Als Unternehmer bei der Polizei - Nickolas Emrich - E-Book

Als Unternehmer bei der Polizei E-Book

Nickolas Emrich

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Beschreibung

Freiwillig vom Franchise-Unternehmer zum Leben als Beamter bei der Berliner Polizei. Ist das möglich? Das Leben ist zu kurz für nur eine Berufswelt – eine der Thesen von Nickolas Emrich und Grund genug, sich noch aus seinem laufenden Franchiseunternehmen heraus bei der Polizei zu bewerben. In diesem Buch nimmt er uns mit auf eine Reise durch seine Zeit an der Polizeiakademie in Berlin bis hin zu seinem Dienstantritt auf der Alexwache, der Vorzeigewache Berlins, mit all den abstrusen Fällen, die dort auf einen frischen Absolventen und jungen Polizisten warten. Als Kommissar wird er selbst zur Lehrkraft an der Polizeiakademie, um dann aufgrund von Diskrepanzen und der Unvereinbarkeit der dortigen Denkkultur mit seinen Grundsätzen die Behörde wieder freiwillig zu verlassen. Selten wurde einem der Zwiespalt zwischen dem Leben in einer muffigen Bürokratie und der "Unternehmerdenke" so vor Augen geführt wie in diesem Buch, welches am Ende dennoch einen realistisch-positiven Einblick in die Polizeiarbeit vermittelt – in den Alltag, die Probleme und die Struktur der Berliner Polizei. Aufgrund dieser seltenen Mischung eignet es sich sowohl für klassische Roman-Leser als auch für Berufsinteressierte und aktiv im Dienst befindliche Polizeibeamte. Die Geschichten in diesem Buch sind überwiegend unterhaltsam, doch auch kritische Themen werden klar angesprochen – ehrlich, aber immer differenziert. Ein spannendes Stück Zeitgeschichte in Buchform.

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Seitenzahl: 333

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Als Unternehmer

bei der Polizei

Von der Unternehmer-

zur Beamtendenke

Nickolas Emrich

© 2022 Nickolas Emrich

Weitere Mitwirkende:

Markus Coenen (markus-coenen.de)

ISBN Softcover: 978-9916-9849-4-9

ISBN Hardcover: 978-9916-9849-3-2

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

Gedruckt von Amazon Media EU S.à r.l.

‚5 Rue Plaetis, L-2338, Luxemburg

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: Infinitas Media ÖU, Narva mnt 5, 10117 Tallinn, Estland.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1: Alles auf Anfang

Kapitel 2: Von der Polizei zur Feuerwehr

Kapitel 3: Kein Feuer, aber viele Leichen

Kapitel 4: Clash zweier Welten und ein magisches Kaninchen

Kapitel 5: Die Metamorphose

Kapitel 6: Gewalt kennt nur Verlierer

Kapitel 7: Ein starkes Team

Kapitel 8: Verzockt, gescheitert und gerettet

Kapitel 9: Im Einsatz auf der Alexwache

Kapitel 10: Der Dienst auf dem Platz

Kapitel 11: Die letzte Schlacht

Kapitel 12: Von der Wache ins Büro

Kapitel 13: Altes Spiel, neues Glück

Kapitel 14: Ein unerwarteter Umbruch

Kapitel 15: Ein Abschied und ein Wiedersehen

Kapitel 16: Der Anfang vom Ende

Kapitel 17: Knapp verfehlt ist auch daneben

Schlusswortdes Autors

Vorwort

Unser Leben ist viel zu kurz für nur einen Berufsweg. Mit dieser Feststellung verließ ich damals während des Jurastudiums den Berater der Agentur für Arbeit. So viele Möglichkeiten und so wenig Zeit. Schon seit der Schulzeit war ich überzeugt, dass ich nicht den klassischen Lebensweg aus Schulausbildung, einer ewig gleichen Arbeitsstelle und Tod gehen wollen würde. Ich fand, der Weg durch das Leben sollte eher einem prachtvollen, vollendeten Kunstwerk statt einer eintönig beklecksten Leinwand gleichen.

So war mir schon in jungem Alter bewusst, dass ich erst einmal viel Geld verdienen müsste, um eine Basis zu haben, auf deren Grundlage ich danach jeden Beruf wählen könne, auf den ich Lust habe und nicht, weil ich einfach nur Geld verdienen müsse. Denn bei einem war ich sicher: Ich wollte nicht in ein Abhängigkeitsverhältnis starten, welches ich dann, wenn es mir nicht mehr gefiele, weiter ausüben müsste, nur weil ich monatlich das Geld brauchte. Aus meiner Sicht ergeht es leider vielen Menschen in unserer Gesellschaft so und genau dieses Schicksal wollte ich um jeden Preis vermeiden.

Diese finanzielle Unabhängigkeit konnte man meiner Meinung nach nur über eine Selbstständigkeit erreichen. Aber nicht, indem ich irgendein Produkt erschuf und dieses entsprechend vermarkten müsste, nein, der sicherste Weg für mich war eine Karriere im Franchise.

Also nicht nur, dass ich den Berater der Agentur für Arbeit damit bemühte, welcher Karriereweg denn der richtige für mich sei, nein, während des Studiums befasste ich mich obendrein monatelang auch noch damit, welches Franchiseunternehmen das beste für mich wäre. Nach etlichem Abwägen entschied ich mich schlussendlich für „immergrün“, ein junges Unternehmen, das Smoothies, frisch gepresste Säfte, Wraps und Salate verkaufte.

Innerhalb von vier Jahren übernahm ich meine erste Filiale in Hamburg, verkaufte diese, startete erneut mit zwei weiteren Filialen in Kiel durch, verkaufte diese ebenfalls, um dann schlussendlich wieder in meiner Heimatstadt Berlin zu landen, um dort weitere zweieinhalb Läden in der „Mall of Berlin“ zu eröffnen und diese wiederum zu verkaufen.

Das erste Etappenziel meines Lebens war nun wahr geworden. Wer mehr über mein Leben in der Franchise-Gastro lesen möchte, kann dies gerne in meinem ersten Buch tun:

Mein Weg in die Franchise-Gastro – Die Abenteuer eines Jungunternehmers

ISBN: 9949740428

Nicht nur, dass mich das Leben als Selbstständiger ungemein reizte, hatte ich auch noch eine zweite Faszination: das Leben als Polizist. Nachdem ich nach der Schulzeit und dem Studium das nächste Level meines Lebens, das der Selbstständigkeit, durchgespielt hatte und nun auch ausreichend Kapital in der Tasche hatte, um unabhängig zu sein und um das Leben als das Spiel zu betrachten, das es aus meiner Sicht sein sollte, war es jetzt an der Zeit, mein neues Leben als Polizist, über welches dieses Buch handelt, anzugehen.

