Abenteuer in Italien - Marie Louise Fischer - E-Book

Abenteuer in Italien E-Book

Marie Louise Fischer

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Beschreibung

Die Zwillinge Jan und Julia planen ganz außergewöhnliche Ferien in Italien, wohin sie trampen wollen. Von Zu Hause aus sieht auch alles ganz einfach aus, aber die Realität ist anders. Bald erleben sie ein Abenteuer nach dem anderen. Wie kommt man zum Beispiel ins Land ohne Pass? In Venedig lernen sie einen neuen Freund kennen. Sie erleben Verona, Florenz und Livorno, mal geht es lustig zu, mal eher aufregend. Zuletzt landen sie auf einem Schiff und wähnen sich schon in den Händen von Piraten, denn so sehen die Männer an Bord jedenfalls aus. Der Abschluss dieser höchst ungewöhnlichen Reise mutet dann fast wie ein Märchen an.-

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Marie Louise Fischer

Abenteuer in Italien

Verrückte Ferien zu zweit

Mit Illustrationenvon Ulrike Heyne

SAGA Egmont

Abenteuer in Italien

Abenteuer in Italien

Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)

represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

Originally published 1967 by F. Schneider, Germany

All rights reserved

ISBN: 9788711719428

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk — a part of Egmont www.egmont.com

Das Abenteuer beginnt

Welcher der beiden Zwillinge — ob Jan oder ob Julia — auf die tolle Idee gekommen war, in den großen Ferien nach Italien zu trampen, läßt sich nicht mehr feststellen. Tatsache war, daß beide, nachdem das Wort Italien erst einmal gefallen war, Feuer und Flamme für den großen Plan und entschlossen waren, ihn um jeden Preis in die Tat umzusetzen.

Mit Bienenfleiß, Ausdauer und auch — es muß leider gesagt werden — einer tüchtigen Portion Unverschämtheit machten sie sich daran, im Laufe des Jahres bei den Verwandten mütterlicher- und väterlicherseits für die nötigen finanziellen Grundlagen zu sorgen; sie wünschten sich zu Weihnachten und zum Geburtstag nichts anderes als Geld und noch einmal Geld. Alles, was sie zusammenraffen konnten, trugen sie zur Bank. Dort hatte ihnen Vater Spindler ein Ferienreise-Konto angelegt, das ihnen sogar noch Zinsen brachte.

Als endlich der letzte Schultag gekommen war, ließen sich die beiden ihr Konto auszahlen.

»Na, wohin geht denn die Reise?« fragte der Bankbeamte freundlich.

»Nach Italien!« verkündete Jan stolz.

»Darf ich euch dann vielleicht gleich Lire einwechseln?«

Jan sah hilfesuchend seine Schwester an. »Können wir drüben nicht auch umwechseln?« fragte Julia.

»Doch, natürlich … an der Grenze, außerdem in jeder Stadt, bei einer Bank oder Wechselstube.

»Bei einer deutschen?«

»Nein, einer italienischen natürlich!«

»Dann möchten wir vielleicht doch schon lieber hier wechseln«, entschied Jan rasch.

»Ich verstehe …«, sagte der Bankbeamte lächelnd, »italienische Zahlen haben es in sich! Soll ich euch die ganze Summe in Lire umwechseln … oder wollt ihr auch Reiseschecks?«

Wieder tauschten die Zwillinge einen fragenden Blick miteinander, und wieder war es Julia, die sich vortastete. »Wozu … ich meine … steht man sich besser mit Reiseschecks?«

»Bei größeren Beträgen unbedingt, weil sie zu einem günstigeren Kurs verrechnet werden … aber bei kleineren Beträgen sind die Bankspesen so hoch … die Unkosten, versteht ihr … daß es sich gleich bleibt!«

»Und was wir einwechseln … ist das nun in diesem Sinn ein größerer oder ein kleinerer Betrag?«

»Nun … besonders groß möchte ich ihn gerade nicht nennen«, sagte der Bankbeamte höflich.

»Dann hat es ja keinen Zweck … geben Sie uns nur ruhig alles in Lire!« entschied Jan rasch.

»Ich möchte dir nicht widersprechen … aber Reiseschecks haben noch einen anderen Vorteil … es ist nicht so gefährlich, wenn man sie verliert, wie bei Bargeld. Man schreibt auf jeden Scheck von vornherein seinen Namen und die Nummer seines Personalausweises, und wenn man sie dann doch verlieren sollte, kann man zur nächsten Bank gehen und sie sperren lassen … ein Fremder kann gar nichts mit ihnen anfangen.«

»Mit Reiseschecks ist es also sicherer?« fragte Julia.

