Bin ich Segler, oder was? - Claus Beese - E-Book

Bin ich Segler, oder was? E-Book

Claus Beese

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Beschreibung

Motorboot-Skipper Claus ist wieder unterwegs. Diesmal wird er von seinen segelnden Freunden zu einer Herrentour auf der Ostsee eingeladen. Gleich am ersten Tag verscherzt er es sich mit Windgott Rasmus und verärgert den Klabautermann. Steckt er darum schon beim Probeliegen in seiner Koje fest wie ein Korken? Streikt etwa deshalb der Motor der BEERS? Und haben die Bordgeister ebenfalls ihre Hände im Spiel, als er versucht, einen explosiven Kaffee zu kochen? Nur gut, dass die Segler eine Gelegenheit zur Besänftigung der Schiffsgeister bekommen, als es gilt, einen Jungsegler zu retten. Mit Sachverstand und Humor berichtet Autor Claus Beese, was sich auf dem Törn nach Flensburg und zu den Kappelner Heringstagen an der Schlei ereignet hat - ein Lesespaß für Segler, Motorbootskipper und Landratten zugleich.

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Bin ich Segler, oder was?

 Claus Beese

 

ELVEA 

Index

Vorwort

Fröhliche Weihnachten

Segeln für Anfänger

John Silver auf Klamottensuche

Leinen los

Alles reiner Aberglaube

Spargel und Schinken

Voll voraus, Skipper

Alles Anfänger

Der Universalknoten

Die Dorschblume

Die FLAVA

Isse Rrrasmus – niech Rrramses

Mit List und Tücke durch die Brücke

Der Teesieb-Moses

Grillrippchen und Wasserhexen

Der Käsefrachter

Hütchen, Sturm und Bullenreiten

Ein Dipp ist keine Käsesoße

Na, dann gute Nacht

Der Autor

Mee(h)r Bücher von Claus Beese

Noch Mee(h)r Bücher von Claus Beese

Mehr Humor von Claus Beese

Impressum

Vorwort

Ein echter Motorboot-Skipper lässt nichts auf seinen Diesel kommen. Segel hin oder her, er fühlt sich erst richtig wohl, wenn die sanften Vibrationen und das tiefe Brummen des Motors zu spüren und zu hören sind. Was ist dagegen schon das lautlose Dahingleiten eines Seglers? Man hört nichts, man spürt nichts, es ist, als treibe man auf einem toten Stück Holz über die See. Wenn es ganz übel kommt, neigt sich so ein Segler sogar auf die Seite und der eben noch in der Horizontalen befindliche Fußboden (in der Seemannssprache heißt das Deck) ist derart schräg, dass man sich augenblicklich die legendären ostfriesischen Deichbeine wünscht, nämlich ein kurzes und ein langes Bein, um sich sicher auf dem Schiff bewegen zu können.

Nein, nein! So ein Segelschiff ist nichts für einen eingefleischten Motorboot-Skipper, dessen einziger Bezug zu diesen ihm fremden Fortbewegungsmitteln bisher darin bestand, das eine oder andere gelegentlich mit Maschinenschaden abzuschleppen. Man hilft ja gern und mit so einem Sechstonner im Schlepp macht der Diesel auch erst richtig Musik.

Was also könnte diese Weltanschauung, wenn vielleicht auch nicht revidieren, so jedoch derart erschüttern, dass man als Diesel-Skipper plötzlich nachts nicht mehr schlafen kann, unruhig hin und her läuft und dann zum Telefon greift?

»Herrentörn? Bist du dösig? Weißt du, wie spät es ist?«, tönt es unwirsch aus dem Hörer. »Ja, unsere Segelgruppe geht auch dieses Jahr wieder auf Herrentörn! Freie Koje? Ja, habe ich! Okay, wenn der Wecker geklingelt hat merke ich dich wieder für den nächsten Törn vor. Und jetzt lass mich schlafen!!!«

Während nach diesem Gespräch sich mein bester Freund und Segel-Skipper in Otterndorf im Bett von einer Seite auf die andere wälzt und darüber nachdenkt, wo der nächste Törn überhaupt hinführen soll, bette ich mein Haupt zufrieden auf das Kopfkissen und schlafe mit einem seligen Lächeln ein.