Kapitel 1:Alles auf Anfang

Frühling ist ja oft die beste Zeit für einen Neubeginn.

Wir schreiben den 1. April 2015 und ich werde meinen Dienst bei der Polizei beginnen.

Soweit eigentlich nichts Aufregendes, bis auf den Fakt, dass ich bis dato als Unternehmer selbständig unterwegs war und mich nun in die Welt des Beamtentums begab.

Eine kurze Rückblende aus dem ersten Buch:

In den letzten Jahren hatte ich als Inhaber fünfeinhalb Filialen von „immergrün“, der „Quarkerei“ und „Helden am Grill“ übernommen oder eröffnet, um sie dann wieder zu veräußern. Parallel hatte ich das firmeninterne Netz der Gebietsbetreuung von „immergrün“ ausgebaut und optimiert.

Diese Gebietsbetreuung war im Franchisenetzwerk mein Baby und ich steckte viel Herzblut in die Sache. Bei dieser Gebietsbetreuung bestand die Haupttätigkeit darin, Store-Checks für sämtliche Immergrün-Filialen durchzuführen, Filialinhabern bei der Optimierung ihrer Läden mit dem Inhouse-Consulting zu helfen und Interessenten zu beraten.

Dementsprechend oft war ich deutschlandweit mit der Bahn unterwegs und dabei fiel mir eines Tages eine Werbung in der Berliner U-Bahn für eine Ausbildung oder ein Studium bei der Berliner Polizei ins Auge, die mich an meinen einstigen Berufstraum erinnerte. Zugfahrten können manchmal lang werden, daher habe ich auf meiner anschließenden Fahrt durch Deutschland online den dafür nötigen Vortest mehr oder weniger zum Spaß absolviert. Ich ging gar nicht davon aus, dass dieser Test zwingend zu einem Erfolg führen würde, denn ich habe ihn eher oberflächlich gemacht und mich auch überhaupt nicht darauf vorbereitet. Mir war zu diesem Zeitpunkt absolut klar, dass es viele Bewerber geben würde und ich ging davon aus, dass ich den Test nicht bestehen würde. Aber schon beim Ausfüllen verspürte ich das Bedürfnis, diesen Test bis zum Ende konzentriert durchzuführen, weil ich es spannend fand, vielleicht doch schneller als erwartet bei der Polizei zu landen.

Der Switch vom Unternehmer zum Beamten mag vielleicht absurd klingen, aber die Tätigkeit als Polizist war in gewisser Weise schon immer mein Jugendtraum gewesen. Aber wie schon vorab ausreichend ausgeführt, hatte ich mich nach der Schule noch nicht für die Polizei beworben, weil ich erst einmal Geld verdienen wollte. Also richtiges Geld, viel Geld. Dafür wollte ich zunächst einmal Unternehmer werden.

Ein weiterer Grund, meinen Jugendtraum kurz nach dem Abitur nicht zu verfolgen, war, dass ich kurz nach der Schule meiner Meinung nach viel zu schlecht schwimmen konnte und dies als patente Ausrede für meinen Geist nutzte, mich nicht bei der Polizei zu bewerben und diese Herausforderung nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt angenommen zu haben.

Dennoch hatte sich dieser Jugendtraum hartnäckig in mein Unterbewusstsein eingeprägt und sich seitdem immer wieder gemeldet. Besonders während des Studiums hatte ich eine Phase, in der dieser tickernde Gedanke für viele schlaflose Nächte sorgte: „Warum habe ich mich nur nicht bei der Polizei beworben? Warum habe ich das nicht gemacht? Das wäre doch so spannend geworden!“

Meine kleine, nun, nennen wir es Inkonsequenz, hatte ich während des Studiums immer etwas bereut, besonders wenn ein Polizeiwagen an mir vorbeifuhr und es sehnsüchtig in meinem Herzen ziepte.

Doch mit dem Abtauchen in die Immergrün-Welt saugte mich die Selbstständigkeit dermaßen ein, dass ich meinen Jugendtraum für einige Zeit vergaß. Bis eben zu diesem denkwürdigen Tag in der Berliner U-Bahn mit der Werbung für die Berliner Polizei.

Zu meinem Erstaunen wurde ich direkt nach dem Online-Test zum „richtigen“ Einstellungstest eingeladen und habe diesen ebenso überraschend im ersten Anlauf erfolgreich absolviert. Natürlich wollte ich diese Herausforderung nun endlich annehmen, hatte ich diesen Schritt doch so viele Jahre vor mir hergeschoben und verdrängt. Mit dem mittlerweile erlangten finanziellen Hintergrund begann ich diesen Wink des Schicksals als ein weiteres Lebensexperiment zu sehen.

Nicht nur, dass ich wirklich Lust auf diese Tätigkeit hatte, fand ich andererseits auch, dass mir das Leben auf diese Weise ermöglichte, eben dieses aus den verschiedensten Perspektiven zu sehen. Und falls wir nur dieses eine Leben haben sollten, sollte es auch in all seinen Möglichkeiten gelebt werden.

Und wie der Zufall oder das Schicksal, wer weiß das schon genau, es wollte, war ich zum Zeitpunkt der angedachten Einstellung nur noch in die Gebietsbetreuung involviert. Für diese hatte ich ein separates Unternehmen gegründet, in dem Julia, wir kennen sie noch aus dem Vorgängerbuch, die Rolle der Geschäftsführerin übernahm und mich „ablöste“.

Als ich nun mit dem Studium bei der Polizei begann, wurde ich Beamter und in diesem Status durfte ich maximal acht Stunden wöchentlich für diese, meine, Firma tätig sein.

Dies sollte jedoch kein Problem werden, denn meine neue Aufgabe bestand hauptsächlich darin, dass ich weiterhin die Einstiegsgespräche mit potentiellen neuen Franchisepartnern, die sich für das Immergrün-Franchise-System beworben hatten, durchführte. Durch meine Karriere innerhalb der Immergrün-Welt war ich für diese Aufgabe prädestiniert. Wer, wenn nicht ich, konnte nach vier Jahren im Turbo durch die Immergrün-Franchise-Welt bis hin zum Aufbau der Gebietsbetreuung mehr über „immergrün“ erzählen als ich.