»Genau das, kleine Dame!«

Julia errötete leicht. Um ihre Verlegenheit zu überspielen, sagte sie betont forsch: »Gut, dann nehmen wir zur Hälfte Lire und zur Hälfte Reiseschecks!«

»Und ich werde wohl überhaupt nicht gefragt, wie?« meuterte ihr Bruder, während sie zur Kasse gingen.

»Du hättest ja den Mund auftun können, als er dich gefragt hat … aber da konntest du nichts als stottern!«

Jan warf seiner Schwester einen verächtlichen Blick zu, und als sie an der Reihe waren und das gewechselte Geld und die Reiseschecks ausgezahlt bekamen, drückte er Julia die Schecks in die Hand.

»Die sind für dich«, sagte er, »weil du doch immer alles verlierst … das Bargeld nehme ich sicherheitshalber an mich!«

»Ich … und alles verlieren! Bei dir scheppert’s wohl im Oberstübchen!«

»Plustere dich nicht so auf! Steck die Schecks lieber gut weg … sie sind unsere eiserne Ration, verstanden?«

»Na klar, ich bin doch nicht blöd! Bloß eines begreife ich nicht, warum haben wir nicht soviel Lire bekommen, wie wir Mark hatten?«

»Und du behauptest, du bist nicht blöd! Weil die Lire einen anderen Kurs haben als die Mark! Eine Mark ist nicht eine Lira, verstanden?«

»Wieviel denn?«

»Woher soll ich das wissen!«

»Du hast vielleicht Nerven! Wir müssen doch in Italien mit dem italienischen Geld rechnen können … wir müssen wissen, wieviel wir für etwas bezahlen … wie sollen wir denn sonst durchkommen?«

»Wir werden Vati fragen … der weiß es bestimmt!«

Der Vater wußte es nicht nur, er hatte ihnen sogar vorsorglich eine kleine Tabelle mitgebracht, wie die Bank sie an ihre Kunden verteilte. Darauf stand links immer der deutsche Betrag und rechts daneben, wieviel Lire das wären.

»Na, Gott sei Dank … mit so einer Tabelle ist das ja piepeinfach!« rief Julia. »Und ich hatte mir schon mordsmäßige Sorgen deswegen gemacht!«

»So einfach ist das trotzdem nicht!« sagte Vater Spindler. »Ihr werdet tüchtig rechnen müssen!«

»Macht nichts«, erklärte Jan, »müssen wir in der Schule ja auch!«

Damit sie nichts vergaßen, was sie auf die große Fahrt mitnehmen mußten, machten sich Jan und Julia einen Plan. An diesem Plan arbeiteten sie in den letzten Wochen fast jeden Tag, fügten immer wieder etwas hinzu und strichen dafür etwas anderes. Endlich schien er ihnen wirklich vollkommen. Sie packten in die Rucksäcke — da hatten sie wenigstens die Hände frei — für jeden zwei Jeans, T-Shirts, einen warmen Pullover, Badesachen und noch ein Paar Sandalen, Handtücher, Waschzeug, Seife, Zahnbürste und Kamm, Streichhölzer, Taschenlampe, Verbandszeug, Campinggeschirr, Kugelschreiber und Briefpapier.

Jan steckte seinen Personalausweis — er war funkelnagelneu und der erste, den er je besessen hatte — in die Vordertasche seines Rucksacks. »Vergiß deinen Ausweis nicht, Julia«, sagte er, »sonst bist du an der Grenze im Eimer!«

»Hör doch auf!« sagte Julia großspurig. »Das sagst du mir jetzt schon zum fünftenmal … ich hab’ doch die Ausweisnummer in die Reiseschecks eintragen müssen!«

»Na und … hast du ihn eingepackt?«

»Mach dir um mich nur keine Sorgen … ich werd’s schon tun, wenn es an der Zeit ist!«

»Fertig mit Packen?« fragte der Vater beim Abendessen.

»Jawohl!« riefen die Zwillinge wie aus einem Munde.

»Nichts vergessen?«

»Kein Stück!«

»Das sollte mich aber wundern«, meinte Vater Spindler.

»Ha! Das können wir dir beweisen!« rief Julia triumphierend.

»Wir haben uns eine Liste gemacht, auf der steht, was wir eingepackt haben!« sagte Jan.