Was also war geschehen? Nun, sagen wir einmal, ein gnädiges Schicksal schien es mit mir gut zu meinen und schickte mir die Erleuchtung in Form einer Segelyacht namens BEERS, die ich erst einmal wegen des scheinbar unvermeidlichen Maschinenschadens durch den Nord-Ostsee-Kanal schleppte. Als Danke schön entführte mich deren Skipper im nächsten Frühjahr auf eine Segeltour, die mir lange in angenehmer Erinnerung bleiben sollte.

Hatte ich auch meine liebe Not, mich an Bord mit den Eigenheiten des Segelns zurechtzufinden, so lernte ich es auch lieben, das lautlose Dahingleiten, das leise Plätschern, mit dem der Bug durch die Wellen schneidet, das leichte Aufrichten des Schiffes, kurz bevor die Windböe ins Segel fällt, das …

Ich könnte jetzt seitenlang so fortfahren, aber vielleicht fange ich mal gaaanz von vorne an und berichte von meinem ersten Segeltörn.

Mit zwei Yachten, der BEERS, einer wunderschönen Phantom 32 in blauweiß und der MEDEMSAND, einer 33 Fuß langen, gelben Hornett, liefen wir zu diesem Abenteuer von Otterndorf an der Unterelbe aus, gelangten über den Nord-Ostsee-Kanal bis nach Maasholm und zum Anfang des Alsen-Sunds in Dänemark, um schließlich in Flensburg ein drittes Schiff, eine hellblaue 32er Marieholm namens FLAVA zu übernehmen. Mit dieser kleinen Dreierflotte nahmen wir Kurs auf die Schlei, wo wir zu den Heringstagen in Kappeln einfielen.

Wenn sieben erfahrene Skipper, die allesamt eher als wackere Recken auf ein Drachenboot der alten Wikinger passen würden, auf drei Yachten in einem Küstenort auftauchen, in dem tagelang der Hering gefeiert wird, bleibt keine Kehle trocken und kein Magen hungrig. In Süddeutschland fährt man zum Schlemmen mal eben rüber ins Elsass, in Norddeutschland schippert man zu den Heringstagen nach Kappeln. Ein Fest für Magen und Sinne, welches sich eigentlich jeder Skipper einmal leisten sollte.

Fröhliche Weihnachten

»Motorbootfahrer sind alles faule Leute, bloß nicht den Allerwertesten vom Fahrersitz heben, es sei denn, man muss das Allerwichtigste beim Motorbootfahren erledigen!«, stellte mein Freund Wolfgang, seines Zeichens Segelskipper und Eigner des schönsten Seglers der Unterelbe fest.

»Und was soll das deiner Meinung nach sein?«, fragte ich und sprang prompt auf die unverfrorene Frotzelei an.

»Nicht mal das weiß er!«, meinte mein Freund von der segelnden Fakultät anklagend. »Natürlich dem Hafenmeister beim Anlegemanöver das Stromkabel für den Kühlschrank zuwerfen, damit das Bier nicht warm wird! Das macht ihr Motorbootskipper doch noch, ehe das Boot festgemacht ist.«

»Kunststück! Wir haben ja auch unter unseren Booten nicht so einen tiefen kühlen Keller wie ihr!«, konterte ich. »Dafür müssen wir euch Segler immer per Schallsignal wecken, weil ihr bei eurer angeblich lautlosen Rumdattelei auf den Wassern dieser Erde ständig einpennt und nicht auf den Kurs achtet!«

»Einpennt? Du hast wohl ’nen Schluck aus dem Kompass genommen, wie? Wir sind ständig hellwach bei unserem Sport, immer auf dem Kiewief. Das müssen wir schon, weil Ihr Mobos ja keine Ahnung von den Vorfahrtregeln habt und ständig auf Kollisionskurs seid!«

»Sport! Doris, hast du das gehört? Sport hat er gesagt. Mein Freund, wenn Segeln Sport ist, dann ist Briefmarken sammeln das auch!«, gab ich entrüstet zurück.