Selbst zu diesem Zeitpunkt brannte ich noch für die Franchisewelt und konnte meine Begeisterung sowie eine realistische Einschätzung der Tätigkeit als Franchisenehmer mit allen Vor- und Nachteilen sowie Risiken an zukünftige Unternehmer weitergeben, und somit auch ehrlich auf sämtliche Fragen und Sorgen antworten.

Diese Gespräche führte ich oft nachmittags nach der Polizeiausbildung und sie dauerten meist um die zwei Stunden. Wenn dann am Ende der Bewerber immer noch Interesse hatte, übernahmen Julia oder Sandra die weitere Betreuung.

Doch auf zu neuen Ufern, denn aus dieser Firmengeschichte schloss sich nun das neue Abenteuer bei der Polizei an, über welches ich hier nun schreiben werde.

Mir war schon bewusst, dass es eine große Umstellung für mich werden würde, schon aus reiner Unternehmersicht, die einen ja nach den Jahren in der Selbstständigkeit durchaus prägte. Als Selbstständiger sieht man die Dinge meistens nur noch aus der Sicht des Arbeitgebers und denkt leistungsorientiert, gleichzeitig fährt man ständig volles Risiko, ohne sozialpolitisches Netz, ohne Absicherung gegen Verluste. Durch das Leben als Unternehmer wird man hart und blendet allzu oft die Arbeitnehmersicht aus, genauso wie Arbeitnehmer (oft) kein Verständnis für Arbeitgeber haben.

Was würde mich nun als Polizist erwarten, mit welchem Rollendenken würde ich nun in Zukunft konfrontiert werden? Ich war neugierig.

Nach meiner Zusage von der Polizei war ich ab dem ersten Moment Feuer und Flamme, denn ein Jugendtraum wurde wahr. Es sollte noch ungefähr vier Monate bis zum eigentlichen Beginn des Studiums dauern, aber ich war schon jetzt am Organisieren und Vorbereiten, denn ich konnte den Unternehmer in mir einfach nicht ausschalten.

Ich begann damit, Treffen mit meinen zukünftigen Kollegen zu initiieren. Dafür schrieb ich in einem Polizeiforum Mitbewerber an, die ebenfalls den Test bestanden hatten und mit mir zeitgleich die Ausbildung oder das Studium starten würden, und fragte, ob wir uns nicht vorab treffen wollten.

Obwohl ich im gehobenen Dienst beginnen würde, habe ich explizit bei den Vorabtreffen auch den mittleren Dienst angesprochen. Ich habe bei den Anwärtern für den Polizeidienst keinen Unterschied gemacht, wozu auch? Der Unterschied bestand doch lediglich darin, dass der mittlere Dienst am Ende der Ausbildung hauptsächlich auf den Hundertschaften eingesetzt werden würde, während der gehobene Dienst mindestens das Abitur benötigte, um zu studieren und dann am Ende auch als Sachbearbeiter oder Führungskraft eingesetzt werden zu können, aber schlussendlich waren wir alle Polizisten.

Und auf diese Weise hat sich dann tatsächlich eine kleine Gruppe gebildet, die neben mir auch noch aus Bawan, Philipp, Sebastian, Alex, Michi, Steffi und Isabel bestand. Relativ schnell fand ein erstes gemeinsames Treffen in einer Bar in Berlin statt, das wir dann noch zwei oder dreimal so wiederholt haben.

Diese Treffen waren für uns alle etwas Besonderes, denn jeder von uns befand sich zu diesem Zeitpunkt an einer Stelle im Leben, an der sich unser zukünftiger Lebensweg nachhaltig ändern würde – und unserem Gefühl nach definitiv zu etwas Positivem und Aufregendem. Wir alle spürten diese Aufbruchstimmung, denn die meisten von uns hatten vorher etwas vollkommen Artfremdes gemacht. Vor jedem Treffen in der Bar haben wir uns alle sehr gefreut, die Euphorie dieser magischen Zeit war einzigartig.

Mit Philipp und Sebastian hatte ich mich parallel noch öfter ab und an auf dem Sportplatz verabredet, denn uns war klar, dass die Ausbildung auch eine gewisse Sportlichkeit voraussetzte. Hier hatte ich definitiv Nachholbedarf, denn mein einziger Sport in der Gastronomie war das Schleppen von Kisten. Mit den beiden traf ich mich zum Trainieren, was unsere gemeinsame Vorfreude noch weiter steigerte, denn auf diese Weise wuchsen wir bereits Monate vor der eigentlichen Ausbildung ein wenig zusammen.

Unser Gemeinschaftsgefühl untereinander hatte sich dadurch schon vor Ausbildungsbeginn ausgeprägt, denn so ein Neubeginn hat ja schon eine besondere Faszination inne, nur dass wir diese durch unsere Gruppe noch gesteigert haben. „Geteilte Freude ist doppelte Freude“, sagt man schließlich nicht umsonst.

Natürlich gab es auch einen Wermutstropfen, welcher als polizeiärztliche Untersuchung daherkam. Bei dieser Untersuchung kamen wir das erste Mal richtig mit dem Behördenmief innerhalb der Polizei in Berührung. Dieser wurde nur noch durch die abgelebten Räumlichkeiten, die den Aktenstaub aus Jahrzehnten atmeten, verstärkt, welche wir nun auf den einzelnen Stationen unseres Gesundheitschecks passieren durften.

Leicht kafkaesk wurden wir in dem riesigen Gebäude der Polizeiakademie von einem Raum in den nächsten Raum geschickt, vom Hörtest, zur Skelettuntersuchung, dem Test der Lunge und hin zum Urintest. Unterwegs sah ich viele bekannte Gesichter aus unserer Gruppe und wir warfen uns dabei bedeutsame Blicke und flüsterten kurze Informationen zu, denn wir mussten während dieser Untersuchung die verschiedensten Befragungen über uns ergehen lassen, sei es zu Vorerkrankungen oder Tätowierungen, und waren immer neugierig, was die anderen bereits davon zu berichten hatten.

Manche alteingesessenen Mitarbeiter, auf die wir während dieser Tour trafen, atmeten diese unfassbar schwere Lustlosigkeit aus, die einem fast den Atem nahm. „Der nächste bitte...“, rief es schlapp aus dem nächsten Raum.

Wir konnten dieses Verhalten bei unserer aktuellen Euphorie gar nicht verstehen: Wie konnte man bei einem derartig großartigen Beruf so unmotiviert sein? Glücklicherweise handelte es sich dabei jedoch nur um ein paar wenige zukünftige Kollegen, aber dennoch war das für uns irritierend.

