚easter‘).“

Der heutige Kalender hat sich aus dem römischen Kalender entwickelt, wobei von Zeit zu Zeit Monate eingeschaltet wurden. Ursprünglich begann das Jahr im März, sodass in einem Mondjahr der September der 7. und der Dezember (decem) der 10. Monat war. Neben den rein praktischen Bedürfnissen haben überall religöse Vorstellungen in der Entwicklung des Kalenders eine Rolle gespielt. 153 v. Chr. wurde der Jahresanfang auf den 1. Januar gelegt. Das Konzil von Nicäa (321) legte den Frühlingsanfang auf den 21. März fest.

Auch im Iran wird der Jahresanfang im März gefeiert. Die Union der iranischen Studenten in Brüssel gab aus Anlass des neuen iranischen Jahres am 21. März einen Ball „Die persische Nacht“ im Centre Rogier in Brüssel. Unter der Schirmherrschaft des iranischen Botschafters feierten viele Gäste einen fröhlichen und farbenprächtigen Ball.

„Dieses Jahr will ich im April nach Thailand fliegen“, warf Ludwig ein, „um dort das Neujahrsfest zu feiern.“ Das Auswärtige Amt riet allerdings von Reisen in die thailändische Hauptstadt Bangkok ab, hieß es damals auf der Internetseite des Außenministeriums. Da Ende des vergangenen Jahres Unruhen ausgebrochen waren, sank die Gesamtzahl ausländischer Besucher um dreißig Prozent. „Das Neujahrsfest habe ich ebenfalls im April in Myanmar, dem Land der goldenen Pagoden, dem früheren Birma, erlebt“, ergänzte Toni, „dies bei einer der schönsten Reisen, die ich mit meinem Mann je unternommen habe. Wir waren vor Jahren in Rangun, dem heutigen Yangon, mit dem Bus zu der berühmten Goldenen Pagode, dem Wahrzeichen der damaligen Hauptstadt unterwegs. Allerdings hat die Militärjunta, die das Land beherrscht und die Grenzen abschottet, die Verwaltungshauptstadt nach Naypyidaw im Norden des Landes, vierhundert Kilometer von Rangun entfernt, verlegt. Unter riesigen Statuen alter birmanischer Könige hatte Juntachef Than Shwe, so habe ich gelesen, erklärt, dass mächtige Staaten in Birma ihren Einfluss verstärken wollten.“

„Birma ist zumindest nach der Überzeugung seiner Regierung die Wiege der Menschheit“, erklärte Lothars Onkel. Neue Laboranalysen von Fossilien hätten dies bewiesen, sagte auch Kulturminister Kyaw Hsan. Primatenfossilien seien rund vierzig Millionen Jahre alt und damit älter als die Primatenfossilien, die in Afrika entdeckt wurden, schrieb das Staatsorgan „Neues Licht“ von Birma. Damit erkenne die Welt an, dass Birma oder auch jetzt Myanmar der Ursprung der Welt sei.

„In Rangun wurde im Frühjahr Neujahr gefeiert, nicht mit Feuer, sondern mit Wasserfontänen. Einige Hauptstraßen sind am Straßenrand mit zahlungskräftigen Personen besetzt, die mit Schläuchen vorbeifahrende Autos, so auch unseren Bus, mit Wasser besprühen. Bei uns war das hintere Fenster wegen der Hitze etwas heruntergelassen, sodass Wasser in das Wageninnere spritzte. Eine kalte Dusche nahmen wir wegen der hohen Temperaturen gern in Anspruch.

Später sind mir die großen Tropenstürme mit riesigen Überschwemmungen in Burma in Erinnerung, mehr noch die Rebellion der Mönche mit Massenprotesten für mehr Freiheit gegen die Militärjunta, die allerdings keine großen Erfolge zeitigten. Nach dem Aufstand versuchten die Menschen, ein friedliches Volk, sich wieder mit der Diktatur einzurichten. Überall auf der Welt ist die Nobelpreisträgerin Suu Kyi ein Sinnbild für ihr Land und ein Symbol für den friedlichen Widerstand gegen die Unterdrückung, der letztlich Wirkung gezeigt hat. Ich habe“, fuhr Toni fort, „mein Bild mit dem Buddha in Öl gemalt und einer Hilfsorganisation zum Sammeln von Spenden angeboten. Drei Mönche auf dem Bild bitten um eine milde Gabe. Mit dem Gruß ‚Mingalaba‘, den ich dort oft gehört habe und der viele Bedeutungen hat, wie ‚Guten Tag, es geht dir gut‘. Er soll heute und hier für alle gelten.“

Hauptsächlich in Asien, aber auch im Vorderen Orient hängt der für uns späte Neujahrsanfang mit dem Mondjahr zusammen, der wegen der Differenz mit dem Sonnenjahr auch einen variablen Termin notwendig macht. Der Kalender war empirisch angelegt, durch Beobachtung des Himmels in freier Natur bedingt. Die Feststellung des Sonnenlaufs erforderte immer wieder einen erheblichen Aufwand von Spezialwissen. Die großen Unterschiede zwischen dem Mond- und Sonnenjahr wurden durch Julius Cäsar und Papst Gregor XIII. ausgeglichen, der seine Reform damit begann, dass er ganze zehn Tage ausfallen ließ. Auf den 4. Oktober 1582 folgte der 15. Oktober. Weil die Protestanten alles, was aus Rom kam, für papistisches Teufelswerk hielten, lebten Katholiken und Evangelische fortan in zwei verschiedenen Zeiten. Wer im katholischen Bamberg zu einer Tagesreise ins protestantische Nürnberg aufbrach, kam früher an, als er losgefahren war. Erst hundert Jahre später haben auch die Protestanten vom julianischen auf den gregorianischen Kalender umgestellt, Russland erst 1918.

Die Pause am Klavier im Goldenen Ochsen suchte Blidmunt mit einigen Takten eigener Melodien zu überbrücken. Lieder aus der Jugendzeit hatte er immer parat, die Töne perlten wie Wassertropfen in die dämpfig gewordene Restaurantluft, in der Kellnerinnen geschäftig hin und her eilten. Bei den Liedern „Du hast Glück bei den Frau’n, Bel Ami“ und „Man müsste Klavier spielen können, wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frauen“ sang ein neben dem Klavier sitzender Endsechziger, von kräftiger Statur und schütterem Haar, kräftig mit. Neben ihm saß eine dunkelhäutige Dame, deren Herkunft der Klavierspieler nur erahnen konnte. Ihr Äußeres deutete auf ein Land Zentralafrikas hin, welches auf die Wiege der Menschheit hinweist, dort, wo sich vor fünfundzwanzig bis dreißig Millionen Jahren die Stammform der heutigen Menschen entwickelte.