»Ist es nicht eine Freude zu sehen, wie gut sich unsere Männer doch verstehen können, obwohl es das eigentlich gar nicht geben darf?«, unterbrach Barbara, Bestfrau und Ehegespons unseres wackeren Segel-Skippers unseren Redeschwall. Gerade hatte sie das Kaffeegeschirr zurück in die Küche getragen, setzte sich wieder gemütlich hin und schaute uns an.

»????«

Vielstimmiges überraschtes Schweigen und deutlich ratlose Gesichter zeugten davon, dass es mit dem gegenseitigen Verständnis doch nicht so weit her war.

»Na, wenn man den landläufigen Vorurteilen glauben darf, dann müsste das Verhältnis zwischen Seglern und Motorbootlern so ähnlich sein wie das zwischen Hund und Katze!«

»Ach was! Das gibt’s doch gar nicht!«, meinte Wolfgang entrüstet.

»Alles böse Polemik! Glaub keinem, der so etwas Abwegiges behauptet!«, gab ich ihm recht, lehnte mich entspannt zurück und lauschte dem Wind, der im Schornstein leise heulte und die Flammen in dem Kamin-Ofen hell aufflackern ließ.

Nicht, dass Missverständnisse aufkommen! Mein Freund Wolfgang und ich waren in Sachen Wassersport ein Herz und eine Seele. Auch wenn er Segler und ich eben nur Motorbootfahrer war. Es machte uns Spaß, uns gegenseitig ein wenig damit aufzuziehen und den Freund vermeintlich auf die Palme zu bringen. Da wir jedoch wussten, wie es der andere meinte, war eben alles reiner Theaterdonner.

Wenn auch die Szene von eben darüber hinwegtäuschen konnte, so genossen wir es, bei unseren Freunden im Wintergarten zu sitzen, die Lichter am Weihnachtsbaum herunterbrennen zu sehen und die Seele baumeln zu lassen. Es war, seit wir damals in Laboe den vermeintlichen ›Kanzlerkandidaten‹ und seinen weiblichen Bestmann getroffen hatten, schöner Brauch geworden, den ersten oder zweiten Weihnachtsfeiertag bei ihnen zu verbringen.

Wolfgang war zum gemütlichen Teil übergegangen und schenkte einen wunderbar rubinroten Wein in die Gläser. Das Holz im Feuer knackte und von dem gemauerten Kaminofen ging eine behagliche Wärme aus. Sie verbreitete sich im ganzen gläsernen Wohnzimmer, während draußen in der beginnenden Dunkelheit des Winterabends die Schneeflocken tanzten.

»Ich weiß nicht«, überlegte ich laut. »Mir ist das eigentlich auch noch nie aufgefallen. Die Segler, die ich bislang abgeschleppt habe, waren alle ganz nett! Und es waren immerhin schon einige!«

»Wie?«, fragte unser Gastgeber erstaunt. »Wir waren nicht die einzigen?«

Ich schüttelte lachend den Kopf.

»Es ist eigenartig, aber irgendwie haben die Segler zu ihren Motoren ein gestörtes Verhältnis. Immer wenn sie die Unterwasser-Genua brauchen, springt sie nicht an. Und dann hängen sie wieder an irgendeinem Dalben, treiben irgendwo in der Flaute und halten flehend einen Tampen über die Reling.«

»Und mein Mann sammelt sie alle ein und bringt sie irgendwo an irgendeinen Steg. So ist er eben.«

Man konnte ein ganz klein wenig Stolz in der Stimme meiner Angetrauten hören und sie streichelte mir sanft über die Wange.

