Verdammte Container - Bernhard Schlörit - E-Book

Verdammte Container E-Book

Bernhard Schlörit

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Bernhard Schlörit, Geburtsjahrgang 1949, schildert in seinem ersten Buch (Band 62 "Hast du mal einen Sturm erlebt") die ersten Erfahrungen mit der Seefahrt in der Funktion eines "Aufwäschers", seine Ausbildung zum Funkoffizier und die Reisen auf dem Kühlschiff MS "PEKARI". Im Band 66 ("Auf dicken Pötten um die Welt") nimmt er seine Leser mit auf die Massengutfrachter "PROPONTIS" und "SAXONIA". Dieser neue Band 77 erzählt von den gravierenden Veränderungen, die der Container für die Seeleute mit sich brachte. Erinnerungen eines Seemannes an die Frachtfahrt in den frühen 1980er Jahren, dargestellt mit Sachlichkeit und Humor. Eine bunte Sammlung von ernsten und heiteren Episoden, angereichert mit zahlreichen Hintergrundinformationen. Und ein Nachruf auf eine Lebenskultur an Bord, die es so heute nicht mehr gibt. Dieser neue Band 77 hat wieder das Zeug, zu einem Bestseller der Seemanns-Erinnerungsliteratur zu werden und wird sicher wieder nicht nur ehemalige Seeleute lebhaft an ihre aktive Fahrzeit erinnern, sondern auch Landratten einen guten Einblick in die Seefahrt der 1980er Jahre vermitteln. Aus Rezensionen zu Bernhard Schlörits Büchern: Ich bin ein halbes Leben lang in gleicher Position zur See gefahren und hatte über lange Zeiträume, oftmals sogar täglich mit Bernhard Schlörit QSO, also KW-Sprechverbindung, auf der berühmten 'Quasselwelle'. Der Weg dahin war bei ihm ähnlich steinig wie bei mir, aber auch die Annehmlichkeiten, als es erstmal geschafft war. Wir fuhren bei der gleichen Reederei, aber persönlich begegnet sind wir uns nie, so kenne ich doch sämtlich die Häfen in SAWK – wenn auch nicht die gleichen "Marias" dort – aus eigener Anschauung. Seine Schilderungen über das Bordleben wie auch an Land treffen den Punkt und alles mit einer guten Prise Humor. Da kann gerne noch mehr kommen. Oder: Auf wunderbare Weise hat mich dieses Buch wieder in meine Jugendzeit versetzt! Als Auszubildender fuhr ich 16-17jährig beim Norddeutschen Lloyd auf dem Frachter ROTHENSTEIN nach Australien und Südamerika. Unsere auch vom Autor benutzte damalige Bordsprache hat mein Herz geöffnet und all die vielen schönen Erinnerungen aus den sechziger und siebziger Jahren wieder aufleben lassen. Authentisch bis ins kleinste Detail erfährt der Leser hier alles über die Arbeitsbedingungen und vor allem über die 'Freizeitgestaltung' der Bordbesatzungen auf längeren Auslandsreisen. Nie zuvor habe ich so herzerwärmende und grundehrliche Schilderungen über das wahre Seemannsleben, das Denken und Fühlen des Protagonisten und der Besatzung lesen dürfen. Nicht aus der Hand legen konnte ich dieses Buch. Ich habe Tränen gelacht über die Partys und Puffbesuche in tropischen Häfen. Es war eine einmalige wunderschöne Zeit! Auch ich hatte Ende der 1970er und Anfang der 80er Jahre die Gelegenheit, auf solchen "dicken Pötten" zur See fahren zu dürfen – zunächst als Decksjunge und dann gleich nach dem Patent als 3. Offizier. Es ist wunderbar, dass es ehemalige Fahrensleute wie Bernd Schlörit gibt, die a) in der Lage sind all diese Eindrücke, die ich rundherum – in anderem Umfeld natürlich – bestätigen kann, ansprechend sprachlich anschaulich und amüsant darzustellen und b) über eine gute Erinnerung mit entsprechenden Aufzeichnungen und Bildmaterial verfügen. Ich habe es damals genau so erlebt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 425

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Bernhard Schlörit

Verdammte Container

Seefahrt in den 1980er Jahren – Ein Seefunkoffizier erinnert sich –

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Der Autor

Anmerkungen des Autors

Die Dummen fahren zur See, die ganz Dummen im Winter

Kursänderung

Rennstrecke Nordatlantik

Seefahrt wie zu Opas Zeiten

Mit der AQUITANIA westwärts Richtung Mexico

Wind von vorn

Die Sunshine-RIENZI

Erster Nachtrag

Zweiter Nachtrag

Impressum neobooks

Impressum

Copyright © 2015 by Bernhard Schlörit, Sophienstr.73, D-64711-Erbach, [email protected]  Alle Fotos vom Autor, sofern nicht anders gekennzeichnet.

Die Printausgabe dieses Buches erschien 2013 in der ersten Auflage beim Maritimbuchverlag Ruszkowski, Nagelshof 25, D-22559 Hamburg. Die aktuelle 2.Auflage ist ausschließlich bei Amazon erhältlich

Der Autor

Bernhard Schlörit, Geburtsjahrgang 1949, musterte 1972 als sogenannter Aufwäscher auf einem Frachter an, getrieben von Neugier und Abenteuerlust. Von der Seefahrt begeistert absolvierte er eine mehrjährige Ausbildung, die er 1976 mit dem Erwerb des Seefunkzeugnisses 2.Klasse erfolgreich abschloss. Danach fuhr er 10 Jahre als Funkoffizier auf verschiedenen Frachtschiffen in weltweiter Fahrt. Es waren die gravierenden Veränderungen in der deutschen Handelsschifffahrt, die bei ihm wie bei vielen anderen Seeleuten in den Achtziger Jahren einen Wechsel hin zu einem Landberuf erzwangen. Im Herzen immer ein Seemann geblieben hat er seine Erinnerungen und Erlebnisse in drei Büchern aufgearbeitet.

Ebenfalls vom Autor sind erschienen:

Hast du mal einen Sturm erlebt? - erhältlich bei Amazon

Auf dicken Pötten um die Welt - erhältlich bei Amazon

Alle Bände erschienen 2015 in überarbeiteter 2.Auflage bei Createspace – Amazon. Die Werke sind auch als E-Book bei allen namhaften Anbietern erhältlich. Bei Amazon sind zu allen Büchern Rezensionen veröffentlicht.

Anmerkungen des Autors

Seefahrt in den „good old days“ war noch eine spannende Angelegenheit. Besonders wohl für jene Zeitgenossen, die nicht zur See fuhren. Und mit den „good old days“ meine ich die Fünfziger und Sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Das war noch vor meiner Zeit, ich habe 1972 zum ersten Mal auf einem Frachter meinen Seesack abgestellt. Mit sehr gemischten Gefühlen, mein Wissen über diese Zunft beschränkte sich bis dahin nur auf einige wüste Geschichten, die mir zuvor bei „Tante Hermine“, einer damals bekannten Hamburger Hafenkneipe, aufgetischt wurden. Und einige schnulzige Schlagertexte, in denen immer wieder mal ein weißes Schiff nach Hongkong fuhr, der Seemann das Träumen lässt und der Junge bald wieder kommt. Aber trotzdem fuhr ich damals raus wie in der guten alten Zeit, auf betagten Stückgutschiffen in der Linienfahrt, lange Reisen, gute Liegezeiten.

Alte Postkarte von „Tante Hermines Kuhwerder Fähre“

Dank an Peter Nennstiel

Landgänge, die die meisten Janmaaten zunächst in Bars und manchmal in fremde Betten führten, ich erlebte auf diesen Reisen selbst meine wüsten Geschichten. Klischee und Realität waren verdammt nahe beieinander. Als „Aufwäscher“ hatte ich angeheuert, einfach, um mal die Seefahrt zu beschnuppern. Danach hatte ich mir den Besuch der Seefahrtschule vorgenommen, ich strebte die Laufbahn eines Funkoffiziers an.

Während ich in den Folgejahren mit dieser Ausbildung beschäftigt war, ging die gute alte Zeit still und leise den Bach runter. Und schuld daran war Malcolm McLean. Die wenigsten Seeleute dürften damals mitbekommen haben, wer ihnen das ursprünglich eingebrockt hatte. Die Sache mit dem Container nämlich. Besagter Mr. McLean war in den Fünfzigern Besitzer einer kleinen amerikanischen Reederei, der Pan-Atlantic Steamship Company. Und die glorreiche Idee, den Transport von Gütern zu beschleunigen, indem man das wilde Gemisch von losen Kisten, Säcken, Fässern und Ballen aufgab und die Ladung in genormte Transportbehälter stopfte, diese Idee hatte McLean schon vorher entwickelt. Malcolm McLean kaufte zwei alte Tanker, baute diese Gurken zu Transportern für solche genormten Behälter um und hatte damit den Startschuss für die weltweite Containerfahrt abgefeuert. Ganz unbemerkt, das war 1956, und die zahllosen Seeleute auf ihren herkömmlichen Frachtern, in den Bars und in den fremden Betten kriegten davon kaum was mit. Ich sowieso nicht, 1956 war ich sieben Jahre alt, besuchte in meiner Odenwälder Heimat eine Grundschule und war ziemlich sicher, dass Seeleute in den Masten großer Segelschiffe hingen und ständig mit Piraten kämpften.