»Kann ich diese Liste mal sehen?«

»Natürlich … sofort!«

Jan wollte seinen Stuhl zurückstoßen und aufspringen. Aber da sagte die Mutter: »Jetzt nicht … nach dem Abendessen!«

Als der Vater dann später die Liste betrachtete, zog er die Augenbrauen hoch. »So …«, sagte er, »ihr glaubt, daß ihr wirklich nichts vergessen habt?«

»Ist alles drin!« erklärte Julia und klopfte stolz auf ihren prallen Rucksack.

»Daß ihr eingepackt habt, was auf der Liste steht, glaube ich euch gerne … aber seid ihr auch sicher, daß ihr alles aufgeschrieben habt, was ihr in Italien braucht?

»Na klar!« riefen die Zwillinge.

»Regenmäntel haltet ihr wohl für vollkommen überflüssig?«

»Und ob, Vati! In Italien scheint doch immer die Sonne!« behauptete Jan.

»Wenigstens im Sommer!« fügte Julia einschränkend hinzu.

»Nun, ich bin zwar noch nie in Italien gewesen, das gebe ich zu«, sagte der Vater, »aber daß es dort auch tüchtig regnen kann, das weiß ich ganz genau!«

»Dann stellen wir uns eben unter!« rief Jan.

»O ja, Vati … die ollen Regenmäntel sind doch zu lästig!« stimmte Julia dem Bruder zu.

Sie fanden es höchst überflüssig, daß der Vater auf den Regenmänteln als notwendigem Gepäck bestand, wagten aber nicht, ihrem Ärger deutlich Luft zu machen. Sonst wäre womöglich die ganze Italienreise ins Wasser gefallen. Den Proviant dagegen, den die Mutter ihnen zusteckte, nahmen sie mit Begeisterung in Empfang. Und — es muß wahrheitsgemäß berichtet werden — sie teilten sich noch am selben Abend eine Tafel Vollmilch-Schokolade, die für die Reise bestimmt war.

Am nächsten Morgen waren Jan und Julia schon in aller Herrgottsfrühe auf den Beinen und steckten die ganze Familie an mit ihrem Reisefieber. An einem gewöhnlichen Schultag wäre es ihnen nie gelungen, sich so blitzschnell anzuziehen wie heute. Am Frühstückstisch war ihnen der Magen wie zugeschnürt.

»Wollt ihr wirklich nichts mehr essen?« fragte die Mutter.

»Gar keinen Hunger!« antwortete Julia.

»Wir haben es schrecklich eilig«, sagte Jan, »ich muß ja noch die Fahrkarten besorgen!«

Die Mutter musterte ihre beiden Großen mit liebevollem Stolz — sie glichen sich zwar nicht wie ein Ei dem anderen, waren sich aber doch sehr, sehr ähnlich. Beide hatten sie hellblonde Haare — Julia nur wenig längere als Jan — beide hatten sie strahlende, hellblaue Augen und Stupsnasen, die mit Sommersprossen übersät waren.

An diesem Morgen sahen die Zwillinge besonders unternehmungslustig aus, sie schienen ihre Nasen noch ein paar Zentimeter höher zu tragen als sonst.

Die ganze Familie begleitete ihre reiselustigen Großen zur Trambahn-Haltestelle. Jan und Julia gingen zwischen den Eltern, mit großen, energischen Schritten. Die Drillinge Peter, Peggy und Pünktchen hielten sich an den Händen und hüpften vor ihnen her.

Jan und Julia waren froh, daß die Straßenbahn kam, kaum daß sie an der Haltestelle standen. So fiel der Abschied sehr kurz und ohne mütterliche Tränen aus. Sie kletterten mit ihren schweren Rucksäcken in die Tram und winkten den Eltern und den Drillingen zu, solange sie sie sehen konnten.

»So«, sagte Jan dann aufatmend, »das hätten wir geschafft! Hoffentlich klappt’s weiter in dem Tempo!«

»Sind wir rechtzeitig am Bahnhof? Weil du noch die Karten besorgen mußt, meine ich!« wollte Julia wissen.

»Glaub’ schon«, sagte Jan nach einem Blick auf seine Armbanduhr.

»Wann geht unser Zug denn?« forschte Julia.

»Hab’ich mir die Abfahrtszeit aufgeschrieben, oder du?«

»Man darf doch wohl noch fragen!«

Fast hätten sie nicht gemerkt, daß sie schon beim Hauptbahnhof waren. Erst in letzter Sekunde drängten sie sich durch die einsteigenden Fahrgäste und sprangen vom Trittbrett. Dann marschierten sie Seite an Seite auf die Schalterhalle los.