Dann war es endlich so weit: Der erste Tag stand an. An einem sonnigen Mittwoch im April, genauer: am 01. April 2015, wurden die Anwärter des gehobenen Dienstes an der Polizeiakademie aufgenommen, die Kollegen des mittleren Dienstes begannen bereits einen Monat vorher.

Diese Aufnahme war mit einem feierlichen Festakt verbunden, der in einem großen Saal auf dem Gelände der Polizeiakademie in Berlin-Ruhleben stattfand. Wir betraten nun das erste Mal dieses Gebäude, fanden uns gemeinsam in dem Saal ein und suchten uns einen Platz in den vor der Bühne aufgereihten Stuhlreihen. Natürlich versuchten wir, die wir uns kannten, so nah wie möglich beieinander zu sitzen.

Kurze Zeit später begann das Begrüßungsprogramm: Exklusiv für uns gab es verschiedene Reden und Vorträge, kleine Musikstücke wurden aufgeführt und wir wurden in dieser Form feierlich in die Polizei aufgenommen.

Danach wurden wir alle nach und nach aufgerufen, bekamen unsere Ernennungsurkunden und konnten uns danach in die verschiedenen Listen für die jeweiligen Klassen eintragen. Die Klasse durfte man sich aussuchen und da sich neben mir nur Alex und Sebastian für den gehobenen Dienst beworben hatten, trug ich mich natürlich in eine Klasse mit den beiden ein. Alle anderen aus unserer Gruppe waren, wie schon gesagt, im mittleren Dienst und teilten daher keine Unterrichtsstunden mit uns.

Als wir alle gemeinsam aufgeregt und hochmotiviert nach der Veranstaltung das Gebäude verließen, empfing uns der Frühling und einige Versicherungsvertreter vor dem Gebäude mit voller Wucht. Während die Luft endlich lau wurde und es überall nach Aufbruch roch, standen am Fuße der Treppe unzählige Vertreter von diversen privaten Krankenversicherungen und den Polizeigewerkschaften und wollten unsere Unterschriften gegen Werbegeschenke tauschen.

Kapitel 2:Von der Polizei zur Feuerwehr

Endlich war es so weit, der erste Tag des Polizeistudiums begann für uns. Anfangs war meine Begeisterung sehr groß, als ich alle Mitstudierenden in meiner Klasse näher kennenlernen konnte. Zwischen uns herrschte von Anfang an pure, und ich möchte fast sagen, übertriebene Harmonie. Scheinbar gingen alle mit der gleichen Euphorie in die Ausbildung und zeigten zumindest in den ersten Tagen den puren Willen, dass die Klasse wirklich eine Einheit werden würde.

Und diese Harmonie und Euphorie hat man sowohl persönlich als auch im Klassenchat gespürt, der natürlich noch am ersten Tag eingerichtet wurde. Dieser Klassenchat in einer gängigen Messenger-App erstaunte mich, denn selbst hier wurde sich die Zeit genommen, absolut korrekt und grammatikalisch fehlerfrei zu schreiben. Sogar die Punkt- und Kommasetzung war „auf den Punkt“ gebracht. Das war ich bisher nicht gewohnt gewesen, denn in meinem bisherigen Leben in der Gastronomie benötigte es des Talentes, sich die im Chat geschriebenen Worte laut aneinander zu reihen, um einen Sinn zu erkennen. Ich fand das damals nicht weiter schlimm, wichtig war doch, dass man sich am Ende verstanden hat. In meiner Zeit in der Gastronomie war ich es gewohnt, dass ich einer der wenigen dort war, die auf eine korrekte Schreibweise Wert legten und plötzlich war ich in einer Klasse mit insgesamt dreißig Leuten, die allesamt im Chat korrekt und in ganzen Sätzen fehlerfrei geschrieben haben. Selbst wenn doch mal aus Versehen ein Wort falsch geschrieben wurde, wurde dieses direkt unterhalb des gerade geschriebenen Beitrages korrigiert. Das war für mich auf einmal eine komplett neue Welt: ein respektvolles Miteinander und dieses auch noch grammatikalisch korrekt ausgedrückt.

Alle wirkten auf mich in diesen ersten Tagen sehr motiviert und gründlich und entsprechend groß war die Vorfreude auf das, was jetzt noch kommen würde.

In diesen ersten Tagen wurde uns die genauere Struktur und der zeitliche Aufbau des Studiums erklärt. Wir wussten zwar schon, dass das Studium insgesamt sechs Semester, also drei Jahre, dauern würde, doch zu unserer großen Freude waren auch schon im ersten Semester erste Praktika angekündigt, welche dafür sorgen würden, dass man als Student einen ersten Einblick in die praktische Polizeiarbeit bekommen würde.

Die Praktika teilten sich in zwei Wochen auf: jeweils eine Woche Praktikum auf einem Polizeiabschnitt und die zweite Praktikumswoche sollte bei K1, dem Kriminaldauerdienst, stattfinden. Im Grunde genommen genau dort, wo es unserer Meinung nach richtig spannend werden könnte. Zwei Wochen Praktikum klingen auf ein halbes Jahr hochgerechnet vielleicht nicht viel, doch bei uns als neu angetretene Polizeistudierende löste die Aussicht große Vorfreude aus.

Das Studium war zu diesem Zeitpunkt so konzipiert, dass in den jeweiligen Semesterferien noch weitere Seminare stattfinden würden und in diesen wurde dann die eigentliche Praxis unterrichtet. Diese praktischen Lehrgänge waren unterteilt in verschiedene Fächer, wie beispielsweise Verkehrspostentraining oder den Funklehrgang. Es gab auch das Fach Informations- und Kommunikationstechnik, in welchem uns das polizeiinterne Datenverarbeitungsprogramm „Poliks“ nähergebracht wurde. Mit diesem Programm werden polizeiübergreifend alle Anzeigen aufgenommen, Berichte geschrieben und sonstige Schriftstücke erzeugt.

Auf dem Gelände der Polizeiakademie gab es auch die sogenannte „Tatortstraße“. Diese befand sich im Dachgeschoss eines großen Gebäudes, in dem in den unterschiedlichsten Räumen verschiedene Tatorte nachgestellt worden sind: Ein Raum war wie das Innere eines Baucontainers eingerichtet, ein weiterer Raum war einem Kellerraum nachempfunden, was etwas irritierte, da wir uns ja im Dachgeschoss befanden, und ein dritter Raum war wiederum wie ein ganz normales Wohnzimmer eingerichtet. Diese Räume konnten ganz individuell präpariert werden, so dass wir in den jeweiligen Umgebungen lernten, die Spuren an den unterschiedlichsten Tatorten zu sichern und somit Rückschlüsse auf die verschiedensten Tathergänge zu erzielen. Auch das Schießtraining fand in diesen sogenannten Praxisseminaren in den Semesterferien statt.