„IDEAL X“ lautete der Name des ersten Containerschiffes, das McLean im April 1956 auf die Reise schickte. Nach Meinung vieler Seeleute klang dieser Schiffsname genauso bescheuert wie die Idee mit den Containern. Auf dem ersten Trip fuhr der Zossen von Newark nach Houston, mit gerade mal 58 dieser Kisten an Bord. Von da an war die Sache nicht mehr aufzuhalten, sehr langsam, aber stetig, drangen die Frachtbehälter auf die weltweiten Schifffahrtsmärkte vor. Ein schleichender Prozess, in den Sechzigern ging es für die meisten Seeleute noch weiter wie gehabt. Viele herkömmliche Stückgutschiffe klapperten die Häfen ab, benötigten dort noch reichlich Zeit für den Ladungsumschlag, und Hein Seemann ließ es an Land richtig krachen. Aber irgendwann, so in den Siebzigern, fanden sich immer mehr Janmaaten auf einem solchen „Schachteldampfer“ wieder. Und staunten, wie kurz doch eine Hafenliegezeit sein kann. Nun musste sich Hein mächtig beeilen, wenn er die Bars und die Betten noch bedienen wollte. Barbesuche endeten jetzt häufig halb nüchtern, und was die Betten betrifft, da war nun meistens „Shorttime“ angesagt, nicht mehr so oft „Nachtschicht“. „Verdammte Container“, wird so mancher Fahrensmann in den Bart gemurmelt haben. Und mit dieser Bemerkung, häufig gehört und manchmal auch selbst geflucht, hatte ich den Titel für dieses Buch gefunden.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die genormten ISO-Container sind eine der wichtigsten Erfindungen der Neuzeit, ohne diese Dinger und die damit verbundene Rationalisierung weltweiter Transport-Logistik gäbe es die gigantischen Warenströme der Gegenwart nicht, die Globalisierung wäre schon mangels ausreichender Transportmöglichkeiten gescheitert. Was vielleicht auch nicht jeder bedauern würde, aber egal. Mit den Containern entstand ein weltumspannendes Transportsystem, ausgeklügelt bis aufs Letzte. In der Seefahrt galt schon immer die Devise „Time is Money“, aber erst mit der Einführung dieser Transportboxen waren Reeder sowie Ex- und Importwirtschaft am Ziel ihrer Vorstellungen. Die Umschlagtechniken und die sonstige Hafenbewirtschaftung wurden bis zum heutigen Tag immer weiter entwickelt, Seeleute auf solchen Schiffen genießen mittlerweile kaum längere Liegezeiten als `ne ständig hin und her pendelnde Fähre. „Rein-Raus“ heißt es in den Häfen. Seeleute in den Sechzigern verstanden darunter noch was anderes...

Wie oben schon ausgeführt gehöre ich zu jener Generation von Seeleuten, die genau in den Übergang von der konventionellen Frachtfahrt zur Containerfahrt gerieten. Auf herkömmlichen Linienfrachtern begann ich als „Messbüddel“ und nach dem Erwerb meines Funkerpatentes landete ich zunächst in der Kühlschifffahrt. Rosige Zeiten für Janmaaten, Fahrtgebiet und Liegezeiten gaben noch was her. In meinem ersten Buch „Hast du mal einen Sturm erlebt?“ (Band 62 der maritimen gelben Buchreihe) habe ich diese Periode ausführlich geschildert. Danach ging es „Auf dicken Pötten um die Welt“ (Band 66 der maritimen gelben Buchreihe), auf Massengutschiffen erlebte man teilweise nach gemächlichen Überfahrten auch mal mehrwöchige Hafenaufenthalte. Im Oktober 1978 aber hatten sie mich zum ersten Mal erwischt, meine Reederei beorderte mich auf ein Containerschiff, Premiere für den Funker Schlörit. Nun lernte ich sie also kennen, die schnelle Fahrt auf den rasenden Kistentransportern. Und mit einer gewissen Beruhigung stellte ich fest, dass auf diesen Pötten auch nur mit Wasser gekocht wurde. Damals. Obwohl die „Schachteldampfer“ dieser Epoche im Vergleich zu heutiger Tonnage noch recht klein waren, zog sich der Hafenaufenthalt immer wieder mal in die Länge. Abhängig vom Fahrtgebiet natürlich, in modern ausgestatteten Häfen mit gut entwickelter Infrastruktur ging das Laden und Löschen schon flotter über die Bühne. Trotzdem, auch auf den Containerfrachtern erlebte ich noch so Einiges, der Film lief nur etwas schneller ab.

Auf ein paar dieser Trips will ich den Leser hier mitnehmen. Die Reisen auf dem Vollcontainerschiff SEATRAIN PRINCETON, im Liniendienst zwischen der kalifornischen Küste und verschiedenen Häfen Ostasiens. Ich möchte von meiner Zeit auf der SEATRAIN BENNINGTON erzählen, eingesetzt im klassischen Nordatlantikdienst, rüber zur US-Ostküste. Und ungeachtet der Tatsache, dass ich hier die Containerfahrt zum Titelthema machte, schildere ich auch eine Reise auf dem konventionellen Frachter AQUITANIA, die in krasser Form den Kontrast zur Containerfahrt veranschaulicht. Auf diesem Kahn kam ich direkt nach meinem Nordatlantik-Containertrip zum Einsatz, fünfeinhalb Monate Dienstzeit stehen im Seefahrtbuch. Auf See waren wir nur knapp sechs Wochen, wir lagen monatelang in diversen Häfen herum. Einige wenige Container als Decksladung, und die hätten wir beinahe noch im Sturm verloren. Schließlich dürfen mich die Leser noch auf die RIENZI begleiten. Ein Containerschiff, das in der Karibik im sogenannten „Feeder-Dienst“ fuhr. Wir hüpften von Insel zu Insel, hektisch war es aber nie. Eigentlich ein Traumtrip.

Ich werde also wieder von den Dingen erzählen, die die Seefahrt für mich so erzählenswert machen. Vom Reiz ferner Länder und Häfen. Von dem Respekt, den uns die See mit ihren Wetterkapriolen immer wieder abnötigte. Von den oft recht interessanten Typen, die sich an Bord befanden. Von bemerkenswert professionellen Seeleuten genau so wie von den Säufern und Dummschwätzern, die auf manchen Pötten ihr Unwesen trieben. Von packenden Situationen und dann wieder von monotoner Langeweile. Und von der Lebensgier der Janmaaten, wenn nach längerer Reise einige Stunden, eine Nacht oder in manchen Fällen mehrere Tage im Hafen für Abwechslung sorgten. Themen also, die hin und wieder einer deftigen Sprache bedürfen. Eben jener Sprache, der wir uns an Bord häufig bedienten, wir pflegten uns rustikal auszudrücken, ich pflegte es dann auch rustikal aufzuschreiben. So wird der Leser in diesem Erlebnisbericht all das wiederfinden, das sich wie ein roter Faden durch meine Seefahrtserinnerungen zieht. Schiffe und Häfen, Stürme und raue See, Monotonie und Hektik gleichermaßen, moderne, ihrer Zeit entsprechende Technik und sehr viel gelebte Tradition. Schräge Typen wie auch effizient arbeitende Fachleute, Hitze, Kälte, eingeschränkte Lebensbedingungen an Bord, und last but not least Kneipen, Bars und hin und wieder leichte Mädchen. Eben der Stoff, der sich hinter den mageren Zeilen verbirgt, mit denen mein Seefahrtbuch zehn Jahre in diesem Beruf ausweist.

Es sind die Erlebnisse eines Seefunkers, die ich hier niederschrieb. Den Lesern sollte bewusst sein, dass ich damit auch an einen ausgestorbenen Berufsstand erinnere, der technische Fortschritt ist schon vor etlichen Jahren über uns „Antennenheizer“ hinweggerollt. Kapitäne kommunizieren heute mit PC-ähnlichen Endgeräten über eine weitgehend automatisch gesteuerte Satellitenverbindung. Vorbei die Zeit jener Gestalten, die in ihrer Funkbude dem zirpenden Klang der Morsesignale lauschten und mit der Schlackertaste in schneller Tonfolge ihre Telegramme verschickten, in den Augen vieler Bordkollegen sowas wie schwarze Magie. Wir sind zu einer Fußnote in der Geschichte der Seefahrt geworden.