An seinen Tisch zurückkehrend, erkundigte sich Blidmunt nach dem Ursprungsland der auffallenden Dame. Sie sei eine Verwandte des Königs von Burkina Faso, antwortete ihr Begleiter, ein Künstler aus dem Nachbarort, der die Außenwände seines Hauses, wie Blidmunt einige Tage danach feststellte, mit moderner greller Farbe geschmückt hat. „Den Landesnamen kennen wir nicht“, meinten die Umsitzenden, „aber wenn es das frühere Obervolta ist, dann können wir das Land einordnen. Es ist der Binnenstaat, nicht ans Meer grenzend, der im Westen und Norden an Mali, im Südosten an Benin, im Nordosten an Niger, im Süden an Togo, Ghana und die Elfenbeinküste angrenzt.“ „Kriege gibt es schon lange nicht mehr“, meinte Blidmunt, „soweit ich weiß, ist es eine präsidiale Republik mit Mehrparteiensystem. Allerdings gab es in letzter Zeit mehrere Militärputsche. Seit 1950 ist das Land, früher eine französische Kolonie, selbständig.“

Gegen Mitternacht begaben sich die Gäste, von denen schon einige nach Hause aufgebrochen waren, ins Freie, um das Spektakel der Feuerwerkskörper zu erleben. Die Geister der Raunacht waren überall lebendig geworden, spukten und kreischten um die Wette, die man durch die Feuerwerkskörper vertreiben musste. Einen „guten Rutsch“ ins Neue Jahr sagten sich die Einheimischen und Gäste und meinten damit besonders gute Gesundheit. Vom hebräischen Rosch ha-Schanah möglicherweise abgeleitet bedeutet das Wort (wörtlich Haupt des Jahres) „Guten Anfang“. Manche Wissenschaftler leiten den Silvesterwunsch auch vom Wort „Reise“ ab, was einer guten Fahrt ins neue Jahr gleichkommt. Wir reisen ohnedies einmal in dreihundertfünfundsechzig Tagen um die Sonne, ohne es je gewahr zu werden, wie alles im Weltall in Bewegung ist. Selbst die Sternbilder werden in einigen Tausend Jahren eine andere Stellung einnehmen, schwierig wird es für die Astrologen, sich darauf einzurichten. Die Rotation der Erde wird durch den Mond gebremst, sodass sich unser Planet immer langsamer dreht und in tausend Tagen rund eine Sekunde verliert. Alle zwei bis drei Jahre werden in der Neujahrsnacht sogenannte Schaltsekunden eingefügt. Die Länge eines Tages dürfte um 1,26 Mikrosekunden kürzer geworden sein, so ein NASA-Geophysiker über die Auswirkung eines Erdbebens in Chile, das die Verteilung der Erdmasse verändert hat.

In die Wirtsstube zurückgekehrt ging das Gespräch bei leicht alkoholgelockerter Zunge fröhlich weiter. Angeregt durch die Anwesenheit des Bruders des Klavierspielers, jetzt Deutschamerikaner, wurde abschließend die durch den neuen Präsidenten Obama heraufbeschworene politische und wirtschaftliche Situation in den USA diskutiert. Man war enttäuscht über die bisherigen Erfolge des neuen Präsidenten und erhoffte sich für die Zukunft weltweit bessere Resultate.

„Auf Wiedersehen“ spielte Lothar Arnold zum letzten Mal an diesem Abend und die wenigen noch ausharrenden Nachtschwärmer prosteten sich ein gutes neues Jahr und Mingalaba zu. Einer erwähnte einen Spruch von Hugendubel: „Vergangenes Jahr standen wir noch vor einem Abgrund, dieses Jahr sind wir schon einen großen Schritt weiter.“ Die Wirtin des Goldenen Ochsen gab einen Rezeptvorschlag unter Berufung auf die historische Druckwerkstatt am Kap Arkona auf Rügen mit auf den Weg.

„Man nehme zwölf Monate, putze sie ganz sauber von Bitterkeit, Geiz, Pedanterie und Angst und zerlege jeden Monat in dreißig oder einunddreißig Teile, so daß der Vorrat genau für ein Jahr reicht. Es wird jeder Tag einzeln angerichtet aus einem Teil Arbeit und zwei Teilen Frohsinn und Humor. Man füge drei gehäufte Esslöffel Optimismus hinzu, einen Teil Toleranz, ein Körnchen Ironie und eine Prise Takt. Dann wird die Masse sehr reichlich mit Liebe übergossen. Das fertige Gericht schmücke man mit Sträußchen kleiner Aufmerksamkeiten und serviere es täglich mit Heiterkeit und mit einer guten erquickenden Tasse Tee.“

Dreikönigstag

Am Dreikönigstag hatte der befreundete Unternehmer Antal, aus Ungarn stammend und während des Aufstandes nach Deutschland übergewechselt, zu einem Essen mit einem in Ungarn geschossenen Wildschwein in sein auf der Höhe gelegenes Haus eingeladen. Eigentlich wollte Blidmunt die Dreikönigsfeier der Singer, einer seit 1501 bestehenden Männergesellschaft, nicht missen, bei der jeder Teilnehmer mit einem Singerlaible, einem mit Rosinen bespickten Art Magenbrot, verabschiedet wird. Die dringlich vorgetragene Einladung des Freundes wog mehr, sodass Blidmunt mit Frau Toni der Einladung Folge leistete.

Das geräumige Haus, in dessen zwei unteren Stockwerken die Firma, die Autozubehörteile herstellt, untergebracht ist, nahm die Gäste im obersten Stockwerk auf, in dem sich die Wohnräume mit Ausblick auf den Schwarzwald befanden. Das lichte Treppenhaus war mit zahlreichen modern gemalten, auch großflächigen Bildern der Gastgeberin ausgestattet, während in der Eingangshalle der Wohnung ein mit großen bunten Kugeln und allerlei Zubehör geschmückter Weihnachtsbaum sein Kerzenlicht in das Zimmer warf. „Als Gast hätte ich gern die Oberbürgermeisterin der Stadt einmal eingeladen“, meinte der Gastgeber bei der Begrüßung, „die aber wegen einer Erkältung absagen musste.“ „Ich hätte gern mit ihr über die Derivatgeschäfte gesprochen, die in der nationalen Presse ausgiebig diskutiert worden waren“, sagte Finanzberater Weber, der mit seiner Frau Mathilde die Stirnseite des reichlich gedeckten Tisches im Speisezimmer einnahm. Neben ihm waren Christian und Frau Ursel platziert, daneben Erich, ein pensionierter Kommunalbeamter, und seine Frau Erika, während Blidmunt und Toni neben den Gastgebern Antal und Rosemarie Platz nahmen; als fünftes Ehepaar saß in der Runde am Tisch das aus Ungarn stammende Unternehmerehepaar Stieß, führendes Mitglied der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft wie Gastgeber Antal.

Die drei Sterndeuter

Kaspar, Melchior und Balthasar

Bringen euch die Wünsche dar.

Gesundheit ist vor allen Dingen

Impuls, Prämisse zum Gelingen.

Das Glück, wer will es nicht ergreifen,

Wenn Früchte harter Arbeit in uns reifen.

Und Frohsinn ist der Lohn des Strebens,

Wenn sich erfüllt der Sinn des Lebens.

Während Leberpasteten als Vorspeise von der Tochter des Gastgebers aufgetragen wurden, drehte sich das einleitende Gespräch um die Bedeutung des Dreikönigstages. Blidmunt begann mit einem Hinweis auf eine kürzlich ausgestrahlte Radiosendung. Die berühmten, von der Bibel erwähnten Abgesandten zum neugeborenen Kind Jesu müssen Sterndeuter, wohl aus Babylon kommend, gewesen sein, da die Sternkunde dort zu jener Zeit in hoher Blüte stand. Große sich wiederholende Überschwemmungen in diesen Ländern führten zur Ausbildung der Himmelskunde, mit deren Hilfe ein genauer Kalender zu erhalten war; ihn zu erstellen lag in den Händen der Priester und damit auch die Sternbeobachtung.

Wer war der biblische Stern, der ihnen den Weg gewiesen hat? „Ich hatte früher die Vermutung, dass es der berühmte, wiederkehrende Komet Halley war“, sagte Christian, „den aber die Astronomen für diese Zeit nicht ausmachen konnten.“ Man nimmt heute an, dass die große Konjunktur der Planeten Jupiter und Saturn einen scheinbar leuchtenden Stern abgab, da die auf verschiedenen Bahnen und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit um die Sonne kreisenden Planeten nur scheinbar zusammenstanden, deren Zusammentreffen die „Heiligen Drei Könige“ im Voraus berechnen konnten und als Ziel ihrer Wanderung benutzten. Bei der Suche nach dem Stern hat Michael Hesemann in seinem Buch eine neue Antwort gefunden. Seiner Meinung nach rührt der auffallende Lichtschein am Himmel von einer Supernova her, eine das Sternenleben beendende Explosion, die übereinstimmend von chinesischen und koreanischen Quellen für die Zeit zwischen März und Mitte des Jahres 5 v. Chr. im Sternbild des Adlers aufgezeichnet worden war. In diesem Frühjahr, aber nicht im Winter, müsse die Geburt Jesu stattgefunden haben; in einer anderen Zeit hätten die Schafe auch nicht geweidet. Vielleicht war das Himmelslicht auch eine Erscheinung, durch die eine Geburt eines neuen Sterns angekündigt wurde. Die Geburt Jesu wäre damit auch als Reflex im Universum wahrnehmbar gewesen.