Doch rückwirkend prägte sich bei mir am meisten ein, dass wir uns am Anfang des ersten Semesters immer wieder neu vorstellen mussten. In jedem neuen Fach ergaben sich neue Konstellationen und immer wieder beteten wir dasselbe herunter: wer wir sind, woher wir kommen und warum wir uns für dieses Studium entschieden haben. Diese Informationen musste jeder einzelne Studierende immer wieder erneut aufsagen, so dass wir stellenweise bei manchen Mitstudierenden schon mitsprechen konnten. Mit jeder Vorstellungsrunde feilten so manche an ihrer individuellen Vorstellung, so dass es immer wieder spannend war, wie sich die Beweggründe für das Polizeistudium bei manchen bei jeder Einführungsrunde änderten, denn auf diese Weise wurden mit jeder neuen Vorstellung andere Aspekte in die Begründung der jeweiligen Person eingefügt. Da wir jedoch alle recht harmonisch miteinander umgingen, haben wir diese ständige Wiederholung gut ertragen, obwohl das Ganze ab Woche zwei dann schon etwas nervig wurde. Doch der eigentliche Kulturschock sollte sich bald einstellen.

In dieser Zeit ergriff ich gleich im ersten Monat die Gelegenheit, mich für einen Posten im AStA zu bewerben. AStA ist der Allgemeine Studierendenausschuss, genauer gesagt, ist er sozusagen die „Regierung“, also die Exekutive der verfassten Studierendenschaft. Ich fand, dass die Bewerbung auf den Posten im AStA eine gute Möglichkeit sei, die ganze Hochschule einmal näher kennenzulernen.

Warum der Posten im AStA für mich so interessant war? Nun, im Gegensatz zur Ausbildung des gehobenen Dienstes bei der Polizei in vielen anderen Bundesländern, bei der die Hochschule ausschließlich der Polizei vorbehalten ist, fand unser Studium an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin-Lichtenberg statt. Diese Hochschule ist eine zivile Hochschule, die in fünf Fachbereiche unterteilt ist: Fachbereich 1 beschäftigt sich mit den Wirtschaftswissenschaften, Fachbereich 2 ist dem Dualen Studium gewidmet, Fachbereich 3 ist der Fachbereich Allgemeine Verwaltung, Fachbereich 4 die Rechtspflege und der Fachbereich 5 war der unsrige: Polizei und Sicherheitsmanagement.

Die Studierenden der Polizei und des Sicherheitsmanagements stellen dabei nur einen Bruchteil von zehn bis fünfzehn Prozent der gesamten Hochschule dar und man war während des Studiums an der HWR komplett in Zivil gekleidet, im Gegensatz zu den praktischen Seminaren, die entsprechend in den Semesterferien auf dem Gelände der Polizeiakademie stattfanden, wo wir dann Uniform trugen.

Ich fand die Mischung aus diesen beiden Welten sehr spannend, besonders der Aspekt, dass man auf dem Campus der Hochschule für Wirtschaft und Recht mit Studierenden aus den verschiedensten Bereichen in Verbindung kam, war für mich interessant.

Alles begann damit, dass ich gemeinsam mit Sebastian zu einer Sitzung des Studierendenparlaments ging. Dieses Gremium wählt den AStA. Kurzerhand haben wir uns dort beide für einen freien Posten beworben und stellten uns dem Studierendenparlament näher vor.

So habe ich interessanterweise tatsächlich einen der wenigen freien Posten, nur aufgrund meiner Vorstellung vor Ort, bekommen. Das war bemerkenswert, weil ich damals noch ein Neuankömmling war und mich niemand aus dem Studierendenparlament persönlich kannte, was bedeutete, dass ich lediglich durch meinen Vortrag gepunktet hatte. Zu dem Zeitpunkt wurden nur wenige Referate nachgewählt, da der AStA eigentlich schon fertig gewählt worden war, aber einige Studierende hatten den AStA wieder verlassen. Sebastian hat es dabei leider nicht geschafft.

Auf diese Weise wurde ich also AStA-Referent für Hochschulpolitik und war dort obendrein der einzige Polizist. Dadurch war ich schon ab dem ersten Monat eingebunden und hatte so die Möglichkeit, mich in der Hochschule auch anderweitig und fachbereichsübergreifend zu vernetzen.

Diese ersten Wochen an der Hochschule für Wirtschaft und Recht waren komplett magisch, denn alle in unserem Polizei-Studiengang gingen sehr harmonisch miteinander um, so dass es dazu kam, dass wir uns im Sommer auch gegenseitig auf Partys einluden. Die erste fand bei Verena, einer Mitstudierenden, statt, die uns alle am Wochenende zu ihrer Gartenparty einlud. Es kamen fast alle aus unserem Studiengang und viele brachten auch eine Begleitung mit, entsprechend brachte auch ich meine damalige Freundin mit.

Als wir dort ankamen und in den wunderschönen Garten geführt wurden, bot sich ein mir damals noch völlig ungewohntes Bild: Alle, die ich dort kannte, unterhielten sich vollkommen zivilisiert, es gab keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen, im Gegenteil: Das war die erste Party, auf welcher die Gäste fast ausschließlich nicht-alkoholische Getränke oder Virgin Cocktails zu sich nahmen, und die Personen, die doch ein Bier in der Hand hielten, wären niemals auf die Idee gekommen, danach noch selbst mit dem Auto nach Hause zu fahren. Alle waren vernünftig und verantwortungsvoll.

Die Gäste hielten sich zurück und waren maßvoll, die Gespräche verliefen kultiviert. Ein paarmal musste ich wirklich innehalten und diese Szenerie auf mich wirken lassen, denn ich war einerseits fasziniert, wie zivilisiert das hier alles ablief, aber auf der anderen Seite auch ein bisschen geschockt. Ich würde es fast als konservativen Kulturschock bezeichnen. Es war so unglaublich konservativ und bürgerlich, alles war gesittet, und ich würde mich eigentlich nicht als konservativ bezeichnen, aber diese Situation hier hat mir irgendwie positiv imponiert.

Eigentlich war gerade alles perfekt, das Studium war sehr interessant und das Zusammenleben mit den Mitstudierenden unfassbar harmonisch und die Praxisseminare machten mir erst richtig viel Spaß.

Doch wir wissen alle, dass das Leben immer ein paar Überraschungen in petto hat und das Universum hatte nun beschlossen, dass es eines Tages zu viel des Guten war: Ich wurde plötzlich mit einer Trennung konfrontiert und dies erwischte mich so kalt, ich war wie vor den Kopf geschlagen.

