Voll voraus, DODI! - Claus Beese - E-Book

Voll voraus, DODI! E-Book

Claus Beese

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Beschreibung

Urlaub mit Motorboot DODI...- eines der letzten Abenteuer. Wenn sich die Bordkatze mit den Krallen in der Lokustür verhakt, wenn dubiose, stets nichtmenschliche Leichen im Wasser auf- und abtauchen, wenn kochende Piraten im "feindlichen" Hafen Feuer legen - dann sind garantiert der Skipper des Motorboots DODI und seine Freunde auf Tour durch die norddeutschen Kanäle und hinein in die stürmische Ostsee. Mit von der Partie sind wie immer die unentbehrlichen besseren Hälften, liebevoll als Meerjungfrauen bezeichnet. Und auch Töchterchen Claudia sorgt mit ihrem Eigensinn wieder einmal für allerlei Chaos. Aber auch Skipperfreund Heinz und der aus dem ersten Buch bekannte, berühmt-berüchtigte Hamburger Skipper "Bügelfalte" mischen die Häfen kräftig auf.

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Seitenzahl: 193

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Claus Beese

Voll voraus, DODI!

Neue Abenteuer von der Waterkant

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Zum Buch

Schleusenfest in Bederkesa

Die Leiche im Kanal

Kälteschock und Brandblasen

Törnwetter

Der Pirat von Sønderborg

Die Wale vom Kleinen Belt

Eingeweht

Und immer wieder „Bügelfalte“

Die Vergeltung

Kanalkartoffeln

Die Katze auf der Lokustür

Sturmfahrt

Die goldene Straße ins graue Nichts

Labskaus für alle

Kallis Labskaus Skipper Art

Feuer frei

Aufruhr in Otterndorf

Schwein gehabt

Die Heimkehr

Weitere Bücher vom Autor

Impressum neobooks

Zum Buch

Texte Claus Beese

www.claus-beese.de

Illustrationen Lothar Liesmann

www.zeichner-liesmann.de

Dieses Buch ist als Printausgabe beim Mohland Verlag unter der

ISBN-Nummer 978-3-86675-021-0

Schleusenfest in Bederkesa

Wat de een sien Uul, is de annern sien Nachtigall, sagt ein schönes plattdeutsches Sprichwort. Und auch schon Friedrich der Große meinte, dass jeder nach seiner Fasson selig werden sollte. Und so gibt es denn auch im Wassersport diejenigen, denen es gar nicht turbulent genug zugehen kann und die auch ungerührt in der höchsten Achterbahn noch ein Butterbrot essen können, während andere grün anlaufen, wenn sie sich auf ein Wasserbett legen. Darum haben die Freizeit-Skipper, die an die Elbe oder Ostsee wollen, auch die Wahl ihre Nase (sprich: Bug) ganz nach Neigung entweder aus der Wesermündung zu stecken, um über das Watt oder sogar ganz außen herum zu schippern um über Elbe und Nord-Ostsee-Kanal das gewünschte Revier zu erreichen. Oder man schippert in Bremerhaven die Geeste hoch, weil man über ein Boot mit nicht allzu üppigen Maßen verfügt und sich und seiner Crew den etwas herberen Törn über die See ersparen möchte. Man schleust am Sperrwerk der Geeste in den tidefreien Bereich des Flüsschens und den Bederkesa – Kanal ein, der auch im Amtsdeutsch als Elbe-Weser-Schifffahrtsweg bezeichnet wird. Das ist bequem, schaukelt nicht, dauert aber seine Zeit und hat dafür auch andere Tücken.

Man kommt nämlich notgedrungen zur Raubritterburg in Lintig, wo den Skipper wortkarge, in Stahlrüstungen auftretende Raubritter schweigend abkassieren. Die Unterhaltung ist recht einseitig und beschränkt sich in der Regel auf gut gemeinte Ratschläge der Crew an ihren Skipper:

»Da, Mensch! Da musst du das Geld reinstecken!«

»Ja, und dann?«

»Warte mal, da steht doch was. Genau, dann den Knopf drücken und den Beleg abwarten. Dann wieder Knopf drücken und das Tor öffnet sich automatisch zur Einfahrt in die Schleuse! Mensch! So schwer ist das doch gar nicht!«

Irgendwie hatten mir die Räuber aus Fleisch und Blut, die hier früher Dienst taten, besser gefallen. Man konnte mit ihnen ein kleines Pläuschchen halten, und sie wünschten einem nach Entrichtung des Wegezolls auch noch gute Fahrt. Aber diese seelenlosen Blechkisten hier waren irgendwie das Letzte, was dem Menschen im kommunikativen Bereich angetan werden konnte. Man war froh, wenn die schwarzen Tore sich hoben und senkten, der an sich kurze und meist überflüssige Schleusenvorgang beendet war und man auf der anderen Seite die letzten drei Kilometer nach Bad Bederkesa zurücklegen konnte.