Die magische und trinitätsbezogene Zahl Drei als Mythos wird auch mit den wundersamen Gaben in Verbindung gebracht. Gold galt schon im Altertum für den König als angemessenes Geschenk, Weihrauch für einen Priester und Myrrhe als Heilspflege. Die Artikelschreiber zeigten Jesus als kommenden König, als Heilspriester und als Wunderheiler.

Drei gute Gaben verhieß auch CSU-Chef Horst Seehofer am Dreikönigstag. Auf drei Säulen müsse das nächste Regierungspaket ruhen: die Entlastung der Arbeitnehmer bei Steuern und Sozialabgaben und die Investitionen in der Infrastruktur.

Russische Weihnacht am Dreikönigstag

Gastgeber Antal ging bei der Betrachtung des Dreikönigstages auf Russland ein, dessen orthodoxe Kirche das Weihnachtsfest nach dem alten julianischen Kalender am 7. Januar feiert, der seit dem 13. Jahrhundert gebräuchlich ist, obwohl der gregorianische Kalender seit 1918 eingehalten wird. Zwischen dieser Zeit und der Auflösung der Sowjetunion 1991 lag das leuchtende Weihnachtsfest im Schatten, da die Bräuche unterdrückt und die Kirchen geschlossen wurden. Das Neujahrsfest trat an die Stelle des vom Komitee umgewidmeten Weihnachtsfestes, Väterchen Frost wurde zum neuen Geschenk und Glücksbringer. Ein Jahr vor der Jahrtausendwende erklangen die still gewordenen Glocken der Christ- Erlöser-Kathedrale im Zentrum Moskaus wieder und luden zu einem Gottesdienst ein, ein wahrhaftiges Erlebnis und Balsam für die russische Seele. Es schloss sich eine zwölftägige Weihnachtsfeier an, indem sich die heiligen Zahlen Fünf und Sieben widerspiegeln, getrübt nur durch inflationäre Erscheinungen, welche die Russen sehr beunruhigten, da die Währung immer wertloser wurde. „Der Dreikönigstag“, meinte Christian, „ist in Russland voller Rätsel, da eigentlich am Jahresbeginn Betriebsferien abgehalten werden, andererseits es immer mehr Mode wird, bereits im Dezember das Weihnachtsfest des europäischen Christentums zu begehen.“

Antal, der Hausherr, brachte sein Heimatland ins Spiel, wenn er sagte, es sei etwas Wunderbares geschehen. Heute, zu Epiphanias, habe Ungarn die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union übernommen. Er sei ein bescheidener Bürger der Union, deshalb habe er guten Grund, das Glas zu erheben. Epiphanias heißt Erscheinung und bezeichnet den zwölften Tag, an dem die Drei Weisen aus dem Morgenland, immer dem Stern folgend, das Jesuskind fanden und es mit Geschenken überhäuften. „Auch ich habe euch wunderschöne Kleinigkeiten aus Ungarn mitgebracht, die ihr zu Hause aufbewahren könnt. Heute erhielt der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán die sternengeschmückte Europafahne aus den Händen seines belgischen Amtskollegen und hielt eine ergreifende Ansprache, in der die Rede davon war, die angekränkelte und lädierte Zivilisation zu retten. Orbán, als rotierender Präsident Europas, hat noch viele Probleme vor sich.“

Zinswetten

Finanzberater Weber kam auf die Probleme unserer Stadt zu sprechen. „Lasst mich noch einmal die hochspekulativen Zinswetten der Oberbürgermeisterin zur Sprache bringen, die mit der Deutschen Bank, die immer wieder ins Gerede kommt, und der amerikanischen J. P. Morgan Bank abgeschlossen wurden, um die verlustreichen Erstgeschäfte mit erhofften guten Gegengeschäften bei der zweiten Bank auszugleichen. Leider ist alles schiefgelaufen, sodass die Stadt vorerst auf fast sechzig Millionen Euro Schaden sitzen bleibt. Die nicht unerfahrene Oberbürgermeisterin ist unvorsichtig dem Rat der Bank gefolgt, dadurch hat sie unter Umgehung des Gemeinderates das Spekulationsverbot verletzt und zusammen mit der Kämmerin auf Erfolg spekuliert.“ „Die Stadt wirft der Bank Arglist vor“, wandte der Hausherr ein, „außerdem hat die Oberbürgermeisterin keine persönlichen Vorteile bei den Geschäften, sondern das Wohl der Stadt im Auge gehabt. Beide, die Oberbürgermeisterin und die Kämmerin, wurden von der Bank beziehungsweise von den mit hohen Provisionen bedachten Beratern über den Tisch gezogen. Die Gier dieser Mitarbeiter hat die Ratsuchenden mit in die Tiefe gezogen.“ „Das mag die Oberbürgermeisterin nicht schützen“, meinte Erich, „denn das Spekulationsverbot verbietet einfach diese hochspekulativen Geschäfte, deren Folgen den Spitzenvertretern der Stadt bewusst sein müssten.“ „Ich fürchte“, meinte Jurist Blidmunt, „dass es zur Anklage der Staatsanwaltschaft Mannheim wegen schwerer Untreue kommen wird, allerdings mit ungewissem Ausgang für die schon strengen Sparmaßnahmen unterliegende Stadt.“

Eine Wende im Derivatstreit tritt neuerdings ein, da das Landgericht Frankfurt im Rechtsstreit der Stadt Pforzheim gegen die Morgan Bank zum zweiten Mal einen Vergleich vorschlägt, bei der die Stadt die Hälfte des Schadens zurückerhalten soll. Hinzu kommt die Frage, ob eine Unwirksamkeit der Derivatgeschäfte wegen fehlender Zustimmung der Rechtsaufsichtsbehörde, des Regierungspräsidiums Karlsruhe, vorliegt.

Hoch verschuldete Kommunen

Die katastrophale Haushaltslage unserer Stadt teilt sie mit dem Schicksal insbesondere der stark verschuldeten Städte des Ruhrgebietes, von denen eine Zeitung schreibt, dass sie der Bund und das Land ausbluten lassen. Die Hauptverursacher für dieses Debakel sitzen in Berlin, Düsseldorf und Brüssel, da inzwischen die allermeisten kommunalen Aufgaben, insbesondere im Sozialbereich, durch Bund, Land und EU vorgegeben werden. Immer mehr Leistungsgesetze wie zuletzt über die Versorgung der unter Dreijährigen mit einem Kinderkrippenplatz werden zulasten der Kommunen beschlossen, ohne die entsprechenden Finanzierungsansätze zu gewährleisteten. Die massenhafte Armutszuwanderung von Rumänen und Bulgaren, die weder mit Geld, das teilweise sogar Schleusern übergeben wird, noch mit Qualifikation für irgendeine Arbeit, auch in schlechtem Gesundheitszustand und mit großem Familienanhang nach Deutschland einreisen, verschlimmert die Situation erheblich. Das Herkunftsprinzip und nicht das Wohnprinzip müsse für staatliche Leistungen im Rentenalter gelten, ergänzte Blidmunt, da diese Leute ohne jedwede Einzahlungen dem deutschen Staat bis zum Lebensende auf der Tasche liegen.

