Auf dicken Pötten um die Welt - Bernhard Schlörit - E-Book

Auf dicken Pötten um die Welt E-Book

Bernhard Schlörit

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Beschreibung

In diesem neuen Band nimmt der Autor uns mit auf seine Reisen als Funkoffizier auf den Massengutfrachtern "PROPONTIS" und "SAXONIA". Ernste und heitere Erlebnisse, Abenteuer und Entbehrungen, alle Facetten der Fahrt auf solchen "dicken Pötten" werden dem Leser in der deutlichen Sprache des Seemanns vermittelt. Bei ehemaligen Seeleuten wird dieses Buch Erinnerungen wachrufen, Nicht-Seeleute erhalten wieder eine gute Einführung in die Welt der Seefahrt in den 1970-80er Jahren. Aus Rezensionen zu diesem Band: Mit diesem Buch stellt Bernhard Schlörit seine hervorragenden schriftstellerischen Eigenschaften nochmals unter Beweis. Auf erfrischender Weise erläutert er die Höhen und Tiefen eines Seemannslebens in den Siebzigern und Achtzigern. Hier wird äußerst humorvoll über die – oft schrägen - Erlebnisse des Autors und seiner Crewkollegen in fernen Häfen und Ländern wie auch über korrupte Beamte in der dritten Welt berichtet. Der erschreckend schlechte Zustand eines "Zossens" wird durch Berichte über die einzelnen "Betriebsausfälle" dokumentiert. Auch das Thema Alkoholsucht wird behandelt. Es ist ein ernstes Thema, insbesondere wenn der Kapitän betroffen ist. Aber die Art des Autors, über die Ereignisse zu berichten, stellt den Leser manchmal vor das Problem, ob er lachen oder weinen soll. Trotzdem: Wenn man am Ende das Buch zuklappt, beschleicht einen das Gefühl, als Landratte etwas im Leben verpasst zu haben. Der letzte Satz des Buches bringt es auf den Punkt: "Mann, was haben wir gelacht ...". Durchweg ein Buch nach meinem Geschmack. Weiter so, Herr Schlörit! Ein anderer Leser schreibt: Sehr gute Wiedergabe des Lebens an Bord. Authentisch und interessant wird die Arbeit des Seemannes erzählt. Klischees werden ausgeräumt. Schade, dass die moderne Seefahrt in dieser Hinsicht nicht mehr viel zu bieten hat. Wie in fast allen Berufszweigen zählt nur noch Geld, Termin und Profit.

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Bernhard Schlörit

Auf dicken Pötten um die Welt

Ein Seefunkoffizier erinnert sich an die Bulkfahrt – Band 66 in der maritimen gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Vorbemerkungen des Autors:

Eisenerz und „Yellow Corn“

Mit der PROPONTIS auf dem Mississippi – und weiter

Wechsel zu Chr. F. Ahrenkiel

MS „SAXONIA“, die schwimmende Katastrophe

Der lange Törn nach Rumänien – und weiter über den Atlantik

Walterchens Sauftour um die Welt

16 Tage Seereise mit der SAXONIA über den Pazifik

SAXONIA in Japan

Mit SAXONIA via Ko Sichang zum Janmaatenparadies Thailand

Weiter geht die Reise in Richtung Heimat

Nachtrag

Seeleute, Reeder, Schiffe

Weitere Informationen

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche, ein Hotel für Fahrensleute mit zeitweilig bis zu 140 Betten. In dieser Arbeit lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Im Februar 1992 kam mir der Gedanke, meine Erlebnisse bei der Begegnung mit den Seeleuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzutragen, dem ersten Band meiner maritimen gelben Reihe „Zeitzeugen des Alltags“:

Seemannsschicksale.

Insgesamt brachte ich bisher über 3.800 Exemplare davon an maritim interessierte Leser und erhielt etliche Zuschriften als Reaktionen zu meinem Buch.

Reaktionen auf den ersten Band und die Nachfrage nach dem Buch ermutigten mich, in weiteren Bänden noch mehr Menschen vorzustellen, die einige Wochen, Jahre oder ihr ganzes Leben der Seefahrt verschrieben haben. Inzwischen erhielt ich unzählige positive Kommentare und Rezensionen, etwa: Ich bin immer wieder begeistert von der „Gelben Buchreihe“. Die Bände reißen einen einfach mit und vermitteln einem das Gefühl, mitten in den Besatzungen der Schiffe zu sein. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights der Seefahrts-Literatur. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechselungsreiche Themen aus verschiedenen Zeitepochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlich hat. Alle Achtung!

In diesem Band 66 können Sie wieder den Bericht eines ehemaligen Seemanns lesen. Bernhard Schlörit erzählte bereits im Band 62 sehr informativ mit Witz und Selbstironie, wie er zunächst als Aufwäscher auf dem Lloyd-Dampfer BURGENSTEIN anheuerte, um zu testen, ob er überhaupt Seemann zu werden wünschte. Er besuchte danach die Seefahrtschule, erwarb das Funkerpatent, um dann auf seinem ersten Schiff als Funkoffizier zu arbeiten, dem Bananenjäger PEKARI.

Aus Rezensionen zu diesem Band 66: Mit diesem Buch stellt Bernhard Schlörit seine hervorragenden schriftstellerischen Eigenschaften nochmals unter Beweis. Auf erfrischender Weise erläutert er die Höhen und Tiefen eines Seemannes in den Siebzigern und Achtzigern. Hier wird äußerst humorvoll über die – oft schrägen - Erlebnisse des Autors und seiner Crewkollegen in fernen Häfen und Ländern wie auch über korrupte Beamte in der dritten Welt berichtet. Der erschreckend schlechte Zustand eines "Zossens" wird durch Berichte über die einzelnen "Betriebsausfälle" dokumentiert. Auch das Thema Alkoholsucht wird behandelt. Es ist ein ernstes Thema, insbesondere wenn der Kapitän betroffen ist. Aber die Art des Autors, über die Ereignisse zu berichten, stellt den Leser manchmal vor das Problem, ob er lachen oder weinen soll. Trotzdem: Wenn man am Ende das Buch zuklappt, beschleicht einen das Gefühl, als Landratte etwas im Leben verpasst zu haben. Der letzte Satz des Buches bringt es auf den Punkt: "Mann, was haben wir gelacht ...". Durchweg ein Buch nach meinem Geschmack. Weiter so, Herr Schlörit!

Sehr spannend geschrieben gespickt mit vielen Anekdoten und Erlebnissen. Zum Teil herrschen sehr raue Sitten unter den Männern. Alkohol bei einen Kapitän ist schlimm wenn man nichts beweisen kann.

Sehr gute Wiedergabe des Lebens an Bord. Authentisch und interessant wird die Arbeit des Seemannes erzählt. Klischees werden ausgeräumt. Schade, dass die moderne Seefahrt in dieser Hinsicht nicht mehr viel zu bieten hat. Wie in fast allen Berufszweigen zählt nur noch Geld, Termin und Provit. Ich finde es ausgesprochen gut, dass der Beruf des Seemannes in diesen Schilderungen so dargestellt wird, wie er, trotz nicht vergleichbarer technischer und nautischer Ausrüstung von heute, seinen Aufgaben ebenso – wenn nicht besser - gerecht wurde.

Auch ich hatte Ende der 1970-iger und Anfang der 80-iger Jahre die Gelegenheit auf solchen "dicken Pötten" zur See fahren zu dürfen – zunächst als Decksjunge und dann gleich nach dem Patent als 3. Offizier. Es ist wunderbar, dass es ehemalige Fahrensleute wie Bernd Schlörit gibt, die a) in der Lage sind all diese Eindrücke, die ich rundherum – in anderem Umfeld natürlich -bestätigen kann, ansprechend sprachlich anschaulich und amüsant darzustellen und b) über eine gute Erinnerung mit entsprechenden Aufzeichnungen und Bildmaterial verfügen. Ich habe es damals genau so erlebt. Auch heute gibt es diese Art von Schiff noch in großer Zahl – nur dem deutschen Seemann sind sie als Arbeitsplatz leider verwehrt, da er im Vergleich mit seinen außereuropäischen Kollegen viel zu teuer ist. Ein wunderbar geschriebenes Zeitdokument über längst fast vergessene Zeiten als die Welt für Deutsche Seeleute noch fast in Ordnung war .... bitte mehr davon!