»Hoffen wir, dass mal jemand da ist, wenn mein Diesel kündigt.«, lächelte ich sarkastisch und war froh, dass sich die Laune meiner Bordfrau wieder gebessert hatte. Noch auf dem Weg zu unseren Freunden war es im Wagen ziemlich frostig zugegangen, und daran waren nicht nur die winterlichen Temperaturen schuld gewesen.

Mein Freund Wolfgang hatte für Krisen ein feines Gespür und beugte sich ein wenig zu mir rüber.

»Dicke Luft?«, raunte er mir zu.

»Och, nicht direkt. Gestern war ja Heiliger Abend und ich war mit unserer Tochter noch unterwegs gewesen. Na ja, und wie das so ist, Claudia und ich haben uns ein wenig verspätet. Deshalb war meine Dodi halt ein wenig verstimmt.«

»Wieso? Wo treibt ihr euch denn am Heiligabend rum?«, wollte Barbara, Wolfgangs bessere Hälfte, wissen. Ihre weibliche Neugier war geweckt.

»Ach weißt du, ich habe es mir schon lange zur Angewohnheit gemacht, am Heiligen Abend nochmals zu der Halle zu fahren, in der die Boote der Vereinsfreunde in stiller Winterruhe liegen. Es hat etwas Besonderes, durch die stillen Gänge und Winkel zwischen den Booten zu schlendern, die kalten Leiber der Schiffe durch den Stoff der Handschuhe zu spüren und in Gedanken mit ihnen auf große Fahrt zu gehen. Gestern hatte ich Claudia mitgenommen.

›Sag mal, Papa! Feiern Schiffe eigentlich auch Weihnachten?‹, hatte sie gefragt.

Erstaunt schaute ich herunter auf den kleinen Zwerg an meiner Seite, der, eingemummelt in eine dick gefütterte Winterjacke, neben mir durch den Schnee stapfte.

›Weihnachten? Hm! Ja, sicher werden die Boote auch Weihnachten feiern. Allerdings ganz anders, als die Menschen!‹

›Und wie machen die das? Die haben doch gar keinen Tannenbaum, und Plätzchen können sie auch nicht backen? Ich glaube nicht, dass das eine schöne Feier ist, Papa!‹

Lachend schloss ich die Halle auf und wir schlüpften hinein in das stille Halbdunkel, in dem die Schiffe auf ihren Winterwagen ruhten und auf die Ausfahrten der nächsten Saison warteten.

›Ach, Töchterlein! Woher willst du denn das wissen? Nur weil es anders ist, wird es nicht schlechter sein als unser Weihnachtsfest.‹

›Und wie ist es? Hast du es schon mal erlebt?‹

Ich hob den Zwerg hoch und stellte ihn auf das Deck unseres kleinen Kajütbootes. Wir krabbelten unter die Persenning und schauten hinaus. Wenn man die Augen schloss, konnte man noch die sanften Bewegungen des auf den Wellen schaukelnden Bootes spüren, obwohl das Boot schon lange auf dem Trockenen lag. Claudia kuschelte sich an mich.

›Kommt hier etwa auch der Weihnachtsmann?‹, wollte sie wissen. ›Und was bringt der den Booten?‹

›Vielleicht bringt er den Segelschiffen neue Segel, weil die alten im letzten Sturm zerrissen sind? Und die Motorboote kriegen eine neue Schraube oder einen neuen Luftfilter für den Motor? Ich weiß nicht, was Schiffe bekommen, Maus! Aber ich weiß, dass sie ein schönes Weihnachtsfest haben!‹

›Und woher weißt du das so genau?‹

Ihre wachen Augen blitzten mich auffordernd an. Ich wäre doch ein schlechter Vater gewesen, wenn ich ihr jetzt gesagt hätte: ›Kind, wir müssen nach Hause, die Mama wartet!‹