„In unserer Stadt“, sagte Weber, „ist der hohe Ausländeranteil, neudeutsch Migrationshintergrund, in letzter Zeit durch weitere Zuwanderungen aus dem Osten und dem Irak besonders gestiegen und dürfte bereits bei fünfzig Prozent, bei Jüngeren sogar noch höher liegen.“ „Wenn ich so durch die Stadt schlendere“, meinte Blidmunt, „so erhalte ich den Eindruck einer Balkanstadt mit buntem Völkergemisch, fremdländischen Sprachfetzen und Frauen, die mit weit gefassten Gewändern stolz einhergehen.“

Jesiden

„Neben türkischen und russischen Clans, auch italienische sind hier anzutreffen“, berichtete Erich, „hat sich die erst aus dem Irak eingewanderte Gruppe der Jesiden ausgebreitet, zweitausend Mitglieder umfassend, eine kurdische Volksgruppe, die eine eigenständige monotheistische Religion altiranischer Prägung darstellt und dem Religionsstifter Zarathustra nacheifert. Nach Ansicht der Jesiden soll ihre Religion älter als das Christentum sein und sich aus dem persischen Mithraskult entwickelt haben. Das jesidische Kastensystem unterscheidet zwischen Scheichs, Pirs und Muriden. Das Heiratsverbot zwischen Angehörigen verschiedener Kasten wird auf Andersgläubige erweitert, da eine Heirat mit ihnen den Austritt aus der Religionsgemeinschaft bedeutet.“ „Eine mir bekannte Lehrerin“, ergänzte Toni, „erzählte kürzlich, dass in ihrer Klasse ein vierzehnjähriges Mädchen nicht mehr zur Schule erschien. Der einbestellte Vater, der sich als Scheich vorstellte, wenn er auch verschwieg, dass er von Hartz IV lebt, erklärte, dass die Tochter in ihrer Volksgruppe heiraten und Nachwuchs bekommen müsse. Die Familie habe bereits sieben Kinder.“ „Mit dieser ungebildeten, integrationsfeindlichen Gruppe wird diese Stadt noch viel Kummer haben“, folgerte der Gastgeber. „Sie muss für die Analphabeten eine einjährige hauswirtschaftliche Förderberufsfachschule einrichten, um sie in kleinen Klassen auszubilden und für einen Beruf vorzubereiten.“

„Iraker gehen in der Nordstadt aufeinander los, das war eine Zeitungsüberschrift der letzten Tage“, meinte Erika. „Die haben sich eine regelrechte Schlacht geliefert, Angehörige zweier Familienclans, die einige Rechnungen offen haben. Rettungswagen, ein Notarzteinsatzfahrzeug und zwei Krankenwagen waren vor Ort, um Verletzte aufzunehmen. Die Polizei schlichtete den Streit und nahm einige Übeltäter in Gewahrsam. Die Schlägerei und der Angriff auf einen der Männer mit einem Messer hängen wohl zusammen mit dem Überfall dreier Jesiden auf Landsleute am Abend zuvor in der Innenstadt“, ergänzte Erika. „Leidtragende waren nicht nur zwei Beteiligte mit Platzwunden, sondern auch ein zwei Monate altes Kind, das mitsamt Kinderwagen umkippte.“

Ohne Vorwarnung stürmten gegen 5.30 Uhr schwarz vermummte, uniformierte Beamte einer Sondereinheit der Bundespolizei, ausgestattet mit kugelsicheren Westen und Schusswaffen, ein Haus im Ortskern von Twistringen, einer Kleinstadt südlich von Bremen, Heimat von TV-Moderator Reinhold Beckmann, und nahmen Ammer Malo Mirza al-Ha fest, Scheich der monotheistischen Religionsgemeinschaft der Jesiden, seit 2006 mit einer Aufenthaltsgenehmigung in der Bundesrepublik. Ihm wird in einer Zeitungsmeldung vorgeworfen, einen lukrativen Schleuserring zusammen mit zwei Brüdern für syrische Flüchtlinge aufgebaut und ein „Reisebüro“ für diesen eingerichtet zu haben.

Neuerdings gelangen Horrormeldungen aus der Heimat der Jesiden aus dem Nordwesten des Iraks nach Deutschland, da die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) auf ihrem Vormarsch nach Süden brutal gegen nicht-islamische Religionsgemeinschaften vorgeht. Viertausend Jesiden sitzen im Nordirak in der Falle. Der amerikanische Präsident Barack Obama, der die Errichtung eines Kalifats ablehnt, setzt auf Forderungen nach einem entschlosseneren Vorgehen, auf Angriffe der US-Luftwaffe. Auch Kurden und Christen sind vom Einmarsch der Islamisten betroffen, welche die Jesiden als „Teufelsanbeter“ betrachten.

Salafisten

„Gefährlich ist die in der Stadt vertretene ultrakonservative Islamistenströmung der Salafisten, die in der Al-Baraka-Moschee ihre Gebetsräume unterhalten. Sie gilt für Insider mit ihrer umfangreichen Bibliothek und ihrem Propagandamaterial als eine der Hochburgen der Salafisten. Dort trifft sich eine kleine Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime (GDM), die unter der Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen. Der Ausdruck ‚Salafist‘ bezeichnet eine geistige Rückbesinnung auf die Altvorderen“, meinte Christian. „Hier in der Stadt tritt zeitweise auch der vom Verfassungsschutz überwachte Prediger Pierre Vogel auf, ein als Christ getaufter und zum Islam konvertierter ehemaliger Profiboxer, der die Scharia, die islamische Gesetzgebung, einführen möchte und für den Alleinvertretungsanspruch Allahs und seines letzten Propheten Mohammed sowie den unumstößlichen Koran, geschrieben vor eintausendvierhundert Jahren, eintritt. Wer auf der Suche nach Glück und Erfolg Gefahrenabwehr und Sicherheit im Inneren selbst sei, liege bei Allah und dem Islam richtig.“

„Unsere Stadt hat mit mehreren dieser Gotteskrieger Verbindung gehabt“, ergänzte Erich, „gestern habe ich in der Zeitung gelesen, dass sie den Deutsch-Bosnier Nihad festgenommen haben, der in Deutschland keine Aufenthaltserlaubnis mehr besitzt. Er ist in unserer Stadt als Gastarbeitersohn aufgewachsen und ließ sich in Afghanistan im al-Qaida Trainingscamp ausbilden, wurde auf der Rückreise in Pakistan verhaftet und nach Bosnien abgeschoben. Schon vor seiner Hinwendung zum Islam hatte er seinen Vornamen von Nihad in Abdurrahman geändert und versuchte immer wieder, Informationen über gesuchte Kriegsverbrecher gegen hohe Belohnung, allerdings ohne Erfolg, zu verkaufen.

In unserer Stadt leben noch mehr eingedeutschte Migranten unter Islamistenverdacht. Rami wurde bei einer Polizeikontrolle in Pakistan festgenommen; der damals fünfundzwanzigjährige Deutsch-Syrer gestand, sich in einem Terrorlager al-Qaidas im Umgang mit Waffen ausbilden zu lassen. Der Deutsch-Afghane Ahmad soll den Auftrag gehabt haben, in Europa ein Terrornetz aufzubauen. US-Ermittler schnappten ihn in Kabul. Der Deutsch-Türke Tolga wurde in Pakistan festgenommen und nach Deutschland abgeschoben. Ihm wurde die Rekrutierung von Dschihad-Kämpfern vorgeworfen.