Als Landratte bedauert man, dass man nicht mit an Bord war. Bernhard Schlörit lässt den Leser hautnah an seiner Arbeit als Funkoffizier und dem Leben an Bord teilhaben. Der alte Fahrensmann präsentiert keine trockenen Erinnerungen, sondern schildert mit viel Humor seine Zeiten auf den Bulkcarriers - rostige Dampfer, ein unter Dampf stehender Kapitän, ellenlange Törns und die Arbeit in der Funkbude. Bei Schlörits Schilderungen spürt man fast das Salz auf den Lippen, den Kohlestaub in der Nase und das Beck's auf der Zunge – und beim Lesen bedauere ich einmal mehr, dass ich damals nicht den Mut hatte, den Beruf des Nautikers oder FOs zu ergreifen.

Was für ein toller Erzählstil. Eine Reise um die Welt. Sogar eine Landratte wie ich hat sich mitten im Geschehen gefühlt. Dazu die ein oder anderen Dokumente und Quererklärungen des Autors. Sehr schön. Die "Sorge" des Autors, ob der deftigeren Sprache, völlig unbegründet. Gerade heraus und dabei immer noch ganz Gentleman.

Ich bedanke mich bei dem Autoren! Das Buch ist fantastisch geschrieben! Man hat tatsächlich den Eindruck, man sitzt einem guten alten Kumpel gegenüber, der einem in aller Gemütlichkeit seine Geschichten über die Seefahrt erzählt! Dabei wirds wirklich nicht langweilig, im Gegenteil, man will immer weiter lesen! Humorvoll, sachlich und immer "geerdet" können sich hier bestimmt auch "Landratten" an die Hand genommen fühlen und in die Geheimnisse der "Christlichen Seefahrt" eingeführt werden...

Dieser neue Band 66 hat das Zeug, zu einem Bestseller der Seemanns-Erinnerungsliteratur zu werden und wird sicher wieder nicht nur ehemalige Seeleute lebhaft an ihre aktive Fahrzeit erinnern, sondern auch Landratten einen guten Einblick in die Seefahrt der 1970-80er Jahre vermitteln. Ohne bürgerlich-moralische Verklemmungen oder Tabus schildert Bernhard Schlörit sehr offen auch die Bewältigung der jugendlichen Libido der Seeleute.

In diesem Zusammenhang wurde ich bei der Lektüre des Manuskripts wieder einmal an den bekannten Theologieprofessor und langjährigen Prediger auf der Kanzel des Hamburger Michels, Helmut Thielicke, erinnert, der 1958 eine Seereise nach Japan auf einem Frachtschiff der Hapag unternahm und seine Erlebnisse an Bord in dem Buch „Vom Schiff aus gesehen“ zusammenfasste. Seine hautnahen Begegnungen auf dieser wochenlangen Reise mit Seeleuten brachten ihn zu dem Bekenntnis, dass ihm eine ganz neue, bisher unbekannte Welt erschlossen worden sei und er nun eigentlich sein kurz zuvor veröffentlichtes Ethikwerk umschreiben müsse: „Ich bemühte mich nach Kräften, offen zum Hören zu bleiben und – so schwer es mir fällt – selbst meine stabilsten Meinungen in diesem thematischen Umkreis als mögliche Vorurteile zu unterstellen, die vielleicht einer Korrektur bedürfen. Ich frage mich ernstlich, was an diesen meinen stabilen Meinungen christlich und was bürgerlich ist… Ich merke, wie schwer es ist, sich im Hinblick auf alles Doktrinäre zu entschlacken und einfach hinzuhören – immer nur hören zu können und alles zu einer Anfrage werden zu lassen... Bei meiner Bibellektüre achte ich darauf, wie nachsichtig Jesus Christus mit den Sünden der Sinne ist und wie hart und unerbittlich er den Geiz, den Hochmut und die Lieblosigkeit richtet. Bei seinen Christen ist das meist umgekehrt.“

Hamburg, September 2013 / 2014 Jürgen Ruszkowski

Vorbemerkungen des Autors:

Seefahrt in den 1970er und 80er Jahren. Damals trug die deutsche Handelsflotte ihren Namen noch zu Recht, nicht nur der Reeder war ein so genannter „Bundesbürger“, auch die Mehrzahl der Besatzungsmitglieder hatte einen deutschen Pass in der Tasche. Ein großer Teil der Schiffe führte Schwarz-Rot-Gold am Flaggenstock, Leben und Arbeiten an Bord verliefen noch in jenen zum Teil recht traditionellen Bahnen, die deutsche Seeleute seit Generationen kannten. Und der Seemannsberuf hatte zu dieser Zeit noch seinen festen Platz im Bewusstsein vieler Küstenbewohner und auch im Bewusstsein vieler Landratten aus südlicheren Gefilden der Bundesrepublik. Eine Epoche, die dann in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre zügig zu Ende gehen sollte. Die Globalisierung schwemmte in kurzer Zeit die gewachsenen Traditionen hinweg, Schiffe deutscher Reeder sind heute ganz überwiegend unter fremder Flagge und mit ausländischer Crew unterwegs. Nur die hin und wieder gerne mal abgegriffenen Subventionen für die Branche sind noch deutschen Ursprungs…

Seemann. Das war der allgemeine Begriff für jene Mitmenschen, die sich beruflich der See verschrieben hatten. Dabei handelte es sich eigentlich um eine ganze Palette von Berufen, die für den Betrieb eines Seeschiffes benötigt wurden. Kapitäne und nautische Offiziere, zuständig für Schiffsführung, Ladung und Navigation, Schiffsingenieure, verantwortlich für den Betrieb der Antriebsanlage. Matrosen und Decksleute, angeleitet vom Bootsmann, in der Maschine Motorenwärter und Motorenhelfer, geführt vom Lagerhalter, dem „Storekeeper“.

Es gab Köche und Stewards, die für das leibliche Wohl und den Komfort der Besatzung sorgten. Jawohl, damals interessierte man sich auch noch für den Komfort der Besatzung, monatelange Reisen mussten ja nicht zwangsläufig auf dem Niveau eines Überlebenstrainings ertragen werden.

Dank des technischen Fortschritts gab es weitere Spezialisten an Bord. Schiffselektriker, die mit der Bändigung der ausufernden E-Technik und Elektronik alle Hände voll zu tun hatten. Ja, und auch solche Exoten wie die Funkoffiziere gab es in jener Zeit noch. In den Augen ihrer Bordkollegen oft etwas merkwürdige Vögel, die hoch oben in ihrer Funkbude kauerten und in einer schnellen Folge kurzer und langer Töne eine lesbare Nachricht erkannten. Und mit Hilfe ihrer Morsetasten aus genannten Tönen selbst solche Nachrichten erstellten und versandten.

Nun, ich war einer dieser Gesellen, die seinerzeit noch auf den Schiffen die Verbindung zum Land und zu anderen Seefahrzeugen sicherstellten. Mittels Morsetelegrafie, Funkfernschreibbetrieb und Funktelefonie sorgten wir für die Erreichbarkeit der Schiffe. Außerdem waren wir die „Purser“ auf den Frachtschiffen, Verwalter und Zahlmeister, zuständig für die Behördenabfertigung in den Häfen, verantwortlich für Heuer- und Proviantabrechnungen und vieles mehr.

Auch wenn in den Erzählungen von der See der Spaßfaktor immer etwas überhöht dargestellt wird, so war es letztlich die Arbeit, die den seemännischen Alltag bestimmte. Offiziere im Wachdienst, Mannschaften teilweise ebenfalls, im Übrigen aber mit der permanenten Pflege und Wartung des Dampfers befasst. Maloche und Monotonie. Matrosen, die in südlicher Hitze tagelang an der Rostmaschine ackerten, Maschinenleute, die bei Höllentemperaturen an ihrem Diesel werkelten. Und dann im Hafen Stunden mit Kolbenziehen und anderen Reparaturarbeiten verbrachten, die im Fahrbetrieb nicht möglich waren. Für viele Seeleute eine Plackerei über Tage, Wochen, Monate. Dabei nehme ich mich als Funker ausdrücklich aus, wir „Sparkys“ in unserer klimatisierten Funkbude hatten noch ein vergleichsweise gutes Leben. Es liegt in der menschlichen Natur, dass man immer glaubt, das „härtere“ Los in der Arbeitswelt gezogen zu haben als der Kollege nebenan, diesem Irrglauben unterlag ich nicht. Die Tätigkeiten eines Matrosen sind nicht vergleichbar mit der Beanspruchung eines Stewards, ein Koch arbeitet mit anderen Belastungen als ein Storekeeper, das Arbeitsprofil eines dritten Ingenieurs ist ein anderes als das des etwa gleich hoch bezahlten Funkoffiziers. Aber Seeleute waren wir alle, vereint in dieser Arbeitswelt Schiff teilten wir die gleichen Sorgen und Nöte sowie auch die Freuden und Abenteuer, die die damalige Seefahrt noch mit sich brachte. „Seemann“ war letztlich nicht nur ein Beruf. Wer die Seefahrt wählte, wählte eine von der Norm stark abweichende Lebensform. Diese Erläuterungen mögen einem seefahrtsfernen Leser nützlich sein, wenn er sich die nachfolgenden Schilderungen zu Gemüte führt.