Manchmal geht auch etwas schief. Und wenn das geschieht, sorgt Murphys Gesetz schon dafür, dass dann aber auch alles gründlich in die Hosen geht. Es ist ja aber auch wirklich alles nicht so einfach, im Zeitalter der Automaten, computergesteuerten Schleusen und leicht panischen, zumeist weiblichen Crewmitglieder. Was waren das damals doch für herrliche Zeiten, als die Schiffscrews nur aus Männern mit Bärten bestanden, die weder Tod noch Teufel fürchteten und selbst den Klabautermann kielgeholt hätten, wenn er sich denn hätte blicken lassen. So allerdings musste man heute mit den Unzulänglichkeiten des anderen Geschlechts als Mannschaft leben. Man soll ja nichts verallgemeinern, es soll auch hier große Unterschiede geben, und ich gestehe, dass ich meine Meerjungfrauen-Crew nur äußerst ungern gegen ein paar bärtige Kerle eintauschen würde.

An diesem wunderschönen Samstag, an dem die Sonne vom Himmel lachte und die Temperaturen sich anschickten auf neue Rekordhöhen zu klettern, sollten wir ein Lehrstück über die eben genannten kleinen Unterschiede erleben dürfen. Die Mannschaften von acht Booten nämlich gedachten nach Möglichkeit gleichzeitig die Schleuse in Richtung Elbe zu passieren. Nur raus aus der Hitze des Schleusenstaus, wieder an Bewegung und somit an Fahrtwind gewinnen, der allein auf dem sonnendurchglühten Kanal für Kühlung sorgen konnte. Geldstück um Geldstück wurde in den Schlund des nimmer satten, voll automatisierten Raubritters gesteckt und der Beleg dem Quittungsfach entnommen. Langsam füllte sich der Schleusenkessel und es wurde schnell klar, dass das eine oder andere Boot in dieser Enge keinen Platz mehr finden würde. Das war nicht so schlimm, denn vor der eigentlichen Schleusenkammer befand sich noch immer das Stück alte Schleuse, in deren schmalem Trog man den Schleusenvorgang auch mitmachen konnte.

Dann lagen alle Boote vor-, hinter- und nebeneinander in dem Bauwerk und die Crews schauten sich in Erwartung einer göttlichen Eingebung gespannt an. Irgendjemand musste jetzt einen der überall angebrachten schwarzen Knöpfe drücken und damit den Schleusungsvorgang einleiten. Aber wer sollte das tun? Per Blickkontakt einigte man sich auf die nervös wirkende Bordfrau der zuletzt eingelaufenen Waterland und schon trompetete irgendjemand los: »Määänsch! KOSTFASTNIX, nun drück doch schon den Knopf! Ihr seid doch am nächsten dran!«

Die Bordfrau der KOSTFASTNIX reagierte prompt aber nervös und verrenkte sich fast den Hals, als sie nach dem Knopf Ausschau hielt.

»Meine Güte, Gerda! Direkt über dir, nu hau schon drauf!«, blaffte sie jetzt auch ihr Skipper an. Gerdas Blick hob sich, schweifte über das rote Gestein des Mauerwerkes und blieb an einem Knopf hängen. Sie hob den Bootshaken und noch bevor das im Chor erklingende »Den nicht!« sie erreichte, hieb sie den roten Knopf bis zum Anschlag in seine Fassung. Erst danach sah sie das leuchtend gelbe Schild mit der Aufschrift »NOTAUS«, das wohl andeuten sollte, dass irgendetwas im Notfalle hiermit zu stoppen sei.

Das, was man mit einem Druck auf diesen Knopf stoppen konnte, war eben der erwünschte Schleusungsvorgang, der noch nicht einmal eingeleitet worden war. Gerda versuchte, ihr Missgeschick durch nunmehr verzweifeltes Drücken des richtigen schwarzen Knopfes zu korrigieren aber die Maschinen, die das Schleusentor herunterfahren sollten, schwiegen beharrlich und das Tor rührte sich keinen Millimeter.