Es ist also völlig richtig, dass mein Verleger diese Schilderungen als Zeitzeugen-Dokumente versteht. Die Seefahrt der geschilderten Epoche unterscheidet sich in vielen Punkten von der Seefahrt der Gegenwart. Die Containerfrachter im Jahre 2014 sind Giganten, und jährlich werden neue Größen-Rekorde im Schiffbau gemeldet. Hätte uns damals jemand von Schiffen mit einer Ladung von 18.000 Standardcontainern erzählt, hätten wir uns an die Stirn getippt. Heute werden diese Pötte gebaut. Schiffe wie zu meiner Fahrtzeit mit Kapazitäten um die 800 bis 1.000 Container werden nur noch im regional begrenzten Zubringerdienst eingesetzt, als sogenannte Feeder-Schiffe. Liegezeiten haben sich extrem verkürzt, und nach dem Anschlag aufs World Trade Center in New York wurden weltweit Sicherheitsbestimmungen in den Häfen durchgesetzt, die mit rigorosen Kontrollen den Landgang noch mehr erschweren. Die Pötte sind vollgestopft mit modernster Technik und werden von grundlegend anders strukturierten Besatzungen gefahren. Überhaupt hat sich der Betrieb mit einigen wenigen europäischen Führungskräften und ausländischen, häufig wirklich exotischen „Mietbesatzungen“, zum Standard-Bemannungsmodell deutscher Reedereien entwickelt. Damit ist auch eine andere Lebenskultur auf den Schiffen heimisch geworden. Ich erzähle also von der Seefahrt einer vergangenen Zeit, die aber bereits die künftige Entwicklung in der Containerfahrt erahnen lässt.

Die geschilderten Ereignisse sind alle authentisch, lediglich einige Kalenderdaten sind zweifelhaft, da nicht mehr genau zu rekonstruieren. Nicht immer konnte ich noch feststellen, wann Kapitän X von Kapitän Y abgelöst wurde oder auf welcher von fünf aufeinanderfolgenden Reisen Steuermann Z im Puff versackte. Namen habe ich, wie schon in meinen ersten beiden Büchern, häufig verändert. Die Gründe ergeben sich oft aus den Begebenheiten, die zur Sprache kommen.

Mancher Fahrensmann war früher eine echte Wildsau und ist inzwischen zum seriösen Großvater herangereift, dem möchte ich seine Anonymität bewahren. Und viele Namen habe ich schlicht vergessen, dann habe ich die damaligen Kollegen einfach umgetauft.

Da, wie ich nun weiß, nicht nur alte Fahrensleute zu solchen Büchern greifen, sondern auch die eine oder andere Landratte ein Faible für solche Schilderungen hat, habe ich in diesem wie in meinen anderen Büchern immer wieder mal fachliche oder sonstige Hintergrunderläuterungen eingefügt, in Kursivschrift, um sie vom allgemeinen Erzählstrang zu unterscheiden. Alte Seeleute mögen das „überlesen“, unbefahrenen Lesern möge es nützen.

Bisher sah ich keine Veranlassung, eines meiner Bücher einer bestimmten Person aus meinem Umfeld zu widmen. Hier habe ich aber einen guten Grund dazu. Manfred Huber, Schiffselektriker, fuhr mit mir zusammen auf zwei Pötten, daraus entstand eine Freundschaft, die uns über viele Jahre verband, bis er leider viel zu früh im Jahre 2009 verstarb. Ich traf ihn 1980 zum ersten Mal, auf eben jener SEATRAIN BENNINGTON, die in diesem Band eine Rolle spielt. Und deshalb will ich mit diesem Buch ganz besonders an „Manni“ Huber erinnern, einen Seemann mit Leib und Seele, an Bord wie an Land ein Kumpel, mit dem mich zahllose Erinnerungen verbinden. Er war nicht ein Bordkollege unter vielen, er war ein Freund.

So, das war dann mal genug zur Einführung. Wir starten mit dem üblichen Ablauf: Urlaubsende, Anruf von der Reederei, in etwa immer der gleiche Schnack: „Herr Schlörit, wir haben wieder `nen Dampfer für sie. Kommenden Mittwoch fliegen sie nach Los Angeles, sie steigen auf der SEATRAIN PRINCETON ein. Ticket ist am Frankfurter Flughafen hinterlegt. Gute Reise!“ Das in dem Anruf genannte Ziel war austauschbar, der Schiffsname und der Mittwoch auch. Aber sonst war es fast immer der gleiche Text, den die Personalinspektoren am Telefon herunter beteten.

Der Rest war Routine, Koffer packen, einige persönliche Dinge regeln, mit den Kumpels noch mal um die Häuser gezogen, und dann ist der Abreisetag da. Und damit beginnt mein Trip mit diesen verdammten Containern…

Die Dummen fahren zur See, die ganz Dummen im Winter

So stelle ich mir die Käfighaltung von Legehennen vor. Seit Stunden sitze ich eingepfercht in einer Boeing B-747 der Lufthansa, zum ersten Male reise ich mit einem solchen Jumbo-Jet. Die Kiste ist brechend voll, gut 400 weitere Passagiere sind mit mir in dieser Röhre gestapelt und dünsten leise vor sich hin. Nicht alle sind leise, die amerikanische Mutter in meiner Sitzreihe sieht sich außerstande, ihre tobsüchtigen Kleinkinder zu bändigen. Was meine Laune nicht gerade hebt. Zur anderen Seite hockt eine mächtig korpulente deutsche Mutti, die ihren in Kalifornien lebenden Sohn besuchen möchte. Und dies allen Sitznachbarn sehr ausführlich erläutert, worum eigentlich niemand gebeten hat. Über die Kopfstütze vor mir schaue ich auf einen riesigen wippenden Gamsbarthut, ein Ami hat „good old Germany“ bereist, also hauptsächlich Bayern, jetzt hat er sich als „Seppel“ verkleidet und gedenkt so seine in L.A. wartende Familie zu erschrecken. Hoffentlich sind wir bald da.

Ab und zu fällt mir ein Typ auf, der in regelmäßigen Abständen vor der Galley aufkreuzt, dem Arbeitsbereich der Stewardessen. Und sich da alle Nase lang ein neues Bier abholt. Ein Riesenbaby, der Kerl, groß, kräftig, schwarzer Vollbart. Könnte ein Seemann sein, mein Personalinspektor erwähnte am Telefon, dass noch zwei Maaten mit mir auf die SEATRAIN PRINCETON fliegen. Beim Einsteigen in Frankfurt konnte ich die in der Menge unmöglich ausfindig machen.

Wenige Stunden später. Endlich landen wir in Los Angeles, und ich darf diesen fliegenden Folterkeller verlassen. Elfeinhalb Stunden waren wir in der Luft. Zeitunterschied zu Deutschland 9 Stunden, wir sind am frühen Nachmittag in Frankfurt gestartet, und jetzt ist es vor Ort erst später Nachmittag. Meine innere Uhr behauptet aber, dass es schon später Abend sei, und entsprechend schräg bin ich drauf.

Ich schleppe mein Gepäck in die Ankunftshalle, nach penibler Überprüfung durch den „Immigration-Officer“, der mich zunächst, wie in den USA üblich, für einen verkappten Kommunisten mit Nazi-Hintergrund und Mafia-Verbindungen gehalten hat. Das lässt zumindest die kritische Miene des Uniformträgers vermuten. Aber nach einem Blick ins Seefahrtsbuch und in den mir von der Reederei zugestellten Begleitbrief (Überschrieben mit „To whom it may concern“) stellt er mir doch flott das Transitvisum für Seeleute aus und wendet sich dem nächsten Schwerkriminellen in der Warteschlange zu.

Kurz darauf lerne ich Kenneth Norquist kennen. Kenneth ist Baptistenpfarrer, leitet in Wilmington, dem Containerhafen von L.A., eine Seemannsmission und ist der gute Geist vieler deutscher Seeleute hier an der Küste. Für Schiffe, die regelmäßig nach Wilmington kommen, nimmt er gleichzeitig noch gewisse Agenturaufgaben wahr. Jetzt steht der hier im Flughafen-Terminal und hält ein Schild hoch, beschriftet mit „MV Seatrain Princeton“. Na, dann latsch’ ich doch mal dahin. Stelle mich dem freundlichen Kenneth vor: „Hi, my name is Bernhard Schlörit, Radio-Officer!“ Und schon steht das Riesenbaby aus dem Flugzeug neben mir, dachte ich es mir doch. „Hallo, I`m Wolfgang Groß, 2nd Mate!“ Schließlich schlurft noch ein kofferschleppender Seemann heran, ein Assi, also Ingenieurs-Assistent. Damit hat Kenneth seine Schäfchen alle zusammen, umgehend verfrachtet er uns in seinen Van und schaukelt uns Richtung Dampfer. Draußen ziehen Stadtteilschilder von Los Angeles vorbei. Inglewood, Hawthorne, Carson. Drinnen erzählt Mr. Norquist, dass er schon seit Jahren „German Seamen“ betreue. Und die beiden Schiffe der Reederei Laeisz, die ja alle paar Wochen in Wilmington an die Pier gehen, die hat er gewissermaßen adoptiert. Egal, welches Problem, Kenneth hilft aus. Ein Seemann hat „Trouble“ mit Behörden, Kenneth ist da. Die Crew möchte mal `nen Ausflug in die Umgebung machen, Kenneth organisiert das. Crewchange, die Leute müssen von oder zum Flughafen gebracht werden, Kenneth fährt.