Also vergrub ich mich einige Tage in meinem Schmerz, was eigentlich überhaupt nicht zu mir passte, so lange, bis ich irgendwann selbst von diesem Umstand völlig genervt war. Ich wusste instinktiv, ich solle mich langsam mal ablenken. Also schlug ich meinen altbekannten Freunden vor, vielleicht gemeinsam etwas feiern zu gehen. Wozu lebte man schließlich in Berlin und wozu kannte man denn Bawan, Sebastian und Philipp? Die drei waren sehr gerne bereit, mich dabei zu unterstützen und den Abend mit mir zu verbringen.

Dieser Abend sah bis dahin gewohnt zivilisiert aus, denn wir waren lediglich gemeinsam etwas durch die Bars gezogen und durch die Stadt gefahren und ich war noch komplett nüchtern, denn als Fahrer trug ich schließlich die Verantwortung.

Philipp meinte irgendwann zu uns, dass er jetzt schon nach Hause müsse, denn er wolle am nächsten Tag zeitig raus. Also beschlossen wir gemeinsam, ihn nach Hause zu fahren, um dann danach weiterzuschauen, was wir möglicherweise später noch machen könnten, denn wir waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht müde, obwohl wir mit dem Tag durch waren. Zu dem Zeitpunkt schien es nicht gerade so, als würden wir jetzt noch die Welt verändern. Also beschlossen wir gemeinsam, Philipp noch in seine Wohnung zu bringen und rein zufällig befand sich auf dem Weg ein Späti. Dies führte dazu, dass Bawan auf die verrückte Idee kam, sicherheitshalber noch eine ganze Flasche Wodka zu kaufen. Danach brachten wir Philipp nach oben in seine Wohnung und schauten uns dort kurz um, dabei bemerkten wir alle ein sanftes rhythmisches Wummern. Irgendwo wurde in diesem Haus gefeiert. Philipp war wirklich müde und fing an, uns hinauszukomplimentieren. Also schickten wir uns an, zu gehen. Bei unserer Verabschiedung meinte er halb im Scherz, halb im Ernst zu uns: „Wenn ihr wieder nach unten geht, findet doch die Wohnung, aus der der Lärm kommt, und sagt denen, dass die ruhig machen sollen. Ich will schlafen!“ Gesagt, getan: Wir verabschiedeten uns von Philipp und versprachen, uns der Sache anzunehmen. Der Ursprung des Basses war schnell gefunden, brauchte man doch nur seinen Ohren folgen. Wie versprochen, klingelten wir Sturm und warteten, bis jemand öffnete. Eine Gestalt mit einem Kaltgetränk öffnete uns und wir fragten, was hier denn los sei. „Ach, wir feiern Einzugsparty, das ist eine neue WG. Wer seid ihr?“ „Wir sind Sebastian, Nicko und Bawan“, platzte es aus Bawan heraus. „Wir haben eine Flasche Wodka dabei und sind von der Feuerwehr und haben Erfahrung damit, Brände zu löschen. Können wir noch mitfeiern?“ Wir schauten uns gegenseitig kurz fragend an, warum Bawan bitte gerade behauptet hatte, dass wir bei der Feuerwehr arbeiten würden. Sebastian musste schmunzeln, unterdrückte sich jedoch das Lachen. Unbewusst war uns allen klar, wir würden jetzt das Spiel einfach mitspielen. Ehrlich gesagt wissen wir bis heute nicht, warum Bawan das gesagt hat.

Und eigentlich kamen wir überhaupt nicht dazu, darüber nachzudenken, denn in diesem Moment wurden wir auch schon direkt in die viel zu kleine Wohnung gezogen, denn unsere Vorstellung als Feuerwehrmänner, die den Brand löschen möchten, fand der Türöffner wohl recht sympathisch und hatte mit uns als neuen Gästen kein Problem. Der Flur war eng, die Luft war zum Schneiden, die komplette Wohnung rammelvoll mit Menschen. Uns war sofort klar, dass wir hier nicht weiter auffallen würden, denn dies war eine klassische Berliner WG-Party, bei der jeder jeden mitbringen konnte und am Ende keiner mehr wusste, wer wer ist und wer zu wem gehörte. Und zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch nicht einen Schluck von unserem Wodka getrunken...

Alle wissen, dass man die beste Gesellschaft innerhalb einer WG immer in der Küche finden würde und instinktiv fanden wir natürlich unseren Weg dorthin. Das war auch der Moment, in dem Bawan feierlich unsere Flasche Wodka öffnete. Natürlich waren schon alle Gläser aus dem billigen Küchenschrank verschwunden, also tranken wir den Wodka zu dritt direkt aus der Flasche.

Aus unerfindlichen Gründen musste Bawan jedoch auf einmal allen umstehenden berichten, dass wir doch nicht bei der Feuerwehr seien. Das fanden wiederum Sebastian und ich völlig bekloppt, denn Bawan hatte sich ja am Anfang diese Geschichte so ausgedacht und jetzt standen wir zwei auch völlig bekloppt da, weil wir es mitgespielt hatten. Wir wussten echt nicht, was das von ihm sollte. Ich glaube, dass auch die anderen Leute der Party das recht merkwürdig fanden, sich jedoch nicht weiter daran störten und es auch schnell wieder vergaßen, denn schließlich waren wir in Berlin – der Stadt, in der einfach nichts zu komisch sein kann.

Nachdem die Unterhaltungen in der Küche ausliefen, wechselten wir dann in das andere Zimmer, in dem getanzt wurde und welches der Ursprungsort des monotonen Basses war. Als wollte Bawan seinen kleinen Fauxpas bezüglich der Feuerwehr wieder ausgleichen, sorgte er nun dafür, dass wir drei auch gerecht den Wodka untereinander aufteilten. Das führte dazu, dass wir mal so eben und ganz nebenbei in ungefähr zwanzig Minuten den kompletten Wodka zu dritt leerten. Dies war natürlich so nicht geplant, hatte sich aber aus der Stimmung heraus ergeben.

Das war auch der Moment, in dem der Countdown startete: der Countdown, von dem Moment an aus, in welchem sich der Alkohol begann, von meinem Magen aus im restlichen Körper zu verteilen. Gerade so bemerkte ich noch, wie langsam meine Bewegungen unrunder wurden, denn noch waberte der Bass durch meinen Körper, ich verließ sicherheitshalber die Wohnung und begab mich nach unten. Dann bin ich einfach umgekippt.