»Zweimal Kufstein!« verlangte Jan.

»Aber, Jan!« Julia stieß ihn in die Rippen.

»Ruhe!« unterbrach er sie barsch.

»Einfach oder auch retour?« fragte der Beamte.

»Einfach!«

Die beiden Fahrkarten wurden auf die Drehscheibe gelegt, Hans legte sein Geld auf die andere Seite, die Fahrkarten und das Wechselgeld kamen auf ihn zu.

»Aber, Jan, ich bitte dich! Wieso hast du bloß bis Kufstein genommen? Und warum keine Rückfahrkarten? Das wäre doch viel billiger gewesen!«

»Weißt du, ob wir wieder mit der Bahn zurückfahren?«

»Warum nicht?«

»Warum nicht? Weil uns hoffentlich jemand mit dem Auto mitnimmt!«

»Ach so!«

»So was von langer Leitung!« seufzte Jan.

»Aber das ist doch kein Grund, bloß bis Kufstein zu fahren! Es wäre doch viel besser gewesen, wenn wir wenigstens bis zur Grenze gefahren wären!«

»Besser vielleicht … aber auch teurer!« Jan war vor einem der gelben Plakate mit den Abfahrtszeiten der Züge stehengeblieben. »Bahnsteig sechs«, sagte er.

»Welcher Zug ist es denn? Zeig mal!«

»Der hier!«

»Was? Der fährt ja erst neun Uhr fünfzehn, das sind ja noch fast zwei Stunden! So etwas Blödes!« schimpfte Julia. »Wenn du so weitermachst, werden wir die halbe Zeit in Italien auf Bahnhöfen herumstehen!«

»Undankbares Geschöpf! Freu dich, daß wir überhaupt hier sind! Was hättest du davon, wenn du noch stundenlang zu Hause herumhockst? Höchstens, daß die Drillinge uns unseren Proviant abluchsen … oder der Vati uns am Ende im letzten Augenblick die Reise doch noch verbieten würde!«

»Reiseproviant! Ha, das ist ein Trost!« meinte Julia. »Ich habe gräßlichen Hunger!«

»Du willst doch nicht jetzt schon …?«

»Warum nicht?« sagte Julia und begann ungerührt ihren Rucksack auszupacken. »Mutti hat uns die Sachen doch mitgegeben, damit wir nicht zu hungern brauchen!« Sie biß herzhaft in eine kleine Hartwurst.

»Weißt du, was du bist?« sagte Jan. »Ein Frißling … ein ausgesprochener Fall von einem Frißling!« Aber schon hatte er selber in den Rucksack gegriffen und sich ein hartgekochtes Ei herausgeholt.

Nebeneinander hockten sie auf der Bank, kauten mit vollen Backen, beobachteten das Leben auf dem Bahnhof und fanden alles äußerst interessant.

Pünktlich auf die Minute rollte der Zug, auf den sie warteten, in die Bahnhofshalle ein und blieb fauchend und schnaufend stehen. Stuttgart — Ulm — München — Rosenheim — Kufstein — Innsbruck — Brenner — Venezia, stand auf einigen Waggons, auf den anderen aber Padua — Bologna — Firenze — Roma.

»Du, schau mal, Jan!« rief Julia. »Das sind ja zwei verschiedene Züge! Wie kommt denn das?«

Der Zugführer kam gerade vorbei und drehte sich um.

»Wohin denn, kleines Fräulein?« fragte er freundlich.

»Nach Italien!«

»Dahin fährt der Zug auf jeden Fall … es fragt sich nur, ob ihr in Richtung Venedig oder Rom wollt … in Verona werden die Waggons nach Venedig nämlich abgehängt!«

»Ach, so ist das!« sagte Julia erleichtert. »Dann weiß ich Bescheid!«

Es war ein Glück, daß Jan seine Zeit nicht mit unnützen Fragereien vertan, sondern inzwischen schon zwei Fensterplätze belegt hatte, and zwar in einem der Waggons, die nach Venedig fuhren. Der Zug wurde nähmlich bis auf den letzten Platz besetzt, ja, einige Fahrgäste standen sogar in den Gängen.

Eine auffallend hübsche junge Frau bemühte sich, ihre beiden Koffer ins Netz zu bekommen. Jan und Julia sprangen hilfsbereit auf und versorgten die Gepäckstücke oberhalb ihres Sitzes, Jan bot ihr sogar mit einer schwungvollen Verbeugung seinen Fensterplatz an.