Viele dieser Aufgaben werden normalerweise von den sogenannten Agenturen wahrgenommen. Schiffe benötigen im Hafen einen Makler, der für Reederei und/oder Kapitän alle Belange des Schiffes gegenüber den Behörden vertritt, die Versorgung mit schiffswichtigen Gütern durch einen lokalen Schiffshändler vermittelt und auch den Lade- und Löschbetrieb organisatorisch begleitet. Die Agentur kümmert sich bei Bedarf noch um weitere Dienstleister, die den Service rund ums Schiff sicherstellen. Reparaturdienste, wenn technische Arbeiten mit Bordmitteln nicht mehr zu bewältigen sind. Wäschereibetriebe, die bei Einlaufen die umfangreiche Schiffswäsche abholen und binnen Stunden gereinigt wieder anliefern. Wird Treibstoff oder Frischwasser benötigt, sorgt die Agentur für das sogenannte „Bunkern“, wie der Betankungsvorgang bei Schiffen genannt wird.

Die Agenturen besorgen auch die vom Kapitän bestellten Geldbeträge in Landeswährung oder die überall akzeptierten US-Dollars, um damit Vorschüsse an die Crew zu zahlen oder im Hafen fällige Rechnungen bei Bedarf bar zu begleichen. Ein Seeschiff bedarf einer reichlich vielschichtigen Infrastruktur, es ist die Aufgabe der Agenturen, die damit verbundenen Aktivitäten zu managen. Und dazu gehören eben auch alle Aufgaben rund um den Besatzungswechsel, wenn denn einer stattfindet. Beschaffung der Visa für die Ein- oder Ausreise der Janmaaten, der Transfer von oder zu den Flughäfen, Buchung der Flüge oder Zugverbindungen, gegebenenfalls die Bestellung von Hotelzimmern, wenn die Abreise erst später stattfand oder die Ablöser schon einen Tag vor dem Schiff im Hafen eintrudelten. Die dann auch fälligen Fahrdienste aber machte in L.A. der umtriebige Kenneth Norquist.

Später dann Ankunft am Schiff. Ich klettere aus dem Van und schaue mir den Kasten an, der für die nächsten Monate Wohnsitz und Arbeitsplatz für mich sein wird. Das MS „SEATRAIN PRINCETON“. Zuhause steht ein Bildband in meinem Bücherregal, die Geschichte der Reederei Laeisz. Dort habe ich mir vor der Abreise noch schnell die technischen Daten des Pottes angeschaut. Eigentlich heißt der Kahn ja PLUVIUS.

Nun wurde das Schiff aber langfristig von den amerikanischen Seatrain-Lines angemietet, und die wollten außer ihrer Schornsteinmarke auch einen Namen am Bug sehen, der der Namenstradition dieser Company entspricht.

Folgerichtig fährt der Kahn jetzt als SEATRAIN PRINCETON, und das im gleichen Fahrtgebiet eingesetzte Schwesterschiff heißt SEATRAIN LEXINGTON.

Seatrain Lines gliederte die zwei Dampfer in dem eigenen Liniennetz ein und besorgte die Befrachtung. Bei Laeisz verblieb das Schiffsmanagement. Die beiden Zossen wurden 1972 erst in Dienst gestellt und waren in den Folgejahren im Cross-Trade (Frachttransporte zwischen ausländischen Häfen) auf der Route Kalifornien-Japan eingesetzt. Erst vor einiger Zeit änderte sich das Fahrtgebiet, die Seatrain-Lines schickt die beiden Dampfer nun von Kalifornien nach Taiwan und Hongkong. Mein erster Job, der mich regelmäßig über den Pazifik führen wird. Meine bisherigen Schiffe gurkten alle in der Karibik, im Atlantik, im Mittelmeer, in den großen Seen, auch im Persergolf und mal im Schwarzen Meer herum. OK, einmal Pazifik hatte ich schon, 1972 mit `nem Linienfrachter längs der Westküste Südamerikas. Aber das war ja nur so was wie große Pazifik-Küstenfahrt, und Ostasien kenne ich überhaupt nicht. Schauen wir mal, was da auf mich zukommt.

Jetzt stehe ich an der Gangway und lasse den Blick wandern. 172 Meter Schiffslänge, 24 Meter breit. Vermessen ist der Schlorren mit 13.294 BRT, maximal transportiert er 816 der 20 Fuß-Standardcontainer. Aufbauten weit hinten, und sonst nichts an Deck. Keine Bäume, keine Kräne, ein Vollcontainerschiff ohne eigenes Ladegeschirr. Am schwarzen Rumpf groß die Aufschrift SEATRAIN LINES. Und auf dem Deck stehen aufgestapelt die bunten Kisten, deren Transport die originäre Aufgabe des Dampfers ist. Am Schiff arbeitet eine riesige Containerbrücke, eine gewaltige Konstruktion, die gerade brummend einen Container von Deck abhebt und an Land fährt. Dort landet die Kiste direkt auf der Ladefläche eines Trucks und wird vom Kai gerollt. Flackernde gelbe Warnlichter überall, jede Bewegung der Containerbrücke oder sonstiger Fahrzeuge wird von gellenden Warnsirenen begleitet. Ganz schöner Hallas hier.

Ich schleppe mein Gepäck die Gangway hoch, erste Schritte in mein neues Lebensumfeld. Im Deckshaus gedämpftes Summen, irgendwo leise Dieselgeräusche. In den unteren Decks Mannschaftsunterkünfte, die Kombüse, die Messen. Weiter oben Offiziersunterkünfte, das Schiffsoffice. Ich stolpere an der geöffneten Tür der Kapitänswohnung vorbei. Yes, der hat `ne Wohnung, mit großem Wohn- und Arbeitsraum, abgetrennter Schlafkammer. Keine bescheidene Einzelkammer wie unsereins mit nur zwei Streifen auf den Schulterstücken. Und am Schreibtisch sehe ich den „Master next God“ gerade sitzen, da kann ich mich auch gleich zum Dienstantritt melden, bevor ich die Funkbude erreiche. Vor mir ein untersetzter Mann mittleren Alters, Brillenträger, grinst mich freundlich an. Ich stelle mich vor. „Jou“, meint der Alte, „Siegert mein Name, willkommen an Bord. Schicken `se dann erst mal ihren Vorgänger in Urlaub, wir schnacken später noch.“ Und schon bin ich wieder draußen. Das ist also Otto Siegert, in der ganzen Reederei bekannt unter dem Pseudonym „Taifun-Otto“. Mein erster Eindruck ist ganz OK. Und bei dem kurzen Wortwechsel war ein Anflug von Humor beim Alten zu erkennen, für mich ein absolutes Muss bei Menschen, mit denen ich gut auskommen will. Ohne Humor zur See fahren, das macht’s nur unnötig schwer. Bei den Widrigkeiten, denen man bei der Seefahrt immer wieder mal ausgesetzt ist. Na ja, das ist mein erster Eindruck. Abwarten.

Ganz oben hinter der Brücke die Funkbude. Ja leck mich doch, geht’s vielleicht noch ein bisschen kleiner? Ein winziger Raum, zur Hälfte vollgestopft mit der ganzen Funktechnik. Der in jenen Jahren sehr verbreitete ST 1400 als Hauptsender. Keine Fernschreibausrüstung, aber sonst alles zeitgemäß, und da kann ich schon mal aufatmen. Nicht dieser uralte Kram, den ich vor wenigen Jahren auf den Kühlschiffen vorfand – zu Beginn meiner Funkerlaufbahn. Mein Vorgänger sitzt entspannt am Arbeitsplatz, kein Wunder, für den geht’s nach sechs Monaten Borddienst wieder nach Hause. Der bemerkt meinen kritischen Blick und grinst: „Sind `se froh, dass hier überhaupt `ne Funkbude existiert. Weiß nicht, ob`s stimmt, aber da wird behauptet, die holländische Bauwerft, die den Zossen zusammengebastelt hat, hätte vorher nur Kümos gebaut (Kümos sind Küstenmotorschiffe, die in der Regel über keine separate Funkstation verfügen und auch keinen hauptamtlichen Funker fahren. Die Funkanlage befand sich bei Kümos auf der Brücke und wurde von Kapitän oder Steuermann nebenbei mitbedient), erst als die Gurke fast fertig war, hätte sich jemand dran erinnert, dass da irgendwo noch ein Funker mit seinem Gerümpel unterzubringen ist.“ Und so sieht das hier auch aus. „Schauen `se sich mal den Wohnraum an!“ Ich schaue mir den Wohnraum an und gucke noch bedröppelter aus der Wäsche. Das ist keine Kammer, das ist eine möblierte Hasenkiste. Den meisten Platz allerdings beansprucht die überdimensionierte Koje, wahrlich fast ein Doppelbett. Was soll das denn, wie haben sich die Erbauer dieser Bude denn die Lebenswirklichkeit eines Seefunkers vorgestellt? Ok, mit `ner mitreisenden Ehefrau mag das ja recht praktisch sein, aber so was ist eher die Ausnahme. Gerade bei diesem entlegenen Einsatzgebiet im Pazifik. Und bei mir sowieso, mangels Ehefrau. Alles andere ist Kleinformat, ein Mini-Sofa, ein schmaler Schrank, ein winziges Stück Holz auf Stelzen, das den Namen „Schreibtisch“ trägt. Ein Tischchen auf Einzelfuß und 40 cm Buchregal. Ende.