In meinem ersten Buch „Hast du mal einen Sturm erlebt?“ habe ich mich detailliert über meinen seemännischen Werdegang und meine erste große Fahrt als Funkoffizier ausgelassen. Etliche, früher selbst auf See tätige Leser ließen mir Anregungen und Kommentare zuteil werden. Darunter war auch der Satz „Mich würde interessieren, was der Autor über seine Erfahrungen in der Bulkfahrt zu berichten weiß“. Zunächst schenkte ich dieser Aussage wenig Beachtung, ich hatte damals meine Erlebnisse in der Kühlschifffahrt zum Themenschwerpunkt gewählt. Aber irgendwie legte sich diese Bemerkung in meinem Hinterkopf ab, und eines Tages kam sie mir wieder in den Sinn. Warum sollte ich eigentlich nicht mal die von mir erlebte Geschichte über die Bulkfahrt niederschreiben? In meinem Seefahrtbuch sind neben einigen Stückgutfrachtern, Kühl- und Containerschiffen immerhin auch vier dieser Massengutfrachter vermerkt, auf denen ich fuhr. Auf zweien dieser dicken Pötte kam ich sogar zweimal zum Einsatz, ich habe also einen nicht unerheblichen Anteil meiner Gesamtfahrtzeit auf solchen großen Schlorren verbracht. Und da gibt es ’ne Menge zu erzählen…

Bei den Seeleuten war die Massengutfahrt auf solchen Bulkcarriern nicht gerade die bevorzugte Form der Seefahrt. Dazu muss man wissen, dass es bei den Sailors eine gewisse Beliebtheitsskala gibt, die verschiedenen Schiffskategorien betreffend. Schiffe sind nun mal so unterschiedlich wie die Menschen, die darauf fuhren. Landratten denken bei Seeschifffahrt zuerst an „Traumschiffe“, diverse TV-Sendungen bewirken wohl nachhaltig eine ausgeprägte Affinität zu Passagierschiffen. Nun, es gibt Seeleute, die diese Vorliebe zu den „Musikdampfern“ durchaus teilen, für diese Kollegen gibt`s nichts Schöneres, als auf einem solchen schwimmenden Hotel zu arbeiten. Seeleute auf Frachtern sind für solche Maaten eine niedere Kaste, die Proleten der See. Für uns Frachterfahrer (und ich war ein Eingefleischter) sind die Passagierkutscher wiederum nichts anderes als bedauernswerte Verirrte, die auf einem schwimmenden Urlaubsbetrieb den lieben langen Tag ihre Uniformen spazieren tragen dürfen und dann noch als Eintänzer für leicht ranzige Passageusen herhalten müssen. Man sieht, auch Seeleute pflegen mit Wonne ihre Vorurteile.

Aber auch für uns Frachterfahrer gab es unterschiedliche Präferenzen. Stückgutschiffe in der Linienfahrt waren lange Zeit das Größte, besonders wenn die Route längs der so genannten Seemannsparadiese führte, Südamerika, Karibik, Ostasien. Dieser Schiffstyp wich aber in den späten Siebzigern und der Zeit danach fast vollständig dem Containerschiff. Dann entschied das Fahrtgebiet noch mehr, ob man diese Fahrt mochte oder auch nicht. Grundsätzlich aber gilt, dass die Containerschifffahrt dem Seemannsberuf sehr viel Attraktivität genommen hat.

Die neu gebauten Container-Terminals entstanden häufig außerhalb der Hafenstädte, mit der ständigen Verbesserung der Umschlagtechnik minimierten sich die Liegezeiten. Diese Entwicklung steckte aber in meiner Fahrtzeit noch in den Anfängen, in den Achtzigern lagen die Containerfrachter in manchen Drittwelthäfen noch Tage.

Kühlschiffe in der Fruchtfahrt waren recht beliebt, die Fahrt zu den mittelamerikanischen Bananenstaaten, oft mit wechselnden Lade- und Löschhäfen, bot damals noch jede Menge Abwechslung ganz nach dem Herzen der Seeleute.

Eine Besonderheit waren die „Fischdampfer“. In dem geschilderten Zeitabschnitt noch ein florierender Wirtschaftszweig, ist die deutsche Hochseefischerei heute fast auf Null geschrumpft. Und wir Frachter-Piepels konnten uns überhaupt nicht vorstellen, warum man überhaupt auf so einem Kahn anheuert. Wochenlang auf See, dann ging’s zurück in den Heimathafen. Und die Heuer bestimmte maßgeblich der Versteigerungserlös dieser stinkenden Biester, die man in endloser Maloche an Bord gezerrt hatte. Nee, danke!

Aber die Bulkfahrt? Was darf die Landratte darunter verstehen? Nun, um es mal zu vereinfachen, die Bulkcarrier transportieren alles, was man lose ins Schiff schütten kann: Eisenerz genauso wie Kohle, Getreide aller Art, Bauxit, Phosphat, Tapioka, ja, und auch das Öl gehört dazu. Obwohl Tanker innerhalb der Massengutfahrt eine eigene Kategorie bilden.

Was nahezu alle Massengutfrachter eint, ist die schiere Größe. Dicke Pötte eben. Großes Schiff bedeutet viel Ladung und damit geringere Transportkosten per Tonne. Also wurden diese Kästen in den letzten vierzig Jahren immer größer, erst mit einer gewissen Frachtmenge rechnet sich der Betrieb dieser Giganten. Im Laufe der Zeit bildeten sich einige Größenkategorien heraus. Da gibt es die Handysize Bulker, Schiffe bis 40.000 tons Ladevermögen, die sehr flexibel einsetzbar sind, aber eben auch nur für „kleinere“ Ladungskontingente in Frage kommen. Oder die Panamax-Bulker, die ihren Beinamen der Eigenschaft verdanken, mal eben noch durch den Panamakanal zu passen. Die haben mit ca. 32 Metern Breite das maximale Maß für die Befahrung der Kanal-Schleusen, gute 80.000 tons Ladung sind im Bereich des Möglichen. Und dann gibt es Capesize-Bulker, die ganz fetten Zarochel, mit 100.000 tons und mehr im Bauch. Inzwischen sind schon die ersten Gurken mit 400.000 tons Ladekapazität unterwegs.

Was machte diese Kähne bei vielen Janmaaten so unbeliebt? Zunächst mal: Die Dinger sind langsam. Kühl- oder Containerfrachter rauschen mit 20 und mehr Knoten zu ihren Bestimmungshäfen, ein Bulkie röchelt mit gemächlichen 13 oder 14 Knoten daher. Oder auch mal weniger, wenn der Charterer „most economic speed“ anordnet. Das bedeutet bei entsprechendem Fahrtgebiet lange Seetörns. Dann die Häfen. Eisenerz wird nun mal nicht in einem innerstädtischen Hafen verladen, in Sichtweite vom Rotlichtviertel. Erzladehäfen sind abgelegene Anlagen, weit vom Schuss. Und die Löschhäfen nach wochenlanger Überfahrt sehen keinen Deut besser aus. Man möge sich mal den Botlek-Hafen in Rotterdam anschauen, 30 Kilometer vor der Stadt. Wenn man aus diesen Häfen ausläuft, stehen keine winkenden Chicas am Ufer wie in den Bananenhäfen Zentralamerikas. Kohle in Norfolk / Virginia zu laden und dann in Fos sur mer (ein Drecksnest an der französischen Mittelmeerküste) wieder zu löschen, ist nicht halb so prickelnd wie eine Hafennacht in Buenaventura oder in Santos.

Es gibt noch eine unschöne Begleiterscheinung der Bulkfahrt. Bedingt durch lange Seezeiten und den Mangel an attraktiven Ports war die mentale Belastung der Crew deutlich höher als bei abwechslungsreicher Linienfahrt. Klarer formuliert: Ein Sailor auf einem Bulkie hatte ein spürbar höheres Risiko als ein Linienfahrer, nach einigen Monaten auf See mit einer gepflegten Vollmeise nach Hause zurückzukehren. Mehr als einmal wurde ich Zeuge von Ausrastern und sonstigen abstrusen Verhaltensauffälligkeiten. Teilweise war`s erheiternd (für die nicht betroffenen Zuschauer), teilweise schon nicht mehr. Und das schloss alle Dienstgrade mit ein, vom Alten bis runter zum Messesteward. Auf diesen Trips war man permanent vom Lagerkoller bedroht.