›Na gut!‹, seufzte ich. ›Also pass auf! Es war vor langer Zeit, noch lange bevor du geboren wurdest. Da fuhr ich einmal an einem Heiligen Abend nachmittags hierher und setzte mich, genau wie wir beide das jetzt tun, auf unser Boot. Ich ließ meine Gedanken zurückgehen in das vergangene Jahr und dachte noch einmal daran, wo ich überall gewesen war. Es war genau so kalt wie heute und ich hatte mich in eine warme Decke eingewickelt. Sie war ganz weich und warm und weil ich in den letzten Tagen noch viel gearbeitet hatte, wurde ich schrecklich müde. Bevor ich mich versah, war ich eingeschlafen und träumte, wie unsere DODI mich bei herrlichem Sonnenschein sanft über die glatte See trug, wie die Möwen laut schreiend um mich herumflogen und die warmen Sonnenstrahlen mich streichelten.‹

›Hattest du damals auch schon eine DODI?‹, fragte sie.

›Eine ganz kleine, noch kleiner als die Kleine die du schon kennst.‹, schwindelte ich. Der Liebe Gott würde mir die Flunkerei verzeihen, es war ja immerhin eine Weihnachtsgeschichte, die ich der kleinen Mücke erzählen wollte.

›Und dann, Papa? Was passierte dann?‹

›Dann bin ich wohl von der Bank geplumpst, denn als ich wach wurde, saß ich auf dem Fußboden des Schiffes und um mich herum war es schon ganz dunkel geworden. Ich hatte ja am Nachmittag noch kein Licht gebraucht, und so musste ich mich in der Dunkelheit behutsam von Bord tasten. Vorsichtig kletterte ich am Boot herab und stand etwas später auf dem Hallenboden zwischen den Schiffen. Doch was war das? Plötzlich war ein leises Wispern in der Halle, als flüsterten tausend Stimmen miteinander. Ich blieb still stehen, wagte es nicht, mich zu rühren. Und das Flüstern wurde lauter und bald konnte ich einige Worte verstehen.

›Holland! So, so meine Beste! In Holland waren sie ganz. Ist das nicht ein bisschen weit für so ein kleines Schiff?‹

›Wieso kleines Schiff? Sie sind man knapp zwei Meter länger als ich, Gnädigste, und dafür ist ihre Taille etwas voller als bei mir. Wo sind sie denn gewesen?‹

›Unverschämtheit! Ich bin ja auch ein Dickschiff. Und ein seegängiges Segelschiff dazu. Ich brauche nicht durch die Kanäle nach Holland zu fahren. Ich kann richtig auf die See hinaus. Bis nach Helgoland, wenn es sein muss!‹

›Wenn es sein muss! Habt ihr das gehört? Wenn es sein muss! Hahaha! Sie sind wohl nur in der Wesermündung rumgekreuzt, wie? Immer um Rote Sand herum, was?‹

›Darf ich auch mal was sagen?‹, meldete sich eine ganz kleine Jolle zu Wort, und als alle anderen erstaunt schwiegen, räusperte sie sich und sprudelte dann hervor: ›Also ich war an der Ostsee und bin bis zum Kieler Leuchtturm gesegelt. Ist das nicht toll?‹

›Toll? Was ist daran toll?‹, wollte ein nobler Kajütkreuzer wissen. ›Die paar Seemeilen reiße ich vorm Frühstück ab. Du hättest ruhig die paar Meilen bis Dänemark auch noch machen können, Feigling!‹

›Vielleicht wachse ich ja noch, und dann fahre ich mit dir um die Wette, du Snob! Dann hast du aber nichts zu lachen! Versprochen!‹, schnaubte die Jolle empört.