Krönung ist dann die Nasszelle. Die haben die Holländer wohl auch erst nachträglich eingeplant, und jetzt befindet die sich innerhalb des Schornsteingehäuses. Komplett. „Da werden `se noch viel Spaß haben“, meint mein Kollege. „Affenhitze da drin, is` so ’ne Kombination von Dusche und Sauna. Einziger Vorteil: Wenn `se mal ein T-Shirt waschen oder sonst was Kleines, einfach nass an die Wand kleben, wenn`s dann trocken runter fällt, ist`s gleich gebügelt!“ Ja, toll, so was habe ich schon immer vermisst.

Wir schnacken noch ein bisschen über dieses und jenes, dann zieht mein Kollege von dannen. Unten wartet Pfarrer Norquist, um die abgelösten Piepels noch am gleichen Tag zum Flughafen zu bringen. Und ich bin jetzt diensttuender F.O. auf SEATRAIN PRINCETON.

Die Funkanlage ist mir vertraut, Verwaltung ist auf aktuellem Stand. Also genug Luft, um in Ruhe den Dampfer und die Crew zu beschnüffeln. Erste Chance dazu bietet das Abendessen, in der Offiziersmesse finden sich gegen 18:00 Uhr die meisten „Streifenträger“ ein, wenn auch ohne Streifen. Uniform ist eher die Ausnahme bei Laeisz, im Hafen sind meist nur der Kapitän, der Chiefmate (1. Offizier) und eventuell der diensttuende Offizier an Deck „aufgetakelt“ unterwegs. Erleichtert die Zusammenarbeit mit den Hafenleuten, den Stevedores und den Behörden, die sehen dann auf Anhieb, wer ihr Ansprechpartner ist. Und auch ich trage, zumindest während der von mir wahrgenommenen Einklarierung (Behördliche Abfertigung des Schiffes bei Einlaufen) meine Uniform. Danach verschwindet die umgehend im Schrank, und ich bin wieder in Räuberzivil unterwegs.

Also, von den Piepels hier ist mit keiner bekannt. Außer dem Riesenbaby, das mit mir angereist war. Sonst lauter fremde Gesichter. In der O-Messe zumeist Deutsche, nur der dritte Ing. ist ein Pole. Drüben in der Mannschaftsmesse zunächst auch keine bekannte Seele. Sowieso sind dort die meisten wieder Gilbertesen, Seeleute von diversen Südseeinseln. Lediglich der Bootsmann, der Decksschlosser, der SBM (Schiffsbetriebsmeister) und zwei Motorenwärter sowie die Kombüsenbesatzung sind deutsche Sailors. Aber den Koch kenne ich, mit dem fuhr ich ´76 auf der PEKARI. Der löste damals in Rotterdam Ede Wolf ab, den berüchtigten Frikadellenkönig von Laeisz. Mit seinem Dienstantritt wurde die Verpflegung deutlich besser, und das lässt auch hier auf anständiges Futter hoffen.

Dann tobt da in der Kombüse noch ein Kochsmaat herum, und der ist wirklich ein Unikum. Die S. PRINCETON ist sein erster Dampfer. Er stammt aus der Schweiz, labert ein kaum verständliches „Schwyzerdütsch“ und staunt über alles, was er bisher noch nicht gesehen hat. Und da er fast alles hier noch nie gesehen hat, staunt er eigentlich ununterbrochen.

Nach dem Essen noch ein bisschen Smalltalk mit den neuen Kollegen. Der Trip sei ganz OK, in den beiden taiwanesischen Häfen, die angelaufen würden, liege man schon mal zwei Tage. Lediglich Hongkong ginge affenschnell, spät abends rein und 6 oder 7 Stunden später wieder raus. Kaum einer hat bisher von Hongkong was gesehen. Aber hier, an der Ami-Küste, ginge es auch nicht so rasend flott. In Wilmington sollen wir morgen früh auslaufen. Nach 24 Stunden Fahrt gehen wir dann in Oakland (San Francisco Bay) an die Pier, und angesichts des bevorstehenden Wochenendes werden auch 48 Stunden Liegezeit erwartet. Hört sich ganz gut an. Nur der Chiefmate dämpft ein wenig meine Erwartungen. „Auch wenn die Liegezeiten für `nen Schachteldampfer ganz OK sind, dazwischen liegen immer 14 Tage Überfahrt. Und das ist jetzt nicht so lustig, Winterhalbjahr im Nordpazifik. Richten Sie sich mal auf überwiegendes Schietwetter ein. Sie wissen ja: Die Dummen fahren zur See, die ganz Dummen im Winter!“ Hmm...

Allzulange bin ich nach dem Abendessen nicht mehr aktiv, der Jetlag sitzt mir in den Knochen. Trotzdem sehe ich zu, dass ich abends spät noch `nen Wetterbericht aufnehme, morgen früh um 6 Uhr sollen wir auslaufen. Der anschließende Schlaf ist `ne Quälerei, wegen der Zeitverschiebung stehe ich sowieso neben mir, und draußen wird mit gelegentlichen Unterbrechungen gearbeitet. Jedes mal ein dumpfer Schlag, wenn die Containerbrücke wieder eine Box in der Luke absetzt. Durch die Vorhänge das matte Flackern der Blinklichter. Nächtliche Hafenatmosphäre.

Am folgenden Morgen, zum Auslaufzeitpunkt quäle ich mich aus der Koje. Verdammt, jetzt müsste man pennen können, aber was nich` is`, is`nich`. Nach dem Frühstück sofort in die Funkbude, meine Wache beginnt erst um 08:00 Uhr, aber unmittelbar nach Auslaufen sind vom Alten die üblichen Auslauftelegramme zu erwarten. Meldungen an Reederei, Charterer, Behörden über Auslaufzeitpunkt und voraussichtliche Ankunftszeit in Oakland. Der „Reiseleiter“ muss mich ja nicht gerade in der Koje antreffen, wenn er vor Wachbeginn mit seinen Depeschen auftaucht. Meine Eile ist aber überflüssig, das Auslaufmanöver zieht sich bis 07:30 Uhr hin, und Taifun-Otto präsentiert mir die Telegramme erst nach Acht, während meiner regulären Frühwache.

Mein Vorgänger hat mir einige Notizen und eine ganz brauchbare Übersicht über die funktechnischen Gegebenheiten hinterlassen. Bevorzugt wird hier mit San Franzisco-Radio gearbeitet, die Verbindung zur heimatlichen Küstenfunkstelle Norddeichradio ist im Pazifik über weite Strecken beschissen. Also leitet auch Laeisz den Reederei-Funkverkehr über San Francisco/KFS. Für mich eine komfortable Sache, bei bester Verbindung gehen die Telegramme in kurzer Zeit raus, das flutscht nur so. Trotzdem komme ich nicht umhin, wenigstens einmal am Tage auch irgendwie einen Sammelanruf von Norddeich abzuhören, da kann sich immer mal ein Telegramm fürs Schiff einfinden, und das gilt es dann möglichst verzugsarm zu erwischen. Hier an der kalifornischen Küste haut das ja noch einigermaßen hin, wenigstens bei Nacht. Später, weit draußen auf dem Pazifik sind da schon einige Verrenkungen nötig, um den Sender in Ostfriesland zu hören.

Jetzt also die 24 Stunden nach Oakland. Zunächst fällt mir auf, dass der Dampfer abartig vibriert. Was ist das denn für eine Zitterkiste, alles rumpelt, wackelt und bebt mit einer Intensität, wie ich es noch auf keinem Schiff bisher erlebt habe. Ich bin kurz davor, im Rhythmus der Vibrationen mit den Zähnen zu klappern. Mittags in der Messe äußere ich mich dazu, der Chief (Leitender Ingenieur) grinst über alle vier Backen: „Da gewöhnen sie sich noch dran, das Ding schüttelt sich halt ein bisschen mehr als üblich. Da haben die Holländer einen richtigen schwimmenden Vibrator zusammengebastelt!“ – „Hat auch Vorteile!“ meint der Blitz (Schiffselektriker) grinsend. „Wenn deine Alte mitfährt, brauchst `de dich nur drauflegen. Für die Bewegung sorgt schon das Schiff!“ Der muss es ja wissen, seine Frau befindet sich nämlich an Bord. Ist gestern eingestiegen, aber gesehen hat sie noch keiner. Ich auch nicht, ihre Papiere brachte mir der Blitz gestern Abend noch in die Funkbude, zwecks Aufnahme in die Crewliste. Ist `ne Amerikanerin, und die soll er erst vor kurzem geheiratet haben.

Und noch eine Lady fährt hier mit. Susi, tiefschwarz, noch sehr jung und als Bordhund angemustert. Den Köter haben die Maaten vor einiger Zeit im Hafen von Keelung aufgegriffen und umgehend adoptiert. Susi ist noch sehr verspielt, und wenn sie sich so richtig freut, pinkelt sie auf der Stelle. Sie freut sich eigentlich andauernd.