Meine persönlichen Erfahrungen mit der Massengutfahrt sind durchwachsen. Einige Reisen waren öde, sterbenslangweilig und die angelaufenen Häfen zum Abgewöhnen. Auf diese Reisen werde ich hier gar nicht näher eingehen, dann täten`s auch zweihundert leere Buchseiten. Andere Trips stellten sich überraschend als „Traumtrips“ heraus, üppige Liegezeiten und in nächster Nähe genau das „Unterhaltungsangebot“, das Hein Seemann so schätzt. Also das exakte Gegenteil von den oben geschilderten negativen Seiten der Bulkfahrt.

In diesem Buch will ich über meine Dienstzeit auf zweien dieser Dickschiffe erzählen. Von der „PROPONTIS“, einem Panamax-Bulker der Reederei Laeisz. Eine für die damalige Zeit typische Tramp-Reise mit wechselnden Zielen und Ladungen, wochenlangen Überfahrten, aber auch üppigen Liegezeiten in gar nicht mal unattraktiven Häfen. Und von der „SAXONIA“, einem etwa gleich großen OBO-Carrier der Reederei Ahrenkiel. Ein Schiff, das sowohl für Öltransporte als auch für trockene Massengutladung eingesetzt werden konnte. Die SAXONIA findet sich zweimal in meinem Seefahrtbuch, ich habe rund 11 Monate auf diesem Schiff gelebt und gearbeitet. Und dabei viele schräge Dinge erlebt, die mir selbst in der Wiedergabe noch unglaublich vorkommen. Dieses Schiff hatte innerhalb der Reederei Chr. F. Ahrenkiel schnell den Ruf einer „schwimmenden Katastrophe“, zahlreiche Kollegen weigerten sich bei Anfrage der Personalabteilung strikt, auf dem Zossen einzusteigen. Technisch war der Kahn ein einziges Desaster, sowohl die Maschine als auch die sonstigen Anlagen und Einrichtungen waren exzessiv pannengeplagt. Darüber hinaus spielten sich auf dem Dampfer immer wieder menschliche Dramen ab, ein Kapitän ruinierte beinahe seine Ehe, ein anderer versoff auf diesem Schiff seine Karriere.

Mit gutem Grund wird also der Leser hier wenige „echte“ Namen der agierenden Kollegen finden. Überhaupt erzähle ich einige der Vorkommnisse nur, weil die handelnden Personen in diesen Fällen nicht mehr unter den Lebenden weilen. Und viele Namen damaliger Seeleute sind mir einfach nicht mehr erinnerlich, auch aus diesem Grund habe ich fiktive Namen verwendet.

Wenn ein Seemann aus der Fahrt berichtet, tauchen auch häufig die deftigen Begleiterscheinungen der Seefahrt auf. Immer wieder einmal kam es zu alkoholischen Exzessen mit manchmal fatalen Folgen für die Betroffenen. Zog es die Janmaaten an Land, zog es sie manchmal auch zum Weibe hin. Unternehmungen, die in schönster Regelmäßigkeit in den Armen einer Hafennutte endeten. Oder auch nicht, wenn widrige Umstände dem entgegen wirkten. Klischees, mag der eine oder andere Leser denken. Ja, Klischees, aber die hatten durchaus ihren wahren Kern.

Zu dem Thema Hafennutten noch ein Wort: Die Begegnungen mit solchen Damen nahmen in meinem ersten Buch breiten Raum ein. Die Bananenfahrt nach Mittel- und Südamerika brachte es nun einmal mit sich, dass es in den dortigen kleinen Hafenstädtchen häufig zu solchen Kontakten kam. Etliche Leser zogen daraus den Schluss, dass sich Seeleute grundsätzlich durch die Puffs der Häfen vögelten und die Arbeit so nebenbei erledigten. Falsch. In bestimmten Fahrtgebieten herrschte gewissermaßen ein Überangebot williger und auch exotisch reizvoller Damen, das von einem Großteil, aber nicht von allen Besatzungsmitgliedern, freudig wahrgenommen wurde. In anderen Fahrtgebieten war das nicht der Fall, und die Sailors verbrachten ihre Monate an Bord in mönchischer Enthaltsamkeit. Früher und heute ist es aber zutreffend, dass die Triebabfuhr eines Seemannes in Fahrt fast ausschließlich mit Prostituierten stattfand. Und, das soll hier nicht unerwähnt bleiben, etliche Janmaaten versagten sich diese „Freuden“. Teilweise, weil sie in der Heimat glücklich liiert waren, aber auch aus Angst vor Ansteckungen oder einfach aus grundsätzlichen Überlegungen heraus. Hin und wieder gab es an Bord auch mal einen Moralisten, der empört den Zeigefinger hob. Und dann in allen Decks brüllendes Gelächter auslöste. In der Masse gingen wir Seeleute locker mit diesem Thema um.

Erzählen werde ich nun die folgende Geschichte so, wie ich sie auch verbal rüberbringen würde, unter teilweiser Nutzung unserer damals üblichen Bordsprache. Das schließt einen gewissen rustikalen Ton mit ein, wenn der Seemann zum Vögeln an Land ging, dann gedachte er zu vögeln. Und nicht zu kopulieren. Wer dies nicht lesen möchte, ist mit der Lektüre eines verträumten Heimatromanes besser bedient, da bleiben ihm solche Zumutungen erspart.

Die schon erwähnten langen Seetörns auf den Bulkern führten bei mir zu einer gesteigerten Schreibfreudigkeit, was Briefe in die Heimat betrifft. Daher liegen mir gerade zu den Fahrtzeiten auf diesen beiden Schiffen besonders viele meiner Schilderungen und detaillierte Berichte vor, die ich damals meinem Freundeskreis übermittelte. Danke an Christa und Willi, die mir mein früheres Geschreibsel wieder zur Verfügung stellten. Danke an die Kapitäne Klaus Bergmann und Hermann Ehlers, die als junge Offiziersanwärter mit mir auf diversen Pötten fuhren und mir besonders im nautisch / technischen Bereich Detailfragen beantworteten, die mir nicht mehr so genau erinnerlich sind. Danke an meinen Funkerkollegen Jürgen Coprian, der, selbst Verfasser zahlreicher Bücher über seine Seefahrtserlebnisse, letztlich den Anstoß dafür gab, dass ich meine Erinnerungen niederschrieb. Und meiner Inge danke ich für ihre Leidensfähigkeit, mit der sie das wochenlange Abtauchen des lieben Gatten in seine Seefahrtserinnerungen ertrug. Während der Niederschrift eines solchen Buches ist man ja kaum noch ansprechbar und auch sonst für nichts Sinnvolles mehr zu gebrauchen… Also, noch mehr Gelaber zur Einleitung braucht ’s nun wirklich nicht.

Ich begebe mich auf eine Zeitreise in den Februar 1978. Die Reederei Laeisz hat meinen zweimonatigen Urlaub mittels eines Telefonanrufes abrupt beendet und mich nach Rotterdam beordert. Und dort soll ich auf MS PROPONTIS einsteigen.

Auf dicken Pötten um die Welt

– Ein Funkoffizier erinnert sich an die Bulkfahrt –

Eisenerz und „Yellow Corn“

Es ist früher Nachmittag, als meine Linienmaschine auf Amsterdam-Schiphol landet. Freunde hatten mich am Morgen nach Frankfurt zum Flughafen gebracht, nach dem „Check in“ tranken wir noch ein letztes Bier zusammen, und damit war mein Urlaub zu Ende. So, und jetzt stehe ich in der Ankunftshalle in Amsterdam und kann zusehen, wie ich zum Schiff gelange. Nach zwei Einsätzen auf Kühlschiffen hatte das „Mutterhaus“ in Hamburg beschlossen, dem Funker Schlörit mal `ne andere Art der Seefahrt nahe zu bringen. Auf mich wartete einer der beiden Massengutfrachter der Reederei F. Laeisz, die PROPONTIS. Ein Bulkie wie aus dem Bilderbuch: 255 Meter lang, knapp über 32 Meter breit, 80.000 Tonnen Tragfähigkeit, 43.476 BRT. Die kleinen Bananenjäger, auf denen ich in meiner noch recht kurzen Funkerlaufbahn bisher gewirkt hatte, sahen neben diesem Schlorren wie Faltboote aus.

Aber zunächst mal muss ich den Kahn finden. Am Telefon hatte mir Frau Schibinsky, die fürsorgliche Personalsachbearbeiterin der Reederei Laeisz, lediglich den Liegeplatz mitgeteilt.