Ein Deutsch-Tunesier namens Munir aus einem streng islamischen Elternhaus, dessen Mutter einmal verschleiert in die Schule kam, wandte sich bereits mit vierzehn Jahren den Salafisten zu. Er grenzte sich deutlich von seinem Umfeld ab, auch von seinen Mitschülern, und verlegte ohne Schulabschluss seinen Wohnsitz von unserer Stadt nach Nordrhein-Westfalen, wo in ihm der Entschluss reifte, in Syrien in den Heiligen Krieg gegen das Assad-Regime zu ziehen. Vor einer Woche ist er noch einmal in unserer Stadt aufgetaucht, um eine beglaubigte Kopie eines Schulzeugnisses zu erhalten. Wozu, ist unklar. Kürzlich kam die Meldung, dass er vermutlich im Kampf gegen die syrische Regierung gefallen sei.“

Die Propagandatätigkeit der Salafisten sei nicht zu unterschätzen, meinte der Gastgeber. „In einem kürzlichen Dialog von Juden, Christen und Moslems gaben sich in der Woche der Brüderlichkeit Vertreter der drei Offenbarungsreligionen aus dem Vorderen Orient betont friedlich, wenn auch eine Distanz zu den Salafisten deutlich wurde. In Zukunft wird das Problem des für den Frieden der Stadt so wichtigen Miteinander noch dringlicher werden“, meinte Antal abschließend.

Der starke Zustrom tschetschenischer Asylbewerber nach Deutschland alarmiert die deutschen Sicherheitsbehörden. Sie befürchten, dass die islamische Terrororganisation „Kaukasisches Emirat“ Zulauf erhalten könnte, zumal sich immer mehr junge Tschetschenen der salafistischen Szene anschließen. Unter den Flüchtlingen befinden sich vor allem junge Ehepaare mit Kindern. Über Weißrussland und Polen sind sie aus der russischen Kaukasusrepublik nach Deutschland gekommen, ins Land ihrer Hoffnung. Wahrscheinlich sind sie durch gut organisierte Schlepperbanden zu uns gelangt, zunächst über Polen, wo sie einen Asylantrag gestellt haben. Eigentlich müssten sie nach der Dubliner Verordnung wieder dorthin abgeschobenen werden, was in der Regel nicht geschieht, weil die Flüchtlinge dies geschickt umgehen, den machtlos operierenden deutschen Sicherheitsbehörden zum Trotz. Der Salafismus zieht die jungen Tschetschenen an, geprägt durch Männlichkeitsideale ihrer Heimat, und verroht durch jahrzehntelange Gewalterfahrung.

Nachklang

Am nächsten Morgen weckten schon wärmende Sonnenstrahlen später als gewohnt Blidmunt, der aus allen Träumen über den unterhaltsamen Abend gerissen wurde, dessen Themen ihn zu allerhand Überlegungen gebracht hatten. In seinem Büro kramte er in seinen vielen Unterlagen und nach Sachgebieten gefassten Ordnern. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, Zeitungsausschnitte, die früher seine Sekretärinnen in Akten einsortierten, selbst zu sammeln, die ein Gesamtbild vieler Fachbereiche ermöglichten, um in zahlreichen Leserzuschriften in örtlichen und überörtlichen Zeitungen zu politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen Stellung zu nehmen und seine persönliche Meinung, unbeeinflusst von Parteienvorgaben und Political Correctness, zu äußern. Skizzen und Aufzeichnungen ergänzten die umfangreichen Unterlagen. Nach und nach nahm er sich seine Aufzeichnungen vor und verbrachte manchen Abend damit, diese bei einem guten Glas Wein noch einmal Revue passieren zu lassen.

Blidmunt gegenüber hatte sein kleiner Pudelhund Aida gemütlich Platz genommen, den dieser später mit dem anderen Stuhl tauschte, indem er hinter dem Rücken seines Herrchens dessen Wärme und Geborgenheit suchte. Seine schwarzen Kulleraugen blickten munter in den mit Büchern, Akten und Bildern an den Wänden umstellten Raum, den eine braune alte Wanduhr und viele bei Schützenfesten erworbene Ehrenzeichen des Vaters zierten. Er ist ein Schwarzwaldhund, obgleich augenscheinlich russisches Blut in seinen Adern fließt. Gegen Mitternacht sahen Blidmunt und seine Frau Toni ihn eines Tages in der Nähe von Altensteig bei einer Russlanddeutschen zum ersten Mal, mit der Tochter Astrid zuvor telefonisch Kontakt aufgenommen hatte, da ein Zeitungsinserat einen Wurf junger Hunde zum Verkauf anzeigte. Mitten unter kleinen Kindern lag ein kleines Wesen und blickte etwas verstört um sich. Tochter Astrid wollte damit ihre Mutter Toni trösten, die den Verlust eines dreizehnjährigen Pudels Patricia, den sie auf einer internationalen Messe in Santa Cruz in Bolivien mit nach Hause gebracht hatte, nicht verschmerzen konnte. Patricia hatte uns auf vielen von uns organisierten Theaterreisen der Theatergilde europaweit begleitet, so nach Brüssel, Antwerpen, Paris, Madrid, Prag und vor der Wende auch Budapest. Wegen der Treuhandtätigkeit von Blidmunt in Chemnitz und Berlin waren in den letzten Jahren vermehrt ostdeutsche Städte wie Dresden, Leipzig, Rostock und Görlitz Ziel der Theaterreisen.

Toni war untröstlich, als sie von einer Reise nach Las Vegas zu ihrer alten Freundin Anne, die in jungen Jahren mit einem Sudetendeutschen nach den USA ausgewandert war, zurückkam und ihren Liebling bei einem Tierarzt todkrank vorfand. Am Flughafen Frankfurt hatte sie gefragt: Wo ist mein Hund? Die Antwort, er habe einen Schlaganfall erlitten und liege bei einem Tierarzt zur Beobachtung, erschütterte sie zutiefst. In der Nacht wurden seine Blutungen stärker, sodass er zur Tierklinik nach Iffezheim gebracht wurde und dort in seinen Todesschlaf verfiel. Seine Ruhestätte fand er im eigenen Garten, von sorgsam gepflegten Rosen umstellt, inmitten eines kleinen Grabsteines aus den Steinbrüchen von Mühlbach mit der Aufschrift: „Hier ruht Patty, unser treuer Wegbegleiter.“

Aida hat nun ihre Stelle eingenommen, mit gleicher Statur und Farbe, eine ebenso treue und liebevolle Begleiterin, auf ihren Hinterbeinen stehend, um die Leckerli zu erhaschen. Leider ist sie auf einem Auge blind, was ihre Herrschaften erst später durch ärztliche Inaugenscheinnahme feststellen konnten. Als Ausgleich sieht sie mit dem anderen Auge doch sehr gut. Aida war schon vom Namen her sehr musikalisch, da sie selbst in der Kirche einem Orgelkonzert aufmerksam lauschte. Bei der Frage nach dem Namen des Hundes hörte man mehr den Hinweis auf das Kreuzfahrtschiff für Aida als auf Verdis berühmte Oper. Allerdings hat La Traviata den ersten Platz bei einer Fernsehumfrage erhalten, Verdi wurde unter den Komponisten am meisten genannt.

Es gibt jedoch noch eine dritte Variante bei der Frage nach dem Wort „Aida“. Die Wissenschaftler der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig verwenden diese wohlklingenden vier Buchstaben für ein Detektor-System, das künftig Weltraummüll in Erdnähe überwachen soll. Aida steht dann für „Advanced Impact Detector Assembly“, das die Energie von kleinen Partikelchen messen kann. Selbst winzige Schrottteilchen können bei einer hohen Geschwindigkeit wertvolle Satelliten in der Umlaufbahn zerstören. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie viele Partikel mit welcher Energie in den verschiedenen Umlaufbahnen um die Erde schwirren.