Es ist Samstagmorgen, als wir in Oakland an der Containerpier festmachen. Schon vor der Lotsenübernahme bin ich auf der Brücke, Fotos der Golden Gate-Brücke im Sonnenaufgang, das wär doch mal was. Das hätte ich mir schenken können, über der Bucht von San Francisco steht eine gigantische Nebelwand, von der berühmten Brücke ist nichts zu sehen. „Das sieht hier oft so aus!“ meint der Chiefmate, der neben mir steht und den Maschinentelegrafen bedient. „So mancher Tourist ist nach Frisco gereist und stand dann mit seiner Kamera vor der Nebelwand. Und zwar tagelang!“ So ein Mist aber auch. Man soll die Hoffnung aber nicht aufgeben, dieser Kahn läuft ja alle Nase lang in die San Francisco Bay ein.

Nun liegen wir also im Containerhafen von Oakland. Kein Stadtteil San Franciscos, wie ich fälschlicherweise annahm, sondern eine Großstadt am Ostufer der San Francisco Bay. Mit Frisco ist Oakland durch eine doppelstöckige und elend lange Brücke verbunden, die Bay Bridge. Der Hafen sieht aus wie die meisten großen Häfen, hier schon mit zahlreichen Containerbrücken ausgestattet, unzählige Lagerschuppen, Kräne und überall die gestapelten Container in allen Farben und von allen möglichen Reedereien. Jetzt, im Jahre 1978, hatte der Container noch nicht alle Fahrtgebiete erobert, aber in diesem Port dominierte er bereits das Geschehen.

Unmittelbar nach dem Festmachen komme ich als Purser zum Einsatz. Die Einklarierung gehört zu meinem Job, mit meinen diversen Zoll- und Mannschaftslisten finde ich mich im Salon ein, und mit den lokalen Behördenvertretern ziehe ich dann den notwendigen Verwaltungsakt durch, der bei jeder „Einreise“ eines Seeschiffes obligatorisch ist. Weltweit, auch wenn das Schiff den eigenen Heimathafen anläuft. Jetzt aber findet hier nur eine Einklarierung der einfacheren Art statt, wir hatten zuvor bereits einen US-Hafen angelaufen, damit entfällt wenigstens die langwierige Immigration-Prozedur mit grenzpolizeilicher Überprüfung aller Besatzungsmitglieder. Der Rest ist Routine, ein paar Zolllisten und sonstige vorgeschriebene Formulare, ein bisschen freundliches Geplauder, der Steward serviert Kaffee. Der Alte, der Chiefmate und der Chief sind auch zugegen, die befassen sich aber nicht mit meinem profanen Behördenkram. Deren Anliegen betrifft die Beladung, den Zeitplan, eventuelle Sonderladungen, das vom Chief angeforderte Bunkern. Auch der Vertreter der Agentur kommt mit Einlaufen an Bord, und der hat jetzt alle Hände voll zu tun, um den Anforderungen der Schiffsleitung zu genügen.

Auslaufen wird für Sonntagabend 18:00 Uhr angesetzt. Hört sich gut an, erst morgen Abend Leinen los, und bis dahin liegen eigentlich keine wesentlichen Arbeiten auf meinem Tisch. Hafenwochenenden sind dienstfreie Tage, solange keine sicherheitsrelevanten oder sonst wie schiffswichtigen Dinge zu erledigen sind. Gut, Hafenliegezeiten sind für Funker sowieso „Tage der Untätigkeit“, aber offiziell gibt es da auch „Regelarbeitszeit“, man muss dann schon ab und an etwas Beschäftigung vorgaukeln. Irgendwas ist ja immer mal zu tun, Verwaltungsarbeiten macht man ja zusätzlich zu Funkerei auch. Aber jetzt, an diesem Samstag in Oakland, ist „Daddeldu“ in der Funkbude, außerdem stehen noch einige Besorgungen an. Ich will mir einen Kassetten-Recorder besorgen, mein bisher auf Schiffen verwendetes Gerät hat den Geist aufgegeben. Für den Empfang von Radionachrichten ist die Funkstation bestens ausgestattet, ein Funker muss also nicht wie die meisten Seeleute irgendein voluminöses Radio mit an Bord schleppen, um die Kammer zu beschallen. Aber man hört ja auch gerne Musik eigener Wahl, mit den derzeit üblichen und sehr handlichen Musik-Kassetten lässt sich das leicht realisieren. Unmittelbar nach der Einklarierung verlasse ich das Schiff, der Custom-Officer, der beim Small-Talk in der Messe meinen Einkaufswunsch mitbekam, nimmt mich freundlicherweise mit in die City. In einem „Radio-Shack“, einer Filiale dieser in den USA recht populären Elektronikmarktkette, haben sie genau das gesuchte Gerät. Ein kleines UKW/Kassetten-Radio der Marke „Sharp“ erfüllt meine Ansprüche. Das Ding ist auch für das 220/230-Volt-Bordnetz geeignet, nicht nur für die in den USA üblichen 110/120 Volt. Und da ich nur wenige Kassetten von zu Hause mitgebracht habe, wird auch dieser Bestand hier ergänzt. Schon zwei Stunden später bin ich wieder an Bord und installiere meine Beute „seefest“ in dem winzigen Bücherregal, das meine Kammer ziert.

Nach dem Mittagessen überlege ich, nochmal an Land zu gehen. Vielleicht ein wenig „Sightseeing“, mal die Gegend anschauen. Da läuft mir an der Gangway der Bootsmann über den Weg, auch im Landgangspäckchen. „Na Funker, auch on shore?“ „Jou, wollte ich eigentlich!“ – „Tscha, wenn Sie mitkommen wollen, ich will auch mal gerade los, kenne da `ne ganz lustige Kneipe downtown!“ `Ne ganz lustige Kneipe. Na gut, warum eigentlich nicht, Sightseeing kann man so oder so betreiben. Also ziehen Funker und Bootsmann gemeinsam ab, Richtung ganz lustige Kneipe.

Eine halbe Stunde später sitzen wir in einem recht großen Pub in einem Außenbezirk der Stadt. Alles sehr alt und auf historisch gemacht. Vielleicht ist es sogar historisch und kein „Fake“, es lässt sich schwer beurteilen. Unmittelbar vor dem Schuppen ist auf der Straße ein alter Schienenstrang eingelassen, das fiel uns beiden kaum auf. Und wie wir so beim Bier sitzen und angeregt plaudern, fangen plötzlich die Gläser im Barschrank und vor uns an zu vibrieren, der Tresen zittert, alles scheppert verhalten vor sich hin. Ein Erdbeben? Schließlich sitzen wir hier in Kalifornien, da wackelt die Erde immer wieder mal. Dann draußen ein langsam lauter werdendes Gebimmel. Und plötzlich wird’s dunkel in der Bude, direkt vor den riesigen Sprossenfenstern der Spelunke rollt ganz langsam und gemächlich ein Güterzug vorbei. So ein richtiger amerikanischer Monstertrain, erst zwei gigantische Dieselloks, und dann Wagon nach Wagon, endlos. Nicht auf einem isolierten Bahndamm, sondern mitten durch diesen Stadtteil. Na, das ist ja `ne Nummer, ich krieg mich gar nicht mehr ein. Auch die amerikanischen Gäste sind höchst „amused“, diese Pinte ist wohl bekannt für ihre Nähe zum Bahnverkehr.

Wir bleiben dann in der Bude hängen, ist ganz gemütlich hier. Mit dem Bootsmann unterhalte ich mich prächtig, der ist aber auch `ne Type. Wenn sie beim Ohnsorg-Theater die Rolle eines Seemannes besetzen müssten, wäre der goldrichtig. Schon `ne lange Fahrtzeit auf dem Buckel, Figur wie ein Schrank und breitestes Hamburger Platt. Und durstig wie ein Swimmingpool. Wir haben viel Spaß bei diesem Nachmittagsbier auf dem Zapfhahn-Bahnsteig.

Abends wieder an Bord. Ich habe die Zeitverschiebung der Anreise noch immer nicht ganz überwunden, an der Koje führt kein Weg mehr vorbei...

Sonntagmorgen, Frühstück in der Messe. Es bleibt bei 18:00 Uhr Auslaufen, der Ladebetrieb wird immer wieder unterbrochen. Eine ganze Reihe von Containern ist noch nicht im Hafen eingetroffen, die rollen noch irgendwo auf Trucks über amerikanische Highways. Aber Seatrain will die Dinger unbedingt an Bord haben, irgendeine Terminladung. Na ja, mir ist das ziemlich egal, mit der Ladung habe ich direkt nichts zu tun.

Und wie ich noch in meinen Rühreiern herum stochere, haut mich der Kapitän an: „Funker, wie sieht’s aus, Lust auf `nen kleinen Ausflug?“ „Was für `nen Ausflug?“ Also, die Sache wäre die, er kenne da eine deutschstämmige Familie, ist schon länger mit denen befreundet, und die hätten ihn zu `ner kleinen Tour ins Napa Valley eingeladen. Ein Tal nicht zu weit von Oakland entfernt und eines der bekanntesten Weinanbaugebiete Kaliforniens. Und diese netten Leute hätten noch einen Platz frei im Wagen und angeboten, ruhig noch ein Besatzungsmitglied mitzunehmen. „Und Sie haben in ihrer Funkbude ja eh nix zu tun, also, wie wärs?“ Ja, klar, warum nicht. Ich vermute ein gewisses Kalkül hinter der Einladung, so kann Taifun-Otto seinen neuen Funker schon mal beschnuppern, den hat er ja jetzt die nächsten Monate an der Backe und will wohl mal abklären, was das für ein Vogel ist. Mir soll’s recht sein, beschnuppern funktioniert nämlich in beide Richtungen.