Vom Amsterdamer Airport gibt`s `ne Busverbindung zum zentralen Busbahnhof Rotterdam. Nach einigem Hin und Her gelange ich zum Bus. Gurke eine Stunde mit zwei Dutzend Mitpassagieren über holländische Schnellstraßen. In Rotterdam fange ich mir ein Taxi ein. „Zum Botlekhafen bitte!“ Bei der Nennung des Fahrtzieles wird der Taxipilot saufreundlich, bietet mir umgehend seine Zigaretten und den Beifahrersitz an und zeigt jenes bei Taxlern übliche Verhalten, wenn sie einen Großauftrag erhalten. Es folgt ein Taxi-Ritt von 45 Minuten. Rotterdam bleibt im Nebel zurück, und eine ganze Weile geht es vorbei an Industriebetrieben, Öltanks, Raffinerien. Dann Kohle- und Erzhalden, Berge von Kali und sonstigem Dreck.

Schließlich landen wir an einem riesigen Hafenbecken. An den Kais etliche Dickschiffe, die von gigantischen Portalkränen mit Greifern entladen werden. Und mitten in diesem Hafenbecken, an Bojen vertäut, liegt ein schwimmender Koloss.

Die PROPONTIS. Mann, was für ein Brocken. Endlos lang, keinerlei Masten oder sonstiges Geschirr an Deck, schwarzer Rumpf, weiß gestrichene Aufbauten, der riesige Schornstein laeisz-typisch in fahlem Gelb.

Aber wie komme ich jetzt da rüber? Der Taxifahrer trägt die Lösung dieses Problems im besten Holländer-Deutsch vor: „Musst du mit die kleine Bout faare!“

An einem Anleger, Liegeplatz mehrerer kleiner Barkassen, setzt er mich ab. Und schon quakt mich einer der Barkassenführer an, der ist von unserer Agentur beauftragt worden, die über den ganzen Tag eintreffenden Neuanmusterer zur PROPONTIS zu schippern. Na also, dann ist ja für Alles gesorgt. Minuten später tuckert das „kleine Bout“ mit Sparks, seinem Koffer und seiner Reisetasche los in Richtung Dampfer. Näher am Schiff fällt mir zunächst die Riesensauerei ins Auge, die den Kahn einhüllt. Auf der Backbordseite haben zwei große Pontons festgemacht, auf diesen Plattformen stehen hohe, mehrgeschossige Aufbauten mit mehreren Treppenaufgängen. Von den Türmen hängen an Auslegern verbaute gewaltige Rüssel in den geöffneten Luken der PROPONTIS. So genannte Saugheber. Und über den Luken steht eine weiße Staubwolke, dieser Staub hüllt auch das ganze Schiff ein, der Schlorren sieht aus wie gepudert. Und da die nebligen Februarnächte nun mal viel Feuchtigkeit mit sich bringen, hat sich die Staubschicht inzwischen zu einem flächendeckenden weißen Schleim verwandelt. Was für einen Dreck haben die denn transportiert? An der dem Schiff abgewandten Seite der Pontons liegt ein Binnenschiff, der weiße Mist wird direkt von meinem neuen Pott in diesen Rheinfrachter umgeladen. Na, das kann ja noch `ne Weile dauern, der Tiefgang der PROPONTIS signalisiert mir, dass man gerade erst mit den Löscharbeiten begonnen hat.

So, und jetzt kommt der sportliche Teil meines Dienstantrittes. Auf das Deck des Dampfers gelange ich nur über die gefühlten Dutzend Treppen der Ponton-Türme. Ich bin mit guten 25 kg Gepäck unterwegs, Koffer, Reisetasche und noch `ne Umhängetasche, die ich mit in der Flugzeugkabine hatte. Das in jenen Jahren übliche Limit für Fluggepäck war für Seeleute etwas erhöht worden, wir durften bis zu 30 kg einchecken, die normalsterbliche Landratte musste mit 20 kg auf Reisen gehen. Deshalb war auch unser beruflicher Status auf den Tickets vermerkt. Eines der wenigen Privilegien, die dem „Seemann in Transit“ zugebilligt wurden. Fluchend aste ich mit meinen Plünnen die Eisentreppen hoch, schon nach zwei Treppen schwitze ich wie ein verdammter Sauna-Freak, Februarkälte hin oder her. Und erreiche nach etlichen Minuten Klettertour und einigen Schritten über eine kleine Gangway das Deck meines neuen Arbeitsplatzes. Nähere mich den Aufbauten, dort lungern ein paar Crewmitglieder herum, die meiner Klettertour grinsend zugeschaut hatten. „Hallo Sparks, auch mal wieder unterwegs?“ – Hä? – Jetzt erkenne ich ihn. Vor mir steht Bootsmann Willy Möller, mit dem war ich einige Zeit auf meinem letzten Dampfer unterwegs, dem Bananenjäger „PERSIMMON“. Origineller Typ, auf den Laeisz-Dampfern kennt man ihn nur unter dem Namen „Schweine-Willy“. Den hat er sich eingehandelt, als er mal in dem ecuadorianischen Hafen Puerto Bolivar versuchte, auf einer Sau reitend zum Schiff zu gelangen. Und damit kenne ich schon mal zumindest einen der Piepels hier auf dem Kahn.

Stellt sich gleich als Vorteil heraus, Schweine-Willy weist umgehend einen der Gilbie-Matrosen an, mein Gepäck hoch zur Funkerkammer zu schleppen. Als der gerade zupacken will, stürzt sich plötzlich ein Köter auf meinen Koffer. So ein halbhoher Mischling, drei Sorten Hund in einem Fell. Der fletscht die Zähne wie bekloppt und versucht, sich in meinen Samsonite zu verbeißen. Willy schnappt sich ungerührt den Fiffi im Nacken und hält das knurrende Vieh fest, bis der Gilbie mit meinem Gepäck in den Aufbauten verschwindet. Dann lässt er den Hund los, und der ist sofort ganz friedlich. „Was war denn das für `ne Nummer?“ frage ich. „Och“, meint Willy, „das ist Jackie, unser Bordhund. Ganz verträglicher Köter, aber wenn der `nen Koffer sieht, dreht der durch. Der ist schon `ne ganze Weile an Bord, einer aus der Crew hat sich dann immer um ihn gekümmert und ihn in seiner Kammer pennen lassen. Und wenn dann Koffer in der Gegend rum stehen, war kurz danach Herrchen weg. Jetzt hat das Vieh `ne Kofferallergie!“ Kopfschüttelnd gehe ich weiter ins Deckshaus.

Drinnen ist es erstens warm und zweitens sauber, der weiße Schlamm da draußen ist nur im untersten Deck noch zu sehen, dort haben sie große Papierbahnen in den Gängen ausgelegt.

Um mich herum typische Schiffs-Atmosphäre, gedämpftes Brummeln aus dem Maschinenraum, summende Lüfter. Alles viel großzügiger und weitläufiger als auf den Bananenjägern, die ich bisher kenne. Ich steige einen Niedergang nach dem anderen hoch, im zweiten Deck steht plötzlich eine Gestalt vor mir, Uniformjacke, vier Streifen, Glatze und Schnauzbart. Sieh mal guck, der Reiseleiter. Gegenseitige Vorstellung, Höflichkeitsfloskeln.

Ich denke: `Ob ich mit dem klar komme?’. Er denkt: `Hoffentlich beherrscht der seinen Job`. Ich kann zwar keine Gedanken lesen, dürfte aber mit meiner Vermutung ziemlich richtig liegen.

Weiter auf dem Weg nach oben, Funkstationen sind in aller Regel unterm Dach juchhe, oft sogar auf dem Brückendeck. Ist hier allerdings nicht der Fall, eins unter der Brücke, auf dem vierten Deck, Backbordseite achtern, finde ich meinen neuen Arbeitsplatz. Dort sitzt mein Kollege, sein Gepäck steht schon im Gang, und er zeigt diesen unverschämt fröhlichen Gesichtsausdruck, den Hein Seemann nur bei der Begrüßung seines Ablösers aufsetzt.

Kurzes Händeschütteln. Dann legt sich der Kollege gleich mächtig ins Zeug und fängt an, mir die Funkstation zu erklären. Ist auch angebracht, diese Ausstattung kenne ich nämlich nicht. Auf meinem ersten Kahn, der PEKARI, war ich noch mit einer uralten Anlage unterwegs, leistungsschwach und ziemlich antiquiert. Danach fuhr ich auf der PERSIMMON zunächst mit dem gleichen Dampfradio los, erhielt aber während eines kurzen Werftaufenthaltes in Hamburg einen neuen SSB-Sender, zwar nur mit 400 W Leistung, aber immerhin. Und jetzt stehe ich hier in einer Funkstation vom Allerfeinsten.