Ein Blick sagte mir, dass meine Crew alles im Griff hatte und ich enterte über die Stahlleiter auf. Am verschlossenen Schleusenwärterhäuschen prangte ein Schild mit der Bedienungsanleitung und ich las so laut vor, dass alle es hören konnten:

»Beim Drücken des NOTAUS-Schalters wird der Schleusenvorgang automatisch abgebrochen. Alle weiteren Vorgänge sind damit blockiert, bis die Anlage vom Schleusenpersonal wieder frei geschaltet wird. Im Notfall sind zu benachrichtigen: …!«

Es folgte der Name der Dienststelle und deren Telefonnummer in Stade.

Ein Skipper schwenkte sein Handy und ich las ihm die Nummer laut vor.

»…leider rufen Sie außerhalb unserer Dienstzeiten an. Sie erreichen uns von Montag bis Freitag in der Zeit von….«, belehrte uns der automatische Anrufbeantworter.

Fassungslosigkeit machte sich breit. Heute war Samstag und niemand hatte wirklich Spaß daran, das ganze Wochenende bei sengender Hitze in dem Wassertrog in Lintig zu verbringen.

»…in Notfällen wählen Sie bitte folgende Rufnummer….«

»Schnell, was zu schreiben!«, verlangte der Handyskipper, aber wer hat in einer Schleuse schon Bleistift und Papier parat? Als man es ihm brachte, war die Ansage zu Ende und leises Tüten drang aus dem Hörer.

»Nummer!«, verlangte er mühsam beherrscht und ich holte tief Luft um sie nochmals vorzulesen.

»Drück doch den Knopf für Wahlwiederholung«, wollte der Skipper der KOSTFASTNIX helfen, aber er erntete lediglich einen vernichtenden Blick von allen Booten.

»Erklär du lieber deiner Frau, welchen Knopf sie zu drücken hat! Meine Knöpfe drücke ich schon selber!«, tönte es durch die Schleusenkammer und KOSTFASTNIX zog ruckartig den Kopf ein. Hastig kritzelte der Skipper die Notfallnummer auf das Papier, unterbrach die Verbindung und wählte neu.

»Mami! Mir ist heiß!«, tönte es auf einem der Boote.

»Und ich habe Durst!«, meldete sich auch mein weiblicher Leichtmatrose zu Wort.

»Und ich muss mal!«, erklärte meine Bestfrau leise, aber schon mit deutlich verkniffenem Gesicht.

»Leinen belegen!«, ordnete ich an und entließ meine Crew damit in die Freiwache, und während Claudia über den Kühlschrank herfiel, kletterte mein holdes Eheweib gewandt wie ein Affe die Leiter empor und entschwand in Richtung Toiletten. Irgendwie musste das ein geheimes Zeichen gewesen sein, denn alle Kinder stürzten sich nun auf die Kühlschränke und ließen gluckernd kühlende Cola oder ähnliches durch die Kehlen rinnen, während ein Treck von Frauen in Richtung der Sanitärräume davonzog. Nur Gerda mochte sich nicht anschließen, man sah ihr das schlechte Gewissen förmlich an, wenn sie verschämt den Kopf kurzzeitig aus dem Schiff streckte.

Unterdessen meldete sich eine keuchende Frauenstimme am anderen Ende der Telefonleitung und der Handyskipper erklärte kurz unsere Lage.

»Tja, mein Mann is mit’n Rrrad nach’n Angeln gefaaahrn und ich hab grrroße Wäsche. Ich werd sie nich helfen können!«

Mit eindringlichen Worten machte der Handyskipper der Frau klar, wie prekär unsere Lage war und sie hatte Verständnis dafür, dass wir das Wochenende nicht in der Lintiger Schleuse zubringen mochten.

»Mir ist heiß! Darf ich ins Wasser?«, krähte ein Junge von einem der Boote und sofort wurde die Idee auf allen Schiffen mit Kindern freudig aufgenommen. Die Boote kamen gewaltig ins schaukeln, als im Handumdrehen sechs Skipperkinder in das ruhige Wasser der Schleuse sprangen, während sich unser selbsternannter Nachrichten- und Verbindungsmaat eine weitere Telefonnummer notierte, die einem der Gehilfen des Schleusenmeisters gehören sollte.