Aida ist natürlich besonders auf ihr Frauchen bezogen, der sie auf Schritt und Tritt nachfolgt. Ihr auch männlich gebrauchter Vorname brachte Toni gelegentlich in Verlegenheit, da sie mit Herr Toni am Telefon angesprochen oder auch angeschrieben wurde. Ihr Vater hatte auf der Universität Leipzig den Freiheitsdichter Theodor Körner kennengelernt, der in seinem Drama „Toni“, Kleists Novelle aufgreifend, die dramatische Geschichte einer jungen Christin in Haiti erzählte, die Weißen bei einem Neger- und Mulattenaufstand das Leben rettete. Die französische Kolonie auf Haiti erfreute sich eines blühenden Wohlstandes, als die Französische Revolution auch das schlummernde Freiheitsgefühl der einheimischen Bevölkerung aufnahm und einen schrecklichen Ausrottungskrieg gegen die Fremden entbrennen ließ, der mit ihrer Flucht aus dem gefährlichen Lande ein natürliches Ende erreichte. Das später selbständig gewordene Haiti verarmte durch Ausbeutung der Fremdherrschaft wie auch durch korrupte eigene Herrscher wie François Duvalier und Jean-Bertrand Aristide.

KAPITEL II

Friedensjahre

Kindheit

Das Dritte Reich, nach der Reichsgründung Heinrichs I. und Bismarcks so genannt, wollte in der Geschichte tausend Jahre Spuren hinterlassen. Immerhin wähnte es sich nicht von einem ewigen Bestand. Von der jubelnden Zustimmung am Anfang konnte man allerdings nicht auf eine so kurze Zeitspanne von zwölf Jahren schließen, die sich hälftig in einen Friedenszeitraum von nur sechs Jahren und einen Kriegsabschnitt von ebenfalls einem halben Dutzend Jahren teilen.

Mein Vater war als Unterlehrer im Bauland im sogenannten badischen Sibirien tätig, ehe er als Hauptschullehrer eine Stelle im idyllisch gelegenen Ort Mühlbach antrat, der im Kraichgauer Hügelland an der ehemaligen badisch-württembergischen Grenze dahinträumte, an der jungen Leuten gesagt wurde, sie müssten im benachbarten Schwabenland ihr Brot verdienen. Fuchs und Hase sagten sich dort Gute Nacht. Das kleine Dorf schmiegte sich an einen waldumsäumten Hügel an und endete an einem bekannten Steinbruch, in dem viele Betriebe Hunderte von Steinmetzen beschäftigten und von dem aus schön geformte Sandsteine zum Hausbau allerorts verkauft wurden. Die prächtigen Sandsteinquader erzählen ihre Geschichten vom Karlsruher Hauptbahnhof und anderen bekannten öffentlichen Gebäuden. In dem Sandsteinort selbst sind viele Häuser durch die edlen Steine geformt, das Rathaus und die Dorfkirche bilden steinerne Zeugen dieser Baukunst. Auch mein Großvater mütterlicherseits war Mitbesitzer eines Steinbruchanteils, ehe ihn ein Herzschlag morgens beim Aufstehen in jungen Jahren aus dem Leben riss. Ich habe ihn nie kennengelernt. Heutzutage ist im Steinbruchbetrieb fast vollkommene Ruhe eingekehrt.

Mein Vater, der sich nicht nur als Organist in der auf einer kleinen Anhöhe stehenden Dorfkirche betätigte, sondern auch den Kirchenchor leitete, fasste das Geschehen im stillen Dörflein in einem Heimatlied in Verse.

Mühlbacher Heimatlied von Friedrich Staub

Gegrüßt am schmalen Bache,

Du stilles Mühlbachtal;

Wenn ich vom Schlaf erwache,

Denk ich dein jedes Mal.

Das Dorf, das sich erstrecket

Zum Waldessaume dort

Und Lust und Stolz erwecket:

Das ist mein Heimatort.

In kühn gewund’nen Bogen

Hat sich der Straße Band

Durch Waldesgrün gezogen

Bis hin zum Schwabenland.

Der Eintracht Harmonien,

Die oftmals dort erprobt;

Sie mögen nicht entfliehen,

Gastfreundschaft sei gelobt.

Nach Norden man erblicket

Ein Feld, so segensreich;

Im Süden mich erquicket

Das Moos recht zart und weich.

Im schattenkühlen Walde,

Dort weile ich so gern,

Wenn sonntags Ruh ich halte,

Dem Heimatdorf nicht fern.

Das Dorf zu meinen Füßen

Dort unten in dem Tal,

Ich will es froh begrüßen,

Vieltausend-, -tausendmal.

Glückauf, Heimatgefilde,

Dem Frieden sei geweiht!

Aus deinem Spiegelbilde

Strahlt Glück und Herzlichkeit.

Schon mit knapp zwei Jahren schickte mich meine Mutter in den evangelischen Kindergarten, um mir frühzeitig einen frühkindlichen Erfahrungsschatz zu vermitteln. Es war weniger der Gedanke, freier im Hause schalten und walten zu können; dafür ging meine Mutter in der Hausfrauenarbeit auf und zog noch drei weitere Kinder auf, die ihr später, im Dritten Reich, die unterste Stufe eines Mutterkreuzes eintrugen. Ein Erziehungsgeld, wie heute gefordert, war damals nicht zu erwarten, die Frage eines Anspruchs auf einen Kindergartenplatz stellte sich ebenfalls nicht. Die Paradoxie der individuellen Lebensführung mit verstärktem Anspruch an den Staat war zu jener Zeit kein Thema.

Der Kindergarten war nicht die 1930 erfolgte erste Gründung durch die evangelische Kirchengemeinde, sondern die Gründung einer Schule, als Mitte des 16. Jahrhunderts ein reformierter Pfarrer die Kinder im Lesen und Schreiben unterrichtete, „damit die Heilige Schrift gelesen und daraus gelernt werden könne, was im Leben nützlich ist und frommt, die Katechismusfragen zur Vertiefung des Glaubens beantwortet werden können“. So steht es in der Jubiläumsschrift zum fünfzigjährigen Bestehen des Kindergartens. Am 29. April 1930 waren vierundfünfzig Kinder angemeldet, zu denen ich gehörte. Fünf Jahre später waren es schon hundert Kinder, sodass man in einen eigenen Raum im heutigen Gemeindehaus umziehen konnte. Welch ein Kindersegen damals, und welche Probleme heute bei großem Kindermangel, der nur durch Einwanderung, die allerdings anders religiös und kulturell geformt ist, etwas gemildert werden kann.

Schulbeginn

Zu Beginn der Machtergreifung durch Hitler begann ich als Abc-Schütze meine Schullaufbahn. Sie wurde mir beträchtlich erleichtert, da mein Vater in drei Klassen der eigene Lehrer war und ich den kürzesten Schulweg in Deutschland zurücklegte. Wir bewohnten eine Dienstwohnung im ersten Stock des Rathauses, deren große Vorhalle wie im unteren öffentlichen Stockwerk in verschiedene Räume führte. Die verglaste Eingangstür der Wohnung führte auf einen überdachten Gang, der das Schulgebäude mit dem Rathaus verband. Gegenüber der gläsernen Eingangstür befand sich die Tür zum Klassenzimmer, in dem ich dem Unterricht meines Vaters folgte. Ich musste so auf dem regengeschützten Schulgang lediglich fünf Meter von der Haustüre bis zum Klassenzimmer zurücklegen.

Gewohnt an Zucht und Ordnung waren die drei Lehrer des Dorfes bedacht, die Kinder gelegentlich mit einem Rohrstock wegen ihrer Unaufmerksamkeit zu züchtigen, die Buben auf den Hintern, die Mädchen auf die Finger. Mein Vater ahndete die Unbotmäßigkeit mehr mit einer Androhung als mit einer Ausführung. Lediglich bei mir legte er etwas kräftiger nach, die Befürchtung zerstreuend, dass ich besser als die anderen Mitschüler behandelt werden sollte.