Eine Stunde danach fährt ein Dodge an der Gangway vor. Das ältere Ehepaar, das uns in Empfang nimmt, macht wirklich einen sehr freundlichen Eindruck, die leben schon seit den Nachkriegsjahren in Kalifornien und sind ganz happy, den früheren Landsleuten etwas von ihrer neuen Heimat zu zeigen.

Eineinhalb Stunden sind wir unterwegs. Zunächst durch die weitläufigen Stadtteile von Oakland, dann auf der Interstate 80 nach Norden. Weiter auf `ner kalifornischen Staatsstraße in das bekannte Tal. Weinberge sucht man vergebens, die bauen die Reben in der flachen Ebene an. Dies allerdings überall, das komplette Napa Valley lebt vom Rebensaft. Unsere Gastgeber erläutern die Hintergründe, das mediterrane Klima und die Mischung von Sediment -und Vulkanböden schaffen beste Voraussetzungen für erfolgreichen Weinbau. Und wir wären nicht in den USA, wenn hier nicht auch geballte Technik zum Einsatz käme. Zwischen den endlosen Rebenreihen stehen in gleichmäßigen Abständen gasbefeuerte Heizkörper. Und immer wieder große Propeller. Mit den Heizungen tricksen die Winzer das Klima aus, wenn’s mal zu frisch ist. Und die Propeller sind als Nebelvertreiber gedacht, wenn der Nebel mal zu lange anhält. Auf den Weinbergen an Rhein und Mosel habe ich so was noch nie gesehen.

Ziel der Exkursion ist ein Weingut im Besitz einer aus Deutschland vor drei Generationen eingewanderten Winzerfamilie. Der Clan stammt aus dem Rheinland, und folgerichtig heißt das in traditionell rheinland-pfälzischer Fachwerkbauweise errichtete Hauptgebäude „Rhinehouse“. Schnelle Führung für uns und zwei Dutzend einheimischer Touristen, man zeigt in einem Show-Room überwiegend große farbige Tafeln mit schematischen Darstellungen zur Weingewinnung, dann einen Keller voll mit Fässern, und letztlich landen wir in einer Art Aula zwecks Weinprobe und Verkaufsveranstaltung. Eine junge Lady moderiert das Ganze und erläutert die einzelnen Produkte, die wir verkosten sollen. Das Verkosten gestaltet sich aber sehr sparsam, bei den Tröpfchen, die uns angeboten werden, gehen wir nüchterner aus dem Laden raus, als wir reinkamen. Unerwartet wird’s dann aber noch sehr unterhaltsam, als Taifun-Otto in die Vorstellung eingreift. Die junge Lady präsentiert das Spitzengewächs des Hauses, einen Chardonnay mit dem deutschen Namen „Traubengold“. Sie spricht das aber, da von keinerlei Deutschkenntnissen behindert, im breitesten Slang wie „Droubengould“. Und schon federt Otto aus dem Stuhl, unterbricht, „You say that wrong, you must say Trau - ben – gold!“ Folgsam das Fräulein „Drou – ben -gould!“. „No, no, listen, you must say Trau – ben -gold!“ So geht’s noch ein paar Mal hin und her, Otto mit seinem Traubengold, die Amischnecke mit Droubengould. Die Köpfe der einheimischen Besucher fliegen von ihm zu ihr und wieder zurück, ich rutsche mal im Stuhl ein wenig tiefer. Endlich akzeptiert Otto, dass die Kleine das akzentfreie Deutsch in diesem Leben wohl nicht mehr lernt und gibt sich mit einem immer gequälter klingenden „Droubengould“ zufrieden. Wir kaufen anschließend einige handliche Kartons mit verschiedenen Weinen und verlassen das „Rhinehouse“.

Die Rückfahrt zum Hafen unterbrechen wir noch einmal im Städtchen Napa, kurze Rast in einem Café. Sitzen um einen „round table“ und unterhalten uns prächtig. Im Augenwinkel nehme ich am Nebentisch einen recht dicken Schwarzen wahr, der haut sich inbrünstig einen „Large Coffee XXL“ und eine Unmenge Kuchen in den Wanst und folgt immer aufmerksamer unserem Gespräch. Gekleidet ist er, nun, ich sage mal, etwas übertrieben bunt. Ein taubenblauer Anzug, Rüschenhemd, die zu einem Rüschenhemd überhaupt nicht passende Krawatte leuchtet in allen Signalfarben. Und an den Fingern trägt der Ringe, mein lieber Schwan, mit den bunten Steinen kannste glatt `ne Robbe tot schmeißen. Reichlich protzig, das Ganze. Diese Klopper-Brillis sind es auch, die schließlich uns alle aufmerksam werden lassen. Und der Dicke bemerkt unser Interesse, reckt uns stolz die Flossen entgegen. „Look, do you see that? All diamonds and rubies!“ Schön, freut uns, wir grinsen höflich. Aber jetzt kommt der Dicke erst richtig in Fahrt, und zu unsrer Verblüffung startet er die nächste Ansage in einem schrägen Gemisch von Deutsch und Englisch. „Isch habe listen to you all time, Sie sind german, deutsch, right?“ Wir bejaen. „Well, isch war Deutschland many years, in the army, Heidelbörg!“ Und dann schmettert er doch tatsächlich los „Isch hab min Hartz in Heidelbörg väilooren...!“ Mann, was für eine Nummer. Fröhlich plappert der Typ weiter: „Mein erstes Frow, she was Deutsch, from Mannheim, but she passed away!“ So, she passed away. An dieser Stelle muss ich gestehen, mein zwar recht flüssig verwendetes Englisch hatte ab und zu so seine Lücken. Und dass der Ami mit „passed away“ nicht meint, dass die Lady abgehauen ist, sondern dass „passed away“ schlicht und einfach „verstorben“ bedeutet, ja, das wusste ich damals nicht. Und frage den dicken Schwarzen rundheraus „where did she go?“ Da kräht der fröhlich: „No, no, she died, she is tot gegangen!“ Neben mir höre ich Otto glucksen. „Oh, äh, sorry.“

Wir lauschen noch eine kurze Zeit dem zutraulichen „Heidelbörger“ Ex-Soldaten und empfehlen uns, zum Abschied hören wir noch mal „isch hab mein Hartz, in Heidelbörg...trallalala!“ Wir lachen noch, als bereits die Containerbrücken von Oakland in Sicht kommen. Punkt 17:00 Uhr Ankunft am Schiff, wir verabschieden uns von unseren gastfreundlichen Fremdenführern, Otto ordnet noch die Abgabe einiger deutscher Graubrote aus dem Schiffsproviant an, ein bei Deutschamerikanern immer gerne gesehenes Präsent. Und damit endet unser Sonntagsausflug.

An Bord laufen die Auslaufvorbereitungen auf vollen Touren. Das Schiff ist mit Containern beladen bis zur Halskrause, auch an Deck stehen die Kisten drei Lagen hoch. Ich verschwinde zunächst in der Funkbude, überprüfe noch mal schnell die Funktion meiner Anlage. Dann runter in die Messe und das Abendbrot rein gehauen. Heute Abend gehe ich die letzte Funkwache, und in der Nacht werde ich noch einen Sammelanruf von Norddeichradio abhören, das fällt dann in die Rubrik „Überstunden“ Tagsüber sind die Ostfriesen nämlich gar nicht zu hören. Oder kaum.

Für den Laien hier eine kleine Hintergrunderläuterung zur an Bord verwendeten Funktechnik: Es gab ein international gültiges Vorschriftenwerk, welches die Ausstattung der Seeschiffe mit Funkgeräten und die Bemannung mit Funkpersonal regelte. Und diese vorgeschriebene Ausrüstung hing von der Schiffsgröße ab, die entsprechenden Gesetze entstanden in einer Zeit, als kleinere Schiffe (die Grenze lag bei 1.600 Bruttoregistertonnen) nur im Küstenverkehr oder in der küstennahen Fahrt zum Einsatz kamen. Auf solchen Kähnen war eine sogenannte Grenzwellenanlage für Sprechfunk vorgeschrieben, es musste sich kein hauptamtlicher Funker an Bord befinden. Die Bedienung nahm einer der Nautiker des Schiffes wahr, ein See-Sprechfunkzeugnis besaßen alle nautischen Offiziere.