›Pst! Seid mal ruhig! Habt ihr das auch gehört? Da ist doch was!‹

Ich hielt die Luft an und wagte nicht mich zu bewegen. Was würde geschehen, wenn sie mich bemerkten? Es war jetzt so still, dass man hätte hören können, wie eine Feder zu Boden fällt. Da kam plötzlich ein leises Seufzen von ganz hinten aus der letzten Ecke der Halle. Dort lag ein ziemlich altes Schiff, dessen Leib nicht aus modernem Kunststoff, sondern aus altem, verbeultem Stahl bestand. Die Masten waren nicht aus hochwertigem Aluminium, sondern aus Holz und schon an einigen Stellen abgesplittert und rau. Alles in allem, und darüber war sich die Schar der Boote einig, mehr ein Fall für die Abwrackwerft als für den Segelsport.

›Ich sage euch, ihr wisst nichts!‹, seufzte der alte Segler und ließ gehörig seine Spanten knacken. ›Kieler Leuchtturm, Rote Sand, Helgoland! Ganz schön, das alles! Aber habt ihr schon mal das glasklare Wasser der Karibik gesehen? Gefühlt, wie Delphine unter euch dahinflitzen und mit ihren Flossen eure Bäuche kitzeln? Habt ihr unter euch noch in zwanzig Metern Tiefe die majestätischen Rochen gesehen, wie sie durch das Wasser schweben? Habt ihr schon mal, weit draußen auf dem Atlantik, in sternenklarer Nacht dem Gesang der Wale gelauscht? Nein? Dann wisst ihr nichts!‹

›Frido!‹, flüsterte die kleine Jolle. ›Hast du schon einmal das Kreuz des Südens gesehen?‹

Wieder seufzte der alte, rostige Kasten in seiner Ecke.

›Das habe ich, weiß Gott! Das habe ich!‹

›Und?‹, wollte die kleine Jolle aufgeregt wissen. ›Wie sieht es aus?‹

›Diamanten! Leuchtende, funkelnde Diamanten auf einem blauschwarzen Samtkissen! Warte, ich werde es dir zeigen!‹

An der Hallendecke erschien plötzlich ein leuchtender Nebelfleck, das Dach schien zur Seite zu gleiten und gewährte den Blick hinauf zu den Sternen. Doch es waren nicht die Sterne, die man von hier aus sieht. Es waren die Sterne, die über dem Äquator stehen, und sie leuchteten in einer Pracht, dass ich geblendet die Augen schloss. Ein Sternbild kam ganz nah heran und ein Raunen und Flüstern ging durch die Halle.

Das Kreuz des Südens, Inbegriff aller Sehnsüchte der Menschheit. Traum aller Seefahrer und vielleicht auch aller Schiffe.

›Und jetzt zeige ich euch noch etwas! Etwas ganz Tolles!‹, knirschte der rostige FRIDO. Und der Sternenhimmel wechselte sein Bild. Ein einzelner, leuchtend heller Stern schwebte heran. Der Polarstern! Gleißend hell strahlte sein Licht in die Dunkelheit der Halle hinein, um nach einer Weile ganz langsam zu verblassen.

Es war wieder dunkel in der riesigen, kalten Lagerhalle, in der die Boote vom Sommer träumten, und ich tastete mich durch die Finsternis zur Tür. Was für ein Abend!‹

Claudia wickelte sich aufgeregt aus der Decke, die ich uns, während ich die Geschichte erzählte, umgeschlungen hatte. Ihre Wangen glühten.