In dem stillen und friedlichen Dorf geschah selten etwas Aufregendes. Höhepunkt des dörflichen Geschehens war die Einweihung eines Kriegerdenkmals mit heimischen Sandsteinen, dessen schlanker Turm weithin als Gegenpol zur Ravensburg und zum Ottilienberg sichtbar blieb. Auf einer Steintafel waren viele Namen der gefallenen Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg verzeichnet; nach dem neuerlichen kriegerischen Aufeinandertreffen der Völker wurde die Tafel nach dem Zweiten Weltkrieg um das Doppelte vergrößert. Damals blickte das steinerne Haupt des Kriegerdenkmals auf die schöne Hügellandschaft, heute ist das Denkmal von hohen Bäumen umstellt und dem Vergessen anheimgegeben. In Anwesenheit von Militäreinheiten vollzog sich der feierliche Akt unter großer Beteiligung der Bevölkerung, die einmal etwas Besonderes erleben durfte. Ich erinnere mich an ein großes Manöver der Reichswehr in dieser Gegend, bei dem die Soldaten in der Schule und in Privatquartieren einquartiert wurden. Unsere Familie hatte die Ehre, den Oberst des Regiments zu beherbergen, der mich sogar für kurze Zeit in seinen gut getarnten Befehlsstand mitnahm, wenn ich auch dem militärischen Treiben, noch friedlicher Art, wenig Verständnis entgegenbringen konnte.

Während die Nachrichten aus Land und Reich im Rundfunk verbreitet wurden, blieben die örtlichen Meldungen einem Gemeindediener, Schütz genannt, überlassen, der mindestens einmal in der Woche durch das Dorf zog und mit einer Schelle „Hiermit habe ich zu verkünden“ Neuigkeiten ausrief wie Viehverkauf, Holzschlag, Beginn der Weinlese in den der Ravensburg angrenzenden Rebengebieten und Ähnliches. Auf diese Weise wurden auch Hochzeiten und Beerdigungen angekündigt: Die benachbarte Amtsstadt leistete sich zu Beginn des Krieges eine Lautsprecheranlage für lokale Durchsagen.

Ärzte waren im Ort nicht niedergelassen, nach Bedarf kamen drei Äskulapjünger aus der Amtsstadt; da im Ort nur eine Kraftdroschke zur Verfügung stand, die man erst herbeirufen musste. Der übrige Straßenverkehr wurde mit dem Fahrrad abgewickelt. Kinder wurden in der Regel zu Hause auf die Welt gebracht, wobei Hebammen behilflich waren. Meine Geschwister, ein Bruder und zwei Schwestern, und ich erblickten im alten Schulhaus das Licht der Welt.

Besonders mit meinem Bruder verlebte ich eine ungetrübte Kindheit, fast jeden Tag spielten wir auf dem kleinen Schulhof Fußball, eine Leidenschaft, die mir zeitlebens geblieben ist, zumal ich später als Student mein Geld als Sportberichterstatter und Lokalredakteur verdiente. Einmal sollte ich sogar zum Präsidenten eines Fußballklubs gewählt werden, gab jedoch dem Ansinnen an mich kein Gehör. Früh schloss ich mich den Pfadfindern an, deren Leiter, ein Schneidergeselle, eine besondere Vorliebe für Karl May entwickelte, dessen spannende Bücher mich sofort in den Bann zogen und die ich bei jeder Gelegenheit, auch unter der Bettdecke, verschlang, zumal mir mein Vater schon in der Vorschulzeit das Lesen beigebracht hatte. Nicht viel später fand ich auch Gefallen an den von meiner Mutter etwas versteckt gehaltenen Büchern „Tausendundeine Nacht“. Bei meiner Großmutter, bei der ich manchmal übernachten durfte, fand ich Lesestoff besonderer Art. Es waren Geistergeschichten, bei denen mich besonders die Erzählung vom verwunschenen Fliegenden Holländer in den Bann zog.

Zu Weihnacht pflegte die Großmutter den Teig vieler Plätzchen oder Springerlein, wie wir uns auszudrücken pflegten, Gebäck aller Art, in der benachbarten Bäckerei fertigstellen zu lassen. Waschkörbeweise trugen wir Kinder die Plätzchen in das Bauernhaus der Großmutter, wo sie in einer geräumigen Kommode verstaut und verschlossen wurden. Meinen Basen, die im Haus der Großmutter wohnten, gelang es, den Schlüssel der Kommode ausfindig zu machen. An Weihnachten war die Bescherung groß, als fast alle Plätzchen bereits aufgegessen waren.

Die XI. Olympiade in Berlin

Große Schatten warfen unterdessen die Olympischen Spiele 1936 in Berlin voraus, die seinerzeit die ganze Welt begeisterten. Von der Vorfreude waren mein Bruder und ich so erfasst, dass wir begannen, die auf den Kaffeetüten einer Malz- und Zichorienfabrik aufgedruckten Abschnitte zu sammeln, die man gegen Olympiabilder eintauschen konnte. Heute noch bewahre ich ein schönes, mit einem roten Pappdeckel versehenes Album auf, herausgegeben von der Firma Heinrich Franck in Ludwigsburg, Halle, Hamburg und Neuss, das die hervorragend organisierten Spiele wiedererstehen lässt. Für kleine Zuzahlungen der Bilder leerten wir heimlich – verbotenerweise – eine Sparbüchse im Wert von fünf Reichsmark, was uns großen Ärger mit dem Vater einbrachte. Im Rundfunk verfolgten wir tagelang die einzelnen Sportereignisse und sparten nicht mit Beifall für den viermaligen schwarzen Olympiasieger Jesse Owens, dessen Name in aller Munde war. Die auf der großartigen Gesamtanlage des Reichssportfeldes abgehaltenen Olympischen Spiele gaben wie zuletzt in Großbritannien unserem Land großen Auftrieb.

Der Gründer der neu erweckten Olympischen Spiele war ein Franzose: Pierre de Coubertin. Er sah auf einer Reise in Griechenland die Trümmerstätten Olympias. Dort wurde er von dem Wunsch erfüllt, die alten griechischen Wettkämpfe in neuzeitlicher Form wiedererstehen zu lassen. Im Jahre 1881 grub der deutsche Gelehrte Ernst Curtius die geweihten Stätten von Olympia wieder aus. Unter den geborstenen Marmorsäulen ruhte der olympische Gedanke, das Fest der kampffrohen Jugend eines ganzen Volkes, wie ein verlorener Edelstein mehr als tausendfünfhundert Jahre. In dem lebendigen Geiste des Barons Coubertin entfaltete sich die ungeheure Weite der alten Welt. Aus dem nationalen Fest eines Volkes schuf er die jubelnde Harmonie der Jugend der Welt.

Dem alten Brauch der Griechen folgend lagen zwischen den Kampfhandlungen vierjährige Pausen. 1896 wurde in Erinnerung an die ruhmreiche Vergangenheit Griechenlands das erste Fest in Athen ausgetragen. Wie ein Fingerzeig des Schicksals schien es, dass ein Grieche als einziger Sieger für sein Vaterland die größte Prüfung des Marathonlaufs gewinnen konnte. Paris, St. Louis, London, Stockholm, Antwerpen, ein zweites Mal Paris, Amsterdam, Los Angeles waren die Ziele der Sehnsucht einer neuen Jugend gewesen. Viertausend Kämpfer und Kämpferinnen waren in Berlin bereit, für die Ehre ihrer Nation ihr Bestes zu geben. Deutschland nahm mit dreiunddreißig Goldmedaillen die Spitzenstellung ein, gefolgt von den USA (vierundzwanzig Goldmedaillen) und Ungarn (zehn Goldmedaillen).