Danach gibt es bei mir nur noch wenig aufflackernde Erinnerungsfetzen: Ich bewege mich, aber ich laufe nicht. Ich sitze unbequem, denn ich werde in einem Einkaufswagen von Sebastian und Bawan zum S-Bahnhof geschoben. Ich merke, wie die beiden versuchen, mich aus dem Einkaufswagen zu hieven und will helfen, merke aber, dass ich mich einfach nicht koordinieren kann. Etwas später das gleißende Licht in der S-Bahn, es schaukelt wohlig, ab jetzt will ich nur noch schlafen. Es dauert alles so ewig lang gerade. Schwarz.

Stunden später wache ich mit einem unfassbar dicken Kopf auf einem Sofa auf. Ich versuche mühsam zu rekapitulieren, was in den letzten Stunden passiert ist. Ich nahm die Orientierung auf: Scheinbar befand ich mich gerade in Sebastians Wohnung und dort auf seinem Sofa.

Neben mir auf dem Couchtisch stand ein großes Glas gefüllt mit Wasser und in einem Klarsichtbeutel sah ich einzelne Gegenstände. Bei genauerer Betrachtung stellte sich heraus: Es waren all meine persönlichen Wertgegenstände feinsäuberlich hineingelegt. Mein Portemonnaie, mein Wohnungsschlüssel und meine Uhr. So hatten Bawan und Sebastian dafür Sorge getragen, dass mir nichts aus der Tasche fallen und ich mich nicht aus Versehen mit etwas verletzen konnte. Auf dem Klarsichtbeutel obenauf lag eingerollt mein Gürtel.

Ich war mit Polizisten feiern und sogar in diesem Zustand hatte hier alles seine Ordnung.

Kapitel 3:Kein Feuer, aber viele Leichen

Die einzig gute Sache an einem richtig schlimmen Kater ist, dass man für kurze Zeit seinen Herzschmerz vergisst. Dennoch rate ich: Bitte nicht nachmachen! Nachdem ich dann nach diesem Wochenende den ganzen Sonntag dafür genutzt hatte, um auszuschlafen und zu entgiften, fing ich mich Sonntagabend dann endlich wieder und konnte am nächsten Montag ganz normal am Unterricht teilnehmen, so als wäre das alles nie passiert.

Dennoch war ab diesem Wochenbeginn irgendetwas anders. Es fühlte sich nicht mehr ganz so harmonisch und rund an wie noch in den ersten Wochen, es ruckelte alles ein bisschen, fast so, als wären ein paar Steinchen im Getriebe.

Es bildeten sich erste Grüppchen, man beobachtete, wer sich öfter mit wem unterhielt, wer wen im Unterricht mehr unterstützte oder wer schneller eine Breitseite abbekam. Ganz langsam wurde auf diese Weise die Harmonie des Anfangs entzaubert. Natürlich musste das irgendwann geschehen, aber dennoch kam es für mich unerwartet. Es war bisher einfach zu schön gewesen und ich wunderte mich über mich, dass ich aus mir völlig unerfindlichen Gründen die naive Illusion aufrecht erhalten hatte, dass diese anfängliche Euphorie auch die ganzen drei weiteren Jahre anhalten könnte.

Entsprechend hat sich das menschliche Miteinander innerhalb der ersten drei Monate der Realität angepasst und plötzlich fiel im Chat auch ab und an mal das ein oder andere giftige Wort. Die Charaktere kamen stärker zur Geltung, manche auch etwas dominanter. Unsere, oder vielleicht auch nur meine, hohen Ansprüche an den Gemeinsinn, die Gemeinschaft und die Harmonie waren einfach nicht zu halten.

Noch größer als die Irritation über die Zerstörung des harmonischen Momentums war für mich jedoch die Art und Weise, wie sich die Gruppendynamik entwickelte. Noch nie zuvor in meinem Leben habe ich das Miteinander von Angestellten, also Menschen der gleichen Hierarchiestufe, derart aus der Nähe betrachten können, war ich doch noch nie abhängig beschäftigt gewesen und hatte immer eine Sonderstellung im Team, die mir solche Probleme vom Leib hielt. Die „Arbeitnehmerdenke“ war mir bisher völlig fremd und für mich ein Schimpfwort.1

Ich war bisher immer der Chef im Team und daher hierarchisch von Anfang an in der Sonderrolle, in welcher man weniger in die zwischenmenschlichen Entwicklungen innerhalb des Teams eingebunden war und bis dato kannte ich diese Sichtweisen und die Funktionsweisen von Arbeitnehmerstrukturen von der Basis her betrachtet nicht. In der Chefposition hat man eher die Entwicklung des großen Ganzen auf dem Schirm.

Daher haben mich die kleinen Dynamiken innerhalb hierarchisch gleichwertiger Teammitglieder bisher nie persönlich tangiert und waren für mich auch vollkommen irrelevant. Insofern war das, was ich hier gerade erleben durfte, ein Stück weit neu, natürlich nicht unbedingt in der Theorie, kannte ich ja ähnliches bereits aus der Schulzeit, aber im praktischen Erleben aus der Sicht eines Erwachsenen und ehemaligen Chefs absolut faszinierend. Noch nie zuvor hatte ich es so bewusst wie hier miterlebt, wie sich von der Pike auf diese feinen Bande zwischen den Menschen innerhalb eines unfreiwillig oder zumindest willkürlich zusammengesetzten Teams (denn nichts anderes ist ja eine Klasse) beginnen, zu entwickeln.

Aber so viel konnte ich darüber gar nicht mehr nachdenken, denn ich hatte bald ein viel größeres Problem, und zwar das Fach Schwimmen. Dieses Unterrichtsfach, welches mich schon damals nach der Schule von der Bewerbung bei der Polizei abgehalten hatte, sollte möglicherweise einmal mehr meine Achillesferse werden.

Bei Beginn des Schwimmunterrichts wollte der Schwimmlehrer den jeweiligen Basiswert unserer Schwimmfähigkeiten festhalten, um in Zukunft darauf aufzubauen und ließ uns dafür eine gewisse Schwimmstrecke zurücklegen und stoppte dabei unsere Schwimmzeit. Natürlich gab ich mir die größte Mühe und war auch guter Hoffnungen, hatte ich doch noch mehrfach vorab versucht, das Schwimmen zu üben. Doch mit diesem Basistest kam leider die erschreckende Wahrheit ans Licht und ich musste feststellen: „Die anderen schwimmen doch deutlich schneller!“ Natürlich hatte ich die vorgegebene Strecke geschafft, aber die Zeit, die ich dafür brauchte, war einfach niederschmetternd lang. Meine Zeit lag weit unter den Anforderungen, da ich tatsächlich in meinem Leben nie viel geschwommen war.