Vor mir der Sender ST1400, in dieser Zeit ein Spitzenmodell. 1.200 W im A1-Betrieb, 1.500 W bei SSB-Telefonie. Supermoderner Haupt-Empfänger, aber als Zweitempfänger noch die alte Regenbogenkiste Siemens E566. Ja, und ein Fernschreiber ist ebenfalls Bestandteil der Anlage, zum ersten Mal fahre ich nun mit einer Funktelex-Maschine. Super. Ich denke mal, die Zeit mühsamer nächtlicher Verbindungsversuche mit schwächster Leistung dürfte für mich vorbei sein.

Dann noch Einweisung in die Verwaltungs-Angelegenheiten. Bis zu den Monatsabrechnungen habe ich noch Zeit, ich kann alles ruhig angehen lassen. Nach `ner guten Stunde Frage- und Antwortespiel bin ich weitgehend im Bilde. Der Dampfer soll noch `ne ganze Weile hier liegen, man rechnet mit zwei Wochen Löschzeit. Für mich ausreichend Gelegenheit, mich gründlich mittels der technischen Unterlagen mit der Station vertraut zu machen.

„Was habt ihr eigentlich hier für `nen Shit geladen, der Kahn sieht ja aus wie ein explodierter Mehlsack?“ – „Das ist Tapioka. Wird aus Maniokwurzeln gewonnen, ist unheimlich kohlehydrathaltig und wird in riesigen Mengen importiert. Dient zur Futtermittelherstellung und wird auch in der Lebensmittelindustrie verwendet!“ – „Und woher kommt ihr?“ – „Thailand. Eine irre Geschichte, wir lagen drei Wochen vor Ko Sichang, so 80 Kilometer südlich von Bangkok. Hunderte von Thaiarbeitern luden das Zeug nach dem Ameisenprinzip, die bilden `ne Menschenkette zu den Luken und schütten Tapioka aus Säcken in die Räume. Die Maaten hatten fast alle `ne Thai-Mieze auf der Kammer, an Deck brutzelten any many Garküchen, das war ein Traum. Du hattest Thailand-Urlaub, ohne einen Fuß von Bord zu setzen!“ – Donnerwetter, da wäre ich gerne dabei gewesen. „Und wo geht der Dampfer als Nächstes hin?“ – „Ist noch nicht entschieden. Wir sind jetzt mit Abschluss dieser Reise aus dem Euroscan-Pool ausgeschieden und nun hat `ne belgische Firma den Kahn gechartert, BOSIMAR heißen die. Die haben aber noch keine Reise-Order zugestellt!“

Damit verabschiedet sich mein Kollege, von jetzt an bin ich „in Charge“. Und nehme nun mein kleines Reich in Besitz.

„Mensch Sparky, du hier und nicht in Hollywood?“ Ich fahre in meinem Drehstuhl herum. „Ja, leck mich doch… Herbie, alte Socke, was machst du den hier?“ – „Nach was sieht`s denn aus? Ich soll hier mitfahren und aufpassen, dass du nicht mit den Fingern isst und keine kleinen Mädels belästigst!“ Vor mir steht Herbie, seinerzeit 2. Offizier auf der PEKARI und mit mir etliche Male in den übelsten Spelunken Mittelamerikas versackt. Das ist ja `ne Überraschung. Vorteile hat es schon, wenn man bei einer kleinen, aber feinen Reederei fährt. Acht Dampfer betreibt Laeisz unter deutscher Flagge, da trifft man auf dem dritten Schiff schon jede Menge bekannter Gesichter.

Herbie ist seit gestern an Bord und hat die Lage bereits sondiert. Und sogleich legt er los: „Mein lieber Schwan, auf dem Zossen geht was ab. Sodom und Gonorrhöe, kann ich nur sagen!“ – „Wieso, was läuft denn hier?“ Und was ich dann höre, wirft mich fast vom Stuhl.

Beim Einlaufen vor eineinhalb Tagen war die Stimmung total versaut. Der Chiefmate, also der 1. Offizier, war auf See seines Dienstes enthoben und gesackt worden. Grund: fortgesetzte Trunkenheit. Dem ging ein Eintrag bezüglich der Sauferei im Schiffstagebuch voraus. Chiefmate entdeckt den Eintrag… und feuerte das komplette Tagebuch über die Kante. Anschließend fristlose Kündigung. Dem Bootsmann wurde zum Einlaufen gekündigt. Grund: der versuchte, noch mehr zu schlucken als der Chiefmate. Deshalb war Schweine-Willy seit gestern als Ersatz an Bord. Der Koch soff ebenfalls wie ein Loch und war schon in Thailand entsorgt worden. Krankheitshalber. Von da an waren sie nur noch mit `nem Kochsmaaten unterwegs, der war aber kein Meister seines Fachs.

Während der vierwöchigen Reise von Ko Sichang nach Rotterdam waren offene Aggressionen ausgebrochen, es kam zu Arbeitsniederlegungen.

Eine maßgebliche Rolle bei dieser Tragikkomödie kam Frau M. zu, einer Stewardess. Normalerweise fahren bei Laeisz Gilbertesen als Stewards, jene Südseeinsulaner, die schon seit Jahren bei dieser Reederei als Matrosen, Motorenhelfer oder eben auch Messbüddels eingesetzt werden. Frau M. erhielt den Job, weil sie mit einem ebenfalls an Bord eingesetzten deutschen Matrosen verlobt war und so mitfahren konnte. Nach einigen Wochen entdeckte die Lady aber wohlwollend, dass auch noch andere Rüden an Bord zur Verfügung standen, und schon begann ein fröhliches Treiben in fremden Kojen. Der deutsche Matrose sagte sich wutschnaubend von der Dame los und ignorierte sie dann weitestgehend. Irgendwann kam auch besagter Chiefmate bei der Lady mal zum Zuge, wurde aber später umgehend gegen Luki O`Brian ausgetauscht, einen britisch/gilbertesischen Decksmann. Von da an ging Chiefmate in Wogen von Alkohol unter. Selbstverständlich verhängte der Alte einen Alkoholstop für den Ersten, der war aber trotzdem täglich blau. Wohlmeinende Unterstützer, darunter der inzwischen gesackte Bootsmann, versorgten ihn zunächst weiter mit Stoff. Kleine Anekdote am Rande: In einem Kompass auf der Brücke wurde genau in dieser Zeit eine Verfärbung der Kompassflüssigkeit festgestellt, einer Alkohollösung. Und schon verbreitete sich auf dem ganzen Dampfer das Gerücht, der Chiefmate habe den Kompass leer gesoffen und die Lösung durch Wasser ersetzt. War natürlich Stuss hoch drei, aber die Story hielt sich hartnäckig und wochenlang.

„Die Sache ist noch lange nicht ausgestanden!“, meint Herbie, „Inzwischen werden bei der Reederei `ne ganze Menge Fragen gestellt. Schätze, da rollen noch mehr Köpfe!“

Wir unterhielten uns noch `ne ganze Weile. Mit Herbie hatte ich schon mal einen brauchbaren Kumpel an Bord. Und wenn wir in zwei Wochen auslaufen würden, wäre bestimmt `ne ganz andere Crew hier im Einsatz. Abends, in der Koje, ziehe ich noch mal ein gedankliches Fazit. Nun war ich also auf einem Bulkie eingestiegen. An Bord jede Menge Suffköppe, die man gerade gefeuert hatte oder noch feuern wird. Eine Stewardess mit ausgeprägtem Juckreiz im Unterleib. Und ein bekloppter Bordhund mit Kofferallergie. Schauen wir mal, wie das hier weiter geht…

Eineinhalb Wochen später. Wir liegen immer noch im Botlek-Hafen. Das Löschen der Tapioka-Ladung ist eine verdammt langwierige Geschichte, alles geht in die schon erwähnten Binnenschiffe und das zieht sich. Inzwischen sieht `s an Deck noch wüster aus, überall dieser verdammte weiße Dreck. Nach dem Auslaufen wird die Decksgang ganz schön zu tun haben, um den Kahn wieder sauber zu kriegen.

In dieser Woche hat sich Einiges getan. Die rührige Dame mit dem unruhigen Unterleib hat selbst abgemustert. Als Abschiedsvorstellung schleppte sie ihren Lover Luki O’Brian noch zum Generalkonsulat nach Amsterdam und wollte den dort ehelichen. Unter denkbar schlechten Voraussetzungen, es fehlten beider Geburtsurkunden, die in dieser Zeit noch verbindliche Aufgebotsfrist war nicht eingehalten worden, eigentlich legten die nur ihre Reisepässe vor. Der Konsul schickte sie umgehend vor die Tür, man sei schließlich nicht in Las Vegas. Lucky Luki tauchte am nächsten Tag wieder alleine an Bord auf, die Hochzeit sei zunächst mal verschoben.