Während das Freizeichen des gewählten Anschlusses eintönig aus dem Hörer tutete, weil am anderen Ende niemand abnahm, fing es in der Schleuse an nach Spiegeleiern mit Speck zu duften. Nun, das durfte einen auch nicht verwundern, denn schließlich war es gegen Mittag und der Gewohnheit folgend, meldeten sich alle leeren Mägen mit mehr oder minder lautem Knurren. Einer der Skipper kramte aus seiner Backskiste einen Grill und einen Sack Holzkohle, stellte das Ganze neben der Schleuse auf und alsbald trugen die Skipperfrauen ganze Wurst- und Fleischberge zu dem Grillmeister. Auf den Booten wurden jetzt die Sonnenschirme aufgepflanzt, das sah zwar nicht sehr maritim aus und hatte auch mit guter Seemannschaft nicht wirklich etwas zu tun, aber es half ein wenig gegen die Sonne, die mittlerweile ihre sengenden Strahlen unbarmherzig vom Himmel sandte.

Zu dem Grill gesellten sich alsbald auch Tische, Stühle und weitere Sonnenschirme und da der Meister der Holzkohle sein Handwerk verstand, schmausten alle vergnügt das leckere Grillgut.

Alle?

Nun, es gab da am Ende der Schleusenkammer ein kleines verschlafenes Bötchen, dessen Besatzung den heranziehenden Düften von gegrilltem Fleisch tapfer Widerstand leistete. Dieser Skipper und seine Frau schienen allen Ernstes zu befürchten, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fallen würde, wenn sie nur an Deck erschienen. Erst als eine Abordnung der in der Schleuse gestrandeten Besatzungen mit einigen Gläsern Sherry an Bord der KOSTFASTNIX geschickt wurde und die unglückliche Gerda und ihren Skipper davon überzeugte, dass man ihnen nicht ernsthaft böse war, trauten auch diese beiden sich wieder unter die Leute.

Irgendwann kam eine der besorgten Mütter auf die Idee, die Erwachsenen sollten doch die Limonaden und Brausen, Säfte und Mineralwässer lieber den Kindern überlassen, man wisse ja nicht, wie lange man tatsächlich hier noch zubringen müsste. Dieser Vorschlag wurde begeistert angenommen und die Skipper begannen, ihre Bilgen nach Bierdosen, Wein und Sekt zu durchsuchen. Es war erstaunlich, welche Mengen an Alkohol so ein Familiendampfer bunkern konnte und man fragte sich, ob die vielen Flaschen und Dosen nicht beim Schlafen unter den Polstern unangenehm drückten.

Mittlerweile hatten sich auch alle an das Hupkonzert der vor den Schleusentoren wartenden, neu hinzugekommenen Schiffe gewöhnt und man lud einfach alle ein, sich an dem fröhlichen, wenn auch nicht geplanten Schleusenfest zu beteiligen. Der Grillmeister hatte zum wiederholten Mal Kohle auf den Grill gekippt, denn viele der Neuankömmlinge hatten noch einen großen Vorrat an Würsten und Fleisch dabei, als unser Notruf-Melder mit hochrotem Kopf und heiserer Stimme verkündete, dass er die fleißige Wäscherin davon hatte überzeugen können, sich auf das nächstbeste Rad zu schwingen und ihren angelnden Mann zu suchen.

Das hatte sie sogar geschafft und der verhinderte Petrijünger hatte versprochen sich auf den Weg von Stade hierher zu machen. Sein Eintreffen würde allerdings wohl noch eine Stunde auf sich warten lassen. Als so gar niemand ob dieser Meldung applaudieren wollte, ließ er enttäuscht sein Handy sinken. Der Ärmste hatte sich die Ohren und Finger wund telefoniert, und darum auch gar nicht damit gerechnet, dass die fröhliche Runde nunmehr überhaupt nicht daran dachte, mit der lustigen Schleusenparty aufzuhören. Ganz im Gegenteil: Man würde sogar handfesten Widerstand leisten, wenn es denn sein musste. Freiwillig würde man die Schleusenkammer nicht räumen!