›Und was ist aus FRIDO geworden? Hier liegt doch gar kein Schiff, das so aussieht!‹

›FRIDO und sein Kapitän sind im nächsten Jahr ausgelaufen. Man sagt, sie wollten über den Atlantik nach Mittelamerika. Niemand hat sie je wiedergesehen oder von Ihnen gehört.‹, sagte ich, während wir aus dem Schiff krabbelten und von Bord kletterten. Draußen empfing uns eine weiße Winterlandschaft, und am frostklaren Himmel stand ein gleißend heller Stern, der sein Licht in voller Pracht durch die Dunkelheit erstrahlen ließ.«

»Ach, und deshalb wart ihr zu spät zuhause?«, flüsterte meine Lieblingsgattin. »Warum hast du das nicht gleich gesagt?«

»Erstens hast du mich nicht zu Wort kommen lassen, und zweitens will ich Geschichten nicht gerne zwei- und dreimal erzählen. Und nun hast du sie ja auch gehört.«, lachte ich und genoss, wie sie mir zärtlich über die Wange streichelte.

»Schööön!«, stellte Bärbel mit leuchtenden Augen fest und rieb sich die Arme, an denen sich die kleinen Härchen aufgestellt hatten.

Selbst Wolfgang, der eigentlich alles immer ganz sachlich betrachtete, schwieg einen Moment. Dann holte er tief Luft und öffnete den Mund, als wolle er etwas entgegnen. Aber es kam kein Ton heraus, und er klappte die Kiefer wieder zusammen. Dann räusperte er sich vernehmlich und griff zur Weinflasche.

Segeln für Anfänger

Es schneite immer heftiger. Dicke Flocken hatten auf dem Dach des Wintergartens eine weiße Schicht gebildet, die ganz langsam durch die mollige Wärme in dem Glasanbau schmolz. Der Wind heulte noch ein wenig kräftiger und Wolfgang legte neue Holzscheite nach.

»Also, Wolfgang. So wie ich das sehe, darfst du noch eine von deinen vortrefflichen Rotweinflaschen köpfen. Nach Hause kommen wir sowieso nicht mehr. Stattdessen werden wir die Gelegenheit beim Schopfe packen und mal wieder eine Nacht in eurer Dachkammer verbringen, nachdem wir euren Weinkeller gelenzt haben.«

»Kein Problem!«, grinste der Vereinspräsi und angelte eine neue Flasche aus dem Schrank.

Bei diesem Wetter war es zu gefährlich, die hundert Kilometer, die uns von Zuhause trennten, inmitten einer verschneiten Nacht noch mit dem Auto bewältigen zu wollen. Das kannten wir schon. Es war aber auch kein Problem, denn die in der Dachkammer eingelagerten Polster der BEERS würden uns schon zu einer sanften Nachtruhe verhelfen, und unsere beiden Mädels konnten zusammen im Zimmer von Wolfgangs Tochter Sarah schlafen.

»Sag mal, bist du eigentlich in deinem Leben schon mal auf einem Segler mitgefahren?«, wollte er wissen und visierte mein Glas an um es aufzufüllen.

»Nö! Noch nie!«, gestand ich wahrheitsgemäß und blickte in die fassungslosen Augen unserer Freunde. Auch mein treues Eheweib schüttelte den Kopf.

»Also, so geht das nicht!«, stellte jetzt der Skipper der BEERS fest. »Dieser Zustand muss ein anderer werden.

Du weißt ja gar nicht, was dir da bisher entgangen ist. Also pass mal auf. Zu Himmelfahrt gehen immer eine ganze Reihe von Otterndorfer Booten auf gemeinsame Vatertagstour. Im nächsten Jahr wollen wir zu den Heringstagen nach Kappeln an die Schlei. Mein Gott! Da warst du auch noch nicht? Bärbel, hier müssen wir wirklich erste Hilfe leisten. Die beiden sind aus ihrem Dieselmief noch nie herausgekommen!«

Man spürte förmlich sein Entsetzen. Einen Moment überlegte er, stellte dann sein Glas ab und schaute mich an.