Die junge Frau zeigte lächelnd wunderschöne Zähne und ließ auf die Zwillinge einen Schwall von Worten los, die in einer Sprache gesprochen wurden, von der die beiden keinen Ton verstanden. »Mille grazie …«, das kehrte in diesem Wortschwall immer wieder, »mille grazie« — aber was sollte das heißen? Jan und Julia überlegten krampfhaft und wußten nicht was sie antworten sollten; es konnte eigentlich nur Italienisch sein, was der schwarzäugigen Schönheit so mühelos über die Lippen floß. Jan entdeckte eine weiße Karte, die an ihrem Koffer befestigt war, darauf stand: ›Annunciata Perruggia Venezia‹.

Daß Venezia nichts anderes als Venedig heißt, das wußte Jan, und er kombinierte, daß die junge Frau Italienerin war, geheimnisvoll flüsterte er diese Erkenntnis Julia ins Ohr.

»Na, wenn schon«, sagte seine Schwester ungerührt, »deshalb hättest du ihr doch nicht deinen Fensterplatz anzubieten brauchen!«

»Geht dich das was an?«

»Zum Glück nicht — sonst würde ich mich schön ärgern!«

»Der Zug … Innsbruck … Brenner … nach Venedig und Rom steht zur Abfahrt bereit auf dem Bahnsteig sechs«, verkündete eine melodische Frauenstimme durch den Lautsprecher, und den Zwillingen zog ein merkwürdiges Gefühl den Magen zusammen, als ihnen richtig klar wurde, daß sie selber ja in diesem Zug saßen.

»Zwick mich mal ins Bein, damit ich merke, daß ich nicht nur träume«, flüsterte Julia ihrem Bruder zu, aber der schnaufte nur verächtlich.

Der Fahrdienstleiter zwirbelte mit der linken Hand seinen Schnurrbart, mit der anderen hob er seinen Signalstab, und der Zug setzte sich in Bewegung.

»Wir wünschen Ihnen eine gute Reise!« rief die Frauenstimme aus dem Lautsprecher, und Jan und Julia war es zumute, als ob dieser Wunsch nur ihnen beiden gegolten hätte.

Erste Hindernisse

Vor dem Eingang der Paß- und Zollstelle der Grenzstation Kufstein stand ein Riese von einem Grenzpolizisten.

»Bitte, Pässe und Ausweise vorzeigen!« forderte er, als Jan und Julia das Bahnhofsgelände verlassen wollten.

Jan fuhr mit der Hand in die Außentasche seines Rucksacks, und schon hielt er seinen nagelneuen Ausweis dem Beamten vor die Augen.

»Danke, bitte weitergehen!«

Jan drehte sich nach Julia um. »Na, komm schon!«

Julia kniete auf dem Boden, den Inhalt ihres Rucksacks hatte sie schon auf der Erde ausgebreitet.

»Was suchst du denn?« fragte ihr Bruder ungeduldig.

»Meinen Personalausweis«, erwiderte Julia mit größter Selbstverständlichkeit.

»Ja, Menschenskind … hast du etwa deinen Ausweis verloren?«

»I wo!«

»Wo ist er dann?«

»In meiner Schublade zu Hause!«

Jan beugte sich zu seiner Schwester herunter. »Wie bitte … Schublade zu Hause? Ich höre wohl nicht richtig! Du hast deinen Ausweis zu Hause vergessen?«

»Du sitzt wohl wirklich auf den Ohren!«

»Aber ich habe dir doch … mindestens hundertmal habe ich dir gesagt … ach, mit euch Mädchen hat man eben nur Ärger! Hätte ich dich bloß zu Hause gelassen! Was machen wir denn bloß?«

»Das weiß ich doch nicht! Du bist ja hier der Boß!«

»Umkehren tu ich auf keinen Fall!«

»Meinst du, ich?«

»Aber ohne Ausweis kommst du nicht über die Grenze!«

»Mal sehen!« sagte Julia seelenruhig. Stück für Stück packte sie alles wieder in ihren Rucksack zurück, trat mit strahlendem Lächeln auf den riesengroßen Grenzpolizisten zu, und pflanzte sich vor seiner Nase auf. »Ich habe meinen Ausweis vergessen, Herr General«, sagte sie, »was machen wir nun?«

Der Beamte schob seine Dienstmütze aus der Stirn und grinste. »Was wir machen, mein liebes Fräulein, das weiß ich nicht … aber was ich mache, das weiß ich ganz genau!«