Tatsächlich erschien nach einer guten Stunde ein schlüsselgewaltiger Staatsdiener und bekam große Augen als er das muntere Treiben sah. Oben auf der Schleusenmauer wurde inzwischen zu den Klängen einer Mini-Stereo-Anlage gerockt und gerollt, der Grill qualmte noch immer und die Kinder trauten sich auch schon von der Schleusenmauer in das kühle Nass zu hüpfen.

»Die Schleuse ist wieder frei, ihr könnt also....! Hallo, würdet ihr mal bitte...?! Ey! Ihr könnt jetzt die Kammer räumen! Verdammte Bagage, raus mit euren Eimern aus der Schleuse!!!«

Der Schleusenmeister kratzte sich am Kopf. So etwas war ihm noch nicht untergekommen. Eine hübsche Bikini-Fee reichte ihm ein kühles Bier und zog ihn mit auf die improvisierte Tanzfläche. Na gut, wenn er heute schon keinen Fisch bekam, dann wenigstens ein Bier. Und getanzt hatte seine Agathe schon seit der Silberhochzeit nicht mehr mit ihm. Und, Junge, Junge, hatte er einen Kohldampf. So ein Holzfäller-Steak, ja, das wäre schon was. Der Grillmeister hatte den hungrigen Blick nicht übersehen und im Nu war der arme geplagte Mann mit einem dampfenden Stück Fleisch versehen.

Irgendwo aus den Tiefen der Schleusenkammer, ertönte ein immer aufdringlicheres, weil ständig lauter werdendes Geheul.

»Uäääh! Papa hat es mir aber versprochen! Und ich will mein Eis mit Sahne und Früchten! Nein, nicht morgen! Heute, hat er gesagt!«

Beinahe schlagartig wurde es ruhiger. Die Bootscrews schauten sich bezeichnend an, denn zumindest die, die eigenen Nachwuchs an Bord hatten, wussten was jetzt zwangsläufig geschehen würde. Wie ein extrem gefährlicher Virus würde sich dieses Wort von Boot zu Boot verbreiten, sich in den Gehörgängen der Kinder festsetzen und von dort einen siegreichen Feldzug vom Magen bis zum Gehirn beginnen. Und das alles in Rekordzeit.

»Wenn Markus ein Eis kriegt, will ich auch eins!«, tönte es bereits vom Nachbarschiff, und oben auf der Schleusenmauer warf ein anderer Bengel seine Angelrute aus der Hand und sprang auf.

»Ich auch, aber mit Schokosoße«, forderte eine andere Stimme und nur Sekunden später halte es schaurig durch den Schleusenkessel: »Eis! Eis! Eis!«

Das eben noch in partymäßigen Small Talk vertiefte Boots-Völkchen ergab sich kampflos und begann, die inzwischen über das ganze Schleusengelände verstreuten Spielsachen, Stühle, Tische, Gläser, Becher usw. wieder einzusammeln und zu sortieren. Einige Dinge wurden hin und her gereicht, weil der wirkliche Besitzer scheinbar nicht so ohne weiteres zu ermitteln war.

»Der Skipper hier ist deiner! Ich hatte einen mit weniger Haaren!«

»Nein, das kann nicht meiner sein, der hier ist ja ganz rot und ich weiß genau, dass meiner viel käsiger im Gesicht war.«

»Sagt mal, weiß denn jemand, wem dieser Bengel gehört? Ich habe ihn gerade dabei erwischt, wie er unserem Bordhund das Tauchen beibringen wollte!«

»Geeerdaaa! Du lässt jetzt sofort den Schleusenmeister los und kommst an Bord! Gerdaaa!! Hast du gehört? Sofort!«

Grummelnd und schwarze Wölkchen paffend sprangen die ersten Diesel an, Leinen klatschten ins Wasser und einige Boote versuchten sich aus dem Päckchen mittels drücken und schieben zu lösen. Fassungslos stand ein einsamer Mann auf der Schleusenmauer und schaute kopfschüttelnd hinter den in Richtung Bederkesa entschwindenden Booten her. Jetzt hatte der Gegenverkehr freie Einfahrt und weil sie so lange darauf hatten warten müssen, wollte natürlich jeder der Erste sein, der auf der anderen Seite seine Fahrt fortsetzen konnte. Knirschend verkeilten sich eine Stahljacht und ein Kunststoffboot in der Schleuseneinfahrt, wobei das Letztere ein wenig an Breite einbüßte, dafür aber den Stahlbottich so festklemmte, dass beide nicht vor und zurück konnten.