Schwimmen kann doch jeder, mag jetzt vielleicht der aufmerksame Leser denken, doch wenn man an gewissen Punkten in der Kindheit keinen persönlichen Zugang zu bestimmten Fächern oder Techniken gefunden hatte, ist es zwar nicht unmöglich, dies nachzuholen, aber dennoch ziemlich schwierig. Das Erlernen fällt mit steigendem Alter einfach nur ungleich schwerer.

Basiswerte sind eine feine Sache, wenn man bis zu diesem Tag eine gleichwertige Entwicklung und einen ähnlichen Schulplan hatte. Meinen Mitstudierenden war dies vergönnt gewesen, mein Manko war jedoch, dass ich in dem Alter, in dem in der Schulausbildung in Berlin das Schwimmen unterrichtet wurde, auf Teneriffa lebte. Ja, Teneriffa, die große Insel im Atlantik. Nun könnte man natürlich meinen, dass man dort sehr viel schwimme, weil diese Insel schließlich nur von Wasser umgeben ist, das haben Inseln eben so an sich. Doch der Schein trügt, denn im Atlantik schwimmt man als Kind gar nicht, weil es schlichtweg viel zu gefährlich ist. Wer schon einmal auf Teneriffa war, weiß, dass dort vielerorts die Ufer steil ins Wasser abfallen und nachdem man die Brandung überstanden hat, die Unterströmung enorm ist. Nicht umsonst sterben regelmäßig Menschen im Ozean, die sich selbst über- und den Ozean unterschätzen. Natürlich gibt es auch normale Strände, aber auch hier peitscht das Meer und weht mehrheitlich die rote Flagge, die anzeigt: „Hier nicht schwimmen!“ Kein vernünftiges Elternteil würde seinem Kind dort Schwimmunterricht im Meer geben. Man spielt also vielleicht etwas am Strand, planscht ein bisschen, aber man schwimmt nicht.

Und bei der Polizei ging es ja gerade um Schwimmen als Sport, um Meter und Geschwindigkeit und nicht um Badespaß. Und das hier war definitiv kein Spaß. Zwischen Schwimmen als Freizeitbeschäftigung und Schwimmen als Sport besteht ein erheblicher Unterschied.

Dieser Schwimmsport hier war schwerer als gedacht. Unser Sportlehrer war vom SEK, bullig gebaut und mit Glatze, man merkte schon an seinem Gang, dass er nur aus Muskeln bestand. Er stand am Beckenrand, schaute sich das Elend an und schrie ständig, dass man schneller schwimmen solle.

Witzigerweise fand ich genau diesen Lehrer von Anfang an sehr sympathisch. Ich hatte das Gefühl, dass sein Schreien nur dem Schein bzw. der Rolle geschuldet war und so wirkte er trotz allem eigentlich ganz nett auf mich.

Das hatte sich dann auch schnell bestätigt, als er sich während des Unterrichts einmal mit zu mir auf die Pausenbank gesetzt hatte und versuchte, mir eine Motivationsansprache zu halten, damit sich mein Hebel löst und ich ab jetzt schneller schwimmen würde. Das habe ich ihm hoch angerechnet, aber dabei dennoch gedacht: „So einfach wird das vermutlich nicht.“ Motivation ist ja immer schön, aber ich war im Vergleich zu den anderen echt langsam.

Aber nach einem Tief kommt ja glücklicherweise auch immer wieder ein Hoch, und das Highlight zu dem Zeitpunkt war für mich das erste Praktikum. Dieses hatte ich in Berlin im Stadtteil Wedding absolviert und es war absolut faszinierend. Falls ich es während des regulären Unterrichts und dem mühsamen Schwimmen vergessen haben sollte, warum ich mich bei der Polizei beworben hatte, nun wusste ich es plötzlich wieder: Es war die klassische Polizeiarbeit, lebensnah am Menschen.

Und lebensnah sollte das erste Praktikum sein, denn in Berlin war es so, dass man als Praktikant der Berliner Polizei nicht wirklich als solcher erkennbar war, denn zu diesem Zeitpunkt der Ausbildung hatten wir noch keine Uniformen bekommen und es gab auch noch keine Namensschilder, wie sie heutzutage für Praktikanten eingeführt worden sind. So war ich für Zivilisten und auch für die Kollegen rein äußerlich nicht als der Polizei zugehörig zu erkennen. Das war etwas merkwürdig, denn man ist einfach in Zivil im Polizeiwagen mitgefahren. Fußgänger starrten mich, während wir an einer Ampel standen und auf grün warteten, an: „Ah, ein Verbrecher“, und jedes Mal, bei jedem Einsatz, bei dem Polizeikräfte von anderen Einheiten dazu kamen, hieß es erstmal skeptisch: „Wer ist denn das?“ Das betraf dann aber tatsächlich alle Praktikanten. Zugeben, das war ziemlich schlecht organisiert und führte dazu, dass man sich in der Gruppe nicht unbedingt zugehörig und optimal betreut fühlte. Nichtsdestotrotz waren die Einsätze sehr spannend und haben die Identifikation mit dem Beruf bzw. den Berufswunsch bestärkt.

Die Einsätze während des Praktikums waren mannigfaltig, dabei gab es aber auch viele traurige Einsätze, bei denen man als Praktikant wenig ausrichten konnte. Da gab es diesen Rettungshubschraubereinsatz, bei welchem ein älterer Mann im Treppenhaus kollabiert war. Wir sind als Funkwagenbesatzung der Polizei dort hinzugerufen worden, weil wir gerade in der Nähe waren und wohl noch Leute gebraucht wurden. Als wir mit Blaulicht vor Ort eintrafen, stellte sich die Situation so dar, dass der Notarzt gerade dabei war, den kollabierten Mann auf einem Treppenabsatz zu reanimieren. Da ich lediglich der Praktikant war und gerade nirgends wirklich helfen konnte, bestand meine Aufgabe nun darin, im Intervall etwa einmal pro Minute den Lichtschalter zu drücken, da das Licht nach Ablauf dieser Zeit durch die Zeitschaltuhr bedingt immer ausging. Parallel versuchten meine beiden Kollegen, die aufgelöste Ehefrau zurück in ihre Wohnung zu bringen und sie dabei halbwegs zu beruhigen.

Der Mann ist dann trotz eines halbstündigen Kampfes des Notarztes und nach dreißigmaligem Lichtschalterdrücken meinerseits leider verstorben.