Für Schiffe über 1.600 BRT bestand die Telegrafie-Ausrüstungspflicht. Vorgeschrieben war eine Mittelwellen-Anlage, die im Morsebetrieb von einem Berufsfunker bedient wurde. Damit war das Schiff dann in der Lage, Notfälle im Umkreis von einigen hundert Meilen, bei idealen Ausbreitungsbedingungen auch mal weiter, zu melden. Und diese, aus grauer Vorzeit der Seefunkerei stammenden Vorschriften wurden bis zum Ende des herkömmlichen Funksystems im Großen und Ganzen beibehalten. Die gesetzlich vorgeschriebene Funkgeräteausrüstung basierte ausschließlich auf dem Aspekt der Schiffsicherheit. Allgemeiner Nachrichtenaustausch zwischen Schiff und Land war dem Gesetzgeber egal.

Dabei ging die Entwicklung in der Seefahrt unaufhaltsam weiter, auch Schiffe unter 1.600 BRT waren zunehmend in weltweiter Fahrt unterwegs. Und die größeren Pötte mit ihrer schwachbrüstigen Mittelwellenausrüstung wären mit zunehmender Entfernung weitgehend verstummt, für weltweiten Nachrichtenverkehr sind die Mittelwellen aufgrund ihrer Ausbreitungsbedingungen nicht geeignet. So erkannte irgendwann auch der sparsamste Reeder, dass eine über die gesetzlichen Vorschriften hinausgehende Funkausstattung unverzichtbar ist.

Also wurden zusätzlich noch leistungsfähige Kurzwellenanlagen in die Funkstationen eingerüstet, die auch Nachrichtenaustausch über große Distanzen ermöglichten. Die Kurzwelle ist dafür aufgrund ihrer Eigenschaften besonders geeignet, außer einer sogenannten „Bodenwelle“ erzeugt man beim Senden auch eine „Raumwelle“. Die Bodenwelle folgt der Erdkrümmung und wird nach einiger Zeit absorbiert, aber die Raumwelle breitet sich wie Licht geradlinig in den Raum aus. Für den Weitstrecken-Funkverkehr hat die Raumwelle nun den unschlagbaren Vorteil, dass sie von der Ionosphäre (eine Schicht der Erdatmosphäre in mehreren hundert Kilometern Höhe, die besonders viele Ionen und freie Elektronen enthält) zurück zur Erde reflektiert wird. Und von der Erde wieder zur Ionosphäre, und das Ganze wieder und wieder. Bei optimalen Gegebenheiten erreicht man mit seiner Aussendung also auch Empfänger auf der anderen Seite der Erdkugel, und das machte den Kurzwellenfunk zum Hauptträger weltweiter Verbindungen.

Diese weltweite Ausbreitung war aber von vielen Gegebenheiten abhängig und schwankte stark. Die reflektierende Ionosphäre ändert ihre Dichte abhängig von vielen Faktoren, wie zum Beispiel Sonneneinstrahlung, Tages- und Jahreszeit. Und das ist die Ursache dafür, dass ich bei meinen Schilderungen immer wieder erwähne, dass ich auf entlegenen Routen „nur nachts“ oder nur „ganz selten“ zu unserer heimatlichen Küstenfunkstelle Norddeichradio durchkam. In einigen Fahrtgebieten hatte man nur ein sehr schmales Zeitfenster für eine Verbindung nach Europa, abhängig von Sonnenunter- oder Aufgang. Und die Wahl der richtigen Frequenz war ebenfalls wichtig, die Kurzwelle reicht von 3 bis 30 MHz, Seefunkfrequenzen auf Kurzwelle gab es im Bereich von 4, 6, 8, 12, 16 und 22 MHz. Richtige Wahl von Frequenz und Tageszeit hatte viel mit Erfahrung zu tun, ein alter Routinier benötigte nur die kurze Spanne dieses erwähnten Zeitfensters für eine Verkehrsabwicklung, während ein Anfänger sich unter Umständen stundenlang auf ungeeigneten Frequenzbereichen abstrampelte.

Hilfreich dabei war, dass die Küstenfunkstellen auf ihren Hauptfrequenzen, wenn sie nicht sowieso gerade mit Funkverkehr beschäftigt waren, ihr Rufzeichen in einer Endlosschleife sendeten. Auf dem Frequenzband, wo diese Schleife am deutlichsten zu hören war, bestand auch die beste Chance für eine erfolgreiche Verbindungsaufnahme. Wobei allerdings die Seefunkstelle meist mit geringerer Sendeleistung und bauartbedingt auch einer nicht so effizienten Antennenanlage arbeitete als eine Küstenfunkstelle

Pünktlich 18:00 Uhr zieht uns ein Schlepper von der Pier weg. Das Auslaufmanöver verfolge ich von der Brücke, dann „verhole“ ich mich in meine Funkstation. Nun beginnt eine zweiwöchige Seereise quer über den weiten Pazifik, erst jetzt geht es wieder „richtig“ raus auf See...

Tage später. Chiefmates Spruch, dass nur die ganz Dummen im Winter zur See fahren, wird von mir nicht mehr angezweifelt. Und mit `ner gewissen Selbstironie gestehe ich mir ein, wohl zweifelsfrei zu den „ganz Dummen“ zu gehören. Das Wetter ist nämlich beschissen hoch Drei. Seit einer Woche stürmischer Wind mit immer wieder auftretenden Orkanböen, stark rollende Dünung und dann wieder Kreuzseen, kurz, alle Verrücktheiten, die die See zu bieten hat. Eines muss man dem Wetter lassen, es ist konstant. Weit im Westen bilden sich irgendwelche Sturmtiefs, erreichen teilweise Orkanstärke und ziehen dann mit langen Kaltfronten im Gefolge quer über den Nordpazifik, oft bis zur US-Ostküste. Zu meiner Begeisterung sind die Kurse der SEATRAIN PRINCETON und der Sturmausläufer nahezu identisch. Meine täglich aufgenommenen Wetterberichte überfliege ich nur noch flüchtig, dann bringe ich sie zur Brücke. Bevor ich hier noch depressiv werde.

Seit Tagen schon stampfen wir gegen diese Brecher an. Wieder und wieder hebt sich der Bug meterhoch aus dem Wasser, um dann krachend ins nächste Wellental zu fallen. Der ganze Kahn stöhnt und ächzt in seinen Verbänden, dass es einem manchmal kalt über den Rücken läuft. Dazu stark rollende Bewegungen zur Seite. An meinem Arbeitstisch, durchs Fenster, sehe ich nur grau in zwei Varianten. Hellgrau, wenn der Schlorren sich nach Steuerbord rollt. Und dunkelgrau, wenn er zur anderen Seite pendelt. Hellgrauer Himmel, dunkelgraues Wasser. Beäugt vom Funker mit grauem Gesicht.

Seit Tagen schon stampfen wir gegen diese Brecher an

Nein, nicht wegen der Seekrankheit, die habe ich schon lange überwunden. Aber wie zum Teufel kann ein Mensch bei diesem Rabatz pennen? Die Funkwachen verbringe ich festgekeilt zwischen meinen Geräten, der Drehstuhl wird mit einer Metallkette in einer Bodenverzapfung eingerastet und damit an der angestrebten Wanderschaft gehindert. Und ich muss mich ständig irgendwo wieder festhalten, wenn die Bocksprünge dieser Schaluppe zu heftig werden.

Die Mahlzeiten gleichen ebenfalls sportlichen Übungen. Man tigert durch wild schwankende Gänge in die Messe, findet dort die obligatorischen nassen Tischtücher vor (auf nassen Laken verrutschen die Teller und Schüsseln nicht), und isst dann unter erschwerten Bedingungen, was die Kombüse so gezaubert hat. Teller ja nicht zu sehr befüllen, sonst tritt der Inhalt „übers Ufer“. Ja, und dann soll man nachts pennen, um wieder zu Kräften zu kommen. Ganz tolles Manöver, ich rutsche auf meinem Beinahe-Doppelbett umher wie `ne Billardkugel. Bisher war noch keiner meiner Tricks erfolgreich, mit denen ich die Koje zu einer rutschsicheren Schlafmulde umfunktionieren will. Matratze verkeilen bringt nix, die Koje ist zu breit. Wenn das so weiter geht, komme ich als Zombie in unserem ersten Zielhafen Kaohsiung an.

Wieder einige Tage später. Heute ist Wochenanfang. Gestern war Sonntag, der 22.10., heute Dienstag der 24.10. Hä? Ganz richtig, wir wackeln nämlich gerade über die Datumsgrenze, und der Montag fällt dieses Mal aus. Allerdings nicht für mich, meine Funkwachen sind gemäß Bordzeit eingeteilt, die Eintragungen im Funktagebuch aber schreibe ich nach GMT (damals „Greenwich Mean Time“, heute heißt das UTC, „Universal Time Coordinated“, und bezeichnet die Zeitzone am Nullmeridian bei London. Sämtliche Funkunterlagen und auch die protokollierten Sende- und Empfangsaktivitäten wurden in GMT geschrieben).

Während sich also der ganze Dampfer nach der lokalen Bordzeit orientiert, setzte ich mich heute Morgen pünktlich um 08:00 Uhr am Dienstag, dem 24.10 an meinen Arbeitsplatz und schreibe ins Funktagebuch: „Montag, 23.10., 21:00 GMT – Schlörit auf Wache“. Und dabei soll man nicht völlig blöd werden in der Birne?...