Der noch immer kopfschüttelnde Schleusenmeister ahnte, dass sein Wochenende gelaufen war. Bis er die Schleuse endgültig geräumt und wieder befahrbar haben würde, wäre seine Agathe wahrscheinlich mit dem Weißen Riesen durchgebrannt. Seufzend ging er in sein Häuschen, griff zum Telefon und benachrichtigte nacheinander die Wasserschutzpolizei, die Feuerwehr, den Katastrophenschutz, einen Scheidungs-Anwalt und seinen Psychiater.

Drei Kilometer weiter schloss gerade der Hafenmeister von Bederkesa sein Hafenbüro um den wohlverdienten Feierabend zu genießen, als um die Kanalbiegung eine ganze Flotte von Sportbooten heran nahte. Täuschte er sich oder grölten wirklich alle Besatzungen der Boote vergnügt Seemannslieder? Wenn sie sich doch wenigstens auf eines hätten einigen können, schoss es dem Meister über alle Liegeplätze durch den Kopf, denn in der Tat klang es so, als würde auf jedem Boot ein anderer Shanty lautstark dargeboten.

Ein kurzes Getümmel gab es, als die Boote mit Nachwuchs-Matrosen an Bord sich um die Liegeplätze rangelten, die in unmittelbarer Nähe des Seerestaurants Dobbendeel lagen. Wer Bederkesa kennt, der weiß, dass es dort die besten Eisbecher gibt. Alle anderen Boote lösten sich aus dem Gewusel und fuhren freiwillig ein kleines Stück weiter um die etwas entfernteren Liegeplätze zu belegen. Hafenmeister Willy sprang auf sein Rad und spurtete zur Kanalbrücke, wo es wegen der engen Durchfahrt und den eisnahen Plätze zu einer Pulkbildung gekommen war.

»Zum Donnerwetter! Kann mir mal jemand sagen, was hier eigentlich los ist?«, donnerte er stimmgewaltig über den Kanal, sprang vom Drahtesel und lief den Deich hinab.

»Wir wollen Eis!«, jubelte mein eigen Fleisch und Blut ihm zu. »Hier, Onkel Willy! Halt mal!«

Mit diesen Worten warf sie ihm die Heckleine zu, die sie eigentlich am Steg ordentlich zu belegen hatte und rannte davon. Wozu am Poller festbinden, wenn auch der Hafenkapitän das Boot festhalten konnte? Im Laufen drehte sie sich nochmals kurz um und rief uns zu, dass wir sie im Dobbendeel finden könnten. Johlend stob eine ganze Horde Kinder hinter ihr her, während auf dem Steg ein verstörter Hafenmeister mit einem Tampen in der Hand stand und langsam dunkelrot anlief.

»Neptun!«, presste er zwischen den Zähnen hervor und war bemüht ruhig zu bleiben. »Was habe ich dir getan, dass du mich wieder einmal mit der DODI strafst? Bederkesa ist ein so netter kleiner Hafen bis zu dem Moment, wo dieses Boot auftaucht. Bitte schick diesem Katastrophenskipper eine Million, damit er sich einen so großen Dampfer kaufen kann, der nicht mehr durch den Kanal passt. Danke, Neptun!«

Ich hatte inzwischen den Diesel abgestellt und war auf den Steg gesprungen. Lachend ging ich zu dem bebenden Mann in Weiß und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.

»Hallo, Willy! DODI ist mal wieder im Lande. Sag mal, warum bindest du nicht einfach den Tampen irgendwo fest? Bis mein Töchterlein wiederkommt willst du ihn doch wohl nicht festhalten, was?«

Schluchzend ließ der Hafenkapitän den Tampen fallen, wandte sich um und wankte mit zuckenden Schultern davon. Betroffen schaute ich ihm nach und winkte meine Bestfrau heran.

Die Leiche im Kanal

Es schepperte leise, als mein mir angetrautes Eheweib, Mutter meiner Tochter, Hüterin meines Hausstandes und bester Bestmann auf meinem Boot den Wasserkessel wieder im Schrank verstaute. Mit leisem Gurgeln lief das Abwaschwasser aus dem Becken und mit ein paar schnellen und geübten Wischbewegungen mit dem Abwaschlappen war die Pantry wieder sauber und trocken. Ich bewunderte sie für ihre Fingerfertigkeit in solchen Dingen, denn bei mir dauerte das Aufklaren immer deutlich länger und brachte auch genau so deutlich nicht denselben Effekt.