Ein Vorlauf dieser Spiele in Berlin waren die IV. Olympischen Winterspiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen. Hier wurde in allen Beziehungen ein grundlegender Wandel in der Abwicklung der Spiele geschaffen. Das Programm wurde erheblich ausgeweitet, die innere und äußere Ausgestaltung wuchs hier zu einem Höhepunkt. Norwegen behielt nach den Ergebnissen seine Sonderstellung mit sieben Goldmedaillen bei, gefolgt von Deutschland mit drei Goldmedaillen und den Nordländern Schweden und Finnland. Ein weihevoller Schlussakt beschloss die unvergesslichen Tage in der zauberhaften Lage von Garmisch-Partenkirchen.

Die Frage stellt sich erneut, ob 2024 wieder Olympische Spiele in Deutschland, und zwar in Berlin, ausgetragen werden. Eine Empfehlung für Deutschland wäre die Faszination des viel beschworenen Sommermärchens der Fußballweltmeisterschaft 2006. Allerdings fehlt bei uns, anders als 1936, eine echte Olympiabegeisterung. Die Berlinbewerbung im Jahre 2000 mit negativ eingestellten Gruppen hat einigen Schaden angerichtet. Wie immer werden finanzielle Gründe angeführt, so auch beim Umzug von Regierung und Parlament von Bonn nach Berlin, die im Vergleich zu den mühsam eingerichteten internationalen Stützungsaktionen zur Rettung des Euro kleinkariert erscheinen.

Bedenken der Umweltschützer, ein klares Nein zur Kostenexplosion und zu den IOC-Knebelverträgen sind wohl die Gründe gewesen, die bei der Abstimmung für eine Bewerbung Münchens für die Olympischen Winterspiele 2022 zur Ablehnung führten. In der bayrischen Landeshauptstadt, Garmisch-Partenkirchen sowie in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgaden stimmten die Bürger mehrheitlich gegen eine Bewerbung Münchens. Ob damit die Strahlkraft Olympias und der olympische Gedanke für längere Zeit in Deutschland keine größere Rolle spielen werden, mag dahingestellt bleiben. München 2022 war bereits der fünfte vergebliche Anlauf auf Olympia. Berchtesgaden 1992, Berlin 2000, Leipzig 2012 und München für 2018 waren verlorene Bemühungen.

Fliegerei

Der Flugsport fand im Dritten Reich einen enormen Aufschwung. Schon als Kind beobachtete ich die schwerelosen Bewegungen der Vögel, die sich am wolkenlosen Himmel frei in die Lüfte erheben und der Erdenschwere enthoben waren. Als Schüler las ich von Ikaros, dem Sohn des Daidalos, der mit seinem Vater von der Insel Kreta, wo dieser im Dienste des Königs Minos stand, zu fliehen versuchte; er kam mit seinen durch Wachs zusammengehaltenen Flügeln der Sonne zu nah und stürzte unweit von Samos ins Meer.

Dieser Vorgang inspirierte mich zu einem Gedicht „Der Sonnenflug“, beflügelt auch durch eine Bemerkung des Erdkundelehrers, der wegen der von Newton entwickelten Gravitationslehre das Verlassen der Erde ins Weltall für unmöglich hielt. Gedanklich war es mir ein Leichtes, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Allerdings schreibe ich das Misslingen meines Vorhabens im Gedicht der Allmacht einer von mir bejahten überirdischen Vernunft zu.

Sonnenflug (1943)

Träumende Welt

Unwirklichkeit stellt

Sich zur Welt der Wirklichkeit

Freudige Träume,

Durchfliegende Räume

Bildender Phantasie.

Dort, in die luftigten Höhen,

Schwindelnd der Abgrund zu sehen,

Dorthin schwebend, beflügelnd ich zieh ...

Blühende Erde schwand eilendem Blicke,

Leuchtende Wolken drängten zurück,

Weichen, erdrückendem Schmerz.

Kalte strömende Lüfte

Hauchen erquickende Düfte,

Freier atmet das Herz.

Sprühende Nebel umwallen,

Glitzernde Tropfen hinfallen,

Netzen die atmende Luft.

Höher noch reichen die Schwingen,

Näher dem Ziele zu bringen,

Riesig und unendlich die Kluft.

Dünner und ärmer die Wolken,

Stickende Wogen bald folgen.

Wohin lenkt mich die Bahn?

Droben winken die Sterne,

Zu ihnen möchte ich gerne ...

Wo liegt der Weg himmelan?

Unter mir fremde Gebilde,

Leuchtender Ball strahlt so milde,

Woher die Reise geführt.

Deutlich die schimmernden Länder,

Dunkel die säumenden Ränder,

Wogende Meere man spürt.

Schleier umweben, verbergen

Höchstes von göttlichem Werken,

Lebende Wesen darauf.

Doch meine Blicke sich wenden,

Vorwärtsschauend sie enden,

Staunend im rastlosen Lauf.

Glutende Sonne!

Quell aller Wonne,

Ursprung der wandelnden Welt.

Spendet das Leben,

Bräche das Streben,

Wenn sie dem Tode verfällt.

Fruchtbarkeit Strahlen bergen,

Götter mächtiglich wirken,

Spenden uns stärkende Kraft,

Sprengen der Ketten Glieder,

Halten die Finsternis nieder,

Rütteln den Mut, der erschlafft.

Aber die Glut mir verwehret

Suchende Nähe; Hitze verzehret

Singend mein lichtes Gewand.

Blicke kann ich nicht heben,

Weiter darf ich nicht streben

Götter erheben die Hand.

Warnend und drohend ein Sausen,

Pfeilschnellen Fluges nun brausen,

Schwinden die Sinne dahin.

Rasend mit lichtschnellen Schwingen

Wirbelnd die Lüfte mich bringen,

Nieder zur Erde mich ziehen.

Ewig sei dir verschwiegen,

Wo letztes Werden muss liegen,

Unerforscht bleibet das Sein.

Donnernd höre ich Stimmen:

Nebel verblasst, Funken glimmen,

Lodern zu zündendem Schein.

Autogrammhelden

Beim Segelfliegen versuchte ich kleine Lufthüpfer, die mich dazu brachten, mich im Verlaufe des Krieges freiwillig als Offiziersbewerber zur Luftwaffe zu melden. Allerdings hatte ich dabei die berechtigte Hoffnung, erst nach Erreichen der Abiturreife später eingezogen zu werden. Mit der deutschen Luftwaffe kam ich noch näher in Berührung, als ich durch Nachhilfeunterricht für den Sohn des Oberstudiendirektors Zandt, der als Jagdflieger im Krieg gefallen ist, dessen Verbindungen zu Ritterkreuzträgern für viele Autogramme und Bildunterschriften nutzen konnte. Unter ihnen befanden sich hochdekorierte Persönlichkeiten wie General der Flieger Student, Generalmajor Keller, Major Walter Oesau, Oberst Wolf, General der Flieger Ritter von Greim, General der Flieger Bodenschatz, Generalfeldmarschall von Leeb und viele andere, Major Hannes Trautloft, ein bekannter Nachtjäger, ist auch in der Reihe meiner Autogrammhelden zu finden; er stieg die militärische Stufenleiter bis zum General der Bundeswehr auf, dessen Fliegeranekdoten „Heitere Loopings“ sich um ein halbes Jahrhundert Fliegerei drehen.

Einen herzlichen Brief schrieb mir Generaloberst Dietl, Heerführer am Polarkreis. Allerdings blieb Dietl als großer deutscher Vorbildgeneral nach dem Kriege im Kreuzfeuer der Linken, die wegen der Beibehaltung der Dietlstraße in Füssen gegen diese Entscheidung des Stadtrates Sturm liefen. Vom Norddeutschen Lloyd Bremen erhielt ich Post vom Kapitän der Bremen Adolf Ahrens, der mir stets guten Wind im Leben wünschte.