»Also, mein Freund, das wird nun aber Zeit! Ich werde diese Tour mitfahren, habe aber noch keine Crew. So wie mein Segler wieder im Wasser ist, machen wir einen kleinen gemeinsamen Törn, um zu sehen, ob ihr überhaupt segeltauglich seid. So ein Segelschiff bewegt sich nämlich im Wasser völlig anders als ein Motorboot, und ich habe schon so manchen seefesten Motorskipper auf einem Segler heftigst die Farbe wechseln sehen. Das testen wir aus. Und wenn du damit keine Schwierigkeiten hast, habe ich meine Crew für die Herrentour!«

»Oh ja! Das ist toll! Das müsst ihr unbedingt machen«, freute sich Bärbel und strahlte über das ganze Gesicht. Der Einzige, der bereits in diesem Moment die Farbe wechselte, war mein weiblicher Bestmann.

»So! Ihr wollt also ohne uns Frauen auf den Swutsch gehen? Kommt gar nicht in Frage!« Sie verschränkte die Arme vor der Brust, was wohl so viel heißen sollte wie: »Hugh! Ich habe gesprochen!«

Ich lehnte mich im Sessel zurück und fing an, mir das Geschehen mit steigendem Amüsement zu betrachten. Bärbel und Wolfgang konnten ja nicht ahnen, was sie da vorgeschlagen hatten. Bislang war unser beider Maxime im Leben gewesen, alles gemeinsam zu machen. Und wir sind lediglich bei der Geburt unserer Tochter einmalig davon abgewichen. Die beiden gaben sich wirklich die größte Mühe, meine Unzertrennliche davon zu überzeugen, dass da absolut nichts Anrüchiges an der Sache war und es wirklich nur um den Sport ging.

»Sport? Hah! Den einzigen Sport, den mein Göttergatte bislang betrieben hat, war Briefmarken sammeln und Angeln gehen. Ich kann nicht glauben, dass er jetzt plötzlich damit anfangen will!«

Ihren Worten war zu entnehmen, wie begeistert sie von der ganzen Sache war, und was sie wirklich davon hielt. Mit Engelszungen und weiteren drei Flaschen Wein wurde meine bessere Hälfte niedergerungen, und als wir schließlich in der Dachkammer auf den Polstern des Seglers lagen, fiel ihr auf, dass ich bislang überhaupt nichts dazu gesagt hatte.

»Alsso, hörma, wieso hassu dassu garnix ssu bemerken ssu gehabt?«, säuselte sie weinselig, und war sich nicht mehr ganz klar darüber, ob sie sich mehr über diese Tatsache als solche oder über die Lähmungserscheinungen ihrer Zunge wundern sollte. »Am Enne lässu mich den ganssen Amend diset-äh…diskudingsda, un wills garnich mitfaaahn?«

»Hmm!«, brummte ich lediglich, denn ich wusste, in diesem Zustand war jede weitere Diskussion vergebens. Mein angeheiratetes Naturereignis drehte sich träge auf meine Seite, packte mich am T-Shirt und fing an, mich heftig zu schütteln.

»Los! Sahag-hicks mir sooofort, ob du mit wissst!«

»Jahahahaha!«, schlodderte ich.

Meine Exverlobte holte tief Luft, hörte aber auf mich zu schütteln. Ganz dicht kam ihr Gesicht an meins heran und sie schaute mir mit leichtem Silberblick tief in die Augen.

»Sssso, alsso du willst mit?! Weissu, was ich dassu nur noch sahagen kann-hicks?«

»Nein!«, staunte ich, denn ich wunderte mich, dass sie überhaupt noch etwas sagen konnte. »Was denn?«

»Hähä! Allso, erstens: ess war gemein mich so unter Allolol ssu setzen! Un sweitens un du wisses nich glaum, ich erlaube dir das! Fahr mit! Aber ich sahag dir-hicks eins, komm mir nich ssurück unnu biss ertrunken. Dasss überleb ich nich! Buhuuu!«

Mit diesen fast nur noch gesäuselten Worten verdrehte sie komplett die Augen, die Lider klappten zu und leise Schnarchtöne kündigten an, dass sie den weltlichen Sorgen entfleucht war.