Der harte Kern der alten Crew ist inzwischen vollständig abgelöst worden, die Ereignisse an Bord haben doch einigen Wind in Hamburg ausgelöst. Und auch der Kapitän wurde von Bord genommen. Der neue Alte, Kapitän Behneke, genießt bei den Leuten, die ihn bereits kennen, einen guten Ruf, er gilt als kollegial und soll die Dinge nicht so verbissen sehen. Schauen wir mal.

Einmal war ich in dieser Zeit an Land. Ich hatte mich einigen Maschinenleuten angeschlossen, zu viert war die Taxifahrt halbwegs erschwinglich. Natürlich landeten wir im „Katendrecht“, dem Rotlichtviertel Rotterdams. War aber ein Schuss in den Ofen, der Abend verlief äußerst trist. Wir zogen durch ein paar schmuddelige Bars, hockten trübsinnig auf zerschlissenen Barhockern und trafen überwiegend auf Damen fossilienhaften Alters, deren Gesichter unter dicken Schichten von Farbe oder Glasur kaum zu erkennen waren. Führten blödsinnige Dialoge, so etwa: „Na, Süßer, bist `de mit dem Schiff hier?“ – „Nee, mit `nem Zeppelin!“ – „Gibst `de einen aus?“ – Seh ich aus wie beknackt?“ Wir waren froh, als wir morgens gegen zwei Uhr wieder an Bord waren. Rausgeschmissenes Geld.

In drei Tagen sollen wir eigentlich auslaufen. Der Charterer hat sich aber noch nicht über die Route ausgelassen, kein Schwanz weiß, wo wir eigentlich hinfahren sollen. Oder wie es der Gilbertesen-Steward in etwas schrägem Englisch rüberbringt: „Nobody knows, what way!“

Und dann, einen Tag später, liegt die Reise-Order auf dem Tisch. Der Alte verkündet in der Messe die frohe Botschaft: Ballast-Reise nach Westafrika, wir sollen Lower Buchanan in Liberia ansteuern. Dort wird Eisenerz geladen, anschließend geht’s rüber nach Philadelphia, US-Bundesstaat Pennsylvania. Hätte schlimmer kommen können…

Von links: der Alte, der Chief, Norbert „Edler von Schwaben“, ein Assi,

NOA Hermann und Schweine-Willy

Mittags Smalltalk in der Offiziersmesse. Keiner der Jungs war schon mal in Buchanan gewesen, also Neuland für alle Piepels an Bord. „Sind über 3.300 Seemeilen!“, verkündet Herbie. „Der Charterer hat 13 Knoten Speed vorgegeben, da dödeln wir so knappe 11 Tage auf See rum, bis wir dort sind!“ 13 Knoten. Auf den Bananenjägern heizten wir meistens mit 20 oder 21 Knoten übern Teich. Eisenerz ist kein eiliges Frachtgut. Ist schließlich nicht von Fäulnis bedroht, im Gegensatz zu Bananen. Na ja, unser fetter Bulker war eh nicht so schnell. Wenn man alles aus der 17.000 PS starken Antriebsanlage rauskitzelte, waren 15,5 Knoten drinn. Und bei dieser Geschwindigkeit wurden dann täglich locker 40 Tonnen Schweröl verbrannt…

Über eine Woche später. Fast zwei Drittel der Seereise sind bewältigt, Zeit für ein erstes Resümee. Es hat dann tatsächlich zwei Wochen gedauert, bis die komplette Tapiokafracht gelöscht war. Inzwischen war eine stattliche Anzahl von kleinen Binnenfrachtern rheinaufwärts und sonst wo unterwegs, um dieses Zeug an seine Bestimmungsorte in Mitteleuropa zu transportieren. Mit dem Auslaufen begann das große Cleaning-Manöver für die Decksgang, der komplett versaute Dampfer musste gereinigt werden. Ebenfalls die riesigen Laderäume. Insgesamt neun dieser Räume gibt es auf dem Schiff, groß wie Kathedralen. Tagelang war Schweine-Willy mit seiner Matrosentruppe im Einsatz, um die Rückstände dieser Ladung wieder vom Deck und aus den Luken zu kriegen.

Von einem Irrglauben werde ich schon kurz nach dem Passieren des englischen Kanals geheilt. Ich hatte mir eingebildet, dass so ein dicker Schlorren wohl kaum allzu spürbar ins Wackeln gerät, wenn die See mal unruhig wird. Und die ist unruhig, Ende Februar bläst es ganz stramm in der Biskaya. Wir fahren in Ballast, die Ballasttanks sind mit Wasser befüllt, um die Kiste stabil zu halten. 30.000 Tonnen Ballastwasser, verteilt auf Doppelboden- und Wingtanks sowie Luke 5. Aber der Bock rollt wie wahnsinnig. Merke: dickes Schiff ist nicht gleich ruhige Fahrt.

Ich selbst freue mich nach wie vor über meine höchst leistungsfähige Funkstation. Ganz schnell stecke ich wieder in meiner täglichen Arbeitsroutine, den immer gleichen Tätigkeiten in der Funkbude. Regelmäßig nehme ich die für das befahrene Seegebiet ausgestrahlten Wetterberichte auf. Auch unsere Nautiker auf der Brücke erstellen fortlaufend Berichte mit Wetterbeobachtungen, die ich dann sende. Unser Beitrag zur Erstellung großräumiger Wetterprognosen. Ich nehme täglich eine Funkpresse auf, die Crew will schließlich auch verfolgen, was in der Welt dort draußen gerade Sache ist. Konstant höre ich die Sammelanrufe von Norddeichradio ab, um so zeitnah wie möglich für das Schiff eingehende Nachrichten zu empfangen. In gewissen Zeitabständen sende ich Positionsmeldungen und ETAs für Charterer und Reederei, berechnete Ankunftszeiten. Über acht Stunden täglich überwache ich die Not- und Anruffrequenz 500 kHz. Ich schreibe nautische Warnmeldungen mit, die auf Unregelmäßigkeiten im befahrenen Seegebiet hinweisen. Vertriebene Fahrwassertonnen, defekte Leuchtfeuer und dergleichen. Hin und wieder erscheint ein Besatzungsmitglied und will nach Hause telefonieren. Funker-Alltag. Und hier kann man auch fast immer und überall telefonieren, mit einem Einseitenband-Sender, der mit 1.500 Watt in den Äther bläst, ist das überhaupt kein Problem. Jedenfalls nicht auf unserer Route. Und mit diesem sehr leistungsfähigen Equipment bin ich nun auch häufiger Teilnehmer bei der „Quasselwelle“.

Quasselwelle? Nun, das waren Frequenzen, auf denen seit den 1970er Jahren deutsche Seefunkstellen untereinander kommunizierten. Die meistgenutzte Frequenz war 16.587,1 kHz, alle vier Stunden, von 00:00 Uhr UTC an gerechnet, trafen sich die Sparkys auf dieser Welle zum Klönschnack. Manchmal nur, um zu tratschen. Manchmal auch, um wertvolle Informationen auszutauschen. In diesen Jahren setzten sich die leistungsstarken Sendeanlagen mit Einseitenbandbetrieb flächendeckend durch, problemlos ließen sich auch große Distanzen per Sprechfunk überbrücken. Besonders nützlich wurde die Quasselwelle, wenn man in entlegenen Seegebieten (z. B. Südpazifik) auch mit starken Sendern Schwierigkeiten hatte, nach Norddeichradio durchzukommen. Günstiger positionierte Schiffe übernahmen dann Nachrichten und gaben sie weiter, man half sich gegenseitig.

Und dann habe ich ja nun auch Telex an Bord. Gibt’s 1978 weiß Gott nicht auf jedem Kahn. Die Verkehrsabwicklung ist noch etwas umständlich, ich rufe zunächst Norddeich erst mal im Telegrafie-Betrieb und melde das Telex an. Nach entsprechendem Frequenzwechsel ruft mich dann die Küstenfunkstelle im Fernschreib-Modus, der Sender beginnt in der Slave-Funktion zu arbeiten. Das Fernschreiben habe ich bereits auf einem Lochstreifen vorgefertigt und starte die Übermittlung. Feine Sache, auch größeres Textvolumen geht nun problemlos über den Äther. Lohnt sich ohnehin nur bei längeren Botschaften, Telexe werden nach Zeit abgerechnet, Telegramme nach Anzahl der Wörter. Aber ein gewisser Prozentsatz des Nachrichtenaufkommens läuft nun über den Fernschreiber, die Morsetaste wurde nicht mehr bei jeder Message verwendet. Und dieses Verfahren sollte in den folgenden Jahren immer mehr ausgebaut werden, in den Achtzigern wurde auch die Verbindungsaufnahme automatisiert. Das Ende der Morsetelegrafie zog langsam, aber stetig, am Horizont herauf.