Ich möchte es mal so ausdrücken: Der von mir erzeugte Glanz in der Pantry beschränkte sich nach meiner Backschaft stets auf meine schweißglänzende Stirn. Aber ich bin durchaus in der Lage anzuerkennen, wenn jemand ein Fachmann auf seinem Gebiet ist und in solchen Fällen bemühe ich mich auch darum, es ihm erst gar nicht nachmachen zu wollen. Neidlos sehe ich ein, dass diese dilettantischen Versuche eines Nachahmens sowieso niemals von Erfolg gekrönt sein würden. Außerdem ist das gedehnte »Hmmm!« meiner Kombüsenfee, ihr Griff zum Lappen und das nochmalige Nachwischen aller Einrichtungsgegenstände wirklich äußerst deprimierend und meinem Ego nicht förderlich. So bemühe ich mich also stets nach Kräften, alles zu vermeiden, was meine meist gute Laune in übelste Regionen abgleiten lassen könnte, natürlich nur um die Stimmung an Bord im grünen Bereich zu halten.

»Feddich!«, verkündete sie und schaute sich triumphierend um. Langsam kehrte ihre Übung zurück und bestimmt würde sie bald wieder neue Bestzeiten im Aufklaren der Pantry nach dem Frühstück aufstellen. Unsere Bordaufenthalte waren in der letzten Zeit nicht so häufig gewesen und sie musste sich immer wieder neu auf alle hier notwendigen Handgriffe gewöhnen. Aber wie man sah, klappte alles schon ganz gut und ich war zufrieden. Allerdings hörte ich schon jetzt das Seufzen und Schimpfen am Urlaubsende, wenn sie an Bord alles wie im Schlaf beherrschte aber zu Hause feststellen musste, dass ihre große Küche nicht mehr zu den hier geübten Handgriffen passte.

»Fahren wir weiter?«, wollte unser Nachwuchs wissen. Allerdings schien er nicht wirklich an einer Antwort interessiert zu sein. Warum auch? Das Wetter war toll, das Wasser des Kanals warm und wenn man beim Überbordhüpfen noch einen Fuß auf die Achterreling setzte, konnte man den Sprung in die Fluten erst richtig genießen. Im Moment prüfte unsere Tochter, wie man am besten mit dem Hintern zuerst im Wasser landen musste um neue Rekordhöhen der aufspritzenden Wasserfontänen zu erreichen.

»Also ich wäre dafür einen faulen Hafentag einzulegen!«, verkündete mein bessere Hälfte und ich ließ meinen erhobenen Zeigefinger sinken und die bereits eingeatmete Luft wieder ausströmen, die ich eigentlich dazu nutzen wollte, den beiden klarzumachen, dass meine Wikingergene sich nach einem Jahr harter Arbeit mehr nach Ostseewellen sehnten als nach brackiger Kanalbrühe, und dass der Weg dorthin noch weit war. Doch ich hatte blitzartig erkannt, dass meine Mannschaft nicht wirklich gewillt war, meine von urzeitlichen Vorfahren ererbten Sehnsüchte wohlwollend zu berücksichtigen. Im Geiste blätterte ich den Leitfaden „Psychologie an Bord - leicht gemacht“ durch und blieb beim Kapitel „Wie man Meutereien verhindert“ hängen. Dort stand nämlich haarklein beschrieben, wie man mit solch gefährlichen Situationen am besten umgeht. Ich beschloss mich detailliert und sehr genau an die Empfehlungen des Leitfadens zu halten.

»Das passt gut!«, behauptete ich. »Ich hätte euch nämlich dasselbe vorgeschlagen!«

Der Blick, der mich jetzt traf, war eine Mischung aus Überraschung, Misstrauen und erwachender weiblicher Neugier. Vielleicht hätte ich mich besser doch noch zum Schein ein wenig sträuben sollen, denn schon wanderte der Blick meiner Angetrauten hinaus auf den Kanal auf der Suche nach der Bikinischönen, deren Anblick ich mir ihrer Ansicht nach wohl noch eine Weile erhalten wollte. Weit und breit konnte sie allerdings nichts in dieser Form erspähen und sie beruhigte sich darum wieder. An der Bordwand klammerten sich zwei kleine Hände fest und der nasse Wuschelkopf unseres Ablegers erschien.