Eines Nachmittags schalte ich mich auf die Quasselwelle: „Delta Alpha Alpha Delta, hier ist die PROPONTIS, Delta Alpha Delta Yankee, war schon mal einer in Lower Buchanan?“ DAAD war der allgemeine Sammelanfruf für alle deutschen Schiffe, DADY war das Unterscheidungssignal der PROPONTIS, mein Rufzeichen.

Und schon antwortet ein Kollege, Funker auf einem Bulkie der Flensburger Reederei Jakob. „War letztes Jahr dort, was wollen Sie denn wissen, Herr Kollege?“ – „Wie sieht’s denn da mit der Einklarierung aus, gibt’s irgendwas zu beachten, das vom Standard abweicht?“ – „Nun ja, das ist halt afrikanischer Standard. Die sind korrupt bis auf die Knochen, die schleppen an Präsenten von Bord, was sie kriegen können. Und die Beamten sind auch noch arrogant bis zum Geht nicht mehr. Gib so `nem schwatten Deibel `ne Uniform, und du findest den nich` wieder, so hoch schwebt der über dir rum!“ Na ja, hätte ich mir denken können, generell gab es bei der Seefahrt die Theorie, dass mit den landestypischen Temperaturen auch die Korruption steigt. Durch zahlreiche Reisen nach Zentralamerika bin ich auf diesem Gebiet schon ziemlich abgehärtet.

In den beiden Wochen der Rotterdamer Liegezeit und den vergangenen Tagen auf See hatte auch die zum größten Teil neue Crew zueinander gefunden. Schon einen Tag nach Auslaufen steht der Alte in der Tür der Funkbude, zwei Buddels Holstenbier in der Hand. „So, Funker, nu` machen wir ma` `ne kleine Dienstbesprechung!“ Wir lenzen die Buddels und schnacken. Und zwar über alles Mögliche, aber nix Dienstliches. Mit dem war ein gutes Auskommen, das roch ich.

Dann ist da der Chief. Leiter des Maschinenbetriebes, gut über 60 Jahre alt und über alle Probleme dieser Welt erhaben. Die Ruhe in Person. „Ich seh` die Rente schon an der Kimm, was soll mich noch jucken?“ ist eines seiner Lieblings-Bonmots.

Auf diesem Kahn haben sie keinen Storekeeper, sondern einen SBM. Steht für Schiffsbetriebsmeister, aber im Prinzip füllt er die Rolle des „Stories“ aus. Der stammt aus der Gegend von Stuttgart und stellte sich selbst als „Norbert, Edler von Schwaben“ vor. Selbsternannter Landadel gewissermaßen. Ja, und irgendwie ergibt sich schon nach kurzer Zeit, dass dieser Personenkreis, also der Alte, der Chief, der SBM und meine Wenigkeit so alle zwei Tage mal zu `ner abendlichen Arbeitssitzung zusammentreffen. Bier auf der Back, und dann wird fröhlich drauf los gelabert. Jedes Thema erlaubt, nur nix dienstliches.

Der Alte ist ein Geschichtsexperte. Nicht Geschichten, sondern Geschichte. Südlich der Biskaya waren wir schon mit den Staufern durch, westlich Gibraltar beschäftigten wir uns mit den Hunnenfeldzügen, und jetzt sind gerade die Merowinger dran. Total verblüfft war ich, als ich ihm einmal von der alten, aus der Zeit der Karolinger stammenden Basilika erzählte, die sich in meinem Odenwälder Heimatort befindet. „Kenn ich!“, war die Antwort. Und dann schilderte er das Bauwerk so detailliert, als ob der den Bauplan gezeichnet hätte.

Das elende Gerolle endet mit dem Erreichen wärmerer Gewässer. Auf unserem Weg nach Süden passieren wir die Kanaren. An Backbord die Küste Marokkos. Später zur gleichen Seite Mauretanien. Ruhige See, Sonnenschein von „Sunrise“ bis „Sunset“. Und ich habe noch einen unschlagbaren Vorteil gegenüber der kompletten restlichen Crew. Direkt neben meiner Funkbude führt eine Tür aufs Palaverdeck und geradewegs zum Swimmingpool. Und auf diesem Schiff trägt der seinen Namen zu Recht, in dem Ding kann man schon ein paar Schwimmzüge machen, bevor man wieder am Beckenrand landet. Auf den Kühlschiffen hatten wir da eher so `ne Art modifiziertes Fußwaschbecken. Ich habe also ein Appartement mit Pool im Garten. Oder so ähnlich.

In der Nähe der Kanaren leiste ich mir einen eklatanten Verstoß gegen die Funkvorschriften. Und zwar mit Ansage. Gunter, einer meiner alten Kumpels zuhause, ist schon seit vielen Jahren als Funkamateur aktiv. Im letzten Urlaub nach einigen Bieren haben wir beschlossen, irgendwann mal einen Funkkontakt, ein so genanntes QSO, zwischen Schiff und Amateurfunkstelle zu fahren. Das ist verboten, Seefunkstellen dürfen nur in den für den Seefunk vorgesehenen Frequenzbereichen und nur mit am Seefunk beteiligten Stationen kommunizieren. Das Gleiche gilt sinngemäß für Amateurstationen. Unsere Empfänger sind aber durchstimmbar, ich verwende ein sonst nirgendwo verwendetes Phantasie-Rufzeichen und eine freie Arbeitsfrequenz im 16-MHz-Band. Gunter arbeitet im nahe liegenden Amateurband. Den Zeitpunkt kündige ich durch ein kurzes verschleiertesTelegramm via Norddeichradio an.

Und dann fetzen wir auf der Taste los, die Verständigung ist gut und in Gunters Radio-Shack hocken etliche meiner Spezis und folgen der Veranstaltung mit großen Augen. Vorschriften sind auch dazu da, dass man sie gelegentlich mal ignoriert. Oder?

Mauretanien haben wir gerade hinter uns gelassen, irgendwo hinter der Kimm ist der Senegal, da legt uns der Decksschlosser ein dickes Ei. Vielmehr legt er sich selbst eins. Es ist Sonntag, Teile der Decksgang sind zur Arbeit eingeteilt. Sind prima zuschlagspflichtige Überstunden und daher sehr beliebt. Man nennt das „Zutörnen“. Timmi, wie der Schlosser traditionell genannt wird, hat sich aber am Samstagabend gewaltig einen geballert. So richtig bis „Land unter“. Zur Arbeitseinteilung am Sonntagmorgen tritt er zwar an, kann allerdings kaum aus den Augen gucken. Sieht aus wie ein frisch gevögeltes Eichhörnchen. Tja, und dann ist er verschwunden. Irgendwann wird er aber vermisst, alle Mann suchen Timmi. Keine Spur von dem Typen, der ganze Dampfer wird abgegrast. No Timmi in sight. Die Fahndung geht weiter, völlig ergebnislos. Jetzt ist der Alte aber auf höchster Alarmstufe, alles deutet darauf hin, dass Timmi in seinem Suff über die Kante gegangen ist. Mann über Bord, so mit das Übelste, was einem Seemann zustoßen kann. Der Chiefmate kreuzt bei mir auf, in Kürze wird man wenden und mit der Suche beginnen. Und für mich heißt das, dass nun eine Dringlichkeitsmeldung zu senden ist. Auf der Not- und Anruffrequenz 500 kHz erfolgt dann ein Funkspruch etwa mit dem Inhalt: XXX XXX XXX DE DADY DADY DADY MV/PROPONTIS/ DADY REPORT MAN OVERBOARD BETWEEN POS ………… AND POS …….SHIPS IN VICINITY PLS KEEP SHARP LOOKOUT AND ASSIST IF POSSIBLE. Die vor dem Funkspruch gesendete Dreiergruppe XXX signalisiert höchste Dringlichkeitsstufe unterhalb eines SOS. Schiffe in der Umgebung würden sich der Suche anschließen, unter Umständen über einen längeren Zeitraum. Erst, wenn nach menschlichem Ermessen kein Überleben mehr möglich ist, würde man die Suchaktion abbrechen. Na bravo, jetzt war dicke Luft im Karton.

Ich schreibe schon mal den Meldungstext und werfe den Sender an. Die Positionen des Suchstreifens würde man mir gleich von der Brücke übermitteln, die kann ich dann noch einfügen. Sitze da und warte.